Mitten ins Herz

& weitere kriminelle Kurzgeschichten

 

 

BRITTA BENDIXEN

 

Britta Bendixen

 

 

 

 

 

Inhalt

Inhalt
I. TEIL - Gangstergeschichten
EIN UNGEWÖHNLICHER NAME
EIS MIT HEIßEN KIRSCHEN
FÜR IMMER
EIN PERFEKTER PLAN
EINE MINUTE ZU VIEL
WIE IM FILM
II. TEIL - Tatorttexte
NUR DAS MONDLICHT WAR ZEUGE
CHARADE
KÜNSTLER-PECH
EIN HOCHPROZENTIGER FALL
III. TEIL - Amateueranekdoten
MITTEN INS HERZ
NACHTS IM KLOSTER
DER GEKAUFTE MORD
EIN CHARMANTER GAUNER
DAS HAUS DER DÄMONEN
IV. TEIL - Küstenkrimis
Andresen und Weichert & DER SCHUSS IN DIE STIRN
Andresen und Weichert & DAS TRAURIGE MÄDCHEN
Andresen und Weichert & DIE TOTE IM WALD
Nachwort und Danksagung
Autorin - Weitere Bücher

I. TEIL - Gangstergeschichten

 

  

  

  

Bonnie & Clyde, Al Capone, Jack the Ripper – sie sind berühmt dafür, Verbrechen begangen zu haben.

Legenden ranken sich um sie, Filme und Bücher beschäftigen sich mit ihnen.

Warum? Weil wir irgendetwas an ihnen faszinierend finden.

Weil sie so skrupellos sind.

Auch Autoren schlüpfen gern mal in die Rolle der Bösewichte. Die nächsten Geschichten sind daher aus der Sicht derjenigen geschrieben, die aus den unterschiedlichsten Motiven zu Tätern werden.

EIN UNGEWÖHNLICHER NAME

 

Was verbirgt Ediths kranke und streitsüchtige Mutter vor ihrer Tochter?

 

***

 

Wie üblich wurde Edith mit einem strafenden Blick bedacht, als sie das Zimmer betrat.

»Wo bleibt mein Essen?«, fragte ihre Mutter, die mit drei Kissen im Rücken im Bett lag. »Es ist längst Mittagszeit.«

»Hab noch ein klein wenig Geduld, es ist bald fertig. Der Postbote hat mich in ein Gespräch verwickelt, darum dauert es länger.« Edith reichte der missmutigen alten Frau einen Brief. »Hier, du hast wieder Post aus New York. Willst du mir nicht endlich erzählen, wer diese Meredith Fenworthy ist?«

Ihre Mutter riss ihr den Brief aus der Hand. »Nein, will ich nicht. Das geht dich nichts an.«

Edith resignierte. »Ich brauche Geld zum Einkaufen. Soll ich gehen, wenn Dr. Jones kommt, um dich zu untersuchen? Dann hast du Gesellschaft.«

»Schlag dir das aus dem Kopf. Ich will nicht mit dem Kerl allein sein.«

Edith versuchte, ruhig zu bleiben. »Mutter, Dr. Jones ist -«

»Du bleibst, bis er gegangen ist, verstanden? Und hol endlich mein Mittagessen, auch wenn es wieder grässlich schmeckt. Ich verhungere.«

Ediths Hände ballten sich zu Fäusten. Wortlos verließ sie den Raum und stieg die schmale, knarrende Treppe hinunter. Wie sie das alte Weib verabscheute! Edith war fünfundvierzig und ihr einziger Lebensinhalt bestand in der Pflege ihrer herzkranken und streitsüchtigen Mutter. Den Traum von einer eigenen Familie hatte sie längst begraben.

Während sie Kartoffeln stampfte, las Edith die Zeitung. Die Suffragetten um Emmeline Pankhurst machten wieder einmal von sich reden. In dem Artikel wurden zerbrochene Fenster und angezündete Briefkästen im Bereich des Londoner Parlaments erwähnt.

Diese Frauen wehren sich wenigstens und kämpfen für das, was sie wollen, dachte Edith trübsinnig. Ich dagegen lasse mich seit Jahren drangsalieren. Aber was könnte ich auch tun? Sie ist meine Familie und außer mir hat sie niemanden.

 

»Das Fleisch ist trocken«, beschwerte sich ihre Mutter. »Und das Püree schmeckt nach gar nichts. Wie schaffst du es nur, aus jeder Mahlzeit Schweinefutter zu machen?«

»Entschuldige, Mutter. Du weißt, ich kann nicht besonders gut kochen.«

»Du kannst überhaupt nichts besonders gut. Leider.« Die alte Frau legte die Gabel weg und wischte sich die schmalen Lippen mit der Stoffserviette sauber. »Gib mir die Schatulle.«

Edith stand auf und holte die schwere dunkle Holzkiste aus dem Nachttisch. Behutsam legte sie sie auf die Bettdecke und stellte sich, wie immer, wenn ihre Mutter die Kiste öffnete, ans Fußende des Bettes. Sie erlaubte unter keinen Umständen, dass Edith einen Blick hineinwarf.

Die knochigen Finger ihrer Mutter tasteten nach dem Schlüssel, den sie an einer Kette um den Hals zu tragen pflegte. Schweigend beobachtete Edith, wie ihre Mutter aufschloss, den Deckel hochklappte, ein paar Scheine aus der Schatulle nahm und den jüngsten Brief aus New York hineinlegte. Danach schloss sie sofort wieder ab.

»Stell sie wieder weg.« Sie reichte Edith das Geld. »Hier, das sollte für den Einkauf reichen. Aber du bleibst, bis der Arzt gegangen ist.«

»Natürlich, Mutter. Jetzt ruh dich aus, du hast doch wieder so schlecht geschlafen letzte Nacht.«

 

Dr. Jones kam pünktlich. Er untersuchte seine herzkranke Patientin gründlich, ermahnte sie, sich weiterhin zu schonen und verabschiedete sich.

Edith brachte ihn zur Tür.

»Doktor, meine Mutter schläft in letzter Zeit unruhig«, sagte sie, als sie dem Arzt seinen Hut reichte. »Dadurch ist sie noch unleidlicher als sonst. Was kann ich nur tun? Warme Milch und frische Luft helfen nicht.«

»Ich verstehe.« Der Arzt öffnete seine Tasche und holte ein Papiertütchen hervor. »Das ist ein leichtes Schlafmittel. Geben Sie Ihrer Mutter abends eine Messerspitze davon in den Tee.«

»Haben Sie vielen Dank, Doktor«, sagte Edith erleichtert.

 

Auf dem Weg zum Einkaufen kam sie am Hafen vorbei. Ein gewaltiges Schiff war eingelaufen. Sie beobachtete, wie Passagiere die Gangway auf- und abgingen, über die Reling gebeugt winkten oder die milde Aprilluft genossen.

Mit diesem Schiff zu reisen, ist gewiss wunderbar, dachte Edith sehnsüchtig, als sie langsam weiterging.

»Wo bist du so lange gewesen?«, fuhr ihre Mutter sie an, kaum dass sie zurück war. »Ich habe mich beschmutzt, und das ist allein deine Schuld.«

Die nächste Stunde verbrachte Edith damit, das übelriechende Bett und die zeternde alte Frau zu säubern. Statt auf deren Vorwürfe einzugehen träumte sie sich auf das wunderschöne Schiff, das, wie sie am Hafen zufällig gehört hatte, am nächsten Mittag auslaufen sollte.

Am Abend gab sie etwas von der Medizin in den Tee, ehe sie ihrer Mutter das Abendbrot brachte. Es wirkte, die alte Frau schlief rasch ein. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig.

Edith lächelte. Ihr Blick glitt zum Nachtschrank hinüber. Dies war die Gelegenheit, endlich zu erfahren, was ihre Mutter vor ihr verbarg.

Jedes Geräusch vermeidend holte sie wenig später die Kiste hervor. Dann zog sie mit zitternden Fingern den Schlüssel aus dem Nachthemd hervor und schob ihn in das Schloss. Dabei ließ sie die alte Frau nicht aus den Augen. Sie hatte Angst, dass diese aus dem Schlaf hochschrecken würde. Doch das Mittel wirkte zuverlässig, die Lider blieben geschlossen, die Gesichtszüge entspannt.

Es quietschte, als Edith den Schlüssel herumdrehte. Sie verharrte in der Bewegung, doch ihre Mutter lag weiterhin ruhig da.

Ihr Herz hämmerte, als sie den Schlafraum verließ und in die Küche eilte. Dort setzte sie sich an den Tisch und hob feierlich den Deckel.

Obenauf lag das Geld. Viel Geld. Mit vor Staunen offenem Mund holte Edith die Scheine heraus und zählte. Es waren mehrere hundert Pfund. Mit so viel hatte sie nicht gerechnet. Zumal ihre Mutter ihr stets das Gefühl vermittelt hatte, sie würden am Hungertuch nagen.

»Du geizige alte Hexe«, murmelte sie verärgert und stöberte weiter in der Kiste.

Ein Stapel Briefe. Alle von Meredith Fenworthy aus New York. Edith wollte gerade einen öffnen, als sie unter den Briefen wertvoll aussehenden Schmuck entdeckte. Zaghaft nahm sie einen Rubinring heraus und probierte ihn an. Wie wunderschön das aussah!

Ohne ihn abzunehmen ließ sie ihre Hände durch die Ketten und Broschen gleiten. All diese Sachen waren gewiss ein Vermögen wert!

Plötzlich stutzte Edith. Aus den Schmucksteinen ragte die Ecke eines zusammengefalteten Blattes Papier hervor. Sie zog es heraus, faltete es auseinander und begann zu lesen.

Ihre Unterlippe zitterte, als sie den Brief sinken ließ.

Kurz darauf öffnete sie die Tür zur Schlafkammer ihrer Mutter. Langsam trat sie an das Bett und betrachtete das im Schlaf so friedlich wirkende Gesicht.

»Jetzt weiß ich endlich, wer Meredith Fenworthy ist«, flüsterte sie, griff langsam nach einem Kissen und drückte es fest auf das runzlige Gesicht der schlafenden Frau. Dabei ging ihr wieder und wieder der Inhalt des Briefes durch den Kopf.

 

»Geliebte Schwester,

ich danke dir, dass du dich um mein Baby kümmern willst, wenn ich nach Amerika gehe. George Fenworthy würde mich niemals heiraten, wenn er von Edith wüsste.

Ich werde dir regelmäßig Geld schicken, du weißt ja, dass mein Verlobter vermögend ist. Den Schmuck, den Mutter mir vermacht hat, lasse ich nun dir,

damit du ihn an meine Tochter weitergeben kannst, wenn sie alt genug ist.

In Liebe, Meredith.«

 

Als Edith das Kissen anhob, atmete die alte Frau nicht mehr. Edith musterte sie kalt. »Schluss mit den Lügen, Mutter.«

Mit einem Koffer, in dem sich neben Kleidung auch der Schmuck, die Briefe und das Geld befanden, stand Edith am Hafen. Wenn jemand die Leiche entdeckte, würde sie England längst für immer verlassen haben. Zufrieden betrachtete sie das Ticket in ihrer Hand. Ein neues, wunderbares Leben lag vor ihr.

Während sie die Gangway hinaufstieg, betrachtete sie lächelnd den strahlend weißen Schriftzug am dunklen Bug des Schiffes.

Titanic, las sie. Was für ein schöner Name.

 

ENDE

EIS MIT HEIßEN KIRSCHEN

 

Ein Versöhnungsessen mit tödlichem Ausgang …

 

***

 

Maja verrückt das im Licht der Kerzen funkelnde Tafelsilber um zwei Zentimeter nach rechts, ordnet Servietten und Gläser noch ein wenig perfekter und tritt mit kritischem Blick auf den festlich gedeckten Tisch einen Schritt zurück.

Als es an der Haustür klingelt, zuckt sie leicht zusammen und atmete dann tief durch. Es ist so weit.

Beim Weg zur Wohnungstür streicht sie kontrollierend über ihr Kleid, wie schon mehrfach an diesem Abend. Sie ist so nervös. Wer wäre das nicht an ihrer Stelle?

Ihre Hand zittert, als sie die Tür öffnet. Da steht er, gutaussehend und gepflegt wie immer.

»Hallo, komm rein«, sagt sie lächelnd. »Das Essen ist gleich fertig.«

Er tritt näher und hängt mit ernster Miene seine Jacke an die Garderobe. »Es war nicht nötig, dass du kochst.«

»Das hab ich gern getan«, versichert sie. »Hoffentlich hast du Hunger. Es gibt Bandnudeln mit Lachs und Erbsen. Geh schon durch, ich hole den Wein.«

Ihre Hände zittern, als sie mit dem Korkenzieher hantiert. Es ist so wichtig, dass dieser Abend so verläuft, wie sie es sich erhofft.

Lebenswichtig.

Der Korken flutscht aus dem Flaschenhals. Maja atmet tief durch und geht ins Wohnzimmer. Ulli sitzt da, wo er bis vor kurzem immer saß, und schaut ihr entgegen. Ohne Lächeln.

Ein schlechtes Zeichen?

Mit einem harmonischen Gluck-Gluck-Gluck findet der Wein den Weg in sein Glas. Wenig später hebt sie ihres hoch, um mit ihm anzustoßen. Er zögert sichtlich, doch dann gibt er sich einen Ruck. Ein feines Pling durchbricht die Stille. Sie trinken.

Als er sein Glas absetzt, mustert er sie. Neugierig, forschend, ein wenig ungeduldig. All das kann sie seinen Gesichtszügen entnehmen.

Oh, wie gut sie ihn kennt!

»Ich hole jetzt das Essen«, sagt sie und steht auf. »Bin gleich zurück.«

In der Küche füllt sie mit vor Aufregung rasendem Herzschlag dampfende Fettucini auf die angewärmten Pasta-Teller. Dazu kommen die Sahnesauce mit Hummercreme und Erbsen sowie die köstlich zarten Lachsstückchen. Zur Deko legt sie auf jeden Teller ein frisches Basilikumblatt.

Maja lächelt siegesgewiss, als sie die Teller aus der Küche trägt. Sie weiß, dass er dieses Essen liebt.

Sein zur Schau getragenes Misstrauen mindert nicht seinen Appetit. Mit offensichtlichem Genuss verschlingt er die Nudeln und den Lachs, rollt gar verzückt mit den Augen und versichert ihr, dass dies seine beste Mahlzeit seit Tagen sei.

Sie lächelt selig. Teil eins ihres Plans ist aufgegangen. Nun ist es Zeit für Teil zwei. Ulli kommt ihr jedoch zuvor.

»Ich danke dir für die Einladung und das leckere Essen«, sagt er und tupft sich mit der Serviette den Mund ab. »Es würde mich aber interessieren, warum du mich eigentlich hergebeten hast.« Mit einem abwartenden Blick greift er zu seinem Glas und trinkt, ohne sie aus den Augen zu lassen.

»Ich wollte dich daran erinnern, wie schön wir es zusammen hatten«, antwortet sie, nachdem sie den Kloß in ihrem Hals mit einem Schluck Wein hinuntergespült hat. Leise fügt sie hinzu: »Ich liebe dich immer noch, Ulli. Es muss doch eine Möglichkeit geben -«

»Sowas habe ich mir schon gedacht«, unterbricht er sie seufzend und schüttelt den Kopf. »Es hat keinen Zweck, Maja. Ich liebe Viktoria. Das, was zwischen uns war, ist ein für alle Mal vorbei.«

Sie beginnt ganz plötzlich zu frieren. Wie kann er so hart, so gefühllos sein?

»Ist das dein letztes Wort?«, fragt sie und sucht in seinen Augen ein Zeichen dafür, dass er sie nur auf den Arm nehmen will. Gleich wird er lachen, sie in seine Arme ziehen und sagen, dass niemand ihm wichtiger ist als sie.

Stattdessen schaut er betreten zur Seite. »Es tut mir ehrlich leid, aber …«

Sie senkt den Kopf, steht schweigend auf und ergreift die beiden leeren Teller.

»Ich gehe dann wohl besser«, ruft er hinter ihr her, als sie mit weichen Knien Richtung Küche geht.

Sie hört, dass er seinen Stuhl zurück schiebt und dreht sich schnell um. »Bleib, ich habe noch Dessert für uns. Vanilleeis mit heißen Kirschen. Das magst du doch so gern.« Sie zwingt sich zu einem möglichst unbeschwerten Lächeln. »Bitte, tu mir diesen letzten Gefallen und lass nicht zu, dass ich alles allein aufesse.«

Sie kann sehen, dass er mit sich kämpft. Dass es ihn von ihr fortzieht. Nur sein schlechtes Gewissen ist der Grund dafür, dass er sich wieder setzt. »Also gut.«

Sie atmet erleichtert aus. »Ich danke dir!«

Die Teller in den Händen verschwindet sie in der Küche, stellt sie ab und holt das cremige Bourbon-Vanille-Eis aus dem Tiefkühlfach.

Auf dem Herd stehen zwei kleine Töpfe. Sie wirft einen Blick hinein und lächelt zufrieden. Mit dem bloßen Auge ist kein Unterschied feststellbar.

Als sie seine Portion vor ihm abstellt, lächelt sie ihm zu.

Er schnalzt mit der Zunge. »Ist das mein Lieblings-Eis?«

»Aber natürlich.«

»Wunderbar!« Er greift zu seinem Löffel. »Da fällt mir ein: Hast du noch diese tolle Kaffeemaschine?«

Sie runzelt die Stirn. »Es ist erst zwei Wochen her, seit du mich … seitdem du ausgezogen bist. Natürlich habe ich sie noch.«

Bittend sieht er sie an. »Könnte ich einen Cappuccino haben? Der wäre perfekt zu diesem Dessert.«

Maja verkneift sich ein Seufzen und steht abermals auf. »Selbstverständlich.« Sie zeigt auf das Eis. »Fang an, bevor es schmilzt.«

Er nickt ihr dankbar zu.

Zwei Minuten später bringt sie ihm eine Tasse mit heißem Cappuccino. Auf den Milchschaum hat sie etwas Kakaopulver rieseln lassen.

Sie wirft einen Blick in seine Eis-Schale, während sie sich setzt. Eine halbe Portion hat er bereits vertilgt. Nun fängt auch sie an zu essen. Beobachtet ihn. Er schaufelt genüsslich Eis und Kirschen in sich hinein und trinkt zwischendurch von dem Cappuccino. Noch scheint es ihm gut zu gehen.

Ihr Mund fühlt sich seltsam trocken an. Sie nimmt ihr Weinglas und nimmt einen großen Schluck. Warum wird ihr auf einmal so heiß? Vermutlich wegen der Aufregung. Ihr Herz rast, als sie sich einen weiteren Löffel Eis mit Kirschen in den Mund schiebt. Ulli ist bereits fertig. Er lehnt sich zurück und verschränkt die Arme. Betrachtet sie.

Der Ausdruck in seinem Gesicht gefällt ihr nicht.

Ihr wird immer heißer, ihr Herz galoppiert. Sie blinzelt, weil alles so merkwürdig verschwommen aussieht. Das Atmen wird zur Anstrengung.

Und mit einem Mal weiß sie Bescheid.

Sie spürt, dass sich Schweiß auf ihrer Stirn bildet. »Ulli, du … du hast die Teller vertauscht?«, ächzt sie.

Er hebt die Achseln. »Es war nur so ein Gefühl«, erklärt er. »Du bist erstaunlich ruhig geblieben, als ich dir sagte, dass es endgültig vorbei ist. Ich hatte erwartet, dass du mir eine Szene machst, immerhin kenne ich dich gut genug.«

Ihr fällt der Löffel aus den plötzlich kraftlosen Fingern. »Und da hast du …?« Ihre Stimme geht in ein Krächzen über. Sie greift sich an die Kehle. Kriegt keine Luft mehr.

»Ja. Sicher ist sicher, hab ich mir gedacht.« Er steht langsam auf und nimmt ihre saubere Serviette in die Hand. »Sind es Tollkirschen?«

Sie nickt schwach. »Ruf einen … Krankenwagen«, fleht sie und beobachtet verwirrt, wie er alles, was er berührt hat, gründlich abwischt.

Lässig steckt er anschließend beide Servietten in seine Hosentaschen. Dabei mustert er sie kalt. »Ein Krankenwagen? Nein, ich denke nicht.«

 

ENDE

FÜR IMMER

 

Celine tut alles, für den Mann, den sie liebt. Doch wird sie ein Verbrechen decken …?

***

 

»Hallo Julian«, sage ich und spähe über seine Schulter, doch zu meiner Überraschung steht er allein vor meiner Tür. »Wo ist Elena?«

»Sie hat keine Zeit. Die neue Kollektion, du weißt schon …« Er rollt vielsagend mit den Augen. »Lässt du mich trotzdem rein?«

»Ja, natürlich. Entschuldige.«

Im Wohnzimmer reiche ich ihm den Smoking und er geht nach nebenan ins Schlafzimmer. Alles ist wie immer – und doch ist es diesmal anders. Denn bisher war Elena bei allen Anproben dabei.

Mit weichen Knien lasse ich mich auf die Kante meines Lieblingssessels sinken. Dass ich heimlich in Julian verliebt bin und es zwischen uns beiden knistert, wann immer wir uns sehen, scheint Elena nie bemerkt zu haben, sonst wäre sie gewiss auch heute mitgekommen.

Sie vertraut uns eben.

Nein, denke ich, das ist es nicht. Sie kann sich nur nicht vorstellen, dass Julian sie betrügt – und schon gar nicht mit mir.

Mir wird warm bei dem Gedanken, dass er sich gerade in meinem Schlafzimmer auszieht. Ich muss Distanz wahren, so gut es geht. Professionell bleiben. Und unbedingt jeden Augenkontakt vermeiden.

Julian kommt zurück. »Sind die Hosenbeine nicht zu lang?«, fragt er unsicher und sieht an sich herunter.

Ich gehe in die Knie und überprüfe die Länge. »Nein. Ich meine, es ist gut so«, stammele ich. »Alles bestens.«

»Dann bin ich ja beruhigt.«

Zögernd erhebe ich mich. Seine Augen suchen meine, doch ich wende mich ab und bitte ihn, sich einmal langsam im Kreis zu drehen. Er gehorcht. Der Smoking passt perfekt, nur am Revers könnte ich noch etwas ausbessern.

Während ich es abstecke, streift Julians Atem meine Wange und sein After Shave dringt in meine Nase. Männlich. Erotisch. Hypnotisierend. Die Anspannung zwischen uns ist beinahe greifbar. Meine eiskalten Finger zittern. Ich spüre Julians Blick auf mir. Nichts ist zu hören bis auf das leise Ticken meiner antiken Wanduhr.

Dann, als ich einen Moment nicht aufpasse, geschieht das, was ich unbedingt vermeiden wollte: Unsere Augen treffen sich.

Halten sich fest. Mein Herz beginnt zu rasen. Sanft zieht Julian die Nadeln fort, die zwischen meinen Lippen stecken.

Ich muss etwas sagen, denke ich verzweifelt, als er mich in seine Arme zieht. Ihn aufhalten. Vernünftig bleiben.

Doch es gelingt mir nicht. Die Worte bleiben einfach in meiner Kehle stecken, zu lange habe ich von diesem Moment geträumt.

Sein Kuss ist erst sanft, dann voller Leidenschaft, und ich bin sonnenwarmes Wachs in seinen Armen.

Bald darauf pflastert unsere Kleidung den Weg ins Schlafzimmer und wir fallen schwer atmend auf mein Bett. Gierig fahren seine Hände über meinen nackten Körper, setzen ihn in Flammen. In seinen Augen funkelt es vor Verlangen.

Ob er Elena auch so ansieht, wenn er mit ihr …?

Nein, ich will nicht an sie denken. Nicht jetzt, wo ich endlich Julians Haut auf meiner spüre und von einer Woge der Lust davon gespült werde.

 

Verschwitzt und leise keuchend liegen wir etwas später nebeneinander. Julian räuspert sich und sieht mich eindringlich an.

»Du darfst niemanden von uns erzählen, Celine, versprich es mir. Wenn Elena davon erfährt …« Er bricht ab.

Ich weiß, was er meint. Elena ist temperamentvoll und impulsiv. Sie wird kaum milde lächelnd darüber hinwegsehen, dass ihr Verlobter eine Woche vor der Hochzeit im Bett ihrer eigenen Schwester gelandet ist.

Ich schmiege mich an seine breite Brust. »Keine Angst, von mir erfährt keiner was. Und Elena schon gar nicht.«

Er küsst erleichtert mein Haar und drückt mich an sich.

Eine halbe Stunde später ist er fort. Zurück zu Elena, damit sie keinen Verdacht schöpft.

Mir bleiben nur sein Duft, den meine Bettwäsche ausatmet, und die Erinnerung an den aufregendsten Sex meines Lebens.

Ich verschränke die Arme im Nacken. Elena kann sich glücklich schätzen. Sie hat einfach alles: Einen Verlobten, der sie in jeder Hinsicht glücklich macht, und einen tollen Job, der sie ausfüllt. Sie ist Modedesignerin und seit kurzem zeigt ein namhafter Designer Interesse an ihren Entwürfen. Wenn die Verbindung zustande kommt, hat sie ausgesorgt.

Ich dagegen bin nur die Schneiderin, die ihre Ideen umsetzt. Ein kleines Licht. Heimlich designe ich auch, doch bisher habe ich nicht gewagt, Elena meine Entwürfe zu zeigen. Sie hat so ein gewisses herablassendes Lächeln, das sie besonders häufig mir schenkt, ihrer minderbegabten Schwester. Es würde sie glatt umbringen, wenn sie wüsste, dass Julian sie ausgerechnet mit mir betrogen hat.

Schon die Vorstellung entschädigt mich ein wenig für all die Situationen, in denen meine Schwester mir mit Blicken, Gesten oder Worten vermittelt hat, ich sei nichts wert.

Julian sieht das offenbar ganz anders. Mit einem zufriedenen Lächeln kuschele ich mich tiefer in mein Kissen und stelle mir vor, dass Julian nicht Elena heiratet, sondern mich.

 

Mitten in der Nacht klingelt mein Telefon. Ich schrecke hoch und taste fahrig nach dem Apparat. Melde mich mit vom Schlaf rauer Stimme.

»Ich bin’s«, wispert Julian am anderen Ende. »Celine, es ist etwas Schreckliches passiert!«

Sofort bin ich hellwach und taste nach der Nachttischlampe. Die plötzliche Helligkeit lässt mich blinzeln. Ein Blick zur Uhr zeigt mir, dass es kurz nach Mitternacht ist. Ich setze mich auf. »Was ist los?«

»Elena. Sie ist … tot.«

Obwohl ich instinktiv spüre, dass er die Wahrheit sagt, lache ich ungläubig auf. »Unsinn, du irrst dich sicher! Warum sollte Elena …«

»Sie ist die Treppe hinuntergestürzt. Wir haben uns gestritten, ich habe die Kontrolle verloren und – Celine, bitte komm schnell her. Ich weiß nicht, was ich machen soll!«

Eine Viertelstunde später öffnet er mir die Tür und ich schlüpfe in das schwach beleuchtete Haus. Am Fuße der Treppe liegt Elena, die Gliedmaßen merkwürdig verdreht. Mit einem erstickten Schrei stürze ich auf sie zu und falle neben ihr auf die Knie. Streichle ihre Wange, während mir Tränen die Sicht verschleiern.

Fühle ihren Puls.

Nichts. Elena ist tatsächlich tot, ich kann es nicht fassen.

Obwohl wir sehr verschieden waren und oft gestritten haben, ist sie doch meine Schwester. Sie war so kurz davor, sich all ihre Träume zu erfüllen. Nun liegt sie leblos vor mir auf dem Boden.

Wie unbarmherzig das Schicksal zuschlagen kann.

Das Schicksal?

In meinem Kopf höre ich Julians Stimme: »Ich habe die Kontrolle verloren.«

Mir wird speiübel.

Er räuspert sich neben mir. »Ich nehme an, sie hat sich das Genick gebrochen.«

»Wir … wir sollten wohl besser die Polizei rufen«, sage ich unsicher.

»Bist du verrückt?«, zischt er. »Dann lande ich im Gefängnis.«

»Das glaube ich nicht. Es war doch ein Unfall, keine Absicht.«

»Es wäre vermutlich Totschlag. Oder Körperverletzung mit Todesfolge, ich kenne mich da nicht aus. Wie auch immer, ungeschoren komme ich sicher nicht davon.«

Julian geht in die Knie, nimmt meine Hände in seine und sieht mich flehend an. »Celine, ich wollte das nicht. Bitte, du musst mir helfen.«

 

Im Wohnzimmer sinke ich erschöpft aufs Sofa. Julian macht sich an der Bar zu schaffen, dann kommt er mit zwei Cognacs zurück und setzt sich zu mir. Reicht mir ein Glas. Schweigend starren wir vor uns hin.

»Ich weiß, was wir tun«, sagt er plötzlich, und sein Gesicht hellt sich auf. »Ihr seid Zwillinge, gleicht euch aufs Haar. Du schlüpfst einfach in ihre Haut! Heiratest mich in ihrem Namen und machst den Vertrag mit dem Designer. Wenn alles vorbei ist, fangen wir irgendwo ein neues Leben an. Nur du und ich. Für immer.« Er nimmt meine Hand. Lächelt zaghaft. »Was sagst du dazu?«

Ich schüttle fassungslos den Kopf. Was er da vorschlägt, ist völlig undenkbar. »Julian, das kann nicht dein Ernst sein! Ich könnte niemals -«

»Es ist der einzige Ausweg, glaub mir. Wir lieben uns, nicht wahr? Dann müssen wir auch zusammenhalten.« Wie die Tropfen eines tödlichen Tranks träufelt er Worte in mein Ohr und küsst meine Zweifel weg. »Tu es für uns, Celine. Für unsere Zukunft.«

 

Wir beerdigen Elena in einem Wald, mitten im Gehölz. Mit ihr vergraben wir meine Handtasche samt all meinen Papieren. Ich komme mir vor wie bei meiner eigenen Beisetzung. Fühle nichts. Es ist, als wäre ich in Watte gehüllt.

Der neue Tag dämmert bereits herauf, als wir endlich zurück sind. In ihrem Haus, in ihrem Bett. Während wir miteinander schlafen sitzt Elena auf der Bettkante und beobachtet uns. Ihre Miene zeigt unverhohlene Verachtung.

Ich kneife die Augen zusammen, aber meine tote Schwester lässt sich nicht verscheuchen.

Als ich endlich einschlafe, träume ich, dass ich lebendig begraben bin. Um mich herum sind nur dunkle Erde, faulige Blätter und Baumwurzeln. Ich will schreien, doch sobald ich meinen Mund öffne, ist er voller Erde und kein Ton kommt heraus. Ich gerate in Panik. Es ist so eng, ich kann mich nicht rühren. Mein Herz rast in Todesangst.

Ich schrecke hoch, keuchend und schweißgebadet. Schaue neben mich. Julian hat nichts gemerkt, er schläft friedlich.

Während ich ihn betrachte, sein wirr in die Stirn fallendes Haar, die langen Wimpern, das geliebte Gesicht, beruhige ich mich langsam. Die eben noch ausgestandene Angst weicht einem leisen Glücksgefühl. Jetzt gehört er mir allein.

Ich lege mich dicht neben ihn, schlinge einen Arm um ihn und lausche seinem gleichmäßigen Atem.

 

»… und willst du, Elena Körner, diesen Mann lieben, ihn ehren, ihm beistehen in guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod euch scheidet, dann antworte mit: Ja, ich will.«

Der Standesbeamte nickt mir auffordernd zu. Julian hält meine Hände, versucht zu lächeln und sieht mich dabei beschwörend an. Ich kann seine Gedanken lesen. Sag es, Celine. Tu es, bevor jemand misstrauisch wird.

Die Situation ist bizarr. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Was richtig ist.

Julians Hände drücken meine, seine Augen sind fest auf mich gerichtet und leicht geweitet. Tu es!

Ich räuspere mich. »Ja, ich will.«

Vermutlich merke nur ich, dass seine Schultern vor Erleichterung herabsinken.

»Dann erkläre ich euch kraft meines Amtes für Mann und Frau. Sie dürfen die Braut küssen.«

Julian zieht mich an sich und schenkt mir ein verliebtes Lächeln, ehe er mich küsst.

Nach der Trauung bitten wir unsere Gäste in ein nahegelegenes Restaurant.

»Wo ist eigentlich Celine?«, fragt mich Elenas Assistentin und Trauzeugin.

Brav sage ich mein eingeübtes Sprüchlein auf. »Ich weiß es nicht, etwas muss sie aufgehalten haben. Bestimmt kommt sie gleich.«

Natürlich erscheint sie nicht, doch bald fragt niemand mehr. Alle wissen, dass wir nicht so eng miteinander sind, wie es zwischen Zwillingen angeblich typisch ist. Niemand hier ahnt die skurrile Wahrheit.

 

Während unserer Hochzeitsnacht ist Julian sanft und einfühlsam, dennoch kann ich mich nicht richtig entspannen.

»Es ist überstanden, Spätzchen«, sagt er und drückt mich fest an sich. »Keiner hat etwas gemerkt. Nur noch ein paar Tage, dann fängt für uns ein neues Leben an.«

»Ich habe Angst, Julian. Was ist, wenn der Designer merkt, dass ich nicht Elena bin? Ich habe keine Ahnung, was die zwei besprochen haben.«

»Er wird nichts merken. Sag, dass du in Eile bist, schau ab und zu auf die Uhr und unterschreib den Vertrag. Es gibt keinen Grund, um sich Sorgen zu machen.«

Als ich noch etwas einwenden will, küsst er mich. »Kein Wort mehr, Spätzchen. Du schaffst das. Und sobald der Typ das Geld überwiesen hat, düsen wir ab nach Südspanien.«

Ich liebe seinen Optimismus. Es klingt alles so einfach, wenn er es sagt. Und auf Spanien freue ich mich ehrlich. In Andalusien, an der Costa de la Luz, haben wir eine kleine Finca reserviert. Doch erst, wenn wir dort ankommen, werde ich wieder entspannt durchatmen können, das weiß ich genau.

 

Meine Beine zittern, als ich – in einem selbst entworfenen Hosenanzug – den Designer und seinen Anwalt in Elenas Atelier empfange.

»Was für ein elegantes Modell«, lobt der Designer und mustert mich und meinen Anzug wohlwollend von oben bis unten. »Sehr stilvoll, gefällt mir. Das wäre etwas für unsere nächste Herbstkollektion.«

»Ich habe noch mehr Entwürfe«, sage ich und reiche ihm herzklopfend die mitgebrachte Mappe mit meinen Zeichnungen. Während er durch die Unterlagen blättert und immer wieder zustimmend nickt, wünschte ich, Elena könnte diesen Moment miterleben. Ich bin richtig stolz auf mich.

»Ein ganz anderer Stil, als ich es von Ihnen gewohnt bin«, sagt er plötzlich und ich spüre, wie mir das Blut in den Kopf schießt. Was soll ich dazu sagen? Verzweifelt suche ich nach Worten.

»Können wir?«, fragt der Anwalt, sieht auf seine Uhr und wedelt mit dem Vertrag.

Der Designer nickt. Ich atme auf, lausche mit einem halben Ohr den Ausführungen des Anwalts und nehme schließlich den Stift entgegen, den er mir reicht. Zitternd beginne ich zu schreiben. Ich habe das C für Celine fast beendet, als mir siedend heiß einfällt, dass ich nicht mehr ich bin. Rasch mache ich ein halbrundes E daraus.

Niemandem fällt etwas auf, aber mir steht der Schweiß auf der Stirn und meine Achseln fühlen sich ekelhaft feucht an.

Es ist geschafft! Wir reichen uns die Hände und vereinbaren mündlich eine Option auf die Übernahme meiner nächsten Entwürfe.

Wenig später mache ich mich auf den Heimweg. Ich bin viel zu aufgewühlt, um noch länger im Atelier zu bleiben und den Leuten dort vorzuspielen, ich wäre meine Schwester. In diesem besonderen Moment möchte ich wieder Celine sein. Außerdem will ich zu Julian.

Als ich die Haustür aufschließe, vernehme ich seine Stimme. Er ist offenbar im Arbeitszimmer und telefoniert.

Ich will gerade nach ihm rufen, da höre ich ihn lachen. Es ist kein amüsiertes Lachen, sondern eines voller Zärtlichkeit. Und die Worte, die wie kleine spitze Pfeile mein Herz treffen, klingen so liebevoll, dass ich das Gefühl habe, mir gefriert das Blut in den Adern.

»Ich vermisse dich auch, Spätzchen. Nein, nun dauert es nicht mehr lange. Schon morgen fliegen Elena und ich nach Spanien, wo sie wie versprochen einen kleinen Unfall haben wird.«

Ich stehe da wie erstarrt. Hat er das wirklich gesagt?

»Nein, keine Angst. Die Finca liegt an einer Steilküste, da kann man leicht das Gleichgewicht verlieren, wenn man nicht aufpasst. Glaub mir, niemand wird Verdacht schöpfen. Schließlich sind wir ein glückliches Paar in den Flitterwochen.« Er lacht leise. »Du sagst es. Und sobald das Erbe geregelt ist, kommst du nach und wir fangen neu an. Nur du und ich. Für immer.«

Mir wird schwindelig. Erstaunlicherweise interessiert mich nicht, mit wem er spricht. Mich macht nur dieser unsagbare Verrat fassungslos. Ich habe für diesen Mann alles getan. Sogar mich selbst zu Grabe getragen. Abgrundtiefer Hass beginnt in mir zu lodern.

Vorsichtig luge ich durch den Türspalt. Julian sitzt am Schreibtisch, mit dem Rücken zu mir, und sieht aus dem Fenster. Seine Finger spielen mit dem Telefonkabel. Lautlos schlüpfe ich aus meinen Pumps und gleite durch den Türspalt ins Zimmer.

Als er sich mit sanfter Stimme verabschiedet, greift meine Hand wie von selbst nach dem antiken Bügeleisen auf der Anrichte neben der Tür. Es ist schwer. So schwer, dass keine Schädeldecke ihm etwas entgegenzusetzen vermag.

 

Spanien ist herrlich! Die Finca ist wunderhübsch und groß genug für eine Familie. Wer weiß, vielleicht habe ich die irgendwann.

Die Spanier, die ich bisher kennengelernt habe, sind reizend. Besonders Juan, der attraktive Makler, hat es mir angetan. Er erinnert mich ein bisschen an Julian, er ist ebenso leidenschaftlich und wild wie er.

Ach ja, Julian. Er ist jetzt wieder bei Elena. Die zwei liegen nebeneinander in ihrem Waldgrab.

Vereint.

Für immer.

 

ENDE

EIN PERFEKTER PLAN

 

Ralf ist clever und skrupellos. Aber geht seine Rechnung auf …?

 

***

 

Kalle kam pünktlich. Eine seiner wenigen guten Eigenschaften. Ralf ließ ihn in die Wohnung und wenig später sank der kräftige Hüne auf die Couch und nahm wortlos das Bier entgegen, das Ralf ihm reichte.

Nach einem kräftigen Schluck wischte er sich über den Mund. »Ok, worum geht’s? Sandy wartet auf mich.« Er grinste vielsagend.

Ralf biss sich auf die Unterlippe. Dann setzte er sich auf einen Sessel, beugte sich vor und fixierte Kalle. »Ich weiß, du bist eigentlich inzwischen sauber, doch wenn du willst, hab ich einen echt heißen Tipp für dich.«

Nun beugte sich auch Kalle vor. »Wie viel?«

»Mindestens Fünfzigtausend. Wir machen halbe-halbe. Es wird nicht länger als eine halbe Stunde dauern, schätze ich.«

Kalle nuckelte an seiner Flasche und sah nachdenklich ins Leere. Ralf wartete, zählte in Gedanken die Sekunden, die sein Gegenüber brauchte, um sich zu entscheiden.

Als er bei acht war, setzte Kalle das Bier ab und nickte. »Erzähl.«

Das tat Ralf. Berichtete von dem Unternehmer Harald Germer, den er gut kannte und der kurz vor Feierabend bei ihm in der Bank Geld für ein neues Auto abgehoben hatte, weil er es am nächsten Tag bar bezahlen wollte. Der erst gegen zehn Uhr mit dem Betrag nach Hause kommen und ihn dann in seinem Safe im Arbeitszimmer verstauen würde.

Die Sicherheitsvorkehrungen, so Ralf, seien lächerlich, überhaupt kein Problem. »Er hat zwar Kohle ohne Ende, doch er ist leichtsinnig. Der Bewegungsmelder für sein Grundstück ist schon seit Monaten kaputt. Er lässt sogar hin und wieder die Terrassentür offen stehen. Du wartest einfach mit einem Fernglas vor dem Fenster, prägst dir die Kombination ein, wartest, bis er wieder raus ist und holst das Geld.«

»Klingt ja ganz einfach.«

»Ist es auch. Anschließend kommst du her, wir teilen brüderlich und Germer kriegt die Kohle von der Versicherung zurück. Alle sind glücklich – mal abgesehen von der Versicherung, doch die wird’s verkraften.«

Ralf sah auf die Uhr. Fast neun.

Kalle gluckste. »Hätte ich ja nie gedacht, dass du und ich mal Komplizen werden. Ich dachte immer, du wärst eine ehrliche Haut.«

»Das bin ich auch, doch wenn einem die Gelegenheit auf dem Silbertablett serviert wird …« Ralf grinste. Sie stießen an.

»Und was sag ich Sandy?«, fragte Kalle. »Die flippt aus, wenn sie mitkriegt, dass ich ein Ding gedreht hab. Immerhin hab ich ihr versprechen müssen, dass das nie mehr vorkommt.«

»Das deichsle ich schon. Hier ist ein Fernglas, hab ich auf dem Nachhauseweg besorgt. Mach dich schon mal auf den Weg. Germer wohnt in der Parkallee Nummer 9.«

Kalle war kaum weg, als Ralf zu Sandy hinüberging und ihr mitteilte, dass ihr Freund vorhatte, einen Bruch zu machen. Wie zu erwarten war reagierte sie wütend. Ralf tröstete sie über ihre Enttäuschung hinweg und machte ihr klar, dass er ihr niemals so weh tun würde. Seine Annäherungsversuche stießen dann auch auf keinerlei Widerstand. Im Gegenteil.

Gegen halb elf verabschiedete er sich mit einem innigen Kuss von ihr und wartete in seiner Wohnung auf Kalle. Der kam zwanzig Minuten später. Seine Miene verhieß nichts Gutes.

»In dem Umschlag war nur Papier«, zischte er wütend. »Was soll die Scheiße?«

Das Telefon klingelte, bevor Ralf etwas erwidern konnte. Er zuckte ratlos mit den Achseln und hob ab. »Wer? Ach, Herr Germer! Wie bitte? Eingebrochen? Das Geld ist weg? Aber wie …? Seit wann haben Sie denn eine Videokamera?« Ralf warf einen alarmierten Blick zu Kalle, der ihn mit offenem Mund anstarrte und verzweifelt den wertlosen Umschlag hochhielt. »Ich verstehe. Ja, natürlich müssen Sie die Polizei verständigen. Gut, ich sage meinem Chef Bescheid, doch ich glaube nicht, dass … Ja, viel Glück.«

Er legte auf und fuhr sich durch das dunkle Haar. »Du musst verschwinden, Kalle. Und zwar sofort. Germer sagte, der Dieb sei deutlich auf den Aufnahmen zu sehen.«

»Du hast nichts von einer Kamera gesagt!«

»Ich wusste ja auch nicht, dass er sich eine angeschafft hat.«

Wieder wedelte Kalle mit dem Umschlag. »Hier ist doch nichts drin! Ich habe bloß Papier geklaut.«

Ralf schüttelte den Kopf. »Germer wird etwas anderes sagen. Du musst untertauchen. Sofort!«

 

Als Kalle aufgelöst verschwunden war – er wollte sich zunächst in der Gartenlaube seiner Eltern verstecken -, zog sich Ralf seinen Mantel an und ging in den Park in der Nähe der Germerschen Villa. Harald Germer wartete bereits auf ihn. Sein gedrungener Körper war in eine Daunenjacke gehüllt, die ihn noch voluminöser erscheinen ließ, als er ohnehin war.

»Das war brillant, Herr König. Absolut waschechte Einbruchsspuren am Fenster, die Versicherung wird zahlen müssen.« Germer rieb sich die Hände. Dann zog er einen Umschlag hervor und reichte ihn Ralf. »Und Sie wollen wirklich nur ein Drittel?«

Ralf nickte. »Mir ging es hauptsächlich um Sandy. Jetzt, wo ihr Freund verschwunden ist und sie obendrein enttäuscht hat, sucht sie Trost bei mir. Danke, dass Sie mir geholfen haben.«

»Sehr gern«, lachte Germer. »Hat sich ja auch für mich gelohnt.«

Ralf verstaute den Umschlag in seiner Innentasche. »Nur so aus Neugier: Wo haben Sie das restliche Geld eigentlich versteckt?«

»Das ist noch immer im Handschuhfach meines Wagens.« Germer zwinkerte Ralf zu. »Aber sobald ich zu Hause bin, verstaue ich es natürlich an einen wirklich sicheren Ort.«

Ralf sah sich um. Der Park war leer um diese Zeit. Keine Zeugen in Sicht. Beiläufig steckte er die rechte Hand in seine Manteltasche. »Also dann, Herr König, einen schönen Abend noch«, sagte Germer verabschiedend, doch Ralf hielt ihn auf.

»Moment, ich habe da eine Kleinigkeit für Sie.« Er trat näher, zog die Pistole hervor, die er sich nach Feierabend besorgt hatte, presste den Lauf gegen Harald Germers Daunenjacke und drückte ab. Die Jacke sorgte dafür, dass der Schuss kaum zu hören war.

Germer starrte ihn mit offenem Mund an, bevor er langsam zu Boden sank und reglos liegenblieb. Ralf hockte sich neben ihn und fischte den Autoschlüssel aus Germers Jacke.

»Du leichtgläubiger Trottel, du«, murmelte er und schnalzte bedauernd mit der Zunge. Als er sich wieder aufrichtete, konnte er ein Gefühl des Triumphs nicht unterdrücken. Wie clever er alles eingefädelt hatte! Sandys Freund war aus dem Rennen und er selbst obendrein um fünfzigtausend Euro reicher. Er würde mit Sandy nach Hawaii reisen und sich jede Nacht an ihren sinnlichen Körper schmiegen …

Hach, das Leben war schön.

Er wandte sich Richtung Parkausgang, um das Geld aus dem Auto zu holen, als hinter ihm etwas klickte.

»Polizei! Stehenbleiben! Hände hinter den Kopf!«

Von allen Seiten tauchten plötzlich Beamte auf, jeder mit einer Pistole im Anschlag, deren Lauf auf Ralf zeigte. Ihm blieb das Herz stehen. Ungläubig schaute er von einem zum anderen. Dutzend Fragen kreisten durch seinen Kopf.

Wie zur Antwort stand Harald Germer vom Boden auf und öffnete die Daunenjacke. »Ich hab Gott sei Dank nur einen kleinen Kratzer abbekommen.« Unter der Jacke kam eine kugelsichere Weste zum Vorschein.

Ralf starrte Germer an, während ihm ein Beamter Handschellen anlegte. »Woher zum Teufel wussten Sie …?«

»Oh, ich wusste gar nichts«, gab Germer unumwunden zu. »Aber ich hatte das Gefühl, Ihnen nicht trauen zu können. Da war so ein gieriges Glitzern in ihren Augen, als sie behaupteten, die kleine Sandy wäre Ihnen wichtiger als Geld. Spätestens da wurde mir klar, dass Sie ein Typ sind, der über Leichen geht. Und ich wollte keine dieser Leichen sein. Deshalb habe ich meinen Bekannten angerufen.« Er zwinkerte dem Kommissar zu, der nun seine Dienstwaffe wieder in den Holster schob und dem Polizisten zunickte, der Ralf am Arm gepackt hielt. »Abführen!«

Widerstandslos, aber tief enttäuscht ging Ralf neben dem Beamten auf den Ausgang zu.