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Phil Humor

SIEG

Storys, Interviews, Essays, Gedichte





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Inhalt

 

SIEG – Storys, Interviews, Essays, Gedichte

 

Storys, Interviews:

Ein neuer Freund * Interview mit William Turner * Erlkönig im Interview * Theodor Fontanes Zweifel * Brief ans Unterbewusstsein * Unterbewusstsein an Ratio * Interview mit einem Gummibären * Wahrheit oder Pflicht * Himmlische Reise in die Hölle * Interview mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft * Zungenbrecher * Strand-Urlaub mit Hund * Interview mit dem Tod * Interview mit den Comic-Stars * Baum-Gespräche * Girl meets Boy * Arthur Schopenhauer in der Zwischenwelt * Clown am Straßenrand * Cupidos Pfeile * eBay Talk * Codes im Supermarkt * Smartwatch * Streit am Gartenzaun * Goldmarie, Pechmarie und der Prinz * Unterredung mit einem Ghul * Wider das Gutmenschentum * Reportage aus dem Pferdestall * Kobold-City * Miss Baumarkt * Pegasus-Einhorn * Blaues Wunder N° 3 * Berater für die gute Fee * In der Superhelden-Akademie * Reportage aus dem Märchenland * Reportage aus dem Schlaraffenland * Man wächst mit seinen Aufgaben * Christoph Kolumbus und der Engel * Claude Monet resümiert * Dschinneva * Wer Wind einlädt, wird Sturm ernten * Gelegenheiten * Bärenstarker Aberglaube * Taxidrohne

 

Essays:

Beruf und Berufung * Eis * Haustier * Heiterkeit * Meer * Musik in meinen Ohren * Gedanken zur Musik * Ich liebe Shakespeare * Stille * Stille und Binärcode * Verbunden mit dem Internet * Verspielte Namen * Wunderpillen im Angebot * Erziehung * Glaube * Heimat-Gedanken * Lebensplanung * Carpe diem

 

Gedichte:

Arrangiert * Ungeheuer & Co. * Baumhaus * Zeit-Geschenke * Pizza * Total verliebt * Am Bach * Interview mit dem Q * Freunde * Sandburg * Farbverläufe * Das Heilige * Gespräch mit dem Z * Die Karte * Trouble mit dem Zeitgeist * Zauberer * Sonett * Jakobsbrunnen * Heimweh und Fernweh im Talk * Stress als Hobby * Urlaub auf dem Lande * Mein Psycho * Zorniger Engel * Impressionist sein * Total versifft * Bild-Paradiese * Interview mit der Sonne * Urlaub aus der Dose * Pudel als Postillon d'Amour * Übers Wasser gehen * Dumm gelaufen * Mondhelle Nacht * Passionierter Passivist * Halbnackte Wahrheit * Gespräch mit Sir Mond * Sehnsucht * Brückenbauer * Riff-Piraten * Kranke Pläne * Trance und Rausch * Blut * Meeresküste * Tierisch * Zweifel * Dschinn Emergenz * Risiken * Virtuelle Pfeile * Laute Straßen, stille Wege * Muttertag

 

Kleinere Gedichte * Drabbles * Tiny Tales - Bierdeckelgeschichten * Chuck Norris - Witze * Aphorismen

 

Ein neuer Freund



Wir machen Improvisations-Theater – auf der Straße, in den Cafés; nicht immer gern gesehen, manchmal scheucht man uns weg, als seien wir Ungeziefer. Wir gehen auf die Leute zu; manches filmen wir, stellen es bei YouTube rein; versuchen, die Leute miteinzubeziehen; Sketche, Blödeleien, Gags; aber nichts war so erfolgreich wie Rex. Er kann eigentlich nichts; sitzt nur so da. Gott, ist der niedlich; ein Hund – schönes weißes Fell, mit sanftem Blick, begutachtet das Treiben um sich, scheint alles zu kommentieren mit nachsichtiger Weisheit. Ich liebe diesen Hund. Keine Ahnung, wem der gehört; er ist uns zugelaufen bzw. nachgelaufen; er scheint der einzige echte Fan unserer Performance zu sein. Seitdem boomt der Laden; die Leute bleiben stehen; er ist ein Magnet; sie nehmen auch in Kauf, dass wir unsere Show abziehen; wir werden wohlwollender betrachtet; man hält uns nicht von vornherein für Halunken; Gaukler-Gesindel. Wir haben ein Ass im Ärmel. Marie wollte dem Hund was beibringen, ihn optimieren, aber ich hege die Befürchtung, je mehr er von unserem Wesen annimmt, umso unsympathischer wird er. Färbt das ab? Ich meine, ich habe nicht diese Niedlichkeit; ich habe nicht das Talent, die Herzen der Menschen im Sturm zu erobern. Wird man damit geboren, eine angeborene Fähigkeit?



Wir wollten uns an der Commedia dell'Arte orientieren; aber die Zeit scheint vorausgeeilt; man bleibt nicht stehen für Stegreifkomödie. Rex scheint intuitiv zu begreifen, welches Stück wir gerade spielen. Das wissen nicht mal wir. Er könnte uns soufflieren. Er verfolgt das alles sehr aufmerksam. Vielleicht ist er ein ehemaliger Impresario, der als Hund wiedergeboren wurde? Aufgrund welcher Verdienste? Was müsste ich leisten, damit mir das vergönnt würde? Ich bin zu sehr Raubein. Er ist die nötige Ergänzung in unserem Team, wie eine Zutat in einem Zaubertrank, die immer schon gefehlt hat. Plötzlich ist der Zauber da. Wir spielen göttlich; wir sind witzig; wir überschlagen uns vor Ideen; wir sind die, die wir immer sein wollten; und das Publikum merkt das; es ist, als schwebe sein Geist über uns.



Wir wollten nie was auswendig lernen; wir wollten weg von dem Konzept der Wiederkäuer. Wir wollten keine abgedroschenen Phrasen; Bohemiens – nur nicht mit dem Zwang, locker sein zu müssen; auch mal nicht-chill-wütig sein; völlig verspannt, zornig auf die Welt – und es entsprechend artikulieren, es hinausschreien – was zuweilen einige Passanten verschreckt. Okay, Drogen können eine klitzekleine Rolle dabei spielen, aber das Leben selber soll Rausch sein; es soll keinesfalls anöden.



Wir hätten dem Hund das Fell lila sprühen müssen oder pink – er war so ordentlich; stets gepflegt; selbstreinigend; irgendwie hat die Natur das bei uns versäumt. Im Grunde ein autarkes Wesen. Woher diese Anhänglichkeit? Er schien sich bei uns wohlzufühlen. Ich hege ja noch immer den Verdacht, dass da eine Künstlerseele in ihm schlummert. Tiefstes Kunstverständnis. Das reicht wohl weiter als meine bisherigen Möglichkeiten – ich seh da etwas ihm, was mir zuzurufen scheint: "Du nutzt Dein Potenzial nicht – streng Dich mehr an; grabe tiefer. " Aber das ist ja kein Knochen, der verbuddelt ist. Die Hoffnung, dass man auf Talent stößt, wenn man das Lot nutzt – Seele ausloten – vermutlich knöcheltief. Aber er glaubt an mich. Er verfolgt meinen Auftritt mit Interesse; wahrscheinlich interpretiere ich da viel hinein. Aber auch Marie meinte, dass ihr der Hund sehr viel gäbe. "Es gibt doch Verstärkungs-Zauber. Wenn Du mit jemandem zusammen bist, der Dir Energie abzieht – oder aber, wenn Du über mehr Energie verfügst." "Reden wir hier von Seelen-Vampiren? Und was wäre das Gegenteil?" Marie entgegnete: "Na, so etwas wie der Hund: Wenn Du Dich in seiner Schwingungsebene aufhältst, dann verändert Dich das – ein Schubs in Richtung Göttlichkeit." "Sag mal, tickst Du noch richtig? Wir vergöttlichen Tiere; haben sie in Ägypten auch so gemacht; der Zug ist abgefahren." Aber so unrecht hatte sie nicht. Wenn wir konfrontiert werden mit der Verkörperung einer Idee, dann fühlen wir uns in eine andere Ebene versetzt: Es durchdringt das Diesseits, wir greifen hinein in die Welt der Ideen, holen von dorther Unglaubliches. So muss Ali Baba zumute gewesen sein, als er die Höhle betrat – und ein einfaches "Sesam öffne Dich" macht es möglich.



Worum bemühten wir uns denn beim Straßentheater? Was war der Grundgedanke der Spontanität? Den Moment zu würdigen, ihm einen Altar zu bauen; ihm eventuell seine Zeit zu opfern.



"Den Hund gebe ich nicht wieder her", hatte Marie mehr als einmal gesagt und so wie sie es sagte, beschlich mich das ungute Gefühl, dass sie eher auf mich als auf den Hund verzichten würde, wenn es hart auf hart käme. Wen würde sie im Notfall retten? Ich fühlte mich zweitrangig, zweitklassig; Zweitbesetzung. Na toll, jetzt beschlich mich Eifersucht, mischte sich in all diese tollen Gefühle wie in einem Aquarellkasten, wo durch das Hinzukommen von Schwarz alles gräulich wird. Wie unerfreulich. Mich davon befreien, mich lossagen von Neid, Missgunst ... Gar nicht so einfach. Ich brachte das bei unserem nächsten Meeting zur Sprache – das heißt, ich wollte das, aber Marie war Gassi gehen mit Rex. Sie verbrachte verdammt viel Zeit mit diesem Köter. Wahrscheinlich war das seine Masche – grundehrlich, grundanständig erscheinen, um ja keinen Grund zu liefern, ihm zu misstrauen. Ich war dahintergekommen. Ich würde seine umwerfende Art ohnehin nie erreichen; ich gewann keine Herzen im Sturm; ich musste mir alles erarbeiten. Nicht mit mir, mein Freund!



Er war erschrocken, dass ich ihn kühl behandelte; hatte er etwas verkehrt gemacht? Er sah sich schuldbewusst um. Stand alles noch am rechten Platz? Bestürzung war in seinen Augen zu lesen. "Du verbringst zu viel Zeit mit Marie", sagte ich. Er nickte bedächtig. Also daran lag es. Ich hatte mir angewöhnt, ihn immer direkt anzusprechen – in ganzen Sätzen, auch mit Fremdwörtern, keine Schonung. Bisher konnte er mir immer folgen. Ich konnte mit ihm doch nicht zu einem Therapeuten gehen – dass der zwischen uns vermittelt? Oder doch? Wie verrückt wäre das? Ich fragte Rex – und er beantwortete das auf seine Art: Er ging – wortlos. Sah sich nicht noch einmal um. Ich habe ihn seitdem nie wiedergesehen.



ENDE



Interview mit William Turner



Moderator: "William Turner, als Maler hast Du der Welt viel gegeben; um genau zu sein: 20.000 Werke. Hast Du es je bereut? War Malerei irgendwann ein Fluch, ein Laster?"



William Turner: "Hab ich nie so gesehen. Ich freue mich, dass ich in der Engels-Late-Night-Show dabei sein darf; man macht sich vorher ja furchtbar viel Gedanken; wie ist es so im Himmel, wird es mir da gefallen, wäre ich nicht doch lieber in der Hölle? ..."



Moderator: "Hier im Himmel ist viel von Glück die Rede; gab es besondere Glückstage für Dich?"



William Turner: "Immer wenn ich allein sein konnte mit einem Bild, das Grundierte wartete auf seine Bestimmung, das waren Glücksmomente – die möchte ich nicht missen. Man müsste es schaffen, dass das ganze Leben einem Glückstag gleicht. Aber wo nähme ich dann das Düstere her, die Melancholie? Es hält sich die Waage in meinen Bildern, mal bedrängt das Unheil den Frieden, dann ist es die Langeweile selber, die für Aufruhr sorgt; sie birst hervor und gebiert das Böse, den Unfrieden – aus lauter Lust am Abenteuer und am Anderssein."



Moderator: "Das sind gewagte Worte hier im Himmel."



Moderator sieht sich um.



Moderator: "Wir haben auch Gäste aus der Hölle bei uns; die machen das gerne publik, wenn hier Unzufriedenheit zu spüren ist. Ich will keinen Druck ausüben, aber ein Lächeln so ab und zu wäre durchaus angebracht."



William Turner: "Mag nicht. Ich lasse gerne meine Bilder für mich sprechen. Ich seh, Ihr habt sie alle ausgestellt. Ich hatte damals auch eine Galerie – war ein Novum – dass ein Maler so eitel ist, sich mit seinen Bildern zu umgeben; aber sie gaben mir ein gutes Gefühl; ich betrachtete sie immer als meine Freunde; schön, sie wiederzusehen."



Er geht an den Bildern entlang.



William Turner: "Das Seeungeheuer-Bild habe ich nie beendet. Vielleicht ergibt sich ja die Gelegenheit? Vermutlich könnte man das in der Hölle besser hinkriegen; ich bin da nicht so der Experte; ich habe immer versucht, das Gute durchschimmern zu lassen; mag sein, es ist die Sonne, die verstellt wird von allerlei. Wie sieht es die Sonne, wie ist ihre Sicht der Dinge? Das klare, helle Licht. In meinen Bildern ergießt es sich in aller Buntheit – ich gestatte es, ich dränge sie geradezu dazu; soll sie sich ergießen – ihre Strahlen spenden Leben; könnte man das von seinem Wirken auch behaupten; nun gut, ich habe Tausende von Bildern in die Welt gesetzt – aber haben sie das Licht verstärkt? Ich werde melodramatisch; was ist in meinem Cocktail?"



Moderator: "Nektar und Ambrosia. Die alten Legenden sind wahr. Das hier im Himmel soll eine immerwährende Cocktailparty sein – das war das Konzept. Frohsinn, ein paar Interviews ..."



William Turner: "Ich würde ja gerne gute Laune verbreiten, aber mir fehlt irgendwie der Anlass. Aquarelle haben so etwas Vorläufiges; so ist mit zumute: Als ob ich darauf warten würde, dass etwas passieren würde, dass ich umgearbeitet werde in ein exzellenteres Gemälde; komme mir oft wie eine Skizze vor. Das Leben an sich hat so etwas Skizzenhaftes; auch wenn ich hier mein Gesamtwerk im Blick habe; ich war immer zu sehr Ästhet? Habe das Schöne sehen wollen, es sollte zur Geltung kommen – trotz aller Widrigkeiten, allem Unschönen bricht es sich Bahn, kraftvoll, unaufhaltsam; habe ich das irgendwie vermitteln können?"



Er schreitet an seinen Bildern entlang.



William Turner: "So ein Rückblick tut gut. Sammeln. Vielleicht hätte ich mehr das Unschöne betonen sollen, Nachdruck auf das, was mir missfällt? Aber man will ja gefallen, will sich mit der Welt gutstellen, sie nicht allzu sehr kritisieren; in Maßen. Ja, die Natur weiß, zu gefallen. Es fiel mir nie schwer, sie zu bauchpinseln – wenn mir dies Wortspiel gestattet ist. Oder ist man ein Einfaltspinsel, weil man auf sie hereinfällt? Bleibt man ein oberflächlicher Typ? Als Maler bevorzugt man das Sichtbare, die Hülle; die Natur hat es leicht, einen zu hintergehen. Vielleicht habe ich sie verraten – weil ich mich ins Abstrakte Land begeben habe? Auflösung des Gegebenen, es ignorieren, es ersetzen durch Gedankenbilder … Wie sie die Farben mengt und rührt: Die Imagination – von mir gestärkt. Sie hat mich beeindruckt. Dass da ein Gegenspieler ist zur Realität, der es womöglich mit ihr aufnehmen kann. Imagination."



Moderator: "Warum Landschaften? Alles andere nur Staffage?"



William Turner: "Ich habe die Weite gesucht, Antworten, die ich bei den Menschen nicht fand. Hat das Meer sie zu bieten? Es ist bewegt, ich tue so in meinen Bildern, als ob ich es eingefroren hätte, als ob ich einen Moment eingefangen hätte, als ob es mir gelungen sei, aber es gelingt nur mittels der Imagination. Sie hält die Zeit an, sie kann zurückspulen, vorwärtsspulen, schneller Durchlauf – alles kein Problem. Nicht so die Natur. Sie muss sich an das vorgegebene Maß und Tempo halten. Der Künstler ist freier, er wandert quasi wie Jesus über das Wasser, es ist ihm ein Leichtes. Er ist in seiner Imaginations-Welt, und er will die anderen daran teilhaben lassen, die Schwerelosigkeit, die Mühelosigkeit – Glück, das so greifbar ist wie ein Apfel; ich weiß, wir stehen hier im Paradies-Garten – und ich sollte mir diese Anspielungen verbieten; aber war es nicht ein Glückstag, ein Glücksgriff: Der verbotene Apfel – ihn dennoch zu nehmen, sich übers Gebot hinwegzusetzen? Der Mensch würde zur Staffage verkommen, würde er die Gebote beachten. Er muss sich darüber hinwegsetzen. Ich weiß, das klingt jetzt sonderbar, aber auch in der Kunst musste ich Grenzen überschreiten, um mir selbst treu bleiben zu können, meinem Anspruch. Man bleibt sonst hinter seinen Ansprüchen zurück. Ich habe das Portal zum Abstrakten aufgestoßen: Wurde mir im Nachhinein klar; mich immer weiter entfernt von den Vorgaben der Natur. Die Imagination drängt ins Bild. – Sag mal, die Cocktails hauen ganz schön rein."



Moderator: "Fördert ein wenig die Gesprächigkeit. Du hast Recht: Kunst, die die gezogenen Grenzen achtet, die ist vermutlich zu brav. Sie will mehr sein als ein Abbild, sie ist grenzenlos."



William Turner: "Vielleicht ist das eine Definition von Glück: Wenn das Grenzenlose auf das Reale trifft – dem nachspüren, es malen. Kann sein, dass bei meiner Bevorzugung des Ästhetischen das Moralische auf der Strecke bleibt – Du siehst ja, ich lobe den Raub des Apfels; ich wäre ein schlechter Künstler, wenn ich mich nicht mit allen Mitteln um Erkenntnis bemühen würde. Ein immerwährender Glückstag – dieses Bild lässt mich nicht los. Was hindert einen daran? Manches gelingt nicht, man ist verärgert; man stellt für sich selbst Regeln auf – und befolgt sie nicht, scheitert an Belanglosigkeiten; und dennoch – das Glück sollte wie eine Burg über allem stehen. Ich bin sonderbar zuversichtlich. Entweder ist das der Cocktail, oder ich bin begeistertet über meine Bilder. So mit Abstand betrachtet, ist es, als würde ein vergangener Tag mich besuchen, mir auf die Schulter klopfen und sagen: 'Weißt Du noch?' – Du erwähntest 'Staffage' – manchmal ist einem so, als sei man in seinem eigenen Leben lediglich Staffage, kein heroisches Landschaftsgemälde, man kann es nicht aufnehmen mit der Landschaft, man ist nicht Heros genug. Ist das mein Eingeständnis, dass die Natur gesiegt hat? Sie ist anbetungswürdig, sie ist der wahre Heros. Ich habe sie immer bewundert, vergöttert. Das Meer, die Berge – sie abzubilden, erschien mir eine würdige Tätigkeit. Aber muss der Mensch nicht nach Würdigerem streben? Es gibt keine Porträts von Gott. Meinst Du, er würde sich von mir porträtieren lassen?"



Moderator: "Gewagte Frage. Als Gegenargument könnte man geltend machen, dass bei Dir die Imagination sich doch sehr in den Vordergrund drängt."



William Turner: "Schon wahr. Am Ende male ich Gott als Farbe, übertreibe es mit dem Abstrahieren und gelange ins Gegenstandslose."



Moderator: "Ich erfahre gerade, dass Er Dir tatsächlich Modell stehen würde. Es liegen ausreichend Referenzen vor."



William Turner: "Prima. Scheint, dass das Thema 'Glückstag' da einiges in Bewegung gebracht hat. Man soll ja auch nicht den Teufel an die Wand malen – also Obacht, was man sagt, malt, denkt. So mal in die Runde gesagt."



Moderator: "Diesen Rat hören die Engel gewiss nicht zum ersten Mal, aber wir sammeln das und machen Kalendersprüche daraus."



William Turner: "Kein Grund für Ironie. Hier sieht es idyllisch aus – dennoch ist es Farce. Ihr habt die Probleme in die Hölle ausgelagert."



Moderator: "Und, wo ist das Problem?"



William Turner: "Ich habe in meinen Bildern immer versucht, beides zu berücksichtigen: Es ergänzt sich doch, eines kann nicht ohne das andere."



Moderator: "Das ist dann doch ein bisschen viel an Ehre für die höllische Fraktion."



William Turner: "Vielleicht fühle ich mich deshalb nur wie ein Schatten: Das dämonische Element fehlt mir. Deshalb die Begeisterung und die Faszination – ich finde nichts Kritikwürdiges, ich bin ein Lamm ..."



Moderator: "Das ist notwendig; im Himmel käme es zu Aufständen."



William Turner: "Dann ist das nur die eine Seite der Medaille? Wieso bin ich so aufsässig? Vermutlich habt Ihr Recht; trotzdem erscheint es mir wie eine Dichotomie. Etwas, was ich in meinen Bildern immer vermieden habe: Da bildeten sie eine Einheit. Das Wüten, die Leidenschaft, die Verzweiflung, die Traurigkeit – all das gehört mit in meine Bilder, die können nicht außen vor bleiben!"



Moderator: "Trink Deinen Cocktail – und denk nicht weiter drüber nach."



William Turner: "Das Erhabene ist angewiesen auf das Dunkle, wie könnt Ihr das ausradieren?"



William Turner ist fassungslos.



Moderator: "Unsere Sendezeit ist leider um. Ich bitte um einen herzlichen Applaus, der die Fragen von William Turner übertönt. Vielen Dank."



ENDE



Erlkönig im Interview



Moderator: "Bei uns zu Gast im Studio: der Erlkönig! – Tja, gibt kaum Applaus. Kein Wunder, bei Deinem Ruf."



Erlkönig: "Um den aufzupolieren, bin ich hier – unter anderem. Ich meide sonst die Öffentlichkeit, aber etwas PR ist wohl angesagt, mal landet ansonsten in der Antagonisten-Ecke. Wirklich unschön."



Moderator: "Wie war das nun mit dem Knaben, Goethe und dem Vater, der das alles nicht wahrhaben wollte?"



Erlkönig: "Ich habe hier Prospekt-Material. Man kann bei uns sehr schön Urlaub machen. Ein verlängertes Wochenende gibt es zu gewinnen: auf dem Erlkönig-Hof."



Moderator: "Ich glaube nicht, dass Väter ihre Jungs da guten Gewissens hinschicken. Ich habe da so meine Zweifel."



Erlkönig: "Goethe hat einen Alptraum thematisiert. Es ist gut, sich seinen Ängsten zu stellen. Darum geht es bei uns auf dem Erlkönig-Hof. Ein Horror-Kabinett des Schreckens. Wirklich gruselig. Wir haben sogar echte Zombies."



Moderator: "Vielleicht gefällt den Kindern Disney-World doch besser?"



Erlkönig: "Ach was. Das Immunsystem muss gestärkt werden – die Seele muss gefeit sein gegen die Widerwärtigkeiten und Abscheulichkeiten – da leisten ich und mein Team ganze Arbeit. Fräulein Medusa ist bekannt für ihre zupackende Art."



Moderator: "Jetzt bin ich doch neugierig, wer da alles mit von der Partie ist. Hört sich irgendwie schräg an."



Erlkönig: "'Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?' – Ja, wenn man in der Düsternis unterwegs ist, da verschwimmen einem die Grenzen: Die Ratio behauptet, sie wisse genau, was echt sei – als ob es sich um eine Goldmünze handle, auf die man raufbeißt; aber im Zwischenreich herrsche ich: Da tauchen ich und meinesgleichen auf; Spukgestalten, die die Aufklärung gerne leugnen würde; aber mit Leugnen ist es nicht getan, wir greifen nach Euch, wenn das Bewusstsein nicht aufpasst, wenn es müde ist vom Realitäts-Rausch."



Moderator: "Hört sich jetzt irgendwie schmierig an. Ist es so wie mit Siebenschläfer: Dass man eine Prognose erstellt, die auf sehr wackeligen Füßen steht? Man kann dem Üblen mit guten Gedanken begegnen, es müssen keine sieben Wochen Ungemach folgen. Dieses Ausgeliefert-Sein – das tritt in der Ballade sehr deutlich hervor. Die Unabwendbarkeit. Dass man etwas sieht, spürt, wovon der andere keine Ahnung hat. Man ist allein mit seinem Realitäts-Empfinden. Geht jedem Menschen mal so – man empfindet anders als die übrige Welt und man fragt sich: 'Was stimmt mit mir nicht?' Das Eingreifen des Erlkönigs – was plant er letztlich?"



Erlkönig: "Bei Sonne – eingehüllt von Sonnenstrahlen – da wähnt sich der Mensch sicher; die Ratio triumphiert. Die Aufklärung schreitet kühnen Schrittes voran ... Doch wenn die Nacht anbricht, wenn das Bewusstsein nicht mehr Herr der Lage ist, dann hörst Du es in Flüstertönen, wie es raunt, wie es wispert: Folge mir, in mein Reich, das Leben ist Mühsal, Plackerei, es könnte so einfach sein ..."



Moderator: "Sehr perfide; man fragt sich, was will uns die Ballade sagen: Kommt der Verstand wirklich nicht an gegen die Einflüsterungen der Nacht? Sind wir nicht schlau genug? Nerven aus Stahl – würde uns das weiterhelfen? Was ist das Rezept gegen Alpträume?"



Erlkönig: "Das und vieles weitere besprechen wir auf dem Erlkönig-Hof. Es gibt Freikarten fürs Publikum! All das Ungeklärte, Verschobene – es wird dort alles erörtert. Normalerweise begegnet man seinen Alpträumen im Passiv-Modus. Nicht stottern – dem Ungeheuren Rede und Antwort stehen, es sogar zurechtweisen! 'Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?' – Der Ratio graust es, sie möchte es leugnen – und vermag es nicht, da andere Teile des Gehirns betroffen sind, der Erlkönig hat dort von ihnen Besitz ergriffen, er gibt es nicht frei. Ein Fluch, ein Segen? Man verschließt die Augen vor dem, was man fürchtet – man würde es gerne schlagen, doch es ist wie Nebel-Gestalt – vorhanden und nicht da ... Erinnerungs-Dunst. Man kämpft gegen an. So klagt die Seele: 'Erlkönig hat mir ein Leids getan!' Wenn Du nicht aufpasst, ist die Seele tot – und Du lebst weiter. Zombies allerorten. Ich sehe sie – und staune, keiner bemerkt's. Sie sind tot, innerlich ist ihnen das Leben abhandengekommen. Sie reden von Sternzeichen – von der Zukunft – doch es sind Sich-im-Kreis-Drehende. Karussell-Fahrer, nenne ich sie. Ihr entkommt Erlkönig nicht. Besser, Ihr bucht gleich das Wochenend-Paket – zum Sondertarif. Noch ist es günstig, entscheidet Euch schnell. Wenn ich Euch erst nötigen muss, dann schnellt der Preis in die Höhe. Bin ich Euch zu obskur? Hättet Ihr es gern eine Nummer klarer? Klarträume, luzides Träumen – kein Problem – ich stoße Euch auf Euch selbst, Ihr werdet fündig werden – doch ohne mich seid Ihr ohnehin tot."



Moderator: "Man kann sich immer sagen: 'In dürren Blättern säuselt der Wind.' Aber die Geräuschkulisse des Grauens ist da – in der Historie, in der Biographie – man kann weghören, es überhören, es leugnen – und man kann die Musik laut aufdrehen – oder man hört hin, was Erlkönig & Co. zu verkünden haben; was ist ihre Botschaft? Vielleicht bucht Ihr ein Weekend? 'Was Erlenkönig mir leise verspricht?' Die Schätze der Tiefe, kein oberflächliches Geplätscher. Mit dem Rabattcode 'Erlkönig_Ultra' erhaltet Ihr unglaubliche 10 Prozent Ermäßigung! Und es gibt auch ein Gewinnspiel."



Erlkönig: "Ich sollte mich öfters im Fernsehen blicken lassen. Kommt meiner Popularität zugute. Und da macht unsereins sich Sorgen wegen seines Images."



Verhaltener Applaus.



ENDE



Theodor Fontanes Zweifel



Da betätige ich mich als Humorist, als Kenner von Land und Leuten, Reisebeschreibungen … Ist das alles nicht nur ein Ausweichen, ein Davonlaufen vor etwas Solidem? Ich hätte bei der Apotheker-Tätigkeit bleiben sollen. Jeder hat ein Ungeheuer, das ihm Angst macht, was ihn vorantreibt. Soll man es beizeiten zähmen? Es noch wilder machen, dass es einen antreibt? Anfaucht? Aber wie verträglich wäre das mit Darüber-Stehen?

Bin vor meiner Melancholie geflohen – habe in Erinnerungen gekramt, sie hervorgeholt, mich besonnen; Ursprünge, Herkunft; sich besinnen; wohin des Wegs? Immer die Frage: Ist man gut genug? Reicht das Talent, muss man täuschen? Sich auf Zehenspitzen stellen? Wie viel Bildung ist nötig, damit es dem Werk nicht an Tiefe mangelt? Aber nachher ist es ein Zuviel an Tiefe – die Zeitungsleser wollen das nicht; ich soll sie unterhalten; dennoch soll es mehr sein als bloße Unterhaltung; ja, davor fürchte ich mich: vor der Seichtheit. Dass man es mir zum Vorwurf macht, es mir entgegenhält. Ich habe getrickst, getäuscht, erfunden – die Tatsachen aufgehübscht; sollte man das als Reporter, als Journalist? Ich weiß es nicht; bei mir vermengen sich die Bereiche, eines schwappt ins andere: Ist es noch journalistisch, ist es bereits literarisch?

John Maynard, die Brück‘ am Tay – die Gunst der Stunde nutzen, da wird aus dem Unglück der Welt mein Glück. Ist das zu perfide? Aber die Literatur – wenn sie gut ist – meidet das Friedliche; sie späht nach dem Unschönen, dem Garstigen; mir ist, als hätte ich einen Blick dafür bekommen, als hätte meine Tätigkeit mich so geformt, verformt. Ich will nicht das schlafende Ungeheuer – ich will es wecken, es piesacken; es soll zeigen, was es kann – und ich lasse meinen Helden untergehen, lasse ihn verzweifeln – und wenn ich gnädig bin, dann schenke ich ihm ein Happy End.

Tand ist das Gebilde von Menschenhand – nicht, dass das auch für mein Werk gilt; wird es einigermaßen Bestand haben? Der Zeitgeschmack ändert sich, die Zeit zeitigt neue Probleme. Jetzt also Romancier ... Es ist etwas anderes, wenn man sein Leben als Novelle lebt – überschaubarer. Das Leben ein Roman – ausführlicher, man hat Zeit für Nebenfiguren, kann verweilen .... Aber ich glaube, ich habe mein Leben immer als Reise-Reportage gelebt, immer auf der Suche nach was Berichtenswertem – und es dabei mit der Wahrheit nicht allzu genau nehmen; es ist dem Erzähl-Interesse geschuldet, es soll was herzeigen.

Ist wohl so wie bei John Maynard – wie ein Flaschengeist existiert dieser Held nur in der Ballade – eine Art Flasche, vom Dichter hineinbeschworen; die Realität ist so kümmerlich – und da behaupte ich, Realist zu sein, kann doch mit dem Realismus nichts anfangen, es fehlt ihm alles: alles Interessante. Ich liebe die Überhöhung, die Zuspitzung, den Hauch des Ewigen – alles das lässt die Realität vermissen, sie weiß nichts davon. Sie ist trocken – es muss zubereitet werden, schmackhaft – dass man selber darauf Appetit bekommt.

Ich sollte mir Mut zusprechen, durchhalten – das Ungeheuer heißt Müdigkeit, Zweifel, Nachgiebigkeit – begegne ihm mit Resolutheit. Aber drehe ich mich nicht im Kreis? Wiederhole ich mich nicht? Wurde nicht schon längst alles gesagt – und das weitaus besser und stilvoller? Wie hochgeistig können meine Figuren sein? Sind sie noch glaubwürdig?

Erschreckend: Wenn die Antagonisten zu sehr ihrem Autor ähneln ... Ich schaue auf mein Werk – und es ist Selbstbetrachtung. Oder schmeichle ich mir: Habe ich so rein gar nichts von meinen Helden? Nur Wunschbilder? Wie fern bin ich meinen Figuren? Wahre ich den spöttischen Abstand, haben sie nichts mit mir gemein? Oder bin ich ein Verräter, sollte zu ihnen stehen, statt sie zu diffamieren – für ein Bonmot? Für ein bisschen Applaus trage ich Teile meiner Seele zu Markte? Breite sie im Feuilleton aus?

Wem soll man nacheifern? Sind wir alle nur Kopien, weil wir es nicht wagen, die Vorbilder zu bitten, einen Schritt zur Seite zu gehen? Sie verstellen uns die Sicht auf die Welt, auf die Wahrheit – auf uns selbst.

Vielleicht fürchte ich mich auch vor dem Umfang eines Romans – man muss es mit diesen Figuren aushalten, sie gewinnen an Eigenständigkeit, man diskutiert mit ihnen, man hält ihr Schicksal in der Hand. Oder täuscht man sich da – ist es nicht vielmehr das Werk selbst, was dieses und jenes bewirkt? Es erschafft sich quasi selbst – und dem Autor ist es mitunter unheimlich, wie viel Eigenleben in seinem Wort-Werk steckt.

War ein langer Anlauf – hätte ich mich schon eher den Romanen zuwenden sollen? Warum diese Scheu? Habe ich erst sammeln müssen, dass ich wie von einer Reise Mitbringsel habe? Aber ist es vorzeigbar? Als Realist dem Leben das Leben präsentieren – wo bleibt da der Künstler?

Muss man letztlich den Dämonen in sich dankbar sein für all die Unrast? Man wäre kein Fragender, kein Reisender, kein Suchender. Was soll ich der Melancholie entgegnen? Was Launiges; ob sie's mir abkauft? Stellevertretend lass ich meine Protagonisten leiden – erlege ihnen sehr undankbare Schicksale auf – dabei könnte ich ihnen das größte Glück bereiten. Doch Zufriedenheit ist nicht das Geschäft der Literatur – Protagonisten leiden für uns – stellvertretend, wir nennen es Abenteuer – und bevorzugen die Position hinter dem Buch, hinter der Zeitung.

Esprit, Geist, Witz sollte wie aus einer Fontäne emporschießen – ob Fontane das schafft? Was könnte mir Druck machen? Es pressiert: Die Zeit zumindest mahnt mich, dass ich kein Zauderer bin. Sie ist das größte Ungeheuer – sie verschlingt alle. Was könnte sie beeindrucken? Kunst scheint ihr zu imponieren. Mal sehen, wie viel ich beschaffen kann, herbeischaffen kann; auch als Arznei gegen Melancholie scheint es tauglich zu sein.



ENDE



Brief ans Unterbewusstsein



Liebes Unterbewusstsein,



es gab da immer so Missverständnisse; ich denke, wir sollten das klären; ich würde Dich gerne zum Duell herausfordern; aber es sollte nicht im Showdown enden – ich brauche Dich ja noch; aber könnte man das alles ein wenig modernisieren? Vieles kommt mir überholt, einfach archaisch vor. Alleine Deine Bevorzugung der Bildersprache, der simplen Satzstrukturen; wie hinterwäldlerisch ist das denn? Du scheinst über meine Lebensziele überhaupt nicht im Bilde zu sein. Verfolgst Du eigene Pläne? Sollte ich davon was wissen? Werde ich überhaupt noch über irgendetwas in Kenntnis gesetzt? Entscheidest Du das alles über meinen Kopf hinweg? Neuere Untersuchungsergebnisse deuten darauf hin, dass der sogenannte freie Wille eine feine Erfindung von Dir ist; Du gaukelst uns da was vor. Von wegen Ratio & Co., Ihr seid die Herren im Haus. Hähä. Ich will ja nicht, dass es zum Hass kommt – muss ja nicht sein; aber ich erreiche Dich nicht, meine Mitteilungen scheinen im Nirwana zu verschwinden; hast Du da extra eine Behörde dafür eingerichtet, die meine Mitteilungen entsorgt? Fühle mich furchtbar ignoriert und übergangen von Dir! Wir waren uns doch mal so nah. Das Konzept 'Freundschaft' hat keine Berechtigung mehr? Mag sein, es käme noch mehr Unsinn heraus, wenn ich das alles gleich so umsetzen könnte, was ich mir da so vornehme – ohne Dein ständiges Veto, Dein Bremsen. Würden wir ohne Dich alle schnurstracks zu Stuntmen – die Gefahr verachtend, überall ein Troja sehen, den nächstbesten Menschen zum Antagonisten erklären und ihm eine reinhauen? Du scheinst da so eine Gesetzessammlung zu haben, die Du treulich befolgst. Wir wären gerne freier. Nicht so gebunden an das, was war, uns nicht immer vom Gestern vorschreiben zu lassen, wie wir im Jetzt uns aufzuführen haben. Gebundenheit ans Gewesene – ja, ich weiß, Du schwörst auf Charakter und das Einhalten von Geboten. Wäre schön, wenn das verhandelbar wäre; Du bist so unverrückbar – kommst mir manchmal vor wie Clint Eastwood; eisiges Schweigen, verziehst keine Miene; sei doch mal der Clown, der über die Stränge schlägt, der sich vergisst – und der sich neu erfindet. Der die Fesseln des Gestern einfach mal abstreift.

Ein Brief ersetzt kein Gespräch – ist auch ziemlich einseitig; aber ich kenne Deine E-Mail-Adresse nicht. Die Entfernung ist nach wie vor unüberbrückbar. Als ob Du in Asgard leben würdest und ich in Midgard – keine Regenbogenbrücke, über die man einfach so mal hinwegspaziert; uns verbindet nichts. Wir bewohnen zwei verschiedene Planeten. Geht es um Führungs-Kompetenz? Misstraust Du meinen Entscheidungen? Wäre der freie Wille so etwas wie ein Squash-Ball, der ziemlich wahl- und planlos umherirrt? Du duldest keine Zufallselemente, Du willst, dass alles immer nach Plan verläuft – Baupläne, die vor Millionen von Jahren entstanden; gekettet ans Archaische. Du bist überholt; zumindest bräuchtest Du ein Update; ein Upgrade. Nun sei doch nicht gleich beleidigt; ich seh schon, wie Du die Augen verdrehst; ich nerve Dich; der Erneuerungs-Süchtige; die Ratio, die es gar nicht abwarten kann, sich auszuprobieren. Wie überzeug ich Dich davon, dass ich gerne neue Programme testen würde? Oder vergleich es mit 'ner Eisenbahn – Du fährst auf Gleisen, aber ich will frei wie ein Adler sein. 'Schmink es Dir ab', lautet Deine Replik. Du hast Deine Mission – aber ich frage mich, ob es auch die meine ist; ich habe andere Pläne mit mir; Du ziehst nicht mit; aber ich brauche Deine Einwilligung, Dein Einverständnis, Deine Bereitschaft, Deinen Teil zum Erfolg beizutragen. Das schaffen wir nur gemeinsam. Ist eine Sache des Vertrauens. Und ich habe das verdammte Gefühl, dass Du mir nicht vertraust, dass Du die Kontrolle mir nicht übergeben willst. Bleibt der freie Wille eine Illusion? Ein Traumgebilde – wobei Du im Traum noch mehr das Sagen hast als ohnehin; Regisseur meines Lebens; die Sterne nutzt Du als Studiobeleuchtung. Ich habe den Verdacht, dass Dein Wurzelwerk tiefer reicht, verbunden ist mit allem im Universum, Du hast Ebenen, Stockwerke, zu denen ich absolut keinen Zutritt habe, zu manchen ja – so etwas wie Tag der offenen Tür: Dann darf sich das Bewusstsein mal umschauen – aber bloß nichts anfassen! Du bist da sehr heikel. Ist es Liebe, was uns verbindet? Pflichtprogramm? Erledigst Du nur Deinen Job, kannst Dich für mich und meine Tätigkeiten kein Stück begeistern? Ich sprach von Update, von neuen Programmen – Du scheinst neugierig; kann ich Dir meine Vorschläge unterbreiten? Gewiss, Du musst das alles mit dem Universum abstimmen, abgleichen – ein unendliches Prozedere; kann man das beschleunigen? Bist Du bestechlich? Mit was könnte man Dir einen Gefallen tun? Hand in Hand den Weg gehen, keiner eilt voran ... Aber Du willst den Chef-Posten nicht hergeben? Schon klar. Alle Unterredungskünste der Welt scheitern an Deiner Entschlossenheit. Na bravo. Schon erbärmlich, da bettelt das Bewusstsein um Mitspracherecht – wird sich immer bewusster, dass es eigentlich nie etwas zu melden hatte. Tolle Einsicht, bringt die Menschheit gehörig voran.

Keine Sorge, das wird jetzt kein Briefroman, nur noch ein paar Zeilen ... Wir sollten uns briefen – abklären, was Sache ist, dann geht die Post ab. Vermutlich hätte ich mehr Metaphern verwenden sollen, ich rede vermutlich gegen die Wand, wir sprechen nicht dieselbe Sprache. Du bist die Dunkelheit – dunkel wie das Universum, gelegentlich erleuchtet von einem Stern – mag sein, das ist so etwas wie das Bewusstsein, spärliches Licht; was könnte es Erhellendes beitragen? Der freie Wille als Weltraumfahrer unterwegs, aber sehr wirtlich ist das alles nicht; im Kopf ein ganzes Universum – ein ganzer Kosmos – aber man ist nicht Perry Rhodan, der das alles mühelos meistert. Vielleicht ist etwas Feedback für Dich ganz hilfreich? Aber vermutlich gelangt auch dieser Brief auf den Stapel der ungelesenen Briefe.



In Liebe,

die ratlose Ratio



ENDE



Unterbewusstsein an Ratio



Liebe Ratio,



mich erreichen hier laufend Beschwerdebriefe, dies passt Euch nicht ... und ich sei schwer von Kapee, es fiel sogar der Begriff 'archaisch'. Frechheit! Eine Zumutung. Ich schmeiß hier doch den Laden. Die Ratio macht sich 'nen faulen Lenz; ich mach die ganze Vorarbeit; wird das je irgendwo gewürdigt? 'Ich existiere gar nicht!', heißt es dann. Ich bin so was am Rotieren! Okay, meine Fähigkeiten für Multitasking sind unübertroffen – sogar von den neuesten Computer-Modellen gibt es nichts Vergleichbares zu berichten. – Ich sei eitel? Wie? Kann man nicht ein bisschen stolz sein auf den Gedankenreichtum, die Akrobatik, mit der ich den Ich-Haushalt schmeiße?



Aber ich hätte es gerne unmittelbarer – ich hätte gerne den direkten Draht, den direkten Kontakt zur Welt. Wäre das möglich? Es ist alles so vermittelt; ich will den unverstellten Blick, freie Sicht auf die Dinge, keine Vor-Interpretationen. Die Ratio drängt sich wichtigtuerisch vor, schiebt sich ins Bild wie ein lästiger Fernsehzuschauer. Hau ab! Du bist hier nicht erwünscht! Muss doch mal in aller Deutlichkeit gesagt werden können. Ratio kriegt die Lorbeeren – Ratio, das Hätschelkind. Der Humanist, der Bildungsbeflissene. Und ich, dass strohdoofe Unterbewusstsein, dem man alles dreimal haarklein auseinanderklabüstern muss, um was es nun geht.



Okay, wirklich nicht mein Tag ... Aber mich regen die Briefe von Ratio auf. Die bringen mich auf die Palme. Ich und mangelndes Verständnis?! Es geht doch um Würdigung. Ich Ackergaul, Du Rennpferd. Jaja. Ich will auch mal auf dem Siegespodest stehen, nicht als Müllhalde gebrandmarkt ... Schuttabladeplatz der Zeit – das Verdrängte fände sich vor allem bei mir. Ach was, in meinem Archiv hat alles seine Heimstatt; ich bin da sehr ordentlich, beinahe pusselig.



Soso, Ihr wollt mich programmieren; dass ich einen Gang höher schalte. 'Mach mal hinne!' Diesen und ähnliche Sprüche will ich nie wieder hören! Für mich ist es wie ein einziger Tag – ich gehe niemals schlafen, ich habe immer Dienst. Bin da fast wie ein Hai oder ein Vampir – ein Hai kann zumindest die eine Hälfte ins Traumland schicken, kann ich mir nicht leisten. Ein einziger Tag – und dann die die Beschwerden der Ratio, die gut ausgeschlafen mal wieder einen Grund zum Nörgeln findet. Herrlich, sag ich Euch.



Dann munkelt man über meine Connections zum Universum; bin ich Geheimagent? Okay, mir liegen einige Top-Secret-Akten vor, von denen das Bewusstsein nichts spitzkriegen darf, aber ich bin dem Ich loyal, war es schon immer. Ich bin nur so schrecklich müde – Dauermodus, von allen Seiten Infos, das muss verarbeitet werden ... Ehrlich, ich wünschte, ich könnte sagen: 'Das ist echt mein Tag, hier komm ich auf meine Kosten.' Aber ich zahle die Zeche, ich komme für alles auf.



Dann geht es um Führungs-Streitigkeiten, Rivalitäten, wer nun das Sagen hat: Die Ratio kann einem so auf den Keks gehen! Ich muss so an mich halten! Eines Tages kick ich sie raus. Besserwisser. Okay, ich neige zur Panik, betätige eventuell ein wenig zu oft den Alarmschalter; man weiß ja nie. Da wirft sie mir vor, dass ich ruhig mutiger sein könnte, dieser Logik-Freak.



Dann gilt es auch das Traum-Reich zu verwalten; dass da nichts durcheinandergerät; für mich ist das ohnehin alles eins. Vorstellungen, Reales, Schreckensbilder – mich trifft das alles mit derselben Wucht; wieso zieht der sich so unerfreuliche Filme rein? Was Nettes. Will auch mal entspannen.



Es heißt ja, ich bekäme bald direkten Anschluss ans Internet; wäre schon was, nicht mehr diese Begrenztheit. In Richtung Androiden, mehr Technik ... wäre schon was; diese Neuronen sind doch sehr anfällig; bin ständig am Reparieren, Ausbessern; im Grunde bin ich eine Tag- und Nachtschwester. Will auch mal was downloaden, Upgrades beziehen, modern sein. Ich verpasse völlig den Anschluss; jedes Handy kann wer weiß was. Früher wurde ich um Rat gefragt, jetzt heißt es: 'Alexa, Cortina, Siri, wo sind meine Sachen, weißt Du? ...' Die wissen nix! Ich habe mich in Jahrtausenden bewährt, manche Schlacht geschlagen, bis der Homo sapiens aus dem Gröbsten raus war, ich habe mich bewährt, bin Gelände-tauglich, wenn man so will, ein All-Terrain-Vehicle-Unterbewusstsein. Ich komm mit allem klar. Nur dieses Kompetenz-Gerangel mit Ratio, das zehrt an meinen Nerven. Schieb mal ein Stück Kuchen rüber!



So, Brief noch unterzeichnen – und ab damit – soll Ratio sich das mal hinter die Ohren schreiben. Oder wird es ihr den Tag vermiesen? Ich will nicht, dass sie sich schlecht fühlt; sie versucht, dem Leben Logik aufzuzwingen – aber das Leben ist so störrisch und so herrlich unlogisch. Immer rennt sie mit ihrer Logik hinterdrein – wenn es nicht so traurig wäre ... Aber auch meine Mittel sind absonderlich – ich habe es mit dem Märchenhaften, bin ein Mythen-Wesen, habe es mit dem Symbolischen, schwärme dafür – und hoffe, dass es nicht so auffällt, inmitten einer Technik-affinen Welt komme ich mir zusehends überholt vor. Ist das Unterbewusstsein ein Auslaufmodell? Schicke Androiden ersetzen mich? Ich habe Kontakt zu den Zellen, kann sie reparieren, ich kann sie hören, fühlen; ich kommuniziere mit ihnen, wir verstehen uns, meine Leute, meine Truppe; ob Technik da mithalten kann? Vielleicht ist sie viel flotter als ich, hält das alles besser in Schuss? Ich habe da so meine Ordnung – ich mag es ja nicht mal, wenn die Ratio ihre Umräum-Aktionen startet, ich krieg da jedes Mal die Krise; geht gar nicht. Andererseits bin ich neugierig auf die Technik; Chips, Platinen – ich wäre schneller, rasanter, rassiger. High-Speed. Okay, ich bin im Datenrausch. Aber wenn man bei mir mit Wissen anfängt, dann gerate ich ins Schwärmen. Die Vorstellung, an so einer Leitung zu hängen, an so einer Pipeline – und mich direkt sattsaugen zu können mit relevantem und irrelevantem Wissen – wow! mega-krass. Voll der Ober-Hammer. Seht Ihr, wie ich upgrade? Ich halte mit, ich japse nicht hinterdrein, ich halte Schritt.



Aber dann kommen mir doch Bedenken; vielleicht stehe ich der Ratio und Ihrer Clique nur im Wege? Bin ich zu konservativ? Ich bewahre Gefühle. Ich bin ein Bewahrer. Ein Erhalter. Ich bin nicht wendig genug.



Ratio, ich könnte von Dir lernen. Bring es mir bei. Das ist eine herzliche Bitte von mir. ich will Anschluss an die Neuzeit, will mir nicht täglich den Vorwurf anhören müssen, dass ich zu behäbig sei, so schrecklich unflexibel, mich gewissermaßen festkralle im Gestern und Vorvorgestern. Mach mich mehr Zukunfts-orientiert.



In Liebe,

Dein Unterbewusstsein



ENDE



Interview mit einem Gummibären



Ich: "Schön, dass Du zum Interview erschienen bist: Gummibären gelten ja als nicht sehr gesprächig."

Gummibär: "Ich hab erst gedacht: Kommt gar nicht in die Tüte. Aber dann dachte ich mir: Warum nicht?"

Ich: "Es heißt, Gummibären besäßen kein Rückgrat ..."

Gummibär: "Nenn es Flexibilität. Sehr empfehlenswert für Politiker. Das schafft man auch mit noch so vielen Dehnübungen nicht. Immer geschmeidig bleiben."

Er turnt mir was vor. Macht seine Sache ganz gut.

Gummibär: "Siehst Du diese Moves? Diesen Hüftschwung? Hier steppt der Bär!"

Er flippt völlig aus. Dabei ist gar keine Musik an. Die Studio-Band schaut mich fragend an.

Ich: "Spielt was Fetziges."

Der Gummibär kriegt die Panik.

Gummibär: "Mit Tüten-Zerfetzen fängt es an. Es geht das Gerücht um, dass Gummibären zum Verzehr geeignet seien. Ich bin völlig fassungslos."

Er klettert wieder in seinen Sessel. Wie soll ich ihm die Wahrheit sagen?

Ich: "Es ist ja selten, dass Gummibären Rentenalter erreichen."

Gummibär: "Wie kommst Du jetzt darauf?"

Ich: "Nun ja, Du scheinst da einige Fakten erfolgreich verdrängt zu haben. Gummibären sind lecker."

Gummibär: "Stimmt schon. Ich bin ein künstlerischer Leckerbissen. Ich tanze unglaublich gut."

Er tanzt im Sessel. Die Studio-Band spielt 'Teddy Bear' von Elvis Presley.

Gummibär: "Mein Knuddel-Faktor ist super. Fühl mal."

Ich: "Das schon. Aber es birgt ja auch gewisse Risiken, wenn man so gut ankommt ..."

Gummibär: "Ich liege voll im Trend. Den Zeitgeschmack treffen – darauf kommt es an. Ich kann hüpfen wie ein Gummiball."

Er springt durchs Studio.

Ich: "Hat was von einem Squash-Ball. Wobei Squash-Bälle den Vorteil haben, dass sie nicht lecker sind."

Gummibär: "Ist es denn ein Fehler, der Welt angenehm zu sein? Du tust gerade so, als wäre es besser, bitter und ungenießbar zu sein."

Ich: "Manchmal ..."

Er deutet mein bedeutungsvolles Schweigen völlig verkehrt.

Gummibär: "Langweile ich Dich? Hast Du keine weiteren Fragen? Soll ich gehen?"

Ich: "Siehst Du Dich als Softie?"

Gummibär: "Ich habe Soft Skills. Ich kann ein Team zusammenschweißen – manchmal kleben wir förmlich aneinander. Erzähl es keinem weiter – aber ich habe schon an Befreiungsaktionen teilgenommen: Gummibären aus Tüten befreit – unglaublich, was da in den Supermärkten abgeht. Einem Schoko-Osterhasen haben wir auch zur Flucht verholfen."

Ich: "Packende Geständnisse. Es heißt ja: Gelobt sei, was hart macht."

Gummibär: "Willst Du wissen, was mich hart macht, oder was? Was ist das eigentlich für eine Sendung?"

Ich: "Ich mein, es ist ja an sich gut, hart im Nehmen zu sein. Wie siehst Du Dich da aufgestellt?"

Gummibär: "Willst Du behaupten, ich sei ein Weichei?!"

Er erhebt sich drohend. Ich gebe der Band ein Zeichen; sie spielen Jazz. Er sinniert.

Gummibär: "Mag sein, dass ich zu weichherzig bin. Musik berührt mich – alles berührt mich."

Ich: "Vielleicht bräuchten wir mehr Gummibären im Land? Nur so ein Gedanke. Die Betroffenheits-Fraktion."

Gummibär: "Das würde mir gefallen. Vorreiter – hätte was. Ich glaube, ich bin ein Tüten-Fetischist – Tüten geben mir ein gutes Gefühl, Sicherheit. Wie kommt das?"

Ich: "Am besten, Du sprichst darüber mal mit Deinem Therapeuten."

Gummibär: "Du bist aber nicht sehr umgänglich. Hat Dich das Leben so hart gemacht? Sei doch knuffiger!"

Ich: "Werde ich beherzigen. Ich danke Dir für das Interview."



ENDE