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Der exzellente Butler Parker
– 20 –

Parker nimmt die Ballerina hoch

Günter Dönges

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74095-047-7

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Die soliden Grundfesten des altehrwürdigen Hauses erzitterten, die Fensterscheiben vibrierten. Irritierende Geräusche drangen aus dem Obergeschoß des Fachwerkhauses, das auf den Gewölben einer ehemaligen Abtei errichtet worden war. Hin und wieder tanzte sogar das Sherryglas auf dem Eichentisch, der von einer eleganten Sitzgruppe umgeben war.

»Guter Gott, Mister Parker!« Chief-Superintendent McWarden griff hastig nach seinem Glas, das sich vom Tisch schieben wollte. »Wird das Haus etwa abgebrochen?«

»Keineswegs und mitnichten, Sir«, gab Butler Parker gemessen zurück und zuckte mit keiner Wimper, als es wieder krachte.

»Hält Mylady sich neuerdings einen Elefanten als Haustier?« fragte der Yardbeamte und blickte mißtrauisch zur Decke der Wohnhalle.

»Mylady übt sich in der Tanzkunst«, erklärte der Butler höflich. »Wie meiner Wenigkeit versichert wurde, hatte Mylady in jungen Jahren Ballett-Unterricht.«

»Kaum vorstellbar«, meinte McWarden skeptisch. »Und diese Kenntnisse will sie jetzt wieder auffrischen?«

»Mylady betätigen sich momentan als Sylphide«, sagte Parker, ohne eine Miene zu verziehen.

»Was, zum Teufel, ist denn das?« McWarden runzelte die Stirn und zog erneut den Kopf ein, als es wieder aus dem Obergeschoß dröhnte.

»Eine Sylphide, Sir, ist ein weiblicher Elementar- und Luftgeist«, erläuterte der Butler.

»Lady Simpson als Luftgeist?« staunte der Chief-Superintendent und dachte eindeutig an die majestätische Körperfülle der älteren Dame, die nicht unbeträchtlich war.

»Gestern interpretierte Mylady den sogenannten »Sterbenden Schwan«, Sir«, sagte Parker.

»Daß das Haus das aushält«, wunderte sich McWarden. Er war etwa fünfundfünfzig Jahre alt, untersetzt, ein wenig korpulent und hatte leicht hervorstehende Basedow-Augen, die ihm das Aussehen eines stets gereizten Bullterriers verliehen.

Der Chief-Superintendent leitete im Yard ein Sonderdezernat, das sich mit dem organisierten Verbrechen befaßte. Er war ein durchaus erstklassiger Kriminalist, doch er fand sich immer wieder im altehrwürdigen Fachwerkhaus der Lady Simpson ein, um sich bei Josuah Parker mehr oder weniger offen Rat zu holen.

»Warum spielt Mylady mit dem Einsturz des Hauses?« wollte McWarden wissen, als wieder ein dumpfes Dröhnen durch das Mauerwerk ging.

»Mylady wurde von einer Ballett-Company eingeladen und will in wenigen Stunden unter Beweis stellen, daß man Mylady nichts vormachen kann.«

»Eigenartiger Zufall«, antwortete McWarden und blickte mißtrauisch auf einen schweren Leuchter, der in leichte Pendelbewegung geraten war. »Ich komme auch wegen einer Tanz-Darbietung, Mister Parker.«

»Sie arbeiten an einem neuen Fall, Sir?« Parker war das Urbild eines hochherrschaftlichen englischen Butlers. Er war eine alterslose Erscheinung und die vornehme Selbstbeherrschung in Person.

»Unter uns, Mister Parker, haben Sie schon von der Ballerina gehört?«

»Sie sprechen von einer bestimmten Tanzkünstlerin, Sir?«

»Von einer Ballerina, die die Öffentlichkeit scheut, Mister Parker. Sehen Sie sich das mal an.« McWarden griff in die linke Tasche seines knapp sitzenden Zweireihers und holte eine kleine Porzellanfigur hervor, die eine Spitzentänzerin darstellte. Sie war bemalt und sah hübsch aus. Sie stand auf einer Fußspitze, hatte das Spielbein graziös abgewinkelt und schien eine Pirouette zu drehen.

»Ein nicht gerade bemerkenswertes Erzeugnis der Porzellan-Brennkunst, Sir«, urteilte Parker.

»Stammt aus einer Massenproduktion«, pflichtete der Chief-Superintendent dem Butler bei. »Diese Figuren bekommen Sie dutzendweise in jedem Andenkenladen, Mister Parker.«

»Meine Wenigkeit geht davon aus, Sir, daß Sie die Ballerina nicht aus Neigung gekauft haben?«

»Diese Ballerina ist bei einer Tänzerin abgegeben worden, Mister Parker, die in drei Tagen als Solistin in einem Musical auftritt.«

»Sollte man unterstellen müssen, Sir, daß diese Figur nicht als Talisman übersandt wurde?«

»Als eindeutige Warnung, Mister Parker«, antwortete der Chief-Superintendent. »Im Begleitschreiben wurde die Künstlerin aufgefordert, die Rolle zurückzugeben.«

»Diese Aufforderung war sicher mit einer ernsten Drohung verbunden, Sir?«

»Sehen Sie sich das Standbein der Figur an, Mister Parker«, forderte McWarden ihn auf. »Sehen Sie den feinen Riß über den Knöchel? Tippen Sie doch mal ganz vorsichtig gegen den Fuß.«

Butler Parker kam dem Wunsch des Yard-Beamten nach, worauf das Bein seitlich wegbrach!

*

Die geschwungene Treppe, die ins Obergeschoß führte, geriet in Vibration, als Lady Agatha nach unten schritt. Eine Bühnen-Heroine hätte kaum wirkungsvoller auftreten können. Die Hausherrin war über sechzig, doch ihre Energie ungebrochen. Agatha Simpson war groß und stattlich. Sie trug einen wallenden Morgenmantel, hatte sieh ein Stirnband umgeschlungen und tupfte sich mit einem Handtuch kleine Schweißperlen vom Gesicht.

»Mylady haben das Training beendet?« fragte Josuah Parker.

»Ich beherrsche wieder alle Schritte, Mister Parker«, behauptete sie. »Ich weiß jetzt, daß mir diese jungen Dinger nichts vormachen können.«

»Mylady sind nach wie vor bereit, die Tanz-Company finanziell zu unterstützen?« vergewisserte sich Parker.

»In einem bestimmten Rahmen, denn ich habe schließlich nichts zu verschenken«, machte sie umgehend deutlich. »Natürlich werde ich mich an den Gewinnen beteiligen lassen.«

Sie ließ sich in einem der tiefen Ledersessel vor dem mächtigen Kamin nieder. Parker servierte den Nachmittags-Tee und reichte Gebäck dazu. Die ältere Dame entdeckte prompt die kleine Porzellan-Figur und nickte erfreut.

»Wie hübsch«, meinte sie und nahm die kleine Ballerina in die Hand. Bei dieser Gelegenheit blieb der Sockel mit dem abgebrochenen Fuß auf der Tischplatte zurück.

»Von wem stammt denn das?« fragte Lady Agatha.

»Chief-Superintendent McWarden ließ die kleine Figur nicht ohne Grund zurück, Mylady«, erklärte Parker und berichtete dann von der Unterhaltung mit dem häufigen Gast des Hauses.

»Und was soll die angebrochene Figur bedeuten?« wollte Lady Simpson wissen.

»Die betreffende Künstlerin, die diese Figur erhielt, liegt zur Zeit mit einem gebrochenen Knöchel in einem Londoner Hospital, Mylady«, sagte Parker in seiner höflichen Art. »Nach der Drohung, die meine Wenigkeit erwähnte, gab sie die Holle leider nicht zurück. Wenig später brach der Fußknöchel.«

»Doch nicht zufällig, wie?« Ein erstes Grollen war in Myladys Stimme zu vernehmen.

»Miß Baxter wurde angefahren, Mylady, wie Chief-Superintendent McWarden berichtete«, führte Parker weiter aus. »Der Fahrer beging Fahrerflucht und entkam unerkannt.«

»Das arme Ding wurde also absichtlich angefahren, Mister Parker?«

»Mister McWarden geht davon aus, Mylady, zumal es bereits zwei weitere, ähnlich gelagerte Fälle gibt.«

»Unerhört, Mister Parker.« Sie griff nach der Karaffe, die mit altem Cognac gefüllt war, und erfrischte ihren Kreislauf mit diesem edlen Getränk. Dabei sorgte sie dafür, daß der Schwenker nicht nur oberflächlich befeuchtet wurde.

»Die bereits erwähnte Ballerina, Mylady, wurde zweimal verschickt, bevor Miß Baxter das dritte Exemplar erhielt. Auf den jeweiligen Porzellan-Figuren waren in allen Fällen genau jene Stellen markiert worden, die im menschlichen Original ihre Entsprechung fanden.«

»Einzelheiten, Mister Parker, Einzelheiten«, forderte Agatha Simpson ungeduldig.

»In einem Fall kam es zu einem Bruch des rechten Handgelenks, Mylady, im anderen zu diversen Rippenbrüchen.«

»Das ist ja geradezu sadistisch«, entrüstete sich die passionierte Detektivin.

»Dem kann man in der Tat keineswegs widersprechen, Mylady.«

»Weiß der gute McWarden denn, wer hinter diesen Dingen steckt?« fragte sie interessiert weiter und betrachtete die kleine Porzellan-Figur in ihrer Hand.

»Der Chief-Superintendent weiß nur, daß es sich um eine gewisse Ballerina handelt, die hinter diesen Anschlägen steckt«, gab Parker Auskunft. »Wer diese Ballerina jedoch sein könnte, entzieht sich seinem momentanen Wissensstand, Mylady.«

»Ich werde mich sofort um diese Ballerina kümmern, Mister Parker«, versprach sie. »Treffen Sie alle Vorbereitungen dazu. Ich werde McWarden wieder mal zeigen, wie man einen solchen Fall löst!«

*

»Ich habe die Tänzerinnen und Tänzer nach Hause geschickt, Mylady«, sagte Jill Handley und deutete auf den Flügel, der vor einer großen, rechteckigen Spiegelwand stand. Dort standen einige Porzellan-Figuren, die Mylady und Parker bereits kannten.

»Sie erhielten demnach eine Drohung, Miß Handley?« erkundigte sich Parker. Er hatte die ältere Dame ins Studio der Ballett-Company begleitet. Es befand sich im Obergeschoß einer ehemaligen Baumwoll-Spinnerei im Londoner Osten.

Jill Handley mochte etwa dreißig sein. Sie war groß, überschlank und hatte ein schmales Gesicht und dunkle Augen. Über ihrem eng anliegenden Trikot trug sie einen wärmenden Steppmantel. Am Klavier saß ein älterer, vielleicht fünfzigjähriger Mann, der in Noten blätterte.

»Barnly wurde während der Probe an die Tür gerufen und erhielt ein Päckchen für ’mich«, berichtete Jill Handley. »In diesem Päckchen waren die Ballerinen dort und dann hier dieses Drohschreiben.«

Während sie noch redete, reichte sie Mylady einen Briefbogen, den die ältere Dame wie selbstverständlich sofort an ihren Butler weitergab.

»Die Ballerina, Mylady, die die Zeilen auch unterschrieb, verweist auf die Porzellan-Figuren und die diversen Risse«, informierte Parker über den Inhalt. »Sie droht mit körperlich entsprechenden Schäden.«

»Das dachte ich mir«, erwiderte Lady Agatha und wandte sich an Jill Handley. »Wann und wo wollten sie noch auftreten, meine Liebe?«

»Wir wollten in acht Tagen unsere Tanz-Company vorstellen, Mylady«, erwiderte Jill Handley. »Aber das können wir jetzt wohl vergessen.«

»Auf keinen Fall«, protestierte die ältere Dame.

»Die Ballerina droht mit nachhaltigen körperlichen Schädigungen«, meldete der Butler sich zu Wort. Er hatte inzwischen die feinen Haarrisse untersucht. »Wenn man den diversen Bruchstellen Glauben schenken darf, was man sicher soll, so ist mit Arm- und Beinbrüchen zu rechnen.«

»Papperlapapp, Mister Parker«, reagierte Lady Agatha ungeduldig. »Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.«

»Ich kann das Risiko für meine Tanzgruppe einfach nicht eingehen«, warf die Leiterin der Tanz-Company ein. »Dabei hatten wir so wunderschöne Angebote.«

»Darf man mehr darüber erfahren, Miß Handley?« bat Parker.

»Wir haben bereits einen Vorvertrag für ein neues Musical, das im Herbst herauskommen wird«, beantwortete die Choreographin die Frage und blickte Lady Agatha an. »Sie wollten sich ja finanziell an dieser Produktion beteiligen.«

»Erst, meine Beste, wenn ich mit eigenen Augen gesehen habe, was Ihre Company kann«, schränkte die ältere Dame schleunigst ein. »Bei dieser Gelegenheit werde ich Ihnen zeigen, daß Sie mir auf dem Gebiet des Tanzes wohl kaum etwas vormachen können. Sagte ich Ihnen nicht bereits, daß ich früher mal im Spitzentanz ausgebildet wurde?«

»Das Musical können wir vergessen«, wiederholte Jill Handley noch mal. »Ich kann die Gesundheit meiner Tänzerinnen und Tänzer nicht aufs Spiel setzen.«

»Vertrauen Sie mir, meine Liebe, sie werden auftreten«, kündigte Lady Agatha erneut an. »Mister Parker hat in meinem Auftrag bereits mit den Ermittlungen begonnen.«

Sie wollte noch weiterreden, doch in diesem Augenblick erhob sich der kleine Klavierspieler und trippelte auf sie zu.

»Kann ich jetzt gehen, Miß Handley?« fragte er. »Ich habe noch einen anderen Termin.«

»Natürlich, Barnly, gehen Sie ruhig, hier tut sich doch nichts mehr.«

»Und wann soll ich wiederkommen?«

»Ich werde Sie anrufen, Barnly.« Der Klavierspieler nickte nach diesem Hinweis und schlurfte aus dem Studio.

»Ein seltsamer Mann«, stellte Mylady fest.

»Barnly?« gab die Choreographin flüchtig lächelnd zurück. »Er ist vor allen Dingen ein geduldiger Mann, Mylady, und ein sehr guter Begleiter bei den Proben.«

»Ich traue ihm nicht recht«, mokierte sich Agatha Simpson. »Wie sieht sein Vorleben aus? Kennen Sie ihn überhaupt?«

»Mylady, Sie glauben doch etwa nicht, daß er etwas mit dieser Ballerina zu tun hat?« Jill Handley blickte die Detektivin mehr als erstaunt an.

»Sie kennen ihn seit längerer Zeit, Miß Handley?« Die ältere Dame ließ sich nicht beirren.

»Seit vielen Jahren, Mylady«, erwiderte die Tanzlehrerin. »Barnly war früher mal Tänzer, aber wegen seiner Größe konnte er nie Karriere machen. Seit dieser Zeit begleitet er auf dem Klavier.«

»Mister Parker, erinnern Sie mich bei Gelegenheit an diesen Mann«, verlangte die ältere Dame. Bevor der Butler darauf reagieren konnte, wurde die Tür zum großen Tanzstudio jäh aufgerissen.

Zwei Männer erschienen auf der Bildfläche und machten einen wenig geselligen Eindruck.

*

Sie waren mittelgroß, schlank und etwa fünfundzwanzig Jahre alt Sie trugen schwarze Lederhosen und Jeans-Jacken. Jeder von ihnen zeigte einen Baseballschläger und machte deutlich, daß er mit diesen an sich harmlosen Sportgeräten umzugehen verstand. Sie ließen sie durch die Luft zischen und näherten sich Mylady, Parker und Jill Handley.

»Man erlaubt sich, einen recht angenehmen Abend zu wünschen«, grüßte Parker und lüftete die schwarze Melone. »Könnte es übrigens sein, daß Sie sich im Studio geirrt haben?«