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Ein Kind der Magie

Band 6

der Licht und Schatten-Reihe

aus der Märchenspinnerei



Mira Lindorm

berlin


Gewidmet den Müttern, die allen Widrigkeiten zum Trotz für ihre Kinder ein besseres Leben erkämpfen..




© Mira Lindorm 2020 Machandel Verlag Haselünne

Charlotte Erpenbeck

Lektorat: Sabrina Uhlirsch

Korrektorat: Roswitha Uhlirsch

Cover-Designerin: Ch.Erpenbeck

mit Material von

Christoph Kadur / shutterstock.com

und

Sveva/renderosity.com

1. Auflage 2020

ISBN 978-3-95959-191-1

Danksagung


Mein besonderer Dank gilt meinen Mitstreiterinnen aus der Märchenspinnerei, deren Anregungen den Keim meiner Märchenadaption bilden, und ohne deren Hilfe diese Novelle mit Sicherheit nicht so gut geworden wäre.

Über die Autorin


Mira Lindorm schreibt, und das seit geschätzten fünfzehn Jahren. Seit rund fünf Jahren schreibt sie auch Urban-Fantasy, bevorzugt solche mit Humor.

Warum? Weil es das ist, was sie selbst begeistert liest.

Außerdem gehört sie zu der Selfpublisherinnen-Gruppe der Märchenspinnerei. Da deren bevorzugte Themen Umarbeitungen von Märchen sind, ist es kein Wunder, dass das Märchenhafte auch bei Mira Lindorm immer wieder durchschlägt.


Weitere Bücher mit märchenhaften Motiven von Mira Lindorm:


Louise und das Trollerbe

Herzenswünsche kommen teuer



Rückschau auf den ersten Band


Die Bücher der Licht-und-Schatten-Reihe bestehen immer aus einem Paar, das wie eine doppelseitige Medaille sowohl den Guten als auch den Bösen eines Märchens je eine eigene Geschichte widmet. So hat auch dieses Buch ein Gegenstück, das bereits 4 Wochen vor diesem Buch erschienen ist.


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Ein Kind der Magie


Elena Münscher


Ein Verbannter

Ein Versprechen

Ein Funke dunkler Magie


Näherin Adelheid ist mehr als verwundert, dass ein feiner Herr wie dieser Rumpel ihr seine Hilfe anbietet. Nicht nur, dass er sie und ihre Mutter finanziell unterstützt, er ermöglicht Adelheid auch durch eine arrangierte Heirat den sozialen Aufstieg. Alles, was Herr Rumpel dafür verlangt, ist ihr Versprechen, ihm irgendwann zu helfen.

Das ist fast zu schön, um wahr zu sein!


Rumpel ist mit sich und der Welt zufrieden. Für die Aussicht auf ein wenig Wohlstand lassen diese Menschen scheinbar nur zu gerne jede Vorsicht außer Acht. Und bis Adelheid merkt, was genau sie ihm versprochen hat, wird Rumpels Magie bereits wirken.

Was kann da noch schiefgehen?


Rumpelstilzchen einmal anders. Das Berlin der Goldenen Zwanziger Jahre bildet den Hintergrund für eine Geschichte, in der Rumpelstilzchens Motive gründlich unter die Lupe genommen werden. So grausam und willkürlich er uns im Märchen auch erscheint, niemand handelt ohne guten Grund, auch die Bösen nicht.


Leseprobe:


Der Abend war bereits so fortgeschritten wie der Alkoholpegel der Gäste. Zigarettenqualm vernebelte das Wirtshaus. Es war laut. Gläser klirrten, Leute redeten durcheinander, einer rief lautstark nach seinem Bier, andere zählten Münzen auf den Tisch, hinten an der Wand spielte eine Gruppe ein Würfelspiel. Rummms! Der speckige Lederbecher knallte auf die Tischplatte. »Sechs!«, brüllte eine tiefe Männerstimme.

Schon knallte der Becher erneut auf den Tisch.

»He, das gilt nicht! Du hast gemogelt!«

»Hab ich nicht! Nimm das sofort zurück! He, ihr habt alle gesehen, dass ich nicht gemogelt habe!«

»Jaja, haben wir, nun gib endlich weiter, sonst sind wir übermorgen noch nicht fertig!«

Wie hielten die das bloß aus?

Konnten diese Wesen nicht ein Mal still sein?

Rummmms!

»Scheiße, nur eine Fünf!«

Sein Kopf schmerzte. Seine Gedanken verknoteten sich in dem magielosen Äther, ungerichtet, in Schlingen und Verwerfungen. Kaum dass er einen einzigen Gedanken zu Ende brachte. Wie lange konnte er das noch ertragen?

Mit einem Stöhnen sackte er auf dem Stuhl zusammen. Sein Kopf berührte das bierfleckige Holz. Wenn er doch bloß hier wegkönnte! Gequält schloss er die Augen.


»Besoffen.« In der Stimme klang Verachtung. »Schon wieder. Macht der das eigentlich jeden Abend?«

»Lass ihn. Er bezahlt immer. Und er gibt uns ein anständiges Trinkgeld. Außerdem geht er bald. Wie immer.«

Das war … wie hieß sie noch mal? Maria? Die Menschen hatten komische Namen. Er hatte Mühe, sie zu behalten, zumal ihre blassen Gesichter kaum auseinanderzuhalten waren. Ja. Maria. Hin und wieder hatte sie ihm die Zähne gezeigt. Er hatte lange gebraucht, um zu merken, dass diese Geste hierzulande freundlich gemeint war.

Und Maria hatte recht. Er musste gleich gehen. So erschöpft, wie er sich fühlte, würde er bald einschlafen, und das durfte auf keinen Fall vor den Augen der Menschen passieren. Sein Gestalttrugbild löste sich auf, wenn er schlief. Mit einem Stöhnen öffnete er die Augen und schob sich in die Höhe.


Mit einer Restvergiftung, die von den Menschen merkwürdigerweise mit dem Namen eines Tieres belegt wurde, wachte er am nächsten Abend auf. Kopf und Magen schmerzten. Er erinnerte sich nicht, welchen Weg er den Tag zuvor zu seinem Versteck genommen hatte. Wie primitiv die Menschen auch sein mochten, in einem waren sie sehr gut: in der Wirkstärke ihrer alkoholischen Getränke. Selbst bei seinem Stoffwechsel gelang es dank dieser Erfindung, dass er sein komplettes Denken vorübergehend einstellen konnte. Ein Segen, in den er sich fast jede Nacht flüchtete, wenn er sonst nichts zu tun hatte. Dafür nahm er sogar die anschließenden Schmerzen in Kauf. Die Tage waren nicht so schlimm. Seine Art war nachtaktiv, tagsüber bevorzugte sein Körper von allein ein sanftes Dahindösen, nicht richtig wach, nicht richtig schlafend, aber zumindest nicht gequält von seinen Erinnerungen. Die Nächte dagegen waren die Hölle. Dann, wenn er in dieser schrecklich warmen Welt kaum Luft kriegte, fast zu ersticken meinte, wenn der magielose Äther um ihn wie eine Wand wirkte, die Gedanken weder hinein- noch hinausließ. Nur der Alkohol ließ ihn sein Elend ertragen. Der und seine unaufhörliche, beharrliche Arbeit an einer Rückkehrmöglichkeit.

Langsam schob er sich aus dem Versteck, kniff die Augen zu, geblendet von dem noch immer intensivroten Abendhimmel.

Sein erster Gang führte wie zu Beginn jeder Nacht zum Tor. Ein schwarzer rauer Felsblock inmitten anderer schwarzer rauer Felsblöcke, aber die Runen der Wächter waren Leuchtfeuer für seine Augen. So nah und doch so fern! Ein einziger Schritt trennte ihn von seiner Heimat. Ein Schritt, den er nicht vollbringen konnte, denn nur Magie konnte die Runen zwingen, das Tor zu öffnen. Eine Magie, die ihm in dieser Welt nicht zur Verfügung stand. Noch nicht. Er starrte auf den Felsen, berührte ihn mit seinen Krallen, fuhr die Muster der Runen nach. Sie reagierten nicht mit dem kleinsten Flackern. Seine Verbannung war vollkommen. Eine Welt, in der Magie nur in winzigsten Spuren existierte, zu denen er einfach keinen Zugriff erlangte.

Nicht einmal das Trugbild, das er den Menschen von sich zeigte, konnte er aus eigener Kraft erhalten. Ein kleiner Zauber, den man ihm in die Verbannung mitgegeben hatte, komprimiert in einem Ring als einziges Zugeständnis an die Zustände hier. Sein Aussehen konnte er damit variieren, der Rest war für Manipulationen so unzugänglich wie die Wächterrunen.

Und doch … Sein Gesicht verzog sich, er fletschte die Zähne. Es gab einen Weg. Es gab immer einen Weg. Das war in der Welt der Menschen nicht anders als in seiner. Es würde lange dauern, er würde Geduld brauchen. Aber irgendwann würde er genügend Magie angesammelt haben, um die Wächter zu bezwingen und das Tor zurück zu öffnen. Er würde sich rächen.

Er würde zurückkehren.

Irgendwann.




Ende der Leseprobe


15. Kapitel


Natürlich mussten wir die Polizei einschalten. Michael stellte sich einfach als mein Verlobter vor, um lästigen Fragen zuvorzukommen. Ich hatte keine Einwände, auch nicht, als er mir hinterher erklärte, dass er mir das eigentlich in völlig anderer Form hätte antragen wollen. Seit den Rosen hatte ich ohnehin von etwas Derartigem geträumt. Es war nicht DIE große Liebe, ganz gewiss nicht. Aber es war Liebe, von beiden Seiten, wie ich mir eingestand, eine Liebe, die irgendwie fast unbemerkt zwischen uns beiden gewachsen war in den letzten Wochen. Genug, dass wir uns vorstellen konnten, den Rest unseres Lebens zu Zweit zu verbringen.

Außerdem verbindet es ungeheuer, wenn man gemeinsam um sein Leben kämpfen musste. Nicht zu vergessen, dass wir beide jetzt ein Geheimnis hüteten, dessen Offenlegung uns postwendend in eine psychiatrische Klinik befördert hätte.

Einen Anwalt als Verlobten zu haben, hatte seine Vorteile. Michael glaubten die Beamten, als er der Polizei erklärte, wir seien meine Oma suchen gegangen, als sie nicht wie geplant zum Essen bei uns erschien, und hätten sie tot im Düppeler Forst gefunden.

Niemand konnte sich ihre Verletzungen erklären. Es sah aus, als hätte ein Tier sie zerfetzt, aber es gab einfach keine Tiere mit so großen Klauen. »Vielleicht ein verrückter Cosplayer, der seine Wolverine-Krallen mal in echt ausprobieren wollte«, mutmaßte einer der Polizisten.

Natürlich fanden sie keinen Täter.


Herr Stolzenau, mein netter Nachbar, drückte mir während der Beerdigung seine Anerkennung aus, wie tapfer ich mich hielt. Und er sah es als ausgesprochene Ehre an, dass Michael ihn drei Monate später bat, sein Trauzeuge zu werden. Ich hatte Michaels offiziellen Heiratsantrag nur zu gerne angenommen. Er war schon jetzt ein guter Vater für Viola und ich würde ihr sehr gerne ein oder zwei Geschwisterchen schenken. Jetzt, wo keine Gefahr mehr bestand, dass ein Alien aus einer höllischen Dimension sie für sich forderte.

Die Zukunft sah leuchtend aus.

Ich war glücklich, einfach nur glücklich!

1. Kapitel



Scheiße! Positiv!

Ich starrte auf den blauen Streifen des Schwangerschaftstests. Ein Kind war das Letzte, was ich jetzt brauchen konnte. Kinder kosteten Geld. Geld, das ich nicht hatte, so wenig wie einen Vater. Ich wusste ja nicht einmal, wer mich überhaupt geschwängert hatte. Die vergangenen Wochen waren ein einziger verschwommener Wirrwarr. Von einem Schuss zum nächsten hatte ich mich gehangelt, dazwischen immer diese Perioden mit Zittern, Schweißausbrüchen und Krämpfen. Ich sah einfach nicht mehr gut genug aus, um die besseren Freier anzulocken.

Die anderen …

Die zahlten zu wenig. Oder gar nicht. Einmal war ich an einen fiesen Kerl mit Glatze, Bierbauch und Mundgeruch geraten, der mich nach dem Fick zusammengeschlagen hatte … »Dämliche Nutte! Für so eine miese Vorstellung zahle ich nichts!«, hatte er gebrüllt.

Mein Magen tat noch immer weh, wenn ich an den dachte.

Was jetzt?

Es gab nur eine vernünftige Lösung. Abtreibung. Das bedeutete allerdings auch eine Beratung, die ich über mich ergehen lassen musste. Mit viel »Ah« und »Oh« und »Wir helfen Ihnen doch, überlegen Sie es sich noch einmal!« Als ob diese selbstgerechten Ärsche auch nur ahnten, wie es für eine wie mich war, ein ungewolltes Kind zu haben. Mal ganz zu schweigen davon, dass ich verdammt genau wusste, wie dieses Kind zur Welt kommen würde. Hatte ich schließlich bei Sabrina gesehen. Cold Turkey vom Feinsten. Der Kleine hatte zitternd und blau angelaufen in dem Brutkasten gelegen. Hat es dann auch nicht geschafft, das Würmchen. Zu früh geboren und süchtig, und irgendetwas war zudem in seinem Kopf nicht in Ordnung gewesen. Sabrina hatte Rotz und Wasser geheult. Und die Krankenschwester hatte mit ihrer Kollegin getuschelt, dass es vielleicht besser so war, bei der Mutter. Ganz leise. Aber ich hatte es gehört.

Wenn ich nicht so schockiert gewesen wäre, ich hätte die Schwester angeschrien, trotz meiner heulenden Freundin und des toten Babys.

Und jetzt war ich selbst schwanger.

Nein.

Ich wollte das nicht. Absolut nicht.

Verdammte Scheiße.


Marie-Lou war die Erste, der ich es sagte. Abends, als wir an der Straßenecke gemeinsam eine rauchten und auf die Autos starrten, die an uns vorbeikrochen. Bauch rein, Arsch und Titten raus, ein Bein vorgestreckt, soweit es auf den wackeligen Stelzen ging, die sich Schuhe schimpften. Man muss schließlich zeigen, was man hat, die Freier suchen sich ihre Ware zuerst mit den Augen aus.