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Mit großem Dank an

Marcus und Lucas

INHALTSVERZEICHNIS

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MITTE

So schön ist diese Stadt

Ü100 und dabei komplett alterslos

Delikatessen aus der Region

Zurück in die Zukunft

Das geliebte Durcheinander

KREUZBERG

Flaneure zieht’s zum Wasserfall

Erster Supermarkt ohne Verpackungen

Bunte, grüne und rote Beete

Ein Tempel für Kreative und Künstler

Café Eule im Park am Gleisdreieck

NEUKÖLLN

Zentrum für zeitgenössische Kunst und mehr

Der ungewöhnliche Gegenentwurf zur Schlafcouch

Weil es schmeckt und gut ist fürs Karma

TEMPELHOF, SCHÖNEBERG

Blumen, Skater und sehr viel Himmel

Street Art goes Museum

Die besten Cocktails der Stadt

Mediterran-orientalische Spezialitäten mit Liebe gemacht

Charmantes österreichisches Restaurant

Eine Wunderkammer voller Trouvaillen

Der grüne Daumen Gottes heißt Mike

Brasilien meets Berlin

Für Abschiede, Ankünfte und ruhige Momente

DAHLEM, WANNSEE, ZEHLENDORF

Wald & Vesper

Dieser Trip ist absolut organisch

Kunst, Kaffee und Kultur

CHARLOTTENBURG, WILMERSDORF

Öffentliche Kantine über den Dächern der Stadt

Kleiner Jazz-Club mit großartigen Jam-Sessions

Grünblaues Refugium zwischen Häusern und Straßen

Der wahrscheinlich beste Kaffee der Stadt

Schöne Villa mit Hang zum Feuilleton

WEDDING

Galerie-Bar mit Dancefloor

Einer der außergewöhnlichsten Plätze der Stadt

Drinks im Inneren des Vulkans

Buenos Aires in der Hauptstadt

Bootsverleih für perfekte Sommertage

MOABIT

Ein Restaurant, das Tarantino gefiele

Ungewöhnlicher Waschsalon und Kiez-Treff

Alternatives Kino wie vor 30 Jahren

Lesungen, Drinks und Kicker-Turniere

Buchwald Baumkuchen

TIERGARTEN

Stadtpark zwischen Schöneberg und Mitte

Ein Hauch von Sylt in Preußen

Die meisten finnen es interessant dort

Eine Hymne auf die Architektur

Der älteste Geheimtipp im Westen der Stadt

Ein Kind der Liebe zwischen Wien und Berlin

Einer der schönsten Hutsalons Europas

PRENZLAUER BERG, FRIEDRICHSHAIN

Einer der ungewöhnlichsten Friseursalons der Welt

Schuhe nach Maß

Ice, Ice Baby (und so gesund)

Wann haben Sie das letzte Mal Billard gespielt?

Hier fiel die Mauer zuerst

Ein Patchworkteppich wilder Locations

MARZAHN

Unverhofftes Idyll unweit der Betonburgen

Kulturzentrum mit Bildungsauftrag und leckerem Kuchen

OBERSCHÖNEWEIDE

Konzerte, Märkte und DDR-Geschichte

LÜBARS

Pferde, Felder, frische Luft

QUER DURCH DIE STADT

Dr. Fisch: Der Forellenflüsterer zieht von Markt zu Markt

Flohmärkte: … denn Finden macht seliger als Suchen

Schiffstour: Der sanfteste Weg, um durch die Stadt zu gleiten

REGISTER

Mitte

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ZWISCHEN DEN S-/U-BAHNHÖFEN FRIEDRICHSTRASSE UND HACKESCHER MARKT

So schön ist diese Stadt

MONBIJOUBRÜCKE

ZWISCHEN AM KUPFERGRABEN UND MONBIJOUSTRASSE

10117 BERLIN

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Ständig verändert sich alles. Kaum groovt sich das Leben ein, passiert etwas, das eine Neujustierung erfordert. Man muss neu denken, neue Wege nehmen, neue Systeme anwenden. Global ist das bekanntermaßen so, aber eigentlich reichen auch lokale Veränderungen, um alles auf den Kopf zu stellen. Kleine Dinge, eine Baustelle beispielsweise, genau vorm Haus. Schon fühlt sich das Leben anders an. Für ein Jahr wird gehämmert, gebaggert, Staub wirbelt durch die Luft, Kräne wackeln, halb gelöste Abdeckplanen flattern wütend durch windige Nächte, es gibt keine Parkplätze mehr, kein Vogelgezwitscher und keine offenen Sonnenfenster, dafür stehen zwei blöde Dixi-Klos auf dem Bürgersteig. Das sind die kleinen, die alltäglichen Veränderungen, mit denen es sich leben lässt, zähneknirschend. Was aber, wenn durch einen blöden Umstand, eine Schicksalsfügung, der Job wegkracht und um weiterarbeiten zu können, müsste man beispielsweise nach Bad Godesberg ziehen? Ausgerechnet! Oder was, wenn man sich haltlos in jemanden aus Papua-Neuguinea verliebt? Natürlich ist das eine konstruierte Situation, aber ich habe mir überlegt, welche Gründe es für mich geben würde, um meiner Stadt den Rücken zu kehren. Vielleicht wäre die Liebe das einzige Argument. Bad Godesberg käme jedenfalls nicht in Frage. Und so wie man sich manchmal mit schwerem Gemüt absichtlich Salz in die eigene Wunde streut und sehr, sehr traurige Songs hört, die das Schwere nur noch schwerer erscheinen lassen, so würde ich mich zum Abschied auf den Weg machen zu einem Platz, an dem mir jedes Mal das Herz aufgeht, zu einem Ort, der mir zuverlässig sagt: Berlin, du liebenswerte Stadt, ich bin so froh, hier leben zu dürfen.

Ich ginge zur Monbijoubrücke, die über die Spree und über den Kupfergraben führt. Wie ein starker Arm berührt sie die Spitze der Museumsinsel mit dem Pergamon-Museum, der Alten Nationalgalerie, dem Neuen und dem Alten Museum und dem stolzen Berliner Dom, als müsste sie dem ergriffenen Besucher Halt geben beim Betrachten des majestätischen Bode-Museums mit seiner großen Kuppel, links der Blick vorbei Richtung Alexanderplatz und noch weiter links dann das Monbijoutheater mit dem angrenzenden Park, wo im Sommer Berliner und Touristen grillen, in der Strandbar sitzen, aufs Wasser schauen und in mancher Sommernacht unter bunten Lichterketten Tango tanzen, rund um die Uhr dekoriert von wenigen Frachtschiffen, Bötchen und zahllosen Ausflugsdampfern mit Namen wie »Frohsinn« oder »Sanssouci«. Und wer sich dreht auf dieser Brücke, der schaut über die Ebertbrücke zur Friedrichstraße, Richtung Berliner Ensemble, Friedrichstadtpalast, Deutsches Theater. Es ist ein ästhetisches und lebendiges 360-Grad-Panorama, voller Abwechslung, Geschichte und einer ganz bestimmten Eleganz, die in Berlin tatsächlich nicht so häufig zu finden ist, ohne gleich wieder Abstriche machen zu müssen. Eigentlich würde ich mir keinen Gefallen tun damit, ich würde leiden wie ein Hund, aber hier nähme ich Abschied von Berlin, wenn ich müsste.

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S-/U-BAHNHOF ORANIENBURGER STRASSE

Ü100 und dabei komplett alterslos

CLÄRCHENS BALLHAUS

AUGUSTSTRASSE 24

10117 BERLIN

TEL. 030 282 9295

TÄGLICH AB 11, AN DEN WE BIS 4

WWW.BALLHAUS.DE

072.tif

Wäre »Clärchens Ballhaus« eine Person, dann säße man im Zug gerne neben ihr, denn sie könnte sicherlich hinreißende Geschichten erzählen. Nicht nur für mich gehört dieser Ort zu den wenigen Plätzen, die dabei helfen, sich wenigstens versuchsweise zurückzuversetzen in ein Berlin, das mit der heutigen Stadt nichts mehr gemein hat. Wie einer der letzten Zeitzeugen, jemand, der zwei Jahrhundertwenden mitmachte, zwei Weltkriege und mehr als zwei Staatsformen überdauerte. Jetzt steht er immer noch da, erhaben, hübsch anzusehen in seinem alten Gewand, umgeben von Coffeeshops, schicken Läden und modernen Galerien. Wäre »Clärchens Ballhaus« also eine Person: Sie würde sich wundern. Aber sie nähme es mit Humor.

Das 1895 erbaute Haus wurde 1913 vom Ehepaar Fritz und Clara als »Bühlers Ballhaus« eröffnet. Rund 900 Ballhäuser gab es zu Kaisers Zeiten in Berlin, dieses war eins davon – und um das schon mal vorwegzunehmen: Es ist das Einzige, in dem auch heute noch fast täglich getanzt und gefeiert wird. Das Etablissement mit dem großen Tanzsaal im Erdgeschoss und einem 120 Quadratmeter großen imposanten Spiegelsaal fand schnell sein Publikum. Der Maler Heinrich Zille gehörte zu den Stammgästen, er saß oft zeichnend an der Theke. Oder sein Künstlerkollege Otto Dix, der das Ballhaus-Plakat entwarf, das immer noch Verwendung findet. Nachdem Fritz Bühler 1929 das Zeitliche segnete, übernahm seine unerschrockene Witwe Clara, die sich später noch zwei weitere Male verheiraten sollte, das Regiment und führte das Ballhaus unter ihrem Namen weiter. Nach den Weltkriegen gab es einen deutlichen Frauen-Überschuss – Clärchen veranstaltete Witwenbälle und es wurde weitergetanzt. Auch zu DDR-Zeiten. Das Ballhaus galt als Treffpunkt unterschiedlichster Menschen aus Ost und West, was natürlich nicht unbeobachtet blieb. Weil davon auszugehen war, dass ein harmloser Schwof durchaus zu einem höchst harmlosen Nachspiel führen konnte, erhielt dieser Ort von der Stasi angeblich den Beinamen »Tripperhöhle«.

Über Generationen blieb das Ballhaus ein Familienbetrieb – bis Ende 2004. Der neue Betreiber erweiterte das Programm und holte den bis dato als Lagerraum genutzten Spiegelsaal im ersten Stock zurück ins Leben. Ein Juwel, das für Veranstaltungen wie die feierlichen Sonntagskonzerte mit klassischer Musik genutzt wird. Ein Stockwerk tiefer frönt man sonntags von 15 bis 19 Uhr dem Tanztee. Überhaupt ist der Veranstaltungsplan prall gefüllt. So gibt es u. a. den Discodienstag (freier Eintritt), Swing-Abende, eine Tanzpartner/innen/vermittlung und unter der Woche diverse Kurse (z. B. Standard/Latein, West Coast Swing). Und sollten Sie mit dem Tanz so gar nichts am Hut haben, bleiben Ihnen sowohl das Restaurant wie auch die schönen Biergärten vor und neben dem Ballhaus. Bestellen Sie sich eine Molle, schauen Sie an Lichterketten, Bäumen und Blumen vorbei auf die graue, charmante Fassade. Stellen Sie sich vor, wie es hier vor hundert Jahren war und fallen Sie für einen Moment komplett aus der Zeit.

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TRAM 12 / M8 / M10 ODER BUS M8 PAPPELPLATZ, U8 ROSENTHALER PLATZ

Delikatessen aus der Region

VOM EINFACHEN DAS GUTE

INVALIDENSTRASSE 155

10115 BERLIN

TEL. 030 288 64 849

DI – SA 10–20

WWW.VOMEINFACHENDASGUTE.COM

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Renate Künast lernte ich 2009 als Gast meiner Radiosendung kennen. Als wir uns Jahre später für Dreharbeiten verabreden, schlägt sie vor, sich in der Invalidenstraße 155 zu treffen. »Kommen Sie hungrig.«

Ich warte vor einem kleinen Ladengeschäft mit einem Tisch und Stühlen auf dem Bürgersteig. »Vom Einfachen das Gute« steht auf dem Schaufenster, das prall und ansehnlich gefüllt ist mit saftigen Broten, Wein, Käse, Schinken und getrockneten Würsten, die an einer Schnur hängen. Die malerisch drapierte Zutaten erinnern mich an Zeichnungen in alten Märchenbüchern, wenn in einem Schloss ein Festmahl stattfand.

Da kommt sie mit dem Rad. Frau Künast geht hinein, hier kennt man sich. »Ach, hallo, nett, dass Sie mal wieder reinschauen.« »Ja, ich erwarte Besuch und möchte ein bisschen was einkaufen. Und ich habe jemanden mitgebracht.« Der Jemand bin ich, und das hier drinnen ist der Himmel. Der Mann hinterm Verkaufstresen lacht. »Womit wollen wir anfangen?« Frau Künast deutet auf einen hellen Käse. »Ah ja, Ziege, mild, mit Honig.« Wir dürfen probieren. Uns wird eine Wurstscheibe gereicht, dann duftendes Brot. Und Schinken, der vor lauter Zartheit in meinem Mund zerfällt. »Alles bio«, sagt Frau Künast. Was in diesem Kontext niemand jemals anzweifeln würde. »Probieren Sie mal. So eine Leberwurst gibt es eigentlich gar nicht mehr«, sagt sie.

Genau das war offenbar auch Ansporn und Anspruch der Betreiber, die den Laden 2013 eröffneten. Die beiden wollten sie finden und weitergeben: die guten Dinge, die unverfälschten, natürlichen, nach traditioneller Art zubereiteten Lebensmittel. 45 qm misst die Verkaufsfläche, viel Platz nimmt der Tresen ein, im hinteren Bereich steht noch ein großer Tisch mit Stühlen, in hohen Holzregalen stehen Öle, Weinflaschen und Gläser voller Köstlichkeiten.

Mit gefüllten Tüten (aus Papier selbstverständlich) verlassen wir den Laden. »Die machen hier auch kulinarische Abende, mit Weinverkostung und allem Pipapo. Das ist immer klasse.« Die Termine seien auf der Website zu finden. Wir gehen in den nahe gelegenen Weinbergspark und breiten auf der Wiese die Delikatessen für unser spontanes Picknick aus. Der Rasen ist feucht, aber als wir das bemerken, sitzen wir bereits. Die ehemalige Bundesministerin für Verbraucherschutz und Landwirtschaft, der artgerechte Tierhaltung, pestizidfreie Düngung und fairer Handel so sehr am Herzen liegen, schiebt sich zufrieden ein Stück Käse in den Mund. Frau Turbo, die Kämpferin und Überzeugungstäterin, sitzt in der Nachmittagssonne und genießt. Und sofort ist da etwas ganz Weiches, Mädchenhaftes in diesem Gesicht mit den wachen Augen. Steht ihr gut. Mann, ist das lecker.

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U6 STADTMITTE

Zurück in die Zukunft

MUSEUM FÜR KOMMUNIKATION

LEIPZIGER STRASSE 16

10117 BERLIN

TEL. 030 202 940

DI 9–20, MI – FR 9–17, SA – SO 10–18

WWW.MFK–BERLIN.DE

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Eines der bestgehüteten Geheimnisse innerhalb der Kommunikationsbranche lautet: Es hapert an der Kommunikation untereinander. Eigentlich ist das ja zum Umfallen komisch, wenn es nicht oft so ärgerlich und folgenschwer wäre. Gerne werden professionelle und persönliche Inhalte fehlerhaft, missverständlich oder überhaupt gar nicht weitergegeben. Was am Ende dabei herauskommt, ist nicht selten unvollständig und verzerrt. An dieser Stelle ein anerkennender Gruß an die Urheber des Spiels »Stille Post«: Ihr habt es immer schon gewusst.

Aber letztlich treffen die meisten Kommunikationsprobleme auf alle Teile der Gesellschaft zu. Es ist nicht nur die Vielzahl der täglichen Botschaften, die uns unaufmerksam werden lässt, es ist auch die Vielzahl der Kommunikationskanäle, auf denen uns diese Nachrichten erreichen und in denen wir uns verheddern. Apropos Verheddern: on top kommen ja noch die Klassiker der missverständlichen Kommunikation, die auf dem Nährboden jeder x-beliebigen Partnerschaft gedeihen wie ein froher Pilz im feuchten Moos: »Aber vorhin meintest du doch noch …«, »Wieso sagst du nicht, was du …«, »Hatten wir nicht besprochen, dass …«.

Vielleicht hilft es, zwischendurch mal kurz zu landen. Nicht umsonst feiern Begriffe wie Authentizität und Achtsamkeit gefeierte Comebacks, bis sie als Wandtattoo-Schriftzug auch im letzten Drogeriemarkt zu kaufen sind. Runterkommen könnte helfen, wie man das auch anstellen mag. Einfach mal ausstöpseln den ganzen Kram, alles, für zwei volle Tage (macht niemand), Schweigekloster (die wenigsten), Benachrichtigungen und Klingeltöne deaktivieren (sinnvoll, aber nicht für Feuerwehrleute, Polizisten, Hebammen, Mütter, Väter etc.). Oder man wählt die Konfrontationstherapie und begibt sich auf direktem Weg ins beeindruckende Museum für Kommunikation, das mit seinen Ausstellungsstücken, Erklärungen und Experimenten als Ort der Aufklärung fungiert, aber auch als Spielwiese gesehen werden kann. Wie lief es früher ab zwischen den Menschen, wer nutzte wann welche Kanäle? Postkutsche, Brieftaube, Flaschenpost, die Ur-ur-Ahnen der E-Mail. »Was ist das?« – »Das, mein Kind, ist ein Anrufbeantworter, haha, sieht aus wie ein Kassettenrecorder.« – »Was ist ein Kassettenrecorder?« – »Es gab kleine Häuschen, Mäuschen, in denen dicke Bücher hingen und ein Apparat mit einem Hörer (»Was ist ein Hörer?«), man musste Kleingeld in einen Schlitz werfen und konnte telefonieren. Nicht selten stand eine Schlange vor diesen gelben Kästen, die aussahen wie Duschkabinen, die Leute verdrehten die Augen und trampelten wütend mit den Füßen, wenn der Telefonierende Geld nachwarf.« Wie weit wir doch inzwischen davon entfernt sind. Oder zwei Dosen und ein gespanntes Band dazwischen – wer erinnert sich? Telegramme. Sendeschluss: ein buntes Bild, ein fieser Ton und aus die Maus. Um die Vergangenheit, die jeden Tag aufs Neue eben erst endete, kümmert sich eine umfassende Dauerausstellung, die von der Entwicklung kündet, die über Jahrzehnte peu à peu und ab Mitte des letzten Jahrhunderts plötzlich holterdiepolter vonstattenging. Es gibt aktuelle Sonderausstellungen, Veranstaltungen und Aktionstage. Es macht Spaß und auch ein bisschen demütig, sich mit dem Großen und Ganzen der Kommunikation zu beschäftigen. Und wer das alles nicht braucht, um seinen Kopf geradezurücken, der wird sich trotzdem unterhalten und informiert fühlen.

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S-/U-BAHNHOF POTSDAMER PLATZ, BUSSE M48 / M85 KULTURFORUM

Das geliebte Durcheinander

IMBISSBUDE AM KULTURFORUM

POTSDAMER STRASSE/KULTURFORUM

TÄGLICH AB 9.30

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Sehr geehrte Damen und Herren,

mit Begeisterung verfolge ich jede Episode Ihrer Vorher-Nachher-Show, in der Sie die Teilnehmer deutlich auf alles Unvorteilhafte und Unpassende hinweisen. Heute habe ich endlich selbst den Mut gefasst, Sie um Hilfe zu bitten. Bei mir handelt es sich gewissermaßen um einen Platz, ich heiße Kulturforum. Mit meiner Lage und Größe fühle ich mich wohl, es ist eher das Arrangement, die Komposition all meiner Gebäude, die für eine gewisse Irritation sorgen. Über die Architekten will ich mich gar nicht beschweren, so zeichnet beispielsweise Hans Scharoun für die Philharmonie verantwortlich und Mies van der Rohe entwarf meine Neue Nationalgalerie, alles gelungen, keine Frage. Die Gemäldegalerie, die Museen oder die Neue Staatsbibliothek – ich habe sie alle gern, aber sie wirken wie bestellt und nicht abgeholt. Oder die filigrane St.-Matthäus-Kirche, die ja seit 1844 hier steht, als einziger historischer Bau. Im Kreise ihrer modernen Nachbarn fühlt sie sich fehl am Platz, wie frisch aus dem 3-D-Drucker gespuckt. Dabei ist sie so hübsch. Tja, was sagt man so einer Kirche dann? Komm, wir haben doch schon ganz andere Zeiten überstanden. Warte erst mal ab, vielleicht magst du ja deinen neuen Nachbarn, ein »Museum der Moderne« für die Kunst des 20. Jahrhunderts, das wird doch bald gebaut. Auch noch! Verstehen Sie – das alles mag nicht recht zueinander finden. Mir gehen die Ideen aus, daher wende ich mich an Sie.

Armes, interessantes Kulturforum. Solange niemand diese riesigen Greifarme erfindet, mit denen Gebäude hochgehoben und an anderer Stelle neu positioniert werden können, wird es mit diesem eigenartigen Durcheinander leben müssen. Trotz oder wegen seiner Unaufgeräumtheit ist dies ein hoch inspirierender Ort, schließlich halten die einzelnen Einrichtungen dort, was sie versprechen. Ein Konzert in der Philharmonie? Einzigartig. Die Bilder in der Gemäldegalerie? Beeindruckend. Allein die Stimmung des Platzes ist speziell. Um damit warm zu werden, startet man am besten bei Ahmeds Imbiss, direkt neben der Neuen Nationalgalerie, die sich zurzeit im Umbau befindet. »Gibt’s hier leckere Panini, Currywurst, Pommes. Und mein Kaffee ist ganz richtig. Sehr guter Kaffee«, sagt er. Wen wolltest du hier schon immer mal bewirten, Ahmed? »Angela Merkel. Mit dem Auto ist sie schon vorbeigefahren, aber ausgestiegen nie.« Warum Angela Merkel? »Ich lieb sie. Sie ist bisschen … hm, ich weiß nicht, stark und so was.« Möglicherweise hält sie doch mal an, an einem milden Tag im Herbst. Die Bundeskanzlerin würde sich zwei Plastikstühle in die Abendsonne stellen, die Beine hochlegen, ins heiße Panini beißen und dann endlich auch mal eine Tasse von Ahmeds Bohnenkaffee trinken. Chaos hin oder her.

Kreuzberg

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U6 PLATZ DER LUFTBRÜCKE

Flaneure zieht’s zum Wasserfall

VIKTORIAPARK

KREUZBERGSTRASSE 15

10965 BERLIN

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Seit vielen Jahren moderiere ich eine Sendung auf Radio Eins, die »Hörbar Rust«, bei der Musiker, Autoren, Schauspieler und Politiker zu Gast sind, die prägnante Lieder aus ihrem Leben mitbringen. Jeder von uns verfügt schließlich über ein auditives Fotoalbum: meine erste Platte, der Song des ersten Kusses, die erste Wohnung, das Lied, mit dem man einen ganz besonderen Urlaub, ein Gipsbein oder einen neuen Job verbindet. Aber es sind ja nicht nur Lieder. Unsere Gehirne verteilen pausenlos kleine, bunte Stecknadeln auf unserem inneren Stadtplan: An dieser Ecke sind wir uns zum ersten Mal begegnet, in diesem Restaurant aß ich schlechte Muscheln, hier wurde mein Auto abgeschleppt, dort um die Ecke wollte ich mal einziehen. Natürlich ist mein Berlin voller Stecknadeln, und eine davon ist der Viktoriapark in Kreuzberg.