Willi Darr

Konzepte und Paradigmen im operativen, strategischen und gesellschaftlichen Zeitmanagement

Willi Darr

Konzepte und Paradigmen im operativen, strategischen und gesellschaftlichen Zeitmanagement

tredition Verlag
Hamburg

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Einführende Gedanken anstelle eines Vorworts

1. Die Zeit als alltägliches Phänomen und seine Funktionen

a. Zitat: Morgen ist ein neuer Tag

b. Die Definition der Zeit in diesem Buch

c. Ausgewählte Phänomene zur Zeit: ein historischer und kultureller Rückblick

d. Ausgewählte kulturelle Studien zur Zeit

e. Analyse gesellschaftlicher Zeitstrukturen: Die Konzeption der Beschleunigung von Hartmut Rosa

f. Zuständigkeiten der Zeit und Messmethoden

g. Die Funktionen der Zeit

2. Syntax: Standardisierung der Sprache zur Zeit

a. Zitat: 20 ist gleich 15

b. Ein Rückblick zur Standardisierung

c. Heutige standardisierte Zeichen

3. Semantik: Die Zeit als wertendes Kriterium

a. Zitat: Alles hat seine Zeit

b. Prozesse als Abbild der realen Welt

c. Zeit als Ausdruck von Dauer und Zuverlässigkeit

d. Zeit als Ausdruck einer Reserve

e. Zeit als einzigartiges Produkt

f. Industrie 4.0 und die zeitliche Abbildung unternehmerischer Prozesse

g. Kurzes Zwischenfazit

4. Pragmatik: Das Paradigma im operativen Management

a. Zitat: Time is money (Zeit ist Geld)

b. Grundsatz der Bewertung

c. Methoden zur Analyse und Steuerung der Zeit

d. Zeit in Einkauf, Produktion und Distribution

e. Grundsatzfrage der operativen Planung: beschleunigt oder entschleunigt?

f. Die Bewertung operativer Prozesse vor dem Hintergrund der Diskussion von Industrie 4.0

g. Zwischenfazit

5. Pragmatik: Das Paradigma im strategischen Management

a. Zitat: Handeln wir nicht schnell, so ist das Spiel verloren

b. Zeit in den führenden Strategiekonzepten

c. Zeitstrategien im Sinne von kurzen Lieferzeiten

d. Zeitstrategien im Sinne von Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit

e. Zeitstrategien im Sinne von Robustheit und Resilienz

f. Zeitstrategien im Sinne von Rechtzeitigkeit

g. Die Bewertung von Zeitstrategien vor dem Hintergrund der Diskussion von Industrie 4.0

h. Zwischenfazit

6. Pragmatik: Das Paradigma zur Zeit in der Gesellschaft

a. Zitat: Die Zeitfalle oder das Hamsterrad sieht von innen so aus wie eine Karriereleiter

b. Beschleunigung bedeutet Entfremdung

c. Entschleunigung und Muße als Auswege?

d. Resonanz oder Selbstorganisation?

e. Finales Fazit

7. Fußnoten

8. Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1.1: In-Beziehung-Setzen von Tätigkeiten

Abbildung 1.2: Kernaussagen zu den Phänomenen und Funktionen der »Zeit«

Abbildung 3.1: Varianten von Prozessen

Abbildung 3.2: Hierarchie von Prozessen

Abbildung 3.3: Abfolge von Prozessen

Abbildung 3.4: Länge und Breite von Netzwerken

Abbildung 4.1: Langsamer und schneller Umlauf

Abbildung 4.2: Beschleunigung und Entschleunigung

Abbildung 4.3: Effekte der Digitalisierung

Abbildung 4.4: Auftragszyklus und Zeiteffekte

Abbildung 5.1: (Un-) Pünktlichkeitskaskade

Abbildung 5.2: Robustheit und Resilienz

Abbildung 6.1: Zusammenfassung zu den Phänomenen, Funktionen und Paradigmen des Zeitmanagements

Abbildung 7.1: Digital Penetration Points

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1.1: Ausgewählte Aussagen zur Abgrenzung der Gesellschaften

Tabelle 3.1: Einflussgrößen der Prozessanalyse

Tabelle 6.1: Übersicht zu den Entwicklungen der »Zeit«

Abkürzungsverzeichnis

Abs.

Absatz

Art.

Artikel

AtO

Assemble to Order

Aufl.

Auflage

bzw.

beziehungsweise

BtO

Build-to-Order

BtS

Build-to-Stock

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

c.p.

ceteris paribus

d.h.

das heißt

DVD

Digital Video Disc bzw. Digital Versatile Disc

EDIFACT

United Nations Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transport

EinhZeitG

Einheiten- und Zeitgesetz

EU

Europäische Union

Fn.

Fußnote

GB

Großbritannien

GG

Grundgesetz

GMT

Greenwich Mean Time

GPS

Global Positioning System

GTIN

Global Trade Item Number

ILIPT

Intelligent Logistics for Innovative Product Technologies

INCOTERMS

International Commercial Terms

Iss.

Issue (Band, Heft)

IoT

Internet of Things

K

Kosten (Prozesskosten)

n.Chr.

nach Christus

OPP

Order Penetration Point

PTB

Physikalisch-Technische Bundesanstalt

Rn.

Randnummer

S.

Seite

SDD

Same Day Delivery

TAI

Internationale Atomzeit

TPS

Toyota Produktionssystem

US

United States

USP

Unique Selling Proposition

UT

Universal Time

UTC

Coordinated Universal Time

v.Chr.

vor Christus

Vol.

Volume (Jahrgang)

Z

Zeit (Prozesszeit)

ZeitG

Zeitgesetz

Einführende Gedanken anstelle eines Vorworts

Der Gegenstand dieses Buches ist eine fachspezifische betriebswirtschaftliche Diskussion zu den Konzepten und Paradigmen des Zeitmanagements. Die Zeit selbst ist nicht handelbar, nicht speicherbar und auch nicht käuflich zu erwerben. Sie ist weder zu hören, zu riechen, zu schmecken oder zu fühlen. Dennoch ist sie allgegenwärtig für alle Personen in Unternehmen wie im privaten Leben. Einige ausgewählte Beispiele mögen dies belegen und jeder Leser mag seine persönliche Bewertung vornehmen, inwieweit die Zeit bzw. der Zeitdruck für ihn ein bedrückendes oder entspannendes Gefühl auslöst. Hier die Beispiele aus dem täglichen Leben:

Der Wecker und die Kirchenglocken klingeln um 6 Uhr in der Früh.

Die Kinder sollen rechtzeitig aufstehen, um pünktlich in der Schule zu sein oder den Schulbus zu erreichen.

Der morgendliche Straßenverkehr quält sich durch die Stadt und macht zugesagte Termine am frühen Morgen unsicher. Die Dauer der Grünphase an der Ampel ist sehr kurz und nur wenige Autos schaffen es, weiter zu kommen.

Die Arbeitnehmer sollen schon früh am Arbeitsplatz erscheinen. Der Terminplan ist gut gefüllt. Dies gilt auch für Studenten: Die Vorlesung beginnt pünktlich um 8 Uhr.

Die jährliche Urlaubszeit beträgt mehrere Wochen und für die Planung des jährlichen Sommerurlaubs haben alle Kollegen eine gemeinschaftliche Regelung im Abgleich mit ihrem Vorgesetzten/Unternehmen zu treffen.

Für das Mittagessen bzw. die Mittagspause bleibt heute nur wenig Zeit. Der nächste Termin steht schon „vor der Tür“.

Diese Beispiele machen deutlich, dass die Zeit im tag-täglichen Leben eine permanente Rolle spielt. Mögliche Zeitpuffer können die zeitliche Anspannung mildern und den Zeitdruck entschärfen (und umgekehrt). Dies drückt sich in Redensarten oder Sprichwörtern aus, wie z.B. keine Zeit haben bzw. keine Zeit verlieren oder der Wettlauf mit der Zeit.

Auch im Sport spielt die Zeit eine herausragende Rolle. Nicht nur ein Fußballspiel dauert 90 Minuten (plus Nachspielzeit), sondern der Ruhm und die Ehre der besten Leistungssportler hängen im Motorsport, im Skisport oder in der Leichtathletik manchmal nur von wenigen hundertstel Sekunden ab. Die zehntel Sekunde ist häufig schon kein Maßstab mehr, um zwischen Sieg und Niederlage zu unterscheiden.

Auch in der Kunst und der Literatur spielt die Zeit eine prominente Rolle. Das Bild „La persistencia de la memoria“ (die Beständigkeit der Erinnerung bzw. die verrinnende Zeit) von Salvadore Dali aus dem Jahre 1931, Bilder zum Stillleben, die Bücher von Michael Ende (Momo) und von Thomas Mann (Der Zauberberg) oder die Filme „In Time“ bzw. „Moderne Zeiten“ mit Charlie Chaplin belegen dies. Weltbekannt sind auch die Bücher zu Zeitreisen mit der Zeitmaschinen von H.G. Wells oder zur Weltumrundung in (damaliger) Rekordzeit von Jules Verne („In 80 Tagen um die Welt“).

Die Zeit wird auch aktuell diskutiert: (i) So wurde die Zeitdiskussion im Freistaat Bayern in der Schulpolitik zum G8 oder G9 auf den Gymnasien erneut entschieden.

(ii)Kurz zuvor titelte die Süddeutsche Zeitung anlässlich der Sondierung zur Regierungsbildung „Jamaika-Sondierern läuft die Zeit davon“ (Süddeutsche Zeitung vom 16.11.2017, S. 1). (iii) Ein weiteres Beispiel ist die Vergabe des Nobelpreises 2017 für Medizin an die US-Forscher Jeffry Hall, Michael Rosbach und Michel Young zu ihren Arbeiten des Tag-Nacht-Rhythmus, der sogenannten ‚Inneren Uhr‘.

(iv)Als private Kunden im Distanzhandel werden in bestimmten Städten die Auslieferungen mit einem Same Day Delivery-Service angeboten. In München und Berlin kann die Auslieferung schon nach wenigen Stunden erfolgen.

Auch für Unternehmen spielt die Zeit eine herausragende Bedeutung, denn sie sind von jeher eingebettet als Bestandteile der Lieferkette in ein Wertschöpfungsnetzwerk von den Rohstoffherstellern, den Grundstoffproduzenten, den Teile- und Komponentenherstellern, den Endproduzenten bis zu den Händlern. In früheren Tagen, d.h. vor der Globalisierung der Lieferketten, haben sich diese mehrheitlich lokal/regional/national organisiert und Importe waren nur rohstoffbedingt oder spezialteilebedingt nötig. Die heutigen Lieferketten werden dank einer weltumspannenden Logistik und weltumspannender Handelsregelungen global aufgebaut. Der Wettbewerbsdruck dieser offenen Märkte führte dann zum Abbau aller Kapazitäts-, Bestands- und Zeitreserven, so dass diese Lieferketten durch serielle Interdependenzen eng verbunden sind. Insofern ist der Begriff „Kette“ treffend gewählt.

In den Unternehmen werden dabei die Montagebänder „Just-in-Time“ von den Zulieferern versorgt. Dies macht eine Lagerhaltung beim einkaufenden Unternehmen nicht mehr notwendig und senkt deren Kosten. Nur die zeitliche Sicherstellung des Lieferanten garantiert die unterbrechungsfreie Produktion und sichert ihm seine Marktstellung bzw. seine Aufträge.

Die Katastrophe von Fukushima oder die Diskussionen zum harten Brexit zeigen beispielhaft die (möglichen) Auswirkungen von „ungeplanten“ Unterbrechungen solch effizienter Lieferketten. Angesichts des geplanten Austritts Großbritanniens (GB) aus der Europäischen Union haben japanische Autohersteller angekündigt, ihre Fertigung in GB einzustellen bzw. zu überprüfen, um die Produktionsabläufe sicherstellen zu können.

Mit der Digitalisierung (d.h. Industrie 4.0, Logistik 4.0 oder Einkauf 4.0) erhoffen sich nun alle Beteiligten weitere Kosteneinsparungen und Beschleunigungen der inner- und zwischenbetrieblichen Prozesse. Bislang nicht verfügbare Daten stehen nun schneller oder erstmals zur Verfügung und ermöglichen eine schnellere oder qualifiziertere Entscheidung. Auch der Zeitnutzen wird als ökonomische Größe strategisch bedeutsam und ermöglicht neue Geschäftsmodelle der »Zeit«.

Die Digitalisierung ist jedoch nicht unumstritten. So titelte am 28. Februar 2019 Zeit-Online über die Vorstellung eines neuen Smartphones auf dem Mobile World Congress, das den neuen Hochgeschwindigkeitsstandard 5G unterstützt: „Die Entdeckung der Schnelligkeit“ und wählte das sprachliche Gegenstück zum Roman von Sten Nadolny „Die Entdeckung der Langsamkeit“; ein Roman, in dem der langsame Rhythmus dem Leben Sinn gibt. Wird nun dieser Widerspruch zurückübertragen auf 5G, dann würde die positive, d.h. sinngebende, Botschaft der neuen schnellen Technik sofort infrage zu stellen sein, d.h. schnellere Technik würde dann keinen Sinn mehr machen. Ob dies beabsichtigt war? Auf diesen Gegensatz wird später noch eingegangen.

Diese weit gefächerten Beispiele sollen zeigen, wie allgegenwärtig das Phänomen der »Zeit« für alle Beteiligten ist. Diese Liste ließe sich auch rückblickend um historische Beispiele erweitern, z.B. die zeitlichen Rituale von Urvölkern im Einklang mit der Natur oder die Entwicklung der Messung der Zeit mithilfe einfacher technischer Instrumente. Ein Ausweichen der »Zeit« ist nicht möglich; sie ist allgegenwärtig.

In diesem Buch stehen die betriebswirtschaftlichen Paradigmen zum Zeitmanagement im Vordergrund und deshalb soll zunächst deutlich werden, welche Aspekte zur »Zeit« nicht betrachtet werden:

Die physikalische Diskussion zur Zeit (z.B. bei Rovelli, 2018): Sie ist zunächst als Ergebnis der Division von Wegstrecke und Geschwindigkeit eine feste Größe. Albert Einstein formuliert mit der Allgemeinen und der Speziellen Relativitätstheorie eine »relative Zeit« und widersprach der Aussage, dass die Zeit eine absolute Größe ist. So vergeht z.B. die Zeit im Rahmen einer GPS-Messung auf der Erde und im GPS-Satelliten durch die beiden Geschwindigkeiten derart unterschiedlich, dass eine Korrektur der Zeitmessung gemäß des Lorentzfaktors vorgenommen werden muss, um Ortungsfehler auszugleichen.

Die Dimensionen von Raum und Zeit: Elias erläutert die vier Dimensionen von Raum und Zeit und plädiert für eine fünfte Dimension. Diese Dimension soll das persönliche Erleben, das Bewusstsein bzw. die persönliche Erfahrung repräsentieren. Damit will er eine Theorie sozialer Symbole erweitern: Zu deren bisherigen Repräsentanten der Sprache, des Sinns sollen auch der Raum und die Zeit zählen (Elias, 2017, S. XLVI, 26, 52 und 112).

Die philosophische Diskussion von Heidegger zur Zeit: Für ihn entsteht der Sinn des Seins (des Seienden) nicht nur aus den Bezügen zur Gegenwart, sondern auch aus einem zeitlichen Ablauf, d.h. aus der Vergangenheit (Gewesenheit bei Heidegger) und der Zukunft.

Das Spannungsfeld zwischen Langeweile, Muße, Stress und Kurzweil: Hier werden der „Flow“ oder der Müßiggang und der positive bzw. negative Stress diskutiert (z.B. Luckner, 2012).

Die medizinische bzw. psychologische Diskussion zur Zeit, speziell zur »Inneren Uhr«: Dieses Phänomen wurden von Jeffrey Hall, Michael Rosbach und Michel Young untersucht und mit dem Nobelpreis für Medizin honoriert. Ihr spezieller Fokus lag auf der Untersuchung zum Tag-Nacht-Rhythmus, d.h. zur Frage der Mechanismen, die den 24-Stunden-Rhythmus (zirkadianen) steuern.

Die zeitliche Wahrnehmung und die Zeitwahrnehmung der Menschen als persönliche und körperliche Phänomene: Ersteres bezieht sich auf die Länge der Zeitintervalle, die vom Menschen mit den Sinnen erfasst werden können. Erst oberhalb einer bestimmten zeitlichen Schwelle (Dauer) lassen sich Sachverhalte durch unsere Sinnesorgane wahrnehmen, z.B. Wahrnehmung eines optischen Reizes durch das Auge oder Fühlen eines Hitzereizes auf unserer Haut. Die Zeitwahrnehmung hingegen bezieht sich auf das Zeitgefühl, d.h. unsere Bewertung zur tatsächlichen Dauer von Vorgängen bzw. von Vorgängen in der Zeit. Hier spielt einerseits die Intensität der geistigen Tätigkeit eine ausschlaggebende Rolle. Umgangssprachlich kommt dieses Gefühl in Formulierungen wie „die Zeit rennt uns weg, die Zeit vergeht wie im Fluge, die Zeit steht still, die Zeit totschlagen“ zum Ausdruck. Andererseits kann auch die Wahrnehmung der zeitlichen Abfolge im Sinne der „guten alten Zeit“ oder „einer Zeitenwende“ wahrgenommen werden.

Die genannten Aspekte werden in diesem Buch nicht weiter vertieft. Dieses Buch behandelt eine spezielle Fragestellung für Unternehmen: die Paradigmen im Zeitmanagement. Der Begriff „Paradigma“ wurde gewählt, um die grundsätzliche, allgemein vorherrschende und nicht mehr zu diskutierende Meinung zu vordefinierten Fragen, hier der zeitlichen Ausgestaltung in Unternehmen, zum Ausdruck zu bringen. Sie spiegeln einen allgemein anerkannten Konsens wider, wie für bestimmte Fragestellungen Lösungen aussehen sollten. Bezogen auf die Zeit lautet das Paradigma, dass die »Beschleunigung« die einzige Richtung ist, die dem Zeitmanagement zugrunde liegt. Es scheint eine Art Einbahnstraße zu sein. D.h., immer schneller bedeutet immer erfolgreicher bzw. immer besser. Dies wird auch anhand der oben genannten Einführung des schnelleren Übertragungsstandards 5G deutlich. Backhaus und Gruner (1997) sprechen deshalb von einer „Epidemie des Zeitwettbewerbs“.

Es werden in diesem Buch drei spezielle Kategorien des Zeitmanagements und ihrer jeweiligen Paradigmen erörtert:

Die erste Kategorie betrachtet die Zeit als Maßstab effizienter operativer Geschäftsprozesse: Die betrieblichen Prozesse bilden hierbei das Rückgrat der arbeitsteiligen Leistungserstellung und sind im Sinne der Effizienz schnell(er) und zuverlässig(er) zu bewerkstelligen (zu meistern). D.h., die Zeit hat einen operativen Wert.

Die zweite Kategorie betrachtet die Zeit als Ausdruck der nachhaltigen Wettbewerbsstrategie und als Möglichkeit, eine einzigartige Position gegenüber Wettbewerbern einzunehmen. Die einzelnen Unternehmen konkurrieren um die anspruchsvolleren Kunden unter Zuhilfenahme der »Zeit«. Die Globalisierung hat in den letzten Jahrzehnten den Marktzugang erleichtert bzw. geöffnet und die Lieferketten sind in Folge dessen neu ausgestaltet worden. Der globale Wettbewerb ist auch ein Wettbewerb um den Faktor »Zeit« geworden. D.h., die Zeit hat einen strategischen Wert.

Die dritte Kategorie betrachtet die Zeit als Maßstab der Abgrenzung und Charakterisierung von Gesellschaften. Dieses Zeitmanagement aller Beteiligten einer Gesellschaft geht nicht spurlos an unseren gesellschaftlichen Entwicklungen vorbei; im Gegenteil, es prägt diese in starkem Maße. Die »Zeit« im Sinne eines modernen Zeitgeistes drückt uns einen deutlichen Stempel auf. D.h., die Zeit hat einen gesellschaftlichen Wert.

Die gesellschaftliche Diskussion erscheint begründet, weil auch hier die Verkürzung die vorherrschende Leitlinie darstellt. Es entsteht das permanente Gefühl der Eile und eines bestehenden Zeit- und Termindrucks. Die Verbindung zwischen den Unternehmen und der Gesellschaft erfolgt insbesondere über die Mitarbeiter, das Kaufverhalten der Kunden, die Neuheitsgrade der Produkte und die Arbeitsorganisation. Somit sind die gesellschaftliche und die unternehmerische Sichtweise stets verbunden.

PhänomeneFunktionen

In den Kapiteln 2 und 3 werden zunächst zwei Funktionen erläutert, die grundlegend für die Paradigmen des Zeitmanagements sind: die Standardisierung der Sprache zur Zeit und die Zeit als wertendes Kriterium.

In den Kapiteln 4 und 5 steht die dritte Funktion im Blickpunkt, die anhand des unternehmerischen Paradigmas zum Zeitmanagement diskutiert wird. Die Beschleunigung ist die vorherrschende Einbahnstraße im Zeitmanagement. Im Kapitel 4 stehen die operativen Fragestellungen zur Diskussion und im Kapitel 5 werden die strategischen Themen behandelt.

Das Kapitel 6 beleuchtet die permanente Beschleunigung gesellschaftlicher Prozesse und damit deren Handhabung der Ressource »Zeit«. Es werden mögliche Auswege (Alternativen) zur nicht enden wollenden Beschleunigung unserer gesellschaftlichen Zeit anhand von Zeitkonzepten aufgezeigt. Insofern kann diese Diskussion auch unter pragmatischen Gesichtspunkten vorgenommen werden. In diesem Buch erfolgt dies an zwei getrennten Stellen: zum einen im Kapitel 1 unter dem Aspekt der Analyse gesellschaftlicher Zeitstrukturen und zum anderen im Kapitel 6 unter dem Aspekt der Möglichkeit, diesem Zeitstrudel der Gesellschaft zu entkommen.

Jedes Kapitel beginnt mit einem bekannten Zitat, das deren Grundaussage knapp und prägnant zum Ausdruck bringen soll. Um die Lesbarkeit zu wahren, wird auf die Verwendung von Doppelformen oder andere Kennzeichnungen für weibliche und männliche Personen verzichtet.

Ich würde mich freuen, wenn Sie als Leser persönliche Erkenntnisse für das Phänomen der »Zeit« für sich gewinnen könnten und sich nicht unreflektiert in den Zeitstrudel hineinziehen lassen würden. Für Studenten als Leser hoffe ich, dass sie ein besseres Verständnis für die Thematik erhalten und ihre Beurteilungsfähigkeit zeitlicher Phänomene schärfen. Für Praktiker als Leser hoffe ich, Anregungen für die eigene betriebliche Diskussion und deren Umsetzung schaffen zu können.

So wünsche ich ihnen nun viele interessante Einsichten und ausreichend »Zeit« beim Lesen.

Hof, im Juni 2019
Willi Darr