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Andrew - verliebt in einen Bad Boy

Elena MacKenzie

Latos Verlag

Inhalt

Logos

Vorwort

The Bonnie and Clyde Story

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Danksagung

Bücher von Elena MacKenzie

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Für Verena, die Männer in Kampfmontur, Helikopter und Cola liebt.

Vorwort

Liebe Leser,

im Laufe meiner Recherche über Bonnie und Clyde, bin ich auch über das nachfolgende Gedicht gestolpert. Bonnie Parkers Traum war es immer, Schriftstellerin zu werden. Sie hat Gedichte geschrieben, veröffentlicht wurde aber nur dieses eine. Es erschien damals in vielen großen Zeitungen in den USA. Im Internet gibt es eine Übersetzung eines Bloggers, die sich aber leider in einigen Teilen nicht so gut an das Original hält, weil der Übersetzer wert darauf gelegt hat, die einzelnen Verse wie im Original, in Reimen zu verfassen. Mir war eine weitestgehend wortgetreue Übersetzung wichtig, weswegen hier im Buch meine eigene Übersetzung abgebildet wird.

In diesem Buch geht es auf gar keinen Fall darum, kriminelle Handlungen zu verherrlichen, es soll einfach nur unterhalten. Sollte sich jemand also daran stören, dass die beiden Protagonisten, das eine oder andere Gesetz übertreten, dann ist dieses Buch nicht für ihn geeignet.

Allen anderen Lesern wünsche ich viel Spaß mit einer etwas anderen Bonnie und Clyde-Story.

The Bonnie and Clyde Story

Die Geschichte von Bonnie und Clyde


Die Story von Jessie James hast du gelesen,

Darüber, wie er lebte und starb;

Du brauchst noch mehr zum Lesen,

Hier ist die Story von Bonnie und Clyde.


Jetzt Bonnie und Clyde sind die Barrow Gang,

Ich bin sicher, ihr alle habt es gelesen,

Wie sie raubten und stahlen

Und diejenigen, die schrieen

fand man sterbend oder tot.


Da sind viele Unwahrheiten geschrieben,

Sie sind nicht so rücksichtlos,

Sie sind von Natur aus rau,

Sie hassen das Gesetz,

Die Spitzel, Spotter und Ratten.


Sie nennen sie kaltblütige Mörder;

Und sagen sie sind herzlos und gemein,

Aber ich sag es mit Stolz,

Dass ich einmal kannte Clyde

Als er noch ehrlich war, aufrecht und rein.


Aber die Gesetze täuschten ihn immer wieder,

warfen ihn unaufhörlich nieder.

Sperrten ihn ein in eine Zelle,

Bis er sagte zu mir,

„Frei sein werde ich nie,

Bis ich einige von ihnen in der Hölle wiederseh.“


Die Straße war schwach beleuchtetet;

Nirgends Schilder die könnten leiten.

Doch sie wuchsen an ihren Willen,

Selbst wenn alle Straßen unsichtbar wären,

bis zu ihren Tod würden sie nicht aufgeben.


Die Straße wurde dunkler und dunkler;

Manchmal kannst du sie nicht mehr sehen.

Aber es ist ein Kampf, Mann gegen Mann,

Und du gibst alles, was du kannst,

Obwohl du weißt, du wirst nie mehr frei sein.


An gebrochenen Herzen manche Menschen litten;

An Verdrossenheit manche Menschen starben;

Alles in Allem lässt sich jedoch sagen:

Unsere Probleme sind klein.

Bis wir so werden wie Bonnie und Clyde.


Wenn ein Polizist wird getötet in Dallas,

Und sie haben keine Antwort noch einen Plan;

Und wenn sie keinen Teufel finden,

Dann waschen sie ihre Hemden rein,

und hängen es Bonnie und Clyde an.


Da gibt es zwei Verbrechen in Amerika,

Nicht verübt vom Barrow-Clan;

Sie hatten nicht ihre Hand im Spiel

Weder in diesem Kidnapping-Deal,

Noch im Kansas City Depot Job.


Ein Zeitungsjunge sagte einmal zu seinem Freund;

“Ich wünschte, der alte Clyde würde es tun

In diesen schrecklich harten Zeiten

Würden wir ein paar Groschen machen,

Wenn fünf oder sechs Bullen erschossen würden.“


Die Polizei hat den Bericht noch nicht erhalten,

Aber Clyde rief mich heute herbei;

Er sagte: “Starte keine Schlacht,

Wir arbeiten nicht bei Nacht.

Wir treten ein in die NRA.


Zwischen Irving und dem West Dallas Viadukt

Ist sie bekannt als die große Schneise

Wo die Frauen zusammenhalten,

Und die Männer noch Männer sind.

Und sie nicht hocken wollten auf Bonnie und Clyde.


Wenn sie versuchten wie Bürger zu handeln,

Und sich eine kleine Wohnung würden mieten,

Schon in der dritten Nacht

Würden sie eingeladen zum Kampf

Mit einem Maschinengewehr-Ratatat.


Sie denken nicht, dass sie zu schlau oder verzweifelt sind,

Sie wissen, dass das Gesetz immer gewinnt;

Sie würden vorher erschossen,

Sie würden nie ignorieren,

Dass der Tod der Preis ist für ihre Sünd.


Eines Tages gehen sie zusammen unter,

Und sie werden sie begraben Seite an Seite,

Einige werden traurig sein,

Dem Gesetz wird es eine Erleichterung sein,

Jedochder Tod für Bonnie und Clyde.


© Bonnie Elizabeth Parker 1934

Deutsche Übersetzung Elena MacKenzie 2015

Kapitel Eins

Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man kriegt. (Forrest Gump)


Phoebe


»Du wirst nicht alleine ausgehen!« Mein Vater sieht mich mit wutverzerrtem Gesicht an. Sein Gesicht leuchtet wie eine Tomate und stützt sich schwer atmend auf der Tischplatte seines Schreibtisches ab. Heute ist er besonders schlecht gelaunt, und ich glaube nicht, dass es daran liegt, dass ich nur einmal ohne Wachhund ausgehen will. Aus Gründen, die offensichtlich sind, die ihn aber genauso wenig interessieren wie meine Existenz. Für ihn war ich immer schon nur etwas, das ihm im Weg steht und das er nach Möglichkeit ignorieren kann, außer es gilt, mir seine Macht über mich zu demonstrieren. In solchen Momenten weiß er sehr wohl, dass er eine Tochter hat.

»Ich bin jetzt achtzehn! Muss ich dich erst daran erinnern, dass ich allein hingehen darf, wohin auch immer ich will?«, keife ich zurück.

Seit meine Mutter vor vierzehn Jahren spurlos verschwunden ist, scheint er zum Kontrollfreak geworden zu sein. Ich habe mich nie der Illusion hingegeben, dass mein Vater sich dazu durchringen würde, mir mehr Freiheiten einzugestehen, wenn ich erst volljährig bin. Aber dass er wirklich keinen Zentimeter von seinem bisherigen Verhalten abrückt, habe ich auch nicht erwartet.

»Dir muss doch klar sein, dass ich jetzt das Recht habe, einfach auszuziehen. Wie willst du mich dann noch rund um die Uhr von deinen Rottweilern bewachen lassen?«

Rottweiler nenne ich seine Bodyguards, die mich schon mein Leben lang umgeben. Wozu mein Vater durchschnittlich zehn Muskelprotze um sich herum braucht, darüber mache ich mir auch keine Illusionen. Schon seit meinem vierzehnten Lebensjahr habe ich eine Ahnung von dem, womit er sein Geld verdient.

Nichts davon scheint der Weg zu sein, den Menschen nehmen, die nicht im Konflikt mit dem Gesetz stehen. Aber ich versuche mein Möglichstes, nichts zu hinterfragen. Der Grund ist wohl der, dass ich in ihm einfach keinen Kriminellen sehen will.

Und ich will nicht, dass er mich noch weiter von sich stößt, wenn er erst bemerkt, dass ich mehr von dem mitbekomme, was in diesem Haus passiert, als ihm lieb ist. Und er ist mein Vater, mehr als ihn habe ich nicht, also muss ich mich an ihm festhalten, so gut ich kann. Auch, wenn in den letzten Jahren meine Gewissensbisse gewachsen sind, ich mich schuldig fühle für das, was mein Vater tut, was auch immer es ist. Und manchmal erlaube ich mir deswegen, ihn zu hassen, weil er Dinge tut, die er nicht tun sollte.

Meine größte Angst ist dabei, dass er anderen Menschen wehtut. Und dass seine Geschäfte Opfer fordern, so wie das von Onkel Ronny, der jetzt tot ist. Und ich weiß nicht einmal warum, weil Ronnys Tod wohl zu den Dingen gehört, die ich nicht wissen darf. Alles, was ich wissen darf, ist, dass es so ist. Wenn ich das Gespräch zwischen ihm und einem Polizeibeamten nicht zufällig mitbekommen hätte, wüsste ich nicht einmal, dass mein Onkel tot ist.

»Deine Einwände interessieren mich nicht. Meine Tochter geht nicht ohne Schutz auf die Straße. Und wenn du nur in die Kirche willst, du nimmst einen meiner Männer mit. Heute lässt du dich von Andrew begleiten.«

Erschrocken erstarre ich. Hat er wirklich Andrew gesagt? Mein Herz beginnt so heftig zu klopfen, dass es vor meinen Augen anfängt zu flimmern. Ist Andrew wirklich zurück? Aber ich darf mir nichts anmerken lassen, weswegen ich meine Gesichtszüge sofort versteinern lasse und tief einatme, um die Kontrolle über meinen Körper zurückzubekommen. Mein Vater ist in den letzten Jahren immer komischer geworden, was mich und den Kontakt zum anderen Geschlecht betrifft. Männer dürfen sich mir nicht auf zehn Fuß nähern. Nicht einmal, wenn ich ausgehen darf. Was selten genug vorkommt.

»Ich hasse Andrew!« Eigentlich tue ich das ganz und gar nicht und das darf mein Vater nicht wissen, sonst würde er sofort dafür sorgen, dass ich Andrew niemals wiedersehen darf. Mein Vater mag nicht viel Interesse an mir haben, aber seit einiger Zeit arrangiert er immer wieder Treffen zwischen mir und dem Sohn eines Geschäftspartners. Und da er mich sonst von jedem anderen seiner Geschlechtsgenossen fernhält, habe ich ein ganz dumpfes Gefühl im Magen.

Ich würde niemals jemand anderen lieben können. Ich bin in Andrew verliebt, seit ich begriffen habe, dass er gar nicht mein Bruder ist, sondern nur bei uns lebte, solange Onkel Ronny im Knast gesessen hat. Und zu meinem Glück ist Andrew auch nicht Ronnys leiblicher Sohn, also durfte ich mich ohne schlechtes Gewissen in ihn verlieben - und ohne gegen irgendwelche Gesetze zu verstoßen.

Erst war es nur Schwärmerei, weil er unglaublich gut aussieht. Er ist zehn Jahre älter als ich, aber wen interessiert das schon? Andrew war der erste Mensch in meiner Nähe, der sich die Zeit genommen hat, mich als Person wahrzunehmen und nicht als lästiges Anhängsel des gefürchteten, aber gut zahlenden Ragnarök.

Mein Vater streicht sich durch das ergraute kurze Haar und lässt sich in seinen Ledersessel fallen. »Andrew!«, brüllt er mit heftig zitternder Stimme.

In meinem Magen beginnt es zu flattern. Seit Ronny vor ein paar Monaten aus dem Knast kam, war er ständig für ihn unterwegs. Und davor habe ich ihn fast zwei Jahre nicht gesehen, weil er selbst auch im Gefängnis saß. Das sind jetzt fast sechsundzwanzig Monate ohne ihn. Eine lange Zeit. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, als ich erfahren habe, dass er längst wieder frei ist und nicht bei mir vorbeigesehen hat. Dass er jetzt doch wieder da ist, fühlt sich beängstigend und aufregend zugleich an. Und es macht mich ganz nervös. Ich brauche jedes Quäntchen Kraft, um das Zittern zu unterdrücken, das sich durch meinen Körper arbeiten will. Andrew!

Jeden Moment werde ich Andrew zum ersten Mal seit so langer Zeit wiedersehen. In meinen Zorn mischt sich auch Aufregung und mein Herzschlag fällt in die schnell näherkommenden, hallenden Schritte ein, die sich uns durch die große Halle mit Marmorboden nähern. Ich schlucke schwer und sehe nicht über die Schulter zurück, als hinter mir Andrews dunkle rauchige Stimme ertönt.

Ich schließe die Augen und ein Teil von mir betet schon fast, dass er noch immer so umwerfend aussieht wie in meiner Erinnerung. Ein anderer Teil hat plötzlich Zweifel, ob ich überhaupt noch etwas für ihn empfinden werde, wenn ich ihn gleich ansehe. Seit Jahren ist mein ganzes Sein auf diesen einen Menschen fixiert. In meinem Leben gab es immer nur ihn. Erst als mein bester Freund und Vertrauter, später dann als die heimliche Liebe meines Lebens. Was, wenn sich die Realität nicht mehr mit meiner Fantasie deckt und Andrew nicht mehr der Mensch ist, der alles für mich bedeutet? Wird dann mein Leben von einer Sekunde auf die andere ein leeres schwarzes Loch sein? Vielleicht sind meine Gefühle ja nichts weiter als die Träumereien eines Teenagers und in Wirklichkeit ist er alles andere als der heißeste Kerl aller Zeiten? Der beste Freund, den ich je hatte?

Ich schließe die Augen für eine Sekunde und gestatte mir, ihn mir so vorzustellen, wie er noch vor zwei Jahren aussah. So wie ich ihn als Sechzehnjährige gesehen habe. Der sechsundzwanzigjährige Andrew war schlank, groß und sehr attraktiv. Seine honigfarbenen Haare trug er stets kurz und ordentlich zurückgekämmt. Und seine blaugrünen Augen, von denen man nie sagen konnte, welche Farbe sie nun wirklich hatten, weil sie je nach Lichteinfall ihre Farbe änderten, verbargen sich hinter einer Traurigkeit, die ich mir nie erklären konnte. Aber er hat nie über den Grund für diese Traurigkeit gesprochen. Ihm war es immer wichtiger, mich zu beschützen und für mich da zu sein, als an sich zu denken.

Ich beiße mir auf die Unterlippe und sehe langsam über meine Schulter zurück. Verdammt! Wie kann er denn noch heißer als in meinen Erinnerungen sein? Ich drehe mich etwas weiter zu ihm um und mein Herz hämmert so schnell wie noch nie. Der alte Andrew ist noch da, aber er hat sich auch verändert. Nicht nur ein bisschen. Und an der Heftigkeit, mit der mein Herz rast und sich alles in mir zusammenzieht, bemerke ich, dass dieser neue Andrew mich regelrecht umhaut. Er ist groß und breitschultrig. Seitlich an seinem Hals trägt er das Tattoo eines Thorhammers. Sein markanter Unterkiefer wirkt sehr erotisch. Am besten aber finde ich seine volle, scharfkantige Unterlippe, die zum Küssen einlädt. Und ich liebe sein kurzes dunkelblondes Haar und die leicht schrägstehenden Augen. Alles an ihm wirkt gefährlicher und rauer als noch vor zwei Jahren. Das jungenhaft Unschuldige an diesem Mann ist ausgelöscht worden im Gefängnis. Vor mir steht ein Mann, der mit jeder Zelle seines Körpers ein Bad Boy ist. Und ich steh drauf, so sehr, dass ich kaum bemerke, dass ich aufgehört habe zu atmen.

Selbst die Traurigkeit seiner Augen ist einer Kälte gewichen, die mich erschreckt und gleichzeitig innerlich erbeben lässt. Andrew strahlt eine Härte und Rauheit aus, die nur jemand ausstrahlen kann, der im Gefängnis gewesen ist oder Schlimmes durchgemacht hat.

Er lehnt im Türrahmen, die Arme vor der breiten Brust verschränkt. Mein Vater besteht darauf, dass all seine Männer schwarze Anzüge tragen. Er hat seinen wohl vergessen, denn er hat eine ausgewaschene Jeans und ein schwarzes Shirt an, dessen Ärmel sich um die kräftigen Muskeln seiner Oberarme spannen. In der Hand hält er eine schwarze Anzugjacke. Ich unterdrücke ein Seufzen, als sein dunkler Blick auf mir hängenbleibt und dabei noch ein wenig dunkler wird, bevor er sich von mir abwendet und meinen Vater ansieht.

Innerlich stöhne ich schmerzvoll auf. Ich weiß, dass er mich nicht vergessen hat. Er war mein bester und einziger Freund, ihm habe ich vertraut wie niemandem sonst. Wir sind zusammen aufgewachsen. Dass ich nicht mehr von ihm bekomme, als diesen eiskalten, abschätzigen Blick, reißt eine tiefe Wunde in mein Herz. Ich drehe mich wieder um und presse die Lippen aufeinander. Ich bin mir Andrews Nähe nur allzu bewusst. Mein Rücken kribbelt und in meinem Körper vibriert es vor Aufregung, weil ich endlich wieder in seinem Leben sein darf. Aber ich spüre auch diese Angst davor, dass er mich dort nicht mehr haben will. Es war, als hätte sein Blick mir zugeflüstert: »Wir sind keine Freunde mehr, bleib auf Abstand.«

In meinem Hals bildet sich ein übergroßer Knoten. Was auch immer ihn hat so werden lassen, ich muss versuchen, es wiedergutzumachen. So sehr kann das Gefängnis ihn nicht verändert haben, dass er nicht das für ihn typische Zwinkern für mich übrighat. Mit diesem Zwinkern hat er mir immer Hallo gesagt, ohne Worte benutzen zu müssen. Und irgendwann hat es an Bedeutung für mich gewonnen und hat flattrige aufregende Gefühle in mir ausgelöst. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt habe ich begriffen, dass Andrew der Mann ist, mit dem ich alles teilen will: den ersten Kuss, den ersten Sex ... mein ganzes Leben. Und es war auch der Zeitpunkt, ab dem jedes Mal, wenn wir uns gesehen haben all diese Dinge in meinem Körper passiert sind, über die ich mich nicht gewagt habe, mit ihm zu sprechen.

»Meine Tochter möchte heute mit ihrer Freundin ins Vallhall.«

Ich schnappe nach Luft. »Wir wollten ins Black Widdow.«

»Du gehst ins Vallhall!«, donnert mein Vater.

Das Vallhall gehört ihm und mich nur dorthin zu lassen, ist eine Möglichkeit mehr für ihn, mich kontrollieren zu können. Denn alles, was die Kameras im Club aufzeichnen, wird auch hier ins Haus übertragen. Mein Vater hat in der oberen Etage der gregorianischen Villa eine riesige Überwachungsanlage, mit deren Hilfe er halb Glasgow überwachen kann. Es gibt kaum etwas, das ihm entgeht. Das verdankt er Steve und Alan, die beiden hacken sich in jedes computergesteuerte System.

»Ins Vallhall«, sagt Andrew. Seine Stimme klingt ungerührt, kalt, kontrolliert. So wie immer, seit er alt genug war, um für Vater zu arbeiten. Anders habe ich sie nur erlebt, wenn er mit mir zusammen war. In meiner Kindheit war Andrew die einzige Konstante, die ich kannte.

»Lass sie nicht aus den Augen!« Vater mustert Andrew und brummt etwas, bevor er sagt: »Dein Aufzug passt zumindest.«

Ich weiß, er ärgert sich, dass Andrew keinen Anzug trägt. Aber Andrew hat etwas an sich, das meinen Vater immer wieder über seinen Ungehorsam hinwegblicken lässt. Jeder andere Rottweiler würde seine Faust zu spüren bekommen. Vater mag Ungehorsam nicht. Aber in Andrew sieht er so etwas wie den Sohn, den er sich gewünscht hat, den er aber nicht bekommen hat.

Vielleicht auch doch, als Andrew zu uns kam, war ich noch nicht einmal geboren und er noch ein Kleinkind. Mein Vater ist wahrscheinlich vielmehr Vater für ihn, als Ronny es je sein konnte. Mein Vater ist sogar immer mehr Vater für Andrew gewesen, als er es je für mich war. Er hat Andrew Dinge gelehrt, über die ich nichts wissen durfte. Aber das Was ist gar nicht so wichtig. Wichtig ist, dass er mit ihm Zeit verbracht hat. Mehr als mit mir. Ja, ich würde sagen, in Andrew sieht er seinen Sohn. Aber ich war nie eifersüchtig, weil Andrew und ich viel gemeinsam hatten, das uns zusammengefügt hat.

»Wird erledigt.«

Ich schnaube abfällig, nehme meine Handtasche und mein Handy von dem kleinen Sessel, neben dem ich gestanden habe, und gehe an Andrew vorbei aus dem Büro, ohne ihn auch nur anzusehen. Aber als ich an ihm vorbeigehe, atme ich tief sein würziges Aftershave ein: Cool Davidoff, er verwendet es schon immer. Ich habe diesen Duft vermisst: kühl und männlich, ein bisschen wilde unbändige Natur und Andrew.

»Komm, Hündchen«, sage ich und klopfe auf meinen nackten Oberschenkel. Ich trage heute nur ein kurzes türkisgrünes Kleid, das sich ganz eng an meinen Körper schmiegt. Das einzige, das an diesem Kleid lang ist, sind die Ärmel. Es passt perfekt zu meinem kupferfarbenen Haar und seinen Augen. Es sind seine Augen, die mich dazu gebracht haben, die Farbe Türkis heiß und innig zu lieben. Meine geschlossenen High Heels sind silberfarben und passen wiederum sehr gut zur Tasche und zu meinen silbrig-grauen Augen. Ich schlage kein bisschen nach meinem Vater, wahrscheinlich eher nach meiner Mutter. Leider gibt es von ihr keine Fotos. Mein Vater sagt, er hat sie alle verbrannt, weil der Schmerz zu groß war. Vielleicht sieht er mich deswegen nie an, gibt sich kaum mit mir ab, nur, wenn er mir Dinge verbieten will.

Ich gehe vor Andrew durch die große Halle auf die doppelflügelige Haustür zu, neben der ein Rottweiler steht und mich zwar ansieht, sich aber nicht wagt, seinen Blick zu vertiefen. Jeder, der für meinen Vater arbeitet, weiß, dass ich verboten bin, weswegen sie es sich nicht wagen würden, mich zu genau anzusehen. Oder auch nur einen winzigen schlüpfrigen Gedanken an mich zu verschwenden. Ich bleibe neben dem dickbäuchigen Mann stehen, dessen Namen ich nicht einmal kenne und ziehe den breiten Schal enger um meine Schultern. Ich kenne die wenigsten Rottweiler mit Namen. Sie reden nur mit mir, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Mein Vater streitet es zwar ab, aber ich bin mir sicher, dass es ihnen verboten ist. Ich lege lasziv eine Hand auf seine Brust und schaue ihn unter schweren Lidern hervor an.

»Ich darf heute ausgehen«, setze ich ihn in Kenntnis.

Sein Blick fällt fragend auf Andrew, der hinter mir steht, weit genug entfernt, dass nicht mal sein Duft mich streift. Andrew muss wohl bestätigt haben, dass ich das Haus verlassen darf, denn die Muskeln unter meiner Hand setzen sich in Bewegung. Der Mann beugt sich an mir vorbei und öffnet mir die Tür. Kalte feuchte Herbstluft schlägt mir entgegen und legt sich wie ein feiner Film auf mein Gesicht. Für dieses Wetter bin ich nicht passend angezogen, aber das macht nichts. Die paar Meter zum Auto hin und vom Auto weg werde ich schon aushalten.

Vor der Villa wartet die Limousine meines Vaters. Sie ist immer fahrbereit, für den Fall, dass Ragnarök irgendwo irgendetwas zu erledigen hat. Deswegen wird sie Andrew und mich jetzt an unseren Zielort fahren und danach sofort wieder hier vor der Tür auf weitere Befehle warten. Bis es Zeit wird, dass ich nach Hause muss.

Bei dem Gedanken kann ich die Wut in meinem Magen spüren. Ich werde nie frei sein. Dieser Illusion habe ich mich umsonst hingegeben. Mir hätte klar sein müssen, dass ich immer die Gefangene des großen Ragnarök sein werde. Und schuld daran ist meine Mutter, die einfach weggelaufen ist. Ich glaube, das hat ihn verändert. Ihn hart gemacht. Natürlich kann ich mich kaum an die Zeit erinnern, als meine Mutter noch da war. Aber ich kann mich erinnern, auf seinem Schoß gesessen zu haben, während er ein Buch mit mir angeschaut hat und meine Mutter uns zugesehen hat. Das ist die einzige Erinnerung, die ich an uns alle zusammen habe. Ein paar verschwommene Bilder mit gesichtslosen Menschen. Ich weiß nicht einmal, ob es überhaupt eine Erinnerung ist oder einfach nur eine Szene, die die Wunschträume eines Kindes zeigt.

Sein Eigentum, das bin ich für ihn. Und wenn ich dem Grummeln in meinem Bauch vertrauen kann, werde ich demnächst genau wie meine Cousine geschäftlich verheiratet werden.

In letzter Zeit häufen sich die merkwürdigen Treffen zwischen meinem Vater und Liam Ashworth, einem Geschäftspartner von ihm. Treffen und offizielle Anlässe, auf die er mich mitnimmt und Liam mit seinem Sohn Camden an seiner Seite auftaucht. Wahrscheinlich würde ich es nicht einmal ahnen, wenn Kera mir nicht erzählt hätte, dass sie geschäftlich verheiratet wurde. Ein Schauer durchläuft mich bei dem Gedanken. Camden mag vielleicht eine nette und sexy Partie sein, aber er ist nicht meine Partie. Die steht hinter mir. Für nichts, auch nicht für meinen Vater, werde ich jemanden heiraten, den ich nicht liebe.

Ich tätschle dem Rottweiler noch einmal die Brust. »Ich geh dann mal etwas Spaß haben«, sage ich im Vorbeigehen.

Der Chauffeur öffnet mir die hintere Autotür, sobald ich die untere Stufe erreicht habe, und setzt ein bedeutungsloses Lächeln auf. Ich nenne ihm die Adresse meiner Freundin Ellie und setze mich mit gerümpfter Nase in den Rolls-Royce. Ich habe meinem Vater schon unzählige Male vorgeschlagen, sich ein weniger protziges Auto zuzulegen, aber Ragnarök ist niemand, der bescheiden ist. Alle Welt soll wissen, wie wohlhabend er ist. Irgendwann wird diese offensichtliche Zurschaustellung seines Kontostandes ihm das Genick brechen.

Ich rutsche auf die andere Seite, als Andrew sich neben mich auf die Rücksitzbank schiebt. Meine Clutch lege ich als kleine Barriere zwischen uns. Ich presse die Lippen fest aufeinander und versuche, so ruhig wie möglich zu atmen, aber mein Herz rast so heftig, dass ich bei dem Versuch fast ersticke. Vorsichtig sehe ich zur Seite, als der Fahrer die Tür schließt. Andrews Blick ist nach vorn gerichtet und er wirkt irgendwie unzufrieden. Wahrscheinlich ärgert er sich, weil man ausgerechnet ihm diesen Babysitterjob aufgehalst hat.

»Du musst mich nicht begleiten«, sage ich möglichst beiläufig. »Nimm dir ein paar Stunden frei, ich komm schon zurecht.«

Andrew wendet sich mir zu und in meinem Magen steigt ein nervöses Brennen auf. Sein Blick ist kühl, als er mir ins Gesicht sieht, dann verengen sich seine Lider und fast schon wütend funkelt er meine nackten Oberschenkel an.

»Was denkst du, wie lange es dauert, bis irgendein Kerl dich in diesem Aufzug entdeckt und dein Vater das dank der Kameras im Club mitbekommt und mich umbringt, weil ich dich unbeaufsichtigt gelassen habe?«, fragt er mich mit ruhiger kontrollierter Stimme. Er wendet seinen Blick wieder ab und sieht zum Seitenfenster raus. »Aber eigentlich hast du recht, ich habe Besseres zu tun, als auf kleine Mädchen aufzupassen. Wie dir nicht entgangen sein sollte, ist dein Onkel Ronny erst vor zwei Tagen ums Leben gekommen.«

Ich zucke schuldbewusst zusammen. Für Andrew war Ronny so etwas wie sein Vater, wenn auch nicht sein leiblicher. Aber ich mochte diesen Kerl nie. Eigentlich habe ich ihn sogar immer verachtet. All die Dinge, die man meinem Vater vorwirft, die hat er nachweislich getan. Und noch vieles mehr. Dieser Mann hat den Tod verdient, weswegen ich ihm auch keine Sekunde nachtrauere. Andrew sollte das auch nicht.

Ich schnaube und beuge mich näher zum Fahrer. »Nun fahren Sie schon schneller. Ellie wartet bestimmt schon. Sie wird noch ganz nass werden und dann muss ich mir den ganzen Abend anhören, dass ihre Frisur versaut ist.«

Der Fahrer antwortet, indem er mir einen scharfen Blick im Rückspiegel zuwirft, der mich nicht beeindruckt. Ich hasse die Männer meines Vaters. Indirekt gebe ich auch ihnen die Schuld an meiner Gefangenschaft. Noch mehr als jemals zuvor ersehne ich mir heute Abend ein Stück mehr Freiheit. Ich möchte raus aus diesem goldenen Käfig. Für manch einen klingt ein goldener Käfig vielleicht wie die Erfüllung all seiner Träume. Aber was kann man mit Reichtum und einem Leben in Prunk und Schönheit schon anfangen, wenn man eigentlich gar kein eigenes Leben hat?

Ich bin so enttäuscht darüber, dass mein Vater mir sogar an dem Tag, an dem ich endlich und lang ersehnt, volljährig geworden bin, sagt, was ich zu tun und zu lassen habe. All meine Hoffnung darauf, dass sich nun etwas für mich ändern wird, hat er mit Füßen getreten. Der Zorn in mir brodelt nah an der Oberfläche und ich möchte am liebsten jemandem wehtun, um mich dadurch wieder besser zu fühlen.

»Der Mann kann nichts daran ändern, dass es nicht nach dir geht«, sagt Andrew leise, ohne mich anzusehen. »Ich bin vielleicht nicht dein leiblicher Bruder, aber ich komme dem wohl am nächsten, und deswegen muss ich deinem Vater recht geben, wenn er nicht will, dass du unbeaufsichtigt dort draußen rumläufst. Schon gar nicht jetzt, wo alles auseinanderzubrechen droht, was Ronny und er aufgebaut haben. Das Machtgleichgewicht ist durch Ronnys Tod ins Wanken geraten und es gibt den Einen oder Anderen dort draußen, der jede Chance nutzen würde, um deinen Vater vom Thron zu stoßen.«

Ich kneife die Augen zusammen und hole tief Luft. Ich weiß, dass Andrew nicht unrecht hat. Und es ist auch gar nicht, das, was er sagt. Zumindest nicht alles davon. Nur ein Teil von dem macht mich noch wütender und lässt mich fast explodieren. Der Teil, in dem er sagt, er wäre mein Bruder. Dieser Teil schmerzt, als würde Andrew selbst mir mein Herz aus der Brust reißen, es in seiner Faust zerdrücken und es dann wieder zurückstecken.

Als ich klein war, war es okay, dass er in mir die kleine Schwester gesehen hat, die er unbedingt beschützen musste. Als ich dann älter wurde, habe ich angefangen, es zu hassen, dass ich für ihn nicht mehr als das war. Solange er seine Schwester in mir sieht, habe ich nicht die geringste Chance, von diesem Mann zu bekommen, was ich mir so sehr wünsche.

»Was mein lieber Herr Vater so treibt, interessiert mich nicht. Dieser kriminelle Mist, von dem ich nichts wissen darf, bestimmt mein ganzes verdammtes Leben. Ich werde noch als Jungfrau sterben«, platzt es aus mir heraus, noch bevor ich es zurückhalten kann.

Andrews Blick wirkt genauso schockiert, wie ich mich fühle. Sein Mund steht offen, dann schluckt er so heftig, dass ich die Bewegung seines Adamsapfels deutlich sehen kann. Er sieht hastig zur Seite und ich spüre, wie Hitze sich über meine Wangen, meinen Hals und meine Brust ausbreitet.

Frustriert und beschämt stöhne ich auf und verstecke mein brennendes Gesicht in meinen Handflächen. Wie konnte das nur passieren? Wie blöd von mir, ihm das zu sagen! Gerade Andrew! Aber ich habe es ja nicht freiwillig getan. Manchmal hasse ich mein Temperament, das ich wohl von meiner Mutter geerbt haben muss, denn mein Vater ist immer ruhig, gelassen und geradezu emotionslos. Emotionslosigkeit hätte mich eben vor diesem dummen Fehler bewahrt.

Jetzt wird er wohl noch mehr ein Kind in mir sehen, als er das ohnehin schon tut. Phoebe, das kleine dumme Mädchen, das total verknallt in den heißen Typen ist, der wirklich jede haben kann. Wenn ich je eine Chance bei ihm hatte, habe ich die jetzt verspielt. Ich stoße ein weiteres frustriertes Stöhnen aus. »Vergiss einfach, dass ich das jemals gesagt habe«, sage ich heiser vor Scham.

»Bin schon längst dabei«, sagt er, grinst mich aber breit an. Zum ersten Mal, seit er wieder zurück ist, bringt ihn etwas zum Lächeln und das ist ausgerechnet das peinlichste Geständnis, das meinen Mund je verlassen hat.

Meine Hand ballt sich zur Faust und ich muss wirklich an mich halten, sie ihm nicht ins Gesicht zu trümmern. Und dass ich zuschlagen kann, sollte selbst er wissen, denn er hat es mir beigebracht, als er noch bei uns gewohnt hat und ich noch viel zu jung war, um diese Gefühle, die ich immer in seiner Nähe hatte, haben zu dürfen.

Aber warum winde ich mich eigentlich so heftig? Ihm müsste klar sein, dass ich nie einen Freund hatte, mein Vater hätte es gar nicht zugelassen. Ich hatte gar nicht die Möglichkeit, auf Jungs zu treffen, immerhin hat man mich in eine Mädchenschule abgeschoben. Eine katholische!

Die Limousine hält am Straßenrand und ich könnte vor Erleichterung anfangen zu heulen, als meine Freundin Ellie sich mir gegenüber auf die Rücksitzbank setzt.

Sie trägt eine knallenge schwarze Lacklederhose und ein weißes Top, auf dessen Brust mit glitzernden schwarzen Perlen »Zu allem bereit« steht. Ihr Top ist so eng und der Kragen so weit ausgeschnitten, dass ihr praller Busen fast aus dem Ausschnitt springt. Ellie war noch nie schüchtern. Und trotz katholischer Mädchenschule, lässt sie nichts anbrennen. Und ihre Eltern verschaffen ihr mir gegenüber einen wichtigen Vorteil: Sie sind ständig unterwegs und lassen ihre Tochter immer allein zu Hause. Ellies Leben ist so komplett anders als meins. Wenn ich nur ein winziges Stück von ihrem Glück abhaben könnte …

»Hallo Andrew«, säuselt sie, nachdem sie mich begrüßt und mir ein kleines Päckchen in die Hand gedrückt hat. »Wie gefällt dir die frische Luft in der knastfreien Welt?«

Andrew mustert sie genau, angefangen bei ihren langen, gewellten blonden Haaren, die locker bis über ihre Schultern fallen, über ihre dunklen, vollen Lippen und ihr freizügiges Äußeres. Um seine Mundwinkel zuckt ein winziges Lächeln und in seinen Augen blitzt etwas zufrieden auf. Ich stoße ein geistiges Knurren aus. Natürlich sieht er in ihr nicht seine kleine Schwester. Das tun die Männer nie. Warum sollte das bei Andrew anders sein?

»Sie ist eindeutig östrogenhaltiger.« Andrew sagt das und lässt dabei fast seine Augen in Ellies Ausschnitt fallen.

Ich fummele an dem Geschenkpapier herum, während ich zusehe, wie Andrew jeden Zentimeter von Ellies Körper unter die Lupe nimmt. Meine Finger zittern und etwas sticht in meiner Brust. Ich war nie wegen eines Mannes auf Ellie eifersüchtig. Wir waren schon des Öfteren gemeinsam aus. Sie hat die Kerle angegraben und ich habe brav neben einem meiner Hündchen gestanden und zugesehen. Aber jetzt zuzusehen, fühlt sich an, als fresse sich ein Wurm durch meine Eingeweide. Als brenne sich Säure durch mein Herz.

»Dann wollen wir mal sehen, was du mir mitgebracht hast«, werfe ich mit viel zu hoher Stimme ein und unterbreche den Blickkontakt der beiden. Angespannt reiße ich das bunte Papier mit den kitschigen Hello Kittys ab, die mich gerade noch mehr ärgern, weil ich das Gefühl habe, dass sie Andrew erst recht glauben lassen, ich wäre noch ein Kind. Unter dem Papier kommt eine weiße Schachtel zum Vorschein.

»Du schenkst mir ein iPhone?«, frage ich verwirrt, weil ich den Sinn hinter diesem Geschenk nicht verstehen kann. Ich habe dieses Model schon längst. Auch wenn ich das iPhone hasse, weil Vater die Ortungsfunktion von Apple dafür benutzt, mich ständig zu verfolgen, aber ein anderes Handy darf ich nicht haben.

»Nein, ich hatte nur keine andere Schachtel. Du musst sie aufmachen«, sagt Ellie grinsend, dann gleitet ihr Blick wieder zu Andrew und was ich in dem Blick sehe, lässt mich für einen Moment bereuen, dass sie meine Freundin ist.

Aber natürlich weiß Ellie gar nicht, was ich für Andrew empfinde. Ich habe es ihr nie gesagt. Warum auch, wir beide waren noch nicht alt genug für ein solches Gespräch, bevor Andrew ins Gefängnis kam. Und danach gab es keinen Grund mehr für ein solches Gespräch. Obwohl wir natürlich auch Gespräche über Männer hatten. Aber meist war es so, dass Ellie mir von ihren Erlebnissen erzählt hat und ich sie durch sie erlebt habe. Ich ziehe den Deckel von der Schachtel und erstarre mit Hitze im Gesicht, als ich leuchtend rote Spitze sehe. Ich will den Deckel sofort wieder über die Schachtel schieben, doch Ellie ist schneller. Sie schnappt sich Babydoll und Tanga und hält sich beides mit wackelnden Augenbrauen vor den Körper.

»Und, wie gefällt es dir?«, fragt sie und sieht dabei nicht mich, sondern Andrew an, der zum zweiten Mal breit grinst. Ellie kichert wie wild drauf los, dann kramt sie in ihrer Handtasche und zieht ein paar Plüschhandschellen heraus. »Bevor ich die vergesse. Die haben nicht in die Schachtel gepasst, aber ich dachte, das rote Kuschelfell passt perfekt zur Unterwäsche.«

Ich entreiße Ellie die rote Seide und stopfe sie wieder in die kleine Schachtel. Dass beides darin Platz findet, zeigt aus wie verdammt wenig Stoff Ellies Geschenk besteht. Wahrscheinlich werde ich es niemals tragen. Oder aber, ich werde es tragen und kein Mann wird es jemals zu Gesicht bekommen.

Erleichtert registriere ich, dass der Wagen vor dem Club hält. Der Fahrer steigt aus und öffnet uns die Tür. Zuerst steigt Andrew aus, dann folge ich ihm und zum Schluss nimmt Andrew Ellies Hand und hilft ihr beim Aussteigen. Die Frustration darüber, dass er mir nicht geholfen hat, stoße ich zwischen zusammengepressten Lippen hervor. Ellie hält mich auf dem Fußweg zurück. In ihrer Hand hält sie die weiße Schachtel.

»Clutch auf!«, befiehlt sie.

Ich sehe sie mit gerunzelter Stirn fragend an.

»Du kannst nie wissen, wer dir heute über den Weg läuft.«

Niemand? Wer sollte mir schon über den Weg laufen?, versuche ich ihr mit einem Kopfnicken in Richtung meines Bodyguards zu bedeuten.

Sie nähert sich mit ihrem Gesicht meinem Ohr. »Was glaubst du, wieso ich eben im Auto diese Show aufgeführt habe? Bestimmt nicht, weil mir heute mal nach Ex-Knasti ist. Ich lenke ihn ab und du verschwindest«, flüstert sie leise. Gleichzeitig öffnet sie meine Handtasche und lässt die rote Seide und die Plüschhandschellen hineingleiten, danach zwinkert sie mir vielsagend zu, wirft die Schachtel auf die Rücksitzbank und hakt sich bei Andrew unter.

»Dann lass uns mal etwas Spaß haben, Andrew. Ich hoffe, dir macht der Altersunterschied nichts aus, aber ich kann dir versprechen, dass es nichts gibt, was du nicht mit mir anstellen darfst«, verspricht sie mit lüsternem Blick und leckt sich übertrieben aufreizend über die Lippen.

Ich stöhne innerlich auf, muss ihr aber zugutehalten, dass sie sich nur für mich an Andrew ranschmeißt. Vielleicht sollte ich Andrew wenigstens für heute Abend vergessen und tun, was Ellie mir vorgeschlagen hat. Andererseits weiß ich nur zu genau, dass ich alles, was ich will, direkt vor meiner Nase habe. Ich laufe neben den beiden an der Warteschlange vorbei auf den Einlasser zu, der die rote Absperrung für uns öffnet und uns mit einem Nicken in den Club lässt, aus dem warme, dicke Luft und wummernde Bässe quellen.

Das Vallhall ist immer gut besucht. Aber meistens wird es erst dann richtig voll, wenn ich wieder nach Hause muss. Heute wird das nicht so sein. Ich bin jetzt 18 und ich werde auf keinen Fall vor Mitternacht diesen Club verlassen. Dann muss Andrew mich schon hier raustragen, wenn er diesen Befehl meines Vaters befolgen will. Und dazu muss er Ellie erstmal loswerden, die ihn sofort in Richtung Bar abschleppt.

Ich folge den beiden brav, aber beschließe, die erst beste Gelegenheit zu nutzen, um mich allein im Club umzusehen. Soweit das möglich ist. Ich lasse den Blick über die Köpfe der tanzenden Gäste gleiten. Noch ist die Tanzfläche nicht allzu voll, deswegen kann ich die im Club verteilten Rottweiler gut sehen. Ich rümpfe angewidert die Nase. Aber am schwierigsten wird es werden, Andrews Aufmerksamkeit abzuschütteln. Nicht nur, weil es sein Auftrag ist, explizit auf mich achtzugeben, sondern auch, weil tief in mir mich etwas zu ihm hinzieht. Ein Teil von mir würde gerne auf jede Freiheit verzichten, wenn ich nur bei ihm sein kann. Aber ich weiß, dass er nie das Gleiche empfinden würde, weswegen ich dieses bohrende Gefühl von mir schüttle und mich nur auf dieses eine Ziel konzentriere: den Männern meines Vaters zu entkommen und diese eine Nacht einfach genießen und mir nehmen, was ich bereit bin zu geben.

Wenn ich es heute Abend nicht schaffe, mir ein Stückchen Unabhängigkeit zu erkämpfen, dann werde ich es nie schaffen. Dann wird mein Vater mir immer im Nacken sitzen. Ich muss ihm beweisen, dass für mich auch ein Leben ohne ihn möglich sein könnte. Ich muss ihm zeigen, dass die Gefahr nicht hinter jeder Ecke auf mich lauert.