Zen wird traditionellerweise die »Schule des Erwachten Geistes« oder das »Tor zur Quelle« genannt. Zen geht von der Annahme aus, daß unsere Persönlichkeit, unsere Kultur und unsere Glaubenssätze nicht inhärente Teile unserer Seele sind, sondern »Gäste« eines geheimnisvollen »Gastgebers«, der Buddhanatur oder des wahren Selbst, die in uns verborgen liegen. In unserem Wesen und unserer Seinsweise sind wir nicht begrenzt auf das, was wir je nach den zufälligen Bedingtheiten unserer Geburt und Erziehung zu sein glauben oder wofür wir selbst die Welt halten.

Auf den ersten Blick mag diese Erkenntnis keine positiven Konsequenzen für uns haben – aber nur so lange, als wir uns nicht bewußt sind, wieviel Zorn, Widersprüchlichkeiten und Kummer uns aus Vorstellungen wie »sie« und »wir« erwachsen, die auf Faktoren wie Kultur, Sitten und Denkgewohnheiten beruhen. Jede vernunftbegabte Person weiß,

Wenn wir aktiv zu einem Bewußtseinsniveau erwachen, das tiefer liegt als jenes, das die konditionierten Wahrnehmungsgewohnheiten beherbergt, befreit Zen das Denken und Fühlen des Individuums von den Einengungen eines absoluten Denkens und der Intoleranz. Dabei eröffnet die Erfahrung des Erwachens im Zen auch das Tor zu unparteiischem Mitgefühl und sozialem Bewußtsein, das hier nicht als politische Opportunität verstanden wird, sondern als spontaner Ausdruck einer intuitiven, empathischen Haltung.

Dieses Buch ist eine Sammlung von Worten großer östlicher Meister des Zen. Es hat keinen Anfang, keine Mitte, kein Ende. Die Meister sprechen auf unterschiedlichste Weise über alle praktischen Aspekte der Zen-Erfahrung, so wie sie zu unterschiedlichsten Zeiten zu den unterschiedlichsten Menschen gesprochen haben – aber alle sprechen vom Erwachen, davon, daß wir alles für uns selbst prüfen und auf unseren eigenen Füßen stehen müssen. Beginnen Sie irgendwo – irgendwann wird der Kreis sich schließen.

Es gibt viele Tore, die uns den Weg eröffnen, aber im wesentlichen beschränken sie sich auf zwei Arten, die wir Prinzip und Praxis nennen wollen.

Wir betreten den Weg dann durch das Prinzip, wenn wir die Quelle mittels der Lehren erkennen und der festen Überzeugung sind, daß alle fühlenden Wesen die gleiche wahre essentielle Natur teilen, die durch Äußerlichkeiten und falsche Vorstellungen verschleiert ist und sich nicht vollkommen manifestieren kann. Wenn du dieses Falsche seinläßt und zur Wirklichkeit zurückfindest, indem du in leidenschaftsloser Beobachtung verharrst, in der es kein Selbst und keinen andern gibt; wenn du das Gewöhnliche und das Heilige als gleich betrachtest und unerschütterlich und konsequent daran festhältst, ohne anderen Überzeugungen nachzugeben, dann stehst du in tiefer Harmonie mit dem Prinzip.

Der Eintritt in den Weg übers Tun geht über vier

Die Praxis des Wiedergutmachens von Verfehlungen bedeutet, daß Menschen, die den Weg kultivieren und von Leiden heimgesucht werden, sich vor Augen halten sollten, daß sie sich selbst in früheren Zeiten vom Wesentlichen abwandten und unendliche Zeiten dem Trivialen nachjagten, sich von den Wogen des Lebens treiben ließen, Feindseligkeit und Haß provozierten und daß die Verletzungen und Wunden schier endlos waren. Auch wenn sie jetzt gerade unschuldig sind, begreifen sie ihr Leiden als das Resultat ihrer eigenen schlechten Taten und nicht als etwas, was ihnen von Göttern oder Menschen zugefügt wird. So akzeptieren sie bereitwillig, was ihnen widerfährt, ohne sich dagegenzustellen oder sich zu beklagen. Die Schrift sagt: »Es gibt keine Angst im Leiden, sofern man über vollkommenes Wissen verfügt.« Wenn du diese Haltung entwickelst, dann bist du

Die zweite Praxis ist die des Sichanpassens an die Umstände. Lebewesen haben kein absolutes Selbst; sie alle sind durch äußere Bedingungen und Handlungen beeinflußt. Ihre Erfahrung von Schmerz wie ihre Erfahrung von Freude entstammen diesen Bedingungen. Selbst wenn sie herausragende Auszeichnungen erwerben oder Reichtum und Ruhm erlangen, so handelt es sich um die Auswirkungen längst vergangener Ursachen, die eben erst jetzt zum Tragen kommen. Wenn diese Bedingungen an Wirksamkeit verlieren, dann verwandeln sie sich in nichts. Worüber könnte man sich also freuen? Verlust und Gewinn beruhen auf diesen Bedingungen; im Geist gibt es kein Zunehmen oder Abnehmen. Wenn Freude dich nicht zu erregen vermag, dann bist du in tiefer Harmonie mit dem Weg; daher nennt man dies die Praxis des Sichanpassens an die Umstände.

Die dritte ist die Praxis des Nichtsuchens. Weltliche Menschen wandern ständig umher, und ihre Begierde läßt sie einmal hier, einmal da anhaften.

Alles Existierende ist leer; es gibt nichts, worauf wir hoffen könnten. Segnungen und Flüche folgen einander auf dem Fuße. Das Leben in der Welt ist wie ein Haus, das in Flammen steht; jede körperliche Existenz bringt Schmerz mit sich – wer könnte da in Frieden leben? Wenn wir diesen Punkt verstehen, dann lösen wir uns von allem Sein, dann hören wir auf zu denken und suchen nichts mehr. Die Schrift sagt: »Suchen ist Schmerz; Nichtsuchen ist Heil.« Nicht zu suchen ist die Praxis des Weges, also spricht man von der Praxis des Nichtsuchens.

Die vierte Praxis ist die des Handelns in Einklang mit dem Weg. Das Prinzip der Reinheit der wesenhaften Natur wird Wahrheit genannt. Was dieses Prinzip betrifft, so sind alle Erscheinungen leer; daher gibt es keine Beschmutzung, kein Anhaften, nicht dies, nicht das. Die Schrift sagt: »In der Wahrheit gibt es keine Wesen, da sie frei ist von den Befleckungen der Wesen. In der Wahrheit gibt