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Sabine Koch

 

Bund der Gefährten:

Ceylin & Jourdain

 

Band 2

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2018

http://www.deadsoft.de

 

© the author

 

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.de

Bildrechte:

© Sergey Goruppa – fotolia.de

 

 

1. Auflage

ISBN 978-3-96089221-2

ISBN 978-3-96089-222-9 (epub)

 

Inhalt:

Jourdain, der Vampir, ist im Stress. Nicht nur sein Erzfeind, der Marquis de Vittaux ist aufgetaucht, nein, auch der süße Elf Ceylin hält ihn auf Trab. Verletzt und bewusstlos wurde dieser durch einen mysteriösen Vorgang in sein Schloss geweht und benötigt nun Pflege.

Und etwas an diesem Elf zieht ihn magisch an, aber Jourdain kann und will dem nicht nachgeben – zu verheerend wären die Folgen.

Als Ceylin in die Fänge des Marquis gerät, ist es nicht länger zu leugnen, der Gefährtenband zwischen ihm und Jourdain ist längst geknüpft und hängt nun am seidenen Faden.

 

Bund der Gefährten Band 2

 

Prolog

 

Das eisblaue, kristallene Leuchten war vor geraumer Zeit erloschen, die Orakelsteine schon seit Längerem verstummt. Doch noch immer kniete Yusra tief in Gedanken versunken vor dem Altar. Zu schmerzlich war, was er da vernommen hatte.

Mein Los, mein Fluch, dachte er unglücklich, die Zukunft zu kennen. Er seufzte und verneigte sich endlich vor den Kristallen, bevor er sich mühsam erhob.

Zukunft. Schicksal. Zwei launische Kinder.

Heute lachend und fröhlich, morgen mürrisch und dunkel. Niemand kannte die Geschicke besser als er, der Hüter. „Es wird sich erfüllen. Unweigerlich“, murmelte er düster vor sich hin, während er im Kamin Holz nachlegte. Zögerlich griff die Glut nach dem trockenen Scheit, um gleich darauf kräftig aufzulodern. Das Prasseln und Knacken versprach gemütliche Wärme, genau das Richtige für seine alten Knochen. „Deine Bestimmung. In die Wiege bekommst du sie gelegt. Und niemand fragt, ob sie dir zusagt oder dich schmerzt.“

Gedankenvoll faltete er die Hände hinter dem Rücken und begann, in der kleinen Kammer auf und ab zu laufen. Warf nachdenkliche Blicke auf das Bündel, das auf der schmalen Bettstatt lag und schlief. Er trat zu der kleinen Kommode und begann, die wenigen Habseligkeiten, die sich darin befanden, zu durchwühlen. „Niemand kann das ihm Bestimmte aufhalten, nicht einmal der Hüter des Orakels. Aber ich werde es nicht bereitwillig oder gar widerspruchslos hinnehmen.“

Als er fand, was er suchte, atmete er erleichtert auf. Vorsichtig legte er den winzigen Anhänger vor sich auf die zerkratzte Tischplatte. Er sammelte seine magischen Energien und murmelte eine lange Beschwörung. Als er damit fertig war, schoss ein blauer Blitz aus seinen Fingerspitzen, direkt in den Talisman hinein. Das Ding erglühte, es knisterte und flackerte. Für einen Augenblick konnte man den Eindruck gewinnen, es wolle zum Leben erweckt werden – dann erlosch es auch schon wieder. Zufrieden lächelnd nahm er die kleine Figur in die Hand. „So. Wollen sehen, ob wir dem Schicksal nicht ein Schnippchen schlagen.“

Er konnte die Zukunft nicht verändern, sich verknüpfende Bande nicht lösen, doch er würde dafür Sorge tragen, dass sein unschuldiger Enkel mit heiler Haut überstand, was ihn erwartete.

Das war sein Privileg als Hüter der Geschicke der Elfen.

Yusra sah sich suchend um und entdeckte auf der Kommode die kleine schlichte Holzkiste. Er öffnete den Deckel und sah hinein. Seine vom Alter gezeichneten Finger schoben den angelaufenen Orden zur Seite, längst hatte er vergessen, wofür er ihn einst verliehen bekommen hatte. Er kramte sich durch ein paar Kupfertaler, einige Muschelschalen, ein paar vergessene Knöpfe und seinen größten Schatz, ein goldenes Medaillon.

Da. Da war das Passende. Das Stück Drachenhaut hatte er gesucht. Es lag zusammengerollt in der Ecke des Kästchens. Er wickelte den Talisman fest darin ein und vergrub ihn in den Tiefen der Kommode, zwischen seiner zweitbesten Robe und einem mottenzerfressenen Samtumhang, von dem er sich einfach nicht trennen konnte.

„Wenn es an der Zeit ist, dann wird er wieder ans Licht kommen, nicht wahr? Alles kehrt immer ans Licht zurück“, wandte er sich an den schlafenden Elf auf seinem Bett. Der Alte schüttelte den Kopf. Immer häufiger ertappte er sich dabei, wie er mit dem Winzling sprach. Der Kleine erwachte von seinem Gebrummel, verzog unwillig das Gesicht und begann zu quengeln. Yusra hob ihn vorsichtig auf seine Arme und gab alberne Laute von sich. Zum Dank schenkte ihm das Kind ein hinreißendes Lächeln, wie es nur Babys besaßen.

Die Prophezeiung der Kristalle kam ihm in den Sinn. „Deine Zukunft, dein Schicksal. Unaufhaltsam steuerst du darauf zu.“

Als Antwort patschte ihm der Elf mit seinen winzigen Fingerchen im Gesicht herum. Strahlte ihn aus großen Silberaugen an. Sanft streichelte Yusra ihm über die runden Wangen.

„Mögen die Weisen dich beschützen, Ceylin, mein Kind. Ich … vermag es nicht.“

Kapitel 1

Siebzig Jahre später

 

In den Räumen des kleinen, windschiefen Kotten war es still. Niemand rannte geschäftig durch das Kräuterzimmer, es gab nichts, das sofort, dringend und auf der Stelle fertig werden musste. Ohne die gewohnte Beschäftigung vergingen die Tage quälend langsam.

Die meiste Zeit hockte Ceylin in dem alten Lehnstuhl und starrte Löcher in die Luft.

Er hatte schon lange keine anderen Elfen mehr gesehen, geschweige denn gesprochen. Niemand kam, um seine Dienste als Heilkundiger in Anspruch zu nehmen. Nicht mehr, seit Großvater vor sechs langen Wochen gestorben war.

Traurig rollte er sich in dem Stuhl zusammen und zog die alte Wolldecke über sich. Kalt war es in den kleinen Kammern, selbst im heißesten Sommer. Aber es war so mühsam, ständig Holz zu holen und den Ofen zu anzufeuern. Und sich um Essen zu kümmern. Er hatte noch ein paar Nüsse gefunden, das reichte.

Ceylin fühlte sich einsam, und das wurde langsam unerträglich. Niemals zuvor war er so lange alleine gewesen. Früher war das schon manchmal vorgekommen, wenn sein Großvater in seiner Mission als Hüter unterwegs gewesen war, aber da war er eben immer wieder zurückgekehrt.

Und jetzt? Jetzt kehrte niemand zu ihm zurück.

Er ertrug die Stille nicht länger. In der Küche stand ein altes, batteriebetriebenes Radio, das holte er sich und stellte es an. Es rauschte und knistert furchtbar, die Musik war kaum zu hören, aber wenigstens vermittelte es den Anschein von Leben in diesem Haus.

Ihm fiel die Decke auf den Kopf und spontan fasste er einen Entschluss. Er würde seine Freundin Arlena aufsuchen. Vielleicht konnte eine Stunde mit ihr die Einsamkeit etwas erträglicher machen.

 

Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube stand Ceylin auf der steinernen Treppe und starrte die Eingangstür an. Sollte er klopfen oder lieber nicht? Hinter dieser Tür lebten drei Vampire. Und Arlena.

Da es jetzt wieder zu regnen begann, nahm er seinen Mut zusammen und schlug den massiven Ring des löwenköpfigen Türklopfers fest auf die Platte. Laut dröhnte es durch das Haus.

Es dauerte eine Weile, und als sich die Tür endlich öffnete, stand da nicht wie erhofft seine Freundin Arlena, sondern Conner.

Conner, der Vampir. Erschrocken starrte Ceylin ihn an. Vorsichtshalber trat er einen Schritt zurück. Noch immer gellten ihm die unheimlichen Schreie in den Ohren, noch immer hörte er, wie der Großvater ihn vor dem jungen Vampir im Blutrausch warnte. Wie könnte er auch jemals vergessen, wie sich Arlena schluchzend an ihn geklammert hatte, während er ihr erklären musste, was der Vampir Macaire bei der Wandlung tat.

Unwillkürlich musterte er den Gewandelten von oben bis unten. Ceylin wusste nicht genau, was er erwartete hatte, doch auf den ersten Blick sah Conner eigentlich ganz normal aus. Mit etwa einem Meter siebzig war er so groß wie er selbst. Die langen, tizianroten Haare hingen als geflochtener Zopf über die Schulter herab.

Von Arlena hatte er erfahren, dass die Zwillinge nur knapp vier Jahre älter waren als er. Auf jeden Fall war der Vampir um einiges muskulöser, wie Ceylin neidvoll feststellte.

Er trug die schwarze, uniformartige Bekleidung der Venatori, einer Art paranormaler Polizei, und war der einzige Gewandelte, den Ceylin bis jetzt zu Gesicht bekommen hatte. Eigentlich war Conner als Elf zur Welt gekommen, doch das Schicksal hatte etwas anderes für ihn vorgesehen.

Ceylin war nicht in alles eingeweiht, doch er war dabei gewesen, als Conner von seinem Gefährten Macaire, einem riesenhaften Vampir, gewandelt worden war, weil sein Leben durch ein dämonisches Artefakt in Gefahr geraten war. Außerdem hatte sich herausgestellt, dass er der Auserwählte, anstelle seiner Zwillingsschwester Keyla, war. Das herauszufinden, war für Conner ein Schock gewesen, erklärte aber, warum er Magie beherrschte. Ziemlich gut sogar. Mit seinem Gefährten Macaire hatte er in einer heiligen Zeremonie, die einige schwere Prüfungen beinhaltet hatte, das Friedensbündnis zwischen all den Reichen erneuert. Jeder wusste inzwischen darüber Bescheid, hatte es sich doch nach dem spektakulären Sieg gegen Aestifer, den Lord der Finsternis, wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Nur Ceylin hatte von dem Kampf bisher nichts hören wollen, weil sein Großvater, als Hüter des Orakels, dabei sein Leben hatte lassen müssen.

Nun stand also genau dieser Conner vor ihm und sah ihn an, wie etwas, das gerade unter einem Stein hervor gekrochen war.

„Oh, du bist doch Ceylin, komm herein“, forderte Conner ihn auf. Dieser spürte die mitleidigen Blicke genau, mit denen er ihn musterte.

„Ich hoffe, ich störe nicht.“ Zögerlich schob der Elf sich durch die Tür. „Eigentlich … wollte ich zu Arlena.“

„Du störst überhaupt nicht, Keyla und Kaidan sind auch noch hier. Kennst du meine Schwester eigentlich schon?“ Conner wartete die Antwort nicht ab, fasste ihn am Arm und zog ihn ganz in das Foyer. „Nur mit Arlena hast du kein Glück, sie ist wieder am Hof von Fürst Cyprin.“ Und bevor Ceylin es sich anders überlegen konnte, wurde er von ihm durch die lichtdurchflutete, marmorne Halle dirigiert. Nur flüchtig nahm er den Springbrunnen in der Mitte der Halle wahr.

„Wie … ist es dir ergangen?“ Conner fragte vorsichtig, fast so, als hätte er ein schlechtes Gewissen. Ceylin schwieg. Was sollte er schon dazu sagen?

„Hier ist die Küche.“ Der Vampir schob ihn hinein.

Er war schon einmal hier im Haus gewesen, neulich, als Conner sich zum Vampir gewandelt hatte. Die Küche hatte er nicht gesehen, hatte sich nur kurz oben im Wohnflügel aufgehalten, und so sah er sich staunend um. Alles war so … riesig und modern, ganz anders als die uralte Kate, in der er wohnte.

Hier stand eine wuchtige Kochinsel in der Mitte des Raumes, auf der glänzend-schwarzen Arbeitsfläche lag verschiedenes, frisches Gemüse und wartete nur darauf, zubereitet zu werden.

Er war beeindruckt. Seine Speisen bereitete er auf einem gusseisernen Ofen zu, wofür er ständig Holz heranschleppen musste. Wenigstens gibt es fließendes Wasser, wenn auch aus der Handpumpe, dachte er ironisch. Manchmal hatte er auch Strom. Wenn der Generator funktionierte.

„Komm, setz dich. Magst du etwas trinken?“ Conner warf einen prüfenden Blick in einen der Vorratsschränke und kramte darin herum. „Ich habe Wasser, äh … Wasser und … ich glaube, hier ist noch Tee. Was möchtest du?“

Ceylin zuckte nur mit den Schultern und ließ sich am Esstisch nieder. „Gib mir einfach ein Wasser.“ Erneut blickte er sich um. Hier in der Küche war es so warm und gemütlich, ganz anders als daheim.

Der Vampir stellte ihm eine kleine Flasche hin. „Verrätst du mir jetzt, wie es dir ergangen ist?“

„Wie es mir ergangen ist? Gut, gut! Alles bestens!“ Er quälte sich ein Lächeln aufs Gesicht. Mit einem schnellen Seitenblick vergewisserte er sich, ob er Conner damit täuschen konnte. Doch dessen skeptischer Gesichtsausdruck ließ erst gar keine Hoffnung aufkommen.

Er seufzte leise. „Na ja, es geht so. Denke ich“, räumte er dann ein und versuchte, nicht allzu unglücklich auszusehen. Keinesfalls war er hier hergekommen, um zu klagen, das war gegen seine Absicht.

Wahrscheinlich hatte Conner genug eigene Probleme und keine Zeit, sich auch noch seine anzuhören. Damit würde er schon alleine klarkommen.

Mit einem weiteren Seufzer sah er aus dem Fenster. Zu erkennen waren lediglich einige hohe Bäume und ein paar Büsche. Großvater hatte ihm aber von dem wundervollen Garten erzählt. Ein Gartenhäuschen gab es und sogar einen See. Gedankenverloren starrte er vor sich hin.

„Du kannst mir helfen.“

Blinzelnd fuhr er auf, für einen Moment war er weit entfernt gewesen.

Mit einer Kopfbewegung deutete Conner auf ein Regal an der Wand. „Hol dir ein Brett und ein Messer aus dem Block da drüben. Schneid‘ das Gemüse, aber schön fein, kannst du das?“

Ceylin schaute einen Augenblick etwas verwirrt. Gemüse schneiden? Warum nicht. Er erhob sich, holte das Erforderliche und begann langsam, Paprika und Tomaten zu zerkleinern.

Conner kramte unterdessen eine Pfanne aus dem Schrank, stellte sie auf die eingeschaltete Herdplatte, gab etwas Öl hinein und wartete darauf, dass es sich erhitzte. Dann wandte er sich wieder Ceylin zu.

„Dir geht es gut?“, bohrte er nach. „Das denkst du? Wem willst du was vormachen? Mir etwa? Hast du in letzter Zeit mal in den Spiegel geschaut?“ Das heiße Öl zischte laut, als die zerkleinerten Zutaten auf ein winziges Zeichen von ihm in dem Kochgeschirr landeten. „Soll ich nachschauen, wie es dir wirklich geht, oder sagst du es mir jetzt freiwillig?“ Geschickt schwenkte er die Streifen hin und her. Ohne ihn anzusehen, sprach er weiter. „Gedankenlesen ist eine meiner leichtesten Übungen, weißt du das nicht? Also, rede.“

Ceylin starrte noch einen Augenblick das Essen an, das sich ganz alleine in die Pfanne begeben hatte. Noch ein paar Tage, fiel es ihm ein, dann würde er auch zu so etwas in der Lage sein. Wenn er Hunderte von Sprüchen gelernt hatte, berichtigte er sich.

Er setzte sich wieder, senkte den Kopf und gab nach. „Du hast recht, mir geht es nicht so gut. Es ist so, dass ich noch niemals alleine gewesen bin, ich werde noch verrückt …“, brach es aus ihm hervor. „Und ich hatte gehofft, dass …“ Er hielt inne und begann, mit den Fingern Kreise auf die Tischplatte zu malen.

„Sprich weiter, du hattest gehofft … dass Arlena eine Weile bei dir bleiben würde?“

Ceylin nickte nur. Genau das hatte er sich vorgestellt, aber daraus würde ja nun nichts werden, wenn sie am Fürstenhof weilte. „Wird sie für länger dort bleiben?“

Conner rührte in der Pfanne herum und gab frische Kräuter und Gewürze dazu. „Ich denke schon. Sie hat dort jemanden kennengelernt, einen der Höflinge, glaube ich. Und wenn sie ihn mit ihrem Geplapper nicht in die Flucht schlägt, werden wir wohl demnächst zu einer Hochzeit eingeladen.“ Er begann zu lachen.

Ceylin musste ebenfalls etwas schmunzeln. An das selten stillstehende Mundwerk der kleinen Elfe konnte er sich gut erinnern. Sie konnte einem Dämon ein Ohr abquatschen, wenn es sein musste. Aber sie war immer bereit gewesen, sich für ihre Freunde einzusetzen. Nach Conners Kampf mit Aestifer hatten sie sich ein paar Mal gesehen, hatten sich gegenseitig Halt gegeben.

Er hatte ihr zur Seite gestanden, weil ihr bester Freund Conner zu einem Vampir geworden war und weil ihre beste Freundin Keyla ebenfalls nichts Besseres zu tun gehabt hatte, als sich von Kaidan, einem Kollegen Macaires, beißen zu lassen. Beide Geschwister waren nun Gefährten eines Vampirs.

Arlena dagegen hatte ihm Trost gegeben, weil sein Großvater diese Welt verlassen hatte, ohne dass er sich von ihm hatte verabschieden können.

Oh, er gönnte ihr das neue Glück, gar keine Frage, aber es machte ihn auch gleichzeitig sehr traurig. Er hatte fest damit gerechnet, dass Arlena ihn begleiten würde, eine Zeit lang wenigstens. Und was nun? Es blieb ihm keine andere Wahl, als weiterhin allein zu leben. Möglicherweise sollte er sich einen Hund zulegen. Einen riesigen, mit dickem Fell, so einen hatte er schon immer haben wollen, doch Großvater …

Nein, auf keinen Fall darüber nachdenken, beschwor er sich. Jetzt konnte er machen, was er wollte, vielleicht war es an der Zeit, eine Weile für sich zu sein. Erwachsen werden und so. Einen Hund würde er sich auf jeden Fall anschaffen. Morgen.

Er wandte sich wieder Conner zu, der seinem Gericht nun den letzten Pfiff gab, indem er etwas Käse hineinrieb.

„Dir … scheint es ja gut zu gehen.“ Ceylin wechselte etwas zaghaft das Thema, um von sich abzulenken. „Arlena erwähnte, du wolltest deine Haare abschneiden lassen?“

Conner warf den langen Zopf über die Schulter und nickte. „Eigentlich schon, sie nerven manchmal, vor allem, wenn wir auf Patrouille unterwegs sind. Doch Macaire hat es mir praktisch verboten, ist das zu glauben?“

Langsam entspannte sich Ceylin in Conners Gegenwart und lächelte verhalten. Der Vampir entsprach überhaupt nicht seinen Erwartungen. Er war so … normal, für seine Verhältnisse. „Und das lässt du dir so einfach vorschreiben?“

Conner verdrehte die Augen und seufzte theatralisch. „Was tut man nicht alles aus Liebe?“

Ceylin zuckte nur mit den Achseln. Was wusste er von Liebe? „Äh, da fragst du jetzt aber den Falschen. Hierfür musst du dich an jemand anderen wenden. Keyla vielleicht …“

Wenn man vom Dämon sprach! Angelockt durch den leckeren Geruch betrat Keyla die Küche und schmiss sich ungestüm auf einen Stuhl. Ihre kurzen, blonden Locken standen nach allen Seiten ab und sie sah etwas abgekämpft aus.

„He, du bist doch Ceylin, wie geht’s? Schön, dass du mir Gesellschaft leistest, ich muss sonst immer alleine essen.“ Sie grinste und zeigte auf Conner. „Die Herren Vampire finden, richtiges Essen sei Zeitverschwendung, aber was soll ich machen?“

Conner hatte schon zwei große Portionen auf den Tellern verteilt und stellte sie vor ihm und seiner Schwester auf den Tisch.

Keyla begann, sich sofort heißhungrig auf ihr Essen zu stürzen. Hastig schlang sie es hinunter. „Ich muss schnell machen, Kaidan und ich müssen gleich zurück zum Orden. Wir sind mit der Nachtpatrouille dran.“

„Nachtpatrouille? Was ist mit der Akademie?“

„Ich habe die Akademie verlassen“, erwiderte Keyla zwischen zwei Happen, „weil ich dort nicht mit meinem Gefährten zusammen sein konnte. Kaidan und ich sind seit Kurzem ebenfalls dem Orden der Venatori beigetreten.“

Ceylin zögerte etwas, aber als er einen Bissen probierte, merkte er, wie ausgehungert er eigentlich war. Wann hatte er das letzte Mal etwas Richtiges zu sich genommen? Er wusste es nicht mehr genau.

Eine Weile unterhielten sich die drei noch, doch als Keyla aus der Küche stürmte, erhob sich auch Ceylin. Ob er wollte oder nicht, er musste auch nach Hause. Wenn er noch länger hier sitzen bliebe, ginge er nie wieder in die einsame Hütte zurück. „Ich danke dir, Conner.“ Das meinte er ehrlich. Dass der Vampir die letzten Minuten mit seinem Großvater hatte verbringen dürfen, anstatt ihm, war nun nebensächlich. Conner hätte sich das bestimmt anders vorgestellt.

„Ich danke dir für die Mahlzeit und das Gespräch. Das … das hatte ich ziemlich vermisst.“ Er zögerte und sah zu Boden. „Darf ich …?“

„Natürlich darfst du wiederkommen“, fiel Conner ihm ins Wort. „Ich bin sicher, Keyla freut sich, wenn sie in Gesellschaft essen kann. Und ich koche auch lieber für zwei Leute.“ Er beugte sich über den Tisch zu ihm herüber und flüsterte ihm lächelnd zu: „Ich werde es niemals in Macaires Gegenwart zugeben, aber manchmal vermisse ich das Essen. Deswegen habe ich sogar kochen gelernt. Da habe ich wenigstens den Geruch.“

Ceylin versuchte, sich nicht vorzustellen, wie Conner sich jetzt ernähren musste. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Blut trinken. Sich beißen lassen. Schon der Gedanke daran war gruselig.

Als Ceylin teleportiert war, blieb Conner noch eine Weile alleine in der Küche sitzen. Er machte sich ziemliche Sorgen um Ceylin. Der junge Elf sah furchtbar aus, er war ja nur noch ein Schatten seiner selbst. Dunkle Augenringe leuchteten in dem blassen Gesicht und die beige Farbe des groben Strickpullis ließ ihn geradezu kränklich aussehen.

Außerdem hing der Pullover an ihm wie ein viel zu großer Sack. Seine Wangen waren derart eingefallen und mit welchem Heißhunger er seine Mahlzeit verschlungen hatte. Aß er eigentlich richtig? Er gab sich selber die Antwort. So wie der aussah, aß er überhaupt nichts! An Schlaf mangelte es vermutlich auch, wie die Augenringe verrieten. Ceylin schien wirklich fest damit gerechnet zu haben, dass Arlena für eine Weile zu ihm kommen würde. Dass sie verreist war, nahm ihn sehr mit, sein Gesichtsausdruck sprach Bände. Einen elenderen Anblick gab es kaum.

Er trat zum Herd und begann aufzuräumen. Während er den Geschirrspülautomaten einräumte, überlegte er, was er für den Elfen tun konnte. Eigentlich kannte er ihn ja kaum, aber eines konnte er mit Sicherheit sagen: Wenn Ceylin noch länger alleine in seiner gewohnten Umgebung blieb, kam er niemals über den Verlust seines Großvaters hinweg. Er klappte die Tür des Geräts zu und startete das Programm.

Im Grunde war es ja ganz offensichtlich, was ihm helfen würde. Erstens brauchte er einen Tapetenwechsel und zweitens eine Aufgabe. Und zwar dringend! Sein letztes Gespräch mit Yusra, unten in der Gruft, fiel ihm wieder ein. Hatte er nicht versprochen, sich um seinen Enkel zu kümmern? Damit sollte er wohl besser gleich beginnen. Also würde er ihn als erstes wieder aufpäppeln und sich dann etwas einfallen lassen.

 

Mitten in seine Gedanken hinein betrat Macaire die Küche und lehnte sich an einen der Schränke. „He, was ist los? Der junge Ceylin ist wieder weg, und du machst dir Sorgen.“ Wie immer beantwortete er seine Fragen gleich selber. „Übrigens, die Haare bleiben dran, und seit wann vermisst du das Essen?“

„Hast du wieder mal gelauscht?“ Conner drohte ihm scherzhaft mit dem Finger. „Ja, Ceylin war gerade hier und es geht ihm wirklich schlecht. Er ist ziemlich einsam da draußen in seiner Hütte. Ich habe kurz in seine Gedanken geblickt und was ich sah, war sehr unschön.“

„Was willst du anstellen? Ihn etwa an die Hand nehmen? Dafür ist er doch ein bisschen zu alt.“

„Nein, das wohl nicht.“ Mit dem Lappen wischte er schnell über Herd und Schneidbrett, dann hielt er inne. Seine Vision, die er im Schloss des Obersten Ratsherren der Vampire gesehen hatte, fiel ihm wieder ein. „Aber da ist noch etwas anderes, das den Elfen betrifft. Ihn und Jourdain. Ich habe so ein … merkwürdiges Gefühl. Ich kann noch nicht genau sagen, was passieren wird, doch denk an meine Worte, Mac, es braut sich was zusammen!“

 

*

 

Ceylin betrachtete den zerschlissenen, aber gemütlichen Sessel vor dem erloschenen Kamin. Hier war zuletzt Yusras Lieblingsplatz gewesen. In diesem Raum hatten sie immer zusammengesessen, Großvater und er. Hatten Tee getrunken und sich unterhalten. Fast glaubte er, die kleine Gestalt am Feuer sitzen zu sehen. Er vermisste den Alten, die Gespräche über Magie und seine Weisheiten. Vermisste sogar die Anranzer, wenn er wieder etwas Dummes gefragt hatte.

Aufseufzend ließ er sich in den Sessel sinken. Einen Moment wollte er noch hier sitzen und Abschied nehmen. Dann wurde es Zeit, die alten Sachen zusammenzupacken. Draußen in der Diele standen schon ein paar Kartons. Ein paar Stücke wollte er behalten, unter anderem die vom vielen Gebrauch abgenutzte Ledertasche und seine Lieblingsteetasse, die mit dem Sprung am Henkel.

Viel war es nicht, was sich in der Kammer befand. Yusra war kein Anhänger von persönlichem Besitz gewesen. Eine kleine Kommode für Kleidung, die schmale Liege und ein abgetretener Läufer. In der Ecke den Altar mit den Orakelsteinen. Das war‘s auch schon.

Ceylin zog die Schublade der Kommode auf. Zwischen den wenigen Kleidungsstücken, die darin lagen, fand er die Schatulle. Sie war recht gewöhnlich, aus Holz gefertigt und ganz ohne Verzierungen. Er hob den Deckel und kramte darin herum. Ein angelaufener Orden an einem verblichenen Seidenband lag obenauf. Als er das Band auf die Seite schob, fand er ein paar kleine Kupfermünzen, deren Wert er schnell überschlug. In der einen Ecke entdeckte er ein kleines Päckchen, es war daumenlang und auch kaum viel breiter.

Ceylin stutzte. „Was ist das denn? Das kenne ich gar nicht“, murmelte er.

Als Kind hatte er oft mit dieser Schatulle spielen dürfen, kannte den Inhalt eigentlich ziemlich genau, doch dieses Ding hatte er noch niemals gesehen. Er nahm es heraus und stellte das Kästchen zur Seite. Vorsichtig untersuchte er seinen Fund. Er fühlte sich komisch an. Das Material war kein Stoff, Leder vielleicht, aber hauchdünn, die Farbe ziemlich unbestimmt, ein verwaschenes, dunkles Braun, mit unregelmäßigen winzigen Flecken. Im Inneren konnte er etwas Kleines, Hartes ertasten. Zugebunden war das Päckchen mit einem brüchigen Faden, der sofort zerbröselte, als Ceylin daran zog.

„Was ist das?“ Vorsichtig wickelte er die Umhüllung ab und schüttelte den Inhalt in seine Hand. Der Gegenstand war dunkel, Details blieben noch verborgen. „So geht das nicht. Ich brauche mehr Licht.“

Hier in der Kammer gab es nur die Ölfunzeln, deswegen brachte er seinen Fund in die Küche. Er schaltete die Deckenleuchte ein, hielt das winzige Teil zwischen Daumen und Zeigefinger und staunte. „Das ist ein Drache!“

Es war ein wundervoll gearbeiteter, nur drei Zentimeter großer Drache, mit ausgebreiteten, perfekt geformten Flügeln und einem langen, schlanken Leib, auf dem jede einzelne Schuppe deutlich zu erkennen war. Das Maul des Drachenkopfes war geöffnet, die kleinen Augen schauten grimmig. Auf dem gewundenen Schwanz konnte man die kleinen dornigen Fortsätze erkennen.

Das Tier hielt seine Vorderbeine nach vorne gestreckt, so als wolle er irgendetwas umarmen oder festhalten, um damit davon zu fliegen. Ceylin war sich ziemlich sicher, dass da etwas fehlte.

Schnell schaute er in dem kleinen Lederfetzen nach, nur um enttäuscht festzustellen, dass er leer war. Egal, dachte er. Die Figur war auch so wunderschön.

Ceylin legte den Drachen auf die Handfläche und fuhr mit der Fingerspitze darüber. Als er über das Schwanzende strich, passierte es.

An einer winzigen Kante, die an dem wie eine Pfeilspitze geformten Schwanzende hervorstand, schnitt er sich die Haut auf. Sofort quoll ein Tropfen Blut hervor und fiel auf das Schmuckstück.

„Au, verdammt.“ Ceylin fluchte und steckte den Finger in den Mund. Er sah sich suchend um. Dieses Ding war zu schön, um es in einer Kiste verrotten zu lassen. Oben zwischen den Flügeln befand sich eine kleine Öse, durch die man ein Band hindurchziehen konnte.

„Irgendwo muss noch ein Lederband sein.“ Schnell kramte er in einer Schublade. Als er es gefunden hatte, fädelte er den Drachen daran auf und band ihn sich um den Hals. Dann nahm er ihn fest in die Hand. Das war sein Andenken an Yusra.

Kapitel 2

 

Jourdain war wieder einmal zu spät. Er wusste es, aber es war ihm egal. An dieser Zeremonie nahm er nur teil, weil er als Erster Ratsherr die Verpflichtung dazu hatte. Wenn er damals geahnt hätte, welchen Aufwand dieses Amt erforderte, hätte er die Wahl nicht angenommen.

Eine Hand am Lenkrad, die andere lässig auf seinem Oberschenkel, gab er Gas und ließ die 460 PS seines nagelneuen Rolls Royce Phantom frei. Er fuhr immer selber, hatte keine Geduld, nur hinten im Fond zu sitzen und sich von seinem Chauffeur herumkutschieren zu lassen.

Die Landschaft raste an ihm vorbei, jetzt fuhr er fast mit Vollgas, wollte mal sehen, was das Baby so draufhatte. Die Fahrer der wenigen anderen Fahrzeuge, die unterwegs waren, sahen nur einen Schatten vorbeihuschen und spürten einen Luftzug, wodurch das Phantom seinem Namen alle Ehre machte. Vielleicht sahen sie noch kurz die Rücklichter aufleuchten, bevor er wie ein Geist hinter dem nächsten Hügel verschwand.

Zu hören war nichts, der Motor schnurrte leise wie ein Kätzchen. Auf der langen, schwarz lackierten Motorhaube spiegelte sich das Mondlicht.

Jourdain war zufrieden. Selbst in den Kurven lag der Wagen wie ein Brett auf der Straße. Diese Investition hat sich doch wieder einmal gelohnt, dachte er. Nicht zuletzt auch wegen des Verkäufers, der ihm den Wagen heute Morgen persönlich vorbeigebracht hatte.

Er leckte sich kurz über die vollen Lippen. Das war ein wirklich willkommener Snack gewesen. Der Mann war jung und gut aussehend, strahlte Erfolg und Selbstgefälligkeit aus. Als er mit ihm fertig gewesen war, hatte er zwar nicht mehr gestrahlt, aber das dicke Trinkgeld, das er in seine Anzugtasche gesteckt hatte, würde ihm darüber hinweghelfen.

Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, eilte er die Treppe zu seiner Loge hinauf. Zupfte dabei die Manschetten seines Hemdes aus den Ärmeln des mitternachtsblauen Jacketts und korrigierte den Sitz seiner Fliege, die er gerade erst aus der Fracktasche gezogen hatte. Er hasste dieses Zurschaustellen, mochte es lieber legerer.

Wenn er Glück hatte, kam er gerade noch pünktlich. Es würde ziemlich knapp werden, doch solange er vor dem Fürst der Elfen erschien, war es egal. Niemand durfte später als Cyprin erscheinen, nicht einmal der Erste Ratsherr. Sein Tempel, seine Regeln.

Seine Laune sank, als Jourdain sah, wer da vor seiner Loge herumhing. Es handelte sich um zwei Ratsmitglieder, berüchtigte Schwätzer und Tratschtanten. Aus einem ihm unbekannten Grund brachten es die beiden immer wieder fertig, dass ihnen regelmäßig die brandneuesten Gerüchte zu Ohren kamen. Kaum hatten sie ihn erblickt, strebten sie auch schon auf ihn zu.

„Erster Ratsherr, wisst Ihr schon, dass der jüngste Spross der Dupraise unter dubiosen Umständen verschwunden ist?“

Es gelang Jourdain nicht einmal ansatzweise, Interesse zu heucheln. „Dupraise? Welcher?“ Ohne stehen zu bleiben, trat er auf die Logentür zu und winkte gelangweilt ab. „Damit kann ich mich jetzt nicht befassen, die Venatori sollen sich darum kümmern. Wofür haben wir sie denn?“

Er betrat die Loge, in der schon einige andere Mitglieder des Ersten Rates saßen. Respektvoll erhoben sie sich, als sie ihn erblickten.

„Ah, mein Ratsherr, Ihr habt es geschafft! Seid gegrüßt.“ Monteray, sein Stellvertreter, kam ihm entgegengeeilt und geleitete ihn zu seinem Platz, der sich in der vordersten Reihe, gleich an der Balustrade, befand. „Bitte setzt Euch. Fürst Cyprin hat ausrichten lassen, dass er sich verspäten wird.“

„Das ist wieder mal typisch. Wahrscheinlich muss er noch seine Hoforakel befragen“, murmelte Jourdain verächtlich und sah sich um. In der Ehrenloge gegenüber war es noch stockdunkel. Er trat an die Brüstung und legte seine Hände darauf.

„Ohne diesen Hokuspokus geht der doch nicht aus seinem Schloss.“ Monteray grinste darüber nur und dachte sich vermutlich seinen Teil. Laut meinte er: „Der Grund für seine Verspätung wurde nicht genannt.“

„Ist bekannt, wie lange die Verzögerung dauern wird?“

„Nein.“ Monteray schaute sich kurz um und beugte sich dann zu ihm herüber. „Aber etwas anderes: Ich muss Euch warnen. Der Marquis de Vitteaux ist wieder da. Er tauchte vor drei Tagen plötzlich auf, niemand weiß, wo er sich rumgetrieben hat“, flüsterte er hastig.

„Buona sera, mein lieber Jourdain“, ertönte es auch schon in spöttischem Ton hinter ihm. „Che bella sorpresa di incontrarvi qui!“

Wenn man vom Teufel spricht, dachte Jourdain nur, dann taucht er aus der Hölle auf. „Wirklich eine sehr nette Überraschung, Euch hier zu treffen“, wiederholte Jourdain genauso sarkastisch, dabei drehte er sich langsam um und musterte den lange verschollenen Marquis eingehend.

Marquis de Vitteaux hatte sich nicht verändert. Noch immer gab er mit Vorliebe das Bild des reichen Adligen aus einer längst vergangenen Epoche ab. Dazu gehörten handgenähte Gehröcke aus elegantestem Brokat und feine, handgewebte Leinenhemden, besetzt mit kostbarer Brüsseler Spitze. Des Weiteren trug er selbstverständlich noch immer einen Zylinder auf seiner hellbraunen Lockenpracht, wie heutzutage alle Welt Basecaps. Nicht zu vergessen die unvermeidlichen, edlen Lederhandschuhe und der Spazierstock mit einem silbernen Raubvogel als Knauf. Alles farblich aufeinander abgestimmt natürlich. Heute in Bordeaux.

Jourdain hatte sich meist der aktuellen Mode angepasst, doch der Marquis war irgendwo stecken geblieben.

„Ah, Marquis, mein … Freund. Buona Sera, come stai?“ Er neigte zur Begrüßung kurz den Kopf. „Ich hoffe doch, gut. Ihr müsst entschuldigen, mein Italienisch ist etwas eingerostet.“

„Ich bin sicher, es ist perfekt wie immer, amico mio.“ Der Marquis – eigentlich war er gebürtiger Franzose – sprach mit einem ziemlich übertriebenen italienischen Akzent, der Jourdain schon immer auf die Nerven gegangen war. Genauso wie der altmodische Knicks, den dieser Geck bis zur Perfektion beherrschte.

Wer sie beide so sah, der konnte fast glauben, dass es sich tatsächlich um beste Freunde handelte. Schaute man ihnen aber genauer zu, so wurde sehr schnell deutlich, dass es sich hier um alles andere als Freundschaft handelte. Auf den blasierten Zügen des Marquis lag ein verächtlicher Ausdruck, den er nicht ganz verbergen konnte.

Jourdains Gesicht dagegen glich einer Maske. Nur in seinen tiefschwarzen Augen konnte man erkennen, wie es in ihm brodelte. Ihre Animosität bestand schon seit einigen Jahrhunderten und wurde mit Hingabe gepflegt. Da der Marquis sich die meiste Zeit in der Welt der Menschen, vorzugsweise in Italien, aufhielt, war ihr Kontakt sehr begrenzt. Doch wenn sie aufeinandertrafen, dann flammte diese Feindschaft wieder auf. Dazu brauchte es keinen Anlass.

Monteray unterbrach das Geplänkel. „Meine Herren, es wird jeden Moment losgehen. Bitte setzt Euch. Marquis, ich denke, Ihr könnt dort hinten platznehmen.“ Er zeigte auf einen Stuhl ziemlich weit hinten, in großem Abstand zum Ersten Ratsherrn. Der Stellvertreter kannte sie beide sehr gut, wusste genau, was alles geschehen konnte. Diplomatisch versuchte er deshalb, sie voneinander fernzuhalten.

Doch der Marquis machte ihm einen Strich durch die Rechnung. „Oh no, no, grazie! Ich bleibe hier, neben meinem Freund.“ Damit zeigte er auf Monterays Stuhl.

Der schaute zu Jourdain, zuckte entschuldigend mit den Schultern und räumte das Feld. Er würde sich nicht mit dem Marquis anlegen. Der letzte, der das getan hatte, war eines Tages mit abgeschlagenem Kopf gefunden worden.

Jourdain drehte sich wieder zur Brüstung und ignorierte de Vitteaux. Vorerst. Seine Aufmerksamkeit galt dem jungen Elf auf dem Postament. Er war der eigentliche Grund, weswegen er sich überhaupt hierher bequemt hatte. Dieser kleine, wirklich entzückende Elf, wie hieß er noch gleich? Ceylin. Er stand da vorne im Regen und starrte Löcher in die Luft.

Zu gut konnte er sich noch daran erinnern, wie er ihn das erste Mal in seinem Schloss erblickt hatte, im Schlepptau von Yusra, dem alten Hüter des Orakels.

Es war sein äußerst ausgefallener Wohlgeruch gewesen, der ihn hatte aufmerksam werden lassen. Ein schwerer, süßer Duft, sehr exquisit.

Er atmete tief ein, so als könne er diesen Geruch auch jetzt wahrnehmen. Wäre der Regen nicht gewesen, hätte es durchaus sein können. Doch auch die Erinnerung daran reichte aus, einen heißen Stromstoß durch seine Lenden zu jagen.

Für einen Moment schloss er seine Augen und gab sich der Erregung hin. Er genoss das Gefühl der Begierde, wusste er doch, dass sie bald Erfüllung finden würde. Er würde es langsam angehen lassen, ihn keinesfalls mit Gewalt brechen …

Dafür hatte er sich schon längst eine Strategie zurechtgelegt. Erst würde er ihn umgarnen, ihn mit kleinen Geschenken ködern. Dann ihn betören, und wenn er sich in der Falle verfing …

„L’incredibile! Wer ist der Elf dort oben?“

Jourdain wurde unsanft aus seinen angenehmen Gedanken gerissen und musste einen rüden Fluch unterdrücken. Dem Marquis war der Elf also ebenfalls aufgefallen, genau das hatte er befürchtet.

„Das? Das ist der nächste Hüter des kristallenen Orakels. Heute ist seine Zeremonie der Erneuerung. Deswegen sind wir alle hier versammelt. Ich hätte eigentlich Besseres zu tun, aber Ihr wisst ja, Pflicht hat immer Vorrang.“ Er machte ein gelangweiltes Gesicht, tat so, als könne er ein Gähnen kaum unterdrücken, und winkte zur Ablenkung einen der Diener heran, die die Gäste mit verschiedensten Getränken versorgten.

Doch aus den Augenwinkeln sah er, dass der Marquis verschlagen lächelte, er hatte ihn, den Rivalen, anscheinend genauso intensiv beobachtet wie umgekehrt. Vom Tablett des Dieners nahm Jourdain zwei Gläser Blutwein und hielt dem Marquis eines entgegen.

„Salute!“

Jourdain hob sein Glas und trank langsam. Irgendwie musste er den Marquis von dem Elf abbringen. Er würde ihn auf keinen Fall diesem dahergelaufenen Italogecken überlassen. Außerdem hatte er ihn zuerst entdeckt. Nein, dieser Elf war zu besonders, um ihn einfach an irgendwen abzutreten.

„Oh, amico mio, der Elf muss ja etwas ganz Besonderes sein, wenn Ihr ihn so anschwärmt“, unterbrach der Marquis ein zweites Mal seine Gedanken. „Ihr schaut, als wolltet Ihr ihn sofort in Euer Bett zerren. Vielleicht sollte ich mir il piccolo doch noch einmal genauer ansehen, si?“ Der Marquis hob ein kleines Opernglas an die Augen und sah hindurch.

„Bellissimo! Perfetto!“ Er warf einen Handkuss in die Luft. „Ah, come un angioletto, so ein kleiner Engel! Ich kann verstehen, dass Ihr ihn begehrt!“ Dann setzte er mit einem gehässigen Grinsen zum Angriff an. „Ich wette um … fünfzigtausend, nein sechzigtausend Dollar, dass ich ihn heute noch in meinen Besitz bringen werde.“ Seine Augen glitzerten boshaft, als er fortfuhr. „Und noch einmal fünfzigtausend darauf, dass ich ihm seine Unschuld nehme. Was ist? Haltet Ihr dagegen? Vorausgesetzt, Ihr könnt Dollars aufbringen. Eine andere Währung nehme ich nicht“, stichelte er.

Jourdain glaubte, sich verhört zu haben. Wie war das? Dieser schmierige Operettenclown bot ihm eine Wette an? Auf etwas, das ihm gehören sollte?

Bei ihm brannte eine Sicherung durch. Er wirbelte blitzschnell herum und griff den Marquis fest an der Kehle. Mit einem einzigen Satz überwand er die kurze Strecke bis zur Wand hinter de Vitteaux und rammte ihn dagegen.

Von der Körpergröße waren sie sich in etwa ebenbürtig, doch der Marquis war anscheinend durch seinen dekadenten Lebenswandel verweichlicht und hatte dieser rohen Kraft nichts entgegenzusetzen. Jedenfalls machte er keine Anstalten, sich zu wehren.

„Ich werde Euch nur einmal warnen! Dieser Elf gehört mir, ich habe ihn zuerst entdeckt!“, grollte Jourdain. Er sah zum Fürchten aus. Die mächtigen Fangzähne waren ausgefahren und blitzten rasiermesserscharf nur wenige Zentimeter von der Kehle seines Gegners entfernt. Aus seinen schwarzen Augen sprühten hasserfüllte Funken, die Botschaft war unmissverständlich.

Den Marquis schien es überhaupt nicht zu stören, dass er in tödlicher Gefahr schwebte. Im Gegenteil. Mit einem wissenden Ausdruck im Gesicht hing er kalt lächelnd in der großen Faust.

Monteray hatte so etwas wohl schon kommen sehen und sie daher nicht aus den Augen gelassen. Blitzschnell schoss er dazwischen.

„Meine Herren, bitte nicht hier. Fürst Cyprin wird gleich in seiner Loge erscheinen.“ So behutsam wie möglich versuchte er, sie zu trennen. Jourdains Stellvertreter sah sich Hilfe suchend um, doch die anderen Ratsmitglieder hielten sich dezent im Hintergrund. Niemand würde sich in diese Auseinandersetzung einmischen.

Jourdain fauchte noch einmal böse. „Wenn Ihr dem Elf auch nur ein einziges Haar krümmt, dann werdet Ihr sterben! Und jetzt raus aus meiner Loge! Monteray, der Marquis möchte gehen, geleite ihn hinaus.“

Damit ließ er die Kehle seines Widersachers los und trat einen Schritt zurück. Was ihm sichtlich schwer fiel, denn die schwarzen Augen schienen Blitze zu schleudern, und jeder, der ihn kannte, hätte schnellstens die Flucht ergriffen. Doch nicht so de Vitteaux.

Der Marquis richtete geradezu umständlich seine Kleidung. Zupfte seinen Spitzenkragen und die Manschetten zurecht, strich sich die Haare aus dem Gesicht, wandte sich ab und nahm den Zylinder entgegen, der ihm von Monteray gereicht wurde. Dann sah er Jourdain an, zeigte offen den brennenden Hass, den er für ihn empfand. Als er sprach, war nicht eine Spur seines affektierten italienischen Akzents mehr zu hören und das geckenhafte Verhalten war von ihm abgefallen wie ein schmückender Umhang. Er richtete den silbernen Knauf seines Spazierstocks auf Jourdain.

„Das wirst du büßen. Du willst den Elf? Prego! Doch sei dir gewiss, ich werde bekommen, was ich will.“ Mit dem Knauf berührte er die Brust Jourdains. „Sei auf der Hut, amico mio! Sei auf der Hut!“ Mit dieser eiskalten Drohung verließ er die Loge.

Jourdain blieb mit einer äußerst unguten Vorahnung zurück. Er wusste, es ging de Vitteaux nicht um den Elf, sondern um ihn, der Elf war nur Mittel zum Zweck. Und er kannte diesen Marquis schon zu lange und zu genau, um diese Drohung nicht ernst zu nehmen. Das Gefühl, in eine sehr geschickt aufgestellte Falle getappt zu sein, verstärkte sich.

 

*

 

Ceylin, der oben auf dem Podest stand, sah, wie die magischen Flammen hoch zum schwarzen Himmel schlugen und den schlichten, einem Grabmal ähnlichen Bau einhüllten. Der sachte Regen, der schon den ganzen Abend fiel, hatte keinerlei Auswirkungen auf das Feuer.

Den Blick in weite Fernen gerichtet, bemerkte er die Tropfen, die immer wieder aus dem kurz geschnittenen blonden Haar über sein Gesicht herabrannen, kaum. Der Wind hatte ihm die Kapuze schon so oft vom Kopf geweht, dass er es aufgegeben hatte, sie sich immer wieder aufzusetzen.

Was soll’s. Dann wurde er eben nass. Wieder verfing sich ein Windstoß in dem bodenlangen, dunkelbraunen Gewand und zerrte es hin und her.

In Gedanken war er gerade weit, ganz weit, bis in seine Kindheit zurück gewandert. Dachte an den Tag, an dem seine Eltern ihn in die Obhut des Großvaters gegeben hatten. Er war noch ein Winzling gewesen, kaum neun Monate alt, und nur aus Erzählungen des Alten wusste er davon. Das kristallene Orakel hatte damals ihn zum Nachfolger Yusras bestimmt. Ihn, den Jüngsten, den Nachzügler und nicht Iannis, den mittleren Bruder, den die Eltern gerne an seiner Stelle gesehen hätten.

Er versuchte, sich die Gesichter der Eltern und seiner vier Geschwister vorzustellen, aber es gelang ihm nicht.

Wie auch, dachte er verbittert. Als Yusra seine Erziehung und Ausbildung übernommen hatte, war er noch zu klein gewesen, um sich zu erinnern, nie hatte er die Familie wiedergesehen. Wusste nicht einmal, wo in dem großen Reich sie lebten und ob es ihnen gut ging. Sie könnten dort drüben irgendwo auf der Empore sitzen, er hätte sie nicht einmal erkannt.

Wer weiß, vielleicht saßen sie ja tatsächlich dort, sahen zu ihm hinunter. Und waren vielleicht ein wenig stolz auf ihn, Ceylin, den jüngsten Hüter des Orakels. Sehnsüchtig schaute er hinüber, versuchte in der Menge ein Antlitz zu entdecken, das ihm ähnlich war.

Vergeblich. Es war einfach zu dunkel, die Gesichter verschwammen zu hellen Flecken. Unmöglich, einzelne zu unterscheiden.

Langsam trat er einen Schritt vor, bis die Hitze des Feuers durch sein Gewand drang. Unwillkürlich kam er noch näher heran, so dicht, wie es gerade noch möglich war. Er wünschte sich, die Flammen würden ihn berühren. Das heiße Brennen auf seiner Haut sollte den dumpfen Schmerz in seinem Herzen überdecken, ihn endlich auslöschen.

Als er die Hände danach ausstreckte, wichen die Flammen fast unmerklich vor ihm zurück. Dem Hüter der Steine würde das Feuer der Erneuerung niemals schaden. Langsam ließ er die Hände wieder sinken.

Kairune, die als Hofmagierin so etwas wie seine Helferin war, trat zu ihm. „Ceylin, es tut mir leid. Das Orakel sagt, wir müssen warten, bis das Sternbild des Phönix in einer Linie mit den übrigen Planeten steht. Dann erst wirst du die Kammer betreten können.“ Mit diesen Worten zog sie sich wieder zurück.

Ceylin zuckte nur mit den Schultern. Dann würde er eben weiter warten. Sein Blick wanderte erneut über die Logen. Dort drüben, bei den Vampiren, hatte es gerade einen kleinen Vorfall gegeben. Er hatte gesehen, wie ein Vampir einen anderen quer durch die Loge gegen die Wand gerammt hatte. Und ebenso schnell wie der Streit aufgeflammt war, war er auch schon wieder beendet. Ceylin beobachtete noch, wie der Unterlegene, ein komischer Kauz in merkwürdigen Klamotten, die Loge verließ.

Der andere stand jetzt vorne an der Brüstung und starrte zu ihm herüber. Groß, dunkel, Angst einflößend. Ceylin wusste, wer das war. Jourdain, Erster Ratsherr der Vampire. Ihm fielen auf der Stelle noch andere Worte ein, um diesen Vampir zu beschreiben. Geheimnisvoll. Rätselhaft. Böse? Bedrohlich?

Als der Vampir bemerkte, dass Ceylin ihn ansah, verbeugte er sich leicht und selbst aus dieser Entfernung war sein spöttisches Lächeln zu erkennen. Doch dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck, der Ausdruck verblasste. Übrig blieb ein brennender Blick aus tiefschwarzen Augen, der sich förmlich in ihn hineinbohrte.

Er erschauerte. Die Intensität dieses Blickes nahm ihm den Atem, ließ ihn unwillkürlich an ein Raubtier denken. Lauernd, zum tödlichen Sprung bereit.

War er das Kaninchen, im Visier des schwarzen Panthers?

 

*

 

Silberauge, so sehen wir uns also wieder! Ich hatte es dir doch versprochen. Jourdain konnte dem Drang nicht widerstehen, Kontakt mit der schmalen, durchgeweichten Gestalt aufzunehmen.

Der Elf zuckte zwar kurz zusammen, antwortete aber nicht, schaute sogar demonstrativ auf den Boden. Hoffte er darauf, dass er ihn in Ruhe ließ, wenn er keine Antwort gab? Nun, Silberauge, immer noch so schüchtern? Nein, bekam er zur Antwort. Kein Interesse. Mehr nicht. Kein Interesse. Kurz und bündig.

Jourdains Augenbrauen rutschten bis an den Haaransatz hinauf, so überrascht war er. Damit hatte er nicht gerechnet. Er hatte Ängstlichkeit erwartet, Panik oder Vorsicht. Keinesfalls jedoch eine so deutliche Absage.

Kein Interesse? Woran?

An einer Unterhaltung mit Euch. Ich habe gerade ganz andere Sorgen. Und jetzt raus aus meinem Kopf!, blaffte der Elf, dann murmelte er vermutlich die Worte, mit denen mentale Mauern errichtet werden konnten und sperrte ihn somit aus.

Jourdain lehnte sich perplex in seinem Sessel zurück. So etwas war ihm schon lange nicht mehr passiert. Wieso hatte der Elf keine Angst?

Das war wohl eher mangelnder Respekt, berichtigte er sich. Er dachte an ihre erste Begegnung zurück, da war der Kleine fast in Ohnmacht gefallen, als er in seine Gedanken eingedrungen war. War so entzückend errötet in seiner Unschuld.

Und jetzt diese Widerborstigkeit? Wie unhöflich! Die dunklen Augen begannen zu funkeln. Wie … reizend!

 

*

 

Ceylin rang für einen Moment entsetzt nach Luft. Was hatte er getan? War er völlig verrückt geworden? Das war ein Vampir, den blaffte man nicht einfach so an. Am liebsten hätte er sich auf den Boden sinken lassen, denn seine Knie waren plötzlich weich wie Butter.

Jourdain war der oberste Vertreter der Vampire. Und er? Er maulte ihn an! Durch so ein Verhalten waren schon Kriege entstanden! Das fehlte ihm gerade noch. Eine diplomatische Verwicklung, die er ausgelöst hatte. Ceylin stöhnte kurz auf und wünschte, die Erde unter seinen Füßen würde sich auftun.

Eilige Schritte, die näher kamen, ließen ihn aufsehen. Kairune, die Hofmagierin kam auf ihn zu. Sie sah optimistisch aus, und schnell verdrängte er die Gedanken an Repressalien und Sanktionen.

Dem Dämon sei Dank, gerettet!, dachte er. Standen die Sternbilder endlich so, wie es sein sollte? Er hoffte es.

„Ceylin, das Orakel hat seinen Segen gegeben, wir sind so weit“, bestätigte sie seinen Wunsch.

Er fühlte einen kalten Schauer über seinen Rücken laufen. Wieder einmal wurde er sich der enormen Verantwortung bewusst, die gleich auf ihm lasten würde. Nach der Zeremonie war er nicht mehr nur ein einfacher Elf. Wenn er die Magie von seinem Großvater übernahm, wäre er für die Kristalle verantwortlich. Er würde ihre Lieder und Weissagungen deuten müssen und somit die Geschicke der Elfen ein erhebliches Stück mitbestimmen. Dieser Gedanke ließ ihn bereits jetzt kaum mehr richtig schlafen. Zu groß war die Angst, zu versagen. Was, wenn er ihre Lieder einmal falsch deutete? Wie sollte er dieser Verantwortung gerecht werden, wenn er noch gar nicht bereit dazu war? Es war doch noch viel zu früh. Er seufzte leise.

„Keine Bange, du wirst es schaffen.“ Kairune führte einige komplizierte Handzauber aus und murmelte die magischen Worte: „Aetatis recuro.“

Als hätten die Flammen nur darauf gewartet, schoben sie sich ein wenig zur Seite und auf der Plattform wurde ein schmaler Pfad sichtbar. Die Flammen zerrten kurz am Saum seines kostbaren Gewandes, als Ceylin ihn betrat.