Für Brigitte, love, life, wife.

und demnach erfunden

Die Schauplätze sind nicht fiktiv,

erfunden sind sie dennoch.

That’s when you wake.

 

Dermot Healy

Willem de Wit erwachte und wollte sofort auf- stehen, blieb aber liegen, weil er das Gewicht des Versprechens spürte, das er und seine Frau Eilis sich gegeben hatten. Er hatte tief und fest geschlafen und nicht geträumt. Wie hatten es die Menschen zu Zeiten marodierender Stämme fertiggebracht, die Augen zu schließen und einzuschlafen, trotz der Gefahr, unter einem neuen Herrscher aufzuwachen? Sein linker Arm fühlte sich taub an, und ihm war unwohl. Es regnete in Strömen, das Morgenlicht war, wie oft am Ende des Sommers, unwirklich weich. Als jüngerer Mann hatte er jede Minute ausgekostet, die er im Bett bleiben durfte, doch seit einiger Zeit kribbelte es in seinen Armen und Beinen, sobald er wach war; er würde nicht lange liegen bleiben können. Er hörte Eilis rufen, leise, aber fordernd. Er hatte ihre Stimme von Anfang an geliebt, es war die Stimme einer Frau, die genau wusste, sie besitzt die Macht, Menschen zu fesseln, die Magie, Männer zu verzaubern. Seit sie krank war, fürchtete er sich gelegentlich vor ihrer Stimme, vor der Trauer, die darin lag, der Angst.

Das Geräusch des Brenners der Ölheizung unter seinem Schlafzimmer beruhigte Willem. Es erinnerte ihn an die Motoren des Schiffes der Hurtigrute, mit dem sie im Sommer vor drei Jahren die norwegische Küste Richtung Norden gefahren waren. Er hatte Morgen für Morgen wach im Bett gelegen, dem leisen Schüttern zugehört und beobachtet, wie Lichtreflexe über die Wände ihrer Außenkabine sprangen, seine schlafende Frau neben sich. Die Stürme, in die sie in Norwegen gerieten, machten ihm, im Gegensatz zu Eilis, nichts aus; trotz des Verbotes war er auf das obere Außendeck getreten, um die kochende See zu bestaunen, die das Postschiff in die Höhe trug und, Sekunden später, in die Tiefe fallen ließ, als wollte sie es verschlingen. Wann immer das Schiff in einen Hafen einlief, vorbei an Wiesenschultern, Felswänden und farbig bemalten Holzhäusern, langsam wie im Schlaf, waren die Motoren nur mehr schwach zu hören gewesen. Dafür hatte sein stählerner Leib geschaudert wie das Pferd seiner Großeltern in Friesland. Die Stute hatte sich gegen Willem gesträubt, bis ihn sein Vater Arnoud eines Tages begleitete; er hatte einen Sattel aus dem Stall geholt und auf den Rücken der Stute geworfen,

Vom Pferdestall der Großeltern, in dessen Dachbalken er die Initialen L+W ritzte, hatte er weit über das Wattenmeer gesehen, bei klarem Wetter bis zu den Inseln Texel, Vlieland und Terschelling. Weshalb Lieke Bosman später ausgerechnet Henk Jongeneelen heiratete, der mit Hühnerhals und steinerner Kinnlade hinter dem Bankschalter in Harlingen stand, hatte er nie verstanden, auch wenn es ihn von seiner Schuld erlöste, dass er Lieke geschwängert, aber nicht geheiratet, sondern sitzengelassen hatte.

 

Die Katzentür ihrer Nachbarn Peadar und Nora girrte, und ihm fiel die Katze ein, die er vor vielen Jahren überfahren hatte. Er hatte den nussbraunen Vauxhall, in dem es Eilis und den Kindern verlässlich nach wenigen Meilen schlecht wurde, nach dem Mittagessen aus der Zufahrt auf die Straße zurück

 

Es war kühl, und er nahm sich vor, ihre Winterdecken bald aus dem Schrank zu holen. In Eilis’ Schlafzimmer hatte er den Radiator auf die zweithöchste Stufe gedreht; sie fror mittlerweile sogar auf dem Sonnensessel im Wohnzimmer, und bekam auch keine warmen Hände und Füße, wenn er sie nah vor den Kamin setzte. War es schon wieder Zeit, den Öltank nachfüllen zu lassen? Wann hatte er aufgehört, sich über den Preis des Heizöls zu informieren, bevor er es bestellte? Eilis rief noch immer, ihre Stimme war die eines Kindes, das nicht bekommt, was es will; ein Tonfall, den sie bei ihren Kindern nicht toleriert hatte. Willem blieb trotzig liegen und gab sich Mühe, ruhig zu atmen.

Er machte den Radiowecker aus, bevor der Alarm losging, schwang die Beine aus dem Bett, gähnte, schlüpfte in seine Hausschuhe und trat ans Fenster. Eilis hatte aufgehört zu quengeln, er hörte sie schniefen. Weinte sie? Heute war, beschloss er, Mittwoch. Spätestens nach dem Mittagessen würde er erfahren, ob seine Annahme richtig war: Mittwochnachmittags kam Harry, der Händler aus Nordirland, der mit seinem Lieferwagen Gemüse brachte, Kartoffeln und gelegentlich frischen Fisch verkaufte und Klatsch und Tratsch von Dorf zu Dorf trug.

Am Himmel, von Regenschleiern schattiert, trieb eine Wolke, gebläht wie ein Segel. Ich bin dreiundachtzig Jahre alt, und ich habe Angst vor dem Tod, dachte Willem bestürzt. »You don’t fry if you don’t buy!« Dieser Satz, den der Händler in weichem Singsang wiederholte, wenn er fangfrischen Fisch im Sortiment führte, brachte Willem immer wieder dazu, Forellen oder Makrelen zu kaufen, obwohl er sie noch immer nicht fachgerecht ausnehmen konnte. Wie geschickt Eilis früher mit dem Fischmesser umgegangen war, wie schnell und sauber sie eine Forelle

Der Fels aus blauem Mergel fiel ihm ein, ein steinerner Walrücken, der den Strand in eine helle und in eine dunkle Hälfte teilte. Die dunkle Hälfte, aus der bei ungünstigem Wind Modergeruch herüberwehte, betrat er ungern. Als junger Mann hatte er sich gar nicht auf jene Seite gewagt; das Licht schien fahler dort, der Sand gröber, das Wasser kälter. Schwemmholz und Tangstränge lagen zwischen vermoosten Felsblöcken, Schwemmholz, das an Knochen, Tangstränge, die an Schlangen erinnerten. Der steinerne Walrücken war eine Grenze gewesen, die er nicht überschritt.

 

Die Frage, wozu Pyjamas Brusttaschen haben, hatte er sich nie zuvor gestellt. Was zum Teufel musste man bei sich tragen, wenn man sich schlafen legte? Seinen Pass? Eine Scheibe Toast als Wegzehrung für die Reise durch die Nacht? Baldriantropfen? Er nahm die Schachtel John Players aus der zweitobersten Schublade der Kommode: Sie passte genau in die Brusttasche. Früher hatte er die Zigaretten mit einer Rolle Pfefferminzpastillen in einer Dose im Gartenschuppen versteckt. Selbstverständlich hatte

Er öffnete das Fenster und zündete sich eine Zigarette an; die Angewohnheit, das Plastikfeuerzeug in die Packung zu schieben, sobald Platz dafür da war, hatte er Meghan vor vielen Jahren abgeschaut. Er wollte nicht an seine Tochter denken und sah sie trotzdem vor sich: lachend, auf der Schaukel, die er für sie in den Apfelbaum gehängt hatte. Er atmete tief ein und blies den Rauch mit geschlossenen Augen ins Freie. Auf dem Fenstersims lag eine Handvoll toter Fliegen; eine zerdrückte er zwischen Daumen und Zeigefinger, ließ sie auf den Boden fallen und schob sie unter den Radiator.

Er hatte immer wieder versucht, mit dem Rauchen aufzuhören, hatte Nikotinpflaster und Nikotinkaugummis gekauft, war sogar heimlich bei einem Hypnotiseur in Donegal Town gewesen, einem Mann mit nikotingelben Fingern, schlechten Zähnen und Mundgeruch. Spätestens als er die vielen Kippen unter dem Fenster des Wartezimmers entdeckt hatte, war ihm klar geworden, dass er sein Geld für nichts ausgegeben hatte.

Saß die Tasche bei allen Pyjamas auf der linken Brust? Er nahm sich vor, das in den nächsten Tagen

 

Über dem Meer war der Himmel eine Spur dunkler, eben lief die Fähre nach Magilligan Point aus, ihr

 

Als er das letzte Mal mit Arnold telefoniert hatte, war dessen Stimme so nah gewesen, als lebte ihr Sohn nicht in Boston, Massachusetts, sondern in Greencastle, nicht weit von seinem Elternhaus entfernt. Arnold und sein Partner Callan steckten in finanziellen Schwierigkeiten, so viel hatte er erzählt, da bei der Renovierung des Cottages, das sie an der Küste Maines gekauft hatten, Probleme aufgetaucht waren. Arnold hatte nicht versucht, seine Sorgen zu überspielen, aber er hatte auch nicht um Hilfe ge