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Dean Koontz

Trixie

Ein Golden Retriever
verändert mein Leben

Aus dem Amerikanischen
von Miriam Mabée

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Amerikanische Originalausgabe:

2019 erstmals Deutsch im AMRA Verlag

Kontakt: Info@AmraVerlag.de

Herausgeber & Lektor

Michael Nagula

Einbandgestaltung

Guter Punkt

Layout & Satz

Birgit Letsch

Druck

CPI books GmbH

ISBN Printausgabe 978-3-95447-325-0

Copyright © 2009 by Dean Koontz

Alle Rechte der Verbreitung vorbehalten, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische, digitale oder vertonte Wiedergabe sowie des auszugsweisen Nachdrucks. Im Text enthaltene externe Links konnten vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss.

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Für Gerda,
die das Wunder und den Verlust mit mir teilte,
die weiß, dass der Schmerz deshalb so groß war,
weil die Freude zuvor noch viel größer war,
und die den Mut hatte,
das alles noch einmal zu erleben.
Du bist ein Segen für mich.

Hunde verbringen die meiste Zeit ihres Lebens
mit einem gelassenen Herzen.
Die Menschen wohnen meistens mit
einem verzweifelten Herzen gleich nebenan.
Hin und wieder wird es euch gut tun,
unter unserer Adresse zu wohnen.

Dean Koontz: 8 Schritte zum Glück
Trixies Ratgeber für ein glückliches Leben

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Inhalt

1Der unheimliche Augenblick, um den sich die ganze Geschichte dreht

2Das Leben vor Trixie

3Ahnungen, Abenteuer und Analdrüsen

4»Falls diese Hündin irgendetwas falsch macht, wird es nicht an ihr, sondern an euch liegen«

5Könnte sie reden, wäre sie eine Bühnenkomikerin

6Ihr großes Geschäft verrichtet sie auf Kommando, aber nicht an irgendeinem beliebigen Ort

7CNN, CCI, TV und TK

8Ich vermassele etwas, und Trixie nimmt die Schuld auf sich

9Hier gehöre ich hin

10Bitte steckt meinen geliebten Hund nicht in den Knast

11Dinge, die Krach machen

12Dinge, auf die man nachts stößt

13Ein Näschen für Unannehmlichkeiten

14Redefreiheit

15Wasser, Wunder und Trixie am Werk

16Zeit und Gedächtnis

17Hunde und der Tod

18Eine Ellbogenoperation und schwedische Fleischbällchen

19»Darf ich Ihnen eine wunderbare Wahrheit über Ihre Hündin offenbaren?«

20Doktor Tod und Doktor Berry

21Trixie als Kritikerin, Autorin und Unternehmerin

22Das Ende kommt immer zu schnell

23In meinem Ende ist mein Anfang

Bis ans Ende aller Tage

Über den Autor

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Der unheimliche Augenblick, um den sich die ganze Geschichte dreht

Der für diese Geschichte wesentliche unheimliche Moment tritt an einem Abend vor mehr als zehn Jahren ein.

Trixie, einen drei Jahre alten Golden Retriever, außergewöhnlich schön und wunderbar gebaut, haben wir im vergangenen September zu uns genommen. Sie ist jetzt seit mehr als drei Monaten bei meiner Frau Gerda und mir. Sie ist fröhlich, liebevoll, intelligent und hat bemerkenswert gute Manieren. Außerdem verfügt sie über mehr Selbstbeherrschung, als ich bei einem Hund jemals für möglich gehalten hätte. Schon jetzt – und unerwartet – hat sie mich in menschlicher Hinsicht und in meiner Eigenschaft als Schriftsteller verändert. Erst nach und nach werde ich begreifen, worin diese Veränderungen bestehen und wohin sie mich führen werden.

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Januar 1999.

Unser erstes Haus in Newport Beach, in der Nachbarschaft Harbor Ridge genannt, hat im ersten Stock einen ungewöhnlich langen Gang, eigentlich eine offene Empore, von der man auf die Diele im Erdgeschoss hinunterblicken kann. Da dieser Gang mit Teppichboden ausgekleidet ist und den Hundepfoten daher gute Bodenhaftung bietet, außerdem nichts Zerbrechliches an den Wänden steht, spiele ich dort oft mit Trixie, wenn das Wetter sich verschlechtert hat, und an kühlen Winterabenden, wenn die Sonne früh untergeht.

Anfangs warf ich einen Ball und manchmal ein Kong-Spielzeug den Gang entlang. Das Spielzeug war etwa fünfzehn Zentimeter lang, bestand aus Hartgummi und hatte in der Mitte eine knapp zweieinhalb Zentimeter breite Öffnung. Dort konnte man eine Mischung aus Erdnussbutter und Trockenfutter hineinstopfen und den Hund damit angeblich mindestens eine Stunde lang beschäftigen. Ich probierte es zweimal aus, doch Trixie schaffte es, die leckere Mischung innerhalb von fünf Minuten aus dem Kong herauszuklauben – weniger Zeit, als ich zur Zubereitung und zum Einfüllen der Mischung gebraucht hatte.

Eines Abends hüpfte das Gummispielzeug wild durch den Gang und krachte mit solcher Wucht in ein kleines Ölgemälde hinein, dass die Leinwand einen Riss bekam. Es war ein sehr altes Gemälde, das Gerda besonders gut gefiel.

Als sie den Schaden wenige Tage später bemerkte, legte ich sofort eine Beichte ab: »Das war der Hund!«

»Selbst wenn sich Trixie auf die Hinterbeine stellt und aufrichtet, ist sie nicht groß genug, um so etwas zu schaffen«, erwiderte Gerda.

Im Vertrauen auf meine unwiderlegbare Logik entgegnete ich: »Der Hund war auf dem Gang, als es passierte. Auch das Kong-Spielzeug war dort. Das Spielzeug gehört dem Hund. Der Hund wollte spielen. Wenn der Hund nicht so goldig wäre, hätte ich gar nicht mit ihm spielen wollen. Gang, Kong-Spielzeug, goldiger Hund, Spiel: Da musste das Gemälde zwangsläufig Schaden nehmen.«

»Du behauptest also, der Hund sei schuld, weil er so goldig ist.«

Ich konnte nicht zulassen, dass Gerda meine wohlüberlegte Stellungnahme so kleinlich auseinandernahm, und griff deshalb auf meine zusätzlich vorbereitete Erklärung zurück. »Außerdem mag es zwar sein, dass Trixie für so was nicht groß genug ist, aber sie weiß, wo wir den Tritthocker aufbewahren.«

Und da der Hund nun mal das Gemälde beschädigt hatte, konnten wir den Gummi-Kong bei späteren Spielen im Gang nicht mehr benutzen. Und ich durfte nun auch den Tennisball nicht mehr werfen, sondern nur noch den Gang entlang rollen.

Ich erklärte Trixie die neuen Regeln, wobei sie eine traurige Miene zog. »Ich erteile dir gerade eine wertvolle Lektion«, schloss ich meinen kleinen Vortrag. »Weißt du, sicher hättest du deinen guten Ruf nicht befleckt, wärst du sofort nach der Beschädigung des Bildes zu deinem Frauchen gelaufen und hättest die Verantwortung dafür übernommen.«

Den neuen Regeln entsprechend ließ ich den Tennisball jetzt stets mit einer schnellen Drehung meines Handgelenks losflitzen, damit er den Schwung bekam, durch den ganzen Gang zu rollen. Trixie hechtete hinterher und fing ihn entweder gegen Ende seiner Reise ein oder schnappte sich den Ball aus der Luft, wenn er vom Bein eines Wandtischchens abprallte und zu entkommen drohte. Prompt apportierte sie ihn, und ich schleuderte ihn unverzüglich wieder weg.

Nach zwanzig Minuten bebten ihren Flanken und sie ließ die Zunge heraushängen. Obwohl sie den Tennisball nach wie vor als unvergleichlich kostbaren Schatz betrachtete, war sie nun bereit, ihn mir für kurze Zeit anzuvertrauen.

Während wir, die Köpfe einander zugewandt, auf dem Fußboden lagen, hechelte Trixie und ich streichelte ihr üppiges goldenes Fell, damit sie verschnaufen konnte.

Von der ersten Woche an, in der Trixie in unser Leben trat, verbrachten wir fast jeden Tag eine Weile damit, uns zusammen auf den Boden zu legen. Ich fand das entspannend, und der Grund dafür liegt auf der Hand: Wenn man mit einem liebevollen Hund kuschelt, wirkt das stets beruhigend. Darüber hinaus empfand ich es aber auch als etwas sonderbar, denn sie sah mir so lange in die Augen, wie ich ihrem Blick begegnen wollte – zehn, zwanzig oder sogar dreißig Minuten lang. Und nur selten war sie es, die den Blick als Erste abwandte.

Dieses gemeinsame Kuscheln war sowohl Meditation als auch Kommunikation, auch wenn ich nicht erklären kann, was Trixie mir außer ihrer Liebe übermittelte. Aber ich kann sagen, dass ich in ihren Augen häufig die Sehnsucht erkannte, sich mir auf so komplexe Weise verständlich zu machen, wie es nur durch Sprache möglich ist.

Wenn ich Trixie in die Augen sah, schwieg ich manchmal, doch gelegentlich erzählte ich ihr auch von meinem Tag, von meinen Problemen, meinen Hoffnungen – was immer mir gerade einfiel. Hundeliebhaber kennen diese Art von Geplapper gut. Der Hund reagiert nicht darauf – und man erwartet es auch gar nicht von ihm –, hört jedoch neugierig zu. Hunde schwimmen durch das Meer der menschlichen Sprache, lauschen aufmerksam auf Wörter, die sie erkennen können, und bemühen sich geduldig, das zu deuten, was wir sagen, obwohl sie das meiste davon nicht begreifen und niemals begreifen werden. Kein Mensch würde eine solche Geduld aufbringen. Wenn man die vielen Kommandos berücksichtigt, denen zu gehorchen sie bei der Ausbildung zum Führungshund für Behinderte gelernt hatte, und darüber hinaus alles, was sie sich allein angeeignet hatte – beispielsweise erkannte sie Wörter wie Leckerli, Hühnchen, Gassi gehen, Ente, Hocker, Öl, Bild, kaputt und sogar Elektromagnetik – umfasste ihr Wortschatz mindestens hundert Wörter. Und im Laufe der Jahre verdoppelte er sich. Das machte mich nachdenklich …

Die Wahrnehmung, dass Wörter eine bestimmte Bedeutung haben, das Bestreben, sich diese Wörter zu merken, die Absicht, auf die Wörter, die man verstanden hat, mit entsprechendem Verhalten zu reagieren: Muss man aus all dem vielleicht schließen, dass der Hund sich auch gern durch Sprache mitteilen würde?

Da uns Trixie in den vorangegangenen vier Monaten große, durch nichts getrübte Freude bereitet und bei mir bereits positive Veränderungen bewirkt hatte, teilte ich ihr an jenem Januarabend mit: »Du bist nicht nur irgendein Hund. Mir kannst du nichts vormachen. Ich weiß, was du in Wirklichkeit bist.«

Als wollte sie etwas erwidern, hob sie den Kopf, zog sich ein wenig zurück und musterte mich, als wäre sie leicht besorgt. Golden Retriever haben bewegliche Stirnmuskeln, so dass ihr Gesicht über vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten verfügt. Nie zuvor hatte Trixie mir gegenüber auf diese Weise reagiert. Belustigt deutete ich ihre Miene als Oh, oh, jetzt ist meine Tarnung aufgeflogen. »In Wirklichkeit bist du ein Engel«, fuhr ich fort.

Zu meiner Verblüffung rappelte sie sich hoch, als hätte irgendetwas sie alarmiert, lief den Gang entlang, drehte sich um und starrte mich an. Sie spannte die Muskeln an, spreizte die Beine, um sich völlig im Gleichgewicht zu halten, hob den Kopf und stellte die Ohren so weit auf, wie es ein Golden Retriever überhaupt vermag. Sie schien abzuwarten, was ich als Nächstes sagen würde.

Nur selten verschlägt mir irgendetwas die Sprache. Doch bei Trixies Verhalten, das offenbar eine Reaktion auf meine Worte war, so als hätte sie jedes einzelne davon verstanden, stellten sich mir die Nackenhärchen auf. Ich war sprachlos.

Fasziniert kniete ich mich hin und fragte mich, was sie als Nächstes tun würde. Doch sie beobachtete mich nur weiterhin äußerst aufmerksam, während ich aufstand. Ein, zwei Minuten lang musterten wir einander aus einer Entfernung von etwa sechs Metern, so als gingen wir beide davon aus, dass nun irgendetwas Folgenreiches geschehen würde. Trixie wedelte nicht. Aber sie hatte den Schwanz auch nicht eingekniffen, was sie getan hätte, hätte sie in irgendeiner Weise Angst empfunden. Der Schwanz war buschig und rührte sich überhaupt nicht, als wäre die Hündin aus der Zeit herausgetreten, so dass sie nichts berühren oder ihr auch nur ein Härchen krümmen könnte – nichts, es sei denn, sie ließ es zu.

»Trixie?«, fragte ich schließlich. Daraufhin zog sie sich noch drei, vier Meter weiter zurück, drehte sich erneut zu mir um und sah mich mit derselben erwartungsvollen Haltung an wie zuvor. Dabei war Trixie keine Hündin, die Abgeschiedenheit oder sogar Distanz suchte. Je näher sie bei uns war, desto glücklicher kam sie uns vor. Wenn ich schrieb, schlich sie sich manchmal unter meinen Schreibtisch und rollte sich dort wie ein Fußpolster zusammen. Und wenn ich meine bestrumpften Füße auf ihr ruhen ließ, seufzte sie vor Vergnügen. Gerda gegenüber verhielt sich dieses fast dreißig Kilo schwere Geschöpf noch mehr als bei mir wie ein Schoßhündchen. Höchste Zufriedenheit empfand sie, wenn man sie in die Arme nahm.

Das war das erste und zugleich das letzte Mal, dass sie Distanz zu mir herstellen wollte. Während wir einander anstarrten, wurde mir klar, dass ich – unabhängig davon, was Trixies Verhalten besagen sollte, falls überhaupt irgendetwas – besser daran tat, diese Geschichte nicht weiterzuverfolgen, schon deshalb nicht, weil sie Trixie beunruhigte. Außerdem hatte ich es hier mit etwas nicht Fassbarem zu tun, und wenn man Unfassbares weiterverfolgt, führt es nur zu endlosem Frust und bringt nichts, außer den Kitzel einer Verfolgungsjagd.

Ich setzte mich im Gang auf den Fußboden, lehnte mich mit dem Rücken gegen die Wand, streckte die Beine aus und schloss die Augen. Mein Nacken prickelte noch ein Weilchen, doch als meine Nackenhärchen sich wieder gelegt hatten, kehrte Trixie zu mir zurück und schmiegte sich an meine Seite. Sie legte den Kopf in meinen Schoß und ließ es zu, dass ich sie sanft hinter den Ohren kraulte und ihr Gesicht streichelte.

Später erzählte ich Gerda von dem Vorfall, aber natürlich wurde sie genauso wenig wie ich daraus schlau. Beide haben wir keine paranoiden Züge, und wir suchen auch nicht Hellseher oder medial veranlagte Leute auf. Wir lesen nicht einmal unsere Tageshoroskope.

Ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit dem Schreiben von Erzählungen und Romanen und hätte wohl zahlreiche spannende Szenarien aus dieser einen unheimlichen Episode mit Trixie entwickeln können. Doch keines davon wäre so sonderbar wie das wirkliche Geschehen ausgefallen, hätte ich es ergründen können. Die Wahrheit ist stets sonderbarer als jede erfundene Geschichte. Wir gestalten diese Geschichten so, dass sie unserem Gefühl davon, wie die Dinge sein sollten, entsprechen, aber die Wahrheit können wir uns nicht zusammenzimmern. Die Wahrheit existiert einfach und hat die Fähigkeit, uns bis zum Niederknien zu verblüffen. Sie ruft uns nämlich ins Gedächtnis, dass das Universum nicht dazu da ist, unsere Erwartungen zu erfüllen. Da wir unvollkommene Geschöpfe sind, blind für die in Wahrheit überwältigende Komplexität der Welt, stutzen wir uns die Wirklichkeit auf fadenscheinige Theorien und Ideologien zurecht, die wir leicht begreifen können, und bezeichnen sie dann als wahr. Doch die Wahrheit eines unermesslich weiten Meeres verkörpert sich nicht in einem von der Flut angespülten Kieselstein.

Wenn wir einen Roman schreiben, ein neues politisches System ersinnen oder eine Theorie entwerfen, die beispielsweise die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns oder die Entwicklung des Universums erklären soll, sind wir lediglich Erfinder von Fantasiegebilden. Wir nehmen der Fülle der wirklichen Erzählung des Lebens ihre Farben und verpacken sie in eine blasse Geschichte, die wir besser begreifen können. Wir irren uns, wenn wir uns die nicht zu ergründende Komplexität nicht eingestehen. Und gefährlich wird dieser Irrtum dann, wenn wir behaupten, diese eine farblose Geschichte oder Geschichtensammlung entspreche der Wahrheit. Wir landen bei der Farblosigkeit, weil wir der beängstigenden Wahrheit in all ihren starken Farben und unendlichen Einzelheiten nicht ins Gesicht blicken möchten.

Ich werde niemals die Wahrheit über diesen unheimlichen Moment mit Trixie wissen. Ich weiß jedoch, dass wir sie durch alle Jahre hindurch geliebt und geschätzt haben und sie uns ständig so verblüffte, wie es auch die Wahrheit tut. Sie brachte uns jeden Tag zum Lachen – und manchmal weinten wir auch aus Sorge um sie. Sie wog nur rund dreißig Kilo und gelegentlich nannte ich sie Short Stuff. Sie lebte nicht einmal zwölf Jahre. In dieser großen Welt war sie ein kleines Lebewesen, aber in jeder Hinsicht, die zählt, einschließlich der Wirkung, die sie auf jene ausübte, die sie liebten, lebte sie ein bedeutsames Leben.

In jedem kleinen Leben können wir große Wahrheit und Schönheit erkennen, und in jedem kleinen Leben erhaschen wir einen Blick auf das Wesen aller Dinge im Universum. Wenn wir zulassen, uns von der Schönheit des Alltäglichen verzaubern zu lassen, beginnen wir zu begreifen, dass alle Gegebenheiten in Wirklichkeit außergewöhnlich sind. Wenn wir Demut gegenüber dem empfinden, was wir nicht wissen und auch nicht wissen können, erhöht uns diese Demut. Wenn wir uns das Rätsel und Wunder der Existenz eingestehen, gewinnt unser vernebelter Verstand Klarheit. Wenn wir klar denken, wird aus dem Staunen Ehrfurcht, und durch diese Ehrfurcht werden wir wahrer Weisheit so nahe kommen, wie es überhaupt möglich ist.

Trixie war arglos und fröhlich, manchmal aber auch rätselhaft und ernst. Von dieser guten Hündin habe ich genauso viel gelernt wie durch all meine Schuljahre.

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Das Leben vor Trixie

wir hatten nicht das Glück, stets in Newport Beach, Kalifornien, zu leben. Und ich war auch nicht schon immer so ein Mensch gewesen, der die Schuld für die Beschädigung eines Gemäldes seinem Hund gibt – vor allem deswegen nicht, weil ich vor Trixie keinen Hund hatte, dem ich die Schuld hätte zuschieben können.

Ich war in Bedford, Pennsylvania, aufgewachsen, wo ich mit meinen Eltern in einem engen Haus mit vier Zimmern gewohnt hatte. Das Haus hatte mein Großvater mütterlicherseits gebaut. Ich liebte Großpapa John, doch trotz seiner vielen Talente war er für eine berufliche Laufbahn im Wohnungsbau genauso wenig geeignet wie ich ungeeignet bin, eine Operation am offenen Herzen durchzuführen.

Im ständig feuchten Keller des Hauses waren in die kleinen Nischen zwischen den Deckenfugen zwei nackte Glühbirnchen eingebettet. Da es die einzigen Lichtquellen waren, herrschte hier unten stets nur trübes, schwaches Dämmerlicht, das die hinterhältigen Schwammkolonien in den Ecken keineswegs störte. Als Kind war ich fast davon überzeugt, dass der Schwamm geduldig auf eine Gelegenheit wartete, mir Übles anzutun, wenn ich einmal nicht auf der Hut war.

Nach meinem neunten Geburtstag wurde auch ich zur Versorgung der Befeuerungsanlage eingeteilt. Das eiserne Biest stand gegenüber der Tür zu dem Verschlag, in dem die Kohle lagerte. Morgens schüttelte ich den Feuerrost, damit die Kohlenschlacke und die Asche in den Sammelbehälter fielen, schaufelte durch die Hauptluke Kohle in den Ofen und zündete leicht brennbares Material an, damit die Kohle schneller Feuer fing. Wenn ich am kommenden Tag keine Schule hatte, häufte ich am Abend viel Kohle auf, damit sie bis zum Morgen durchbrannte und das Haus die ganze Nacht warm blieb.

Doch das stellte sich als Unsinn heraus, denn dieser Heizkessel war kein Umluftofen. Die Wärme stieg durch einen großen eisernen Rost ins Wohnzimmer hinauf und von dort aus so langsam nach oben, dass Wasser, wenn man es an bitterkalten Wintertagen über Nacht in einem Glas stehen ließ, morgens zu Eis gefroren war.

Bis zu meinem zwölften Lebensjahr hatten wir kein Badezimmer. Stattdessen war an einer Kellerwand ein Duschkopf oberhalb einer Rinne im Betonfußboden angebracht. Und um die Dusche und die Waschmaschine mit warmem Wasser zu versorgen, wurde das Wasser mit einem Petroleumbrenner erhitzt, den ein Pyromane entworfen haben musste. Ein großes Glasgefäß mit Brennflüssigkeit wurde zu diesem Zweck auf den Kopf gestellt, um Tropfen für Tropfen mithilfe der Schwerkraft einen Ring rings um einen Docht zu tränken. Es war eine verrückte Gerätschaft mit äußerst wackeligem Aufbau, und ich rechnete jederzeit damit, dass ein Feuerball durch das Haus schießen und uns in menschliche Fackeln verwandeln könnte.

Lebhafte Fantasie ist für einen Schriftsteller ein wahrer Segen, doch sie kann auch ein Fluch sein. Im Kohlenverschlag fragte ich mich manchmal, ob es diesmal passieren würde, dass meine Schaufel die bleiche Hand eines Leichnams zutage fördern würde, die bislang unter der Kohle verborgen gewesen war. Da mein Vater stets zur Gewalttätigkeit neigte, hatte ich ihn für die Rolle des Mörders vorgesehen.

Allerdings kann ich über den Keller zwei positive Dinge sagen: Erstens konnte man dort aus einem Hahn warmes Wasser beziehen, während man an der Küchenspüle nur kaltes Wasser bekam, das man von Hand aus einem Brunnen pumpen musste. Zweitens krochen im Keller zwar Spinnen herum, aber es gab dort nicht so viele achtbeinige Anschleicher wie auf dem Plumpsklosett im Anbau.

Als ich elf war, erhielt meine Mutter eine bescheidene Summe aus dem Nachlass meines verstorbenen Großvaters. Sie nutzte das Geld vor allem dazu, das Haus mit sanitären Installationen ausstatten zu lassen. Anstelle der Handpumpe an der Küchenspüle hatten wir nun ein kleines Badezimmer mit fließendem warmem und kaltem Wasser. Außerdem ließ sie die Teerpappe des Daches durch Asphaltschindeln ersetzen. Uns kam es so vor, als wären wir in einen Palast umgezogen. Schließlich hatten wir nun eine blitzblanke Keramiktoilette anstelle einer Holzbank mit einem Loch darin, unter der Spinnen lauerten.

Wir besaßen zwar nur wenig, doch ständig bestand für uns die Gefahr, auch dieses Wenige zu verlieren. Der Grund für unser ständiges Herumjonglieren mit dem Geld und die Drohung wirklicher Armut war die Überzeugung meines Vaters, es sei reine Verschwendung, seinen Arbeitslohn für die Begleichung von Rechnungen oder die Abzahlung der Haushypotheken zu verwenden. Schließlich könne er sein Geld beim Pokern oder Würfelspiel doch an einem einzigen Abend vervierfachen, meinte er. Falls ihn die Karten oder der Würfel im Stich ließen, suchte er Trost in irgendeiner Kneipe. Sobald er nämlich an der Theke eine Runde für die Kumpel ausgab, konnte er sich vormachen, der wohlhabende Mann zu sein, der er so gern gewesen wäre.

Wenn er nicht gerade in Bars oder bei Glücksspielen herumhing, arbeitete er. Im Laufe von fünfunddreißig Jahren brachte er es auf vierundvierzig verschiedene Jobs, viele davon im Verkauf, vor allem als Versicherungsagent. Mehr als einmal wurde er gefeuert, weil er seinen Chef zusammengeschlagen hatte (was der beruflichen Laufbahn bekanntlich niemals förderlich ist) oder auch einen Arbeitskollegen, der ihn beleidigt hatte. Manchmal kündigte er auch von sich aus, weil er sich nicht genügend gewürdigt fühlte, und vermutlich auch dann, wenn auf seiner gegenwärtigen Arbeitsstelle niemand war, den er gern verprügelt hätte – denn das machte den Arbeitstag langweilig.

Obwohl meine Mutter gertenschlank, hübsch und herzensgut war, stieg mein Vater anderen Frauen nach. Mindestens zwei von ihnen waren weibliche Ringer. In den 1950er Jahren waren Ringkämpferinnen ebenso rar gesät wie Banjospieler ohne Arme, und diese Frauen waren keineswegs die Bikini-Schönheiten, die sich während der 1970er Jahre wechselseitig in den Schlamm schleuderten. Mein Vater hatte Liebschaften mit Ringerinnen, die einen größeren Bizeps und tiefere Stimmen als er selbst besaßen.

Wenn bei uns nach Mitternacht das Telefon läutete, entpuppte sich der Anrufer stets als irgendein Barkeeper, der berichtete, mein Vater habe sich bis zur Bewusstlosigkeit betrunken und müsse aus der Bar geschafft werden, ehe sie schließe. Wenn die Bar nur wenige Kilometer von unserem Haus entfernt lag, zogen meine Mutter und ich zu Fuß los und verfrachteten meinen Vater in sein Auto. Einmal fragte eine an der Theke hockende Frau bei einer solchen Gelegenheit, ob meine Mutter sie auf der Rückfahrt zu Hause absetzen könne. Ihr Date habe sie im Stich gelassen. Die dralle Blondine hatte eine so straffe Dauerwellenfrisur, dass diese ein brauchbarer Stoßdämpfer gewesen wäre, hätte ihr jemand mit einem Vorschlaghammer eins über den Kopf gezogen. Und ich spürte, dass meine sanfte Mutter tatsächlich bedauerte, keinen Vorschlaghammer dabei zu haben.

Aber damals war ich noch zu jung, um mir zusammenzureimen, dass der Dating-Partner der Blondine sie nicht sitzengelassen hatte, sondern aus den Latschen gekippt und mein Vater war. Diese Erkenntnis erfolgte bei mir erst am folgenden Abend, während ich im Bett lag und hörte, wie sich meine Eltern im Erdgeschoss wegen der Blondine mit der Betondauerwelle stritten.

Aufgrund solcher nachmitternächtlichen Exkursionen zur Bergung meines Vaters und anderer demütigender Erlebnisse, die mit dessen Verhalten zu tun hatten, waren meine Kindheit und Jugend von Scham geprägt. Da die Schwächen meines Vaters weithin bekannt waren, zuckte ich jedes Mal zusammen, wenn man mich fragte, ob ich der Sohn von Ray Koontz sei. Statt direkt zu antworten, erwiderte ich dann, meine Mutter sei Florence Koontz, denn mit ihr verband niemand irgendetwas Peinliches.

Von dem Moment an, als mich zwei meiner Tanten in der Wiege erblickten, waren sie davon überzeugt, dass ich sicher genauso ein Nichtsnutz wie mein Vater werden würde. Wenn sie mich mit meinen sieben Jahren zufällig dabei erwischten, dass ich verträumt in der Sommersonne lag und faulenzte, bewölkten sich ihre Gesichter und sie erklärten feierlich: »Ganz der Vater!« – so als würden andere Siebenjährige bereits ihre ersten einhundert Dollar als Bedienung an einem Limonade-Stand verdienen oder in einem Pflegeheim als Freiwillige Bettpfannen leeren.

Das mangelnde Interesse meines Vaters an mir, seine Anfälle von Tobsucht und Gewalttätigkeit, wenn er getrunken hatte, seine Drohungen, sich – und uns – umzubringen, der Kummer und die Angst, die er meiner Mutter machte: Nichts davon setzte mir so zu wie die Scham, die meine Mutter und ich empfanden, weil er sich in aller Öffentlichkeit betrank, den Frauen nachstellte, oft ungeheuer angab und noch andere Dinge tat, die ihn zum Gegenstand von Klatsch und Gespött machten.

In meiner Highschool-Zeit war ich ein schüchterner, unsicherer Junge und kompensierte meine Minderwertigkeitskomplexe dadurch, dass ich schlagfertig war, Witze riss und den Klassenclown spielte. Meine Sprachfähigkeiten waren mir Schutz und Schild.

Nirgendwo in meinem damaligen Leben trat meine Schüchternheit so offen zutage wie im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Wenn ich ein Mädchen um ein Treffen bat und sie ablehnte, fragte ich grundsätzlich kein zweites Mal. Vielleicht tat ihr die Absage sogar aufrichtig leid. Es mochte sich sogar als wahr herausstellen, dass ihre Mutter im Krankenhaus lag, ihr Vater wegen einem doppelten Beinbruch bewegungsunfähig war und ihre geliebte Schwester im 23. Jahrhundert festsaß, nachdem sie an einem geheimen Zeitreise-Experiment der Regierung teilgenommen hatte. Aber ich ging in jedem einzelnen Fall davon aus, dass sie, wenn sie mich ansah, meinen Vater vor Augen haben musste und lieber ihre Haare angesengt hätte, als meine Einladung zum Schultanz auf Socken in der Turnhalle, gefolgt von Milkshakes im Dairy Queen, anzunehmen.

Doch dann tauchte in meinem Abschlussjahr in der Highschool Gerda Cerra auf. Schon vorher hatten mich bestimmte Mädchen angezogen, bezaubert und fasziniert, aber nie zuvor hatte mich jemand so verzückt und geradezu hingerissen. Eigentlich hielt ich es ja bei jedem, der nach 1890 geboren war, für unmöglich, von einem Menschen hingerissen zu sein. Gerda jedoch war zierlich, anmutig, schön und hatte eine so weiche Stimme, dass jedes Wort von ihr vertraulich und sogar romantisch wirkte. Sogar wenn sie sagte: »Dir hängt irgendetwas aus der Nase«, schlug mein Herz schneller. Und nicht zuletzt kam mir ihre unerschütterliche Gelassenheit nicht von dieser Welt vor.

Dass ich ihr so schüchtern, wie ich war, in meiner Verliebtheit ständig nachlief, und zwar von der ersten Verabredung in der zwölften Klasse bis zum Heiratsantrag, zeigt, welche Wirkung sie auf mich hatte – insbesondere wenn man bedenkt, dass sie mich vier Mal abwies. Zum ersten Mal geschah das, als sie hörte, an welchem Abend ich sie ins Kino ausführen wollte. Sie behauptete, an diesem Abend müsse sie in einer Reinigung arbeiten. Hätte bei meinen früheren Annäherungsversuchen ein Mädchen ein Treffen mit der Begründung abgelehnt, sie sei wegen ihres Gipskorsetts bewegungsunfähig, wäre ich selbst in einem solchen Fall davon ausgegangen, dass sie mich abstoßend finden müsse. Und danach wäre ich ihr aus dem Weg gegangen. Doch Gerda lud ich eine Woche später ein zweites Mal ein.

Diesmal teilte Gerda mir mit, an dem fraglichen Abend arbeite sie im Kino am Stand mit den Erfrischungsgetränken. Diese junge Frau maß entweder dem Wort »fleißig« eine völlig neue Bedeutung zu oder konnte sich nicht mehr daran erinnern, dass sie in der vorangegangenen Woche einen Job in einer Reinigung als Ausrede benutzt hatte.

Nachdem ich zwei Wochen gebraucht hatte, um erneut Mut zu fassen, bat ich sie erneut um ein Treffen. Diesmal erfuhr ich, sie habe für den fraglichen Abend einen Job als Babysitterin angenommen. Sie wirkte dabei durchaus ehrlich, aber schließlich hatte sogar Hitler glaubwürdig gewirkt, als er behauptete, er werde nicht in Polen einfallen – und wir wissen ja, wie das ausging. Da ich jedoch nicht glaubte, dass Gerda eine Invasion in Polen beabsichtigte, machte ich mir vor, immer noch eine Chance bei ihr zu haben, und nahm ihre Absage mit Anstand hin. Ich fürchtete allerdings, Gerda könne sich von mir belästigt, wenn nicht sogar in die Ecke gedrängt fühlen, so dass sie meine vierte Einladung wütend ablehnen würde. Deshalb grübelte ich wochenlang vor mich hin, ehe ich sie bat, mich zu einer Veranstaltung zu begleiten, an der sie sowieso teilnehmen musste. Jahr für Jahr hatte man sie zur Jahrgangssprecherin gewählt, deshalb lud ich sie zum Ball der elften Klassen ein.

Nun lehnte sie mit der Begründung ab, sie habe an diesem Abend zu tun. Soweit ich mich erinnere, erwiderte ich daraufhin in ernstem Ton (allerdings muss ich ehrlicherweise zugeben, dass es wohl eher wie ein wehleidiges Gejammer herauskam): »Aber du musst doch zu diesem Ball gehen. Es ist der Ball der elften Klassen, und du bist deren Jahrgangssprecherin!«

»Oh, natürlich gehe ich hin«, erklärte sie. »Aber anfangs habe ich damit zu tun, Eintrittskarten zu verkaufen. Danach habe ich eine Schicht beim Auflegen der Schallplatten übernommen, später verkaufe ich Getränke und am Schluss helfe ich beim Aufräumen der Turnhalle.«

Ich erklärte, diese vier Dinge zählten zu meinen Lieblingsbeschäftigungen bei einem Date. Nun blieb ihr kein Ausweg mehr, mich abzuwimmeln. Höchstens hätte sie mich mit ihrer Handtasche schlagen oder nach der Polizei rufen können. Doch sie lächelte und sagte nur: »In Ordnung.« Und wegen ihrer weichen Stimme klangen ihre Worte so, als hätte sie mir ewige Liebe geschworen. Da mir in diesem Augenblick auch nichts aus der Nase hing, kam ich mir so weltmännisch vor wie Cary Grant.

Irgendwann erfuhr ich, dass Gerdas Vater Bedfords Schuster war. Er war aus Italien in die Vereinigten Staaten eingewandert und hatte viele Anschauungen der Alten Welt bewahrt, einschließlich der Auffassung, dass Kinder, sobald sie das Teenageralter erreichen, arbeiten sollten. Gerda hatte tatsächlich Teilzeit-Jobs in einer Reinigung und im örtlichen Kino und ergänzte diese Einnahmen durch Babysitten. Schon mit dreizehn Jahren kaufte sie ihre Kleidung von eigenem Geld oder sie besorgte sich Stoffe, um sie selbst zu nähen, da sie gut schneidern konnte.

Bei unserer ersten Verabredung fanden wir zwischen dem Verkauf von Eintrittskarten, dem Auflegen von Schallplatten, dem Getränkeverkauf und dem Aufräumen der Turnhalle nur Zeit für einen einzigen Tanz, lachten aber viel miteinander. Doch nachdem ich sie bis zu ihrer Haustür begleitet und ihr Gute Nacht gewünscht hatte, fragte ich mich trotzdem voller Sorge, welchen Eindruck ich auf sie gemacht hatte. Ich dachte kurz daran, nach Hause zu eilen, um sie anzurufen und sie um eine regelrechte Bewertung unseres Treffens zu bitten, kam jedoch zu dem Schluss, dass ich sie damit, allzu sehr auf Selbstbestätigung aus, nur bedrängen würde.

Der folgende Tag, ein Sonntag, zog sich so unendlich lange hin, als hätte sich die Erdrotation dramatisch verlangsamt. Am Montagmorgen lag ich bereits vor Gerdas Schulspind auf der Lauer, als sie auf dem Gang vor ihrem Klassenzimmer auftauchte. Fast erwartete ich von ihr nur ein höfliches Hallo und ein völliges Übergehen des Schulballs, als könnte sie sich an nichts erinnern. Doch stattdessen verkündete sie, sie habe während unserer fünf gemeinsamen Stunden so viel lachen müssen, dass am Sonntagmorgen ihre Bauchmuskeln geschmerzt hätten. Ich war ja stets davon ausgegangen, dass Mädchen die Treffen mit mir als qualvoll empfinden müssten, aber Gerdas Muskelkater war für sie eine offensichtlich nicht unangenehme Qual. Und so setzten wir unsere Treffen fort und lachten viel miteinander. Schließlich bat ich sie, mich zu heiraten, und sie nahm meinen Antrag an.

Kurz nach Studienabschluss und nach unserer Heirat nahm ich die Arbeit in einem staatlichen Projekt zur Bekämpfung von Armut auf und war dort sieben Monate tätig – lange genug, um festzustellen, dass solche Programme nur diejenigen bereichern, die sie verwalten, doch ansonsten eher noch größere Armut bewirken. Außerdem führte die geringe Bezahlung dazu, dass sich meine Armut mehr als ein halbes Jahr fortsetzte.

Gerda hatte zwar Buchhaltung gelernt, kannte sich im Rechnungswesen aus und hatte ein paar Jahre in einer Bank gejobbt, konnte aber keine ihrer Ausbildung entsprechende Stelle in unserem winzigen Wohnort Saxton finden, der in den Appalachen lag. Ich unterrichtete dort sozial benachteiligte Kinder. Notgedrungen nahm Gerda einen Job als Akkordarbeiterin in einer Schuhfabrik an. An jedem Werktag bestieg sie um 4 Uhr früh einen Firmenbus, der sie mit einer Fahrtzeit von fünfundvierzig Minuten über die Berge zur Produktionsstätte brachte.

Als wir heirateten, besaßen wir nur ein paar hundert Dollar, einen Gebrauchtwagen und unsere Kleidung. Von den wenigen Häusern, die man in Saxton mieten konnte, war nur ein einziges vollständig mit Sanitäranlagen ausgestattet. Da ich die Lebensweise, in der Plumpsklo und Kellerdusche das Badezimmer ersetzt hatten, vor zehn Jahren zum Glück hinter mir gelassen hatte, wollte ich auf keinen Fall zu einem solchen Leben zurückkehren. Die Monatsmiete für unser Haus betrug fünfundsechzig Dollar – eigentlich mehr, als Gerda und ich uns leisten konnten. Aber wir knauserten bei anderen Ausgaben, um das Geld aufzubringen.

Das Haus war weder mit einem Kühlschrank noch mit einem Herd ausgestattet. Deshalb kauften wir einen gebrauchten Kühlschrank und eine einzige elektrische Kochplatte. Wir hatten kein Kochfeld und auch keinen Backofen, doch Gerda bereitete trotzdem wunderbare Mahlzeiten zu. Sie konnte auf der Platte sogar rösten, braten und backen, nur nicht Pasteten, da deren Füllung dann unten anbrannte, während die Oberseite lauwarm blieb. In finanzieller Hinsicht war das für uns ein prekäres Jahr, in dem wir beide viele Überstunden machten. Dennoch waren wir glücklich, weil wir zusammen waren.

Wir zogen schließlich von Saxton weg und in den Umkreis von Harrisburg. Dort unterrichtete ich achtzehn Monate lang Englisch in einer Highschool, bis Gerda mir ein Angebot machte, das unser beider Leben veränderte. In meiner Freizeit hatte ich mich als Schriftsteller versucht und ein paar Kurzgeschichten und zwei Romane in Taschenbuchformat an Verlage verkauft. »Du wärst doch gern ein Vollzeit-Autor«, sagte Gerda. »Also kündige deine Stelle als Lehrer. Ich werde uns fünf Jahre lang über Wasser halten. Wenn du es in fünf Jahren nicht schaffst, wirst du es niemals schaffen.« Manchmal behaupte ich, ich hätte versucht, meine Bewährungsfrist auf sieben Jahre auszudehnen, Gerda sei jedoch eine knallharte Verhandlungsführerin gewesen.

Nach all diesen Jahren empfinde ich Demut angesichts ihres Glaubens an mich und der Liebe, die ihr Angebot beflügelte. Wenn man unsere damalige Situation berücksichtigt – eine wackelige finanzielle Situation, begrenzte Zukunftsaussichten, mehr Ablehnungen als Annahmen von Manuskripten bei Verlagen –, wirkt Gerdas Vertrauen wirklich außergewöhnlich. Zwar hoffe ich, dass ich im Laufe der Jahre zu einem Mann geworden bin, der ihr dasselbe Angebot machen würde, wäre ich mathematisch begabt und Gerda sprachbegabt, doch Demut empfinde ich, weil ich in jener Zeit kein so guter Mann war. Da ich in Armut, gepaart mit psychischer und physischer Gewalttätigkeit, aufgewachsen war, stets beschämt durch die Eskapaden meines Vaters, wurde ich in meinen Zwanzigerjahren zu einem Mann, der fast so viel Selbstbestätigung brauchte wie ein Kind. Verzweifelt musste ich mich ständig selbst beweisen, und eine Folge davon war, dass ich in geschäftlicher Hinsicht viele falsche Entscheidungen traf. Ich war allzu sehr darauf aus, Menschen zu vertrauen, die mein Vertrauen nicht verdienten, glaubte offenkundig falschen Versprechungen und nahm schlechte Ratschläge an, wenn sie von Leuten kamen, die sich in der jeweiligen Angelegenheit auszukennen schienen – und zwar besonders dann, wenn diese Menschen mich durch Lob manipulierten. Gerda, die von jeher ausgezeichnete Menschenkenntnis besaß, merkte bei jedem Vorfall, an welchem Punkt ich auf Glatteis geriet, und versuchte vorsichtig, mich auf sicheres Gelände zu führen. Doch ich brauchte viel zu viele Jahre dafür zu erkennen, dass die einzige Akzeptanz, die (abgesehen von der Gottes) zählte, die meiner Frau war. Mein ganzes Erwachsenenleben hindurch ist Gerda für mich ein Leitstern geblieben.

Als einige von Gerdas und meinen Familienangehörigen sowie Bekannte von uns erfuhren, dass ich jetzt die ganze Zeit Geschichten und Romane schrieb, während Gerda den Schinken, die Eier und die Kartoffeln nach Hause brachte, betrachteten sie diese Entwicklung als Beweis dafür, dass ich genau wie mein Vater ein Nichtsnutz war. Sie bemitleideten Gerda – und mich provozierten sie gelegentlich.

Aus vielerlei Gründen konnten und wollten Gerda und ich nicht die Möglichkeit einräumen, dass ich scheitern könnte. Am Ende meiner fünf Bewährungsjahre kündigte Gerda ihre Arbeitsstelle, damit wir zusammenarbeiten konnten. Sie verwaltete unsere Finanzen, übernahm die Recherchen für meine Bücher und entlastete mich von all den Anforderungen des Alltags und Berufslebens, die mir die kreative Energie raubten und meine Finger von der Schreibmaschine fernhielten.

Inzwischen hatten wir ein beachtliches monatliches Einkommen, wenn wir auch kein Vermögen besaßen. Während der folgenden fünf Jahre wurde ich besser in dem, was ich schrieb, doch die handwerklichen und künstlerischen Verbesserungen fanden nur selten Niederschlag in höheren Honoraren.

Nach einem Frühling in Pennsylvania, in dem wir vierzig Tage lang keinen blauen Himmel gesehen hatten (sehr biblisch!), zogen wir nicht nur des besseren Wetters wegen nach Kalifornien um, sondern auch deswegen, weil ich dort vielleicht Drehbücher würde verfassen können. Bei meinen ersten Vorstößen in Hollywood empfand ich das Filmgeschäft jedoch als unbefriedigend und deprimierend. Uns war damals durchaus klar, dass Schriftsteller kommen und gehen und ich eher früher als später einer der Autoren sein würde, die weg vom Fenster und vergessen sind, falls meine Bücher sich nicht gut verkauften und nicht wesentlich zum Geschäftserfolg eines Verlages beitrugen.

Doch ab 1980 ging es aufwärts. Während ich das hier schreibe, 29 Jahre später, nähern sich die weltweiten Verkäufe meiner Bücher der Zahl von 400 Millionen Exemplaren. Die Kritiker sind größtenteils freundlich mit mir umgegangen, und die Leserinnen und Leser sogar noch freundlicher. Neben einer Leidenschaft für die englische Sprache und einer unverbrüchlichen Liebe zum Geschichtenerzählen setzte dieser Erfolg Durchhaltevermögen und unzählige Stunden harter Arbeit voraus. Mein Leben ist genau wie Gerdas Leben stets von harter Arbeit geprägt gewesen. Unser Arbeitspensum umfasst mindestens sechzig Stunden pro Woche, oft auch siebzig, und manchmal mehr.

Wenn das letzte Stündlein schlägt, verabschiedet man sich von dieser Welt, wie uns unser Glaube sagt, am besten ins Gebet versenkt oder in die von uns gewählte Arbeit vertieft. Gerda und ich haben ohne jeden Groll akzeptiert, dass der Menschheit seit der Vertreibung aus dem Paradies Arbeit auferlegt ist. Wenn man sie redlich und gewissenhaft verrichtet, bedeutet Arbeit Gehorsam gegenüber der göttlichen Ordnung und ist eine Form von Buße.

Während wir uns der Arbeit widmeten, sprachen wir viele Jahre lang darüber, uns einen Hund anzuschaffen. Selbst in den Zeiten, als wir sehr wenig Geld hatten, umgaben wir uns mit schönen Dingen – mit billigen Drucken anstelle von echten Ölgemälden, Pressglas anstelle von Glaskunst aus der Kristallerie Daum –, weil Schönheit die sorgenvolle Seele beruhigt und inspiriert. Ein Hund kann ein lebendes Kunstwerk sein, eine ständige Erinnerung an die wunderbare Gestaltung und die atemberaubenden Details der Natur: Schönheit auf vier Pfoten. Außerdem wurde uns von Jahr zu Jahr deutlicher bewusst, dass diese Welt ein höchst geheimnisvoller Ort ist.

Und nichts bestätigte uns das Wunder der Existenz deutlicher als das, was wir zwischen Hunden und behinderten Menschen in der Einrichtung Canine Companions for Independence (Begleitung durch Hunde für Unabhängigkeit) geschehen sahen. Dieses Zentrum bildet Hunde zu Begleitern und Helfern von Blinden und anderen behinderten Menschen aus.

Wenn man als Beschützer und Gefährte mit einem Hund zusammenlebt, ist das eine Möglichkeit, das Mysterium dieser Welt genauer zu erforschen – jedenfalls sehen Gerda und ich das so. Uns war klar, dass man Hunde nicht besonders liebt, wenn man sie vor allem draußen im Garten oder Hof hält. Hunde sind Rudeltiere, dazu geboren, innerhalb einer Familie zu leben. Deshalb verlangt ein Hund fast so viel Zeit von einem wie ein Kind. Wir zögerten, unsere Familie auf diese Weise zu erweitern – nicht nur wegen unseres straffen Arbeitspensums, sondern auch, weil wir nach mehr als dreißig Ehejahren einen bestimmten Lebensrhythmus hatten, der gut funktionierte, und befürchteten, dass ein Hund ihn vielleicht durcheinanderbringen würde.

Doch im September 1998 trat schließlich eine Hündin in unser Leben. Während der folgenden neun Jahre verblüffte und verwunderte sie uns häufig, stets machte sie uns Freude, und im Laufe der Zeit weckte sie in uns ein Gefühl für das Wunderbare, das uns unser ganzes restliches Leben lang begleiten wird. So wie jeder Mann und jede Frau nicht nur Geschlecht und Körper haben, sondern auch Lebewesen mit einem Geist sind (der in dieser oder jener Hinsicht kleinere oder größere negative Seiten aufweisen kann), besaß auch diese Hündin Geist. Und dieser Geist war so unverdorben und rein, wie es kein menschlicher Geist jemals sein kann. Von allen Einflüssen dieser Welt, die mich zu einem besseren Menschen gemacht haben, übte diese Hündin – gleich nach meiner Frau Gerda – den größten Einfluss auf mich aus. Und sie gab Gerda genauso viel wie mir.

Diese Hündin war so fröhlich, wie es Hunde ihrer Rasse nur sein können. Sie besaß alle Vorzüge ihrer Art und war so ohne Falsch wie fast alle Hunde. Aber sie war auch unheimlich intelligent und manchmal auf eine Weise, die einem Hund überhaupt nicht ähnlich sah, zu ernsthaftem Verhalten fähig. Dieses Verhalten entsprang nicht irgendeiner Laune, sondern war eine feierliche Ernsthaftigkeit, so als hätte sie in diesem oder jenem Augenblick eine wichtige Wahrheit entdeckt und wollte, dass man diese Wahrheit ebenfalls erkannte.

Gerda und ich waren nicht die Einzigen, die Zeugen dieses Verhaltens wurden. Und je mehr ich mir dessen bewusst wurde und auch Bemerkungen anderer Menschen dazu hörte, desto offener wurde ich für die Veränderungen, die diese besondere Hündin in mir auslösen sollte.

Nun war Trixie Teil unseres Lebens.

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Ahnungen, Abenteuer und Analdrüsen

Sie behielt ihren Namen, als sie zu uns kam: Trixie. Manchmal sagte ich scherzhaft, der Name klinge eher nach einer Stripperin als nach einem Hund. Man sagte uns, wir könnten den Namen ändern. Trixie könne man schnell beibringen, auf einen neuen Namen zu hören. Doch der Name mochte zwar eher nach einer Stripperin als nach einem Hund klingen, aber noch mehr klang er wie der Name einer Elfe oder Fee. Elfen und Feen sind zauberhafte Wesen, und das war auch Trixie.

Sie kam nicht als Welpe zu uns, sondern als eine hervorragend erzogene junge Dame von drei Jahren. Wegen einer Ellbogenoperation hatte sie sich vorzeitig von ihrer Laufbahn als Assistenzhund verabschieden müssen. Vorher hatte sie sich um eine schöne junge Frau namens Jenna gekümmert, die bei einem Verkehrsunfall beide Beine verloren hatte. Trixie hatte ihren Dienst bei Jenna zu der Zeit aufgenommen, als Jenna im Abschlussjahr ihres Studiums ein Lehrpraktikum an einer Grundschule absolvieren musste. Im Klassenzimmer hatte sie großen Eindruck auf die Schülerinnen und Schüler gemacht.

Seit 1990 unterstützen Gerda und ich das Southwest Chapter of Canine Companions for Independence (Südwest-Niederlassung der Hundebegleitung für Unabhängigkeit). Diese bemerkenswerte Einrichtung zieht Assistenzhunde auf und trainiert sie für vier unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten.

Einen Hund in einem »Service Team« bringt man mit einem körperlich behinderten Jugendlichen oder Erwachsenen zusammen. Das kann zum Beispiel ein querschnittgelähmter Mensch sein oder jemand, dessen Lähmung sich auf alle vier Gliedmaßen erstreckt. Der Hund übernimmt dann solche Aufgaben wie den Fahrstuhl zu holen, Türen zu öffnen, heruntergefallene Gegenstände zu apportieren, die jemand, der im Rollstuhl sitzt, nicht erreichen kann. Manche Erwachsene, die nicht allein leben konnten, bevor sie einen Assistenzhund erhielten, erlangten dadurch Unabhängigkeit. Kinder im Rollstuhl gewinnen Selbstvertrauen – und einen neuen besten Freund.

In einem »Skilled Companion Team« (Team aus hochbegabten Gefährten) unterstützen diese Hunde ein Kind oder einen Erwachsenen, wenn dieser Mensch in seiner Entwicklung oder körperlich behindert ist. Oft wird dabei auch die Person einbezogen, die am meisten für den Behinderten oder die Behinderte sorgt. Meistens ist das ein Elternteil. Der Hund hilft bei vielen Aufgaben, aber in erster Linie ist er der Gefährte der Behinderten und baut eine liebevolle Beziehung zu ihnen auf. Solche Hunde können bei einem autistischen Kind oder einem Kind mit einem Katzenschreisyndrom (CDC-Syndrom) geradezu Wunder bewirken.

In einem »Hearing Team« (Hör-Team) macht der Hund seinen tauben oder schwerhörigen Gefährten auf das Klingeln des Weckers, Rauchalarm, die Türglocke und andere Geräusche aufmerksam.