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Der Schulmeister und sein Sohn

Karl Heinrich Caspari

Inhaltsübersicht.

 
Seite
Erstes Kapitel. Des Autors Stand und Herkommen
7
Zweites Kapitel. Der Sohn
10
Drittes Kapitel. Valentin beim Handwerk
14
Viertes Kapitel. Valentin der Schreiber
21
Fünftes Kapitel. Der Jäger von Erlach
26
Sechstes Kapitel. Die Warnung
33
Siebtes Kapitel. Der Torwart
37
Achtes Kapitel. Der Überfall
41
Neuntes Kapitel. Die Plünderung
46
Zehntes Kapitel. Die Entdeckung
50
Elftes Kapitel. Ein Gottesgericht
56
Zwölftes Kapitel. Die Flucht
63
Dreizehntes Kapitel. Die Pest
69
Vierzehntes Kapitel. Die Heimkehr
79
Fünfzehntes Kapitel. Der Brief
83
Sechzehntes Kapitel. Der Brief (Fortsetzung)
87
Siebzehntes Kapitel. Der Brief (Fortsetzung)
91
Achtzehntes Kapitel. Der Brief (Fortsetzung)
98
Neunzehntes Kapitel. Der Brief (Fortsetzung)
104
Zwanzigstes Kapitel. Der Brief (Fortsetzung)
112
Einundzwanzigstes Kapitel. Der Brief (Schluß)
124
Zweiundzwanzigstes Kapitel. Valentins Tod
136
Dreiundzwanzigstes Kapitel. Noch ein Gottesgericht
141
Vierundzwanzigstes Kapitel. Schluß
147

Vorrede zur ersten Auflage.

Was unsere heutigen, in tabellarischer Form abgefaßten Kirchenbücher wohl keinem unserer Nachkommen gewähren werden, das haben mir schon oft die alten Kirchenbücher gewährt, — einen wohltuenden Blick in das kirchliche Gemeindeleben ihrer Zeit.

Auf meiner früheren Pfarrei Sommerhausen habe ich oft mit wahrer Erbauung das während des Dreißigjährigen Krieges von dem alten Schuldiener, Udalrikus Gast, geführte Kirchenbuch durchlesen, der seine Einträge durch allerlei geschichtliche oder andere, aus einem warmen, einfältigen, durch und durch christlichen Herzen kommende Bemerkungen zu begleiten pflegte. Ich habe den Mann dadurch sehr lieb gewonnen, und wie ich mir aus seinen reichlichen Bemerkungen seine innere Anschauungsweise klar zu machen suchte, so habe ich aus seinen Einträgen unter Hinzunahme eines vorgefundenen Briefes von ihm, einiger Familienpapiere, eines Alten Testamentbuches, — und soweit die Ortsgeschichte in sein Leben eingreift — aus einer sehr interessanten, geschriebenen, durch die Güte des Erlauchten Herrn Grafen Ludwig von Rechteren mir mitgeteilten Chronik des Hauses Limpurg, dessen Besitzung Sommerhausen war, seine Lebensgeschichte zusammenzustellen gesucht.

Ich habe es vorgezogen, die Erzählung derselben dem alten Schuldiener selbst in den Mund zu legen; doch wird der scharfsinnige Leser leicht herausfinden, wo er wirklich redet und wo ich ihn nur reden lasse, da ich mich ohnehin rücksichtlich des Stils weniger bemühte, die altertümliche Sprache getreu zu kopieren, als nur die geradezu störende Sprache der modernen Zeit ferne zu halten.

Hiemit wünsche ich dem Büchlein einen geneigten Leser und — Gottes Segen.

Eschau bei Aschaffenburg, den 30. Mai 1851.

Der Verfasser.

Motto:

Die Welt ist außen schöne, ist grün, weiß und rot,
Doch innen schwarzer Farbe, — finster wie der Tod.
Walther von der Vogelweide.
Es glänzet der Christen inwendiges Leben,
Obgleich sie die Sonne von außen verbrannt.
Was ihnen der König des Himmels gegeben,
Ist keinem als ihnen nur selber bekannt.
Chr. Fr. Richter.

Erstes Kapitel.
Des Autors Stand und Herkommen.

Es ist aber ein großer Gewinn, wer gottselig ist und lässet ihm genügen.

1. Tim. 6, 6.

Seit alten Zeiten ist’s geschehen, daß jezuweilen merkwürdige Männer eigenhändig ihre Erlebnisse der lieben Nachwelt in einem Büchlein verzeichnet haben. Wohl ein mancher meiner Leser hat die Commentarios eines Julius Cäsar auf der Schule, oder daheim in Winterabenden die Lebensbeschreibung des mannhaften Ritters Götz von Berlichingen gelesen, und seine Gedanken dabei gehabt, wie derlei Männer aus großen Nöten und Gefahren unversehrt und gekrönt mit Ehren hervorgegangen sind.

Ein solcher Leser dürfte schwerlich eines Lächelns sich erwehren, daß auch ich, Udalricus Gast von Sommerhausen im Frankenland, mich unterfangen will, aufzuzeichnen mit Gottes Hilfe, was in dieser letzten betrübten Zeit sich mit mir begeben. Denn ein Cäsar bin ich nicht und auch kein Ritter, sondern nur ein armer Schuldiener, der die liebe Jugend Tag für Tag an die fünfzig Jahre lang in Gottes Wort unterwiesen schlecht und recht, und ist je mitunter meine saure Arbeit nicht vergeblich gewesen, so weiß ich unwürdiger Knecht recht wohl, daß nicht der da pflanzt und begießt, etwas ist, sondern nur der, welcher das Gedeihen gibt. Wunder aber erzählen von dem Gott, der da hilft, und dem Herrn Herrn, der vom Tode errettet, — das, lieber Leser, kann ich auch, und weil es eben ein so großes Werk ist, wenn er das Seufzen der Armen und Vergessenen hört, wie wenn er der Gewaltigen Wagen und Rosse zum Sieg führt, und weil der Vater im Himmel nicht bloß hört auf das Lied des stolzen Schwanes, wenn er’s anhebt, unter dem Schilfrohr des Sees zu sterben, sondern ja wohl auch das Schreien des Raben nicht verachtet in seinem verborgenen Nest, und nicht die Stimme des Sperlings, will ich auch mein Loblied nicht verhalten, und lauten soll es:

Soli Deo Gloria!
Dem Herrn allein die Ehre!

Ein Leben, das nach dem Spruch verläuft: „Armut und Reichtum gib mir nicht!“ darin keine großen, seien es erfreuende oder betrübende, Glücksfälle vorkommen, ist zwar großen Dankes wert, — doch läßt sich nicht viel davon erzählen. Neunundfünfzig Jahre lang bin ich auch meinen Weg gegangen, wie viele tausend; dann erst hat Gott mich auf absonderliche Wege geleitet. Darum von jenen neunundfünfzig Jahren nur ein weniges zum besseren Verständnis.

Mein nun in Gott ruhender Vater, Paulus Gast, war seines Handwerks ein Schneider drüben in Winterhausen. Mein Mütterlein hab ich nicht mehr gekannt, sondern als sie mich ans Licht dieser Welt geboren, hat sie mich nur noch gesegnet und meinem Vater anempfohlen, dann hat Gott zu meinen drei älteren Geschwistern sie heimgeholt ins Himmelreich. Da ich meines Vaters einziges Kind war, meinte er, ich sollte einst ein besseres Brot haben, als er selber, und bestimmte mich zu einem Schulmeister. Da habe ich zuerst Lesen, Schreiben und Rechnen aus dem Grund gelernt bei dem Präzeptor Holberg, dann Latein bei dem seligen Pfarrherrn Burkhardus Thüngersheim, dann hab ich wieder unter dem alten Präzeptor mich im Schulhalten geübt, und bin endlich nach wohlbestandenem Examen von dem Rat in Sommerhausen mit dem Amt eines Schuldieners betraut worden.

Es haben viele Menschen sich mit mir gefreut, zwei aber insonderheit: mein alter Vater und Margareta Späthin, der ich nun meine Hand vor dem Altare Gottes geben konnte, — mein Herz hatte ich ihr schon seit zehn Jahren gegeben. — Nun ist sie auch daheim bei dem Herrn und trägt das Feierkleid und hat den Palmzweig in Händen, während ich alter, verlassener Mann noch das Werktagskleid tragen muß und mit nassen Augen hinaufblicke, wo sie mit unsern Kindern allen den Herrn schaut von Angesicht zu Angesicht.

Im Jahre 1610, gerade an meinem 37. Geburtstag, sind wir aufgezogen auf meiner Stelle in Sommerhausen, wo die Bürgerschaft uns Haus und Gärtlein schön und wirtlich hatte einrichten lassen.

Das Städtlein Sommerhausen liegt im gesegneten Frankenlande. Es führt billig eine Sonne in seinem Wappen, die auf eine Weintraube scheint. Denn des Getreidelandes liegt wenig in seiner Gemarkung, dagegen viel fruchtbarer Weinberge, und es ist ein schöner Anblick, wenn die Weinberge grün sind, und die Häuser und Mauern mit ihren vielen Türmen, wie im Segen des Herrn, in ihrem Schatten liegen. Auch ein stattlicher Strom fließt an seinen Mauern vorbei, der Main, der vom Bayreuther Lande herunterkommt und hier die Grenze macht zwischen den beiden Flecken Sommerhausen und Winterhausen. — Gott segne dich, liebes Städtlein, und deine Weinberge bis auf Kind und Kindeskind. Hier bin ich in der Frühstunde fröhlich und voll guter Hoffnung an mein Tagewerk gegangen, hier hab ich des Tages Last und Hitze getragen, hier will ich, wenn’s Gottes Wille ist, auch die elfte Stunde schlagen hören und hingehen, wenn der Herr des Weinbergs ruft zum Feierabend, mein Gröschlein zu empfangen. Das walte Gott!

Zweites Kapitel.
Der Sohn.

Siehe, Kinder sind eine Gabe des Herrn!

Psalm 127, 3.

Am 12. Oktober 1613, morgens drei Uhr, ward unser erster Sohn geboren. Es war an einem kalten, stürmischen Herbsttag, und doch, als ich in das schwarze, fliegende Morgengewölk hinausschaute, hatte ich des Sonnenlichts genug im Herzen. Da ich am Bette meiner Margarete stand und das Knäblein zum erstenmal auf den Armen hielt, war’s mir, wie wenn der gnädige Gott nun alle Seile seiner Liebe um uns geschlungen hätte, und ich sprach mit Jakob: „Herr, ich bin zu gering all der Barmherzigkeit und Treue, die du an mir getan hast!“ — In der heiligen Taufe ward es vertreten von Valentin Orplich, dem Bäcken, der ihm den Namen Valentin beilegte. Ich hab’s nicht unterlassen, auf dem Heimweg aus der Kirche Gott anzurufen, daß er einen rechten, christlichen „Valentinus“ aus ihm machen wolle, einen Helden, stark und streitbar wider diese Welt und alle Feinde seiner Seligkeit.

In der Zucht und Vermahnung zum Herrn hab ich den Knaben aufgezogen, soweit es einem blinden und schwachen Menschen möglich ist. Gewollt wenigstens hab ich es redlich, und mein Weib, die in der Einfältigkeit ihres Herzens oft einen Rat wußte, wo ich keinen finden konnte, ist mir treulich darin beigestanden. Wir meinten, daß der Herr nicht umsonst sage: „Die frühe mich suchen, werden mich finden.“ Es ist das Herz der Kindlein wie ein weiches Wachs, darin das liebliche, hehre Bild des Herrn Christus noch leichtlich sich prägen läßt. Später kann solches nicht mehr geschehen, oder aber — es braucht heißer Trübsale, das Herz wieder weich zu machen.

Mit seinem sechsten Jahre nahm ich ihn in die Schule. Und schon nach einem Jahre konnte er den Morgen- und Abendsegen mit lauter, vernehmlicher Stimme beten, und wir hatten eine herzliche Freude, wenn wir ihm zuhörten: er rezitierte just in dem Tone, in welchem Herr Theodoricus zu predigen pflegte. Unter der Jugend des Fleckens hatte er ein großes Ansehen, als er heranwuchs, denn er war sehr klug und herzhaft, und dabei hatten ihn doch alle lieb als einen guten Kameraden, weil er ein weiches Gemüt hatte und dienstfertig war gegen jedermann. Das weißt du aber, lieber Leser, wie man den Wein am liebsten hat, der stark ist und süß, so hat man auch den Menschen am liebsten, der beides zugleich ist, herzhaft und milde, tapfer und doch weichen und liebreichen Gemütes. Des Schenkwirts Büblein hat er, wiewohl erst selber zehn Jahre alt, mit großer Lebensgefahr unter den wilden Pferden hervorgerissen, als eben das Rad des Güterwagens ihm über den Kopf gehen wollte, hat ihm seine messingene Sonnenuhr geschenkt, als es nicht aufhören wollte zu weinen, und ist dann weiter gegangen, als ob nichts geschehen wäre. Im teuren zweiundzwanziger Jahre, als der leidige Krieg uns ganz ausgezehrt hatte, hat er manchen Tag sein Stück Brot, das klein genug angefallen war, weil die Not schon dazumal sehr groß war, den armen Nachbarskindern gebrochen, die unter den Schulbänken die Brotkrumen zusammenklaubten, welche die Kinder reicherer Leute hie und da hatten fallen lassen.

Freilich solche Vorzüge, als da sind ein weiches Gemüt, ein tapferes Herz, ein fröhlicher Mut, eine freundliche Rede, sind nur Naturgaben, die ein Kind noch lange nicht geschickt machen zum Himmelreich, obwohl sie vor Menschen es zieren. Wohin ist Absolom gekommen mit seiner lieblichen Rede, wohin Saul mit seinem hochherzigen Wesen? — zum schweren Fall! Ein Mensch mit solchen Eigenschaften ist wie ein Schiff, das ausgerüstet mit vielen Segeln seine Fahrt beginnt. Wenn’s unter den rechten Fahrwind kommt, tut’s einen stattlichen Lauf in den Hafen, wenn aber ein böser Wind ihm in die Segel fährt, wird’s um so schneller zerscheitert. Der rechte Fahrwind aber ist der Geist des Herrn. Ich hätte das wohl wissen können, aber wo ist der Vater, dem’s nicht süß eingeht, wenn alle Welt sein Kind als ein liebwertes lobt und preiset?

Anno 1626, am heiligen Pfingstfest, ist mein Valentin das erstemal zu Gottes Tisch gegangen. Am Morgen des Tages lagen wir alle miteinander auf den Knien und beteten, daß der barmherzige Gott seine Seele schmücken wolle mit bußfertigem Sinn und fröhlichem Glauben, — den Leib zu schmücken unternahm seine Mutter. Sie scheitelte ihm sein schwarzes Haar und zog ihm ein schwarzes Mäntelein an und gab ihm einen schönen Rosmarin in die Hand, den sie schon seit Jahr und Tag dazu gezogen hatte. Meine kleinen Kinder, deren ich unter der Zeit drei, nämlich zwei Töchter und ein Söhnlein bekommen, als sie ihren Bruder so schön geschmückt sahen, legten still die Hände zusammen und schauten nur von ferne ihn an, als ob er bereits nicht mehr ihresgleichen wäre. Der Valentin aber bat noch einmal seinen Eltern und Geschwistern alles ab, was er ihnen jemals zuleide getan, dann ging er mit dem Zuge der andern Kinder ins Gotteshaus.

Es waren ihrer gerade zwölf in diesem Jahre, die ihr erstes Nachtmahl feiern wollten. Als ich vom Altare, wo sie paarweise das Sakrament empfangen hatten, sie wieder zurückkommen sah, konnte ich mich einer großen Wehmut nicht erwehren. In den Gängen zwischen den Kirchenstühlen stand das kaiserliche Kriegsvolk, das die Woche zuvor im Städtlein Quartier genommen, Mann an Mann, und diese trotzigen Gesellen im eisernen Wams und den wilden Spitzbärten mahnten an die eiserne Zeit, die uns bereits seit acht Jahren der leidige Religionskrieg gebracht hatte.

Als ich die kleine, andächtige Kinderschar durch diesen wüsten Haufen sich hindurchwinden sah, fühlte ich’s recht deutlich, wie wahr unser Pfarrherr Theodoricus gesprochen, als er den Nachtmahlskindern ihre Vermahnung über den Spruch gehalten: „Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe.“ — Ist doch auch unter den Zwölfen, die der Herr sich gewählt, ein Judas gewesen, und heutzutage, in dieser Zeit der Trübsal, da der Krieg mit eisernem Fuße über die Auen des Herrn geht, o wie manches Schäflein, das den Hirten verläßt und dem Wolf zum Raube wird! Was ist’s, daß jetzt eine fromme Rührung die Herzen dieser Kinder und deines Sohnes bewegt, werden sie auch Öl in den Lampen haben? Wie manch schöner Stern, der am Firmament des Himmels aufgeht, ist nur eine trügerische Sternschnuppe, die fällt und auslöscht in Nacht und Finsternis?

So mußte ich fortwährend denken, bis ich ganz kleinmütig ward; da aber fing ich an zu beten: „Herr Jesu, du Erzhirte deiner Schafe, nimm dies arme Häuflein und auch meinen Valentin unter deinen Hirtenstab. Führe sie, wie dir’s gefällt, — in die Höhe oder in die Tiefe, durch die grüne Aue oder durchs finstere Tal, — nur führe sie so, daß keines von dir abkommt. Bringe wieder das Verirrte, damit dies kleine Häuflein der großen Herde beigesellt werde, die du droben weidest und hinführest zu den lebendigen Wasserbrunnen. Amen.“

Er hat’s getan, — ihm sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Drittes Kapitel.
Valentin beim Handwerk.

Horch, horch! ein wilder Ton schallt durch die Welt,
Nicht Fried, nicht Ruh, nicht Glück herrscht länger drin! —
Seit sie eingeritten in unseren Toren
Mit Schulterstück und rostigen Sporen,
Ist Aussaat und Arbeit so gut wie verloren!
Altenglische Ballade.

Eine Weile war es uns ein Anliegen gewesen, was aus unserem Sohne werden sollte, — doch waren wir darüber einig geworden. Freilich, mein Weib hatte schon bei des Knaben Geburt sich an dem Gedanken erfreut, ihre Erstgeburt, wie sie sagte, dem Herrn zu opfern, und hoffte den Tag noch zu erleben, wo er auf der Kanzel stehen und die Gemeine erbauen werde, aber — der Mensch denkt’s und Gott lenkt’s.

Es waren nämlich mittlerweile die Zeiten der Prüfung und der Heimsuchung über die evangelische Kirche gekommen, und auch bei uns, in Limpurgischen Landen, sah es bereits aus, als wenn der Leuchter des Evangeliums, nachdem er hundert Jahre hell gebrannt, wieder von seiner Stätte gestoßen werden sollte. In Markt-Einersheim, Possenheim und Hellmizheim hatte das Würzburger Domkapitel die evangelischen Kirchen geschlossen, und die Seelsorger hatten sich auf den Speckfeld geflüchtet, wo sie sonntäglich ihre Gemeinden unter großen Anfechtungen versammelten und ermahnten, um des Herrn willen das Unrecht zu ertragen, aber dabei fest zu beharren im wahren Glauben. Solcher Ermahnung bedurfte es, weil die Kirchgänger vom streifenden Volk abgefangen und mißhandelt, oder auf den Turm in Iphofen gesetzt wurden und zuletzt mit schwerem Gelde sich loskaufen mußten.

In solchen Zeiten sollen nur die das Hirtenamt führen, denen offenbar eine Berufung von dem Herrn dazu wird. Das sind die Zeiten, in denen der Wolf kommt. Wehe da der Herde, über die ein Mietling gesetzt ist, und wehe — dem Mietling! Einen gewissen Fingerzeig, daß Gott unsern Valentin in seinem Weinberg brauche, hatten wir nicht wahrgenommen, drum beschlossen wir kurz und gut, ihn zum Handwerk zu bestimmen.

Verachtest du den Handwerkerstand, lieber Leser? — Ich nicht! Wer hat’s so vor Augen, was alles er mit Gottes Hilfe zustand gebracht hat, als der Handwerker? Wer kann am Feierabend mit so voller Zuversicht sagen: „Mein Tagewerk ist getan, und habe nichts verkehrt angefangen, und nichts zu tun übrig gelassen?“ Drei Stücke gehören dazu: ein gesunder Leib, eine geschickte Hand und ein christlich Gemüt, daß einer sein Werk, wie groß oder gering es sei, im Glauben tue, als auch zu Gottes Ehren. Wo du diese drei Stücke bei einem Handwerksmann findest, glaube mir, lieber Leser, da hast du einen glücklichen Menschen gefunden.

So ging ich also, wie mein Sohn vierzehn Jahre alt geworden, zu Valentin Orplich, dem Planbäcken, damit er seinen Paten, meinen Sohn, in die Lehre nehme. Er meinte zwar, der Knabe sehe ihm dafür zu fein und vornehm aus, und es habe ihm schon manchmal geschienen, als stehe ihm, so klein er auch sei, sein Sinn nach großen Dingen, und er werde sich nicht recht zum Handwerk schicken, ich aber entgegnete ihm: „Just wider die hohen müßigen Gedanken hat Gott der Herr das Gebot erfunden: ‚Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen!‘ — Nehmt Ihr den Knaben und seid ihm ein Meister und Zuchtmeister, für alles weitere lassen wir Gott sorgen.“ — Drauf war er’s zufrieden, und wir machten nur noch aus, daß er nur den Tag über beim Bäcken sei, den Abend und die Nacht solle er bei uns zubringen: denn die Luft des elterlichen Hauses kann kein Kind entbehren, wenn es gedeihen soll, — ‚im Schatten des Vaters,‘ sagt man, ‚wird der Sohn groß!‘

So geschah’s. Eh ich zum Vieruhrläuten ging, trat ich jedesmal in sein Kämmerlein, weckte ihn und sandte ihn zu seinem Meister und freute mich herzlich, wenn ich manchmal in der Morgenfrühe ungesehen auf der Straße stand, und durch des Meisters Fenster ihn so rüstig hinter der Arbeit sah, während alles ringsum noch im tiefen Schlafe lag, und nur das Plätschern des Rathausbrunnens durch die stillen Gassen rauschte. Sein Taufpate, der keine Kinder hatte, liebte ihn wie einen Sohn. Er tat seinen Meistersleuten, was er ihnen an den Augen absehen konnte, und er war so eifrig und anstellig in seinem Handwerk, daß der alte Meister sich’s behaglich zu machen anfing und fast das ganze Geschäft ihm in die Hände gab. Wie es aber gekommen, daß ich selber, obwohl der Meister nach Verlauf eines Jahres den Knaben noch ebenso lieb hatte, wie immer, doch manchmal nicht ohne Sorgen des Sprichworts gedachte: ‚Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben,‘ will ich in folgendem erzählen.

In einem alten Buch habe ich einmal ein schönes und lehrreiches Märlein gelesen, das unsere Vorfahren sich zu erzählen pflegten. Als nämlich vorzeiten das Heidentum in unserem deutschen Vaterlande abgetan und der Dienst des lebendigen Gottes eingeführt wurde, hätten die heidnischen Götzen vor dem Kreuze sich geflüchtet und in einen Berg sich verborgen, welcher der Venusberg heißt. Dort brächten sie in heidnischen Greueln und teuflischen Lustbarkeiten ihre Zeit hin, könnten aber den Berg nicht verlassen, sondern würden verschlossen gehalten bis zum Tag des Gerichts. Von Zeit zu Zeit jedoch tue der Berg sich auseinander und ein Spielmann gehe heraus mit einer Pfeife, ziehe durch die Lande und blase wundersame Weisen. Wer die Pfeife des Spielmanns höre, werde alsbald wie toll, lasse Vater und Mutter und Weib und Kind dahinten, frage nichts mehr nach zeitlichem und ewigem Glück, sondern wolle sofort dem Spielmanne nach und seiner Pfeife. Zwar sei mit dem Spielmann immer auch ein Warner da, der treue Eckart genannt, der bäte und flehte, dem Spielmann nicht zu folgen, denn es sei zeitlich und ewig um die geschehen, welche sich verlocken ließen; aber nur wenige gäben ihm Gehör, und der Spielmann, wenn die Zahl voll sei, führe den ganzen Haufen dem Venusberg zu, wo sie ihrem Gott abschwören müßten, um des Teufels Feste zu feiern.

Was dies Märlein bedeuten soll, ist leicht einzusehen. Der Spielmann mit der wundersamen, verlockenden Weise ist der listige Versucher, der für jeden Menschen den rechten Ton anzuschlagen und die rechte Weise zu treffen weiß, um von Gott und seinem Heil ihn abzuführen. Der getreue Eckart aber ist Gottes Wort und das Gewissen, die dem Menschen die Wahrheit verraten und sein Los ihm voraussagen, wenn er sich von dem Versucher betören lassen will, — aber bei den meisten leider umsonst.

In diesem Sinn ist das Märlein wahr zu allen Zeiten. Da war zum Beispiel vor etlichen Jahren eine ganze Zechgesellschaft in der unteren Schenke, — die hörten des Spielmanns Lied beim Klingen der Weingläser. So oft die Gläser klangen, fluchten, lästerten und jubelten sie durcheinander, und ließen derweilen Weib und Kind daheim im Elend sitzen, bis sie endlich alle nacheinander gestorben und verdorben sind. Da war im zweiundzwanziger Jahr Michel Hamsterloch, der Kornwucherer, — der hörte das Locken der Satanspfeife, wenn die harten Taler auf dem Tisch klangen, und überhörte drüber das Gebot: ‚Du sollst nicht Wucher nehmen, noch Übersatz‘, und das Seufzen der Armen, bis ihn drei kaiserliche Reiter zwischen Fuchsstadt und Winterhausen ausplünderten und an einen Birnbaum aufhenkten. Da war der Jäger von Erlach, der hörte im Rollen der Würfel die Teufelsmusik, daß vor Lust ihm die Augen im Kopfe funkelten und die Hände zitterten, bis er auch seinen elenden Tod fand, wovon ich unten des weiteren berichten werde. Da war des Schenkwirts Rosamund, das liebliche Mägdlein, — das hörte das süße Klingen, wenn es als die schönste Jungfrau weit und breit gerühmt wurde, bis es mit dem Werber durchging und von ihm verlassen ward, und sich und seine Schande bei der Würzburger Brücke in den Fluten begrub und unter den Eisschollen. (Bin ihm lang ein treuer Eckart gewesen, doch es hat zuletzt nicht mehr hören wollen!)

Aber auch das vornehmlich scheint mir nicht ohne guten Grund, daß in dem Märlein ausdrücklich gesagt ist, wie der Spielmann je von Zeit zu Zeit