DMT

Markus Berqer

DMT

Forschung
Anwendung
Kultur

INHALT

Vorwort

Einführung

DER DMT-KOMPLEX UND VERWANDTE MOLEKÜLE

DMT (Dimethyltryptamin)

5-MeO-DMT (5-Methoxy-DMT)

5-HO-DMT (Bufotenin)

DET (Diethyltryptamin)

DPT (Dipropyltryptamin)

DMT-Derivate Psilocybin und Psilocin

Weitere Analoga und Verwandte (Auswahl)

DIMETHYLTRYPTAMINE IN DER NATUR

Die Biosynthese

Endogene Dimethyltryptamine und Verwandte im Menschen

Endogene Dimethyltryptamine und Psychosen

Pharmakologie: Was macht DMT im Körper?

DMT und die Zirbeldrüse

DMT/5-MeO-DMT und das Träumen

Dimethyltryptamine und Verwandte im Tierreich

Dimethyltryptamine und Verwandte in Pflanzen und Pilzen

DIE DMT-FORSCHUNG

Die Entdeckung der DMT-Exoten

DMT aus dem Labor: Richard Manske

Die Entdeckung der DMT-Wirkungen: Stephen Szára

Der Missbrauch von DMT

Klinische Studien: Die Arbeit von Rick Strassman

Rick Strassman im Gespräch

Die Arbeit von Steven A. Barker

The Continuation: Alexander T. Shulgin

DMT und Verwandte in Medizin und Therapie

Psychonautische Forschung

Die Forschung im Untergrund

DAS MOLEKÜL DES BEWUSSTSEINS: DMT-SPIRITUALITÄT

Spirituelles Potenzial und mystische Welterfahrung

Psychedelischer Hyperraum: »CydelikSpace«

Geister, Aliens, Entitäten: Fremde Welten oder Gehirnprojektionen?

DMT und Nahtoderlebnisse

Weltraumvisionen

Wissenschaftliche Visionen

DMT und religiöses Erleben

DMT und Meditation

DMT-ENTHEOGALENIK

Galenische Schamanentrünke: Ayahuasca und Jurema

Traditionelle Schnupfpulver und Co.: Virola, Cebíl, Cohoba

Moderne Entheogalenik: Changa & Co.

DMT-PRAXIS

DMT-Extraktion aus Pflanzen

Einnahmeformen und Konsumtechniken

Stichwort Toleranz

Erfahrungsberichte

Safer Use und Prävention

Enorm wichtig: Dosis, Set und Setting

Gruppensetting und Tripsitter

Nicht vergessen: Nachbereitung

Gefahren und Risiken

Im Fall des Falles: Maßnahmen und Gegenmittel

Nicht wirklich böse: Der Bad Trip

DMT-Abhängigkeit?

Rechtliches

DMT-KULTUR

Indigene Kulturgüter

Zeitgenössische Kunst

ANHANG

Bibliografie

Danksagung

Der Autor

Bildnachweis

Index

Vorwort

»Die tiefe psychedelische Erfahrung hält nicht nur die Möglichkeit einer Welt voller gesunder Menschen, die im Gleichgewicht mit der Erde und miteinander leben, für uns bereit, sie verspricht auch ein großes Abenteuer und die Beschäftigung mit etwas völlig Unerwartetem – einem ganz nahen fremdartigen Universum, das vor Leben und Schönheit nur so strotzt.«

Terence McKenna (1996: 326)

»DMT verstärkt die mentalen Wahrnehmungen der bildhaften Symbolik in einer so mannigfachen Vergrößerung, dass die üblichen Wegmarken des Egos (…) abhanden kommen.«

Dale Pendell (2009: 234)

Ein Buch über den chemischen Stoff DMT, Dimethyltryptamin, und dessen verwandte Moleküle zu verfassen, gleicht einem Parforceritt. Bereits der Grundgedanke dürfte zumindest jenen pikant erscheinen, die sich mit der Materie vertraut gemacht haben und womöglich über Erfahrungen mit Psychedelika wie DMT und 5-MeO-DMT verfügen. Natürlich ist es möglich – und nötig! –, mannigfaltige Daten zu erheben und Zusammenhänge zu erläutern. Die Wissenschaft war diesbezüglich in den vergangenen Jahrzehnten alles andere als träge. Die Vielfalt der zu berücksichtigenden wissenschaftlichen Disziplinen, deren entsprechende Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem DMT-Komplex aufgearbeitet werden wollen, ist jedoch eine echte Herausforderung. Schon der US-amerikanische Chemiker und Psychedelik-Pionier Alexander (Sasha) T. Shulgin fand sich diesem Problem gegenüber und kommentierte: »Da gibt es die Substanz (Chemie) und eine Pflanze (Botanik), die einen Effekt hervorruft (Pharmakologie) in denen, die sie einnehmen (Anthropologie), die wiederum eventuell einen therapeutischen Nutzen daraus ziehen (Medizin) oder spirituelle Einsichten und Erkenntnisse gewinnen (Theologie).« (Shulgin und Shulgin 1997: 247) Damit wird klar, welch interdisziplinärer Ansatz nötig ist, um eine möglichst vollständige Abhandlung zu diesem einen Molekülkomplex zusammenzustellen.

Wenn es um den eigentlich erlebbaren Inhalt der DMT-Erfahrungen geht, wird es noch schwieriger. Denn wie soll man über etwas berichten, das dermaßen unglaublich, derart fern aller unserer Vorstellungen ist und fern auch aller erwägbaren Möglichkeiten unserer exzentrischsten Fantasien? Wie soll man erzählen von einer ur-kosmischen Erfahrung, die mit den zwar kunstvoll auszuformenden, dennoch aber höchst limitierten, ja einfachen Metaphern des menschlichen Egobewusstseins kaum in die Alltagsrealität zu transportieren ist, sprich: Wie soll man das schlicht und ergreifend Unbeschreibliche in Worte kleiden? Der Kern der Erfahrungen, die mit Dimethyltryptaminen und Verwandten möglich sind, ist bar jeder Möglichkeit, sie sprachlich zu erfassen. Zwar ist es möglich, die visuellen Komponenten und auch die emotionalen bzw. psychologischen Effekte und Symptome des DMT-Erlebnisses annähernd auf einen beschreibbaren Nenner herunterzubrechen. Zumindest all jenes an visuellen und anderen Eindrücken, das man nach einer Erfahrung ins Alltagsbewusstsein mit zurückzubringen befähigt ist (und das ist oftmals nicht besonders viel). Die eigentliche Qualität dieses Bewusstseinswechsels, der selbst das Etikett »psychedelisch« nicht einmal im Ansatz genügen kann, ist mit den Mitteln unserer Sprache nicht kommunizierbar.

Der US-amerikanische Philosoph, Psychonautenpionier, Ethnopharmakologe, Autor und Bewusstseinsforscher Terence McKenna (1946–2000) bezeichnete beispielsweise in seinem bahnbrechenden Buch »Wahre Halluzinationen« die DMT-Erfahrung als »das Geheimnis«: »So nannten wir es damals und meinten damit das Spektrum der Wirkungen, denen man in der Tryptamin-Ekstase begegnet. (…) Die Vorstellung, dass es das Andere gibt, war uns nicht unvertraut.« McKenna beschreibt den Kern seiner Erfahrungen mit gerauchtem DMT: »Wird DMT geraucht, beginnt der Onset der Erfahrung innerhalb etwa 15 Sekunden. Man fällt unverzüglich in einen Trancezustand. Die Augen sind geschlossen und man vernimmt ein Geräusch, das klingt, als würde ein Stück Zellophan zerrissen, als zerknülle jemand eine Plastikfolie und wirft sie weg. Ein Freund von mir vermutet, dass dies die Radio-Entelechie1 unserer Seele ist, die durch die organische Matrix bricht. Dann ist ein aufsteigender Ton zu hören. Außerdem nimmt man die gewöhnlichen halluzinogenen Wirkungen wahr wie eine sich wandelnde, verschiebende geometrische Fläche aus ineinanderfließenden, bunten Erscheinungen. Synaptisch betrachtet, sind jetzt alle Rezeptoren besetzt und man erlebt während etwa 30 Sekunden eine Verschiebung des Bewusstseinszustands. In diesem Moment findet man sich an einem Ort wieder, der sich jeder Beschreibung entzieht, ein Raum, der sich anfühlt, als sei er unter der Erde oder irgendwie isoliert und kuppelförmig. Im Roman ›Finnegans Wake‹2 wird ein solcher Ort ›merry go raum‹ genannt, abgeleitet vom deutschen Wort Raum. Der Raum dreht sich und man fühlt sich dort wie ein Kind, obwohl man irgendwo in der Unendlichkeit herausgekommen ist.« (McKenna 1999)

Das hört sich unglaublich spannend an! Allerdings kann die Beschreibung der DMT-Erfahrung eines Einzelnen nicht als exemplarisch für die Gesamtheit des Erlebbaren gelten. Hundert DMT-Erfahrungen können so verschieden voneinander sein, dass es geradezu schwerfällt, zu glauben, dass alle von einer einzigen Substanz hervorgerufen wurden. Aber zumindest gestattet uns die Sprache, das Molekül bzw. die Molekülgruppe, mit der solch Unerhörtes hautnah und in voller psychologischer Wucht erfahren werden kann, und die sich darum rankenden Erkenntnisse zu beschreiben, über die um sie entstandene Kultur zu berichten und die Versuche jener unerschrockenen Probanden zu dokumentieren, die im Nachhall ihrer Erfahrungen Berichte hinterlassen haben.

Mit diesem Buch liegt der erste deutschsprachige Band zum Dimethyltryptamin-Komplex vor, der eine umfangreiche Kollektion an Daten, Fakten und Erfahrungsberichten versammelt. Zwar ist kein Text in der Lage, das Mysterium als solches zu entschlüsseln. Denn eines wird gerade im Fall des DMT ganz ersichtlich: Die Erkenntnis liegt allein in der Erfahrung. Die Erfahrung allerdings bedingt jedoch ein Mindestmaß an Kenntnis der Zusammenhänge, also an Bildung und Wissen, denn Kenntnis schützt vor Unbedarftheit und Ignoranz, und Bildung ist letztlich die einzige Möglichkeit, sich auf die Reise in die DMT-Welten zumindest theoretisch vorzubereiten. Wenn vorliegendes Buch dabei als eine Art psychedelische Navigationshilfe von Nutzen sein kann, hat es seinen Zweck erfüllt.

Markus Berger

Valle Gran Rey/Felsberg im Winter 2016,

zum 60. Jahrestag der Entdeckung der Psychoaktivität des DMT

»DMT is everywhere!«

Alexander T. Shulgin (1925–2014)

»Was jetzt im Entstehen begriffen ist, ist kein neues Glaubensbekenntnis und keine neue Religion, keine neue spirituelle Ideologie oder Mythologie. Wir stehen vor dem Ende nicht nur der Mythologien, sondern auch der Ideologien und Glaubenssysteme.«

Eckhart Tolle

1 Radio-Entelechie: von Terence McKenna geprägter Begriff; Entelechie (griech. für: Vollendung, das Ziel in sich tragend) ist ein Terminus der Aristotelischen Philosophie und meint die Verwirklichung des in einem Wesen angelegten Potenzials. Auch: sich in der Materie manifestierende oder verwirklichende Form.

2 Finnegans Wake: Episches und künstlerisch anspruchsvolles sowie kryptisch-psychedelisches Werk des irischen Dichters James Joyce, das McKenna und die psychedelische Bewegung als essenzielle Schrift angesehen hatten. McKenna hatte Finnegan’s Wake sogar auf seine Expeditionen in den amazonischen Dschungel mitgenommen. Tim Leary nannte James Joyce den »großen psychedelischen Schreiber dieses Jahrhunderts, das Modell eines angetörnten, eingestimmten und ausgestiegenen Menschen«. (Leary 1997: 307)

Einführung

»Die ursprüngliche Harmonie lässt sich durch den massenweisen Verzehr von Pilzen, das Rauchen von DMT und andere psychedelische Aktivitäten anscheinend wiederherstellen. Das ist dann die Morgenröte der psychedelischen Utopie.«

Rupert Sheldrake

»DMT ist nicht eine unserer irrationalen Illusionen.«

Terence McKenna (1996: 320)

Da im Rahmen einer Monografie zum DMT-Komplex, diesen »Molekülen des Bewusstseins«, ein weites und interdisziplinäres Themenfeld bearbeitet werden muss, soll diese Einleitung als eine geraffte Zusammenfassung der wichtigsten Daten und Fakten verstanden werden. Der hier zu verschaffende erste Überblick bedarf im Verlauf des Buches einer detaillierten Aufarbeitung und Betrachtung.

Die DMT- bzw. 5-MeO-DMT-Erfahrung ist exorbitant und kaum in Worte zu kleiden. Die Wirkung, die zum Beispiel nach dem Rauchen bzw. Verdampfen von DMT und 5-MeO-DMT eintritt, ist gut mit einer psychedelischen Rakete zu vergleichen, die den Konsumenten innerhalb weniger Atemzüge in den psychedelischen Hyperraum schießt. Nimmt man DMT in Form von Ayahuasca oder Ayahuasca-ähnlichen Substanzen, sogenannten Ayahuasca-Analogen, oral ein (was dann mit Zusatz eines MAO-Hemmers geschehen muss), so fällt die Erfahrung etwas anders aus. Oral aktiviertes DMT beginnt meist mit einem eher schleichenden Wirkungseintritt, wirkt deutlich länger – und auch durchaus andersartig. Im Laufe des Buches besprechen wir die Spielarten der DMT-Entheogalenik3, in denen auf diesen Aspekt noch eingegangen wird.

Zum allgemeinen Wirkprofil der Dimethyltryptamine und ihrer nächsten Verwandten schauen wir uns die Definitionen des Schweizer Chemikers Daniel Trachsel von DMT, 5-MeO-DMT und dem synthetischen Homolog DET an: »DMT führt zu einem sehr intensiven, aber nicht unbedingt euphorischen Rauscherlebnis. DMT ist keine ›Partydroge‹. Das Erleben ist qualitativ andersartig als beispielsweise unter dem Einfluss von LSD; Ich-Auflösung und das Eintauchen in bizarre Welten sind die Regel. Die eigentliche Wirkung dauert nur einige Minuten. Danach befindet man sich während etwa 30 bis 60 Minuten in einem entspannten Meta-Zustand, in dem man die kurze, aber äußerst intensive Reise in eine vollständig andere Welt zu verarbeiten hat.« (Trachsel 2011: 200) Wird 5-MeO-DMT geraucht oder vaporisiert, »tritt die Wirkung blitzartig ein und ist äußerst stark. Nach bereits 30 bis 60 Sekunden ist die ganze Wirkung da. Oft wird eine Trennung von Körper und Geist erlebt. Während des Rausches können Visionen, Farbstrudel, Erleuchtungszustände und Zeitreisen auftreten.« (Ebd.: 239) Und Diethyltryptamin (DET) »wirkt nicht so visionär wie DMT, und die Wirkung setzt langsamer ein. (…) Die kontemplative und teilweise euphorische Wirkung kann Aspekte haben, die an Partydrogen erinnern, aber nicht generell und nicht in jedem Fall. Das ›Mitschwingen‹ mit Musik, teilweise auch als Synästhesie, kann sehr ausgeprägt sein. Die Substanz scheint für manche Benutzer das ideale Psychedelikum zu sein.« (Ebd.: 208)

Psychedelikpionier Peter Stafford ergänzt: »Bemerkenswert ist die Geschwindigkeit, mit der DMT oder DET beim Rauchen das Gehirn affizieren – es ist, als würde auf einen jähen Impuls hin ein ruhender Gegenstand in einen quirligen Spielball verwandelt. Ich habe bei Tests Leute gesehen, die nach einem Hit zu sagen begannen, sie fühlten noch nichts und urplötzlich sprachlos wurden, gelegentlich gar einfach zu Boden sackten. Ein Freund sagte über sein erstes DMT-Experiment: ›Ich machte einen Zug – und schon fielen Arme und Beine von mir … und der Garten Gottes öffnete sich.‹« (Stafford 1980: 314)

Der US-Psychonaut D. M. Turner (Joseph Vivian, 1962–1996) bringt die DMT-Erfahrung der gerauchten Substanz in seinem »Psychedelischen Reiseführer« auf den Punkt: »Raucht man DMT, so setzt die Wirkung innerhalb von ca. 30 Sekunden ein. Innerhalb weiterer 30 Sekunden wird man in eine Höhe katapultiert, die dem Gipfelerlebnis eines Trips von 1000 μg LSD entspricht. Generell fühlt man sich dann außerhalb des Körpers und nimmt die physische Umgebung nicht mehr wahr. Dieser intensive Part der Erfahrung hält nur 2 bis 5 Minuten an, obwohl er währenddessen zeitlos zu sein scheint. Dann gleitet man schnell in den normalen Bewusstseinszustand zurück.«

DMT- und 5-MeO-DMT-Konsumenten berichten von außerkörperlichen und Nahtod-Erfahrungen, von Reisen durchs All und durch die Zeit, aber auch von zeit- und raumlosen Erfahrungen. Von Begegnungen mit vielfältigen Entitäten, Außerirdischen und körperlosen Wesen, von Begegnungen mit der Schöpferkraft, mit Göttern und mit Geistern. Sie berichten von Reisen zum Anfang aller Existenz, von Reisen zum Urgrund und in das eine, alles umfassende und alles gebärende Licht. Konsumenten kommen aus der oft lebensverändernden Erfahrung mit Dimethyltryptaminen häufig als spirituell veranlagte Individuen zurück. Manche berichten von Heilung, von Erleuchtung, von Erlösung aus alten Verstrickungen (Anhaftungen, aber auch Traumata, psychische Blockaden usw.), aber manchmal auch von Angstzuständen, von innerer Leere und Orientierungslosigkeit. Dies alles und viel mehr kann (muss aber nicht) zum Erfahrungsspektrum des DMT-Trips gehören. Wie genau der pharmakologische Mechanismus funktioniert, der all das induziert, und was die vielfältigen Erfahrungsrealitäten konkret zu bedeuten haben, konnte bis zum heutigen Tage nicht vollständig aufgeklärt werden.

Dimethyltryptamine sind als körpereigene Substanzen in Mensch und Tier zu finden. Es gibt darüber hinaus eine große Anzahl an Pflanzen und einige Pilze, in denen diese Bewusstseinsmoleküle und deren Verwandte vorkommen; und sogar als Moleküle mariner Organismen sind DMT-Formen seit Jahrzehnten bekannt (5-Bromo-DMT, 5,6-Dibromo-DMT und Verwandte in Schwämmen). Auch davon wird im Buch zu berichten sein. Dabei stellen die bisher bekannten Dimethyltryptamine-produzierenden Organismen sicherlich nur einen kleinen Ausschnitt derjenigen Lebensformen dar, die diese Substanzen und deren Verwandte tatsächlich beherbergen. Mit am interessantesten, weil für die Extraktion nutzbar, sind dabei die DMT-haltigen Akazienarten, von denen viele in Australien, einige aber auch in Afrika, Asien und Südamerika vorkommen, die eng verwandte Mimosa tenuiflora (die oft noch unter ihrem alten Namen »hostilis« verkauft wird), die in Zentral- und Südamerika vorkommt und in der Wurzelrinde nennenswerte Quantitäten an DMT aufweist, sowie die auf dem amerikanischen Kontinent heimischen DMT-Pflanzen (Cébil, Yopo, Epéna, Chacruna, Chaliponga usw.). In Europa sind es die Schilfgräser Phragmites australis, Phalaris-Arten und Arundo donax, die allerdings erstens nicht immer wirksame Mengen an DMT bzw. 5-MeO-DMT enthalten und zweitens darüber hinaus auch andere Inhaltsstoffe beherbergen, die mitunter toxisch sein können. Es gibt sogar chemische Sippen, vor allem von Phalaris-Arten, die gar keine psychoaktiven Tryptamine enthalten.

Wir kennen zahlreiche natürliche und synthetische Derivate und Homologe des N,N-DMT, zum Beispiel DET (N,N-Diethyltryptamin), DPT (N,N-Dipropyltryptamin), a,N-DMT (alpha,N-Dimethyltryptamin), 2,alpha-DMT, 5-MeO-DMT (5-Methoxy-DMT), 5-HO-DMT (Bufotenin) und so weiter. Eine der wichtigsten Substanzen dieser Gruppe ist das ebenfalls extrem potente und geringer zu dosierende 5-Methoxy-DMT, wie DMT selbst ein Naturstoff, den auch wir Menschen in unserem Körper synthetisieren, und der im Zusammenspiel mit dem körpereigenen Beta-Carbolin Pinolin – was zusammen ein Endohuasca, ein endogenes Ayahuasca-Analog, ergibt – für unsere Träume verantwortlich sein könnte, wie manche Wissenschaftler vermuten.

Was viele nicht wissen: Auch der hauptwirksame Inhaltsstoff der Magic Mushrooms, das Psilocin und auch dessen Phosphorsäureester Psilocybin sind DMT-Formen, nämlich 4-HO-DMT (4-Hydroxy-N,N-Dimethyltryptamin = Psilocin) und 4-PO-DMT (4-Phosphoryl-N,N-DMT = Psilocybin). Deshalb können die Visionen, die nach der Einnahme höherer Dosierungen Pilze resultieren, denen des DMT sehr ähnlich, bisweilen sogar von gleicher Natur sein. So können beispielsweise die typischen DMT- bzw. Ayahuascamuster von einigen Psychonauten auch unter Pilzeinfluss gesehen werden.

Sprechen wir über spezielle Entheogalenik, sprechen wir über Ayahuasca und Changa.

Bei Ayahuasca (Yagé) handelt es sich um ein uraltes Getränk, das im amazonischen Regenwald »erfunden« wurde und dort bis heute im Rahmen der schamanischen Kultur zur Anwendung kommt. Ayahuasca, was übersetzt so viel wie Seelenranke oder Ranke der Ahnen heißt, besteht normalerweise aus mindestens zwei pflanzlichen Zutaten: der Lianenpflanze Banisteriopsis caapi, die selbst auch Ayahuasca genannt wird und Beta-Carboline enthält, welche wiederum im Trank als MAO-Hemmer funktionieren, und den DMT-haltigen Blättern des »Wilden Kaffees« Psychotria viridis, auch Chacruna genannt, oder einer anderen DMT-haltigen Pflanze. Aus diesen beiden Ingredienzien und anderen Zutaten wird die Ayahuasca gekocht4, ein bräunliches, übel schmeckendes Gebräu, das in einem zeremoniellen Setting vom Schamanen getrunken und an die Ritualteilnehmer weitergegeben wird. Bevor sich die Wirkung des DMT bemerkbar macht, neigen die meisten Probanden dazu, sich zunächst heftigst übergeben zu müssen und sich unsäglichen Durchfallattacken ausgesetzt zu sehen. Es gibt aber auch Zeitgenossen, denen das erspart bleibt. Die Magen-Darm-Symptome rühren dabei hauptsächlich von den Beta-Carbolinen her. Schließlich beginnt das oral eingenommene DMT seine ungeheure Wirkung zu entfalten – jedoch anders, als es bei verdampftem bzw. gerauchtem DMT der Fall ist. Während gerauchtes DMT den Psychonauten blitzartig in die Gefilde der psychedelischen Innenwelten katapultiert und damit auch rasch zu Verwirrungszuständen führen kann, öffnen sich unter Ayahuasca eher traumartige Facetten der Realität, ich möchte es das »Alice-im-Wunderland-Phänomen« nennen. Das »Dschungelkino« ist sehr bunt, zauberhaft und mysteriös. Auf den Themenkreis rund um den schamanischen Gebrauch von Ayahuasca und anderer Ritualentheogene werden wir im Hauptteil des Buchs eingehen.

Ein neueres »Phänomen«, das erst seit der Jahrtausendwende weltweit so richtig bekannt geworden ist und aus Australien stammt, ist Changa, das die Zutaten der Ayahuasca in einer rauchbaren Mischung vereint, die eine weitere, wiederum andersartige DMT-Erfahrung möglich macht. Changa besteht meist aus einer 1:1-Mischung von DMT und unterschiedlichen pflanzlichen Bestandteilen, von denen die Ayahuasca-Liane die Standardzutat ist. Daneben bestehen die Rauchmischungen aus einer Vielzahl von weiteren Zutaten, die in den diversen Blends auch variieren. Changa wirkt nicht genau wie pures gerauchtes DMT, aber es wirkt auch nicht, wie Ayahuasca wirkt. Changa liegt irgendwo in der Mitte. Das liegt vermutlich im Zusatz von MAO-Hemmern begründet, die im originären Changa-Blend in Form von Banisteriopsis-Anteilen oder -Extrakten und häufig auch in Form von Steppenrautensamen-Extrakt (Peganum harmala) verarbeitet sind. Viele User beschreiben die Wirkung von gerauchtem oder verdampftem Changa im Vergleich zu DMT als weniger beängstigend, als freundlicher sowie als heller und klarer, was auch immer das für den Einzelnen bedeuten mag.

Die Monoaminooxidase (MAO) ist ein Enzymsystem5 in unserem Körper, das vereinfacht gesagt unter anderem dafür sorgt, dass giftige Substanzen (Amine), die wir über Lebensmittel und Medikamente zu uns nehmen, nicht in unser Gehirn gelangen. Die MAO baut derartige Amine ab, bevor sie das Hirn erreichen können. DMT gehört, obwohl es in diesem Sinne kein Toxin, sondern eine endogene, also körpereigene Substanz darstellt, zu eben jenen Molekülen, die bei oraler Einnahme vom MAO-System abgebaut werden. Damit ist DMT, wenn man es schluckt, normalerweise nicht wirksam. Verabreicht man aber, wie im Falle von Ayahuasca, gleichzeitig einen MAO-Hemmer, also einen Stoff, der das MAO-System unterdrückt, so gelangt auch geschlucktes DMT ins Gehirn. Dieses Prinzip machen sich die Ayahuasca-Rezeptur und jedes Analog zunutze. Die pflanzlichen Beta-Carboline, die zum Beispiel in Banisteriopsis caapi vorliegen, gehören zu den MAO-Hemmern (MAO-A) und zwar zu den reversiblen, also den nur temporär bzw. kurz wirksamen.

Die physiologischen Risiken und Gefahren der DMT-Einnahme beschränken sich auf einige wenige, die bei gesunden Menschen aber eher zu vernachlässigen sind. So kann DMT kurzzeitig Herzfrequenz und Blutdruck erhöhen – was viele Menschen nicht einmal bemerken oder als unangenehm empfinden und was meist sehr schnell vorübergeht. Psychisch besteht wie bei allen Psychedelika die Gefahr, eine latent vorhandene Psychose zu aktivieren oder mit dem Erlebten nicht zurechtzukommen. Eine weitere, nicht zu unterschätzende Gefahr im Umgang mit DMT ist die Prohibition, also die Strafverfolgung, weil die meisten Staaten nach wie vor verbieten, mit bewusstseinsverändernden Substanzen zu experimentieren. Man muss wissen: N,N-DMT ist in den meisten Ländern der Welt nicht legalisiert, das heißt verboten. Dieses Verbot hat allerdings nichts mit vernunftbasierter Gesetzgebung zu tun, sondern ist eines der Resultate des rassistischen und menschenverachtenden War on Drugs. Und viel mehr noch: Wird man sich der Tatsache bewusst, dass DMT so gut wie überall in der Natur vorkommt, inklusive in uns Menschen selbst, so entlarvt sich ein entsprechendes Verbot dieser Substanz (und seiner Verwandten) als unrealistisch. Um das zu untermauern, darf erwähnt werden, dass vor wenigen Jahren von Forschern herausgefunden wurde, dass DMT auch in Zitrusfrüchten und Zitrusgewächsen nachweisbar ist. Wenn man dann weiter bedenkt, dass mit dem Controlled Substances Act (der US-Version des Betäubungsmittelgesetzes) in den USA explizit jedweder Handel mit DMT in jeder Art und jeder Quantität eine Straftat darstellt, so sind dem Gesetz gemäß alle Anbauer, Verkäufer und Produzenten von Zitruspflanzen, -früchten und entsprechenden Produkten Kriminelle. Der Orangensaftverkäufer transmutiert dann per Gesetz zum Straftäter. Natürlich wird das in der Praxis selbst in den Vereinigten Staaten nicht so gehandhabt, grundsätzlich ist es aber so geregelt. Dies unterstreicht noch einmal aufs Nachdrücklichste die Widersinnigkeit dieses Drogenverbots.

3 Galenik bezeichnet die Zusammenstellung bzw. Komposition und Herstellung von Arzneimitteln. Der Begriff leitet sich vom griechischen Arzt Galenos her (2. Jahrhundert n. Chr.), der für seine raffinierten und komplizierten wie auch hoch wirksamen Arzneimittelrezepturen bekannt gewesen ist. Als Entheogene werden u. a. psychedelische bzw. psychoaktive Substanzen bezeichnet, die in der Lage sind, das Göttliche in unserem Inneren zu erwecken (altgriechisch: entheogen). Entheogalenik meint infolgedessen die Komposition verschiedener psychoaktiver Substanzen zum Zweck der Erzeugung von synergistischen Wirkweisen der kombinierten Mittel.

4 Es gibt auch Ayahuasca-Rezepturen, die ohne DMT-Pflanzen auskommen.

5 Enzyme, früher Fermente genannt, sind für den Stoffwechsel lebender Organismen unerlässlich. Es handelt sich um große Moleküle, meist Proteine, die in den Zellen gebildet werden und sozusagen als chemische Reaktionsbeschleuniger fungieren. Enzyme spielen in unseren Körpern bei einem Großteil der wichtigsten biochemischen Prozesse eine entscheidende Rolle. Ohne Enzyme würde zum Beispiel das Verdauungssystem nicht funktionieren.

DER DMT-KOMPLEX UND VERWANDTE MOLEKÜLE