Die Existentialisten aus Paris
Stück in 2 Akten

Samuel Beckett gewidmet

Die Geschichte dahinter

Roman von

Satgyan Alexander

Satgyan Alexander

Die Existentialisten aus Paris

Theaterstück in 2 Akten

(1962)

und

Die Geschichte dahinter

Roman
mit weiteren Szenen zum Stück
über Liebe, Literatur und andere
Leidenschaften

Zu dem Buch

Die Existentialisten aus Paris - Theaterstück in 2 Akten

Die Existentialisten aus Paris, ein Theaterstück, das Anfang der sechziger Jahre von einem unbekannten Autor verfasst wurde, spielt im Jahre 1961. Samuel Beckett war von Simone de Beauvoir eingeladen worden, eine Woche zusammen mit Jean-Paul Sartre und dem Geist von Albert Camus in einer Villa in Südfrankreich zu verbringen. In 12 Szenen wird der Leser im O-Ton mit den persönlichen Beweggründen, Motiven und den Wurzeln der Protagonisten konfrontiert und nimmt an deren aktuellen Konflikten teil. Es war jene Zeit, in der sich Sartre von Simone de Beauvoir löste und eine Jüngere an ihre Stelle setzte und die Algerienkrise dermaßen eskalierte, dass Paris vorübergehend von französischen Generälen aus Algerien besetzt wurde.

Die Geschichte dahinter

Das Manuskript wurde im Jahr 2011 von einer Journalistin in einem Antiquariat in Paris entdeckt. Sie übersetzte das Werk und schenkte es einem Freund des Existenzialismus in Berlin, der zusammen mit ihr und einem weiteren Liebhaber dieser Philosophie gleich mit der Lesung begann. Sie lasen fasziniert die Hälfte der 22 Szenen und diskutierten In unterhaltsamen Breaks die persönlichen Eigenarten der Protagonisten und die gesellschaftspolitischen Hintergründe der 60ger Jahre. Einige Monate später traf das Trio mit Freunden In Portugal zusammen, um den 2.Teil zu lesen und zu diskutieren, auch die Szenen, die im Stück fehlen, jedoch zum Verständnis der Geschichte beitragen. Abschließend bewerteten sie das Werk in einem heftigen Disput und beschlossen die Publikation in der vorliegenden Fassung.

Inhaltsverzeichnis

Theaterstück

1. Akt  1. - 7. Szene

2. Akt  8.-12. Szene

Die Geschichte dahinter

1. In Berlin

2. In Portugal

3. Diskurs

Bibliographie

1.Teil

Theaterstück in 2 Akten

1. Akt

IN EINER VILLA IM SÜDEN FRANKREICHS

Personen der Handlung in der Reihenfolge des Auftritts :

Beckett, Literat

Beauvoir, Literatin

Sartre, Philosoph, Literat

Bost, Sekretär

Orletta, Studentin

Pierre, Schauspieler

1. Szene (Ende April 1961)

Die Bühne ist dreigeteilt. Auf der rechten Seite ist eine Kammer zu sehen, schwach beleuchtet, mit einer verkleideten Treppe nach oben und eine Tür zur Diele, die die Mitte der Bühne einnimmt. Durch eine Doppeltür verbunden, liegt auf der linken Seite ein bürgerlicher Salon mit drei großen 2flügeligen Terrassentüren zum Garten. In der Kammer sitzt Beckett, bekleidet mit Pullover und Cordhose, an einem kleinen Tisch, vor sich eine alte Schreibmaschine und Papiere.

Ein melodiöser Sopran aus dem Off: Warum sind Sie so garstig zu mir, Sartre?

Beckett murmelnd: Wie oft hat sie das heute schon gerufen?

Versonnen blickt Beckett vor sich hin. Er beginnt zu schreiben.

Beckett mit halblauter Stimme: Ich konnte es nicht mehr hören, habe mich zurückgezogen, in diese Kammer geflüchtet. Worauf ich mich nur mit den beiden eingelassen habe! Vor sechs Wochen hatte sie mich inständig gebeten, ein paar Tage mit ihnen zusammen zu verbringen. Und nun das.

Beckett überlegt, schreibt etwas, starrt ins Leere, streicht durch seine Haare.

Beckett zu sich: Muss mal eine schöne Villa gewesen sein, etwas dunkel, wegen der vielen Bäume im Park ringsherum und heruntergekommen. Was haben sie mir gestern Abend erzählt? Es sei ein Erbstück einer alten Freundin?

Beauvoirs Stimme: Wo sind Sie Monsieur Samuel?

Beauvoir tritt vom Vorplatz in den Flur. Sie trägt eine weiße Bluse, einen grauen Glockenrock, feste Laufschuhe und ein Tuch um die Haare geschlungen.

Beauvoir dringlich: Monsieur Samuel, ich brauche Ihre Hilfe! Beauvoir steht dicht vor der Tür zur Kammer.

Beauvoir besorgt: Monsieur Samuel! Monsieur Samuel, wo sind Sie denn? Haben Sie sich wieder in der Kammer versteckt?

Sie legt die Hand auf die Klinke.

Beckett laut: Kommen Sie schon rein!

Beauvoir: Haben Sie Albert gesehen? Ist der Kater bei Ihnen?

Beckett schüttelt den Kopf: Nein! vielleicht in der Küche?

Beauvoir beharrlich: In der Küche ist er nicht, seine Frühstücksportion ist noch unberührt.

Streng steht sie vor ihm auf beiden Beinen mit den Füßen in Schnürschuhen wie eine Stationsschwester. Ihre Augen entspannen sich plötzlich, auch ihre Wangen, und ein Hauch von Sanftmut wischt über ihr Gesicht.

Beauvoir: Entschuldigen Sie bitte mein Auftreten. Ich bin in Sorge.

Sie schaut ihn an, sieht seine gespielt interessierte Miene, geht darüber hinweg.

Beauvoir: Nicht nur wegen Albert bin ich besorgt, auch wegen Sartre. Er ist nicht mehr so verlässlich, vergisst vieles, ist in Gedanken verloren und so unberechenbar, auch was Albert angeht. Ich denke manchmal, er mag ihn nicht. Ob er eifersüchtig ist?

Beckett zuckt mit den Schultern und wendet sich ab.

Beckett zu sich: Nein nein, ich will nicht, will mich nicht in diese Geschichte hineinziehen lassen.

Beckett grummelt in sich hinein, zieht die Schultern hoch, strafft seinen Körper und atmet hörbar.

Beckett laut: Ich kann Ihnen nicht helfen, lassen Sie mich bitte allein. Ich werde über alles nachdenken.

Beauvoir mit unentschlossenem Blick, rafft sich zusammen, richtet sich zur asketischen Silhouette auf, streicht mit den schlanken Händen über den Kopf.

Beauvoir kurz angebunden: Gut.

Beauvoir dreht sich auf den Absätzen mit Schwung um, sodass der Glockenrock aus grauem Flanell empor fliegt und die nackten, weißleuchtenden Unterschenkel bis zum Knie freilegen. Sie verlässt die Kammer.

Beckett: Raus ist sie. Endlich!

Beckett kehrt zum Selbstgespräch zurück: Also wieder allein in der Kammer, meinem Rückzugsort. Wenn es draußen frisch windet, ist das Zimmer zu groß, zu weit, zu frostig. Zu groß der Raum, den sie mir überlassen haben, auch kaum Möbel drin. Wenn ich es recht überlege, nur ein Kanapee und zwei Sessel mit Ohren, gewiss gemütlich, aber die Polsterung zerschlissen, Sprungfedern vor dem Ausbruch, Ha! Was noch? Tja, ein Tisch mit drei Beinen und ein weiß lackiertes Bettgestell mit einem Galgen. Gelegentliche Beinhochlage möglich. Naja, und ein Schlei-ertuch darüber, wie ein Zelt. Hat was Bergendes. Behütet seist du alle Tage.

Beckett kramt in den Papieren.

Beckett monologisiert weiter: Übrigens, alle Tage? Welcher Tag ist heute? Montag? Alle Tage Montag? besser wäre Dienstag oder Donnerstag, noch besser Sonnabend. Dann wäre die Woche vorbei oder bei vor? Die Zeit vergeht so einfach. 1958 hatte ich Das aufgegebene Werk aufgegeben. Weiter jetzt. Wo war ich stehengeblieben? Im Zimmer? Beim Bett? Zeltdachschleier? abends aufziehen, morgens wegziehen. Achtung! Nicht in den Nachttopf treten! Steht im Weg. Was noch? Gobelinvorhänge graubraun, stockig, staubig, gefüttert mit Wachstuch, verdunkelungsfähig, noch ein Überbleibsel aus lang, lang ist es her….

Beckett starrt eine Weile ins Leere.

Beckett monologisiert: Lass das Zimmer. Es zieht dort, heute bist du in der Kammer unter der Treppe. Ein schöner Tisch, Mahagoni rot, eine Schreibtischlampe, beweglich das grüne Glas, nach oben gedämpft, nach unten weiß, strahlend das Papier hervorhebend. Meine Finger schreiben jetzt mit einem Bleistiftstummel. Ich denke nicht, die Finger schreiben und alles ist weg, verschwunden. Nur ich …..und ein Scharren?

Beckett dreht den Kopf in alle Richtungen. Scharren ist deutlich zu hören.

Beckett zu sich: Wieso ein Scharren? Wo kommt das Scharren her oder ist es ein Kratzen? Ja, ein Kratzen und Scharren, ha! unter mir, unter dem Stuhl, an den Stuhlbeinen, nicht mööglich. Hat sich der Kater hier bei mir versteckt. Albert? Wie bist du reingekommen? Hast du dich hinter Simone ´herein geschlichen? Albert! Schade, wir können nicht miteinander reden. Warum musstest du auch in dem Auto sitzen, als du schon die Fahrkarte nach Paris in der Tasche hattest. Ist schon über ein Jahr her, stimmt's? Ach ja, verstehe, du kannst nicht antworten, aber ich sehe es deinen Pupillen an, dass du lauschst. Verstehst du mich?

Beckett hält überrascht inne und schaut auf den Boden.

Beckett zum unsichtbaren Kater: Ist das Blinzeln ein Ja? Noch mal geblinzelt, wieder ein Ja? Aber das ist Unsinn. Was ist bloß in mich gefahren. Nur weil Simone dich Albert nennt, bist du noch lange nicht Er.

Beckett starrt einige Minuten ins Leere, bückt sich zum Boden.

Beckett zum unsichtbaren Kater: Und nun, was soll das wieder? Warum wackelst du mit dem Kopf? Heh? Ich versteh dich nicht. Wieso jetzt blinzeln und wackeln? Du machst mich verrückt, lass mich in Ruhe, ich will schreiben, sei nicht so aufdringlich, nimm die Pfoten von meinem Bein! Los, verschwinde! Hör auf mit diesem Schnurren. Zieh die Krallen ein, und was soll das Kopfwackeln Heh? Du willst auf meinen Schoß? Ach, sieh an, jetzt blinzelt er. Also ist das Blinzeln ein Ja? Nicht zu fassen, er blinzelt!

Becket schlägt sich an die Stirn.

Beckett zu sich: Albert auf meinem Schoß! Will ich das? Vielleicht bin ich verrückt oder wir beide? - Pause - Also los, komm, mach, spring. Ja so geht es. - Pause - Lass alle Einwände los, Sam. – Pause - Und du Albert, roll dich ein und verliere nicht den Halt. Das ist verrückt. Also, du behauptest wirklich Er zu sein, ja? – Pause - Warum reißt du jetzt die Augen auf? Sieh mich nicht so durchdringend an Albert. Albert, du bist ein Kater und ich noch nicht verrückt!

Beckett lehnt sich zurück, verschränkt die Hände hinter dem Kopf.

Beckett zu sich: Ich glaube nicht an Inkarnationen. Es gibt nur dieses eine Leben, einmalig und unwiederholbar. Geschenkt, um es auszupressen. Das Leben! – Pause - in Worte pressen, ausbreiten, ausfeilen, verdichten, dichten - Pause – dichten, dicht an dicht die Worte kompakt, konzentriert, tanzen lassen, bis sie richtig stehen - Pause - oder liegen, so wie ein Kater auf meinen Knien.

Beckett kommt wieder zu sich, beugt sich vor.

Beckett zum Kater: Bleib liegen, damit ich weiter schreiben kann. Dieser Brief an Susanne soll mit dem Postauto um 12 Uhr weg. Weißt du Albert, Susanne kenne ich über 30 Jahre. Aber richtig kennen gelernt habe ich sie erst vor 23 Jahren, als sie mich im Krankenhaus besuchte, nach der Geschichte mit dem Messerstich. Ich war lebensgefährlich verletzt und sie tauchte mit einem bezaubernden Lächeln und einem Blumenstrauß auf. Keine Ahnung, von wem und wie sie von dem Überfall erfahren hatte. – Pause – Und in diesem Jahr habe ich sie endlich geheiratet. Ja! Wirklich!

Beckett nickt mehrmals und greift nach dem Bleistift.

Beckett: Ich wollte ihr vom meinen Korrekturen berichten. Wie die Zeit verrinnt. Keine Ahnung wie spät es ist.- Pause - Wie es ist! Ein schöner Titel, so einfach und eine so einfache Geschichte. Diese einfachen Geschichten haben dich ja auch immer fasziniert, stimmt's Albert? Du warst eine große Begabung. Der Fremde tja, Einsamkeit. Suche nach Ablenkung. Sinnlose Beschäftigung. Sonnenqual. Seelenqual. Auslöschung. Keine Antwort auf die Frage wozu? Großes absurdes Drama einfach dargestellt, Genau wie in Wie es ist, ist es, wie es ist. Keine Handlung, erdkrumennah, kein fortkommen, Grenzen ertasten.

Beckett schrickt auf, kommt zu sich.

Beckett zu sich: Was mache ich eigentlich? Bin nicht anwesend! Schreibe einen Brief an meine Frau und rede gleichzeitig mit dem Kater. Verrückt! Jaja, Albert, du schnurrst. - Pause - Übrigens damals arbeitete ich auch in der Resistance wie du, Albert, mit Susanne in Südfrankreich. Als wir in Paris 1942 verraten wurden, setzten wir uns nach Roussillon ab, hier in der Nähe. Komme nicht ungern her, die Erinnerungen, weißt du. – Pause - Von deinen Aktivitäten habe ich erst später gehört: Combat, da habt ihr den Deutschen ordentlich eingeheizt.

Beckett schweigt, schüttelt seinen Kopf.

Beckett zu sich: Sam, hör auf mit dem Kater zu reden. Es ist nur ein Kater, den sie Albert nennen. Schreib jetzt den Brief zu ende.

Beckett schreibt und liest gleichzeitig laut: Susanne, Du kennst ja die Provence. Seit einigen Tagen reißt der Mistral die Gedanken aus dem Hirn. Wir sind alle geladen. Ich gehe daher jeden Morgen zum Dorf. Es gibt dort ein kleines Café. Ich trinke ein Noir und schreibe an den Hörspielskizzen, von denen ich Dir einige bereits vorgelesen habe. Gewinne so beim Schreiben meine Ruhe zurück, die im Haus schwer zu finden ist. Es ist anstrengend mit den beiden. Sie streiten. Einige Tage werde ich noch bleiben müssen. Ich habe es Madame Beauvoir versprochen. Und ich will auch die Korrektur an Pochade radiophonie beenden. Du weißt doch, diese Geschichte mit dem Animateur und der Sekretärin, die sich auszieht, und dem schweigenden Dick, der Fox mit Schlägen bearbeitet, damit er die absurde Geschichte rauskotzt: ´Morgen wer weiß, werden wir frei sein´. Ich bin ein gutes Stück vorangekommen. Der Wortklang ist fast perfekt, nur noch einige Stolperstellen. Jede Zeile erhellt das Nichts. Dabei fällt mir wieder Camus ein, der, Du wirst es nicht glauben, als Kater auf meinem Schoß träumt. Ich vermute, Du wirst mich für verrückt halten, wenn ich Dir davon berichte. Bei ihm stand ja das Absurde als Gerüst, als Rahmen für eine Handlung, die sich scharfsinnig entwickelte, um uns in das Loch der Aussichtslosigkeit zu stoßen. Dagegen versuche ich eine Form zu finden, die das Chaos beherbergt. Du weißt schon, was ich meine. Schluss jetzt! Albert drückt mich schwer. Alles Liebe. Sam

Becket steckt das Schreiben in ein Kuvert und richtet sich auf.

Beauvoir: Monsieur Samuel! Das Postauto ist da! Sie wollten noch einen Brief aufgeben!

Beckett in Richtung Tür: Ich komme!

Der unsichtbare Kater schreitet in Richtung Tür und wartet dort. Beckett beobachtet den Kater aus den Augenwinkeln, als er den Brief zuklebt, wobei er die Gummierung des Umschlags mit der Zunge intensiv befeuchtet.

Beckett murmelnd: Ein junges Tier, hübsch sieht er aus mit seinem glänzenden, schwarzen Fell. Naja, wenn es wirklich Albert sein sollte, ist er etwas über ein Jahr alt.

Beckett laut: Ich komme Madame Simone!

Beckett stürzt zur Tür, öffnet sie ungestüm, stolpert über den unsichtbaren Kater, rennt durch den Flur auf das lichte Rechteck zu, ins Freie, wo das Postauto mit laufendem Motor wartet.

2. Szene (an demselben Tag)

Der bürgerliche Salon auf der linken Bühnenseite. Im Hintergrund zwei große Terrassentüren, links eine Terrassentür, rechts die halboffene Doppeltür zum Flur. Ein großes Sofa steht schräg auf der Bühne mit der Rückenlehne zum Parkett. Zwischen den Fenstern hängt in der Ecke ein großer venezianischer Spiegel, der die Sitzfläche des Sofas wiederspiegelt. Es ist niemand im Raum, außer Albert, der unsichtbar auf dem Sofa liegt und im Spiegel als digitale Projektion zu sehen ist.

1. Stimme aus dem Off: Albert hat sich in den Salon geflüchtet. Nach einem Sprung auf das Sofa, liegt er nun in einer Ecke auf den Seidenkissen. Er streckt sich, schlägt die Krallen in die Füllung der Kissen, blinzelt, bevor er über das jetzige Leben laut nachdenkt.

2. Stimme, krächzend aus dem Off: Miau! Man hat eben keine Wahl. Das Leben eines Katers ist genauso absurd, wie das Leben der Menschen. Ich hatte es geahnt, nein, gewusst! Das Schicksal ist nicht aufzuhalten. Irgendwie geboren, irgendwie gestorben. Dazwischen denkst du, du könntest es beeinflussen. Ha ha! Aber es geschieht einfach und du behauptest, es so gewollt zu haben. Du bist allein mit deinem Schicksal und um dich herum die anderen, ebenso absurd verstrickt im Sein mit ihren Wünschen, Hoffnungen und Täuschungen. - Pause - Da habe ich es doch gut getroffen mit meinem Tod. Was für ein fantastisches Ende! Aus der Mitte des Lebens, naja, war schon `ne Quälerei mit der Tuberkulose, also aus der Mitte des Erfolges, hm, auch nur gegen Widerstände schwer ertrotzt, aber völlig unwichtig, aus der Mitte der Gesellschaft als Maître de Amour, nun, das wäre vermutlich auch nicht mehr lange gut gegangen mit 47 Jahren, schließlich aus der Mitte meiner Familie, ja, das ist wirklich traurig ohne meine Zwillinge, die ich vermisse; und herausgerissen aus der Arbeit an der unvollendeten Biographie, als Hinterlassenschaft an einem Baum zerschmettert. - Pause – Eigentlich doch ein fantastisches Ende für einen vielversprechenden Schriftsteller, wie es die Kulturwelt beliebt nachzurufen. Mit meinem Abgang nochmal die kulturellen Hoffnungen befeuern, das gefiel mir. Was hätte er noch alles schreiben können. Dabei war das Beste bereits veröffentlicht.

1. Stimme aus dem Off: Albert wälzt sich auf dem Rücken und findet einen neuen Platz auf den Seidenkissen, nicht ohne noch einmal mit den Krallen Fäden aus dem Damast Stoff des Sofas zu ziehen. Er beginnt zu schnurren.

2. Stimme aus dem Off: Miau! Kulturbetrieb, - schnrr, - Literaturbetrieb, - schnrr, - Journalismus, alles gut und wichtig, aber ziemlich absurd das Ganze. Das Produkt ist doch unwichtig, im Prozess entsteht die Wahrheit. Es ist die Absurdität des Tuns.

1. Stimme: Albert hebt seinen Kopf, er hat Stimmen gehört, die sich nähern. Sein Blick schweift über die Einrichtung des Salons, der übersichtlich vollgestellt ist mit Sesseln, Sofas und Bücherregalen, die von gutem Geschmack zeugen. Für ihn ist viel zu viel hineingestellt. Stilvoll eingerichtete Salons mit Volants und schweren Vorhängen waren ihm ein Graus. Er liebte einfache Räume, nur einen Tisch darin, eine Liege, ein paar Stühle, nackte Wände, einen einfachen Holzboden und große Fenster für das Licht. Fenster, die das Licht hineinließen, den Raum in Licht tränkten.

2. Stimme: Miau! Ja, das Licht war das wichtigste für mich, damals in Algier in Belcourt und später in Lourmarin quoll das Licht, das südliche, grelle Licht durch die Fensteröffnung ohne Vorhänge, fiel in Rhomben auf den Boden; als Kind wälzte ich mich darin. Ich fühlte die brennende Wärme, so direkt, unmittelbar, belebend, endlos konnte ich darin baden, bis alles gleichgültig wurde. Die Wünsche verschwanden, der Hunger, der Durst, die Sehnsüchte, nur die Zärtlichkeit des Seins blieb.

1. Stimme: Es sind diese Augenblicke der Wirklichkeit, diese Erinnerungen, Empfindungen des kleinen Kindes, des Jungen, der Leere und Fülle zugleich spürte, der ohne Zuneigung und in Sprachlosigkeit aufwuchs, aber einen unerklärlichen Willen nach eigenem, lustvollem Ausdruck hatte. Die Gleichgültigkeit, die ihn umgab, wurde zu einer Quelle, die er nutzte, um seine Gefühlsarmut in kühlen, prägnanten Beschreibungen auszudrücken.

2. Stimme: Miau! Diese spröden Erfahrungen drängten mich ins Abseits, weg von der Gesellschaft mit ihrer Moral, ihren Normen, weg von oberflächlichen Formen, die die wirklichen Gefühle auslöschen. Das Licht des Südens reichte mir zum Leben und für meine Arbeit.

1. Stimme: Er wollte etwas Eigenes machen, suchte nach Erlösung in einer sinnvollen Tätigkeit, in einer selbst gewählten Verantwortung. Er, der sich verloren fühlte, hinausgeworfen in die Kontingenz, schwebend, richtungslos, war unendlich bedürftig nach Bestätigung und nach einem aufrechten Gang.

Ein Sonnenstrahl trifft den Kopf von Albert und er dreht sich ins Licht.

2. Stimme: Miau! Dieses Haus ist nicht lichtverwöhnt, zu viele Vorhänge, zu viele Bäume ringsum, zu wenig menschliche Anteilnahme. Jeder ist mit sich beschäftigt, geht nur seinen Weg, verliert die Liebe, verliert sich im Egoismus. Nichts auf der Welt ist es wert, von der Liebe zu lassen und doch tun wir es, für Pflichten und für Ideen von einer besseren Welt. Lachhaft!

1. Stimme: Albert wirft sich erneut auf das Kissen. Was wollte er doch alles in seinem vergangenen Leben erfahren? War er nicht beseelt gewesen, für etwas zu leben und zu sterben, was er liebte? Und war das nicht die Freiheit im klaren Licht?

2. Stimme: Miau! Nun, das ist alles vorbei. Die selbst gewählten Aufgaben sind im Zusammenprall mit einem Baum zerstoben. So bin ich dem Leben entwichen, habe es gekostet und genossen. Von dieser Seite, aus dem Blick eines Katers, das Leben zu beobachten, ist erstaunlich befreiend. Es ist eine Freiheit vom müssen. Ich lasse geschehen. Mit der Liebe ist es zwar vorbei, die gehört zur menschlichen Existenz. Ich bin nicht mehr von Zuneigungen abhängig, kann sie mir holen, wenn ich um die Beine der Menschen streiche und mich abwenden, wenn ich genug habe.

1. Stimme: Albert liegt entspannt in der Sofaecke und lauscht auf Stimmen, die von draußen hell hereintönen und in gedämpfter Form antworten.

Beauvoir: Haben Sie nicht den Kater gesehen, Sartre?

Sartres Antwort ist ein unverständliches Brummen, ungehalten.

Sartre deutlich: Neiin, Was haben Sie nur mit dem Kater, Castor. Immer sorgen Sie sich um das Tier. Ich weiß nicht, was Sie an ihm finden.

Beauvoir: Ich mag ihn, er ist ein besonders schönes Tier und er hat eine beruhigende Ausstrahlung. Ich fühle mich wohl in seiner Nähe. Er hat noch nichts gefressen. Wo er sich nur versteckt hat?

Die Terrassentür auf der hinteren Seite des Raumes öffnet sich einen Spalt.

1. Stimme: Albert erhebt sich, streckt sich und springt vom Sofa. Er sucht einen Platz seitlich vom Sofa um dem Blick der Hereintretenden zu entgehen, findet eine besonnte Stelle auf dem Boden und kuschelt sich ein.

Beauvoir: Sehen Sie nur! Sartre! Er muss hier gewesen sein, auf dem Sofakissen ist doch sein Körperabdruck! Wo ist er nur hin verschwunden?

Sartre fragend: Was haben Sie von der Katze gesagt? Sie ist verschwunden? Na wenn schon. Ich mag keine Katzen, das wissen Sie doch, Castor. Und warum nennen Sie ihn überhaupt Albert? Der Name erinnert mich an Camus und das muss nicht sein. Wir hatten doch ziemliche Spannungen mit ihm. Sind Sie denn sicher, dass das Tier männlich ist? Albert!! Ph.

Beauvoir: Ich weiß auch nicht, wie ich auf den Namen gekommen bin. Auf jeden Fall ist er ein Kater und der Name erinnert mich an die Zeit, als wir nach dem Krieg miteinander befreundet waren. Ich mochte Camus doch sehr gern.

Beauvoir wendet sich mit nachdenklichem Gesicht Sartre zu.

Beauvoir: Also, Sie haben ihn heute nicht gesehen? Wo kann er nur sein? Ich mache mir Sorgen. Monsieur Beckett hatte auch keine Lust ihn zu suchen. Ich werde noch mal draußen nachsehen.

Sartre schüttelt seinen Kopf: Ich verstehe Sie nicht. Castor. - Übrigens, Vergessen Sie nicht die Vorbereitungen für unsere Gäste!

Sartre setzt sich auf das Sofa, während Beauvoir den Salon verlässt.

3. Szene (an demselben Tag)

Bühnenbild wie vor.

Beckett kommt von draußen durch die Diele in Gedanken versunken und bleibt vor der Kammer stehen.

Beckett laut zu sich: Das hat gerade noch geklappt. Susanne wird sich über den Brief freuen. Sie weiß dann wenigstens, wo ich bin und wie es mir geht. Andererseits wird sie froh sein, die Wohnung für sich allein zu haben, die brave Susanne.

Beckett will gerade in die Kammer nach rechts eintreten, als von draußen Beauvoirs Stimme ruft: Albert, Albert, wo bist du?

Beauvoir tritt durch eine der Terrassentüren in den Salon. Auf dem Sofa sitzt Sartre. Sein Kopf ist von hinten über der Rückenlehne zu erkennen. Sie geht auf ihn zu, zur gleichen Zeit macht Beckett die Tür zur Kammer auf, geht hinein, setzt sich an den Tisch, die Lampe brennt noch, beugt sich zu den Papieren und beginnt zu schreiben.

Sartre: Na, Castor, hat die Katze das Weite gesucht? Mit Ihren entnervenden Rufen wäre das kein Wunder.

Sartre lacht kurz auf.

Beauvoir: Ach, Sartre, warum gönnen Sie mir nicht das kleine Vergnügen. Das Leben ist doch sowieso nicht mehr schön in dieser Zeit.

Sartre: Ach was, Castor, was Sie so von sich geben. Das Leben ist großartig, wir haben Ferien und ich erwarte heute noch meine Studentin ….

Beauvoir erschreckt: Heute noch? Ich dachte, sie kommt erst morgen.

Sie zupft beunruhigt an den Enden einer um ihre Schultern liegende Stola.

Sartre: Ja, heute, ich freue mich auf sie. Ich wollte mit ihrer Hilfe die Planung für die nächsten Monate besprechen. Sie ist so anregend und unterhaltsam. Ich glaube sie bringt auch ihren Freund mit, einen Schauspieler. Bost wird sie mit dem Wagen herbringen.

Beauvoir lustlos: So so, wird der Freund auch hier übernachten? Sind die beiden ein Liebespaar?

Sartre brummig: Keine Ahnung, interessiert mich nicht. Hauptsache sie kommt, damit ich mit ihr über meine Biografie reden kann.

In der Kammer hebt Beckett den Kopf und lauscht. Er blickt um sich und sucht.

Beckett: Was ist das nur für ein Geräusch, ist dieser Kater schon wieder in der Kammer? Es hat sich doch etwas bewegt. Albert? lass mich in Ruhe. Ich bin mit dir fertig, will mich nicht mit dir beschäftigen. Du hast für dich die Lösung gefunden. Aber ich suche nach anderen Wegen. Es gibt da ein neues Hörspiel für die BBC. Es soll im Herbst gesendet werden. Und dazu komponiert John, ein Vetter von mir, die Musik. Ein sehr begabter Junge. Worte und Musik heißt das Stück, soviel ist klar. Die Trägheit der Leidenschaft, allermächtigster Leidenschaft aller Leidenschaften, das ist die Weise, in der der Geist am meisten leidet. Verstehst du Albert? Nun, das verstehst du nicht. Trägheit war kein Thema für dich und das mit Musik zu verbinden! Reizvoll! - Die Sucht nach oder die Flucht vor echten oder erdachten Vergnügungen oder Leid, Vergnügungen oder Leid echten oder erdachten Vergnügungen oder Leid - mit Musik verbinden - all diese Regungen, sie sind unzählig, von all diesen Regungen ist Trägheit die allerdringendste - mit Musik - von keiner Regung wird die Seele mehr bedrängt als von diesem Hin und Her. Stell dir das vor, mit der Musik von John.

Beckett schweigt und beginnt zu schreiben.

Beauvoir: Arbeiten Sie wieder an Ihrer Biografie, Sartre? Ich dachte, Sie wollten noch weiter an dem Buch Die Kritik der dialektischen Vernunft schreiben, an dem zweiten Band.

Sartre: Ja, das hatte ich vor, aber ich beginne daran zu zweifeln, ob ich weiter meine Gesundheit für die Philosophie vergeuden soll.

Beauvoir: Wie meinen Sie das, Sartre? Ich dachte, Sie lieben die perverse Lust zu arbeiten, zu arbeiten bis zum Zusammenbruch. So, wie Sie es in den letzten Jahren mithilfe der Aufputschmittel betrieben haben.

Sartre erhebt sich vom Sofa und geht zu den Terrassentüren.

Sartre: Ja, ich habe mich ausgebeutet und dabei Lust verspürt. ich liebe noch immer diese sprudelnden Ideen im Kopf und diese dann gleichzeitig aufzuschreiben, ohne den Körper, ohne die Kontingenz zu spüren. Das hat etwas Euphorisches. Aber Sie hören ja, Castor, der Körper meldet sich. Ich habe das Corydran abgesetzt und ich schlafe auch besser. Ich brauche jetzt nur noch eine Tablette zum Einschlafen.

Sartre bewegt sich bedächtig durch den Raum. Beauvoir beobachtet seinen unsicheren Gang.

Beauvoir ironisch: Ihre Einsicht ist überraschend und erfreulich zugleich. Wie sind Sie denn darauf verfallen? Bisher hatten Sie meine Bitten, auf Ihre Gesundheit Rücksicht zu nehmen, ignoriert. Ein überfälliger Gesinnungswandel?.

Sartre: Ach, Castor, ich werde bald 60, und ich merke das. Ich stelle fest, dass mir die Literatur fehlt, die ich in letzter Zeit so abgelehnt habe. Das Gefühl, sich in eine Geschichte fallen zu lassen, in meine Geschichte, in Erinnerungen, das fehlt mir. Das ist mir umso mehr bewusst geworden, als ich über meine Kinderjahre, über den Anfang meiner Existenz nachdachte.

Beauvoir: Da ist etwas dran, aber ich verstehe nicht, wie es überhaupt zu dieser Einsicht kommen konnte.

Sartre: Ich glaube, es sind viele Ursachen, die mich zum Nachdenken brachten. Der Auslöser ist unser kleiner Streit um die Katze, die sie Albert nennen. Es ist das ganz Animalische, das Tier, ich habe nie einen guten Zugang zu Tieren gehabt, auch nicht zur Natur, all das Klebrige, Schleimige, ich will mich nicht damit befassen. Ich hasse sie, die Natur. Sie ekelt mich an. Die Natur ist für mich die Passivität. Ich muss aktiv sein, handeln, mich im Tun verwirklichen. Aber diese Katze will, dass ich mich ihr zuwende, mich hingebe, jedenfalls denke ich das. Und außerdem erinnert mich der Name Albert an Camus und an seine Art das Leben zu genießen, die Kontingenz des Seins zu bejahen, sich hineinzustürzen. Und das stört mich auch.

Beauvoir: Wollen Sie damit sagen, Sartre, dass Sie sich nicht fallen lassen können? Dass Sie sich übertrieben kontrollieren? Das kann ich nicht glauben. Ich habe Sie anders erlebt, vor allem mit den Frauen. Erklären Sie mir bitte den Widerspruch.

Sartre bleibt vor einer Terrassentür stehen und schaut in den Garten.

Sartre: Sehen Sie einen Widerspruch Castor? Ich nicht. Sie glauben also, dass ich meine Liebschaften als Naturereignis genossen habe? Weil ich erfolgreich war? Aber, haben Sie nicht selbst, als wir früher noch körperlich kooperiert hatten, über meine sexuelle Kälte geklagt?

Beauvoir: Ach, Sartre, ja, das habe ich wohl gesagt, aber das ist schon lange her, und vielleicht hatte das auch mit mir zu tun.

Sartre: Nein, Castor, Sie hatten schon recht damals. Ich hatte es schon früh gemerkt. Vielleicht war das mit der Grund, es immer wieder zu versuchen.

Sartre dezidierter: Ich konnte mich nie fallen lassen, aber ich brauchte die Zärtlichkeit. Für mich bestand die wesentlich affektive Beziehung darin, dass ich küsste, streichelte, dass ich meinen Mund über einen Körper wandern ließ. Der Sexualakt existierte auch und ich vollzog ihn oft, aber mit einer gewissen Gleichgültigkeit. Es hat mich nicht gereizt, mich zu verlieren. Vielleicht war da auch Angst dabei, vor der Passivität.

Beauvoir: Aber haben Sie denn immer diese sexuelle Kälte empfunden? Wo doch so viele Frauen Sie liebten. Hat Sie nie das Begehren veranlasst?

Sartre: Nein, es war eher das Romantische, das unerlässlich Romantische. Ich könnte fast sagen, dass ich über die Sensibilität der Frau meine Sensibilität wiederfinden wollte, die ich durch die Entwicklung meiner Intelligenz verloren glaubte. Sensible Frauen zu besitzen, verhieß meine Sensibilität zu entwickeln.

Beauvoir: Sie fühlten sich wirklich unvollständig?

Sartre: Ja, ich dachte, dass ein normales Leben eine ständige Beziehung zu einer Frau voraussetzte. Ein Mann definierte sich durch das, was er machte, was er war, aber auch durch das, was er durch die Frau war, die mit ihm zusammen war.

Beauvoir: Ja, ich glaube, ich verstehe Sie, es ging Ihnen nicht um den Beischlaf? sondern eher um den Frauenversteher, man könnte vielleicht sagen um den Frauenmastubierer? Und es ging Ihnen vor allem, glaube ich, um die Zwiesprache mit den Frauen, nicht wahr?

Sartre: Ja, da ist etwas dran. Sie kennen mich derweil recht gut, Castor. Aber eigentlich haben wir den Anfang unseres Gesprächs verloren, als ich Ihnen erklären wollte, was mich wieder zur Literatur zurückbringt.

Beauvoir: Nein, das finde ich gar nicht. Ich habe schon verstanden, dass Sie die Sensibilität in der Philosophie und vor allem in den politischen Beiträgen vermissen und dass Sie mit der Arbeit an ihrer Biografie, wieder an die romantischen Gefühle anknüpfen wollen.

Sartre: Ja, ich möchte mit Orletta, wenn sie am Abend kommt, über einige Kindheitserlebnisse sprechen. Sie ist mit ihren 23 Jahren sehr hilfreich und noch so dicht dran an die Erinnerungen des kindlichen Seins.

Er tapert vor sich hin redend von Tür zu Tür, dabei blickt er in den Garten, als würde er das Kommen der jungen Studentin jeden Augenblick erwarten.

Beckett schreibt intensiv, bis er durch ein Geräusch wieder hoch schreckt.

Beckett: Also, Albert, alter Kater bist du wieder an der Tür? Und willst raus? Bevor ich dich rauslasse, wirst du dir noch anhören müssen, was ich in den letzten Minuten geschrieben habe. Ich bin gut vorangekommen in dem Stück Worte und Musik, dank deiner Rücksichtnahme. Du erinnerst dich? Die Trägheit als allerdringendste Regung? Hör zu: Das Thema heute Abend… Liebe. Liebe? –

Beckett stampft mit seinem Fuß auf dem Boden: Liebe! Liebe ist von allen Leidenschaften die allermächtigste Leidenschaft und fürwahr keine Leidenschaft ist noch mächtiger als die Leidenschaft der Liebe - Pause - es ist die Weise in der der Geist am allermeisten leidet und fürwahr in keiner Weise hat der Geist noch mehr zu leiden als in dieser. –

Fußstoß auf dem Boden: Wobei Leidenschaft zu verstehen ist als Bewegung unseres Geistes, seine Sucht nach oder Flucht vor echten oder erdachten Vergnügungen oder Leid.

Beckett räuspert sich: Von all diesen Regungen also, und wer kann sie zählen, sie sind unzählig, ist Trägheit die, ist Liebe die allerdringlichste und fürwahr von keiner anderen Regung wird die Seele mehr bedrängt als von diesem Hin und Her.-

Fußstoß auf dem Boden: soweit für den Augenblick.

Beckett erhebt sich, macht die Lampe aus, schiebt den Stuhl an den Tisch, wendet sich zum Zuschauer, nickt um Aufmerksamkeit buhlend und gleichzeitig mit den Händen den Beifall abwehrend. Dann geht er zur Tür, öffnet sie vorsichtig, indem er den nicht existierenden Kater mit seinem Blick hinaus begleitet. Er schließt die Tür, bleibt in der schummrigen Diele zögernd stehen.

4. Szene (Ende April 1961)

Das Bühnenbild wie vorher. Motorgeräusch eines ankommenden Autos ist zu hören, Türen klappen, dann wird die Eingangstür der Diele geöffnet. Beckett geht ein paar Schritte in Richtung der Ankommenden. Eine junge Frau und ein junger Mann treten ein, schließen die Tür, bleiben verwundert stehen.

Beckett: Bonjour, ich bin Beckett und wer sind Sie?

Die junge Frau, die auf ihren hohen Absätzen ihrem Begleiter bis zur Schulter reicht, trägt ein farbiges Sommerkleid und ihre langen schwarzen Haare offen.

Sie reicht Beckett die Hand: Bon jour, Monsieur Beckett, ich heiße Orletta. Wir sind uns vor einiger Zeit im Restaurant La Palette begegnet. Und das ist Pierre, ein Freund, der mich seit gestern begleitet. Bost ist noch beim Auto.

Pierre ist dunkelhäutig, mit krausen Haaren, Mitte 20, salopp gekleidet. Er reicht Beckett ebenfalls die Hand und sein bon jour klingt nach Nordafrika.

Beckett distanziert: Hm, gut, wir sehen uns später.

Beckett dreht sich um, wendet sich der Treppe zu, die neben der Kammer nach oben führt.

Beckett brummig: Ich will mich jetzt ausruhen.

Orletta und Pierre treten durch die Doppeltür in den Salon. Sartre steht noch an einer Terrassentür, Beauvoir sitzt auf dem Sofa. Sie springt auf und geht auf die beiden zu.

Beauvoir begrüßt Orletta mit Wangenküssen: Willkommen, Orletta.

Pierre: Bon jour, ich heiße Pierre Fanon.

Beauvoir überrascht: Ach, sind Sie mit Frantz verwandt? Pierre: Er ist mein Onkel.

Beauvoir zu Sartre: Hast du gehört? Orletta bringt einen Neffen von Frantz mit. Du hattest doch unlängst eine intensive Diskussion mit Fanon, anlässlich des Vorwortes zu Die Verdammten der Erde.

Sartre kommt zögernd näher, reicht Pierre die Hand. Sartre distanziert: Wie geht es Ihrem Onkel?

Pierre: Leider nicht gut, wegen der Krankheit muss er viel liegen, er ist sehr schwach. Ich soll Sie beide herzlich von ihm grüßen und er lässt Sie, Monsieur Sartre, durch mich fragen, ob Sie endlich gegen die Algerien Politik mit der vereinbarten Parole "Ich bin Algerier" protestieren?

Sartre gereizt: Wir hatten darüber bereits eine harte Auseinandersetzung. Trotzdem danke ich für die Grüße und seien Sie willkommen.

Sartre zu Orletta: Schön, dass du hier bist. Wir können uns gleich setzen und mit der Besprechung der Biographie fortfahren.

Sartre zu Beauvoir: Castor, wollten Sie nicht den Kater suchen gehen?

Sartre zu Pierre: Wenn es Sie nicht stört, Pierre, können Sie sich dort in den Sessel setzen, wir müssen arbeiten.

Beauvoir verlässt den Raum durch eine Terrassentür.

Pierre: Danke, Monsieur Sartre, für das Angebot. Aber ich gehe auch lieber in den Garten und helfe suchen.

Pierre verlässt den Salon durch eine Terrassentür.

Orletta und Sartre stehen sich gegenüber, sie umarmen sich vorsichtig.

Sartre: Danke Orletta, ich habe dich schon vermisst.

Orletta wirft den Kopf in den Nacken, ihre langen Haare fliegen umher.

Orletta lachend: Schön dich wieder zu sehen, Jean-Paul. Du siehst etwas abgespannt aus. Hast du Ärger gehabt?

Sartre: Ach, eigentlich nichts Besonderes. Castor hat ein wenig genervt, wegen einer Katze und gerade hatten wir ein klärendes Gespräch. Aber jetzt bin ich ganz für dich da. Wo waren wir beim letzten Mal stehen geblieben?

Orletta: Du wolltest mir erklären, warum du eine zweite Fassung deiner Biografie schreibst. Wann hast du mit der ersten Fassung begonnen?

Sartre: Vor fast zehn Jahren, aber ich hatte schon viel früher die Idee, über mein Leben zu schreiben. Schon mit 20 hatte ich daran gedacht, aber dann wollte ich erst mit 50 beginnen, wenn das Leben hinter mir lag.

Orletta: Also Anfang der 50ger hast du angefangen? Und warum in der Zeit?

Sartre: Es gab große Veränderungen. Es war ein wichtiger Einschnitt. Ich hatte das Buch Saint Genet beendet und engagierte mich danach politisch. In der ersten Fassung hatte ich übrigens gar nicht vor, meine Kindheit zu beschreiben. Ich wollte zeigen, dass ich schon immer begierig war mich zu verändern, dass ich mich in meiner Haut nicht wohl fühlte, dass ich schlecht mit anderen Menschen stand und – Pause - wie ich mich veränderte und zum Kommunisten wurde. Aber dann kam die Politik dazwischen und ich ließ es liegen.

Orletta: Und jetzt hast du wieder angefangen, warum?

Sartre: Ich brauchte Geld. Gallimard hat mir für das Buch Die Wörter einen Vorschuss gegeben und nun arbeite ich daran. Aber es soll ganz anders werden.

Orletta: Du machst mich neugierig, Jean-Paul.

Sartre: Also, es soll literarischer werden, sich dadurch von der ersten Fassung und auch von meinen anderen Werken unterscheiden. Ich will literarisch sein, um zu zeigen, dass es ein Irrtum ist literarisch zu sein.

Orletta: Das verstehe ich gar nicht.

Sartre: Ich will mit diesem Buch über meine Kindheit und Jugend einen Abstand, einen Schnitt zu meinen Romanen und Novellen machen.

Orletta: Du willst mit Die Wörter den alten Literaten begraben?

Sartre: Ja, so ungefähr. Ich will nicht mehr einen Roman schreiben, der so an die Wahrnehmung des Individuums gebunden ist. Früher suchte ich Wahrheit in der Literatur. Ich dachte, dass ein Buch eine Wahrheit enthüllt. Ich meinte, dass der Stil, die Schreibweise, die Wörter mir etwas brächten. Ich verlangte danach in den literarischen Büchern.

Orletta: Ich verstehe immer noch nicht. Wolltest du in den Werken der anderen die Wahrheit einer Weltsicht erkunden?

Sartre: Ja, mir war es wichtig, die Wahrheit des Autors herauszufinden. Literatur hatte noch etwas Magisches für mich. Ich glaubte, dass das Schreiben eine Tätigkeit sei, die zwar Reales produzierte, aber jenseits des Buches gäbe es die Wahrheit. Das glaubte ich. Es war eine Idee des vorigen Jahrhunderts und durch die Beschäftigung mit dem Marxismus verlor ich diese Idee.

Orletta: Ich verstehe. Und nun willst du deine Kindheit übertrieben literarisch darstellen, um dich von den alten Ideen zu entfernen? Wie willst du das machen? Gibt es denn unterschiedliche Grade in der Literatur?

Sartre: Nun, ich werde stärker am Stil arbeiten. Die Sätze mehr ausfeilen. Ich will in jedem Satz Anspielungen unterbringen, die die Leser auf der einen oder anderen Ebene beeindrucken. Ich möchte Wortspiele, Kunstgriffe entwickeln und den Leser durch die Wendungen der Sätze verführen.

Orletta sanft: Ja, Verführung ist immer wichtig, nicht nur in der Literatur!

Sartre blickt sie liebevoll an.

Sartre: Hm. Du verstehst mich. Wenn ich den Eindruck habe, es sei mir gelungen, empfinde ich eine besondere Achtung für das Werk, so etwas wie Zärtlichkeit.

Orletta: Aber, das gilt auch für unsere Beziehung, nicht wahr?

Sartre zögernd: Nun ja, trotzdem denke ich manchmal, ob wirklich eine so gewaltige Arbeit nötig ist, um einen eigenen literarischen Stil zu schaffen?

Orletta: Das hängt sicher vom Temperament des Autors ab, von der Intensität des Suchenden.

Sartre: Ja, aber im Grunde, glaube ich, dass die Werke am besten geschrieben sind, die ohne langes Suchen entstanden sind.

Oretta: Ja, genau, es ist wie in Beziehungen. Man sucht nicht, man findet!