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Die Entscheidung


„Wir stießen mitten in der Wüste auf die Squaw, Ranger“, sagte Lieutenant Parke Stobo von der G-Kompanie des 9. US-Kavallerieregiments. „Ihr Pferd hatte sich ein Bein gebrochen, deshalb hatte sie es zurücklassen und sich zu Fuß weiterschleppen müssen. Sie war schon einen Tag in glühender Hitze unterwegs, als wir sie fanden, und halb verdurstet. Sie erzählte wirres Zeug von einer Rebellion der Navajo, und so gaben wir ihr ein Pferd und begleiteten sie.“

Er machte eine unbehagliche Pause, dann fuhr er fort: „Ich weiß, dass die Armee nichts in der Reservation zu suchen hat. Aber wir waren hinter einer Bande von Navajo her, die östlich von hier eine Poststation angegriffen und niedergebrannt, zwei Männer erschossen und ein Dutzend Pferde gestohlen hatte. In der Hitze der Verfolgung gerieten wir in die Navajo-Reservation und ...“

„Schon gut, Lieutenant!“, unterbrach ihn Matt Crawford. Er deutete auf Gallagher, hinter dem ein Soldat mit geschultertem Sharps-Karabiner stand. „Lassen Sie diesen Mann gut bewachen. Er ist mein Gefangener.“

Damit verließ er den Lieutenant und ging dorthin, wo Manuelito und die Squaw sich an Hosteen zu schaffen machten. Der Navajo lebte noch; doch Matt Crawford erkannte auf den ersten Blick, dass ihm nicht mehr zu helfen war. Chingo Hobbs letzter Schuss hatte ihn mitten in die Brust getroffen. Hosteens Augen waren offen. Er sah zu dem Ranger auf, der vor ihm stand.

„Ihr Weißen werdet froh sein, wenn ich tot bin“, sagte er. „Aber ich bin nicht der Letzte meiner Sippe.“

„Wenn du stirbst, dann nimm den Hass mit dir!“, erwiderte Matt Crawford. „Bürde diese Last nicht deinem Bruder auf! Er würde daran zerbrechen, denn er ist nicht wie du. Aber er ist noch jung genug, um vergessen und ein Leben in Frieden führen zu können. Hass ist nicht nur eine gefährliche Waffe für den, der von ihr getroffen wird, sondern auch für jenen, der sie führt.“

Hosteen Klah wollte sich aufrichten und grub dabei vor Schmerz die Zähne in seine Lippe. „Sag mir, du Weißer“, stieß er hervor, „haben wir umsonst gekämpft? Werden die Navajo mehr Freiheit und einen anderen, besseren Agenten bekommen, oder wird man sie auch weiterhin demütigen, betrügen und bestehlen? Sag mir die Wahrheit! Was wird mit meinem Volk geschehen?“

„Die Regierung wird einen neuen Indianer­agenten für die Navajo bestimmen, und Gallagher wird vor Gericht gestellt und verurteilt werden“, antwortete Matt ­Crawford. „Ich gebe dir mein Wort darauf.“

„Und du?“ Hosteen sah zu der Squaw auf, der unaufhörlich Tränen über das Gesicht rannen und die doch nicht einmal zu bemerken schien, dass sie weinte. Eine Bitte, eine flehentliche Bitte stand in seinen Augen. „Sag du mir, ob ich recht getan habe!“

Sie beugte sich über ihn. Von Tränen fast geblendet, erwiderte sie seinen Blick. Dann sagte sie mit erstickter Stimme nur ein einziges Wort: „Nayeinezgani!“

Nayeinezgani, Töter feindlicher Götter, hatte sie ihn genannt. Alles, was sie für ihn empfand – ihre ganze Liebe und ihren wilden Schmerz –, hatte sie in dieses Wort gelegt. Es war ein Versprechen, mehr noch, es war ein Schwur. Es hieß: Immer, immer wirst du in meinen Gedanken und in meinem Herzen sein!

Er lächelte, und mit diesem Lächeln auf den Lippen starb er.

Da schrie sie – nur ein einziges Mal – seinen Namen: „Hosteen!“ Ein Echo antwortete aus dem Canyon, dann herrschte Stille.

Langsam erhob sich Manuelito von den Knien. Matt Crawford sah, dass die Hände des Jungen noch immer gefesselt waren. Er zog sein Klappmesser aus der Tasche, öffnete es und durchschnitt die Lederriemen. Manuelito ging zu einem großen, flachen Stein und setzte sich darauf.

Matt Crawford sah ihm nach, dann ging er zu den Pferden, nahm Hosteens Rotschimmel beim Zügel und führte das Tier den schmalen Pfad hinauf. Dicht unterhalb von Yota Kien ließ er es stehen und zog die Winchester aus dem Sattelschuh. Manuelito blickte nicht auf, als der Ranger neben ihn trat. Matt Crawford lehnte das Gewehr gegen die Steinplatte, auf der der Junge saß, dann ließ er sich selbst auf einem anderen Felsblock nieder, nahm seinen Hut ab und drehte ihn zwischen den Händen. Er suchte nach den richtigen Worten.

„Von allen, die einen Teil der Schuld an diesem Kampf trugen, lebt nur noch einer“, sagte er schließlich, „und auch der wird gerichtet werden. Ich kann mir vorstellen, wie es in dir aussieht, mein Junge. Wäre ich an deiner Stelle, würde ich nicht anders empfinden.

Doch das ist nicht alles, was ich dir sagen wollte. Erinnerst du dich daran, wie wir darüber gesprochen haben, dass für jeden von uns einmal der Augenblick kommt, in dem er sich entscheiden muss, was er mit seinem Leben anfangen will? Jetzt ist die Reihe an dir. Du kannst ­Hosteens Winchester nehmen, so leben, wie dein Bruder gelebt hat, und so sterben, wie er starb. Aber du kannst auch hingehen, dir eine Hütte bauen, Schafe und Pferde züchten und jedes Jahr den Mais wachsen sehen. Diese Entscheidung kann dir niemand abnehmen.“

Manuelito saß schweigend da und starrte auf die fernen, blauen Berge. Er verriet durch keine Bewegung, ob er Matt Crawfords Worte verstanden hatte. Der Ranger wartete lange auf eine Antwort, bevor er schließlich aufstand und zu den Soldaten zurückkehrte, die ihre Feld­flaschen gefüllt hatten und nun ihre Pferde an dem Wasser­loch tränkten.

Lieutenant Parke Stobo, der abseits von seinen Leuten stand und eine Zigarette rauchte, sah Matt ­Crawford entgegen. Stobo war ein großer, kräftiger Mann mit rotem Haar unter seinem verbeulten Kavalleriehut, ein verwegener Haudegen. Sein linkes Auge musste er in irgend­einem Gefecht eingebüßt haben, denn er trug eine schwarze Klappe darüber.

„Ich glaube nicht, dass es viel Sinn hat, mit dem Jungen zu reden“, sagte er, als der Ranger an ihm vorbei­gehen wollte. „Ich kenne die Navajo. Sie sind ein stolzes, kriegerisches Volk, das jedem Versuch, friedliche Bauern und Viehzüchter aus ihnen zu machen, hartnäckigen Widerstand entgegensetzt. Ihr Hass auf uns wird weiter schwelen, und schon bei der nächsten Gelegenheit werden sie wieder zu den Waffen greifen.“

„Noch vor einigen Tagen waren mir die Navajo fremd“, erwiderte Matt Crawford. „Aber ich glaube, inzwischen weiß ich mehr von ihnen als Sie, Lieutenant. Und was den Jungen angeht, so bin ich ihm mehr schuldig als ein paar Worte, denn ohne ihn wäre ich nicht mehr am Leben.“

„Versuchen Sie nicht, einem Indianer Ihre Dankbarkeit zu zeigen. Er würde Sie gar nicht verstehen.“

„Ich weiß nicht, Lieutenant. Vielleicht kann ich wirklich nichts für den Jungen tun, aber versuchen will ich es wenigstens. Einmal muss der Hass enden, oder er wird das Leben dieses Jungen genauso zerstören wie das seines Bruders.“

Stobo zuckte mit den Schultern, warf seinen Zigaretten­stummel auf die Erde und zertrat ihn mit dem Absatz.

Matt Crawford wollte sich abwenden, hielt dann aber inne. „Lieutenant“, sagte er. „Hosteen Klah war nach unserem Recht ein Gesetzloser, aber er war auch ein tapferer Mann. Sein Mut hätte jedem Soldaten Ihres Regiments zur Ehre gereicht. Ich weiß, es ist nicht üblich, aber vielleicht könnte Ihre Abteilung über seinem Grab eine Salve schießen. Die Navajo messen solchen Dingen große Bedeutung bei.“

„Ich glaube nicht, dass wir jemals erfahren werden, wo sein Grab ist“, entgegnete der Offizier. Matt Crawford blickte in die Richtung, in die Stobos ausgestreckte Hand wies.

Hoch über ihnen, schon ein gutes Stück von Yota Kien entfernt, bewegten sich zwei Menschen und ein Pferd über die im gelben Schein der Morgensonne liegende Bergflanke. Hosteen Klah saß aufrecht im Sattel, von zwei hölzernen Stützen gehalten. Seine Füße steckten in den Steigbügeln, und seine Hände waren an dem hohen Sattelhorn festgebunden.

Manuelito führte das Tier am Zügel. Hinter dem Rotschimmel ging die Squaw, die ihre Decke über den Kopf gezogen und ihr Gesicht verhüllt hatte.

„Dort trägt einer den Funken des Hasses weiter“, sagte Stobo, nahm seinen alten Feldhut ab und schlug damit den Staub von seinen Hosen und den Kavalleriestiefeln. „Aber eines Tages wird aus dem Funken ein Feuer werden, und es wird neue Kämpfe und neues Blutvergießen geben.“

Der Ranger sah dorthin, wo Manuelito gesessen hatte, als er zuletzt mit ihm sprach. Sonnenlicht blinkte auf dem Stahl der Winchester, die unberührt am Rand der Felsplatte lehnte.

„Nein, Lieutenant“, erwiderte Matt Crawford, „ich habe mich nicht getäuscht. Einmal endet aller Hass.“


Western Legenden



In dieser Reihe bisher erschienen

9001 Werner J. Egli Delgado, der Apache

9002 Alfred Wallon Keine Chance für Chato

9003 Mark L. Wood Die Gefangene der Apachen

9004 Werner J. Egli Wie Wölfe aus den Bergen

9005 Dietmar Kuegler Tombstone

9006 Werner J. Egli Der Pfad zum Sonnenaufgang

9007 Werner J. Egli Die Fährte zwischen Leben und Tod

9008 Werner J. Egli La Vengadora, die Rächerin

9009 Dietmar Kuegler Die Vigilanten von Montana

9010 Thomas Ostwald Blutiges Kansas

9011 R. S. Stone Der Marshal von Cow Springs

9012 Dietmar Kuegler Kriegstrommeln am Mohawk

9013 Andreas Zwengel Die spanische Expedition

9014 Andreas Zwengel Pakt der Rivalen

9015 Andreas Zwengel Schlechte Verlierer

9016 R. S. Stone Aufbruch der Verlorenen

9017 Dietmar Kuegler Der letzte Rebell

9018 R. S. Stone Walkers Rückkehr

9019 Leslie West Das Königreich im Michigansee

9020 R. S. Stone Die Hand am Colt

9021 Dietmar Kuegler San Pedro River

9022 Alex Mann Nur der Fluss war zwischen ihnen

9023 Dietmar Kuegler Alamo - Der Kampf um Texas

9024 Alfred Wallon Das Goliad-Massaker

9025 R. S. Stone Blutiger Winter

9026 R. S. Stone Der Damm von Baxter Ridge

9027 Alex Mann Dreitausend Rinder

9028 R. S. Stone Schwarzes Gold

9029 R. S. Stone Schmutziger Job

9030 Peter Dubina Bronco Canyon

9031 Alfred Wallon Butch Cassidy wird gejagt

9032 Alex Mann Die verlorene Patrouille

9033 Anton Serkalow Blaine Williams - Das Gesetz der Rache

9034 Alfred Wallon Kampf am Schienenstrang

9035 Alex Mann Mexico Marshal

9036 Alex Mann Der Rodeochampion

9037 R. S. Stone Vierzig Tage

9038 Alex Mann Die gejagten Zwei

9039 Peter Dubina Teufel der weißen Berge

9040 Peter Dubina Brennende Lager

9041 Peter Dubina Kampf bis zur letzten Patrone

9042 Dietmar Kuegler Der Scout und der General

9043 Alfred Wallon Der El-Paso-Salzkrieg

9044 Dietmar Kuegler Ein freier Mann

9045 Alex Mann Ein aufrechter Mann

9046 Peter Dubina Gefährliche Fracht

9047 Alex Mann Kalte Fährten

9048 Leslie West Ein Eden für Männer

9049 Alfred Wallon Tod in Montana

9050 Alfred Wallon Das Ende der Fährte

9051 Dietmar Kuegler Der sprechende Draht

9052 U. H. Wilken Blutige Rache

9053 Alex Mann Die fünfte Kugel

9054 Peter Dubina Racheschwur


Peter Dubina


Racheschwur






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© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Logo: Mario Heyer
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-675-0



Iron Jackets Racheschwur


Die Comancheros


„Du brauchst dich nicht zu fürchten, Panchito“, sagte der alte Elias zu dem Jungen, der neben ihm auf dem schmalen Bock des Planwagens saß. Er nahm die langen Zügelleinen, mit denen er die sechs Maultiere seines Gespanns leitete, in die linke Hand und kurbelte die Bremsklötze an den Wagenrädern fest. Der Rauchgeruch, den der Wind über die sonnenverbrannte Ebene trug, hatte die Tiere unruhig gemacht.

Elias ließ seine knochige Rechte einen Augenblick lang auf der Schulter des Jungen ruhen. Nun griff er hinter sich unter die festgezurrte Plane, holte sein Gewehr hervor und lehnte es so neben sich an den Bock, dass es rasch zur Hand war, falls es nötig werden sollte.

Der alte Mann und der Junge trugen schmutziges, ehemals weißes Baumwollzeug. Die Hosen waren mit Seil­enden um die Hüften festgebunden, und an den Füßen hatten sie hanfbesohlte Leinenschuhe.

Pancho richtete sich auf und blickte zu den brennenden Wagen hinüber, wo dünner, schmutzig gelber Rauch im Wind trieb. Die letzten Schüsse waren verhallt. Pancho glaubte, in der fast unnatürlichen Stille das Prasseln der Flammen hören zu können, obwohl sie mindestens noch eine halbe Meile von den qualmenden Wagenwracks entfernt waren.

„Ruhig, ruhig!“, sagte der alte Mann zu seinen Maultieren, die an den eisernen Trensen kauten, und zog die Zügel straffer an.

Mehrere Reiter, die den hinter Elias fahrenden Wagen begleitet hatten, kamen nach vorn galoppiert und zügelten ihre Pferde. Sie waren alle auf die gleiche Art wie Elias und der Junge gekleidet. Wagenradgroße Hüte beschatteten ihre scharfgeschnittenen, dunklen Gesichter. Lange Schnurrbartenden hingen ihnen über die Mundwinkel herab. Jeder der Reiter trug zwei Patronengurte kreuzweise über Brust und Rücken und einen Revolver, der hoch an der rechten Hüfte festgeschnallt war. Gewehrkolben ragten aus den Sattelschuhen, und am Steigbügel­futter hing bei jedem Reiter eine schwere Machete in einer Lederscheide.

Das waren Desidero Apodaca und seine Männer, die Letzten der gefürchteten und verhassten Comancheros. Selbst jetzt, im Sommer des Jahres 1874, hatten sie noch eine Lücke in den Postenketten gefunden. Es war ihnen gelungen, die das amerikanische Ufer des Rio Grande bewachenden Texas Ranger und Kavallerieeinheiten zu überlisten und den Grenzfluss zu durchqueren.

Die Comancheros waren Händler. Wenn sie einen sicheren Weg von Mexiko nach Texas entdeckt hatten, zogen sie mit schwer beladenen Wagen oder langen Maultierkarawanen nach Norden. Denn dort, in den Wüsten des texanischen Pfannenstielgebiets, kämpften die letzten Banden der aufständischen Comanchen einen verzweifelten Kampf gegen alle Weißen: Siedler, ­Büffeljäger, Soldaten und Texas Ranger. Und die Comancheros versorgten sie mit Waffen, Munition, Alkohol und allem, was die Indianer mit geraubtem Vieh, Pferden und Maultieren bezahlen konnten.

Pancho ließ sich wieder auf das harte Sitzbrett des Wagenbocks sinken. Er spürte Elias’ Hand auf seiner Schulter und blickte zu dem sonnenverbrannten, von weißem Haar umrahmten Gesicht des alten Mannes auf, das von einem Gitterwerk winziger, heller Falten zerfurcht war.

Desidero Apodacas Mundwinkel verzogen sich.

„Mierda!“, sagte er auf Spanisch. „Immer müssen sie die Wagen niederbrennen. Hoffentlich haben sie nicht alles in den Flammen umkommen lassen, sondern genügend übrigbehalten, sodass sich der Handel mit ihnen lohnt.“

„Die Antwort darauf werden sie dir selbst geben“, erwiderte ein anderer Comanchero, der neben Apodaca auf seinem Pferd hielt.

Reiter tauchten aus den Rauchschwaden der brennenden Wagen auf und kamen im Schritt und in fächer­förmiger Linie heran. Elias riss einen dünnen Span vom Sitzbrett, schob ihn zwischen seine Lippen und kaute darauf herum.

„Das ist Iron Jacket mit seiner Bande“, murmelte er halblaut und kniff die Augen zusammen, um in dem grellen, blendenden Sonnenlicht besser sehen zu können.

Die Indianer hielten kaum zehn Schritte vom Maultiergespann des ersten Wagens entfernt ihre Pferde an. Einer von ihnen hob mit der rechten Hand eine Winchester in Schulterhöhe und stieß einen rauen, kehligen Laut aus. Auf dem Kopf trug er eine Büffelfellhaube, aus der zwei krumme Hörner ragten. Das daran herabhängende Fell war weit geschnitten und fiel wie ein Mantel um seine Schultern. Seine Hosen waren aus rotem Stoff, die Unterschenkel bedeckte wieder Bisonfell. Adlerdaunen wehten von seinen Schultern und dem unteren Rand des zottigen Umhangs. Darunter trug er einen alten, spanischen Brustpanzer, in dem sich die Sonne spiegelte.

Doch es war das Gesicht des Comanchen, von dem Pancho den Blick nicht wenden konnte. Die Augenlider waren weiß bemalt, und ein ockerfarbener Streifen zog sich über den Nasenrücken empor und umschloss die Augen.

„Buenas tardes, ilustre jefe!“, sagte Desidero ­Apodaca, denn Spanisch war die einzige Sprache, die die Comanchen­banden am Rio Grande außer ihren eigenen Stammes­dialekten beherrschten. „Wir haben Gewehre und Patronen in den Wagen, um mit dir Handel zu treiben.“

„Du mein alter Freund“, erwiderte der Indianer, der des Spanischen nur gebrochen mächtig schien. „Wir reden viel, wir trinken viel, wir handeln viel. Mein Lager dort. Komm!“

Er deutete mit dem Lauf seiner Winchester nach Norden, wo eine nackte, weiße Hügelkette durch den zitternden Sonnenglast schimmerte.

„Du viel Whiskey?“, fragte er dann, und seine Stimme klang lauernd.

„Einen ganzen Wagen voll, wenn du das bezahlen kannst.“ Apodaca nickte.

„Ich viel Gold, viel Vieh, viele Pferde“, gab der Comanche zurück. „Wir handeln. Komm!“

Apodaca richtete sich in den Steigbügeln auf, um den Wagen das Zeichen zum Anrollen zu geben. Dreimal stieß er die rechte Faust in die Höhe.

„Adelante, Muchachos!“, erschallte seine Stimme. „Wir fahren weiter.“

„Halte dich nur gut fest, damit du nicht vom Bock fällst und unter die Räder gerätst!“, rief Elias dem Jungen zu. Er löste die eiserne Bremskurbel und griff nach der Peitsche, die so lang war, dass er die Ohrenspitzen der vordersten Maultiere in seinem Gespann damit erreichen konnte. Er ließ sie über dem Sechsergespann knallen, als wollte er die Fliegen von den Rücken der Mulis verscheuchen.

Pancho klammerte sich an die Leinenplane, als sich die Tiere schnaubend ins Geschirr legten, und der schwere Wagen ruckte und schwankte. Die großen Räder mahlten einen Augenblick lang leer im Sand, dann rollte der Wagen langsam nach Norden. Eine Staubfahne erhob sich und hüllte den zweiten Wagen ein. Apodacas Männer und die Comanchen begleiteten die rumpelnden, ächzenden Fahrzeuge zu beiden Seiten.

„Das waren weiße Büffeljäger“, murmelte Elias, als sie an den noch brennenden Wagen vorbeifuhren. Mit dem Kinn deutete er auf die rauchenden, stinkenden Büffelhäute, die überall umherlagen. Tote Maultiere hingen noch in den Geschirren, und als der Qualm einen Moment lang dünner wurde, glaubte Pancho, am Hinterrad eines der Wagen eine zusammengesunkene Gestalt gesehen zu haben, deren ausgestreckte Arme an den hölzernen Radspeichen festgebunden waren. In der nächsten Sekunde drückte der Wind die schweren Rauchschwaden wieder zu Boden, und sie hüllten die Wagenwracks ein.

Elias spuckte den Holzspan aus, warf dem Jungen einen Blick zu und schüttelte den Kopf. „Wir werden die Achsen unseres Wagens mit Fett schmieren müssen“, sagte er. „Hörst du, wie die Räder bei jeder Drehung kreischen?“

„Hast du den Mann an dem brennenden Rad gesehen, Elias?“, fragte Pancho, und ein Schauer rann ihm über den Rücken.

Der alte Mann murmelte etwas vor sich hin. Wieder kniff er die Augen zusammen und blickte in den harten, heißen Himmel hinauf, wo eine ganze Wolke von Bussarden schwebte.

„Ja, ich habe ihn gesehen, Panchito“, antwortete er nach einer Weile. „Und die dort oben haben ihn auch gesehen.“ Er nickte schwer zu seinen eigenen Worten. „Die Comanchen hassen von allen Weißen die Büffeljäger am meisten und töten sie auf grausame Weise. Denn die Büffeljäger schießen riesige Herden wahllos zusammen. Ihnen kommt es nur auf die Häute an; alles andere überlassen sie den Bussarden und Wölfen. Aber mit jedem Büffel, der getötet wird, nimmt der Hunger unter den Comanchen zu. Nun weißt du, warum die Männer bei diesen mit Häuten beladenen Wagen getötet wurden. Aber es ist schon wahr, dass nur wenige Comanchenbanden so grausam sind wie die Iron Jackets. Iron Jacket ist der größte Weißenhasser unter seinem Volk. Seinen Namen hat er von dem eisernen Brustpanzer, den du gesehen hast. Die Indianer glauben, dass dieser alte spanische Harnisch seinen Träger kugelfest macht. Ich weiß nicht, ob das wahr ist oder ob die Soldaten, gegen die Iron Jacket kämpfte, nur schlechte Schützen waren. Aber etwas anderes weiß ich: Ein alter Mann wie ich ist nicht mehr viel wert. Du aber bist noch sehr jung, Panchito, und du hast ein besseres Leben als unser jetziges verdient. Ich weiß, dass die amerikanischen Soldaten und die Texas Ranger die Comancheros eines Tages vernichten werden. Sie kämpfen seit Langem gegen uns, denn wir sind ebenso gut ihre Feinde wie die Indianer. Ohne die Comancheros könnten die Indianerbanden in Texas nicht mehr kämpfen, denn nur wir treiben Handel mit ihnen, und nur von uns bekommen sie Gewehre, Patronen und Whiskey. Wenn aber die Texas Ranger kommen, dann musst du weit, weit fort und in Sicherheit sein, denn es wäre möglich, dass keiner von Desidero Apodacas Männern diesen Kampf überlebt. Und wenn es Überlebende gibt, wird man sie vielleicht aufhängen. Du aber, Panchito, sollst ehrliche Arbeit tun und stolz auf deinen guten Namen sein können. Ein Mann muss seinen Namen mit Stolz tragen. Wenn er das nicht kann, hat er kein Anrecht, von anderen geachtet zu werden.“

„Treibt die Maultiere an!“, rief Apodaca. „Schneller! Schneller!“ Er ritt dicht an Elias’ Wagen heran. „He, Alter! Bring deine Mulis zum Laufen, oder ich nehme dir die Peitsche weg und lasse sie auf deinem eigenen Rücken tanzen.“

Pancho sah zu dem alten Mann auf, doch dieser schien Desidero Apodacas Wort überhaupt nicht gehört zu haben. Er saß vornübergeneigt, die langen Zügelleinen lose in den Händen, die Ellenbogen auf den Knien, die Sohlen seiner verschlissenen Leinenschuhe gegen das Fußbrett des Wagenbocks gestemmt, und sah der fernen Hügelkette entgegen.



Der Texas Ranger


Das Dorf der Comanchen lag jenseits des flachen Wasser­laufes, den Elias den Rio Concho nannte, in der sonnenverbrannten Wüste, zwischen Dorngestrüpp und verdorrten Cottonwoodbäumen, die kaum Schatten gaben.

Jetzt, mitten im Sommer, führte der Fluss nur wenig Wasser. Es reichte kaum an die Naben der großen Wagenräder. Weiße Steine blinkten auf dem Grund. Elias peitschte auf die Maultiere ein, die aus Leibeskräften zogen. Die eisernen Radreifen knirschten auf den Steinen. In eine Wolke von glitzerndem Wasserstaub gehüllt, jagten die schweren Planwagen hintereinander zum anderen Ufer hinüber. ­Pancho klammerte sich fest, als der Wagen schwankend die jenseitige Böschung hinaufrollte.

Die Büffelhautzelte der Comanchen, mit ihren geöffneten, rußgeschwärzten Rauchklappen, lagen hell im ­Sonnenschein. Überall weideten riesige Pferdeherden, und Krieger, Squaws, Kinder und ganze Scharen magerer, halb verhungerter Indianerhunde kamen den Wagen der Comancheros entgegen. Der Geruch von Schmutz und dem beißenden Holzrauch vieler Feuer erfüllte die Luft.

Plötzlich sah Pancho unter den dunklen Gesichtern der Comanchen das einer jungen, weißen Frau. Sie stand vor einem der Zelte, eine große Tonschüssel im Arm. Sie war wie eine Comanchen-Squaw gekleidet, doch das lange Haar, das ihr bis auf die Schultern niederfiel, hatte die Farbe reifer Weizenähren.

Panchos Aufmerksamkeit wurde abgelenkt. Während er auf dem holpernden Wagen durch das Comanchenlager rollte, sah er zwischen zwei Büffelhauttipis ein aus geschältem Stangenholz bestehendes, mannshohes Gerüst, an dem ein Mann mit ausgebreiteten Armen festgebunden war. Man hatte ihm das Hemd vom Leib gerissen. Sein Kopf hing vornüber. Es war ein Weißer mit aschblondem Haar. Neben ihm stand ein Comanche, eine Winchester in der linken Armbeuge.

Als die Wagen vorbeifuhren, hob der Gefangene mühsam den Kopf und blickte zu Pancho hinauf, der hoch oben auf dem Bock saß. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke, dann sank das Kinn des Mannes wieder auf die Brust.

„Wer ist das?“, fragte Desidero Apodaca, der neben Iron Jacket ritt. Der Indianer deutete auf den Gefangenen.

„Er Texas Ranger“, erwiderte er mit seiner kehligen Stimme in gebrochenem Spanisch, und in seinen dunklen Augen loderte der Hass wie eine Flamme auf. In wildem Lächeln zeigte er seine Zähne wie ein Wolf. „Wir fangen Texas Ranger. Er morgen im Feuer sterben. Heute wir reden, handeln und trinken viel.“

Pancho neigte sich weit über den Rand des Wagenbocks. Wie gebannt hing sein Blick an dem Mann, der an das Gerüst gefesselt war. Elias ergriff ihn schließlich am Arm und zog ihn zurück.

„Pass auf, dass du nicht hinunterfällst!“, sagte er.

„Was werden sie mit dem Gefangenen machen, Elias?“, fragte Pancho, während sie, von kläffenden Hunden umtanzt, weiterrollten.

„Das, was sie mit allen Weißen tun“, murmelte der alte Mann. Dann schwiegen sie beide, bis die Wagen die jenseitige Grenze des Comanchenlagers erreicht hatten. Apodaca gab das Zeichen zum Halt. Elias kurbelte die Bremsklötze an den Rädern fest, schlang die Zügelleinen um den eisernen Kurbelgriff und stieg, müde und steifbeinig von der mühseligen Fahrt, vom Bock, wobei er die Speichen des einen Vorderrades als Trittleiter benutzte. Pancho kletterte auf der anderen Seite hinunter, und sofort waren die Wagen von Indianern umgeben.

Die breitflächigen Gesichter der Comanchen waren stolz und ausdruckslos, aber sie hatten grausame Augen. Ihre Haarzöpfe waren in Otterfell gehüllt, und ihre Adlerfedern wehten im Wind. Pancho drückte sich in Elias’ Nähe, als der alte Mann um den Wagen ging und sich ­vergewisserte, dass die Plane überall gut festgezurrt war. Er zog an den Seilsträngen, die durch metallgefasste Ösen in der steifen Leinwand liefen, und rüttelte an der hinteren Klappe des Wagenkastens.

„Diese Comanchen stehlen wie hungrige Wölfe“, sagte er dabei.

Desidero Apodaca ritt an ihnen vorbei. „Spannt die Maultiere aus und treibt sie zusammen!“, befahl er. „Vorwärts, beeilt euch! Adelante! Adelante!“

„Komm, Panchito“, murmelte Elias, und sie machten sich daran, den Mulis das Geschirr abzunehmen, während einige der Comancheros aus Seilen und Holzpfählen einen behelfsmäßigen Corral errichteten. Die Pferde und Maultiere wurden hineingetrieben und standen erschöpft, die Flanken dunkel von Schweiß, mit hängenden Köpfen da, zu müde, um mit den Ohren zu zucken und die vielen Fliegen zu verscheuchen.

„He, Alter!“, rief einer der Männer Elias zu. „Hol ein paar Eimer Wasser vom Fluss herauf und gib den Mulis zu trinken!“

Elias nickte und kehrte zu seinem Wagen zurück. Er kletterte auf den Bock, öffnete die Plane und brachte zwei Tragstangen und vier hölzerne Wassereimer zum Vorschein. Er reichte sie Pancho, verschnürte die Plane wieder und stieg herunter.

Die Comanchen beachteten sie nicht, als sie durch das Lager gingen; nur ein paar Hunde begleiteten sie. Sie gingen ein Stück flussaufwärts, wo das Wasser sauber war, denn flussabwärts war in der Nähe eines ­Indianerlagers alles Wasser verschmutzt. Sie knieten nieder, füllten ihre Eimer und machten sich wieder auf den Rückweg. Diesmal kamen sie an dem Gefangenen vorbei, der unter der erbarmungslos herabbrennenden Sonne regungslos an dem Gerüst hing.

„Holla, was ist mir dir, Panchito?“, fragte Elias, als der Junge stehen blieb.

Pancho antwortete nicht. Er betrachtete den Gefangenen. Dunkle Striemen an seinen Armen und auf seiner Brust zeigten, dass er mit einer Pferdepeitsche geschlagen worden war. Sein Atem ging schwer und keuchend. Aber nach einer Weile hob er den Kopf, als habe er Panchos Blick gespürt, und sah den Jungen an.

„Wasser ...“, flüsterte er heiser. Pancho zögerte einen Augenblick, dann trat er nahe an ihn heran und drehte die über seinen Schultern liegende Tragstange so, dass einer der beiden Eimer die trockenen Lippen des Mannes erreichte. Im gleichen Moment traf ihn ein heftiger Fußtritt von hinten in die Kniekehlen und warf ihn um, und alles Wasser spritzte auf die Erde.

Er wollte sich aufrichten, aber ein Fuß in einem Mokassin trat auf seine Schulter und drückte ihn zu Boden. Der Comanche, der bei dem Gefangenen Wache gehalten hatte, stand über ihm.

„Satkan!“, stieß er hervor. Das war eines der wenigen Worte des Comanchendialekts, die Pancho verstand. ­Satkan war ein Schimpfwort und bedeutete Pferdemist.

Elias kam rasch auf Pancho und den Indianer zu, doch der Comanche wich blitzschnell zurück, lud die ­Winchester durch und richtete die Mündung der Waffe im Hüftanschlag auf den alten Mann. Sein Zeigefinger lag hart am Abzug, und der Ausdruck seines Gesichts ließ keinen Zweifel daran, dass er schießen würde, wenn Elias noch einen Schritt näher kam.

Der alte Comanchero blieb stehen. „Nimm deine Eimer und komm!“, sagte er zu Pancho. „Schnell! Diese Indianer sind so unberechenbar wie ein Präriefeuer bei umspringendem Wind.“

Pancho tastete hastig nach seinen Eimern und der schweren Tragstange, ohne den Blick vom Gesicht des Gefangenen zu lösen.

„Ich danke dir, Junge!“, sagte der Mann heiser. „Geh jetzt weg! Der Alte hat recht. Niemand kann sagen, was hinter der Stirn eines Comanchen vorgeht.“

Er sprach Spanisch, und Pancho setzte schon zu einer Erwiderung an. Aber da stieß der Indianer ihm den zweiten Eimer mit dem Fuß hin und sagte etwas, das wie das Knurren eines Hundes klang. Pancho griff nach dem Eimer, stolperte auf Elias zu, und der alte Mann zog ihn rasch mit sich fort. Der Gefangene hatte das Kinn schon wieder auf die Brust sinken lassen, und seine Augen waren geschlossen.

„Komm!“, sagte Elias, und seine Stimme klang ärgerlich und hart. „Wir müssen die Pferde und Maultiere tränken. Die Tiere sind durstig.“

Schweigend gingen sie zum Corral zurück, wo die Mulis sich hinter den Seilen drängten. Desidero Apodaca saß noch immer im Sattel seines großen, schwarzen ­Hengstes, ein Bein um das Sattelhorn gelegt, und rollte sich eine Maisblattzigarette, während er zusah, wie seine Leute die Wagen entluden. Kiste um Kiste wurde unter den Planen hervorgeholt, bis sich ein hoher Stapel im Sand auftürmte.

Einer der Comancheros wuchtete eine schwere Kiste mit Whiskeyflaschen auf seine Schulter. Da streifte ihn Pancho unabsichtlich mit dem einen Ende seiner Tragstange, an der die leeren Eimer baumelten. Der Mann stolperte und ließ die Kiste los. Sie schlug auf der Erde auf, und mehrere Flaschen zersprangen klirrend. Die Indianer, die zugesehen hatten, schrien wütend auf, als sie sahen, wie der Alkohol in den ausgedörrten Sand rann.

„Loco!“, stieß Apodaca hervor. „Dummkopf!“

Sein Gesicht färbte sich dunkel vor Zorn. Er ließ die Zigarette und das Schwefelhölzchen, das schon brannte, fallen und griff nach der schweren, ledernen Pferde­peitsche, die an seinem Sattelknauf hing. Doch bevor er Pancho damit schlagen konnte, hatte sich Elias vor den Jungen gedrängt und fing den Hieb, der Pancho treffen sollte, mit seinem eigenen Rücken auf. Sein Gesicht zuckte vor Schmerz, als die Peitsche sein verschlissenes Hemd zerriss.

„Geh mir aus dem Weg, alter Narr!“, rief der ­Comanchero, die Pferdepeitsche noch einmal mit drohender Gebärde hebend.

„Señor, es war ein Versehen“, gab Elias zurück. „Schlagen Sie den Jungen nicht! Er ist ja noch ein Kind. Ich werde die zerbrochenen Flaschen von meinem Anteil an dem Geschäft bezahlen.“

„Dein Anteil an diesem Handel ist der Lohn eines Maultiertreibers“, höhnte Apodaca. „Wenn du mir den verlorenen Whiskey bezahlen willst, wird dir nicht einmal genug Geld für einen Teller Bohnen übrig bleiben. Sieh dich vor, dass der Junge nicht noch mehr zerbricht, sonst spanne ich ihn zu den Mulis vor deinen Wagen und treibe ihn mit der Peitsche an. Und jetzt tränkt endlich die Pferde! Ich will kein Tier verlieren, weil ihr zu faul seid, ihnen Wasser zu geben.“

„Ja, Señor!“, erwiderte Elias und zog den Jungen rasch mit sich zum Corral hinüber. „Geh ihm von jetzt an aus dem Weg!“, murmelte er zu Pancho gewandt. „Er hasst uns, denn eigentlich gehören wir gar nicht zu seinen Männern. Wir sind weder Comancheros noch Bandoleros oder Banditen, und deswegen misstraut und hasst er uns. Aber nun komm! Wir haben noch viel Arbeit vor uns.“



Fünfzig Gewehre


Die Dämmerung kam, und der Fluss schimmerte im roten Licht des Sonnenuntergangs wie ein geschliffener Bronze­schild. Im Dorf der Comanchen dröhnten die hartgespannten Rohhauttrommeln. Das Rasseln von Medizin­klappern und das Schrillen von Adlerknochenpfeifen mischte sich in das dumpfe Hämmern. Der flackernde Schein vieler Feuer lag auf den hellen Zelt­wänden.

Elias und Pancho hatten die Pferde und Maultiere getränkt und saßen nun abseits vom Lagerfeuer der Comancheros im Schatten eines der Wagen. Jeder hatte vor sich einen Blechteller mit Mais, Rindfleisch und roten Texasbohnen, einen Becher heißen Kaffees und steinharte, alte Maisfladen.

Während er aß, schickte Pancho immer wieder einen Blick zum Feuer hinüber, wo eine Flasche mit Aguar­diente, dem wasserhellen, scharfen Agavenschnaps, kreiste. Wachposten standen, in ihre Ponchos gehüllt und die Gewehre in den Armen, an der äußersten Grenze des Feuerscheins. Apodaca hatte sie aufgestellt, um zu verhindern, dass die Comanchen ungesehen an die Gewehr- und Patronenkisten und den Whiskey herankamen. Denn selbst den wilden Comancheros war es zu gefährlich, mit betrunkenen Indianern Handel zu treiben.

„Elias“, sagte Pancho auf einmal, „glaubst du, es ist richtig, wenn man den Indianern Gewehre und Munition verkauft?“

Der alte Mann, der den Rücken gegen die Speichen eines Wagenrades gelehnt hatte, sah von seinem Teller auf.

„Nein“, erwiderte er, nachdem er einen Mund voll Bohnen und Fleisch mit Kaffee hinuntergespült hatte. „Solange die Indianer auch nur eine Patrone haben, werden sie weiter gegen die amerikanische Armee kämpfen, und so lange werden Menschen sterben müssen. Deshalb suchen die Texas Ranger entlang den Ufern des Rio Grande nach Comancheros; und wenn sie sie finden, kommt es zu harten Kämpfen. Viele Comancheros sind auf diese Weise gefallen, nachdem sie kaum den Fuß auf texanische Erde gesetzt hatten. Doch Apodaca sagt, dieser Krieg sei eine Auseinandersetzung zwischen den Amerikanern und den Comanchen und gehe uns nichts an. Wir treiben nur Handel mit den Indianern.“

Pancho sah in das gütige, runzelige, alte Bauerngesicht von Elias. Es war ihm einfach unmöglich zu glauben, Elias könnte etwas tun, was nicht recht war.

„Glaubst du ihm denn?“, fragte er verwirrt und versuchte, die Unsicherheit in seiner Stimme zu verbergen. Der alte Mann starrte in seinen Kaffeebecher. Ohne aufzublicken, schüttelte er den Kopf.

„Ich glaube ihm nicht, Panchito. Apodaca und seine Männer sind Bandoleros, Banditen, das weißt du doch. Es ist ihnen gleichgültig, dass mit den Gewehren, die sie den Comanchen verkaufen, ein grausamer Kampf geführt wird. Für sie zählt nur eines: Geld! Sie wollen ein gutes Geschäft machen; und niemand bezahlt für ihre Handelsgüter mehr als die Comanchen in den Wüsten und Bergen von Texas. Alles Gold, alles Vieh und viele andere Dinge, die die Indianer bei ihren Überfällen erbeuten, fließen auf diese Weise in die Taschen der Comancheros.“

„Aber wenn du das alles weißt, warum arbeitest du dann für sie?“, fragte Pancho. Auch er sah nicht auf, sondern hielt den Blick auf seine zerrissenen Leinenschuhe gerichtet, zwischen denen sein Blechteller und der Zinnbecher standen. Elias lächelte, obwohl ihm nicht danach zumute war. Die Falten in seinem Gesicht vertieften sich.