Otto W. Bringer

GESICHTER

Das Rätsel hinter den Fassaden

Imprint

GESICHTER
Otto W. Bringer

Alle Rechte bei Schillinger Verlag Freiburg
1. Auflage 2015 · ISBN 978-3-89155-394-7
Titelgestaltung vom Autor. Fotos vom Autor und aus Archiven, in harmonisierender Rasteroptik.
Gesamtherstellung: Schillinger Verlag Freiburg

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sabine abels www.e-book-erstellung.de

Vom selben Autor noch folgende Bücher:

„ROSE LEBT“

Wiederauferstanden von den Toten in diesem Buch. Lebendig in Bildern und Liebesbriefen eines Vierundachtzigjährigen.

230 Seiten, 15 Fotos.
ISBN 978-3-89055-375-6
Euro 14,80

MALLORCA – mit allen Sinnen.

Land und Leute kennen und lieben gelernt. Das Meer, die Buchten, Gebirge und das fruchtbare Land mit Augen, Nase und Gemüt aufgesogen. In Finkas gewohnt. Nobelhotels. Ausgelassen mit Einheimischen gefeiert. Liebe erlebt wie ein Wunder.

212 Seiten, 21 Fotos.
ISBN 978-3-89155-381-7
Euro 14,80

ITALIEN – mit allen Sinnen.

Die Wiege abendlicher Kultur. Ziel unserer Sehnsucht. Schönes gesucht und gefunden. Überraschungen verkraftet. Von Venetien bis Apulien. Kunstwerke bestaunt. Ihre Geschichte verschlungen. Kochkunst genossen. Musik im Garten über dem Meer. Glücklich zu zweit.

242 Seiten, 21 Fotos.
ISBN 978-3-89155-379-4
Euro 14,80

FRANKREICH – mit allen Sinnen.

Nachbarland, in dem Geschichte lebendig ist. In römischen Theatern, Klöstern und Königsschlössern. Kultur eingeatmet. Geschichte hautnah erlebt. Die Ruhe an der Loire, dem ungebändigten Strom Frankreichs. Esskultur genossen. Ausgekostet bis zum letzten Tropfen.

220 Seiten, 30 Fotos.
ISBN 978-3-89155-380-0
Euro 14,80

ZUHAUSE – WO?

Ein Leben lang gesucht: Das eigene Haus, Wärme und Liebe, Raum für künstlerische Freiheit. Gefunden, verloren anderes gefunden, verloren. Ein Leben als Liebender, Ehemann, Familienvater, Unternehmer und Künstler. Spannende Biografie eines, der alles will. Und alles verliert.

444 Seiten.
ISBN 978-3-89155-389-3
Euro 18,50

Teje, Tutenchamuns Großmutter

Ein Stück Holz mit tausend Spuren. Eines, das mich sofort fesselte. Das eindrucksvollste Gesicht Ägyptens, finde ich. Das der Königin Teje, der Großmutter Tutenchamuns. Auch fotografiert. Sonst wäre es nicht in diesem Buch. Eines, das mich faszinierte, weil es anders ist. Alle Gesichter sind anders und doch auf eine gewisse Weise gleich. Wie die der Heiligen auf barocken Gesimsen.

Die unüberschaubare Masse an Statuen im Museum, stehenden, sitzenden, liegenden mit ihren Köpfen wie in einem Warenhaus. Meine Kamera ist eigensinnig. Fordert mich auf, auf jedes Objekt einzugehen. Zwingt mich, Zeit zu haben. Lasse mich ein. Bei wenigen. Tutenchamun, den größten habe ich fotografiert. Andere folgten, sofern es hell genug war. Dann diese Teje.

Nichts anderes als ein Stück altes Holz mit Resten von Gold. Warum dieses Gesicht? Andere, schönere in Fülle ringsum. Auch von Teje. Das aus Holz fasziniert mich. Wie alles Gewachsene, Altgewordene. Ein Stück Holz mit tausend Spuren. Aus welchem Stamm wurde es wohl geschnitzt? Lese, in Ägypten war Holz ein wertvolles Baumaterial. Und Werkstoff für bildende Künstler. Aber bevor man es nutzen konnte, musste es erst einmal wachsen.

Ägypter pflanzten Bäume, um Material für Bauten, Möbel und Kunstwerke zu haben. In erster Linie aber, weil sie von ihren Früchten lebten. Von süßen Datteln und Feigen. Im Erfinden fruchtiger Speisen waren sie Meister. Ägyptenreisende schwärmen noch lange von Lammgerichten mit gedünsteten Feigen, kandierten Datteln. Nur sechshundert Kilometer nah auf der Insel Föhr überraschten uns im Gasthof ‚Altes Pastorat’ original ägyptische Gerichte. Der Ägypter Il Dessuki, Pächter und Koch, erinnerte unsere verwöhnten Zungen und schwärmenden Gemüter an die Nilreise im Jahr zuvor. In seinem Garten fächern zwei Tamariskenbäume Wolken von Rosa in die Luft.

Bäume, die wir auch in Ägypten sahen. Werden besonders in Wüsten und wüstenähnlichen Gegenden angepflanzt. Weil sie dem Boden das Salz entziehen. Ihn damit geeignet machen für den Anbau von Mais und anderen Feldfrüchten. Erst kürzlich bestätigte der chinesische Tamariskenforscher Liu Minghin in langen Forschungsreihen diese wichtige Eigenschaft für landwirtschaftliche Entwicklungen in Wüstengebieten.

Man spricht von fünfzig bis neunzig Tamarisken-Arten. Eine ist besonders interessant. Die Manna-Tamariske. Zerbeißen Schildläuse ihre Rinde, bildet sich Manna. Ein süßlich schmeckender Saft. Erinnere altes Testament. Manna fiel vom Himmel und ernährte die hungernden Israeliten. Sie glaubten, Gott habe es vom Himmel regnen lassen. Dabei war es die Schildlaus, die lausige.

Tamarisken erreichen eine Höhe von zehn Metern. In ihrem Schatten feierten die alte Ägypter Gastmähler. Pflanzten sie rund um Gräber. Glaubten, in ihren Zweigen halte sich Osiris auf. Gott und Richter über die Toten. In den Sargtexten identifizierten sich die Verstorbenen mit Osiris. Ließen auf den Innenwänden ihres Sarges die Geschichte seiner Einbalsamierung und Wiederauferstehung ausführlich beschreiben. Hofften, dass ihnen dadurch Gleiches widerfahre.

Man fand Särge aus dem Holz von Tamarisken. Aber auch Statuen. Weiß ich jetzt, aus welchem Holz Tuts Großmutter geschnitzt ist? Bevor ich von anderen Hölzern erfahre. Von der Esche zum Beispiel. Dieses Material eignete sich gut zur Herstellung von elastischen Bögen, damals Sportgerät und wirksame Waffe in Kriegen. Akazien für den Bau kleiner Boote. Für seetüchtige Schiffe importierte man das Holz von Zedern aus dem Libanon. Jeder kennt die majestätische Libanonzeder in unseren Parkanlagen. Darin steckt viel Holz.

Auch verwendet für Särge der Vornehmen. Indem man dünne Bretter zu Schichtholzplatten verleimte. Um Stabilität und Resistenz des Sarges gegen Feuchtigkeit zu erhöhen. Das erste Sperrholz der Geschichte. In der Stufenpyramide des Djoser in Saqqâra fand man Fragmente eines Sarges aus Schichtholz.

Die Akazie war der mengenmäßig größte Holzlieferant im alten Ägypten. Ideales Nutzholz für die Herstellung von Möbeln und häuslichem Gerät. Knapp gefolgt vom Maulbeerbaum oder Sykomore. Sein ungewöhnlich dicker Stamm machte den Anbau rentabel. Jeden Garten schmückte ein Maulbeerbaum. Große Grundbesitzer legten regelrechte Plantagen an mit dem sogenannten Obst- und Schattenbaum. Milchsaft und Früchte dienten der Nahrung und waren gefragte Heilmittel. Aus dem Holz schreinerte man Betten, Sitzmöbel und Truhen. Verständlich, dass man den Maulbeerbaum bei soviel Nutzen als Himmelsbaum verehrte.

Aus welchem Holz ist die Büste der Königin Teje geschnitzt? Sicher weiß es die Wissenschaft. Für meine Betrachtung ist es unwichtig zu wissen. Meine Frage ist, wie kam dieses Kunstwerk zustande? Rätselhaft Geburt und Werdegang eines Stückes Holz. Eines Werkstoffs, der alles möglich macht und nichts vergisst. Geduld und Fingerspitzengefühl des Künstlers, ein wachsames Auge, Zorn, Zweifel. Den kleinsten Fehler. Was dachte er bei der Arbeit? Es muss einer der Besten gewesen sein. Hätte ihm sonst der Wesir, höchster Verwaltungsbeamter am Hof, den Auftrag erteilt?

Der Schnitzkünstler unbekannt, nenne ihn Kaya. Er besuchte zuerst die Königin. Der Wesir gestattete ihm eine Stunde, sich ein Bild von ihr zu machen. Damit das Werk später dem Original möglichst zum Verwechseln ähnlich sieht. Als man ihn durch eine schier endlos lange Flucht hoher Hallen in ihr Gemach führte, schlotterten ihm die Knie. Soviel Vornehmheit hatte er sich nicht vorgestellt. In die Kalksteinwände rechts und links Reliefs geschnitten. Mit Göttersymbolen und ihrer Personifizierung den Königen. In kräftigen Farben. Dazwischen, darüber, darunter, daneben erzählen Massen vergoldeter Hieroglyphen von beiden und ihren Taten. Fest angestellte Schreiber waren hohe Beamte am Hofe. Dokumentierten alles und jedes für kommende Generationen. Ihre Hieroglyphen waren Vorlagen für Maler und Steinschneider. Unlesbar für Analphabeten, das gemeine Volk. Aber Achtung gebietend.

Tönerne Kübel mit niedrigen Fächerpalmen an jedem Durchgang. Und ein Posten. Wenn man es nicht besser wüsste, hielte man sie für Prinzen. So prächtige Kleider trugen sie. Unserem Bildschnitzer war, als müsste er vor jedem auf die Knie fallen. Wie erst musste die Königin auf ihn wirken?

Aufgeregt betrat er ihr Kabinett. Kleiner, intimer der Raum als die vorigen. Die Wände zur Hälfte mit resedafarbenen Flachsstoffen behängt, die das Weiche betonten der Frau. Da saß sie nun vor ihm. Im leichten Sommergewand. Leger auf einem resedafarben gepolsterten Hocker. Die Beine übereinander geschlagen. Dass ihre Knie durch den Stoff schimmerten. Lächelte ihn an: „Sie sind also der Künstler, der ein Portrait von mir machen will? Sitze ich richtig im Licht? Wie lange dauert es, mein Lieber? Ich habe die letzte Nacht schlecht geschlafen.“

Der Bildschnitzer fast erschrocken von so viel Vertrautheit, so wenig königlicher Distanz. Direkt, als wären sie Freunde. Wie ein Objekt am falschen Platz wirkte der königliche Kopfschmuck. Stirnreif und kunstreich plissiertes Kopftuch, der Chat. Ihre Zofe hatte sich heute besondere Mühe gegeben. Als ginge es zu einer Hochzeit. Wie vor einem Jahrzehnt. Als Amenophis III Teje, eine bürgerliche, aus Liebe heiratete. Inzwischen ist Echnaton, ihr Sohn bereits aus den Kinderschuhen heraus. Nicht lange und er wird Vater des berühmten Tutenchamun. Und Teje dessen Großmutter. Klingt privat und hausmütterlich. In Wahrheit aber war sie zu ihrer Zeit die einflussreichste Frau Ägyptens. Spielte mit bei allen wichtigen Entscheidungen. Krieg und Frieden waren abhängig von ihrem Votum. Mit Chat, dem alltäglichen Herrschaftssymbol der Königinnen auf dem Kopf sollte sie nun portraitiert werden.

Einzelheiten kannte der Bildschnitzer nicht. So wenig wie das allgemeine Volk. Sah ihr aber an, dass sie bei aller Lockerheit Königin war. Er dämpfte seine Stimme respektvoll: „Hoheit, erlauben Sie mir zu antworten. Das Licht ist fast ideal. Auf der Seite, die die schöne Biegung Ihrer Wangen vorteilhaft erhellt“. Schluckte ein wenig ob seines Mutes, so frei heraus zu reden. „Wenn Sie sich ein wenig nach links drehen könnten?“ Kaum ausgesprochen saß sie so, wie er es wollte. Sie pariert aufs Wort, dachte er. Und fühlte sich schon sicherer. „In einer knappen Stunde bin ich fertig.“

Klappte ein hochbeiniges Arbeitstischchen auf, das er mitgebracht hatte. Er wollte keine Skizzen machen, Varianten ausprobieren, wie er es üblicherweise machte. Zweidimensional Schwarz auf Weiß. Nahm einen Klumpen weichen Tons aus dem Beutel, seiner Sache sicher. Und begann zu formen. Drei Dimensionen wie in Natura. Nur kleiner. Die Stunde war noch nicht um, das Modell in Ton und ein paar Detailskizzen fertig.

Teje hatte jede Bewegung seiner formenden Finger verfolgt. Gesehen, wie ihr Ebenbild entstand. Erhob sich, um es von Nahem zu betrachten. „Geschmeichelt, mein Lieber. Schlanker als ich bin. Gefällt mir. Wie groß wird das Original?“ „Die Elle eines Kindes in der Höhe, Hoheit, wenn´s Ihnen recht ist.“ Es sollte eines von mehreren Portraits in ihrer späteren Grabkammer werden.

„Bis wann?“ Wieder musste er schlucken. Überlegte rasch, raffte allen Mut zusammen: „Ihre Hoheit wollen doch ein getreues Abbild Ihrer Hoheit. Qualität braucht Zeit. Denken Sie an die wunderbare Sphingen-Allee in Luxor. Acht Jahre brauchten sie damals.“ Schluckte. Teje: „Mir sind acht Wochen recht. Dir auch, hoffe ich“.

Ihr Lob beschleunigte seine Schritte zum Holzhandel. Einen, von dem er wusste, dass seine Ware von bester Qualität ist. Aber Qualität ist nicht gleich Qualität. Es musste schon ein besonderes Holz sein. Das dem Rang des Auftraggebers entspricht. Und zum Schnitzen geeignet. Für seine Königin das Beste. Was heißt das? Es musste kurzfaserig sein, um alle Feinheiten des Gesichts herausholen zu können. Ohne dass es spleist und splittert. Und von kernig dichtem Zellgewebe, damit es Jahrtausende überdauert.

In Ägypten dachte man in Ewigkeiten. Er suchte und fand Passendes. Balken aus dem Kernholz der Bäume geschnitten. Für das geplante Volumen seiner Büste. Knapp zwei Handspannen im Quadrat. Entdeckte Esche, Akazie, Tamariske, Maulbeerbaum. Drehte sie um und betrachtete sie von allen Seiten. Roch an ihnen. Schnitt einen Streifen ab, die Schnitzfähigkeit zu testen. Strich nochmals darüber mit wissender Hand. Fühlte die Masse dahinter, den festen Kern des Holzes. Flüsterte ihre Namen, als betete er zu Göttern. Die Tamariske ist es. Fest unter seinem Griff. Spürte Entgegenkommen in seinen Fingern. Hörte die Stimme Osiris: „Nimm die.“

Jeder, der ihre rosigen Blütenwolken einmal gesehen hat, weiß: das richtige für eine Königin. Er ließ sich den ganzen ausgewählten Balken liefern. Obwohl ihm ein halber Meter genügt hätte. Plötzlich unsicher, ob ihm das Bildnis Tejes auf Anhieb gelingt.

Zuvor noch prüfte er seine Werkzeuge. Ein neuer Beitel sollte her. Riskierte einen mit eiserner Klinge. Erster Versuch einer Kupferhütte, die er sehr schätzte. Eisen soll härter sein, vor allem länger scharf bleiben. Nicht lange, und das Nebenprodukt bei der Schmelze von Kupfererzen wird die Bronze ablösen. Die anderen Werkzeuge traditionell aus legiertem Kupfer und Zinn. Säge, Meißel und Dechsel zum Glätten konnte er leicht selbst nachschleifen und schärfen. Ließ sich Zeit. Dachte, nur wenn ich gut ausgeruht bin, gelingt das Werk. Dabei plagte ihn Unsicherheit, Teje im Kopf. Nahm sich vor, Schritt für Schritt vorzugehen. Und dumme Gedanken zu verdrängen.

Sägte eine Ellenlänge ab. Klemmte das Holzstück in eine Art Schraubstock. Mit der flachen Seite nach vorn. Hockte sich davor, als verehre er eine Unsichtbare. Suchte mit kritischem Blick die Stelle, an der er am besten beginnen könnte. Entschloss sich, im unteren Drittel mit der Säge rechts und links überflüssige Masse aus dem Stück herauszuschneiden. Genau da, wo unter dem Kinn der Hals in den Sockel übergeht. Mit dem Messer wäre es viel mühsamer gewesen. Schnitt mit dem gebogenen Messer die Kanten weg. Erste Rundung zeigt sich. Vorsicht, nicht zu viel. Was weg ist, ist weg. Darüber der Kopf noch ein grober Stumpen. Das Gesicht nur eine Idee in seinem Kopf.

Womit beginne ich? Fragte er sich. Das Tonmodell betrachtend. Freue mich, dass Hoheit mein schmaleres Gesicht gut fand. Automatisch fasste seine Linke das Stecheisen fester. Die Rechte den Holzhammer. Jetzt darf nichts schiefgehen. Die Späne lösten sich unter den Schlägen, fielen herunter. Einer nach dem anderen. Wie Gedanken fallen, die gedacht sind, fiel ihm ein. Schnitt weiter, bis die grobe Form sich bildete. Von der Schläfe entlang der Wange bis an das Kinn. Auf der anderen Seite ebenso. Glättete die Flächen mit einem gebogenen Messer. Ihm war, als streichelte er sie. Sanft, so unendlich sanft, doch auch kraftvoll und genau wie dieses Messer entlang der Haut. Verfolgte diesen Gedanken, bis ihm schwindelte.

Reiss´ dich zusammen, befahl er sich. Wieder ganz ernsthafter Künstler. Konzentriert und kritisch. Fand, die Grundform des Gesichtes stimmt schon mal. Vorsichtig arbeitete er weiter. Kennzeichnete die Unterkante des Stirnreifs mit einem langen Schnitt. Den vorderen Rand des Kopftuches rechts und links, die Umrisse der Ohren. Alles Obenherum ist später dran.

Das Gesicht ist Mitte und Blickpunkt eines Portraits. Wichtig und schwierig genug. Schob die Klinge flach ins Holz, dass eine niedrige Stirn blieb bis dahin, wo die Brauen beginnen sollen. Schnitt eine gebogene Rinne, rechts und links bis zu den Schläfen. Nach der Vorlage in Ton. Kratzte sie sauber. Ebenso Vertiefungen um die ein wenig schräg gestellten Augen. In jede wird er später Saphire einsetzen. Freundlicher der Blick als mit dem dunkelblauen Lapislazuli bei Königen. Beides betont die göttlichen Augen. Bei Portraits von Königen und Königinnen charakteristisches Merkmal. Noch aber ist es nicht so weit.

Alle Generationen Ägyptens legten größten Wert darauf, ihre Augen zu schminken. Und gut zu duften. Mit dunklen Strichen umrandeten sie die Augen, zogen Linien von Augen und Brauen bis zu den Schläfen.

Künstler veredelten Augen und Brauen ihrer Skulpturen von Königen und Königinnen mit Lapislazuli oder anderen Edelsteinen. Normale Menschen mischten pulverisierte anthrazitfarbene Kohle, Blei, Eisen, Mangan und Kupfer. Rührte alles im Topf mit Tierfetten oder Pflanzenöl flüssig. Auftrag mit Pinsel oder Hölzchen kein Problem. Die Mixtur wirkte entzündungshemmend. Schmückte und schützte gleichzeitig vor Infektionen. Augenkrankheiten im feuchtheißen Klima waren unvermeidlich.

Auch der Augapfel, später geweißt, braucht in seiner Mitte eine Vertiefung für die Iris. In die er einen passend geschnittenen Bergkristall oder den etwas dunkleren Achat einlassen wird. Will beide ausprobieren. Für den Schöngeist nicht befriedigend, diese Löcher. Er kannte die Bräuche und tröstete sich mit dem Gedanken an das Endprodukt. Ging, trank einen Krug Bier und legte sich hin.

Träumte von einer Frau, die Teje verdammt ähnlich sah. Wachte auf und fragte sich: wo bin ich? Die Werkstatt wie immer. Seine Frau auf dem Feld mit den Kindern. Hoffentlich kocht sie mir ein gutes Abendessen. Habe Lust auf einen Buntbarsch im Lauchbett. Brauche jede Menge Eiweiß. Für Konzentration und eine ruhige Hand.

Als er Tage später die Wangen modellierte, die von Natur aus breite Nase aus dem Block herausarbeitete, dachte er: Ob sie weniger hübsch ist, wenn sie Schnupfen hat? Und gab sich Mühe, das Riechorgan ein bisschen feiner zu schnitzen als es von Natur aus war. Angepasst dem schmaleren Gesicht im Tonmodell. Das ihre Hoheit abgesegnet hatte. Ob sie merkt, dass ich ein bisschen gemogelt habe, zu ihren Gunsten?

Er machte eine Pause. Hatte die Absicht am folgenden Tag mit den Lippen zu beginnen. Traute sich nicht anzufangen, dachte er an Teje. Diese vollen Lippen laden zum Küssen ein. Schon beim Modellieren in Ton juckte es ihn, mit dem Hölzchen zärtlich darüber hin zu streichen. Länger auf den Lippen zu verharren als nötig. Zu verführerisch dieser schmollende Mund. Warum muss diese reife Frau so schön sein wie eine junge? Für wen? Amenophis hat sie lange genug genossen. Alle Männer lieben schöne Frauen. Besonders die sie in ein Kunstwerk verwandeln, wie er. Bedauerte sich und legte den Stichel zur Seite. Morgen ist auch noch ein Tag. Unter der Nase blieb das Holz, was es war. Nackt, unbearbeitet. Lippenlos. Blieb so eine volle Woche.

Immer wieder träumte er von den Lippen. Die den leidenschaftlichen Schwung Afrikas haben. Seine Frau fragte sich, warum küsst er mich nicht mehr vor dem Einschlafen? Ein Tag verging, ein zweiter, ein dritter. Trank Bier und noch ein Bier. Schlich um den Torso im Schraubstock. Küsste die Stelle unter der Nase. Fantasierte die Lippen kämen ihm entgegen. Wie durch ein Wunder. Aber das Holz blieb hart. Wartete auf sein Messer. In seinem Kopf tobte das Problem. Sollte ihm das Eisen ein Minimum zu hoch, zu tief rutschen, waren die Lippen nicht mehr ihre Lippen. Alles für die Katz. Lippen sind das Schwierigste für Schnitzer. Ließ noch eine Nacht verstreichen.

Teje, Tutenchamuns Großmutter

Diesmal schlief er traumlos. Reckte die ausgeschlafenen Glieder, tatendurstig. Ein Schluck vom Tee, ein Biss ins Brot, im Sturmschritt zur Werkstatt. Ergriff das feinste Messer. Das mit der angeschrägten Bronzeklinge. Schärfte sie und strich mit dem Finger die Schneide entlang. Fühlte nicht den geringsten Grat. Holte tief Luft und begann.

Formte die Umrisse des Mundes. Konzentrierte sich darauf, ihn ein Minimum lächeln zu lassen, die Mundwinkel leicht anzuheben. Schnitt dann mit dem scharfen Instrument den aufsteigenden Bogen der Oberlippe. Bis zur Mitte. Setzte eine Vertiefung, sodass sich zwei Lippenhälften ergaben. Gut so, dachte er befriedigt. Schnitt weiter. Einen winzigen Augenblick unkonzentriert. Rutschte ab, wie befürchtet. Unter der Klinge schälte sich ein Span und fiel herunter. Der linke Lippenbogen nur noch angedeutet. Nubiens Oberlippenschwung, den er so liebte, weggeschnitten. Nichts ersetzt ihn mehr. Es sei denn er fängt wieder ganz von vorne an.

Wie in Trance vollendete er die Unterlippe. Kopfschmerz stellte sich ein. Die Gedanken ein Karussell laut schreiender Kinder. Keine Lust, die ganze Prozedur noch einmal durchzumachen. Es würde nicht besser werden. In seiner jetzigen Verfassung. Oder gibt es einen Ausweg?

Ja. Vielleicht merkt sie es gar nicht. Hält es für künstlerische Freiheit. Kann auch sein, sie freut sich. Kosmetische Lippenkorrekturen sind in Mode. Erleichtert lässt er das, was fertig sein sollte so wie es jetzt ist. Korrigiert noch die rechte Lippenhälfte. Passte sie der verunglückten linken an. Resümierte: dieses Gesicht ist Tejas Gesicht. Ich erkenne es wieder.

Nahm Abstand, verglich es mit dem Tonmodell. Reduzierte die erhobenen Mundwinkel wieder. Ernster jetzt und majestätischer, denkt er. Besser so. Eine Königin ist keine Jahrmarktsfigur. Alles andere hat jetzt Zeit. Er lässt sich Zeit. Eine Woche, eine zweite, dritte. Die Hälfte der Zeit, die Teje ihm vorgegeben hatte, verstrich. Er hatte kein schlechtes Gefühl mehr. Stirnreif, Chat und abschließende Veredlung Routine. Dachte er. Dachte er.

Erstes Problem Uräus, die Schlange am Stirnreif. Altägyptisches Symbol der Königswürde. Der Name Uräus kommt von „Uaret“ sich aufbäumen. Die sich aufbäumende, Backen blähende, Gift sprühende Kobra. Die mit dem Gluthauch ihres feurigen Atems alle Feinde abwehrt. So ihre Bedeutung in der altägyptischen Ikonografie.

Er hatte die vorspringende Schlange beim Durchmesser des Balkens nicht berücksichtigt. Alles sollte aus einem Stück sein. Nun muss er Uräus separat schnitzen und nachträglich einmontieren. Ärgerlich. Will es haarscharf einpassen und säuberlich beischleifen. Den Fehler verdeckt ein Überzug mit hauchdünn geplättetem Gold zum Schluss. Gemessen an der Oberlippe keinen Gedanken mehr wert. Niemand wird merken, dass er getrickst hat.

Sägte eine schmale Scheibe aus dem Stamm, trennte sie nochmals in zwei Hälften. Zeichnete mit einem dünnen verkohlten Zweig das Profil des Schlangenkörpers auf eine der Holzhälften, um sicher zu sein. Setzte das Messer an. Schnitzte zügig. Bis der gekrümmte Körper fertig war. Dann vorsichtiger die zum Schild aufgeblasenen Backen, das sich wieder verjüngende Maul. Ließ am hoch gestellten Ende des Schwanzes Holz stehen. Das Passstück sozusagen, für den Einbau in den Reifen später.

Machte weiter mit dem Kopf. Ging um das Holzstück mit dem fertigen Gesicht herum. Prüft mit wissendem Blick seine Ausmaße. Unter dem Chat muss der Hinterkopf ausgeprägter sein als bei normalen Menschen. Höher und länger. Kennzeichen königlicher Würde. Krieg ich das hin? Fragte er sich. Drittes Problem?

Kaya hatte manchen Kopf modelliert und kannte das Prinzip. Wusste aber auch, jeder Kopf ist anders. Tejes Kopf muss er gewissermaßen idealisieren. Was aber ist das Ideal. Bei Königen ist es leicht zu erreichen, indem man die Krone aufsetzt. Aber bei Königinnen? Kollege Tutmosis vom Hof in Achet-Aton modellierte Teje mit offizieller Krone, doppelter Feder und Sonnenscheibe zwischen Kuhhörnern. Seine Teje krönt ein Chat. Das Kopftuch betont die ausgeprägte Kopfform. Die Zofe hatte es sorgsam vorbereitet. Mehrfach Leinwand verklebt über einem Holzmodell. So bleibt es in Form. Plötzlich wusste er nicht mehr, was er im Palast sah. Suchte im Tonmodell die Rettung. Klein, aber erkennbar. Hinter den Ohren erweitert sich das plissierte Tuch. Rundet sich allmählich nach hinten, umschließt das volle Haar. Elliptisch gewölbt zur Haube. Modelliert mit dem erhöhten Hinterkopf eine Art Höhepunkt. Genauso mach ich´s.

Begann mit dem Stirnschmuck. Einem breiten Reifen, der zwischen den Schläfen sichtbar ist. Ansonsten unter dem Chat verschwindet. Drei parallel laufende Profile. In Natura getriebenes Messingblech vergoldet mit umlaufender Gravur, das den sichtbaren Teil des Reifens ziert. Er schnitt Vertiefungen und gravierte in die erhabenen Profile ein feines, durchlaufendes Muster. Im Original gesehen und skizziert. Schnitt ein Loch mit den Maßen des Passstückes in die Mitte des Reifens, exakt über der Nase. Passte die Schlange ein. Vollendete die Rundung des Chat und gravierte in die Oberfläche die feinen Plisseestrukturen. Die pingelige Feinarbeit dauerte drei ganze Tage. Schmirgelte zum Schluss mit unterschiedlich großen Bimssteinen alles glatt. Damit das Blattgold sofort und unlösbar haftet.

Das Vergolden wird klappen. Er hat Routine. Manch Adeliger am Hof war sein Auftraggeber. Sein Ruf glänzte in ganz Unterägypten. Nach zwei Stunden glänzte seine Teje. Und sah gar nicht mehr begehrenswert aus.

Löste den Schraubstock, nahm die Skulptur vorsichtig in beide Hände und setzte sie auf den Arbeitstisch. Sie steht gerade. Gut. Nur noch den kurzen Hals vollenden und die Oberfläche von Hals und Sockel glätten für die Vergoldung.

Legte los. Überstrich die Skulptur mit einer dünnen Gipsschicht. Dann mit dem Leim. Er hatte genügend hauchdünn gehämmertes Gold gekauft. Handtellergroße Folien. Lieber zu viel als zu wenig, dachte er. Lange nicht mehr vergoldet. Es machte ihm richtig Spaß, ein Blatt nach dem anderen aufzulegen. Mit dem Ziegenhaarpinsel sanft anzudrücken, bis es auf der Leimschicht haftete. Drückte das weiche Material mit den Fingern noch einmal nach, damit feine Profile und Strukturen gut sichtbar werden. Lippen, Nasenlöcher, Augenlider, die Plisseefalten. Im Eifer klebte er die Folien überall hin. Auch bis in die Vertiefungen um Augen und in den Brauen, die später mit passgenau geschnittenen Saphiren ausgefüllt werden sollen. Die großen Augäpfel hatte er verschont. Warum, wusste er nicht mehr.

Gold sollte haften bis in alle Ewigkeit. Auf Gold aber hält nichts. Kein Kleber sichert die Saphir-Zuschnitte auf dem Untergrund. Ein pflanzliches Mittel kann Gold nicht lösen. Blieb ihm nur, es herauszustechen. Also mechanisch zu entfernen. Dabei in Kauf zu nehmen, dass die Rinnen tiefer und breiter werden als geplant. Zum Glück hatte der Edelsteinschleifer die Steine noch nicht zugeschnitten. Eine zweite Garnitur hätte den Gewinn aufgefressen. Amun Re sei Dank. Für die Iris entschied er den dunkleren Achat zu nehmen. Passt besser zu ihrem Typ als der helle Bergkristall. Neue Forschung hält Teje für eine Nubierin.

Fertig? Nein, fast vergessen. Schnell noch beim Goldschmied die Ohrhänger abholen. Die gleichen, die Teje trug, als er sie modellierte. In Ton ließen sich die feinen Gespinste nicht darstellen. Auch damals galt der Spruch: aus dem Auge aus dem Sinn. In letzter Sekunde daran gedacht. Bohrte Löchlein in die Ohrläppchen und hing an jedes eine goldene Barke mit silbernem Vollmond.

Nun steht sie da. Auf dem höchsten Bock in seiner Werkstatt. Glänzt und schaut, ob einer sie abhole. Oder sollte er sie hinbringen? Noch einmal ihr Gesicht mit dem Original vergleichen. Aus dem schönen Mund lobende Worte hören? Oder Kritik?

Kaya lässt sie abholen, um nicht noch mal ihre Lippen sehen zu müssen, die ihn an seinen Fehlschnitt erinnern. Hoffte inständig, dass es niemand merkt und packte die Schöne in eine gepolsterte Kiste. Nahm sich vor, das Honorar für eine Bootsfahrt auf dem Nil nach Nubien zu den Verwandten wieder auszugeben? Verprassen für ein Fest. Im Gedenken an die schönste Frau seines Künstlerlebens.

Was wirklich geschah, wissen wir nicht. Bleibt ein Rätsel. Nur, dass es viele Büsten von Teje gibt. Prächtigere. Aber die aus Tamariskenholz geschnitzte animierte mich, diese aufregende Geschichte zu erzählen. Einschließlich der bewiesenen und unbewiesenen Fakten hinter der beschädigten Fassade. Gefiel sie Ihnen?

Teje, Tutenchamuns Großmutter

Jesus von Nazareth

Wie sah er aus? Zeigt es der Abdruck eines Gesichtes auf dem Grabtuch in Turin? Es ist das Gesicht eines Mannes. Unzweifelhaft. Aber wessen Gesicht? Unbekannt. Nur in den Köpfen gläubiger Christen der Mann aus Nazareth. Fromme Mär dichtet ihre eigene Wahrheit. Zu glauben, was man nicht wissen kann. Aber vorstellen müssen wir es uns. Uns ein Bild machen von dem, was so eminent wichtig scheint. Wenn schon an jemanden glauben, dann wollen wir wissen, wie wir uns diesen jemanden vorstellen können. Abstrakta lassen uns kalt.

Als Kinder hatten wir das Bild des lieben Heilands auf Glanzbildchen und danach im Kopf. Stellten uns Jesus wie einen freundlichen Onkel vor. Der einem die Hand gibt und liebe Worte sagt. Die Künstler der Renaissance malten ihn mal so mal so. Leonardo da Vincis Jesus ein netter junger Mann. Mit seinen Freunden bei der gemeinsamen Abendmahlzeit. Michelangelo schuf einen Hero. Männlich, kraftstrotzend. Nazarener malten ihn mit entrücktem Gesicht, als sähe er Engel. Bis Emil Nolde in den Vierzigern des neunzehnten Jahrhunderts Christus mit wilden Hieben auf die Leinwand pinselte, als wüsste er noch nicht wie er auszusehen habe. Zerrissen zwischen Schwarz und Rot, Gott und Mensch, Können und Nichtkönnen. Glauben und Nichtglauben. Wie also sah er denn wirklich aus, der Mann aus Nazareth?

Für damals potentielle Auftraggeber von Künstlern war Jesus keiner, der es wert war in Stein verewigt zu werden. Oder in Bronze gegossen Jahrtausende zu überdauern. Im Gegenteil. Sie hielten ihn für einen Kriminellen, der das Volk aufwiegelte. Und kreuzigten ihn, wie wir lesen. Und von frommen Predigern anhören müssen in der tiefvioletten Fastenzeit. Kein einziges Bild seines Gesichtes gibt uns Auskunft darüber, wie er wirklich aussah. Kunst zeigt ihn ernst, zornig, verzweifelt, der Erde enthoben. Lässt uns rätseln, was hinter solchen Fassaden steckt. Göttliches vielleicht. Oder etwa nicht?