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»A seed does not die because you buried it, neither does a warrior.«

– Alte philosophische Kriegerweisheit –

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Kapitel 1

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Ein schmales Rinnsal Blut sickerte aus dem Schnitt an Xyens Hals. Er fuhr herum, starrte ungläubig auf den glatzköpfigen, bulligen Seday, der vor seinen Augen zusammenbrach und dessen Stirn von einem tiefen Krater verunstaltet wurde. Donald.

Jener Mann, der ihn und seine Begleiter bereits beim Betreten der Katakomben unter Sing Sing am liebsten tot gesehen hätte. Zu diesem Zeitpunkt war Donald jedoch von einer stählernen Zellentür und einem Häftlingsayaro von seinem innigen Wunsch abgehalten worden, jedes Mitglied seiner Organisation abzuschlachten.

Callan und Jay vermuteten, eine neuartige EMP-Waffe wäre daran schuld, dass die ausgeklügelten Sicherheitssysteme oder überhaupt jegliche Art von Technik in dem berühmt berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis fünfzig Kilometer nördlich von New York City nicht mehr funktionierten.

Dieser Ort, wo Xyen auf den Befehl seines Anführers hin eine simple Befragung hatte durchführen sollen, beherbergte oberirdisch menschliche Gefangene und wurde unterirdisch schon seit Jahrzehnten für Seday-Verbrecher genutzt.

Die heutige Nacht hatte – wie so viele simple Vorhaben in jüngster Zeit – eine verhängnisvolle Wendung genommen: Der Ausfall der Technik hatte einen brutalen Gefangenenaufstand ausgelöst, bei dem bereits ein Wärter namens Nic schwer verletzt worden war und ein weiterer Wärter höchstwahrscheinlich in großer Gefahr schwebte.

Das alles ist Zachriels Werk!, hämmerte es unaufhörlich in Xyens Schädel. Er neigte keineswegs zu vorschnellen Schlussfolgerungen, aber in Verbindung mit Craven Dantes düsteren Worten – demjenigen Insassen, dessen emotionalen Zustand er hatte beurteilen sollen und der sich vor wenigen Augenblicken selbst getötet hatte – war die Wahrscheinlichkeit doch sehr hoch, dass Cey mit ihrer düsteren Vorahnung richtiggelegen hatte.

Cey hatte ihn nicht zum Gefängnis fahren lassen wollen, das war ihr mehr als deutlich anzumerken gewesen. Trotzdem hatte sie sich nicht gegen Tajynos Anweisung ausgesprochen. Sie hatte allerdings darauf bestanden, Xyen fast alle seiner Männer mitzugeben, während sie lediglich mit Lee und vier ihrer Schatten sowie ihren Brüdern eine bunt gewürfelte Einsatztruppe unter Kontrolle halten musste. Wächter, Dämonen, menschliche FBI-Agents, Hunters USF-Team – sie alle sollten dabei helfen, den führenden Kopf des New Yorker Schwarzmarkthandels, Máximo Quiros, zu eliminieren und dadurch Zachriel einen möglichen wichtigen Versorgungsweg abzuschneiden.

Da sein vermeintlich ungefährlicherer Part schon zu einem solch verheerenden Tumult ausgeartet war, wollte Xyen sich lieber nicht zu genau ausmalen, welcher Bedrohung Cey und ihre Freunde gerade ausgesetzt waren. Aber das warnende Gefühl in seinem Inneren, so schnell wie möglich wieder zu der jungen, einzigartigen J’ajal zu stoßen, die er über alles liebte, wurde drängender und drängender.

Ihr werdet alle sterben! Der Schlüssel wird zerbrechen!

Xyen verscheuchte Cravens verstörendes Mantra aus seinen Gedanken und warf einen raschen Blick über die Schulter in den Meditationsraum, in dem Nathan noch immer mit weit aufgerissenen Augen neben Cravens Leichnam kniete. Dann wandte er sich wieder den beiden Gestalten zu, die nicht weit von ihm entfernt im Flur standen.

Von Landon, der ihm und Nathan den Rücken hätte freihalten sollen, war keine Spur zu entdecken. Er hatte ihm nicht das Leben gerettet, hatte Donald nicht mit einem einzigen gezielten Schuss niedergestreckt, als er und Nathan sich von Cravens Selbstmord zu sehr hatten ablenken lassen, um noch auf ihre Umgebung zu achten.

Freilich hätte Donald gar nicht mehr bei Bewusstsein sein dürfen, denn das Seday’sche Sicherheitspersonal von Sing Sing hatte schon vor etlichen Minuten manuell bedienbare Ventile geöffnet, um die Katakomben mit einem Betäubungsgas zu fluten. Und Donald trug keine Atemschutzmaske wie Xyen selbst oder Nathan oder die beiden Neuankömmlinge, aber er hatte denselben Trick angewandt wie auch Craven – er hatte in einen mit Luft gefüllten Müllbeutel geatmet, in welcher die Konzentration des Narkotikums noch recht gering gewesen sein musste.

Der Beutel lag nun am Boden, dicht neben den ausgefahrenen, rot verfärbten Krallen von Donalds rechter Hand.

»Okadias. Resic.« Xyen spürte weder die Präsenz des ziegenbärtigen Hayran-Anführers, der für keine einzige Sekunde den Blick von ihm nahm, noch die seines dunkelhaarigen Schützlings. Erst als er die beiden so betrachtete, wie Cey es ihm bei zahllosen Getarnte-Präsenz-Suchtrainings beigebracht hatte, nahm er ein schwaches Flimmern wahr.

Okadias reagierte weder auf die intensive Musterung noch auf die knappe Begrüßung.

»Was hältst du von einer kleinen Tragödie?«, erkundigte er sich stattdessen bei Resic und seine dunkelgrauen Augen blitzten freudig auf. »Ich erschieß schnell noch diesen trotteligen Seday und wir schieben das irgendeinem Häftling in die Schuhe?«

»Mich wirst du dann aber ebenfalls erschießen müssen!«

Aus den Augenwinkeln registrierte Xyen, wie Nathan, ohne zu zögern, neben ihn trat. Sein Stellvertreter war nicht mehr länger schockiert, sondern unglaublich wütend. Wegen der verpassten Chance, genauere Informationen von Craven zu Cey zu erhalten, Donalds überraschendem Angriff, Okadias Worten oder höchstwahrscheinlich allem zusammen.

Rotschwarze Schlieren trübten Nathans Aura und Xyen streckte rasch die Hand aus, um seinen Freund bei Bedarf zurückhalten zu können. Sich auf einen bewaffneten Hayran zu stürzen, war keine sehr empfehlenswerte Taktik, um sich abzureagieren.

»Er wird uns nicht erschießen«, verkündete er ruhig. »Nicht wahr, Resic?«

Der Dämonenwächter verzog das Gesicht, als hätte er in eine Zitronenscheibe gebissen. »Nicht heute«, bestätigte er langsam, worauf Okadias enttäuscht die Pistole senkte.

»Gut, dann verschwinden wir eben wieder. Verreckt bloß nicht, bevor ich euch beim nächsten Aufeinandertreffen endlich abknallen kann! Sonst wäre ich echt frustriert!«

»Cey hat euch geschickt«, platzte es aus Nathan heraus, der aufgrund seines Zorns offenbar erst jetzt die einzig logische Schlussfolgerung für die unerwartete Hilfe zog. »Wie habt ihr denn hier hereingefunden? Und wann habt ihr mit Cey gesprochen? Geht es ihr gut? Könnt ihr uns ein Handy leih–«

»Wagt es ja nicht, uns in diesen ganzen Scheiß noch tiefer reinzuziehen!«, unterbrach Okadias mit hartem Klang in der Stimme. Er legte seine Hand auf Resics Rücken, eine eindeutig beschützende Geste, und schob den Wächter sachte zu einer der Zellen, die rechts und links den Gang säumten.

Resic schien zuerst noch etwas sagen zu wollen, aber dann blickte er nur kurz ins Leere und beeilte sich, durch die Zellentür zu schlüpfen.

Kaum waren die beiden Hayran vom Flur verschwunden, stürmte Landon um die Ecke. »Xyen? Nathan? War das ein Schuss? Mit wem redet ihr da?«

Er kam schlitternd zum Stehen, starrte auf Donalds Leiche und die oberflächliche Wunde an Xyens Hals, die sich bereits im Heilprozess befand und nur noch minimal blutete. Fassungslosigkeit und Wut wallten in Landon auf, heftiger, als Xyen es jemals bei ihm erlebt hatte.

»Wo warst du?«, wollte Nathan aufgebracht wissen, doch Landon hörte ihm gar nicht erst zu.

»Wer war hier?«, knurrte er und sah sich hektisch um. »Habe ich Ceys Namen gehört?« Sein Blick glitt zurück zu Donald, dann entdeckte er Craven durch die offene Tür des Meditationsraums und stieß einen obszönen Fluch aus. »Ich werde unseren Kollegen sofort melden, dass hier jemand mit einer Knarre herumrennt!«

Er war bereits wieder losgestapft, noch bevor er zu Ende gesprochen hatte. Nathan sah ihm völlig perplex hinterher. »Das war ja schräg.«

Xyen wunderte sich ebenfalls, aber bevor er etwas sagen konnte, vernahm er Jays lautlose Stimme. Zusammen mit Nine hatte sein Sicherheitschef in einem anderen Gang nach Nics vermisstem Wärterkollegen Ausschau halten sollen.

»Wir haben ihn gefunden! Wie es aussieht, wurde er von drei Häftlingen überwältigt, aber er hat nur eine Beule am Hinterkopf und ist ansonsten unverletzt. Das Narkotikum hat seine Angreifer rechtzeitig außer Gefecht gesetzt.«

»Sehr gut!«, erwiderte Xyen. Zumindest eine Sorge hatten sie nun weniger.

»Seid ihr bereits auf dem Rückweg?«, wollte Jay abschließend wissen und Xyen bejahte. Sie hatten hier alles getan, was sie konnten, jetzt mussten sie schleunigst nach New York City zurückkehren.

Nathan und er gingen los, ohne sich noch einmal nach Okadias und Resics Versteck umzudrehen. Wenn die beiden Hayran auf welche Weise auch immer Zugang zu den Katakomben gefunden hatten, würden sie es auch irgendwie wieder nach draußen schaffen.

Während er Nathan von Jays erfreulicher Meldung berichtete, spürte Xyen erneut eine geistige Berührung und überrascht wandte er sich um. Eine der Zellentüren stand nun nicht mehr nur zur Hälfte, sondern komplett offen.

»Warte kurz«, bat er Nathan und lief stirnrunzelnd zurück. Er sah in den Raum und obwohl sich niemand mehr darin aufhielt, musste Xyen lächeln. Ein Smartphone lag direkt hinter der Tür auf dem Boden. So tief unter der Erde hatte es zwar keinen Empfang, aber an sich funktionierte das Gerät.

»Danke, Resic«, murmelte Xyen, hob das Handy auf und drückte es gleich darauf Nathan in die Hand. »Achte darauf, unauffällig zu telefonieren, sobald wir oben sind, ja?«

Sein Freund nickte, angespannt und hoffnungsvoll zugleich. Am liebsten hätte Xyen das Handy ja selbst benutzt, aber er blieb lieber auf der Hut.

Sobald Nathan und er sich wieder mit Jay und Nine sowie Callan und Five zusammengeschlossen hatten, die in der Gefängniskantine gewartet hatten, verließen sie die Katakomben durch die geheime Notfalltür. Eine Tür, die genau genommen aus zwei einzelnen sperrigen und gut versteckten Luken bestand, die über Metallräder an der Außenseite verriegelt werden konnten. Die erste Luke verbarg sich im hintersten Winkel eines vollgestopften Lagerraums im Zentrum der Katakomben und die zweite erreichte man am Ende einer steilen Treppe und war in ein Rasenstück im östlichen Teil von Sing Sing eingelassen, welches kein Häftling je betreten durfte.

Kaum hatte Xyen die Atemschutzmaske abgestreift und tief die ungefilterte, regennasse Nachtluft in die Lungen gesogen, da wurde er auch schon von mehreren Sicherheitsleuten belagert und verhört. Seine Vorsicht war also mehr als berechtigt gewesen.

»Wir haben unsere Kollegen, die diesen Ausgang bewachen sollten, soeben niedergeschlagen, gefesselt und geknebelt vorgefunden. Was weißt du darüber?«, erkundigte sich Pete eisig, ein Angloamerikaner mit braun gewelltem Haar, der Xyen keineswegs unbekannt war und mit dem er bislang immer recht gut ausgekommen war.

»Das wird ein Nachspiel haben!«, drohte ein zweiter Seday. »Wir sind euch sehr dankbar, dass ihr Nic da rausgeholt habt, aber Vorschriften sind nun mal Vorschriften und sie auf eine solche Weise zu brechen … – wenn nun ein Häftling diese Zweittür entdeckt hätte und entkommen wäre? Ein Blutbad hätte die Folge sein können!«

Xyen ließ die Vorwürfe stumm über sich ergehen und versuchte sich bei den anschließenden Fragen nach den Geschehnissen in den Katakomben so kooperativ wie nur möglich zu zeigen. Bevor sich Nathan still und heimlich verdrückte, um zu telefonieren, warf Xyen ihm allerdings einen scharfen, fragenden Blick zu.

Bin unschuldig!, signalisierte sein Freund, dann war er endgültig weg.

Two, Ten, Four und Seven, die sich in unmittelbarer Nähe aufhielten, bestätigten lautlos, dass die Wärter bei ihrem Betreten der Katakomben noch putzmunter gewesen waren.

»Wir haben sie erst ohnmächtig vorgefunden, als wir mit Nic zurückgekehrt sind. Wir haben ihn sofort zum Arzt in die Zentrale gebracht und dort das übrige Sicherheitspersonal alarmiert.« Tens Mundwinkel hoben sich ein klein wenig. »Nics Zustand war äußerst kritisch, aber laut der ersten Einschätzung sieht es so aus, als würde er sich wieder vollständig erholen.«

Xyen war sehr froh, das zu hören. Als sie Nic kreidebleich auf dem Boden der Kantine liegend entdeckt hatten – in einer riesigen Blutlache und mit einem gezackten Bruchstück eines Plastiktellers tief in der Brust –, da war er sich nicht sicher gewesen, ob für den Mann nicht jede Hilfe zu spät kam. Doch Xyen hatte sich energisch seine medizinischen Grundkenntnisse in Erinnerung gerufen und die verletzte Arterie nahe Nics Herzen abgebunden, bevor er seine Männer angewiesen hatte, den Wärter unverzüglich in Sicherheit zu bringen.

Xyen beschrieb, wo Nine und Jay Nics zum Glück unverletzten Kollegen gefunden hatten, und sann gleichzeitig darüber nach, dass wohl nur Okadias, Resic und womöglich weitere Hayran aus deren Team für den Übergriff an der Notfallluke infrage kamen.

Offen zugeben konnte er seine These natürlich nicht und wie es Nathan gelungen war, die Vorschriften zu umgehen und bereits vorzeitig in die noch nicht komplett mit Betäubungsgas gefluteten Katakomben vorzustoßen, diese Erklärung waren seine Männer ihm bislang auch noch schuldig geblieben. Xyen hatte allerdings keinen Zweifel daran, dass Nathans Handeln ebenfalls nicht für eine breit angelegte Diskussion taugte.

»Pete, lass uns bitte alles andere morgen besprechen, wir müssen jetzt wirklich los«, bat Xyen zum wiederholten Mal und fest entschlossen, sich nicht länger aufhalten zu lassen. Tatsächlich erhob niemand mehr Einwände, was allerdings ausschließlich daran lag, dass in diesem Moment eine elegante, schwarze Limousine in den Gefängnishof gerollt kam.

Ein Mann mit einem dunkelblauen Runentattoo an der Schläfe stieg aus der hinteren Tür – Tajyno.

»Xyen«, grüßte er mit undurchschaubarer Miene. »Sehen wir uns also doch schneller wieder als vorgesehen …«

***

»Schwesterlein, du hast doch selbst mit ihnen gesprochen. Du weißt, was in Sing Sing passiert ist. Und du weißt, dass es ihnen allen gut geht«, erinnerte Sahim sie sanft, zum schätzungsweise Millionsten Mal.

Cey nickte und konnte dennoch nicht aufhören, nervös mit dem Fuß zu wippen. Zusammen mit ihrem Bruder saß sie auf der Rückbank eines Seday-Transporters in der West 34th Street und beobachtete abwesend, wie sich blinkende Blaulichter im schwarzen Lack spiegelten.

Das Empire State Building war inzwischen wegen einer angeblichen Bombendrohung vollständig geräumt worden und die Cops hatten sämtliche Straßen im Umkreis gesperrt.

Was ihr so ziemlich egal war, im Gebäude lebte ja niemand mehr, der durch das Polizeiaufgebot hätte aufgeschreckt werden können, und Sanigtons FBI-Agents hielten immer noch beharrlich jeden vom Betreten der vierundachtzigsten Etage ab. Die Etage, in der der Schwarzmarkt Big Boss und fast alle seiner Schergen ihr Leben ausgehaucht hatten. Und einer von Astans einstigen Folterknechten während den letzten zehn Minuten seines irdischen Daseins zumindest ein klein wenig von dem Schmerz zurückerhalten hatte, den er so großzügig an unschuldige Menschen und verzweifelte Kinder ausgeteilt hatte.

Cey musste heftig blinzeln, als in ihrer Erinnerung ein Bild an ein kleines Mädchen in einem niedlichen Feen-Badeanzug emporstieg. Nayeli. So voller Zuneigung und Vertrauen hatte ihre Pflegeschwester sie angesehen und dann –

Mit sachtem geistigem Druck drängte Sahim die grausame Erinnerung zurück hinter eine imaginäre Tür und sobald Cey diese hastig verriegelt hatte, bedachte sie ihren Bruder mit einem halb kläglichen, halb dankbaren Lächeln.

Insbesondere wenn sie müde und erschöpft war, verlor sie sich viel zu oft in der Vergangenheit. Und dabei musste sie sich doch gerade in diesen folgenschweren Tagen völlig auf das Hier und Jetzt konzentrieren!

Mit einem unterdrückten Seufzen wandte Cey sich Zane und dem Grafen zu, die in Höhe des Vorderrads auf dem Bürgersteig saßen und mit mäßigem Interesse Schnick, Schnack, Schnuck spielten. Lee stand neben ihnen und behielt sie argwöhnisch im Blick, schließlich waren beide J’ajal im Kampf gegen Quiros verletzt worden. Sie dazu bewegen zu wollen, sich ein Bett zu suchen und sich eine Weile hinzulegen, das hatte Lee allerdings bereits aufgegeben.

Cey ging gedanklich ihren Offensivplan gegen Zachriel durch und setzte einen imaginären Haken bei Schritt Nummer drei. Leider empfand sie dabei rein gar nichts von der Zufriedenheit oder gar dem leichten Optimismus, den sie verspürt hatte, als ihre Brüder und sie den Großteil von Zachriels Angestellten aus dem Tomorrow’s Beauty abgeworben hatten. Das New Yorker Institut war mittlerweile geschlossen worden, die Menschen arbeiteten nun für das in Dämonen- und Wächterhand befindliche Today’s-Care-Forschungsinstitut in West Whiard.

Von seinen illegalen, die Natur pervertierenden Forschungen würde Zachriel gewiss nicht ablassen, vor allem da er für diese höchstwahrscheinlich von Anfang an ein geheimes Zweitlabor genutzt hatte. Aber da Astans Spiegelbild im Gegensatz zum Original so gerne mit der Öffentlichkeit spielte, war es wirklich genugtuend gewesen mit anzusehen, wie sich diese nach und nach gegen den gutaussehenden und einflussreichen Investor wandte.

Dass Cey und ihre Freunde auf die Zurschaustellung seiner schnellen J’ajal-Wundheilungskraft im Fernsehen mit hunderten mehr oder weniger gefakten Freak-Videos auf sämtlichen sozialen Plattformen und Dutzenden verschiedenen Websites reagiert hatten, hatte Zachriel erst recht den Stempel Hochstapler eingebracht.

Die Säuberung des New Yorker Untergrunds würde nun ebenfalls dazu beitragen, dass es sich zukünftig jeder – egal ob Ganove oder Heiliger – zweimal überlegte, ob man mit Zachriel tatsächlich Geschäfte machen sollte.

Ihn bei seinen perfiden Machenschaften auszubremsen und so sehr zu reizen, dass er früher oder später einfach einen Fehler begehen musste, diese Strategie hielt Cey nach wie vor für die erfolgversprechendste, um Zachriel ein für alle Mal zu besiegen. Aber gleichzeitig fühlte sie sich so entsetzlich ausgelaugt, war sich nicht mehr sicher, ob –

»Nein. Du hast kein bisschen zu hoch gepokert und dein Credo hat auch nichts von seiner Gültigkeit verloren! Wir müssen einfach bestimmte Wagnisse eingehen, wenn wir diesen Krieg gewinnen wollen!«

Ceys Kopf flog herum, aber Sahim entschuldigte sich keineswegs dafür, dass er ihre Gedanken ohne Erlaubnis für alle hörbar kommentiert hatte. Stattdessen richtete er den Blick auf One, der in der geöffneten Schiebetür lehnte und sie beide interessiert musterte. »Was meinst du dazu?«

Ihr Schatten bejahte sofort. »Trotzdem sollten wir nicht vergessen, unsere Lehren aus heute Nacht zu ziehen, damit wir es beim nächsten Mal noch besser machen können«, ergänzte er ernst.

Beim nächsten Mal … Cey schnaubte leise auf. Wie sehr sie sich doch schon darauf freute!

Sahim versetzte ihr einen leichten, mahnenden Klaps auf den Arm und zeigte anschließend die Straße hinunter. »Du musst dringend wieder bessere Laune kriegen, Schwesterherz. Steig aus und guck, wer da angefahren kommt. Wenn dich das nicht aufheitert, weiß ich auch nicht mehr weiter.«

Noch bevor er geendet hatte, war Cey bereits mit einem großen Satz auf den Bürgersteig gesprungen. Ein roter Camaro, ein blauer und ein grüner Ford sowie eine schwarze Limousine rollten auf sie zu und stoppten direkt hinter dem geparkten Seday-Transporter.

Die Wagentüren öffneten sich und Ceys Herz flatterte heftiger als die Flügel eines Kolibris. Wieder machte sie einen großen Satz, vergrub ihr Gesicht an Xyens Brust und wagte es nicht zu atmen, bis sich seine Arme endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, wieder um sie schlossen.

»Ach, Cey«, raunte er leise und strich ihr zärtlich durch die Haare. Ohne hinzusehen, streckte sie ihre Hand zur Seite aus und Nathans Finger verflochten sich mit ihren.

»Uff, und wie legen wir jetzt die Kriterien fest, bei wem es spannender war?«, erkundigte sich Nathan flapsig in die Runde. »Grusel pur versus Kampfspektakel vom Feinsten?«

Trotz seines typisch unbeschwerten Tonfalls, bemerkte Cey sehr wohl das leichte Zittern seiner Hand und umklammerte diese noch fester, bevor sie zu ihm aufsah. Nathan grinste schief, strahlte sie jedoch zugleich auf eine solch innige Weise an, dass Cey nicht die leiseste Ahnung hatte, was sie sagen sollte.

Ihre Augen nahmen einen feuchten Glanz an und sie musste unweigerlich schlucken. Eine vertraute Wärme erwachte in ihrem Innersten und schenkte ihr neue Energie, Energie die sie so bitter nötig hatte. Und in genau diesem Moment voller Rührseligkeit und Wiedersehensfreude – explodierte die östliche Hälfte der vierundachtzigsten Etage des Empire State Buildings.

»Hab extra mit dem großen Finale auf euch gewartet! Und würd sagen, damit haben wir gewonnen!«, triumphierte Zane und versenkte sein Handy zufrieden wieder in der Hosentasche.

»Oh, Mann, ich hab euch doch bereits gesagt, ihr sollt nicht die halbe Stadt in die Luft sprengen.« Verzweifelt raufte sich One die Haare, während der Graf und Sahim ungeniert losprusteten.

»Klingt irgendwie, als hättet ihr uns am Telefon nicht alles erzählt«, sagte Xyen in einer Mischung aus vorgetäuschter Strenge und Belustigung. Dass auch die State Suite im Plaza explodiert war, welche sie noch vor wenigen Stunden als ihre Kommando- und Planungszentrale genutzt hatten, hatten sie bislang tatsächlich noch nicht berichtet, und ein flüchtiges Lächeln stahl sich über Ceys Lippen. Leider erinnerte sie sich nur zu schnell daran, was sie ebenfalls noch nicht erwähnt hatte.

»Hunter und Galvani – wenn sie bald aufwachen, könnte es sein … nun ja, ihr Team hat automatisch angenommen, die beiden wären von Quiros Schlägern ausgeknockt worden, aber möglicherweise hatten wir ja eine winzige Meinungsverschiedenheit und … ähm …«

Kleinlaut hielt Cey inne.

»Ich glaube, auf zwei niedergeschlagene Seday mehr, für die ich noch eine Erklärung abliefern muss, kommt es dann auch nicht mehr an«, erwiderte Xyen trocken, was Cey verwirrte. Offenbar fehlten ihr ebenfalls noch einige Details zu dem, was ihren Freunden in Sing Sing zugestoßen war.

Nathan interessierte sich weitaus mehr für die Detonation als für das Geständnis zu Hunter und Galvani. Mit in den Nacken gelegtem Kopf sah er beeindruckt zu den rot-orangen Flammen und den dunklen Rauchwolken empor. »Wow! Kracht jetzt gleich alles zusammen? Verletzt wurde aber niemand, oder?«

»Nicht«, stöhnte der Graf, aber da war es bereits zu spät und Zane setzte zu einem beleidigten Monolog über seine exzellenten Sprengfähigkeiten an. Sahim murmelte etwas Undeutliches und verkroch sich noch tiefer im Transporter.

Cey selbst musterte akribisch die Männer, die inzwischen aus den Fahrzeugen gestiegen waren und sich in kleinen Gruppen auf dem Bürgersteig zusammengefunden hatten. Ten. Jay. Seven. Five. Callan. Nine. Four. Two. Keiner von ihnen war verletzt, so wie Nathan es ihr gesagt hatte.

»Finde das irgendwie … besorgniserregend«, verkündete Callan halblaut, zum Empire State Building starrend.

Jay verschränkte die Arme vor der Brust und brummte eine Zustimmung. Als er Ceys Blick auffing, lächelte er jedoch.

Cey überlegte kurz, ob sie etwas zu dem unerwartet aufgekreuzten J’ajal sagen sollte, der noch immer in der Limousine saß und den Nathan nur kurz am Rande erwähnt hatte. Aber eigentlich wollte sie sich momentan nicht mit Tajyno befassen.

Stattdessen reckte sie sich und strich mit ihren Fingerspitzen vorsichtig neben dem verkrusteten Kratzer an Xyens Hals entlang.

»Du siehst wesentlich schlimmer aus, glaub mir«, murmelte Xyen und gab ihr einen sachten Kuss auf die Stirn.

»Belastungsstress-Nasenbluten oder so meint Lee.« Cey rieb sich gleichgültig über das eingetrocknete Blut auf ihrem Gesicht. »Wird nicht mehr passieren, wenn ich mich ausreichend ausgeruht habe.«

»Jaaa, Urlaub, da bin ich dabei!« Nathan zwinkerte ihnen zu und Cey gestattete es sich, für einige Sekunden in gold-braunen und azurblauen Augen zu versinken.

»Schwesterlein? Du solltest besser herkommen.«

Sahim hätte sie nie gestört, wenn es nicht verdammt wichtig gewesen wäre, und der unheilvolle Ton in seiner Stimme sprach ebenfalls Bände.

»Ich hasse es!«, knurrte Cey, löste sich von Xyen und Nathan und kletterte missmutig zu ihrem Bruder in den Transporter.

Er drückte ihr sein Handy in die Hand. »Ich habe gerade unsere Kontaktseiten gecheckt und Jari hat mehrfach versucht, dich zu erreichen. Hab ihn zurückgerufen und … hm, ich bin noch nicht so ganz durchgestiegen, aber es klingt sehr ernst.«

Besorgt meldete Cey sich. »Ja?«

»Endlich! Ich weiß, ich sollte niemandem verraten, wie man dich erreichen kann, aber du musst unbedingt mit ihm sprechen«, sprudelte ihr Freund los, auf eine noch verwirrendere und hektischere Weise als sonst. Als sie sich vor einigen Stunden zufällig im Central Park getroffen hatten, war Jari noch im siebten Himmel geschwebt, weil er die Trimesterferien zusammen mit Sky, Mel und Dragon unter der Aufsicht von Landon und seinem Team in New York verbringen durfte und nicht an der Academy herumgammeln musste. Von diesem Hochgefühl war ihm jetzt jedoch so gar nichts mehr anzumerken und Ceys Besorgnis verstärkte sich von Sekunde zu Sekunde.

»Ich habe es nicht mitgekriegt, ehrlich! Der Film im Fernsehen war so klasse und es war so schön, mit Sky auf dem Sofa in unserem Hotelzimmer zu kuscheln, und ich dachte, sie wollten uns dann nur alleine lassen und sind schlafen gegangen, und –«

»Gib her«, fuhr jemand Jari aus dem Hintergrund an. »So kapiert man doch überhaupt nichts!«

Geraschel ertönte, Schritte, eine zuknallende Tür. Erst dann wurde wieder gesprochen. »Cey? Ich bin’s, Dragon.« Schweigen folgte.

Cey beschloss, sämtliche Vorbehalte gegen ihren nervtötenden Mitschüler für den Moment über Bord zu werfen, und erkundigte sich so freundlich, wie es ihr nur möglich war: »Was ist denn los?«

Für einen weiteren Moment herrschte Stille, bevor Dragon leise antwortete. »Ich liebe sie wirklich! Aber mich hat sie noch nie mit diesem absolut glücklichen Ausdruck im Gesicht angesehen. Ihn schon. Und das ist meine eigene Schuld, nicht wahr? Wir passen einfach nicht zusammen …«

Cey zählte lautlos bis zehn und versuchte nicht auszuflippen. Es war ein Liebeskummer-Notfall? Weil Sky mit Dragon Schluss gemacht hatte und derzeit ausschließlich mit Jari zusammensein wollte? Trost zu spenden und das nötige Mitgefühl und Verständnis zu zeigen, das bekam sie in dieser Nacht echt nicht mehr hin, auch wenn sie Dragons Einsicht über sein fragwürdiges Verhalten Sky gegenüber sehr positiv fand.

»Tut mir leid, können wir ein anderes Mal –«, setzte Cey an, doch Dragon unterbrach sie sofort.

»Ich bin gerade aus Sing Sing zurückgekommen.«

»WIE BITTE???« Cey schnellte so abrupt von der Rückbank hoch, dass sie sich den Kopf am Dach des Wagens anstieß. Was sie allerdings kaum bemerkte.

»Landon. Er hat zu mir gesagt, er würde mir dabei helfen, sie zurückzugewinnen, wenn ich im Gegenzug auch etwas für ihn erledige. Ich … ich hab Scheiße gebaut. Und zwar so richtig.« Dragons Stimme nahm einen entmutigten Klang an und er sprach immer abgehackter.

»Landon hat irgendwie mein Ayaro manipuliert, damit ich es abnehmen konnte, es aber trotzdem noch so aussah, als würde ich es tragen und als wäre ich in meinem Hotelzimmer. War ich aber nicht. Ich hab mich an Nox und Shade und den anderen vorbeigeschlichen, hab mir den besprochenen Wagen aus der Tiefgarage geschnappt und bin zum Gefängnis gefahren. Und dort habe ich zum vereinbarten Zeitpunkt so ein komisches Gerät im Kofferaum aktiviert.«

Doch nicht etwa das, welches sämtliche technischen Gerätschaften in Sing Sing außer Funktion gesetzt hatte?

Ein kalter Schauder rann Cey über den Rücken. Warum nur sollte Landon Dragon zu einer solchen Tat angestiftet haben? Er war doch selbst in dem Gefängnis gewesen, hätte sich dadurch selbst in Gefahr gebracht! Sie verstand absolut nichts mehr.

»Ich hab keine Ahnung, was genau passiert ist, aber plötzlich sind überall die Lichter ausgegangen und Wärter sind herumgerannt und haben was von einem Angriff gebrüllt und … und ich wollte nur noch weg. Hab mich umgedreht und – Okadias stand vor mir. Und noch einige andere Hayran. Hatte überhaupt nicht mitgekriegt, wie sie sich angeschlichen hatten.«

»Cey? Sahim?« Xyen war vor die geöffnete Schiebetür getreten und blickte sie beide eindringlich an. Doch als Sahim beschwörend den Zeigefinger auf die Lippen legte, hakte er vorerst nicht weiter nach.

Cey starrte ihren Mentor an, den Kratzer an seinem Hals, und sie verspürte noch einen Schauder und noch einen. Wenn nun …?!

»Sie haben mir nichts getan, haben aber dieses seltsame Gerät eingesackt und so ein junger, eitler Gecko meinte, ich sollte dir umgehend alles beichten, weil ich sonst morgen früh mit einem durchbohrten Herzen aufwachen würde.«

»Ist durchaus möglich«, erwiderte Cey mit einem gefährlichen Tonfall in der Stimme, von Freundlichkeit keine Spur mehr. Sie hörte Dragon nur noch mit halbem Ohr zu und stieg aus dem Transporter. Sie brauchte eine letzte Bestätigung für das, was sie doch schon immer geahnt und befürchtet hatte.

»… seit Wochen so seltsam … und das mit New York war auch nicht wirklich Mels Idee … hab mitgekriegt, wie Landon die Katalogseiten neu ausgedruckt hat … vorher gab es nur Fotos von der Freiheitsstatue und der Brooklyn Brigde und so … dank seiner Verbesserung wäre es eine unwiderstehliche Verlockung meinte er …«

»Four.« Cey baute sich vor ihrem Schatten auf, der sein Gespräch mit Two augenblicklich unterbrach und sich ihr aufmerksam zuwandte. »Ja?«

»Du hast Landon doch in Sing Sing gesehen, richtig? Was für einen Eindruck hattest du von seinem Bewusstsein?«

Fours Blick schoss zu Xyen, der ihr natürlich gefolgt war, und danach zu Jay, der die aufkommende Spannung noch verstärkte, indem er die Augen verengte und lautstark »Scheiße!« fluchte. Dabei hatte Four bislang ja noch gar nichts gesagt.

»Ich habe mich kurz erschreckt«, gestand er jetzt. »Bei all der Abweisung in Landons Geist ist es wirklich schwer, noch eine Steigerung zu erkennen, aber kam mir fast so vor. Die Situation war allerdings für jeden von uns verstörend und Landon stand zum Teil noch unter dem Einfluss des Narkotikums. Und er hat schließlich geholfen, Nic zu retten. Schätze, das war also bloß Einbildung.«

Wildes Stimmengewirr setzte ein, aber in Ceys Verstand hallte nur ein einziges Wort wider. Abweisung. Ihre Finger verkrampften sich. Eine solch harmlose Formulierung hatte Four für jene Finsternis gewählt, mit der sich Landon so gerne zu umgeben pflegte. Die Finsternis, die nun gewonnen und den Seday auf einen Weg ohne Umkehr geführt hatte. Ihr Schatten versuchte sich einzureden, er hätte sich getäuscht, aber das war der eigentliche Irrtum!

Unbändiger Hass schoss durch Ceys Innerstes. Hatte Landon, dieses Arschloch, im Central Park noch mit sich gerungen, ob er seine eigenen Kollegen tatsächlich ans Messer liefern sollte? War die Düsternis in ihm deshalb noch nicht ganz vollkommen gewesen? Denn das hätte sie doch auf jeden Fall bemerkt! Oder lag es daran, dass sie sich aufgrund all der Anstrengungen der letzten Tage einfach nicht auf der Höhe ihrer geistigen Fähigkeiten befand und –

»Hey.« Der Graf schnippte hektisch vor ihrem Gesicht herum und riss sie dadurch aus ihren Gedanken. Er deutete auf ihr Handy und erst jetzt fiel Cey auf, dass Dragon verstummt war.

»Wiederhol den letzten Teil!«, befahl sie eilig, nachdem ihr Bruder ihr genau diese Worte souffliert hatte.

»Ich sagte, ich bin zurück in mein Zimmer geschlichen und habe hin und her überlegt, was ich machen soll. Vermutlich hätte ich Jari nicht gebeten, dir eine Nachricht zu schicken, ganz egal was dieser durchgeknallte Hayran gesagt hat. Aber nach einer Weile habe ich Landon im Flur sprechen gehört. Er meinte, es wäre zwar schon spät, allerdings nicht zu spät für Mister Humm und einen exklusiven Einblick. Deine Freundin – sie hat gejubelt vor Freude. Ich bin zu ihnen raus, aber …«

Dragon stockte. »Aber Landon hat mir mental mitgeteilt, er würde jetzt einen kleinen Ausflug machen. Entweder mit ihr oder …« Ein erneutes Stocken. »Oder mit Sky.«

Cey schloss für einen Moment die Augen und unterdrückte den Schrei, der aus ihr herausbrechen wollte. Dragon musste gar nicht erst weitersprechen. Es war auch so klar, dass er sich wieder brav in sein Zimmer zurückgezogen hatte, und sie konnte ihm noch nicht einmal einen richtigen Vorwurf daraus machen.

Das bedeutete allerdings – Landon hatte Mel in seiner Gewalt! Schon wieder war eine junge Menschenfrau in Gefahr, schon wieder wurde jemand, an dem ihr etwas lag, als unwissende Schachfigur missbraucht.

Wie auch immer Zachriel das alles zustande gebracht hatte, Cey wusste mit absoluter Sicherheit, dass dies seine Antwort auf ihre Offensive war.

»Ihr habt uns gesagt, Landon ist noch in Sing Sing!«, fuhr Zane Nathan an, der völlig verdutzt über die plötzliche Aggressivität wirkte und darüber, dass so viele Hände den korrekten Sitz von Schwertscheiden überprüften.

»Ja. Er wollte bei der Suche nach dem Bewaffneten in den Katakomben helfen und hat irgendwo in der Sicherheitszentrale gesteckt, als wir losfuhren und –«

Nathan unterbrach sich selbst und ballte die Faust. »Was hat er getan?«

»Fahren wir!«, bestimmte Cey, ohne auf die Frage einzugehen. Auch zu Dragon sagte sie kein einziges Wort mehr. Sie beendete den Anruf und schob ihr Handy mit rot aufblitzenden Augen in die hintere Hosentasche.

Insbesondere Jay merkte man sehr deutlich an, dass er eine ausführliche Lagebesprechung gegenüber dem sofortigen Aufbruch um einiges bevorzugt hätte. Aber nachdem er einen raschen Blick mit Xyen getauscht hatte, beschränkte er sich auf eine rein pragmatische Erkundigung. »Wohin?«

»Zu dem Ort, den Landon bestimmt nicht erwähnt hätte, wenn er uns nicht genau dort haben wollte. Wir treffen uns vor dem Eleven Madison Park Restaurant von Mister Humm.« Energisch riss Cey die Beifahrertür des Transporters auf. Sie hatte gedacht, die Kämpfe wären zumindest für diese Nacht vorbei. Aber Zachriel hatte sie wieder einmal eines Besseren belehrt.

Jetzt ging es erst so richtig los!

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Kapitel 2

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»Euch ist aber schon klar, dass das eine Falle ist?«, erkundigte sich Nathan völlig zappelig.

Für diese reichlich überflüssige Bemerkung wurde er von Sahim prompt mit einem genervten Blick bestraft. Cey achtete jedoch nicht weiter auf die beiden J’ajal an ihrer rechten Seite, sondern starrte auf die in eine edle Marmorfassade eingelassene Drehtür, hinter der völlige Dunkelheit zu herrschen schien.

Noch vor Mitternacht hatten sie das MetLife North Building – ein Hochhaus im Art déco Stil an der Ecke East 24th Street und Madison Avenue – erreicht, in dessen Erdgeschoss sich der Gourmet-Tempel des Sternekochs Daniel Humm befand. Das Restaurant galt als eines der besten der Welt und jedem, der auch nur annähernd so kochbegeistert war wie Mel, musste das Angebot eines Blicks hinter die Kulissen wie ein Sechser im Lotto erscheinen.

Nur dass es nie zu einer Auszahlung kommen wird … Cey biss sich auf die Lippe und zwang sich dazu, sich aus ihren düsteren Gedanken zu lösen und ganz auf den anstehenden mehr als riskanten Befreiungsversuch zu konzentrieren.

»Shade sagt, Nox hätte Landon und Mel begleitet, er antwortet aber auf keinen Anruf mehr. Und ein Ayaro hat Nox leider nicht getragen.«

Mit äußerst grimmiger Miene versenkte Jay, der zusammen mit Xyen links von ihr stand, sein Handy wieder in der Tasche. Dass Landon ebenfalls keinen Anruf entgegennahm und kein ortungsbares Identifikationsarmband trug, verstand sich von selbst.

In ihrem Rücken spürte Cey nur zu deutlich die aufgebrachten Blicke von One, Four, Eight, Callan und – Tajyno. Ihr wäre es wesentlich lieber gewesen, der Seday-Chef hätte sich aus dieser Angelegenheit herausgehalten, aber er hatte darauf bestanden, sie zu begleiten.

»Landon ist einer meiner Leute, jemand für den ich verantwortlich bin!« Das war seine knappe Ansage gewesen, nachdem Callan ihn über die Situation informiert hatte, und irgendwie hatte er damit ja schon recht.

»Wir sind in Position. Nichts Auffälliges zu sehen.«

Der mentalen Stimme des Grafen konnte Cey die gleiche Wut entnehmen, wie sie sie auch selbst empfand. Zusammen mit Zane, Two, Seven, Ten, Lee und den beiden Seday, die zu Tajynos Sicherheitsmannschaft zählten und ihn nach New York begleitet hatten, war ihr fahler Bruder auf die Rückseite des Gebäudes geschlichen, um den Lieferanteneingang unter die Lupe zu nehmen.

Six, der aufgrund seiner erlittenen Schussverletzung im Kampf gegen Quiros nur beschränkt hätte kämpfen können, war mit dem Rest von Jays Leuten zurückgeblieben, um das Chaos vor dem Empire State Building und die FBI-Agents – die doch sehr unterschiedlich mit dem umgingen, was sie über das Ableben des Schwarzmarkt-Big-Bosses und seiner Schläger mitbekommen hatten – im Auge zu behalten.

Ach ja, und um Hunters Leute davon abzuhalten, Amok zu laufen, falls ihr Chef oder Galvani jetzt schon wieder aufwachen und von der verrückt gewordenen Seday-Schülerin und ihren Ves’ris-Bekannten erzählen würden.

Da Zane und der Graf ebenfalls stark angeschlagen waren –

»Stark? Stimmt doch gar nicht!«, protestierte Zane lautlos, aber Cey ließ sich dadurch keineswegs von ihrem Gedanken abbringen, selbst als Erste durch die Tür zu treten und die Truppe am Hintereingang erst später eingreifen zu lassen.

»Na schön«, knurrte der Graf, dem das genauso wenig passte wie Zane, der aber bereits eingesehen hatte, dass Motzen ihn nicht weiterbringen würde. »Noch zur Info – Bran und die anderen wissen Bescheid, dass sie sich weiter abreisebereit machen, aber noch nicht komplett von der Bildfläche verschwinden sollen.«

Cey nickte angespannt, zusätzliche Rückendeckung würden sie vielleicht schneller benötigen, als ihnen lieb war. Sie machte einen Schritt nach vorne und – Xyens Hand senkte sich auf ihre Schulter und stoppte sie.

Noch bevor sie in irgendeiner Weise darauf reagieren konnte, erklang bereits seine sanfte und überaus besorgte Stimme in ihrem Bewusstsein. »Cey, ich möchte nicht, dass du dort reingehst. Craven hat da etwas angedeutet, was ich dir noch nicht erzählt habe, und wenn Landon tatsächlich für Zachriel arbeitet … – es könnte dich etwas ähnlich Grausames erwarten wie beim letzten Mal.«

Eine entsetzliche Wahl, eine Entscheidung, so furchtbar, dass sie daran zerbrechen würde? Gut möglich. Aber besser als gar keine Wahl.

»Er wird Mel töten, wenn ich nicht komme!« Statt mental zu antworten, sagte Cey das laut und sehr, sehr nachdrücklich. Keiner von Astans Handlangern hatte je Mitleid gezeigt, wenn sie sich den perfiden Spielchen ihres dunklen Schöpfers verweigert hatte, und bei jenen seines Spiegelbilds würde es nicht anders sein. Einen sadistischen, menschlichen einstigen Gefolgsmann hatte sie in dieser Nacht bereits ihren Freunden überlassen, ohne sich an seiner Vernichtung zu beteiligen. Aber Landon – den würde sie sich höchstpersönlich vorknöpfen! Und zwar genau jetzt.

Cey riss sich los und versetzte der Drehtür einen Schubs. Wie erwartet war diese nicht verriegelt, sondern glitt mit einem freundlichen, einladenden Scharren über den Boden.

»Cey –«, setzte jetzt auch Jay ungehalten an, aber da spurtete sie bereits durch die Tür ins Gebäude.

Über eine metallische Stufe erreichte sie den riesigen Speisebereich. Es war keineswegs so dunkel, wie sie ursprünglich befürchtet hatte, durch große Buntglasfenster in Richtung des Madison Parks drang ausreichend Licht, um das noble Interieur, die üppigen Blumensträuße und den Stuck an der bestimmt zehn Meter hohen Decke zu erkennen.

Weder Landon noch Mel oder sonst jemand hielt sich hier auf und das entsprach auch genau dem, was Cey bereits zuvor wahrgenommen hatte. Weil ohnehin alles auf ihr Erscheinen ausgerichtet sein würde und sie von daher nicht auf einen Überraschungseffekt zu hoffen brauchte, hatte sie ihren Geist ausgesandt und zwei J’ajal-Präsenzen und eine menschliche in einem weiter hinten liegenden Teil des Restaurants ausgemacht.

Die J’ajal waren zwei Verlorene, kein Erkennungssymbol zierte ihr Bewusstsein. Zachriel hatte neuerdings offenbar ein Faible für solche Diener.

Mel war bei ihnen, Cey hatte allerdings keine Ahnung, wo Landon sich aufhielt. Er hatte anscheinend einen bemerkenswerten neuen Trick dazugelernt, wie er sich selbst vor ihr verbergen konnte. Ihr Instinkt raunte ihr nämlich unaufhörlich zu, dass der Seday sehr wohl hier war, und nur zu dritt würden sie ihnen gewiss auch nicht auflauern.

Sie selbst mussten also äußerst vorsichtig sein, wenn sie nicht gleich mächtig eins auf den Deckel kriegen wollten. Mit der Spitze ihres Schwerts hob Cey ein Tischtuch an, um darunter zu spähen, aber Xyen, der ihr bislang mit den anderen hinterhergeschlichen war, kam ihr zuvor.

»Nichts«, verkündete er in einem gedämpften, ernsten Tonfall. Und ohne noch einmal von ihr zu verlangen, sie sollte das Restaurant besser verlassen, folgte er ihr zum nächsten Tisch, damit sie auch diesen kontrollieren konnten.

Nathan und Sahim nahmen sich einen anderen Bereich des Speisesaals vor, Callan und Tajyno einen dritten und Jay stapfte nach einem gemurmelten »Bar« mit seinen Leuten genau dorthin.

»Niemand sollte sich so perfekt tarnen können«, wisperte Sahim verdrossen, als er mit Nathan die Inspizierung ihres Teils abgeschlossen hatte. »Du hast doch so viele tolle Fähigkeiten, Tajyno! Warum benutzt du sie denn nicht, um uns zu helfen?«

Als Sahims Tonfall immer ätzender wurde, schnellte Ceys Blick herum. Sie hatte ihre Brüder gemahnt, den Seday-Chef so gut es ging zu ignorieren. Es fiel ihr ja selbst schwer, nicht auf ihn loszugehen und ihre Gefühle, die sie seit dem Gespräch auf dem kanadischen Stützpunkt Area X2 beherrschten, im Zaum zu halten. Aber Mel zu retten musste derzeit ihre oberste Priorität sein und wenn Sahim Tajyno reizte, war das mehr als kontraproduktiv.

Zum Glück blieb dieser ruhig. »Leider hat mir noch keine meiner Fähigkeiten Aufschluss darüber geben können, wo Landon steckt. Sollte sich das ändern, gebe ich natürlich sofort Bescheid. Und vergiss nicht, Ves’ris – er gehört zu mir!«

Sahim richtete sich drohend auf. Er fand Tajynos Betonung absolut lächerlich, ja sogar höhnisch, wo der Kerl doch genau wusste, dass er eben kein Ves’ris-Schüler war. Sie hatten sich zwar erst vor wenigen Minuten zum ersten Mal persönlich gegenübergestanden, aber Callan oder seine anderen Spitzel hatten ihm zweifellos verraten, dass dies nur eine Tarnidentität –

»Pass auf, wen du hier gedanklich Spitzel nennst!«, sandte Cey scharf in das Bewusstsein ihres Bruders und daraufhin riss er sich tatsächlich wieder zusammen und neigte entschuldigend den Kopf.

»Xyen und Nathan und so hab ich doch damit gar nicht gemeint, Schwesterherz. Tut mir leid, ihn in der Nähe zu haben macht mich echt kirre!«

»Fertig«, verkündete Tajyno in diesem Moment mit neutraler Miene, als hätte er von dem Gespräch nicht das Geringste mitbekommen. Dabei konnte er dank seiner Gabe jedes einzelne Wort einer lautlosen Unterhaltung verstehen.

Cey sparte sich jedoch jeglichen Kommentar. Zielstrebig wandte sie sich um, um zu erkunden, wo es zur Küche ging, als hinter ihr ein zutiefst beunruhigendes Grollen ertönte.

Es kam von Tajyno und Callan spannte sich sichtbar an, worauf auch Sahim und sie selbst ihre Schwerter fester packten und Nathan mit seiner Pistole auf alle möglichen imaginären Gefahren zielte.

Xyen hob rasch die Hand, bevor die Situation eskalierte. »Jay hat sich gerade bei mir gemeldet«, erklärte er knapp und sein Tonfall wurde mit jedem einzelnen Wort härter. »Sie haben Nox gefunden. Er ist tot. Von hinten aus nächster Nähe erschossen.«

»Scheiße!«, fluchte Nathan und Callan blickte bestürzt zu Tajyno, der seinerseits jedoch nur unwillig den Kopf schüttelte.

Cey hatte insgeheim bereits mit dieser beschissenen Nachricht gerechnet und es war ja auch nicht so, als hätte sie Nox besonders gut gekannt. Trotzdem wurde sie nun von Wut, Trauer und einem Gefühl der Ohnmacht beinahe überwältigt – Zachriel war einfach zu teuflisch, zu clever. Er bekannte sich nicht nur erneut völlig offen dazu, dass er nicht den geringsten Funken Ehre oder Mitgefühl im Leib besaß. Nein, indem er sich an den Seday vergriff, zwang er Tajyno außerdem, genauso zu handeln, wie es Brycen, Tajynos Vorgänger, einst getan hatte. Denn was bedeuteten schon kaputte Kinder oder ebenso kaputte junge Erwachsene, wenn es doch die eigenen Leute vor einem brutalen, gewissenlosen Monster zu schützen galt?

Cey holte einmal tief Luft und drängte ihre Zweifel zurück. Ob mit oder ohne Tajynos Unterstützung, sie würden Zachriel vernichten! Egal wie schlecht ihre Chancen auch standen, vor sieben Jahren waren sie noch weitaus schlechter gewesen und Astan hatten sie doch schlussendlich ebenfalls besiegt.

Cey setzte sich nun rasch in Bewegung. Die Küche war ordentlich aufgeräumt, aufgrund der Größe und dadurch, dass deutlich weniger Licht bis in diesen Raum vordrang, war es trotzdem schwierig, sofort sämtliche Ecken zu erfassen.

»Achtung«, murmelte Sahim hinter ihr und knipste eine Taschenlampe an. Ceys Augen brauchten nur einen Wimpernschlag, um sich an die neuen Lichtverhältnisse anzupassen – und in exakt diesem Moment erhaschte sie einen Blick auf ein bekanntes Gesicht.

»Landon.« Zusammen mit Sahim sprang sie sofort los, dem Flüchtenden, von dessen Präsenz nach wie vor nichts zu spüren war, hinterher.

»Wartet!«, rief Xyen, ihnen dicht auf den Fersen. An Edelstahlschränken, Tischen und Anrichten vorbei ging die wilde Jagd in genau jene Richtung, in der sich Mel und die beiden Verlorenen befanden.

Etwas flog in ihre Richtung und sie mussten kurz in Deckung gehen, aber als sich das Geschoss als harmloser Topf herausstellte, ging es augenblicklich weiter.

Vor einer Tür, die vermutlich in einen Lagerraum führte, hatten sich rechts und links zwei finster dreinblickende, für J’ajal recht gedrungene Männer aufgebaut. Normale Pistolen fanden sie offenbar zu ordinär, denn sie hielten mit Schalldämpfern bestückte MPs in den Händen und ballerten auch sofort los.

»Runter!«, brüllte Callan, aber da hatten Sahim und Cey sich längst auf den Bauch geworfen und robbten hastig ein Stück zurück, bis sie sich hinter einer Ecke wieder in vorläufiger Sicherheit befanden.

Die beiden Verlorenen setzten ihnen nicht nach, was irgendwie schwachsinnig war, aber wer wusste schon, welche Befehle Landon ihnen eingeimpft hatte.

»Was jetzt?«, wollte Sahim hektisch wissen. »Sollen wir Zane rufen und ihn eine seiner Spezialgranaten werfen lassen?«

»Nein«, lehnte Cey kategorisch ab. Schon im Empire State Building hatten sie keine dieser Granaten verwendet, deren Detonationswirkung eher gering war, die aber dafür eine unglaubliche Hitze verbreiteten. Aufgrund der unzähligen Aktenordner und all der Papiere in den Büros wäre sofort ein riesiges Feuer ausgebrochen, das ihnen leicht selbst zum Verhängnis hätte werden können.

Hier bestand diese Gefahr zwar nicht, aber Mel befand sich in dem Lagerraum und die Tür würde vielleicht nicht genügend Hitze absorbieren, damit ihrer Freundin nichts geschah.

Der Graf war wie sie selbst und Sahim geistig zu ausgelaugt, seine Kräfte würden nicht für eine Angstschürung reichen und –

Ein schriller Schrei erklang und Cey hätte vermutlich wider besseren Wissens den Kopf um die Ecke gestreckt, wenn Xyen nicht umgehend ihren Arm gepackt und sie gleichermaßen behutsam wie bestimmt zurückgehalten hätte.

»Nicht«, sagte er ruhig. »Ein mentaler Angriff ist sinnvoller.«

»Ich kann aber nicht mehr –«, fuhr Cey auf, sie wurde jedoch sofort von Nathan unterbrochen, der gefährlich lächelte.

»Du sollst ja auch gar nichts machen. Und du auch nicht, Sahim.« Er blickte zu ihrem Bruder, anschließend zu Callan und Tajyno. »Wir machen das.«

Never ever! Wenn einer der Verlorenen über ähnlich viel mentale Power wie Korrey verfügte, der sie, Snake und One im Empire State Building in ein geistiges gläsernes Gefängnis eingeschlossen und ihren Verstand zu zerquetschen versucht hatte, dann wäre es aus mit den Seday.

Gerade wollte Cey ihren Einwand harsch verkünden, als Tajyno gelassen nach vorne trat, zweimal seine Pistole abfeuerte und sich dann zurück zu ihnen wandte, um eine entwarnende Geste mit der Hand zu machen.

»Danke für die Ablenkung«, sagte er und Cey war sich keineswegs sicher, ob er sich damit auf den mentalen Angriff bezog, der schon stattgefunden haben musste, während sie noch innerlich am Schimpfen gewesen war. Oder ob er und die anderen sich nicht sogar bereits noch früher abgesprochen hatten und Xyens und Nathans Worte lediglich dazu gedient hatten, Sahim und sie von einer Einmischung abzuhalten.

Unwichtig!, entschied Cey für sich selbst. Was auch immer ihr gerade entgangen sein mochte, jetzt reagierte sie jedenfalls am allerschnellsten und mit gezücktem Schwert sprang sie an Tajyno vorbei. Ein beherzter Tritt gegen die Tür und diese flog auf, genau in jenem Augenblick, als erneut ein gellender Schrei erklang.

Nicht Mel war es, die schrie – bewusstlos, aber dem ersten Anschein nach zumindest unverletzt, sah Cey ihre Freundin in einer Ecke liegen. Nein, es war ein junger Mann in zerrissenen Klamotten, der sich in qualvoller Agonie am Boden wand.