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Über dieses Buch:

Jessie ist Mitte 30, erfolgreich geschieden und vergnügte Mutter einer Tochter. Natürlich wäre es schön, einen Partner zu haben, aber Jessie weiß: Kerle machen nichts als Ärger! So wie der Typ, für den ihre Auszubildende gerade schwärmt – dieser Matthias scheint ein richtiger Macho-Arsch zu sein. Zu gerne würde Jessie ihm einmal ordentlich die Meinung sagen …

Matthias hat es sich mit Pizzaservice und kaltem Bier in seinem Single-Leben gemütlich gemacht. Zugegeben, für die richtige Frau würde er es mit fliegenden Fahnen aufgeben– aber die ist schwer zu finden. Der knackige Feger, den er gerade kennengelernt hat, ist jedenfalls viel zu jung für ihn. Noch dazu hat sie diese Chefin, die ein echtes Biest zu sein scheint – und ihn aus unerfindlichen Gründen auf dem Kieker zu haben scheint …

Kleine Missverständnisse und das große Glück, das dort lauert, wo man es am wenigsten erwartet: Tanja und Andreas Schmidt erzählen ihren schwungvollen Roman sowohl aus der weiblichen als auch der männlichen Perspektive, vom ersten Blickkontakt bis zum letzten Streit … oder vielleicht doch bis zum Happy End?

Über die Autoren:

Tanja Schmidt, Jahrgang 1976, ist glücklich verheiratet mit ihrer Grundschul-Liebe und dreifache Mutter. Unter dem Pseudonym Jaden Tanner veröffentlichte sie bereits mehrere Kurzromane. Ihre Passion sind neben dem Schreiben die Musik, Brettspiele und chaotische Menschen mit Grips.

Andreas Schmidt, geboren 1969 in Wuppertal, begann als Redakteur der Schülerzeitung schon früh mit dem Schreiben. Später arbeitete er als Journalist für zahlreiche Zeitungen und andere Medien, bevor er begann, sich ganz der mörderischen Unterhaltung zu widmen: »Ich liebe den Krimi, weil er so facettenreich ist!«

Bei dotbooks veröffentlichte Andreas Schmidt seine Trilogie rund um das Wuppertaler Ermittlerduo Seiler und Göbel (»Todeszug«, »Todeswasser«, »Todesschnitt«) sowie die Kriminalromane »Der Kopf des Toten« und »Tod mit Meerblick«, die den Leser in den Westerwald und an die Nordsee entführen.

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Originalausgabe April 2019

Copyright © der Originalausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Luria, nadiia, Milan M, Valeriya_Dor und Vertyr

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96148-382-2

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Tanja Schmidt & Andreas Schmidt

Chaos schützt vor Liebe nicht

Roman

dotbooks.

Inhalt

1. Kapitel: Sie

2. Kapitel: Er

3. Kapitel: Sie

4. Kapitel: Er

5. Kapitel: Sie

6. Kapitel: Er

7. Kapitel: Sie

8. Kapitel: Er

9. Kapitel: Sie

10. Kapitel: Er

11. Kapitel: Sie

12. Kapitel: Er

13. Kapitel: Sie

14. Kapitel: Er

15. Kapitel: Sie

16. Kapitel: Er

17. Kapitel: Sie

18. Kapitel: Er

19. Kapitel: Sie

20. Kapitel: Er

21. Kapitel: Sie

22. Kapitel: Er

23. Kapitel: Sie

24. Kapitel: Er

25. Kapitel: Sie

26. Kapitel: Er

27. Kapitel: Sie

28. Kapitel: Er

29. Kapitel: Sie

30. Kapitel: Er

31. Kapitel: Sie

32. Kapitel: Er

33. Kapitel: Sie

34. Kapitel: Er

35. Kapitel: Sie

36. Kapitel: Er

37. Kapitel: Sie

38. Kapitel: Er

39. Kapitel: Sie

40. Kapitel: Er

41. Kapitel: Sie

42. Kapitel: Er

43. Kapitel: Sie

44. Kapitel: Er

45. Kapitel: Sie

46. Kapitel: Er

Lesetipps

1. Kapitel: Sie

Cha|os, das; - , nur Ez.; (griech.) wüstes Durcheinander, Auflösung aller Ordnung

Das Rasseln des Weckers wird lauter und malträtiert meinen vom Wein benebelten Schädel. Ich schlage die Augen auf. »Ach du Scheiße!« Mein Blick fällt auf den kleinen Reisewecker auf dem Nachttisch. »Verdammt, verdammt, verdammt!« Wie von der Tarantel gestochen stoße ich die Decke fort und springe aus dem Bett. Ich zwinge mich zur Ruhe.

Okay, erst mal sammeln, Jessie! Überlegen, dann handeln!

Sekundenlang halte ich den Atem an – unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Ganz ruhig ... Das sagt sich so leicht!

Wenn ich eins hasse, dann ist es Unpünktlichkeit. Das glaubt mir zwar keiner, weil ich mich eigentlich ständig verspäte, aber dass ich immer, absolut immer, den festen Vorsatz habe, pünktlich zu sein, und einzig und allein aufgrund widriger Umstände zu spät komme, interessiert niemanden.

Barfuß marschiere ich ins Bad und betrachte mich im Spiegel. Grüne Augen, rotblonde Haare im »Just out of bed«-Look und ziemlich dunkle Ringe unter den Augen. Ich war einfach nervös gestern und habe mich mit reichlich Wein beruhigt. Montag ist mein Scheidungstermin. Dann heißt es: jung, weiblich und Single! Das muntert mich ein wenig auf. Okay, erst mal frisch machen ...

Mit der Zahnbürste im Mund sprinte ich in die Küche und schmeiße den Kaffeeautomaten an, dann zurück ins Bad. Ein paar Tropfen kaltes Wasser müssen heute reichen. Ich schlüpfe in die Sachen von gestern, denn die liegen, so wie ich sie am Abend ausgezogen habe, auf dem Fußboden vor dem Bett. Schnell in die Schuhe und los. Ein Feuerwehrmann würde vor Neid erblassen.

Wo ist mein zweiter Schuh?

Mit nur einem Schuh hüpfe ich auf einem Bein durch die Wohnung und suche verzweifelt nach meinen Autoschlüsseln. Wäre der Feuerwehrmann jetzt immer noch neidisch? Wohl kaum, denn in genau fünfzehn Minuten kommt der Zug an. Der Zug, mit dem meine Tochter Sarah und ihre Oma aus dem Urlaub kommen.

Doch der Schlüssel ist wie vom Erdboden verschluckt. »Er muss doch hier irgendwo sein!« Akribisch lüfte ich jedes Sofakissen, die Tischdecken, schaue unter der Kommode nach, unter dem Bett ... nichts. Wieder gleitet mein Blick zur Uhr an der Wand. Noch zehn Minuten ...

Im Bad, unter der Heizung, finde ich zumindest schon mal meinen zweiten Schuh. Ich hetze wieder in die Küche, schnappe mir die Kaffeetasse und drehe mich zum Kühlschrank, um mir einen Schuss Milch zu genehmigen. Als ich die Tür öffne, klimpert etwas und mir fällt ein Schlüsselbund vor die Füße. Ein Blick nach unten. »Wie zum Henker ...? Egal!« Ich hebe den Schlüssel auf, trinke gierig einen Schluck und hoffe auf eine rasche Wirkung des Koffeins. Prompt vergesse ich vor lauter Staunen über den Kühlschrankfund die Milch und verbrenne mir die Zunge an dem schwarzen, wirklich verdammt heißen Kaffee.

»Was hab ich getan?«, brülle ich in die Stille meiner Wohnung. Dann wieder ein Blick zur Uhr. Noch fünf Minuten ...

Für ein Frühstück bleibt keine Zeit. Aber mein Magen knurrt. Es war eine viel zu kurze Nacht. Ich hatte Herrenbesuch. Ich erinnere mich an den netten jungen Mann vom Pizzadienst. Hat der gestern nicht eine dieser wundervollen flachen Schachteln gebracht? Und ich erinnere mich daran, dass ich die Pizza nicht geschafft habe. Demzufolge muss noch ein Rest da sein. Ich erblicke den Karton auf der Arbeitsplatte und klappe ihn auf. Die Zeremonie gleicht trotz meiner Eile dem feierlichen Öffnen einer Schatztruhe. Ein Ritual. Wie das duftet! Tatsächlich, noch zwei Dreiecke lachen mich an. Kalt ... hmm ... ich liebe kalte Pizza zum Frühstück.

Meine Laune bessert sich schlagartig, während ich kaue. Dann droht mich die Zeit zu überholen. Hastig stelle ich die Tasse auf die Arbeitsplatte und stürze aus der Wohnungstür.

Als ich schon fast aus dem Haus bin, höre ich meinen Nachbarn gedehnt und laut hinter mir herrufen. »Frau Wooolferts?«

»Jetzt nicht!«, brülle ich durch das Treppenhaus nach oben.

Atemlos komme ich bei meinem Wagen an, der drei Häuserblocks weiter steht. Natürlich habe ich gestern keinen Parkplatz vor dem Haus bekommen. Trotz Restalkohol, so fürchte ich, erreiche ich nach siebeneinhalb Minuten Fahrt den Bahnhof.

Gut, mit fünf Minuten Verspätung kann ich leben ... Kann Mutter auch damit leben? Ich weiß es nicht und will es jetzt auch noch gar nicht wissen. Ich parke den alten Kadett im Halteverbot und hechte in die Eingangshalle des Bahnhofs. Die hier herrschende Hektik erschlägt mich förmlich. Es ist noch keiner von beiden zu sehen. Vielleicht hab ich sogar Glück, und der Zug ist noch gar nicht da. Ein Werbeslogan der Deutschen Bahn geistert mir im Kopf herum: »Die Bahn kommt.«

Ja, ja, fragt sich nur, wann, füge ich im Stillen hinzu und muss lachen. Mit einer Art Röntgenblick suche ich wieder und wieder die Halle ab. Von meiner Ma und meiner Tochter weit und breit keine Spur. Ha, triumphiere ich. Bin wohl doch zu früh! Ein siegessicheres Lächeln auf den Lippen, ziehe ich mein Handy aus der Tasche.

Gerade habe ich die Handynummer eingetippt, da höre ich von Weitem Sarahs Stimme. »Maaaamaaa, da bist du ja endlich!«

Oha! Meine Mutter sieht überhaupt nicht erfreut aus.

Ich bringe trotzdem eine fröhliche Miene zustande und laufe ihnen entgegen. Schnellen Schrittes habe ich meine Lieben erreicht und drücke meine Kleine fest an mich.

»Hattet ihr eine angenehme Fahrt?«, frage ich eher aus Anstand, während ich auch meiner Ma einen Kuss aufdrücke und ihr das Gepäck abnehme. Sie sieht mich nur an, in einer Mischung aus Mitleid und Wut, sagt aber kein Wort. Dafür plappert Sarah munter drauflos. »Wir waren in einer Burger-Bude und haben auf dich gewartet. Guck, was Omi mir gekauft hat und – auf dem Bauernhof bei Tante Bärbel gab es total viele Fliegen, die waren eklig, und da gab es sogar ’ne Kuh, die hieß so wie du, Mama, gaaanz genauso und dahaann ...« Sie holt keine Luft, und ich fürchte, dass sie gleich blau anläuft und wir einen Notarzt brauchen.

»Hey, Hase, was hältst du davon, wenn ich uns gleich ’nen großen Kakao mache und du mir alles in Ruhe erzählst, hm?«

Sarah nickt etwas enttäuscht.

»Hast du heute schon mal in den Spiegel geschaut?«, meldet sich nun auch endlich meine Mutter zu Wort. »Wir warten hier seit fast zwei Stunden, was ist bloß los mit dir, und warum gehst du nicht ans Telefon?«

»Es hat nicht geklingelt ... Und ich bin doch nur fünf Minuten ...«

»Kind, ich habe dich gestern Abend noch angerufen und dir gesagt, dass wir einen Zug früher nehmen.« Jetzt seufzt sie einen langen ›Was soll bloß aus dir werden?‹-Seufzer.

»Es tut mir leid«, murmle ich kleinlaut.

Sie reicht mir ein Taschentuch. Mit einem Kopfnicken deutet sie auf die Schaufensterscheibe eines Blumenladens, in dem Spiegel zur Deko hängen. Ich trete an das Fenster und entdecke es sofort. Zahnpastareste ... Und nicht nur das, meine Haare sehen aus, als hätte jemand vergangene Nacht darin Silvesterknaller angezündet, und unter meinen Augen liegen schwarze Striche. Das war wohl mal Wimperntusche. Am liebsten würde ich im Erdboden versinken. Schnell spucke ich in das Taschentuch und versuche, das Debakel einigermaßen aus der Welt respektive aus meinem Gesicht zu schaffen. Während ich mir eilig mit den Fingern durch das Haar fahre, in dem Vorsatz, es nicht mehr ganz wie ein Nest aussehen zu lassen, wundere ich mich darüber, dass Sarah überhaupt nichts über mein Aussehen gesagt hat. Sicher wollte sie nicht taktlos sein. Prima Mädchen!

Gut, das mit den Haaren wird wohl nichts mehr ... »Wollen wir los?« Ich wende mich hilfesuchend meiner Mutter zu.

»Besser wär’s wohl, was?« Jetzt grinst sie.

Ich fasse es nicht. Lacht sie mich etwa aus?

Nachdem ich das Gepäck im Wagen verstaut und Sarah auf den Rücksitz verfrachtet habe, entdecke ich an der Windschutzscheibe den Zettel. »Haben Politessen eigentlich nie frei?«, brumme ich nur, während ich das Papier vom Scheibenwischer greife, es zerknülle und in den Fußraum vor dem Beifahrersitz werfe. Ma rutscht indes ziemlich unbeholfen in den Schalensitz und sucht nach dem Sicherheitsgurt. Ich helfe ihr, die knallroten Hosenträgergurte anzulegen. Sie erinnert mich an einen Gorilla auf der Achterbahn, und ich muss schmunzeln.

Meine Mutter findet das alles gar nicht lustig und lässt es sich nicht nehmen, die Schalensitze zu kritisieren. »Kind, du wirst auch nicht jünger. Meinst du nicht, so langsam solltest du mal erwachsen werden?«

»Natürlich, Mama.« Ich nicke und lasse mich auf den Sitz neben ihr gleiten. Zu meiner Verwunderung springt der Wagen sofort an.

Sarah plappert unaufhörlich von der Rückbank auf mich ein. Ein-, zweimal versuche ich, sie zu unterbrechen. Vergebens. Ich werde sie nachher noch einmal ausführlich zu ihrem Urlaub befragen müssen. Während der Autofahrt kann ich mich einfach nicht auf ihr Geplauder konzentrieren. Ma scheint die Fahrt trotz Schalensitz zu gefallen. Sie betrachtet zufrieden die Welt und kommt plötzlich auf die Idee, einen Kaffee bei uns zu trinken. Hat sie das jetzt wirklich gesagt? Sie will mit in unsere Wohnung? In die Wohnung? Dabei habe ich doch gestern so etwas wie meine vorletzte Nacht als offizielle Ehefrau gefeiert, und das mit reichlich Wein.

»Oder stört es dich?«

»Nein«, sage ich schnell und lächle etwas verkrampft. Sie soll bloß nicht denken, ich hätte vor ihr etwas zu verbergen.

Wir finden einen Parkplatz fast vor der Haustür. Ich schleppe Sarahs kunterbunten Koffer mit den Pferdebildern die Treppe hoch, während sie mal wieder ohne Luft zu holen redet.

Im Flur begegnen wir Herrn Piepenbrink. »Frau Wolferts, haben Sie eigentlich schon den Hausflur gewischt?«, fragt er, den Kopf durch die Tür gesteckt. Piepenbrink ist Rentner und Witwer. Er leidet, aber das würde er nie zugeben. Und so sucht er krampfhaft den Kontakt zu seinen Nachbarn. Nicht immer, um sich damit beliebt zu machen.

»Ja, hab ich. Vor drei Tagen schon!«

»Dann ist es ja gut, ich hatte mich nur über den ganzen Sand in den Ecken gewundert. Wir putzen ja auch normalerweise immer samstags und ...« Plötzlich bemerkt er meine Mutter und bekommt einen verklärten Blick. »Oh ... Hallo, Frau Wolferts. Sie waren aber schon lange nicht mehr hier, gut sehen Sie aus ...«

Igitt, wie ekelig. Jetzt schleimt er auch noch meine Mutter an. Sarah bleibt stehen und streckt mir als Zeichen ihres Abscheus die Zunge heraus. Ich nicke und zucke mit den Schultern.

Meine Mutter schwebt auf Wolke sieben. Endlich mal ein netter älterer Herr, der etwas für sie übrigzuhaben scheint. »Danke, Herr Piepenbrink. Ich war mit meiner Enkelin in den Ferien, wissen Sie? Es war einfach traumhaft. Meine Schwägerin hat diesen alten Bauernhof und ...«

Wen interessiert das? Das kann ich mir nicht länger antun. »Bin dann schon mal oben!«, rufe ich nur und ziehe Sarah samt kunterbuntem Pferdekoffer weiter die Treppen hoch. Sollen sie doch quatschen. Bleibt zu hoffen, dass sie sich nicht eines Tages auch verabreden. Bloß das nicht!

Als ich aufschließen will, fällt mir plötzlich siedend heiß ein, was mich hinter der Wohnungstür erwartet. Schnell öffne ich, zerre Sarah in die Wohnung und schließe die Tür hinter uns. »Mama, was ist denn los?«, fragt mich mein Töchterchen verwirrt.

»Nichts, Hase. Wollte nur nicht, dass es zieht,« antworte ich hastig, schiebe sie in ihr Kinderzimmer und bedeute ihr, erst mal ihre ganzen Stofftiere zu knuddeln, weil die sie sooo vermisst haben.

In aller Eile versuche ich, die gröbste Unordnung zu beseitigen. Die Kissen wieder aufs Sofa, die Decke wieder auf den Tisch. Oh, Gott! Die leeren Weinflaschen in die Küche ...

Dann steht sie hinter mir. Ich hatte vergessen, dass meine Mutter einen Schlüssel zu meiner Wohnung hat. »Wie sieht es denn hier aus? Gab es etwas zu feiern?«

»Nein, Mama, ich habe heute Morgen meine Schlüssel gesucht.«

»Und als du sie endlich gefunden hattest, musstest du das mit drei Flaschen Wein begießen?«

»Mama ...« Ich verdrehe die Augen. »Lass uns jetzt einfach nur einen Kaffee trinken, ja?!« Murrend schlurfe ich vor ihr in die Küche und hole zwei Tassen aus dem Schrank. »Nimm Platz!«

Während ich uns Kaffee mache, schaut sie mich schon wieder so mitleidig an. »Ich wollte dir damit einen Gefallen tun, dass ich Sarah mit zu Bärbel genommen habe.« Sie macht eine kurze Pause und fügt dann hinzu: »Ich dachte, so hättest du Zeit, mal ein wenig Ordnung in dein Leben zu bringen und vielleicht ...«

»Ja, vielleicht einen neuen Mann zu finden, aber glaubst du, die wachsen auf Bäumen?« Ich schaue sie fragend an, während ich die Tassen auf den Tisch stelle.

»Das habe ich doch gar nicht gemeint. Aber du bist doch ein hübsches Ding, und Sarah könnte eine männliche Bezugsperson auch nicht schaden.«

»Meinst du vielleicht so eine wie Lutz?« Ich winke ab. »Nein danke! Außerdem hat sie Tom.«

Jetzt verschluckt sie sich fast an ihrem Kaffee. »Jessie, Liebes. Tom ist ein feiner Kerl, aber ... Na ja, aber er ist ...«

»Schwul, Mama, er ist schwul. Aber auch erst seit Kurzem. Ich verstehe dich nicht. Früher wolltest du ihn immer als Schwiegersohn haben, und jetzt, wo er sich anders orientiert hat, da meinst du plötzlich ...«

»Ich denke nur, dass es vielleicht nicht gerade gut für Sarah ist, so einen Mann als Idealbild zu sehen.« Sie blickt mich ganz fest an. »Und du musst dich doch auch mal danach sehnen, von einem Mann in den Arm genommen zu werden und auch mal wieder Sex zu haben.«

Das geht zu weit! Ich werde das nicht tun! Auf gar keinen Fall werde ich mit meiner Mutter über mein Sexleben reden. Auch nicht über mein nicht vorhandenes Sexleben. Das schon mal gar nicht. Also Themenwechsel. »Mama, bitte!«, antworte ich empört. »Mach dir einfach keine Sorgen, und lass mich mal machen. Irgendwann werde ich schon einen Mann finden.«

Sie scheint nicht beruhigt zu sein, lässt es aber vorerst dabei bewenden.

»Außerdem habe ich morgen meinen Scheidungstermin«, erzähle ich. »Und dann bin ich erst mal nur froh, dass ich dieses Kapitel aus meinem Leben endlich streichen darf.«

Mutter beugt sich zu mir vor und nimmt meine Hand. »Ich hab dich einfach nur lieb, Kind, und ich wünsche mir für Sarah und dich nur das Allerbeste!«

»Das weiß ich doch ...« Ich stehe auf und umarme sie. »So, und jetzt hole ich Sarah, und ihr erzählt mir den neusten Klatsch vom Hof Berger, okay?«

Es wird noch ein ziemlich schöner Nachmittag. Die beiden erzählen mir von ihrem Urlaub. Es gibt eine Menge zu lachen. Erst in den frühen Abendstunden bringe ich meine Ma nach Hause. Als ich mich von ihr verabschieden will, hält sie mich noch einmal am Arm fest und flüstert: »Und wenn du den Tag morgen hinter dir hast, wird ein neues Leben für dich beginnen, wirst schon sehen.«

»Na«, bemerke ich lachend, »das will ich aber schwer hoffen!«

2. Kapitel: Er

Mon|tag, der; -[e]s, -e; Abk. Mo.; Wochenanfang; vgl. Dienstag

Das Piepen wird lauter, kräftiger, nerviger. Fordernder.

Montag, hämmert es in meinem Schädel. Das Wort an sich klingt schon ein wenig nach Folter, finde ich. Grausam, unerbittlich. Früh aufstehen, in die Alltagsmühle springen und sich von einem cholerischen Chef anbrüllen lassen, weil unmöglich durchführbare Aufgaben scheitern. Was auch sonst?

Montag, das bedeutet eine körperliche Revolution, weil man den (auf Faulsein programmierten) Biorhythmus der letzten beiden Tage komplett wieder umkrempeln muss.

Montag, das bedeutet für einen einsamen Junggesellen ein bescheidenes Fernsehprogramm am Abend. Das klingt nach einem dringend nötigen Einkauf, weil am Wochenende aus lauter Langeweile alles verputzt wurde. Die Tiefkühlpizza, das Mikrowellenschnellgericht, die Dosensuppe, das fertig geschnittene Brot, das Bier und die Chips. Alles futsch. In den unendlichen Weiten und Tiefen meines Körpers verschwunden. Der Kühlschrank hat gestern gegen 23 Uhr den Notstand ausgerufen. Die Zigaretten sind seit gestern Abend auch alle. Der Aschenbecher im Wohnzimmer quillt schon über, in der Küche werde ich sicherlich über 1304 leere Bierflaschen stolpern und einen Höllenlärm veranstalten. Also: Bettdecke bis zur Nasenspitze ziehen und das Brummen des Weckers ignorieren.

So hat mein Sonntag ausgesehen: Fernsehen (Formel 1), Bier und Pizza, DVD gucken (irgendwas mit Schwarzenegger), Bier und Linsensuppe aus der Dose, DVD gucken (Matrix, Teil irgendwas), Bier und Chips, Radio hören (Fußball, Schalke verloren, auch egal), Bier und Kippen, Fernsehen (die Spätnachrichten, im Irak brodelt es, also das Übliche), Bier und dazu ein trockenes Brot mit Salz. Getoastet, denn so viel Luxus muss sein. Und danach habe ich mich mit einem zentnerschweren Klotz im Magen ins Bett gelegt. Ins Ehebett.

Ins halbseitig leere Ehebett.

Einsam, alleine und verlassen. Beim Einschlafen habe ich mich – glaube ich – sogar auf den Montag gefreut. Kann das sein? Ausgeschlossen.

Montag, das klingt nach einem Wecker. Ich will nicht um den heißen Brei herumreden: Montag klingt beschissen. Aber es nutzt nichts: Augen zu und durch. Im wörtlichen Sinne. Die Augen fest geschlossen, taste ich mit der rechten Hand in Richtung Nachtschrank. Ich fege die kleine Lampe von der Konsole. Es scheppert und klirrt, doch das Piepen geht weiter.

Eine neue Nachttischlampe ist fällig, denke ich träge und suche weiter. Das Nächste, was ich zwischen meine Finger bekomme, ist die Kunststoffflasche mit dem Mineralwasser. Auch sie landet auf dem Boden, doch da kann sie keinen weiteren Schaden anrichten. Dann endlich habe ich das verdammte Gerät in der Hand. Ich suche nach dem Knopf, mit dem man das aufdringliche »Biep, biep, biep« abstellen kann – vergebens. Es dauert einen Moment, bis ich mich dazu entschließe, den Wecker in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Ich richte mich – die Augen noch immer geschlossen – im Bett auf und schleudere den kleinen, lästigen Pieper mit voller Wucht gegen die Wand. Es kracht, dann kehrt endlich Ruhe ein. Ein zufriedenes Grunzen, und ich sinke zurück ins Kissen.

Neustart.

Ich blinzele, sehe, dass es schon hell ist. Die Sonne wirft ihre Lichtbahnen in breiten Streifen durch die halboffenen Vorhänge ins Zimmer.

Doch das alles kann mich nicht beeindrucken. Ich sehne mich zurück in meinen Traum, in dem ich schwelgte, bis mich der verdammte Wecker wieder in die Realität geholt hat. Ich lag hier in meinem Bett, aber nicht allein. Eine wunderschöne Frau leistete mir Gesellschaft. Wir taten Dinge, von denen ich in den letzten Wochen (oder Monaten?) fast nur geträumt habe. Eine leidenschaftliche Frau. Problematisch bloß, dass sie kein Gesicht besessen hat. Na ja, denke ich, nobody is perfect ...

Aber es hilft nichts, das Büro wartet. Der Verlag, die Buchmesse in anderthalb Wochen! Ich habe keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, ob mein zweites Ich mit mir Kontakt aufnimmt. So gebe ich mir einen Ruck und stoße die Bettdecke fort. Wie immer habe ich nackt geschlafen.

Mein Gott, denke ich verwirrt, als mein Blick an meinem Körper heruntergleitet. Das ist ... das ist ... monströs! Ich erschrecke ein bisschen. Bin das ... ich?

Onaniere, wenn dir danach ist!

Ruhe!

Ich beschließe, heute mal kalt zu duschen, und wanke schlaftrunken ins Bad, nicht ohne den Vorsatz zu fassen, mir heute Abend einen Radiowecker zu kaufen. Mit Musik geweckt zu werden muss ein Traum sein ...

Das Licht kommt mir heute Morgen besonders hell vor. Kritisch betrachte ich den Kerl im Spiegel. Mein Spiegelbild altert jeden Tag um zwei Tage, mindestens. So kann es nicht weitergehen.

Wirres Haar, dunkle Ringe unter den Augen. Und unrasiert. Igitt!

So langsam muss was geschehen, sonst bin ich weg vom Markt der attraktiven Heiratskandidaten. Ich fasse unter einer Gähnattacke den Entschluss, mal wieder ins Fitnessstudio zu gehen, und hoffe, dass es diesmal nicht nur beim guten Vorsatz bleibt. Es muss ja nicht gleich am Montag sein. Der ist schon hart genug. Außerdem gehen montags all die in die Muckibude, die am Wochenende mal fünfe gerade sein ließen und die nun ein schlechtes Gewissen an die Geräte treibt. Davon möchte ich mich distanzieren.

Ich fahre mit meiner selbstkritischen Beobachtung fort. Abwärts ... Die obligatorischen Ü30-Rettungsringe an den Hüften, mein Gott, jetzt weiß ich, wie sich eine reifere Frau mit Reiterhosen fühlen muss! Aber, und das erleichtert mich: Von Cellulitis bin ich verschont geblieben. Dennoch – ich werde mich nicht entspannt zurücklehnen, weil: Ein kleiner Bauchansatz ist schon da, und als ich mir das Kinn massiere, knistert es vernehmlich. Don Johnson konnte ich früher schon nicht leiden. Somit steht die tägliche (wenn auch lästige) Rasur auf dem Programm. »Nein«, murmle ich. »Unrasiert ist uncool. Das geht nicht.«

Kopfschüttelnd wende ich mich ab und verschwinde zunächst einmal unter die Dusche. Als die kalten Wasserstrahlen auf mich herabprasseln, lässt die Schwellung in meinen Lenden etwas nach, dafür bin ich allerdings auch nach einigen Sekunden hellwach. War es das wert?

Ich bibbere wie ein kleines Mädchen, während ich den Hahn zudrehe und mich gründlich abtrockne. Manchmal hat es Vorteile, wenn man nicht den harten Mann raushängen lassen muss. Man kann sich gehen lassen und sich ungestört selbst bemitleiden.

Den Rest meiner Morgentoilette erledige ich im Eilschritt, und als ich frisch gestriegelt die Küche betrete, blubbert die Kaffeemaschine bereits munter. Als cleverer Junggeselle habe ich mir natürlich eine mit Zeitschaltuhr angeschafft. So habe ich jeden Morgen rechtzeitig frischen Kaffee und verliere keine wertvollen Minuten. Ein Blick in den Kühlschrank zeigt mir, dass es an der Zeit ist, einkaufen zu gehen. Montag eben, wie erwartet. Ich finde dort nichts außer einem Rest bereits grüner Leberwurst, einen seit drei Monaten abgelaufenen Joghurt und Marmelade mit einem pelzigen Belag. Also ist das Frühstücksbrot gestrichen. Kühlschrank wieder zu, eine frische Packung Milch auf. Müsli finde ich auch noch, und so ist meine Morgenmahlzeit gerettet.

»Ist gut für den Stoffwechsel«, mache ich mir selber Mut, denn in letzter Zeit ist die gesunde Ernährung etwas zu kurz gekommen.

Nachdem ich das Frühstück mit schwarzem Kaffee und Müsli erledigt habe, gönne ich mir aus dem Kleiderschrank eine frische Krawatte, schlüpfe in die bereitstehenden Schuhe, ins Jackett und klaube den Schlüssel vom Brett. Ein letzter, prüfender Blick in den Spiegel im Korridor stimmt mich wieder halbwegs optimistisch. So aufgepeppt, könnte ich vielleicht noch Chancen beim weiblichen Geschlecht haben. Til Schweiger hat es mit dem Satz im Film Manta, Manta auf den Punkt gebracht: »So scheiße sehe ich doch gar nicht aus.«

Ich sehe einen dunkelhaarigen Mittdreißiger mit stahlblauen Augen, frisch rasiert und frisiert. Erste graue Strähnen. Aber nur, wenn das Licht ungünstig steht. Und es steht in diesem Augenblick ungünstig. Sehr ungünstig sogar. Zeit für eine Koloration. Aber da sind sie ja noch, die kleinen Grübchen aus meiner Jugend. Na schön, geht doch. Nur am Gewicht sollte ich ernsthaft etwas tun. Später. Jetzt ruft der Job.

Im Treppenhaus begegnet mir Frau Kienzle. Der Montag kann nichts mehr werden. Verschlafen, kein vernünftiges Frühstück, und nun noch der Feindkontakt mit Frau Kienzle. Sie ist eine mürrische Frührentnerin, die allein lebt und nichts anderes zu tun hat, als ihre Nachbarn zu terrorisieren. Mein persönliches Pech ist einfach, dass sie genau unter mir wohnt und ab und zu auch mitbekommt, wenn ich Damenbesuch habe, der, nun, sagen wir mal, nicht ganz so leise ist, wenn die Leidenschaft durchbricht, auch wenn das schon länger nicht mehr der Fall war.

Gelegentlich klopft sie sogar mit dem Besen an ihre Zimmerdecke. Ich eile also die Stufen hinunter, und just in dem Augenblick, als ich ihre Wohnungstür passiere, wird sie mit einem energischen Ruck aufgerissen.

»Herr Bachmann?« Es ist ein schrilles Kreischen, als habe sie Angst, ich würde sie ignorieren.

Für den Bruchteil einer Sekunde spiele ich mit dem Gedanken, sie wirklich einfach links liegen zu lassen. Doch meine gute Erziehung siegt. So bleibe ich am Treppenabsatz stehen. »Einen wunderschönen guten Morgen, Frau Kienzle«, grüße ich übertrieben und ringe mir ein Lächeln ab.

»Haben Sie eigentlich die Treppe geputzt?« Bevor ich antworten kann, ereifert sie sich. »Nein, haben Sie natürlich nicht. So geht das doch nicht, man kann sich ja keinen Besuch nach Hause einladen, so schlimm, wie das Treppenhaus immer aussieht. Ich sollte mal wieder einen Brief an den Vermieter ...«

»Tun Sie das«, sage ich nickend und mache Anstalten zu verschwinden. »Dann beschweren Sie sich in meinem Namen bitte auch darüber, dass die unter mir wohnende Mietpartei bis spät in die Nacht auf ihrem Heimtrainer sitzt und vergeblich gegen ihre Fettpolster kämpft.«

Das sitzt. Sie steht da, ich sehe, wie ihr Kinn herunterklappt und sie nach Luft schnappt. Bin ich zu weit gegangen?

»Sie … Sie hören ...«, stottert sie, und ich erfreue mich am nervösen Zucken in ihrem Augenwinkel. »Das ist unmöglich, Herr Bachmann.«

»In dem Sinne«, bemerke ich, lache und tippe mir an die nicht vorhandene Hutkrempe. »Tut mir leid, ich bin spät dran. Sonst hätte ich natürlich gerne noch ein wenig mit Ihnen geplaudert. Es geht doch nichts über gute Nachbarschaft.« Damit lasse ich sie stehen. Kein Zetern, kein Geschimpfe hallt mir nach.

Eins zu null, freue ich mich und bin draußen. Der Montag kann kommen!

3. Kapitel: Sie

Jus|ti|tia, die; -, nur Ez.; ( röm. Mythologie) Göttin der Gerechtigkeit

Ich atme tief durch. Geschafft! Es ist nicht zu fassen. Ich habe es endlich geschafft. Der Tag der Scheidung ist gekommen. Ich stehe ihm gegenüber. Tatort Amtsgericht, erste Etage. Lange Gänge mit hohen Decken, immer wieder huschen graue Mäuse mit Akten unter dem Arm vorbei. Und Robenträger, in altehrwürdigem Schwarz. Und da ist er. Mein Exmann. Das heißt, gleich wird er mein Exmann sein.

Gott, sieht der erbärmlich aus. Angestrengt überlege ich, was zum Geier mich an diesem Mann fasziniert hat. Nichts … Gähnende Leere. Es will mir nicht mehr einfallen. Und dann gleich wieder dieses Gejammer, wie schlecht es ihm doch jetzt geht.

Weißt du, wen das interessiert? MICH ganz sicher nicht, denn heute ist mein Glückstag. Der Tag, an dem ich den größten Fehler meines Lebens endlich ad acta legen kann. Aber das sage ich ihm nicht. Stattdessen kommt nur ein Mitgefühl vortäuschendes »Wirklich?« über meine Lippen. Ich will es einfach nur hinter mich bringen.

Endlich, da kommt meine Anwältin, Frau Waldmann. Gleich ist es vorbei, Jessie …

Sie begrüßt uns und gibt brav die Hand. Sogar ihm! Doch er jammert weiter. »Und ich muss ja jetzt jeden Monat vierzig Euro an dich zahlen, von meiner Rente! Wie soll ich das denn bitte schön schaffen? Ich hab doch gerade mal tausendzweihundert für mich.«

Hab ich mich da eben verhört? Langsam steigt Wut in mir hoch. Sicher, ich meine, wenn jemand diesen immensen Graskonsum finanzieren muss, kommt er mit seinem Geld vielleicht ’ne Woche aus. Dieser, dieser …

Jetzt schaltet sich Frau Waldmann ein. »Aber nein, Herr Wolferts, das müssen Sie nicht bezahlen. Es werden auch lediglich neunzehn Euro von Ihrem Rentenkonto auf das Ihrer Ehefrau gebucht, um den Versorgungsausgleich zu gewährleisten.«

»Kann ich nicht einfach darauf verzichten?«, will ich von ihr wissen. Hab gar keine Lust auf Almosen von diesem Schmarotzer. Schaffe das auch ganz gut allein. Ich habe ja wenigstens eine Arbeit und keine Pseudorückenschmerzen und Dauerdurchfall und Asthma – was sowieso nur vom Kiffen kommt.

»Natürlich können Sie darauf verzichten, Frau Wolferts.« Die Anwältin sieht mich verwundert an. »Dazu müssten Sie aber gesondert einen Antrag stellen und wieder einen Anwalt beauftragen. Das würde die ganze Sache sicher um einiges verzögern.«

Nein, das will ich auf gar keinen Fall. Nicht noch länger warten. Nicht eine Minute länger will ich mit dem da verheiratet sein. Ich verneine also und sie beschwichtigt ihn damit, dass es ja eigentlich nur ein minimaler Betrag sei, von dem er später nichts merken würde.

So, jetzt will ich aber endlich rein da, unterschreiben und tschüss!

Es herrscht Schweigen.

Wir sitzen auf der Bank wie die drei Affen – nichts hören, nichts sehen, nichts sagen.

Aber ich sehe ihn. In meinem Augenwinkel und ohne ihm ins Gesicht zu schauen, erahne ich seine gequälte Miene. Sicher erzählt er jedem, wie schlecht er es bei mir hatte. Und wie schlimm und verzogen meine Tochter ist. Und er »armer Kerl« hat ja alles nur gut gemeint und hatte rein gar keinen Einfluss auf das alles. So wie er es damals mir von seiner Exfrau Angelika und ihrem »missratenen« Sohn Kevin erzählt hat. Mit der würde ich heute gerne mal einen Kaffee trinken. Das Treffen der Gehörnten, sozusagen. Am schlimmsten an der ganzen Sache finde ich eigentlich nur, dass seine Mutter nicht den blassesten Schimmer hat und so große Stücke auf ihr Dreibein hält.

Na endlich, die Roben traben an. Wir betreten den Gerichtssaal. In der Mitte des Raums steht ein großer, runder Tisch. Die Richterin – es ist eine Frau!!! – nimmt am Kopf des Tisches Platz. Lutz und ich sitzen uns gegenüber. Neben mir Frau Waldmann, neben ihm auf dem Stuhl sitzt niemand. Ein erhebendes Gefühl.

Jetzt geht alles sehr schnell. Wir sprechen noch einmal durch, wann genau wir uns getrennt haben, stellen klar, dass keiner irgendwelche Ansprüche an den anderen hat, und im Versorgungsausgleich wird festgelegt, dass mein zukünftiger Ex-ehemann die horrende Summe von neunzehn Euro und ein paar toten Cent von seinem Rentenkonto an mich abtreten darf. Keine Einsprüche?

Wehe!

Gut, er bleibt still.

Das war’s! Ende! Aus! Endlich …

Wir verlassen den Gerichtssaal. Frau Waldmann schüttelt mir die Hand. »Das Urteil bekommen Sie dann in etwa zwei Wochen zugestellt und dann ist alles offiziell. Sie hören von mir.« Sie will gehen, dreht sich aber noch einmal um. »Ach ja, Frau Wolferts, was ist denn mit Ihrem Familienstammbuch?«

»Ich will es nicht!«, schreie ich fast.

Lutz, der jetzt nicht mehr »Herr Wolferts« ist, will es auch nicht.

Dann soll sie es verbrennen, von mir aus. Oder als Dartscheibe benutzen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich das Stammbuch. Aus seinem ledernen Einband, auf welchen mit Lippenstift eine Zielscheibe gemalt ist, ragt ein überdimensionaler Dartpfeil heraus. »Yeah – Bull’s Eye!«, brülle ich und erschrecke im nächsten Moment, dass ich es tatsächlich nicht nur in Gedanken getan habe.

Frau Waldmann sieht mich entgeistert an. »Dann sende ich es Ihnen erst mal zu.« Sie wünscht mir noch alles Gute und geht. Verlegen krame ich in meiner Tasche herum.

Will der denn nicht endlich abhauen? »Gehen wir noch zusammen raus?« Er sieht mich an wie ein Hund.

»Ja, von mir aus.« Toll, Jessie!

Vor der Tür des Gebäudes reicht er mir die Hand. Zu spät! Jetzt brauchst du dich auch nicht mehr entschuldigen …

»Na dann, mach’s gut, trotz allem.«

Ja, ja, du mich auch. »Ja, du auch! Mach’s gut!«

Wir gehen in verschiedene Richtungen. Getrennte Wege sozusagen. Fortan sogar ganz offiziell und ganz bestimmt für immer.

Noch einmal atme ich tief ein. Es fühlt sich so unglaublich gut an. Schnell greife ich in meine Jackentasche und zücke mein Handy. Schalte es an und verfasse eine SMS: Endlich, es ist vollbracht. Ich bin wieder frei! Eine Geschiedene! Juhu! Glückwünsche zur Scheidung dürfen gerne doppelt gesendet werden.

Ich schicke sie an alle meine Freunde, meine Familie, meine Exfreunde – man weiß ja nie – und noch einmal an meine E-Mail-Adresse, sozusagen um es schwarz auf weiß zu haben, vor dem schriftlichen Urteil.

Herrlich! Der Tag kann kommen! Am liebsten würde ich heute blaumachen. Einfach nicht zur Arbeit fahren. Stattdessen lieber ab ans Meer, die Füße ins Wasser stecken, als frisch geschiedene Frau. Mit meiner Süßen Sandburgen bauen, und vielleicht kommt Tom ja auch mit. Wir können uns dann knackige Männerhintern anschauen. Ja, ich will!

Aber leider kriegt man nur zur Hochzeit frei, nicht zur Scheidung. So sieht es aus. Ich schlendere trotzdem gut gelaunt zu meinem Auto. Heute Abend wird gefeiert. Mit meinem besten, momentan schwulen Freund Tom und meinem Apfel Sarah, der nicht weit vom Stamm Jessie fällt, werde ich eine Anti-Lutz-Party oder eine Bin-offiziell-wieder-Single-Party schmeißen.

Auf dem Weg zum Parkplatz kreisen in meinem Kopf die Gedanken. Begreife immer noch nicht so recht, wie ich auf Lutz hereinfallen konnte. Wir waren ja nicht mal ein Jahr verheiratet, da war es eigentlich auch schon vorbei. Und dass er so mit Sarah umgesprungen ist, werde ich ihm sicher niemals verzeihen. Dabei ist sie doch so süß. Mein kleiner Engel.

Ich setze mich in den Wagen und schalte das Radio an. Ein Song aus Sarahs Geburtsjahr schallt mir entgegen. »Every breath you take every move you make ...« Ich summe den Text leise mit und erinnere mich an früher. Zugegeben, die Originalversion von Police kam besser rüber, aber Puff Daddy hat es nun mal wiederbelebt, als ich mit ’ner dicken Murmel herumgelaufen bin und kurz darauf meine Tochter zur Welt gebracht habe.

Das ist Schicksal! Verträumt schaue ich aus dem Fenster und denke an die Zeit, als Sarah noch ein kleiner Windelscheißer war. Es scheint mir fast so, als wäre es erst gestern gewesen, dass ich ihr Schreien aus dem Kinderzimmer hörte ... Damals, als jeder Morgen mit dem Weckruf meiner Tochter begann, während ihr Papa sich noch einmal im Bett herumdrehte, und meine Nacht schon wieder um war, obwohl sie gar nicht richtig begonnen hatte ...

Plötzlich klopft jemand an meine Windschutzscheibe. »Junge Frau, wennse hier noch länger stehn wollen, müssense mir abba nochma Parkgebühren zahlen!« Der Parkplatzwächter sieht mich grimmig an. Und ich bin zurück in der Gegenwart. Schlagartig.

Ach, du meine Güte! Ich starre auf die Uhr. Wie lange habe ich hier gesessen?

Der Herr über die Parkgebühren gibt nicht auf. »Junge Frau, wennse jetz nich mal was sagen ...Junge Frau?« Er pocht noch einmal ans Auto. »Ist Ihnen nicht gut?«

Schnell kurbele ich die Scheibe herunter und drücke ihm meinen Einkaufswagen-Euro aus der Ablage in die Hand. »Entschuldigung. Ich bin frei!«

Er sieht mich nur verwirrt an und verstaut seine Beute in einer Hängebauch-Tasche. Er vergisst sogar, mir eine Quittung auszustellen. Egal, macht nichts, kann ich eh nicht absetzen. Oder gelten Parkgebühren während der Scheidung schon als »außergewöhnliche Belastung«? Nein, ich bin frei, und deshalb belastet mich derzeit rein gar nichts.

Hastig starte ich den Motor. Ich muss los! Das Büro ruft. Gott, was sage ich nur, warum ich so spät bin? Ja, ich hab’s. Lutz hat eine Szene gemacht und versucht, die Richterin anzugreifen, wegen der hohen Rente, die er an mich abtreten muss. Dabei ist er doch arbeitslos und ich die Schwerverdienerin. Insgeheim hat er sicher gehofft, von mir Alimente zu kassieren.

Es war ja so grausam … Ich stehe noch völlig unter Schock. Das ist gut! Ich muss lachen. Ihm kann, nein, ihm muss man alles zutrauen.

Mein Chef wird mir sicher die Schulter tätscheln und sein Beileid bekunden. Seine Frau hat ihn bei der Scheidung fast bis aufs Hemd ausgezogen.

Während ich an meiner Zu-spät-komm-Erklärung feile, biege ich in die Hauptstraße ein. Ich habe Grün, aber ganz sicher. Trotzdem: Ein Typ in einem gelben VW Beetle nimmt mir doch glatt die Vorfahrt, und ich kann es gerade noch verhindern, mein Auto mit seinem zu paaren.

»Du Vollidiot!«, brülle ich aus dem Fenster. »Penner, blöder Mist-Kerl-Arsch-Sau!«

Ich hatte eindeutig Grün, ich weiß es genau. Nicht zu fassen. Wütend fahre ich ihm hinterher und erblicke sein Kennzeichen. Klar! S-EX 69 ... Was soll man von so einem auch erwarten? »Macho-Arsch«, brülle ich noch einmal.

Er scheint mich überhaupt nicht wahrzunehmen. Ich fluche und gestikuliere unaufhörlich. Wenn ich nicht ohnehin schon so spät dran wäre, würde ich ihm die Meinung geigen. So was hab ich ja gefressen.

Noch immer völlig außer mir komme ich endlich im Büro an. Passt ja eigentlich ganz gut, so kann ich meine Ausführungen besser untermalen.

»Guten Tag, Frau Wolferts, schön, dass Sie uns auch mal beehren.« Mit diesen Worten kommt mir natürlich ausgerechnet mein Chef entgegen.

»Sie haben nicht zufällig vergessen, dass heute der Abschluss für das neue Bosch-Verwaltungsgebäude stattfinden soll und dass Sie dafür zuständig sind?«

Zuckt sein Augenlid? So wie bei Scratt, dem kleinen, hektischen Vieh mit der Eichel aus Ice Age? Ich liebe Scratt, könnte mich darüber kaputtlachen. Über Köhler im Moment leider gar nicht. Ja, ich hab’s gesehen: Sein Augenlid zuckt. Während ich nun doch ein Lachen unterdrücken muss, erkläre ich etwas kleinlaut: »Ich hatte doch heute meinen Scheidungstermin, ich meine, Sie wussten doch, dass ich ... später kommen würde.«

Erzähle ich ihm nun vom Tobsuchtsanfall meines Exmannes? Verdammt, klingt das gut – EXMANN ... Ist er jetzt gar kein Mann mehr? War er noch nie, wohl eher ein Männlein.

Nein, ich will ja nicht lügen. Und auf Ärger habe ich keine Lust, nur scheint sich dafür niemand zu interessieren.

Hallo? Wo ist meine Wut geblieben, über S-EX 69, und meine tolle Geschichte? Auf nichts kann man sich mehr verlassen.

»Ich erwarte Sie dann in fünf Minuten in meinem Büro!«, sagt er und marschiert von dannen.

Hey, lobe ich mich. Den hast du aber fertiggemacht. Zähneknirschend gehe ich zu meinem Schreibtisch und suche meine Unterlagen zusammen. Heute sollte ein schöner Tag sein. Ein ganz, ganz supertoller Tag – und? Erst der Fast-Unfall mit S-EX 69, und jetzt genehmigt der Chef sich ’nen Ausraster. Prima ...

Immer noch wütend über mich selbst schleiche ich zum Büro des Chefs. Augen zu und durch! Er kommt mir bereits entgegen. Im Arm hält er einen Stapel Akten. Gemeinsam betreten wir den Konferenzraum, in dem unsere Klienten seit geraumer Zeit auf uns warten. Besser gesagt, auf mich ...

Einer von den Schlipsträgern räuspert sich vernehmlich und blickt demonstrativ auf seine Armbanduhr. Der unangenehme Moment hält sich in Grenzen. Was weiß denn der, was ich heute bewältigt habe, oder besser: was ich beendet habe? Ich würde ihm sagen, dass ich wieder Single bin und für mich eine neue Zeitrechnung anfängt. Aber was weiß denn der?!

4. Kapitel: Er

Zö|li|bat, das, Theol. der; -[e]s, nur Ez.; (lat.) Ehelosigkeit, bes. bei kath. Geistlichen

Zu meiner Verwunderung springt der Wagen sofort an. Ist wirklich Montag? Ich ordne mich in den Verkehr ein und schwimme bald mit in Richtung Innenstadt. Aus dem Radio dudelt leise Musik, und vielleicht liegt es an meinem Montagmorgen-Blues, dass ich in Gedanken bin. Warum muss ich jeden Morgen, den Gott werden lässt, allein aufwachen? Wo ist die Frau meines Lebens, wo ist die Frau, mit der ich meine Tage bis ins hohe Alter verbringen möchte?

Sieh dich um, überall laufen Mädchen herum! Guck mal, die da!

Eine Blondine im Minirock steht an einer Fußgängerampel und wirft mit einer lasziven Bewegung die Löwenmähne in den Nacken.

Wow!

Dann entschwindet sie meinem Blickfeld, ich verrenke mir den Hals und baue fast einen Unfall. Konzentrier dich, ermahne ich mich. Ich erwische mich bei einem kritischen Blick in den Innenspiegel. Nein, Mattes, sage ich mir, so hässlich bist du nun auch wieder nicht. Daran kann es also nicht liegen.

Vielleicht liegt es an meiner Scheidung, die aber nun schon drei Jahre zurückliegt. Zu meiner Exfrau habe ich keinen Kontakt mehr. Seitdem sie mit diesem verrückten und irgendwie ziemlich schwul wirkenden Dreisternechefkoch durchgebrannt ist, lebt sie scheinbar auf einem anderen Planeten. Und um nicht genau in dieses »Plötzlich stehe ich alleine«-Loch zu fallen, habe ich mich durchaus reichlich amüsiert, nachdem Chlothilde ausgezogen war.

Chlothilde, allein schon der Name hätte mich spätestens am Polterabend verscheuchen müssen. Aber nein, ich habe stillgehalten, sowohl im Standesamt als auch dann, als der Pastor in der Kirche die alles entscheidende Frage gestellt hat. War ich zu gut erzogen? Zu brav, um ein »Och nö, ich überleg’s mir lieber noch mal« auszusprechen? Hätte ich mal besser!

Ja. Ich habe Ja gesagt.

Und damit mein Schicksal besiegelt. Dreiundzwanzig Jahre alt war ich damals. In der Kirche kam ich mir vor wie bei meiner eigenen Hinrichtung. Zugegeben, ich wurde nicht in Handschellen vor den Altar geführt. Die monotone Rede des altersschwachen Pfarrers wirkte einschläfernd, und meine Gedanken schweiften ab. Vor meinem geistigen Auge sah ich eine Frau mit riesengroßen Brüsten. Sie drückte mich an sich, fragte mich, ob ich Lust hätte, Schweinereien mit ihr zu machen. Mir wurde schwindelig, und als der Geistliche unerwartet die Stimme erhob, erwachte ich aus meinem Traum. Die vollbusige Muse zerplatzte wie eine Seifenblase. Das war’s. Nie wieder Fremdküssen. Nie mehr Fremdvögeln.

»Ist dir nicht gut, mein Sohn?«, fragte der Pfarrer, als er sah, dass ich leicht schwankte.

Ich winkte ab und brachte ein trockenes Lächeln über die Lippen. »Nein, nein. Alles in Ordnung. Machen Sie weiter!«

Was tat ich da? War ich völlig durchgeknallt? Neben mir stand meine Braut. Eine Frau, die nicht sonderlich hübsch war, auch sonst keine nennenswerten Reize besaß, und doch sollte sie in wenigen Augenblicken unbegreiflicherweise meine Frau sein.

Sie war es auch gewesen, die mich mehr oder weniger zur Heirat überredet hatte. Immerhin waren wir nun schon ein Jahr zusammen, und es war an der Zeit, endlich mal den Segen von Staat und Kirche einzuholen. Kein Witz – das hat Chlothilde mir damals genau so gesagt.

Ich war naiv und noch grün hinter den Ohren, als ich schließlich einwilligte. Vielleicht hat sie mich vorher auch betrunken gemacht, aber das kann ich nicht beschwören.

Und nun standen wir also vor dem Altar, hatten Freunde und Familie im Rücken (oder besser: im Nacken) und konnten nicht mehr zurück. Allein diese Blamage, Nein zu sagen. Völlig ausgeschlossen.

Und wie bloßgestellt wäre ich erst, wenn Chlothilde heulend zusammenbrechen und mir noch in der Kirche vor versammelter Mannschaft eine scheuern würde. Also Augen zu und durch: Okay, nie wieder Fremdvögeln. Aber dafür immer was zu vögeln.

Mir schnürte sich die Kehle zu, als ich an die Konsequenzen aus meinem halbherzigen Ja dachte: Nie wieder mit der Frau ins Bett gehen, die mir gefällt, nicht einmal irgendwelchen Mädchen hinterherpfeifen. Keiner anderen mehr auf den Hintern starren – jedenfalls nicht, wenn die eigene Frau dabei ist. Das alles durchzuckte mich, als wir vor dem Pastor standen und ich mich wie in Trance »Ja« sagen hörte. Es war schrecklich. Prompt verpasste ich die Stelle, wo es – ganz wie im Film – immer heißt: »Sie dürfen die Braut jetzt küssen«. Erst nach einem kleinen Anrempler von Chlothilde schreckte ich aus der Lethargie und küsste sie. Na ja, schmeckte nicht schlecht.

Und dann, als wir die Kirche verließen und uns dem unvermeidlichen Reisregen stellten, war es mir schon fast egal. Ich war schließlich ein erwachsener Mann, würde künftig nicht mehr mit dem Schwanz denken, sondern mit dem Kopf. Gut, gut, ich hatte es mir zumindest in diesem Moment vorgenommen. Mehr, um mir selber Mut zu machen für das, was mir da nun bevorstand. Ich war ein frischgebackener Ehemann. So ein bisschen wie im Zölibat lebend. Sex ja, aber nur mit einer Frau. Mit der eigenen, um genau zu sein. Schöne Aussichten. Schlappschwanz!

Dennoch fügte ich mich in mein Geschick. Die Hochzeitsfeier war ja ganz nett. Alle Gäste waren erschienen, alle amüsierten sich gut. Nur aus unserer Hochzeitsnacht wurde nichts, weil Chlothilde total besoffen ins Bett fiel und einen Eimer nach dem anderen vollkotzte. Nach erster Enttäuschung fand ich das aber nicht mehr ganz so dramatisch, weil wir ja von nun an jede Nacht für uns hatten. Wer brauchte da schon eine Hochzeitsnacht?

Ich hatte mir an diesem Tag lebenslang Sex eingehandelt – leider immer mit derselben Frau. Bis dass der Tod uns scheide. So hatte es der Pfarrer prophezeit. Blödmann!