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Marc H. Muelle

Max Ander 1
Lügen und Betrügen

 

 

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Alle Handlungen und Personen sind frei erfunden. Mögliche Bezüge auf real Existierendes sind zufällig und nicht beabsichtigt. Erwähnte Orte und Einrichtungen sind mitunter real, haben aber mit den erfundenen Ereignissen dieses Buches nichts gemein.

Sollte sich jemand trotzdem persönlich wiedererkennen, hat er wohl einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen, der es ohne böse Absicht bis ins Buch geschafft hat.

Aus dramaturgischen Gründen wurden Markennamen real ausgeliehen. Deshalb der ausdrückliche Hinweis: natürlich hat weder Mercedes noch Aston Martin oder eine der anderen genannten Bekanntheiten irgend–etwas mit der der Realität zu tun.

 

Danke

Die Entstehung dieses Buches hat eine lange Geschichte. Aus den Anfängen gebührt mein innigster Dank Heike Hoffmann, Renate Baumgartl, Klaus Böhler und meinem Anwalt, der bei so einem Schmarrn noch immer nicht namentlich genannt werden will.

Dass der Traum dann doch den gewünschten, geliebten Verlag gefunden hat, verdanke ich Achim Albers, der hanseatisch korrekt und geradlinig Überbordendes in Liebenswertes verwandeln konnte.

 

Und jetzt wünsche ich viel Spannung und Spaß beim Lesen.

 

Marc H. Muelle

https://www.facebook.com/marc.h.muelle

01 – Wirklichkeit
Maximilian: Ich bin der Sandsack für alle!

Die Ampel leuchtete rot. Max saß in seinem kleinen Ford und stand an dritter Stelle vor der Kreuzung, (und wartete wie allen anderen) Da kam von links, auf der freien Abbiegerspur, ein kleiner Peugeot, der dann aber gar nicht wie vorgeschrieben abbog, sondern sich mit der Schnauze seitlich zwischen den Vorderwagen und sein Auto quetschen wollte.

Wäre Maximilian jetzt einfach losgefahren, hätte er den Kleinwagen eventuell geschrammt oder Schlimmeres. Also ließ er sie vor, die Dame im 207.

Hinter ihm begann ein Hupkonzert: Alle anderen Autos warteten brav in der Schlange vor der Ampel und dann zog da so eine Tussi mittleren Alters einfach links vorbei, um sich unverschämt vorbei zu drängeln!

Ja, in dem Peugeot saß eine Mittdreißigerin, die ihn auch noch triumphierend angrinste. Max fühlte sich schon wieder unter Druck, denn das laute Hupen der anderen dokumentierte hörbar sein Fehlverhalten: er hätte verhindern müssen, dass diese Zicke sich vorpfuschte.

Die Frau in dem kleinen Peugeot, jetzt frech vor ihm, zeigte den Stinkefinger. Dabei hatte er gar nichts gemacht – außer sie vorzulassen!

„Was muss noch alles passieren, bis du aufwachst?“, hatte ihn seine Freundin Iris vor einer halben Stunde angeschrien. Dabei war er wach!

„Der ist ein Schlappschwanz“, hatte ihre Mutter dazu beigesteuert. „So einen hast du nicht verdient.“

Iris fasste sich dann kurz und warf ihn einfach raus.

Die Ampel wurde grün und was machte die im Peugeot? Sie würgte ihre vierrädrige Kosmetiktasche ab! Noch mehr Hupen von hinten! Max zog schon mal den Kopf ein.

So wie er es auch bei Iris getan hatte. Noch während sie ihn entsorgte, hatte er gefragt, wann man sich denn wiedersehe.

„Nicht mehr in diesem Leben!“, hatte sie ihm hinterher gebrüllt.

Max konnte sie ja verstehen: Er sah nicht besonders gut aus und hatte auch keine besonderen Fähigkeiten. Was aber auch nicht der Grund ihres anfänglichen Interesses war: die Mutter hatte beschlossen, dass ein Bankkaufmann der Familie gut stünde. Mann, hatte die sich verrechnet!

Die Frau im Auto vor ihm hatte den Anlasser gefunden und fuhr endlich an, sie rutschte soeben noch bei dunkelorange über die Kreuzung. Max musste bei rot halten. Wieder mal ausgetrickst! Und hinter ihm hupte man fröhlich weiter.

Eigentlich hätten sich alle über die Vorpfuscherin aufregen müssen. Stattdessen waren sie sauer auf ihn, weil er sich nicht gewehrt hatte!

Dass er nicht das schärfste Messer im Besteckkasten war, hatte Iris ihm heute deutlich gesagt. Völlig überflüssig, denn sein Filialleiter war ihr zuvorgekommen:

„Sie mögen ordentlich und pünktlich sein, aber das reicht heutzutage nicht mehr!“, hatte der Niederlassungschef geäußert und ihm ein Schreiben hingehalten: Abmahnung!

„Sie schaden dem Image unseres Hauses. Schauen Sie sich nur mal Ihre Krawatte an, die sieht ja aus wie eine historische Speisekarte: Auszüge Ihrer letzten zwanzig Mahlzeiten.“

Maximilian war sich bewusst, dass das eine sarkastische Aussage gewesen war. Aber wie reagiert man darauf? Entweder schlagfertig und schnell, oder gar nicht!

Er hatte die Gelegenheit verpasst. Mal wieder.

„Und dann Ihr Geruch. Wie oft duschen Sie in der Woche?“

Max wusste sehr genau, dass Geruchsbelästigung kein Kündigungsgrund sein durfte. Der Filialleiter machte einen daraus, fast.

„Wenn man in Ihrer Nähe steht, wird der Drang, eine frische Dusche zu nehmen, überwältigend! Sie sind als Kontoführer im direkten Kundenkontakt. Da müssen Sie schon auf Ihre Ausdünstungen achten!“

Eigentlich hätte Maximilian sich mit dieser Abmahnung nur an den Betriebsrat wenden müssen, denn keiner der angegebenen Gründe war rechtlich tragbar. Zugleich wusste Max aber, dass er nichts dagegen unternehmen würde.

Die Ampel sprang wieder auf grün und er fuhr endlich weiter. Nach zwei Kreuzungen war er zu Hause.

„Hast du dir deine Wohnung mal wirklich angesehen?“, hatte Iris ihn zwischendurch angeschnauzt.

Warum war er eigentlich zu ihr gefahren? Wahrscheinlich, um seelischen Beistand nach der Abmahnung in der Bank zu bekommen. Max schüttelte den Kopf: Hatte er wirklich daran geglaubt? Ja, er war so blöd.

Dabei hätte er sich an einer Fingerkuppe abzählen können, dass sie in dieselbe Kerbe hackte:

„Meine Güte, schau dich doch mal an! Sieht so ein Bankkaufmann aus?“

Die Vorlage hatte ihre allgegenwärtige Mutter geliefert. Es war unvermeidbar, dass auch die Schwiegerplage von der beruflichen Schmach erfuhr. Und sie hatte dann auch beschlossen:

„So eine Null passt nicht zu meiner Tochter!“ Was dann die Tochter auch fand, wie gesagt: Rauswurf.

Max bog in seine Wohnstraße ein und suchte einen Parkplatz. Einige Lücken waren zwar da, aber in die hätte höchstens ein Smart gepasst. So suchte er weiter, bis er eine Stelle fand, die groß genug schien.

Er fuhr an der Parkbucht vorbei, hielt an und legte den Rückwärtsgang ein. Zum Glück schaute er noch mal nach hinten, denn soeben wetzte eine Frau mit einem Smart frech voraus in genau diese Lücke! Warum konnte sie nicht die kleinere nehmen?

Natürlich passte ihm das nicht. Natürlich wurde er wütend. Natürlich hätte er jetzt aussteigen müssen, um dieser Tussi den Marsch zu blasen! Max aber fuhr weiter, bis er nach einigen weiteren hundert Metern seinen Wagen abstellen konnte.

Zum Psychiater, hatte Iris gesagt, solle er gehen. Weil er so gar nicht ins gesellschaftlich geforderte Raster passen wollte.

Jetzt überlegte er, ob eine psychologische Beratung vielleicht wirklich angebracht war. Schließlich wollte er sie nicht verlieren, seine Arbeitsstelle. Der Verlust seiner Freundin schien sich emotional in Grenzen zu halten. Max schloss die Haustür auf.

Im Hausflur hingen die Briefkästen und seiner war mal wieder mit Reklame vollgestopft. Dabei hatte auch er einen kleinen Bitte keine Werbung – Aufkleber unter dem Einwurf. Okay, der sah nicht so gefährlich aus, wie auf dem Briefkasten des Computerfreaks vom ersten Stock links. Da prangte eine schwarz-rote Warnung: „Keine Werbung – keine Zeitschriften – keine Anzeigenblätter! Alles wird unfrankiert zurückgeschickt! Sie werden angezeigt!“.

Das fand Max dann doch ein wenig krass. Aber es schien zu wirken. Während er an den hineingestopften Wurfzetteln rumzupfte, die sich gegenseitig verfaltet hatten, zerriss er dabei den einzigen wirklich an ihn gerichteten Umschlag: die Stromrechnung. Mist!

Und natürlich gab es keinen Papierkorb im Hausflur: Feuergefahr. Also stopfte Maximilian sich die zerrupften Reste der Rechnung in die rechte Hosentasche und die Faltblätter aller gängigen Billigmärkte, die Wurfzettel von Nagelpflege und Umzugsservice, Flyer vom Pizzaboten, dem nächsten Inder und vom Chinesen um die Ecke, das als Stadtteilbote verkleidete Anzeigenblatt und den eingerissenen Katalog vom Elektronikmarkt, bei dem er sein Lebtag noch nie eingekauft hatte, unter den Arm und machte sich auf den Weg nach oben, zu seiner Wohnung.

Komisch, aber dass seine Liebesbeziehung beendet sein sollte, belastete ihn überhaupt nicht. Viel schlimmer war die Gefahr, den Arbeitsplatz zu verlieren. Und das nur, weil er nicht immer die neueste Mode trug!

Lahme Füße krochen langsam Stufe um Stufe nach oben. Am Absatz vor der ersten Etage blieben sie stehen und ließen den Augen genügend Zeit, triste Wände und den 40 Jahre alten Linoleumboden zu bewundern.

Eine Hälfte der unter seinem Arm gesammelten Werbeblätter fiel zu Boden und als er sich bückte, um sie aufzuheben, rauschte der zweite Teil hinterher. Hilflos stöhnend stellte Max seine Tasche ab und klaubte den Müll wieder ein. Dann ging er weiter nach oben.

Waren es Iris’ Worte, die ihm durch den Kopf gingen, oder die des Filialleiters? Sie hatte ihm gesagt, dass er auf jeden Fall umziehen müsse. Weg aus dieser günstigen, aber sozial wenig akzeptablen Gegend. Hier konnte man ja niemanden mit hinnehmen! Und dieser Geruch im Treppenhaus!

Der Filialleiter hatte ihm nur empfohlen, sich umzuziehen. Wenn möglich in was frisch Gewaschenes; falls notwendig auch eine ganze Wohnung – ob Max das firmeneigene Hypothekenprogramm kenne? Was von beidem war jetzt schlimmer?

Es war doch nichts Falsches, in einem älteren Haus mit günstigen Bedingungen zu wohnen, und das auch noch mitten in der Stadt. Okay, auch wenn das Treppenhaus einmal die Woche geputzt wurde, es hatte inzwischen einen Eigengeruch, der sich nur mittags, wenn die meisten kochten, veränderte. Ansonsten war es ein leicht säuerlicher Fäulnisdunst.

„Alte Leute riechen halt mal so!“, brummte Max und machte sich daran, die nächste Treppe zu erklimmen, belehrend fordernde Worte seiner Freundin im Ohr. Korrektur: Ex-Freundin.

Schritt für Schritt näherte er sich der zweiten Etage.

Okay, er entsprach nicht den Ansprüchen eines Bankers! Max musste zugeben, dass sein Chef zum Teil wirklich Recht hatte: Vom Träger einer bekleckerten Krawatte erwartete man weniger Gewissenhaftigkeit im Umgang mit Geld, als vom Vorzeigeanzugsmodell. Aber was hatte das mit seiner Beziehung zu tun? Einen Bankkaufmann, den kann man überall vorzeigen. Deshalb hatte Iris ihn zum Freund genommen. Oder nehmen dürfen. Ihre Mutter hatte anfangs eine ziemliche Familienkampagne vom Stapel gelassen – schließlich besaßen die meisten anderen Gören der Sippschaft eher Maurer oder Mechaniker; keine einen Finanzhai.

Da lag die Wahrheit doch auf der Hand: Iris wollte nicht ihn, sondern was zum Angeben. Maximilian schimpfte mit sich selbst; es war nichts Neues.

Die Kniegelenke knirschten auf dem Weg in die dritte Etage, als gehörten sie einem 52-Jährigen – und nicht einem mit gerade mal 24 Lenzen auf dem Buckel. Aber dieser Buckel musste auch so viel mehr tragen: die Wut, den Hass und die Verachtung der ganzen Welt um ihn herum.

Für die Opferrolle hatte er sich nicht freiwillig gemeldet – sie war ihm in die Wiege gelegt worden. In jedem möglichen Wortgefecht wurde er zweiter Sieger, sein Ehrgeiz wurde wahrscheinlich sogar von buddhistischen Mönchen übertroffen.

Die dritte Etage des Treppenhauses sah auch nicht besser aus als beide darunter: drei vergilbte Türen, die in drei anspruchslose Wohnungen führten. Hinter der mittleren wartete sein Zuhause.

Dass man seine Wohnung nicht vorzeigen könne, hatte Iris ihm oft genug vorgehalten. Aber Repräsentatives entsprach auch gar nicht seiner Absicht.

Seine Gedanken wanderten wieder zu der erniedrigenden Abmahnungsszene in der Bank. Der Darm zog sich zusammen, als wäre im Unterleib ein Vakuum entstanden. Die Hände suchten in der alten Aktentasche nach dem Türschlüssel – bis er bemerkte, dass der Bund schon seit dem Hauseingang in seiner Hand lag. Dafür plumpste der ganze Werbeschlammassel unter seinem Arm wieder zu Boden.

Die Freundin war konsequenter gewesen als die Bank, sie hatte ihn ohne Abmahnung rausgeworfen, als sie von der Schmach in der Sparkasse erfuhr. Ihre Mutter hatte bestärkend auf die Schulter geklopft. Mit einem angehenden Ex-Bankkaufmann konnte man nun wirklich keinen Staat machen.

„Gibt es überhaupt jemand, der sich wirklich für mich interessiert?“, stöhnte er und schloss die Wohnungstür auf. Warum er sie überhaupt abschloss war ihm schleierhaft – zu klauen gab es da gar nichts. Höchstens was zu putzen. Aber warum auch? Kam ja eh niemand vorbei.

Er war ordentlich, so ordentlich, dass er noch mal zurück in den Hausflur ging und die heruntergefallenen Werbeblätter aufsammelte. Nun hatte er den Müll ja schon hochgetragen. Dann konnte er ihn auch in den Papierkorb stecken, um ihn dann irgendwann wieder runter zu schleppen.

Im Wohnungskorridor begrüßte ihn der Schirmständer begeistert ohne mit dem Schwanz zu wedeln. Die Garderobe fragte ihn liebevoll, wie sein Tag gewesen war. Ein alter Regenmantel fiel ihm freudig in die Arme, als er seine Jacke aufhängen wollte.

Das Lebensidyll eines Sandsacks.

Er besaß eine Schutzschicht, so eine Art seelischer Gore-Tex – bloß anders herum: alles konnte an ihn heran, aber nichts mehr raus. Gebt mir all eure Wut, Hass und Verachtung – bleibt garantiert dicht verschlossen!

So praktisch: der Prügelknabe für die einen, die Marionette für andere.

Okay, dass er leicht nach Schweiß roch, war ihm klar. Der Filialleiter hatte eine halbe Stunde darüber referiert, dass sozial Benachteiligte besonders gerne ihren heimischen Geruch wie ein Schutzschild mit sich herumtrugen. So sagen also Karrieretypen: „Du Assi stinkst.“ Na ja, er müffelte eher etwas.

Max versuchte, sich aus fremden Augen zu betrachten. Als erstes fiel ihm seine Haltung auf: Die Schultern leicht nach unten und vorne gezogen, als würde er sich absichtlich klein machen.

Wollte er ja auch, denn sein tägliches Mantra war es, den Anfeindungen der Welt auszuweichen. Er duckte sich, um nicht angegriffen, erniedrigt und enttäuscht zu werden.

Nun, Max, dachte er zum ersten Mal in seinem Leben, hat es was gebracht? Nix! Im Gegenteil, er war überzeugt, dass diese selbsterniedrigende Haltung Demütigungen der anderen erst recht herausforderte oder anzog wie ein Magnet.

Sein Gesicht im Spiegel war etwas hager, aber die Figur sportlich. Dabei machte er bestimmt kein Fitness und ging auch nicht in die Disco (weil er an keinem Türsteher vorbeikam). Er konnte einfach nicht gut kochen. Und somit aß er wenig. Fertig.

Maximilian lebte in seiner abgeschlossenen Welt mit emotionaler Einbahnstraße: alle Demütigungen kamen herein, aber nichts wieder raus.

Und gerade als er sich vom Spiegel abwenden wollte, passierte es.

Er zwinkerte sich im Spiegelbild noch zu und ging dann ins Wohnzimmer – wenn man eine alte Schrankwand, den Fernseher auf einer Apfelsinenkiste und eine speckige braune Cord-Sitzgarnitur mit einem alten Marmor-Couchtisch in der Mitte so nennen konnte.

Ein Stapel weißen Papiers, ein Federhalter und ein Klemmbrett wurden genommen. Aus der Küche holte er sich eine frisch gesprudelte Plastikflasche mit Wasser – diese Soda–Club – Dinger waren wirklich gut – und so günstig!

Dann saß er da, in seinem alten Cordsessel, das Klemmbrett auf den Oberschenkeln, nahm die Kappe vom Füller.

Max begann einfach mal so zu schreiben. Glatt und flüssig zog die schwarze Tinte gleichmäßige Bogen und Striche: Worte, Sätze!

Maximilian Winter erfand ein anderes Leben.

02 – Buchtraum
Alexander: Hallo, das bin ich!

Der Nachbar von gegenüber hatte schon wieder ein neues Auto. Diesmal einen Aston Martin. Tja, der hatte es gut! Eine dicke Villa, die Garage so groß wie eine Schulsporthalle, Zugehfrau, Köchin und Gärtner selbstverständlich und andauernd Freunde im Haus.

Jetzt gerade stand er vor der Eingangstür und begrüßte gemeinsam mit seiner sensationell hübschen Neufreundin die ankommenden Gäste. Es sah nach einer Party im Hause Häusler aus. So was ergab sich jedes halbe Jahr.

Diesmal war wohl das neue Cabrio Anlass der Feier. Das stand nämlich gut sichtbar auf dem Kies vor der Villa, während der restliche Fuhrpark in die Garage verbannt war.

Du bist ein Spanner, stellte die innere Stimme Frank fest. Sie hatte diesen Namen, weil der, in dessen Kopf sie spukte, mit vollem Namen Alexander Frank hieß. Natürlich wusste niemand von dieser Stimme im Schädel, sonst hätte man ihn zum Psychiater geschleppt. Alex fühlte sich aber sehr gesund, einfach nur mit einem sehr redseligen Gewissen ausgestattet.

Du spannst noch immer!, schimpfte Frank weiter. Alexander zuckte mit den Schultern, schließlich hockte er hinter einer Gardine. Gerade lud ein Taxi zwei Männer um die 40 aus, die den Nachbarn mit der gerade so beliebten Gangsterfaust und seine Freundin mit dem gesellschaftlich notwendigen Bussi-Bussi begrüßten. Dann schlichen sie bewundernd um den Sportwagen. Der Neid war ihnen ins Gesicht geschrieben.

Vor Alexanders Tür (okay, in Wirklichkeit in der Tiefgarage) stand nur ein kleines Smart Cabriolet, er wohnte in keiner Villa, sondern einer Mansardenwohnung im dritten Stock eines 8-Familien-Hauses. Aber die Gegend war schön und wohnenswert.

Küsschen-Küsschen, begrüßte die höchst attraktive Freundin des Nachbarn weitere mit Champagnerflaschen bewaffnete Bekannte.

Und da heißt es immer, Geld mache einsam! Diesen Nachbarn nicht. Lukas Häusler hieß der blonde Wonneproppen von gut einem Meter fünfundachtzig. Anfang bis Mitte 30 war er wohl. Leicht gebräunt strahlte er die Gäste an und nahm sie in seine kräftigen Arme, auf denen sich die dichte blonde Behaarung von der Bräune abhob.

Das Telefon schellte ihn aus seinen kontemplativen Betrachtungen. „Hier ist Fabian!“, sagte es am anderen Ende.

„Heute ist doch noch nicht schon wieder Montag!“, wunderte Alex sich, denn eigentlich trafen sie sich oder sprachen immer montags.

Montags hatte Fabian nichts zu tun. Er war allerdings kein Friseur, sondern Innenausstatter und freier Gesellschaftsredakteur des größten Blattes der Stadt. Und da am Wochenanfang selten etwas kulturell oder gesellschaftlich Interessantes geschah, hatte er Zeit, das zu tun, was ihn mit dem Friseurgewerbe verband: Tratschen. Und manchmal Herumschwuchteln.

Wenn er heute, an einem frühen Dienstagabend anrief, musste es einen konkreten Anlass geben. Vor allem, weil sie sich erst gestern gesehen hatten. Fabian kam auch direkt zum Punkt:

„Du hast doch den besten Blick auf deinen schweinereichen Nachbarn!“

Alexander bejahte.

„Und, ist da schon was los?“

„Der hat einen neuen Wagen und anscheinend kommt dein ganzer Lokalteil, um ihn zu bestaunen“, berichtete Alex. Zugleich wunderte er sich, denn eigentlich hätte Fabi mit von der Partie sein müssen, schließlich war er der Herr des Society-Reports, Klatschexperte der Lokalausgabe.

Der dachte dasselbe:

„Ich müsste eigentlich eine Einladung haben!“, jammerte es am anderen Ende der Leitung. „Stattdessen muss ich durch diese Crominente davon erfahren!“, heulte es aus dem Telefon.

Fabian unterteilte Prominente in vier Kategorien: Stars (und damit meinte er nur die, die schon mal in die Nähe eines „Oscars“ gekommen waren), Bromis (B-Promis), Cromis (C-Promis) und Zromis (Z-Promis – Z, wie Zwiebel, weil einem bei deren Anblick die Tränen kommen).

„Wer hat dir diesmal den Tipp gegeben?“, lachte Alexander.

„Silke Bauer!“, schnaufte er ins Telefon. „Die hat es unserer Wirtschaftsredakteurin gesteckt und die dann mir.“

„Ist sie kein Zromi mehr?“, wunderte Alex sich.

Silke Bauer war die Tochter eines örtlichen Bankvorstandes, die sich durch die ganze lokale Szene intrigierte, kolportierte und sexualisierte. Daddy hatte ihr zwar das Konto längst dichtgemacht, zahlte aber angesichts drohender Zeitungsskandale und Schadensersatzklagen alles, was sie anrichtete, auf möglichst unauffälligem Wege.

„Seit sie zu dieser Party eingeladen ist und ich nicht!“, wütete Fabian. „Und, siehst du, wer alles kommt?“

„Du bist ziemlich unausgeglichen“, stellte Alexander fest.

„Ich bin ziemlich sauer!“, zeterte es am anderen Ende der Leitung. „Wie kann es sein, dass dieses Schickeriaherpes Silke Bauer eingeladen ist und ich nicht! Dabei habe ich erst letzte Woche über das neue Restaurant von Lukas berichtet!“

Mit hochgezogenen Augenbrauen stellte Alexander fest:

„Wir sind mit dem Reichtum jetzt schon per du?“

„Komm mir bloß nicht mit dieser sozialen Unterschichtneidnummer!“, konterte Fabian aus dem Hörer. „Wenn du zu der Party geladen wärst, würdest du mit Begeisterung hinrennen!“

Alex erklärte, dass er da längst am Fenster stand. Und zählte diejenigen auf, die er wirklich kannte. Fabi war nicht erschüttert:

„Alles Beilagen.“ Alex fragte nach, was er damit meine.

„Für die echten Stars auf dem Teller benötigst du eine Umgebung, die es zu einem Menü werden lässt: Beilagen. Ich schätze, die wirklich wichtigen kommen noch.“

Nun, dachte Alex, da werden wir doch mal Öl ins Feuer gießen:

„Du meine Güte, da kommt Angelina Jolie mit Leonardo di Caprio!“, rief er in den Hörer.

„Waaaas?“, brüllte Fabi reflexartig. „Hol ne Kamera!“ Seine Hirnzellen schienen erst weit hinter der Ziellinie zum Stehen zu kommen. Kurze Pause, Luftholen: „Du hast mich jetzt gerade verarscht.“

„Natürlich!“, lachte Alexander laut. „Meine Güte, muss dich das nerven, nicht eingeladen zu sein.“

„Kannst du deinem Nachbarn nicht einfach mal Hallo sagen?“, schlug Fabian vor, beruhigte sich aber sofort wieder. „Nein, natürlich nicht. Du bist ja einer von den ganz integren, die so was nicht machen.“

„Nicht nur das, mein Lieber“, gab Alex zurück. Er konnte förmlich sehen, wie der schwule Redakteur auf seinem Sofa schier vor Wut verdunstete, weil etwas in der Stadt passierte, was er nicht dokumentieren konnte. „Alternativvorschlag: Komm hier rüber und schreib deinen Bericht von meiner Fensterbank aus.“

Fabian antwortete entsetzt:

„Never in the Leben. Was, wenn Lukas mich sieht! Dann stehe ich ja völlig abgewrackt da, als sensationsgeiler Schreiberling, der sich heimlich anschleicht.“

„Ach was“, schoss Alex zurück. „Aber ich soll das machen?“

„Dich kennt er ja auch nicht“, erklärte Fabi.

„Natürlich kennt der mich, ich bin sein Nachbar“, korrigierte er. „Und ich habe nicht vor, mit dem reichsten Mann der Straße auf Kriegsfuß zu stehen.“

Fabian sorgte mit einem etwas tuckigen Seufzer für eine kurze Pause.

„,Mon dieu, ich werde spätestens morgen früh wissen, was los ist“, brummte er gar nicht überzeugend. „Die Bauer kann garantiert ihre Klappe nicht halten. Frage mich sowieso, wo die jetzt wohnen will, nachdem sie im Le Meridien gestern rausgeflogen ist.“

Alex, der noch immer zum Anwesen gegenüber schaute, wusste Neues zu berichten:

„Warte mal, die Bauer kommt gerade! Jetzt steigt sie aus. Der Taxifahrer geht an den Kofferraum und holt ...“ da musste Alex laut lachen: „Ich weiß, wo sie jetzt wohnt!“

Kurze Stille. Leises Schlucken am anderen Ende der Leitung.

„Sag mir, dass das nicht wahr ist!“, hustete Fabian danach. Wenn er wirklich überrascht war, schaffte er es, auch mal komplett männlich zu klingen.

„Also die Anzahl der Koffer, die der Taxifahrer da gerade auslädt, lässt auf einen Komplettumzug schließen“, kommentierte Alexander.

„Die zieht bei dem Szenemogul Lukas Häusler ein? Das ist die Obersensation!“, brüllte Fabian. „Du gehst jetzt da runter, mischt dich zwischen die Leute und machst mit deinem Handy ein paar kompromittierende Bilder!“

„Bin schon auf dem Weg“ sagte Alex leise, setzte sich stattdessen auf die Fensterbank, von der aus man so wunderschön runterschauen konnte. Und wartete. Mit dem Hörer am Ohr.

Eine halbe Minute später fragte Fabi leise:

„Alexander?“

„Ja.“

„Du bist gar nicht runtergegangen, oder?“

„Nein.“

„Ich hasse dich!“

03 – Wirklichkeit – erstes Erwachen
Maximilian: Ein Doppelleben

Es war wie das Erwachen aus einem Traum. Max schüttelte den Kopf und kniff sich verwirrt in die Nasenwurzel. Okay, das war jetzt sehr durcheinander. Und spannend. Und völlig unmöglich!

Er, Maximilian Winter, saß in seinem Sessel, das Klemmbrett mit sechs deutlich beschriebenen Blättern auf den Knien. „Der Nachbar von gegenüber hatte schon wieder ein neues Auto ...“ stand oben auf der ersten Seite.

Nur, dass Max sich nicht daran erinnern konnte, so was geschrieben zu haben. Genaugenommen fand er die letzten zwei Stunden nicht auf seiner inneren Festplatte.

Stattdessen hatte er, Maximilien Winter, für einige Minuten das Leben eines anderen gelebt. Er konnte sich nicht erinnern, wie er mit seinem Füller geschrieben hatte, sehr wohl aber ein witziges Telefonat geführt zu haben, spritziger als alle Gespräche, die er selbst jemals führte.

Die Uhr zeigte auf neun am Abend. Um sieben hatte er angefangen zu schreiben. So verstörend: die letzten zwei Stunden waren leer. Zumindest in seinem eigenen Leben. Sehr wohl erinnerte er sich aber an Alexander Frank, der am Fenster seiner Wohnung gesessen hatte, an den Anruf.

Konzentriert las Max noch einmal, was er da – geistig abwesend – geschrieben hatte. Und es entsprach seiner Erinnerung. Aber er hatte noch mehr beobachtet!

Als dieser Alexander Frank, der mit der schönen Wohnung, zum Telefon im Flur gegangen war, hatte man sein Gesicht im Spiegel neben dem Regal sehen können. Und dieses Gesicht war das von Maximilian.

Okay, vielleicht nicht dasselbe, denn dieser Alexander hatte kurze, frech geschnittene Haare mit einem kleinen Spoiler über der Stirn. Die Haut war gepflegter. Und er hatte einen coolen Drei-Tage-Bart.

Dann war da diese innere Stimme, die sich Frank nannte, die hatte schon was Irres an sich. Andererseits, besaß nicht jeder Mensch so was? Abgesehen davon war Max nicht bereit, sich den gesellschaftlichen Forderungen nach Duftseife und Modediktat zu beugen.

Er war Maximilian und nicht Alexander. Wie kam er überhaupt zu einem solchen Namen? Er konnte sich an keinen Alexander Frank erinnern; er hatte keinen Alexander im Freundeskreis. Er besaß nicht mal einen Freundeskreis! Allerdings auch keine Schwuchtel als Kumpel.

Aber die Entscheidung war längst gefällt: er würde weiter schreiben.

Bevor er es noch anders überlegen konnte, nahm Max das Klemmbrett, setzte sich wieder in den Sessel und griff zu einem leeren Blatt. Es erschien ihm schon fast selbstverständlich, dass er weiterschrieb.

04 – Buchtraum
Alexander: Spionage beim Nachbarn

Noch immer kamen vor der Villa die Promis an. Alexander aber würde da sicher nicht hin gehen.

Fabi. Klatschredakteur von der warmen Front sah das natürlich anders – nicht nur aus beruflicher Sicht. Dabei war er früher sehr viel schüchterner gewesen. Bis er seine sexuelle Veranlagung entdeckte, ein Einrichtungshaus gründete und den Gesellschaftsteil der Stadtzeitung übernahm. Und zur Schaltzentrale aller städtischen Gerüchteküchen wurde. Allerdings hatte Fabi seinen Humor und den Respekt für das Privatleben der Freunde bewahrt.

Alex hatte inzwischen die Gardinen zur Seite gezogen, um besser berichten zu können. Und einen Feldstecher hatte er auch in der Hand.

Unten, auf der anderen – sehr viel reicheren – Seite der Straße, öffnete sich die Eingangstür der Villa erneut und der immer gutaussehende Eigentümer kam heraus, ein Champagnerglas in der Hand. Sobald er aber Silke erkannte, war Alex überzeugt, dass die ganz sicher nicht eingeladen war. Und schon gar nicht willkommen! Er selbst konnte Silke dabei nur von hinten sehen, als sie sich mit ausgebreiteten Dürrschwingen um den Hals des Gastgebers warf. Das Gespräch dabei konnte er natürlich nicht hören. Aber so, wie der Häusler seine Hände vor sich hielt und damit die Umarmung der Bäuerin verhinderte, war von Einverständnis nicht die Rede.

Dann schien er sich zu besinnen und bat Silke Bauer angesichts der anderen Gäste mit herein und damit verschwand Frau „Ich–bin–die–Chefin–der–Szene“ im Haus gegenüber. Nur die Koffer blieben draußen, was Silke nicht zu stören schien.

Dann passierte es: der Nachbar schloss die Eingangstür nicht hinter sich, sondern drehte sich noch einmal um und blickte in der nächsten Sekunde zu Alex nach oben – voll ins Visier des Fernglases!

Alexander ließ den Feldstecher langsam sinken und schaute mit eigenen Augen. Aber das half auch nicht: Lukas Häusler sah noch immer zu ihm herauf. Dann machte er sich seinerseits auf den Weg über die Straße.

„Der kommt hier rüber!!!“, schrie Alexander ins Handy, das er gleichzeitig fortwarf.

Vor lauter Hektik fiel er von der Fensterbank, Feldstecher und Proseccoglas folgten klirrend.

Alex rappelte sich auf, rannte in den Flur und wusste dann nicht weiter. Also drehte er sich planlos auf der Stelle. Was sollte er jetzt machen? Schon klingelte die Haustürglocke. Vor Schrecken starr verharrte Alex im Korridor. Ach du Scheiße, sein Nachbar hatte ihn beim Kiebitzen erwischt!

„Alexander?“, quäkte es aus dem Smartphone auf dem Boden.

Anstatt den Türöffner zu drücken, hastete er gebückt zurück ins Wohnzimmer, drückte auf die Aus-Taste des Telefons. Fabians Fragen waren jetzt das Letzte, was er brauchte!

Er wollte sich gerade im Schlafzimmer verbarrikadieren, als das Handy schon wieder schellte. Fabi hatte wohl nicht kapiert, dass Alex beim Spionieren entdeckt worden war! Sicherheitshalber löschte er dabei alle Lichter. Und drückte den Annahmeknopf des Mobiltelefons.

„Jetzt nicht! Mein Nachbar hat entdeckt, dass ich ihn beobachte“, flüsterte Alex.

„Hier spricht dein Nachbar“, sagte eine tiefe Stimme. Zugleich läutete wieder die Türglocke. Au Backe!, der kannte Alex Nummer!

„Und ich höre, wie es bei dir schellt! Also mach auf!“, sprach die Stimme noch immer ruhig – und Alexander wollte sie auch gar nicht aufgebracht hören.

„Okay“, flüsterte er und ging zurück zur Wohnungstür, wo er auf den Öffner drückte.

Das gibt Haue!, fürchtete Frank in seinem Kopf. Und er war nicht allein. Alex drehte sich hilflos um.

Dynamische Schritte kamen schneller als gewünscht die Treppe nach oben. Und eine Ausrede wollte ihm ums Verrecken nicht einfallen!

Okay, dachte Alexander, jetzt hilft nur noch eines: gerade heraus! Er musste sich nun möglichst korrekt und unverbindlich verhalten, schließlich konnte er nicht verneinen, seinen Nachbarn beobachtet zu haben.

Schon kam der Blondschopf die Treppe hoch – und war anscheinend nicht einmal außer Atem. Also gut trainiert.

Auf jeden Fall stark genug, um dich zu vermöbeln, meinte Frank wenig konstruktiv.

„Hallo, ich bin Alexander Frank“, sagte Alex viel ruhiger, als er wirklich war. „Kommen Sie doch rein.“

Lukas Häusler schüttelte sogar die ihm gereichte Hand und ging ins Wohnzimmer.

Während Alex die Tür schloss, schaute sein Besucher durch das Wohnzimmerfenster im Erker auf seine eigene Villa, wobei er darauf achtete, nicht in die Proseccopfütze zu steigen.

„Hast ja wirklich einen Panoramablick auf meinen Eingang“, sagte er kühl und schaute Alexander mit stahlblauen Augen an. „Was bist du? Reporter?“

Alex schüttelte den Kopf.

„Warum beobachtest du mich dann?“

Alexander zuckte die Schultern:

„Ich sitze oft am Fenster, ist der schönste Platz.“

Lukas nickte lächelnd:

„Aber du hast noch nie mit einem Fernglas runter gezoomt. Warum spionierst du mich gerade jetzt aus?“

„Ich spioniere Sie nicht aus“, sagte Alex – innerlich bebte er, weniger vor Angst als vor Scham und Peinlichkeit.

„Was ist dann heute Abend so besonders an meinem Haus?“, drang Lukas weiter auf ihn ein.

Da fiel Alexander gerade wieder ein, was ihn zu der Beobachtung veranlasst hatte:

„Silke.“

Lukas Häuslers Kopf zuckte nach vorne, als habe er nicht richtig verstanden:

„Wer?“

„Na, Silke Bauer, die schrille Blonde mit den Koffern! Die kennt doch jeder in der Stadt. Und sie ist gestern aus dem Hotel geflogen, in dem sie gewohnt hat. Dann taucht sie hier mit ihren Koffern auf. Das weckt in jedem durchschnittlichen Menschen die Neugier“, umriss Alex die Situation, ohne etwas von Fabian zu erwähnen – das kleine Detail hätte unerwünschte Folgen haben können; zum Beispiel in seinem Gesicht. „Und als dann die ganzen dicken Schlitten vorfuhren, hab ich aus Neugier weiter geguckt.“

Lukas zog seine Stirn noch mal kraus und fragte:

„Du hast also keinen Vertrag mit der Presse? Oder bist du von der Polizei oder so was?“

„Wenn Sie schon wissen, dass ich oft auf der Fensterbank sitze, dann ist Ihnen wohl auch bekannt, dass ich schon seit mehr als einem Jahr hier wohne. Und bisher ist doch über Sie noch nichts in der Presse aufgetaucht. Zumindest nichts aus dieser Wohnung heraus.“

Der Nachbar setzte sich selbst auf die Fensterbank und schaute zu seinem eigenen Anwesen runter.

„Habe dich schon um diesen Erker beneidet. Das sieht sehr gemütlich aus, wenn du hier mit Kerzenlicht sitzt und liest.“ Dann stand er wieder auf, ging zu Alexander und hielt ihm nochmals die Hand hin:

„Also, ich bin Lukas.“ Alex nickte und schlug ein und befürchtete doch noch immer, im nächsten Moment zu Brei verarbeitet zu werden.

„Und du kennst also diese Silke?“, fragte der Nachbar.

Alexander nickte wieder – was sonst hätte er tun sollen, um noch aus dieser Nummer rauszukommen? „Na ja, so gut wie halt jeder in dieser Stadt.“

„Dann komm doch mit auf die Party!“, lächelte Lukas Häusler ihn an.

Hab ich da was im Mittelteil verpasst?, meldete sich ein sehr verwirrter Frank in Alexanders Kopf.

„Gerne, ich zieh mir nur ...“, antwortete er, wurde aber von Lukas unterbrochen: „Quatsch, zieh dir einfach ein Paar Schuhe an und komm mit! Dann hab ich wenigstens einen vernünftigen Gast bei mir.“

Alex schlüpfte in ein paar Dockers, nahm Haustürschlüssel und Handy mit und folgte seinem Nachbarn die Treppe herunter. Komisch, dachte er, ich bin noch undemoliert. Und Fabi kriegt auch noch, was er wollte: Ich gehe mit auf die Party. Warum aber fühlt sich das alles gar nicht gut an?

05 – Wirklichkeit – zweites Erwachen
Maximilian: Bin das ich?

WOW! Das war aber mal ein ganz anderes Leben! Der Nachbarn mit dem Aston Martin lud ihn ein auf eine Promi–Party ein! Maximilian Winter starrte blinzelnd auf das eng beschriebene Papier vor ihm. Es war inzwischen schon fast Mitternacht. Er aber war hellwach nach dem, was er erlebt hatte.

Max schüttelte ungläubig seinen Kopf. Aus verschiedenen Gründe:

Das Unglaublichste war ja wohl, dass er nicht sein Schreiben wahrnahm, sondern die Geschichte am eigenen Körper erlebte. Wie 3D-Kino aus Sicht des Hauptdarstellers, viel realer als Träume. Obwohl er zugeben musste, dass Träume immer realistisch schienen, während man sie erschlief. Erst nach dem Aufwachen stellte man fest, wie wirklichkeitsfern sie doch waren.

Diese Geschichte entwickelte eine Dynamik, von der er nicht sicher war, ob sie gut war. Er fühlte sich im Kopf eines Menschen daheim, der so gar nicht seinem eigenen Schädel entsprach. Und dann auch noch diese Journalistenschwuchtel.

Auf jeden Fall schrieb er weiter.