Die junge Gräfin – 5 – Allein im Schloss

Die junge Gräfin
– 5–

Allein im Schloss

… und eine zarte Romanze in Sicht?

Michaela Dornberg

Impressum:

Epub-Version © 2018 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-685-3

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Man konnte mit Arbeiten vertraut sein, in einer Aufgabe hineinwachsen, wenn man sie plötzlich alleinverantwortlich bewältigen sollte, bekam alles eine andere Dimension.

Diese Erfahrung musste auch Alexandra von Waldenburg machen. Seit sie wusste, dass ihre Eltern abreisen würden, hatte sie auf einmal das Gefühl, es nicht schaffen zu können. Wie sollte sie die Verantwortung für einen solchen Besitz allein tragen? Wenn sie nur einen Fehler machte? Wenn sie durch Fehlentscheidungen das gefährden würde, was sich seit so vielen Generationen im Familienbesitz befand?

Sie war verunsichert, nervös und konnte nachts nicht schlafen.

War es von ihrem Vater klug gewesen, sie als seine Nachfolgerin zu bestimmen?

War sie dazu nicht viel zu jung, zu unerfahren?

»Was ist los, mein Kind?«, erkundigte Benno von Waldenburg sich, der seine jüngste Tochter schon seit einer ganzen Weile beobachtete.

Alexandra zuckte zusammen.

»Entschuldige, Papa, was hast du gesagt?«

»Ich möchte gerne wissen, was mit dir los ist?«, wiederholte er seine Frage.

»Ich …, Papa, ich …, nun, ich habe Angst«, stammelte Alexandra, der diese Frage unangenehm war. Aber sie konnte ihrem Vater jetzt nichts vormachen.

»Angst? Wovor Angst?« Es war Benno von Waldenburg anzusehen, dass er mit einer solchen Antwort nicht gerechnet hatte. Sie war ihm unbegreiflich.

Es dauerte eine Weile, ehe Alexandra antwortete, weil sie nicht wusste, wie sie es ihrem Vater am besten begreiflich machen konnte. Es war ja nichts Konkretes, was sie so sehr beunruhigte, dass es sie um den Schlaf brachte.

»Papa, ich …, nun, wir haben uns ja schon mal darüber unterhalten, dass ich Angst davor habe, dieser Aufgabe nicht gerecht zu werden, weil die Fußstapfen, die du hinterlässt, einfach zu groß sind.«

Insgeheim atmete Benno von Waldenburg erleichtert auf.

»Und ich habe darauf gesagt, dass du in keine Fußstapfen treten, sondern deinen eigenen Weg finden sollst, mein Kind. Erinnerst du dich?«

Sie nickte heftig.

»Ja. Papa, ich erinnere mich … Es ist nur so, dass ich alles richtig machen möchte. Ich will Waldenburg nicht gegen die Wand fahren.«

»Alexandra, sage so etwas nicht im Zusammenhang mit Waldenburg«, sagte Benno. »Du bist bes­tens vorbereitet, du kennst dich aus. Du hast Verantwortungsgefühl. Es gibt im Wirtschaftsleben Höhen und Tiefen, man kann auch Fehler machen, die viel Geld kosten. Aber dieses gegen die Wand fahren von Unternehmen gilt nicht für seriöse Geschäftsleute, so etwas machen Hasardeure, denen es nicht auf den Erhalt von etwas ankommt. Die sind wie Heuschrecken, die über etwas herfallen, nur von Profitdenken beseelt sind, die abkassieren, Scherben zurücklassen und verschwinden, nachdem sie in irgendeiner Steueroase ein dickes Vermögen geparkt haben … Mein Kind, wenn mich etwas gut schlafen lässt, dann der Gedanke daran, dass bei dir alles in besten Händen ist, dass du die Geschicke der Waldenburg auf allerbeste Weise lenken und den Besitz für die nächste Generation wahren wirst.«

Alexandra wurde rot bei den lobenden Worten ihres Vaters, aber im Grunde genommen beruhigte sie das nicht, sondern es war für sie eine Aufforderung, sich noch mehr anzustrengen, noch mehr zu tun, um dieser Verantwortung gerecht zu werden, um ihre Eltern nicht zu enttäuschen.

»Danke, Papa«, sagte sie leise. »Aber … wie weiß ich denn, ob etwas richtig oder falsch ist …?«

»Wenn du vor der Entscheidung stehst, dann weißt du das«, versuchte Benno die Bedenken seiner Tochter zu zerstreuen. Er konnte sich sehr gut in sie hineinversetzen, denn schließlich stand er auch mal an diesem Punkt, als sein Vater ihm die Verantwortung übertragen hatte. »Wie gesagt, Alexandra, besser als du kann niemand vorbereitet sein, und du bist auch ein sehr intuitiver Mensch … Ich wiederhole mich auch mit den nächsten Worten, doch ich kann dir nur den Rat nochmals geben: Spring, du kannst nicht untergehen, weil du schwimmen kannst.«

Alexandra stand auf, ging zu ihrem Vater und umarmte ihn.

»Danke, Papa, danke, dass du an mich glaubst und dass du mir immer wieder Mut machst. Ich bin im Grunde genommen ja auch kein zögerlicher Mensch, aber die Herrschaft von Waldenburg zu übernehmen ist schließlich mehr als nur ein Spaziergang durch den Rosengarten.«

»Ich weiß, mein Kind, ich weiß«, sagte er und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Unabhängig davon, dass ich davon überzeugt bin, dass du alles richtig machen wirst, bin ich nicht aus der Welt. Wir bleiben doch ohnehin in Verbindung, und irgendwann werden Mama und ich auch wieder nach Waldenburg kommen, dafür lieben wir es doch viel zu sehr.«

Alexandra setzte sich wieder auf ihren Platz, am liebsten hätte sie ihrem Vater jetzt verraten, dass sie nichts mehr herbeisehnte als das.

Doch das würde vermutlich bei ihm auf wenig Verständnis stoßen und sie auch klein machen, und als Hasenfuß wollte sie vor ihrem Vater nicht erscheinen. Sie wollte, dass er stolz auf sie war.

»Papa, aber jetzt muss ich dich mal etwas fragen …, ich habe zufällig im Hotel in einer exklusiven Wohn- und Lebensartzeitschrift gelesen, dass viele Schlossherren, auch ohne Not, einfach nur um eine Zusatzeinnahme zu haben, ihre Schlösser zur Besichtigung freigeben, Gesellschaftsräume für Hochzeiten oder Veranstaltungen vermieten … Unser Ballsaal, der etwas Besonderes ist, an den sogar eine gut funktionierende Küche angeschlossen ist, wird kaum genutzt, zum letzten Mal seit langer Zeit an deinem sechzigsten Geburtstag – man könnte ihn vermieten, ohne das es für unsere Wohn- und Lebensqualität eine Beeinträchtigung gibt, weil da sogar ein separater Eingang vorhanden ist … Nun, wie siehst du das? Würdest du eine Vermietung in Erwägung ziehen? Oder schadet das dem Image der Waldenburgs?«

Benno von Waldenburg lächelte fein.

»Mein Kind, du bist die Herrin von Waldenburg …, entscheide du, wie fühlt es sich für dich an? Was bleibt unter dem Strich übrig? Lohnt sich dafür der Aufwand?«

Alexandra zuckte die Achseln.

»Papa, es ist nicht sehr hilfreich, was du mir dazu sagst. Es zu tun wäre schließlich das erste Mal, wenngleich es sich interessant angehört hat.«

»Alexandra, es ist immer das ers­te Mal, wenn man einen Weg verändert. Denk darüber nach, lass es sacken … Eines kann ich dir jetzt schon sagen, es gefällt mir, dass du nicht am Festgefahrenen, am Althergebrachten festhältst, sondern offen bist für Veränderungen. Das ist wichtig, man muss zwar immer sein Ziel vor Augen haben, es gibt jedoch niemals nur einen Weg, um dort hinzukommen … Wenn es dich tröstet, ich habe irgendwann auch schon mal darüber nachgedacht, für den Ballsaal einen anderen Verwendungszweck zu finden, es dann aber wieder aus den Augen verloren. Es war wohl nicht an der Zeit, aber wenn es jetzt im Trend liegt, Events in Adelshäusern zu feiern, warum nicht. Was ich allerdings nicht tun würde, das Schloss zur Besichtigung freizugeben. Das greift zu sehr in die Privatsphäre ein, und es sind ja leider in erster Linie nicht die kulturinteressierten Menschen, die zu solchen Besichtigungen gegen Entgelt kommen, sondern die Neugierigen, die Sensationstouristen. Ich kann verstehen, dass, um ein Schloss zu erhalten, den Unterhalt bestreiten zu können, der eine oder andere Besitzer seine Türen für Touristen öffnet. Zum Glück müssen wir das nicht tun, die Waldenburgs stehen gut da durch ihre verschiedenen geschäftlichen Aktivitäten. Zum Glück haben wir auch noch viel Land und die Wälder.«

Jetzt musste Alexandra lächeln.

»Papa, Wälder, unsere Geschäftsanteile sind lukrativ, aber unser Landbesitz? Das meiste hast du verpachtet, und das zu so moderaten Preisen, dass da unterm Strich nichts übrig bleibt.«

»Es wird aber sorgfältig bearbeitet von den Pächtern, das darfst du nicht vergessen, also, wenn ich dich um etwas bitten darf …, daran solltest du nichts verändern, nicht die Daumenschrauben anlegen, um ein paar Euro mehr herauszuholen, das kannst du an anderer Stelle leichter. Unabhängig davon, das es den Bauern hilft, zusätzliche Acker- und Weideflächen günstig zu bekommen, haben wir einen guten Ruf zu verlieren. Die Waldenburgs sind seit Generationen für ihre Großzügigkeit bekannt, für ihre … soziale Ader, sie hatten immer Vorbildfunktion. Daran soll sich nichts ändern.«

Alexandra winkte ab.

»Papa, nein, um Gottes willen, das sehe ich genau wie du, daran würde ich niemals rühren …, und du hast recht damit, dass man, was gut und richtig ist, beibehalten sollte, wie zum Beispiel das mit unseren Bauern, dass man ansonsten offen sein soll für neue Wege, dabei aber nicht in jede Richtung stapfen, sondern sich schön überlegen, welche die Beste sein könnte, um ans Ziel zu kommen.«

»Richtig, mein Kind. Doch da wir alle Menschen sind, ist es nicht auszuschließen, dass man hier und da doch in die falsche Richtung läuft. Das gehört zum Leben, niemand ist vollkommen, und niemand muss verzweifeln, wenn er einen Fehler macht, denn ein altes Sprichwort sagt, dass man aus Fehlern lernt.«

Ehe Alexandra antworten konnte, wurde die Tür geöffnet. Ihre Mutter kam herein.

Sie hatte sich zwar zurechtgemacht, weil sie niemand war, der sich vernachlässigte, aber ihr Gesichtsausdruck war müde, ihre Augen hatten ihren Glanz verloren.

Seelische Pein ließ sich eben nicht wegschminken. Elisabeth von Waldenburg litt entsetzlich unter dem Zerwürfnis mit ihrem Sohn Ingo, und diesen Schmerz konnten weder ihr liebender Ehemann noch ihre Tochter Alexandra mildern. Es war etwas, was Elisabeth innerlich fast zerriss.

»Störe ich?«, erkundigte sie sich mit leiser Stimme.

Benno stand auf, nahm seine zarte Frau liebevoll in die Arme.

»Aber du störst doch nie, mein Liebes. Aber wieso bist du hier? Du wolltest dich doch ein wenig ausruhen.«

Elisabeth lehnte sich an ihren Mann, der sie liebevoll und beschützend umfasst hielt.

»Ich find einfach keine Ruhe, sobald ich mich hinlege, fangen meine Gedanken an zu kreisen … Benno, warum tut der Junge uns das an? Fühlt er nicht, was er mit seiner Unerbittlichkeit, seiner Sturheit …, jetzt mit seinem Schweigen anrichtet? Dass nun überhaupt nichts mehr kommt ist schlimmer als vorher die Flut der Schriftsätze seiner Anwälte. Da wusste man wenigs­tens, woran man ist. Aber dass nun nichts mehr kommt, weder von Ingo noch von seinen Rechtsanwälten, das ist nicht zum Aushalten. Wer weiß denn, was die da jetzt ausbrüten? Zu welchem Schlag sie ausholen werden? Ach, Benno, vielleicht sollten wir doch nicht fahren, wir können Alexandra doch nicht mit diesem Scherbenhaufen allein zurücklassen.«

Benno von Waldenburg strich seiner Frau beruhigend über den schmalen Rücken.

Alexandra hatte Tränen in den Augen. Es war nicht mehr mit anzusehen, wie sehr ihre arme Mutter sich quälte, wie sehr sie unter dem Familienstreit litt, dem ersten bei den Waldenburgs. Das war ganz schrecklich, und noch schrecklicher war, dass es ausgerechnet am sechzigsten Geburtstag ihres Vaters begonnen hatte, an dem sie nicht nur zur Nachfolgerin bestimmt worden war, sondern, dass dabei ein Stein ins Rollen kam, der sich zu einer Lawine entwickelt hatte, die alles niederzureißen drohte. Wer hatte denn ahnen können, dass ausgerechnet an diesem Tag ein jahrzehntelang gehütetes Geheimnis ans Tageslicht kommen würde?

Zufällig hatte sie erfahren, dass Benno von Waldenburg nicht Ingos leiblicher Vater war, dass ihr geliebter großer Bruder einer früheren Verbindung ihrer Mutter entstammte, dass sie bereits schwanger gewesen war, als Benno sie geheiratet hatte.

Ingo war der Erstgeborene gewesen, und er wäre auch Nachfolger geworden, wenn nicht zutage gekommen wäre, dass er niemals die Absicht hatte, die Tradition fortzuführen, sondern dass er alles verkauft hätte.

Dass Ingo diese Tatsache durch seine Anwälte erfahren hat, war einzig und allein seine Schuld. Er hatte sich beharrlich geweigert, mit jemanden aus der Familie zu reden, und seine heißgeliebte Mutter hatte er vor der Tür stehen lassen.

»Mama, mach dir bitte keine Sorgen. Ich weiß, dass alles wieder gut wird, Ingo wird sich besinnen, und jetzt …, nun, jetzt kann nichts passieren. Es liegt in den Händen unserer Rechtsanwälte. Diese unangenehmen Schriftsätze, sollten denn noch welche kommen, werden nicht mehr hier landen, sondern direkt bei den Anwälten. Und, wer weiß, Mama, Ingos Schweigen kann doch auch durchaus bedeuten, dass er diesen unsinnigen Rechtsstreit nicht mehr fortführen wird, dass er jetzt einfach nur noch ein wenig in seinem Schmollwinkel sitzen möchte.«

Elisabeth seufzte abgrundtief auf.

»Mein Kind, dein Wort in Gottes Ohr … Du versuchst immer, in allem das Gute zu sehen. Und nach allem, was geschehen ist, versuchst du auch, Ingos Verhalten zu entschuldigen. Dabei gibt es keine Entschuldigung, er hat sich alles das zuzuschreiben, was da gelaufen ist.«