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Einleitung

Ob es beim Lesen eines Buches, beim Fernsehen oder im Kino geschah – ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls hatte ich mir als Kind irgendwann den Afrikavirus eingefangen. Es gibt natürlich Schlimmeres. Aber die Probleme, die dieses leichte Fieber mit sich bringt, dürfen nicht unterschätzt werden. Hauptsächlich im Geografieunterricht hinderte es mich oftmals an der erforderlichen Mitarbeit: Anstatt den Anweisungen des Lehrers zu folgen, begab ich mich bei Seite 84 meines Schulatlasses auf Afrikareise. Manchmal war ich mit dem Flugzeug oder Jeep unterwegs, in der Regel aber mit dem Fahrrad. Das Fahrrad erschien mir am wenigsten aufwendig. Ich brauchte weder einen Piloten- noch einen Autoführerschein. Das Einzige, was mir daran nicht gefiel, waren die Pedale. Es müsste also irgendwie ein Motor dran …

Heute amüsieren mich meine Gedanken von damals. Aber ganz begraben habe ich sie nie. Drehten sie sich zu jener Zeit hauptsächlich um die Wahl des Fortbewegungsmittels, waren es später die allseits präsenten Schwierigkeiten dieses Kontinentes. Nicht ein Land dort verfügt über die Lebensqualität, die wir Europäer gewöhnt sind. Die Gefahren des Elends in Form von Hungerkatastrophen, Krankheiten und kriegerischen Konflikten sind allgegenwärtig.

Natürlich wäre es ein Leichtes gewesen, mich in die Obhut einer Pauschalreise zu begeben. Glücklich wäre ich damit nicht geworden. Denn ein klimatisierter Touristenbus oder eine geführte Safari bauen eine Distanz auf, die mir schlichtweg widerstrebte. Der Urgedanke sah nun einmal vor, es auf eigene Faust zu schaffen. Und so sollte es auch bleiben, denn nur so, das wusste ich, würde ich auch wirklich auf diesem Kontinent ankommen. Ich schuldete mir ganz einfach die Erfüllung dieses Wunsches, wollte mich endlich auf das Abenteuer Afrika einlassen. Und die Lösung für das Fahrrad mit Motor war im Übrigen ein Kinderspiel …

Ein Wunsch materialisiert sich - Tipps zu Motorrad und Ausrüstung sowie andere Ratschläge -

Zur Realisierung einer Motorradtour nutzt einem die Motivation allein wenig. Neben der notwendigen Zeit dafür bedarf es auch einer gewissenhaften Zusammenstellung der Dinge, die uns die Reise überhaupt erst ermöglichen.

Mein Wunsch, endlich auf eigene Faust in Richtung Afrika aufzubrechen, stand nun unumkehrbar fest und sollte schon bald Gestalt annehmen. Die Frage über das Wie stellte sich mir nur einen winzigen Moment. Denn was liegt näher an einem Fahrrad als ein Motorrad?

Etwas länger beschäftigte mich die nächste Frage, nämlich: Wie lange sollte die Reise dauern? Eine Weile spielte ich mit dem Gedanken an eine kurze berufliche Auszeit, beschränkte mich dann aber auf die nüchterne Vorgabe meines Arbeitgebers, dass ich nicht länger als drei Wochen Urlaub am Stück nehmen könne. Und dafür boten sich ganze zwei Länder an: Marokko und Tunesien. Zu guter Letzt nur noch Tunesien. In keinem afrikanischen Land wäre ich von Deutschland aus schneller als in Tunesien.

Von diesem Punkt an begann meine eigentliche Planung. Als Hilfsmittel dafür bot sich mir der Reiseführer „Tunesien“ von Ursula und Wolfgang Eckert aus dem Reise Know-How Verlag als Quelle für viele nützliche Informationen an. Eine ebenfalls nicht zu unterschätzende Unterstützung erhielt ich natürlich auch von so mancher Internetseite. Und nicht zu vergessen, das Auswärtige Amt. Auf deren Internetseiten finden sich die aktuellsten Informationen bezüglich der Stabilität eines Landes und vieles andere mehr. Um vier Dinge, wie ich herausfand, gilt es sich wegen eines damit verbundenen Wartezeitraumes zuerst zu kümmern:

1. den empfohlenen Impfschutz, 2. Reisepass, 3. die grüne internationale Versicherungskarte, die für Tunesien gilt, und 4. eine von der jeweiligen Krankenkasse zur Verfügung gestellte Bescheinigung über Anspruch auf Sachleistungen bei einem vorübergehenden Aufenthalt in Tunesien.

Danach empfiehlt es sich, Gedanken über die Anreise zu machen. Dabei geriet ich ein wenig in Hader mit mir. Denn zwischen meinem Startpunkt Aschersleben in Sachsen/Anhalt und dem ersten Zielpunkt Genua in Italien – von dort gehen die Fähren nach Tunesien ab – befindet sich eine Barriere: die Alpen. Bei meinem anvisierten Abfahrtstermin Ende April hatte ich dort noch mit Schneetreiben und Minusgraden zu rechnen. Verschöbe ich mein Abenteuer in die Sommermonate, wäre mir die brutale Hitze Nordafrikas gewiss – das wollte ich aber keinesfalls. Also dachte ich über Alternativen nach. Die einfachste, nämlich die Alpen zu umfahren, brächte mir einen unnötigen Zeitverlust ein. Das Motorrad per Spedition nach Genua schaffen zu lassen oder ganz und gar mit dem Autoreisezug die Reise zu beginnen, hätte ein gewaltiges Loch in meine Reisekasse gerissen. Außerdem wäre diese Art der Anreise, nebenbei bemerkt, auch ein kleiner Selbstverrat gewesen. Allein, auf eigene Faust, und zwar mit einem Motorrad lautete schließlich mein Motto und daran wollte ich mich halten.

Die Vorstellung von meiner zukünftigen Maschine zeigte sich spezieller, als ich es zunächst gedacht hatte. Zum einen wollte ich etwas Langstreckentaugliches, zum anderen aber auch etwas Geländegängiges. Die Suche nach der Lösung gestaltete sich spannend und lehrreich zugleich, denn ich suchte quasi einen Traktor im Limousinen-Design. Unter etwa zwanzig verschiedenen auf dem Gebrauchtmarkt erhältlichen Modellen, die für mein Vorhaben in Betracht kämen, hatte ich die Qual der Wahl. Fielen einige Maschinen wegen zu kurzer Ölwechselintervalle heraus, war es bei anderen ein zu hohes Gewicht und bei wiederum anderen eine gewisse Unzuverlässigkeit. Dann gab es noch die Maschinen, bei denen alles stimmte, bei denen aber die hochmoderne Elektronik im Falle einer Störung immer eine kompetente Werkstatt erforderte.

Meine Wahl fiel schließlich auf eine 2001er XT-600 von Yamaha. Einfach und robust im Aufbau überstand die Maschine schon bei ihrer Einführung Anfang der 1980er Jahre die Unwirtlichkeiten der Ténéréwüste. Sie fehlte über viele Jahre auf keiner Rallye. Fahrer einer XT schreiben der Maschine ebenfalls eine hohe Alltagstauglichkeit zu. Sicher ein Grund, weshalb die Maschine über zwanzig Jahre lang fast unverändert weiter gebaut wurde.

Ein weiterer zusprechender Aspekt für die XT war der geringe Grad an notwendiger Modifizierung, um sie meinen Ansprüchen anzupassen. Ich tauschte lediglich die viel zu weichen Werksfedern der Teleskopgabel gegen die härteren der Firma Wilbers mit progressiven Dämpfungseigenschaften aus. Für ein sichereres Fahren im Stehen verschraubte ich eine 30mm-Lenkererhöhung sowie griffigere gezackte Endurofußrasten. Als Bereifung verwendete ich den grobstolligen TKC-80 von Continental. Zwischen Schlauch und Felge montierte ich zusätzlich einen Reifenhalter, um bei rauer Fahrt ein Abreißen des Ventils zu verhindern. Diese fünf Dinge sollten mir das Vorwärtskommen abseits geteerter Straßen ermöglichen. Als Zusatz rate ich noch an, den vielleicht alten Kettensatz gegen einen neuen zu tauschen. Weiterhin, anstelle des Ölmessstabs, der bei vielen Motorradmodellen gleichzeitig Verschlussschraube ist, einen Öldirektmesser zu verschrauben, um auch an heißen Tagen die Öltemperatur unter Kontrolle zu haben.

Das Gepäckträgersystem lieferte der Zubehörspezialist Hepco & Becker, an denen ich „Ortlieb“-Motorradtaschen befestigte. Der Vorteil dieser Art Weichtaschen ist ein flexibler Stauraum. Das Packvolumen entspricht somit ungefähr der Größe des Inhalts. Außerdem ist bei einem Sturz die Gefahr, verletzt zu werden, deutlich geringer als bei harten Alukoffern, die einem noch dazu etwas die Fahragilität rauben. Über dem Heck verzurrte ich einen einfachen, aber wetterbeständigen Packsack für Zelt, Isomatte und Schlafsack.

Des Weiteren befestigte ich links am Lenker eine Halterung für den Magellan GPS-Empfänger „Explorist 210“, in der Mitte des Lenkers eine selbst gebastelte Kartenhalterung und rechts die Halterung für einen „Sigma“-Fahrradcomputer, der mir auch bei verdecktem Tacho die Geschwindigkeit und die zurückgelegten Kilometer verriet. Mehr Modifikationen sind bei dieser Maschine wirklich nicht erforderlich.

Die Ersatzteilliste sollte folgendermaßen aussehen: Kettenschloss (Clip oder Hohlniet), Kupplungs- und Handbremshebel, Schalthebel, Bowdenzug-Selbstbau-Set, Ersatzzündkerze, Ersatzzündkerzenstecker, Ersatzglühbirnen, Ersatzsicherung, Ersatzkabel, Listerklemmen, Ersatzölfilter, Kedo-Ölfilter-Kitt, Ölablassschraube, Ersatzluftfilter, Reifenflickzeug, Kettenanschlagrollen-Set, Sicherungsmutter Ritzel.

Als weitere Hilfsmittel empfehle ich: Digital-Multimeter, Fühlerlehre, DIRKO Dichtmasse, Knet-Metall (Epoxydharz-Kitt 100g), Loctite Chemikal Metall (2-Komponenten), etwas Schleifpapier, Kabelbinder versch. Größen, Hyloglue-111 Sekundenkleber, selbstverschweißendes Isolierund Abdichtband, ein Liter Öl, 50ml Universalfett, zwei Reifenmontiereisen, zwei Felgenschoner, Mini-Fußluftpumpe mit Manometer (Kedo), Kettenreiniger, Kettenspray, Reparaturhandbuch.

Beim Werkzeug empfiehlt es sich dringend, die Qualität und Vollständigkeit des bordeigenen zu überprüfen. Die wenigsten Motorradhersteller können sich hier mit Sorgfalt brüsten. Im Falle der XT, die ich ohne Bordwerkzeug in Empfang nahm, besorgte ich mir eine sehr gut ausgestattete Werkzeugrolle von „Polo“. Diese ergänzte ich lediglich noch mit einem 24iger Maulschlüssel (für die Hinterachse), einem XT kompatiblen Zündkerzenschlüssel, einem Metallsägeblatt und einem 250g-Hammer. Werkstattfetischisten rate ich zur bedingungslosen Improvisationsbereitschaft! Man kann einfach nicht alles dabei haben!

Man sollte sich genau überlegen, inwieweit Um- und Anbauten wirklich von Nutzen sind und nicht etwa nur der Reisekasse schaden. Da ich mich meiner Einschätzung nach ausreichend mit Tunesien befasst hatte, fand ich schnell heraus, was wirklich entscheidend ist und was sich nicht lohnt. So sparte ich mir beispielsweise die Anschaffung eines knapp 300€ teuren Großraumtanks, da Tunesien ein sehr gut ausgebautes Tankstellennetz besitzt. Stattdessen packte ich zu den gesparten 300€ noch 130€ dazu und hatte schon das Fährticket Genua-La Goulette in der Tasche. Ein 5-Liter-Kanister, den ich auf der hinteren Fußraste verzurrt hatte, war Reserve genug. Denn selbst ohne diese Reserve garantierte der 15-Liter-Tank der XT schon eine Reichweite von 280 km.

Auch bei der Frage nach der eigenen Sicherheit relativierten sich die Dinge. Im Falle einer Havarie, eines Unfalls oder Krankheit ist der Individualreisende in Tunesien nicht gleich von allen guten Geistern verlassen. Der zuvor genannte Reiseführer umfasst für solche Situationen alle nur erdenklichen Informationen in Verbindung mit Telefonnummern und gegebenenfalls Internetadressen. Mir selbst fielen in fast jedem Ort Apotheken sowie ausgewiesene Arztpraxen auf.

Auch bei technischen Problemen hätte ich nie lange nach einer Werkstatt suchen müssen. Allerdings erweckten diese Kfz-Werkstätten bei mir nie das Vorhandensein des in Deutschland üblichen Standards. Da aber das Funktionieren meiner XT, abgesehen von der elektronischen Zündung, hauptsächlich von einfacher Motorradelektrik und Mechanik abhing, störte mich dies nicht. Erwischt es einen in den südlichen, weniger bewohnten Gegenden, sieht dies natürlich anders aus. Um in einem solchen Fall kommunizieren zu können, ist ein Satellitentelefon sehr hilfreich. Diese Geräte sind mittlerweile ausleihbar. Jedoch verlangten die Verleiher zu meinem Reisezeitpunkt bei einem Aufenthalt von drei Wochen eine Grundgebühr von 300€. Das Geld sparte ich mir, denn selbst in Tunesien ist das Mobilfunknetz so gut wie lückenlos. Der Handyempfang ist mittlerweile bis in die nördlichen Ausläufer der Sahara möglich. Und dorthin – leider ist dies eine ernüchternde Tatsache – ist es Alleinreisenden nicht gestattet zu reisen. Ganz Südtunesien, ein breites Band an der Ostgrenze zu Libyen sowie ein ebenso breites Band an der Westgrenze zu Algerien sind als Sperrzonen deklariert. Lediglich Gruppen war noch bis vor wenigen Jahren die Einreise mit speziellen Genehmigungen erlaubt. Aber als allzu schlimm empfand ich diese Einschränkung nicht. Ich war schließlich ein blutiger Wüstenneuling und für solche bietet das zugängliche, nördlichste Territorium der Sahara noch immer Abenteuer genug. Kurzum erklärte ich also mein Handy zum Notrufsender. Zu mehr brauchte ich es nicht, denn im auch noch so kleinsten Wüstenkaff Tunesiens ist es möglich, von einer „Taxiphone“- oder „Publitel“-Station aus billig telefonieren zu können und sich vorher sogar noch das Geld dafür wechseln zu lassen.

Bei der Navigation verließ ich mich auf folgende Dinge: den Magellan GPS-Empfänger „Explorist 210“ in seiner Basisfunktion, ohne Kartenanzeige außerhalb Europas. Die wasser- und reißfeste Karte: „Tunesien“ 1:600 000 aus dem Reise „Know-How“ Verlag. Eine zweite Karte zur Referenz beziehungsweise Ersatz von „Freytag & Berndt“ im Maßstab 1:800 000. Einen Taschenrechner mit Kosinusfunktion, Kompass, Schreibzeug, Zirkel und Lineal. Ich wollte mich ohne Routenzwang bewegen, so frei es nur ging.

Verlangte es noch vor zwei Jahrzehnten ein gewisses Improvisationstalent, um sich für eine solche Reise vorzubereiten, ist es heutzutage möglich, sich von einem regelrechten Marktplatz für Outdoorartikel zu bedienen. Das Repertoire wächst ständig, wird gerade bei Navigationsgeräten immer umfangreicher, aber nicht übersichtlicher. Die Outdoorkataloge versuchen, uns bequeme Abenteuer zu ermöglichen und legen jedes Jahr an Umfang zu. Aber letztlich muss jeder für sich entscheiden, was er braucht und mit sich herumschleppen will oder muss. Denn all die mühselig zusammengestellten Dinge haben außer des materiellen auch noch einen psychologischen Wert. Kurz gesagt: Wenn einer ohne seinen Teddy nicht einschlafen kann, muss der eben mit ins Reisegepäck, denn Schlaf ist wichtig.

In meinem Gepäck drückte zwar kein Teddy, dafür aber eine 5kg schwere Fotoausrüstung. Ich schwitze lieber für diese Ausrüstung, als dass ich sie zu Hause lasse. Hier aufzulisten, was in den Fotorucksack gehört und was nicht, würde zu weit führen, da die Ansprüche an Technik und Motivauswahl eine sehr individuelle Angelegenheit sind. Wer mit einer Kompaktkamera am liebsten „Abschüsse“ aus dem Handgelenk heraus macht, fabriziert auch mal schlechte Bilder, ist aber dafür frei von „Ballast“. Demjenigen, der mit zubehörreichen Spiegelreflexsystemen auf Motorradreise geht, garantiert dieser „Ballast“ aber nicht automatisch die besseren Bilder. Mein Makroobjektiv und Teleobjektiv konnte ich viel zu selten nutzen, als dass der manchmal üble Pistenritt ihr Dabeisein rechtfertigte. Solche guten Stücke könnten zum Beispiel durch einen Zwischenring für Makro- und einen Telekonverter für Teleaufnahmen ersetzt werden. Auch hier rate ich zur Improvisationsbereitschaft, auch wenn man deswegen auf das eine oder andere gute Bild verzichten muss.

Bei den Dingen des täglichen Bedarfs schränkte ich mich sehr viel mehr ein. Zum Thema Wäsche lautet mein Ratschlag: Zwei Befestigungspunkte, eine Wäscheleine und ein paar Wäscheklammern sparen unnötig viel davon. Mir reichten drei Paar Socken, drei Slips, drei T-Shirts und eine lange Hose. Wasserknappheit herrscht oberflächlich betrachtet nicht. In Tunesien findet sich auf jedem Campingplatz oder Hotel eine Waschgelegenheit. Der Outdoorhandel stellt seit Längerem biologisch abbaubare Waschmittel für Textilen, die auch gleichzeitig der Körperpflege dienen, zur Verfügung; das Seifenkonzentrat von „Care-Plus“ ist so eines und ich war zufrieden damit.

In PET-Flaschen abgefülltes Trinkwasser ist ebenso überall erhältlich und zwei bis drei Liter davon sollten immer bereitstehen, das heißt am Motorrad untergebracht sein. Geht es doch einmal zur Neige und es steht nur „Rohrperle“, also Leitungswasser, oder schlimmer Brunnenwasser zur Verfügung hilft das Wasserentkeimungsmittel: „Micropur“. Gebraucht habe ich es nicht. Auch meine vorsorglich eingepackten Elektrolyttütchen habe ich glücklicherweise nicht öffnen müssen. Dennoch gehört auch so etwas ins Gepäck. Nach hohem Wasserverlust durch Schwitzen oder extremer Erschöpfung werden den Nieren dadurch die wichtigsten Salze zur Regulierung des Wasserhaushaltes zurückgegeben. Ich hatte einen 12er Pack Tropi Care Rehydration Salt von „Care-Plus“ dabei.

An Getränken beließ ich es bei einfachen Teebeuteln und einer Tüte Kaffee, die sich platzsparend einrollen ließ. Auch feste Nahrung kam bei mir aus der Tüte: „Travellunch“. Diese dehydrierte Outdoornahrung ist bei einer kompakten Reiseküche unerlässlich und wirklich empfehlenswert, da nahrhaft. Kochendes Wasser in die geöffnete Tüte schütten, zehn Minuten warten und fertig. Ich aß immer gleich aus der Tüte, um mir den Abwasch zu sparen. „Travellunch“ hat aber auch echte Pfannengerichte auf Lager, die wirklich gut sind, aber hochwertiges, beschichtetes und somit schwereres Campinggeschirr verlangen. Mein einfaches Alugeschirr kapitulierte bei diesen Leckereien.

Bei der Art der Topfbefeuerung bieten Outdoorkataloge auf vielen Seiten ein vielfältiges Angebot. Ob ein Benzin-, Spiritus- oder Gaskocher ins Gepäck soll, muss jeder für sich entscheiden. Ich glaube, alle Varianten halten sich die Waage in Bezug auf ihre Vor- und Nachteile. Wer sich bei einer Tunesienreise für einen Gaskocher entscheidet, trifft mit einem von der Firma „Campinggaz“ die richtige Wahl. Die dafür benötigten Stechkartuschen werden im ganzen Land angeboten. Mich diesbezüglich richtig zu informieren, hatte ich versäumt und hatte geglaubt, mit einem besonders kompakten Gaskocher der Marke „Outlander“ gut unterwegs zu sein. Fakt ist, der Kocher war zu meinem Reisezeitpunkt in seinen kleinen Maßen ungeschlagen, aber die dafür notwendigen Kartuschen suchte ich in ganz Tunesien vergebens. Und hätte ich mehrere Reservekartuschen im Gepäck gehabt, hätte die Kompaktheit auch keinen Vorteil mehr gebracht. Die modernen, ausgefeilten Dinge bringen also nicht nur Vorteile.

Ähnliches gilt auch für Zelt, Isomatte und Schlafsack. Das Angebot hier möchte ich als extrem bezeichnen. Extrem vor allem in Bezug auf die Preise. Für das Klima Tunesiens reichen aber die einfachsten Dinge. Mein Zelt von „Nordisk“ hatte vor Jahren einmal 39€ gekostet, verträgt auch stärkere Niederschläge und wiegt gerade einmal 1,2kg. Die Stabilität dieses kleinen Kuppelzeltes gewähren zwei sich kreuzende Apsiden und lediglich vier in die Erde eingeschlagene Heringe; für den Wüstenboden hatte ich mir noch Sandheringe besorgt. Da die Böden Tunesiens zumeist sandig sind und auch nachts nicht zu sehr auskühlen, genügte eine einfache selbstaufblasende Isomatte. Schlafsäcke sollten wegen des Komforts bis zu 0° Celsius ausgelegt sein; die Wüstennächte sind kühl. In den Gebirgen Marokkos wären diese einfachen drei Sachen wahrscheinlich schon wieder zu dürftig.

Ohne eine nähere Erläuterung empfehle ich noch weitere meines Erachtens unerlässliche Dinge für das Allgemeingepäck: Reiseapotheke, kompaktes Motorradverbandszeug, Klappspaten, Handstrahler oder eine im Leuchtkegel verstellbare Taschenlampe, kleine Ersatztaschenlampe, Kopflampe, Batterien, Multitool mit ausklappbarer (brauchbarer) Klinge und Zange, Kerze, kleines Radio (Weltempfänger), Feuchttücher, Toilettenpapier, Toilettenartikel allgemein, Mikrofaser-Handtuch, Geschirrhandtuch, Mückenspray, Pinzette, Sonnenöl, Kopfbedeckung, Badehose, Sonnenbrille, Feuerzeug, kleiner Feldstecher, mehrmalige Ablichtung aller Papiere, Passbilder, Sprachführer, Staubschutztuch für das Gesicht, einen langen Pullover, Ladegerät für den Handyakku, Euro-Zwischenstecker für die Steckdose. Und was ich nicht dabei hatte, mir aber gewünscht hätte, war ein kleiner Campingstuhl.

Bei der Zusammenstellung meiner Ausrüstung habe ich sehr viel hinterfragt und die endgültigen Antworten oft erst unterwegs bekommen. Diese fielen nicht immer positiv aus. Ein Rezept für die perfekte Reise oder Reiseausrüstung ist nicht in Sicht. Es lohnt sich also nicht, dafür allzu viele Nerven schon vor dem eigentlichen Abenteuer zu opfern. Ganz nach dem Motto des Motorradreisegurus Bernd Tesch rate ich ebenfalls: Dauer der Reise = Vorbereitungszeit der Reise. Zumindest in Bezug auf die Dinge, die man selbst erledigen kann. Zu viele Überlegungen verzögern oder verhindern gar die Reise. Und wie langweilig wäre wohl eine Reise, die perfekt wäre. Also: Machen wir uns einfach auf den Weg!

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Und los geht´s!

Zum Glück lässt man eines der schlimmsten Ereignisse einer Reise noch vor dem eigentlichen Beginn hinter sich: das Verabschieden. Während mir mein Sohn, bevor er zur Schule ging, einfach nur viel Glück wünschte und mich drückte, fiel mir der Abschied von meiner Frau sehr viel schwerer. Ich kam mir so egoistisch vor wie noch nie. Deswegen, aber auch, weil sich der Himmel grau in grau präsentierte, war es keine euphorische Abreise.

1080 Kilometer, verteilt auf zwei Tage, lagen nun vor mir. An diesem 23. April 2009, dem ersten Tag der Reise, wollte ich es von Aschersleben bis in die Nähe des Bodensees schaffen. Eine Strecke in diesem Umfang hatte ich mit einem Motorrad bisher nicht einmal annähernd bewältigt. Meine Erfahrungen mit der XT beschränkten sich auf die Landstraßen meiner Umgebung, Feldwege aller Art und Tagebaue. Ein bisschen wenig möchte man meinen, um dann gleich nach Afrika aufzubrechen. Aber für mich liegt der Reiz einer Sache in ihrem unbekannten Schwierigkeitsgrad. Ich hatte nicht einmal an ein Offroadtraining gedacht, denn für Afrika gibt es schließlich auch keinen Trainer. Das Gefühl, das ich für die Maschine erworben hatte, war ein gutes und genügte mir. Ebenso war das Gelingen der Tour, wie auch meine heile Rückkehr, allein von mir und meinen Vorbereitungen abhängig. Zusatzversicherungen können kein gutes Gelingen garantieren. Garantieren wollte ich mir aber wenigstens eines auf dieser langen Strecke: eine verkrampfungsfreie Fahrt.

Und damit hatte mich der Ärger eingeholt. Meinen extra für diese lange Strecke angeschafften Krampfkiller suchte ich vergebens. Hierbei handelt es sich um einen kleinen, flachen Hebel, der außen auf den Gasgriff geklemmt wird, gerade so breit, um den Handballen darauf abzustützen und somit das Einschlafen der Gashand verhindert. Wo war der doch gleich? Während zahlreicher Tankstopps durchsuchte ich immer wieder die Packtaschen. Ohne Erfolg. Ich musste es mir also gefallen lassen, dass mir hin und wieder die rechte Hand einschlief. Aber wer die Ursachen kennt, findet auch irgendwann ein gute Lösung. Und die hieß: Hand und Unterarm in eine Linie bringen, bei gleichzeitig weniger Griffkraft. Im Grunde eine einfache Sache, man muss nur lange genug üben.

Ganz relaxt bewältigte ich so die Autobahn Richtung Süden. Durch die Monotonie der häufig schnurgeraden Autobahnfahrt verlor ich aber bisweilen das Gefühl für Raum und Zeit. Ich erwischte mich mehrmals dabei, in einer Art Automatikbetrieb unterwegs zu sein. Lediglich Kurven und die häufigen Regengüsse brachten meine Gedanken dorthin zurück, wo sie hingehörten: zur Fahrbahn. Aber es gab auch positive Dinge auf dieser langen Fahrt. Die oftmals beschriebenen scheußlichen Schlingerbewegungen bei einer beladenen XT stellte ich auf nicht einem Kilometer fest. Ganz im Gegenteil: Geradezu gutmütig, beinahe wie eine Tourenmaschine, verhielt sie sich selbst in kurvigen Gegenden und das trotz der grobstolligen Bereifung.

Nach vielen Stunden Fahrt, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, passierte ich den Bodensee und gab nun langsam Acht auf eine Möglichkeit für mein Nachtlager. Irgendwo auf der letzten Autobahnraststätte vor Österreich gedachte ich, die Nacht zu verbringen. Doch das Licht, auf welches ich zufuhr, gaukelte mir nur eine Raststätte vor. Tatsächlich steuerte ich bereits die Vignettenautomaten für den gebührenpflichtigen, 23 Kilometer langen Korridor durch das österreichische Vorarlberg an. Ich war über mein erstes Tagesziel hinausgeschossen. Mir blieb keine Wahl, denn hier konnte ich unmöglich nächtigen. Außerdem: Was sind schon weitere 23 Kilometer? Ich zog für zwei Euro eine Korridorvignette und fuhr weiter. Zugegeben, ganz wohl war mir bei der Sache nicht. Immerhin ging es ab jetzt hinauf ins Gebirge und die einzige Lichtquelle waren schon bald nur noch die Scheinwerfer des Motorrades. Am Ende dieses Korridors wartete die Grenze der Schweiz auf mich. Dahinter, so hoffte ich, würde ich ein passendes Plätzchen für mein Nachtlager finden.

Tatsächlich aber fuhr ich in eine gespenstische Kulisse hinein. Die unheimlichen, schwindelerregend hohen Alpengipfel und das aus den vielen Tunneln geisterhaft austretende Licht wirkten beinahe abweisend auf mich. Durchfuhr ich die Tunnel, in denen die Luft viel wärmer und wegen des oftmals einsickernden Gebirgswassers sehr feucht war, empfand ich es als schauerlich schön. Zum einen beschlug mir die Motorradbrille, zum anderen sorgte die Schallreflexion des dumpfen Einzylinders für eine angenehme Gänsehaut. Gemein waren jeweils die schwarzen halbkreisförmigen Tunnelausgänge. Es kam mir stets so vor, als würde ich ein immer größer werdendes, schwarzes Nichts ansteuern. Für ein, zwei Sekunden verlor sich dahinter das Licht des Scheinwerfers in der Schwärze der Nacht und ich fuhr einen kurzen Moment lang blind. Gleichzeitig griff die aus den Bergen herabströmende Luft mit erheblicher Kälte nach mir. Hier, wo es nichts weiter als kalten, steilen Fels und dazwischen diese Alpenstraße mit ihren Tunneln gab, war es unmöglich, einen Platz zum Übernachten zu finden.

Ich hielt also weiter den Gasgriff offen, fuhr entlang der Grenze Lichtensteins, bis ich 20 Kilometer vor Chur auf einem Autohof endlich eine Gelegenheit fand und auch nutzte. Wählerisch durfte ich nicht sein. Denn anders als in Deutschland, wo Autohöfe und Tankstellen nicht eingezäunt sind, sich Campingmöglichkeiten also gleich im angrenzenden Feld ergeben, ist an den mautpflichtigen Autobahnen der Schweiz alles eingezäunt. Man kann also wirklich nur campen, wenn es bereits dunkel ist und das Glück einem ein Stück Rasen weit ab vom Schuss beschert. Mein Klecks Rasen befand sich nur zwei Buslängen von einem angrenzenden Bahngleis entfernt. Egal.

Der erste Tag, der erste Abschnitt fand hier sein Ende. Nach dem Errichten des Zeltes und einer Tüte „Travellunch“-Hühnerrisotto, kam ich langsam zur Ruhe, was aber auch bedeutete, dass mich Fragen heimsuchten. Konnte ich an diesem ersten Tag mit mir zufrieden sein? Ich war es. Wenn auch nicht ganz und gar. Die Sache mit dem Krampfkiller ärgerte mich ein wenig. Außerdem war ich wie ein Getriebener durch die Nacht gefahren. Ich hatte eine gewaltige Anstrengung hinter mich bringen müssen, nur eines halbwegs vernünftigen Schlafplatzes wegen. Aber eigentlich wollte ich es doch so. Auch der Weg sollte schließlich das Ziel sein. Und hätte ich jeden Tankstopp, jede Pause, jede Übernachtung minutiös geplant, begäbe ich mich wieder in ein Räderwerk, aus dem ich hatte ausbrechen wollen.