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Ernst Ulrich von Weizsäcker

SO REICHT DAS NICHT!

Außenpolitik, neue Ökonomie, neue Aufklärung –
Was die Klimakrise jetzt wirklich braucht

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Klimaneutrale Produktion.
Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem Papier.

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Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

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© 2022 Bonifatius GmbH Druck | Buch | Verlag, Paderborn
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Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt München, werkstattmuenchen.com
Umschlagfoto: © shutterstock/Oleksandrum
Bildredaktion: Hans Kretschmer
Lektorat: Martin Merz
Satz: Melanie Schmidt, Bonifatius GmbH, Paderborn
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany

ISBN 978-3-89710-909-4
eISBN 978-3-89710-974-2

Weitere Informationen zum Verlag:
www.bonifatius-verlag.de

INHALT

Vorwort von Eckart von Hirschhausen

Einführung

Putins Angriffskrieg: verbrecherisch

So reicht das nicht. Die Klimakrise ist echt gefährlich.

Die heutige „Volle Welt“ ist eine Folge der Aufklärung

Globalisierung, Schwächung der Demokratie, Nullzinspolitik

Fridays for Future und Mehrheiten für die Zukunft

1. Klima

Ein Abriss zur Physik der Klimaveränderung

Wettereskapaden, Meeresspiegelanstieg, schwere Schäden

Klimastabilisierung, Sonnenenergie und nachfolgender Strukturwandel

„Negative Emissionen“ und Geoengineering für den Klimaschutz

„Nature-based Solutions“ sind vielfach Schwindel

Auf Kernenergie kann man rational nicht mehr setzen!

2. Biodiversität für einen florierenden Planeten

Rahmengeber: der Erdgipfel in Rio de Janeiro

Biodiversität: Uralt und unglaublich wertvoll

Indigene Völker bekommen das beste Zeugnis in Sachen Biodiversität

3. Der Planet Erde im Anthropozän

Was ist eigentlich das Anthropozän?

Zerstörungen

Die Gaia-Hypothese und die erstaunliche Rolle von Pilzen

Die Wirtschaft macht Treibhausgase. Wir müssen Entkopplung lernen!

Weltbevölkerung, Biodiversität und Klima

4. Die Ökonomie von 1945 bis 2045

Nachkriegszeit: die goldenen Jahre der Ökonomie

Die Soziale Marktwirtschaft als Gegenprojekt zum Weltkommunismus

Entspannung, Ölkrise und das Ende des Ost-West-Konflikts

Neoliberalismus

Die Preise sollten ungefähr die ökologische Wahrheit sagen

Der Club of Rome: Von den „Grenzen des Wachstums“ bis „Earth for All“

5. Klima-Außenpolitik

Klimapolitik als reine Innenpolitik macht wenig Sinn

Klimaneutrale Verbrenner

Wuchtige Klima-Außenpolitik: der Budget-Ansatz

Technologien, Infrastrukturen, Kreislaufwirtschaft

Neue Rolle der Nationalstaaten

6. Neue Aufklärung

Beginn der Neuzeit

Schattenseite der Aufklärung: die Kolonialherrschaft

Weitere Schattenseiten: Materialismus und enger Rationalismus

Die positive Seite einer neuen Aufklärung: Balance

Stabilisierungs-Rückkopplung

7. Ausblick: Wer macht mit?

Wer macht mit? Wir alle!

Bürgerräte können das Volk ein Stück weit repräsentieren

Außenpolitik, Europa, Vereinte Nationen

Macht Leugnen Spaß?

Fridays for Future, Scientists for Future, neue politische Parteien?

Friedenspolitik, die EU und die Kohabitation

Dank

VORWORT

VON ECKART VON HIRSCHHAUSEN

Im Gespräch mit Ernst Ulrich von Weizsäcker und mit Ihnen

„Silberrücken“ gibt es auch bei Menschen. Ein Pionier der Nachhaltigkeit und ein Quell der Inspiration für die Umweltbewegung weltweit ist seit Jahrzehnten Ernst Ulrich von Weizsäcker. Von 2012 bis 2018 war er Co-Präsident des Club of Rome, einem Zusammenschluss von Experten aus mehr als 30 Ländern, die sich für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit einsetzen. Mit dem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ legten sie 1972 das Ursprungsdokument des ökologischen Denkens vor und sorgten für große Aufbruchstimmung.

Trotzdem ist die Welt seither insgesamt ökonomisch immer reicher, aber ökologisch dramatisch ärmer geworden. Wie stehen wir heute da – 50 Jahre später? Spätestens seit der Flutkatastrophe im Ahrtal ist jedem in Deutschland bewusst: Die Klimakrise ist nicht irgendwann und irgendwo, sondern hier und jetzt.

Die Klimakrise ist die größte Gesundheitsbedrohung im 21. Jahrhundert. Auf gut Deutsch: Wir müssen nicht „das Klima“ retten – sondern uns. Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde. Immerhin hat der Gedanke, die Humanmedizin mit der Tiergesundheit und der Umwelt zusammen zu denken, es in den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung geschafft.

„One Health“ oder „Planetary Health“ braucht Menschen, die global über ihr Fachgebiet hinausschauen können; Tellerrand genügt nicht, denn die Erde ist ja keine Scheibe. Ernst ist so jemand dieser raren Spezies. Er hat intellektuell wirklich Unglaubliches geleistet. Er studierte Physik, ein bisschen Chemie, dann Biologie und wurde zum ordentlichen Biologieprofessor berufen. Dann in rascher Folge Präsident der Universität Kassel, Direktor am UNO-Zentrum für Wissenschaft und Technologie in New York, Direktor des Instituts für Europäische Umweltpolitik in Bonn, Paris, London und anschließend Gründungspräsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Von 1998 bis 2005 war er für die SPD im Bundestag, unter anderem als Vorsitzender des Umweltausschusses, und ab 2006 Leiter der Kalifornischen Umwelthochschule. Aber seit 2009 ist er im Breisgau, im „Ruhestand“.

Ich besuchte ihn dort, wo er ab und zu anzutreffen ist: zu Hause.

Ich wollte wissen, wie hält man das aus, wenn man sich so lange mit einem Thema beschäftigt und im Verhältnis zur Erkenntnis so wenig passiert? Wie verbittert muss jemand sein, der als Naturwissenschaftler erlebt, dass in der Politik nicht immer nach dem besten Argument entschieden wird?

Ich war überrascht, einen sehr freundlichen und zugewandten Menschen zu erleben, der sich Zeit nahm, mir viele Zusammenhänge zu erklären.

Im Haus der Weizsäckers leben drei Generationen unter einem Dach, genauer gesagt unter einem Sonnenkollektor: Ernst Ulrich und Christine von Weizsäcker, ihre Tochter mit Mann und deren drei Söhne. Was mich sehr freute: In seinem Arbeitszimmer hängt ein Foto von ihm mit John Cleese – einem der größten Komiker der Welt –, das er in Kalifornien mit ihm gemacht hat. Zwei Idole auf einem Foto. Hilft Sinn für Humor, bei aller Dringlichkeit der Sachlage nicht verrückt zu werden? Mit einer Tasse Tee setzten wir uns in den Garten und ich lernte den Unterschied im Denken kennen, zwischen einer leeren und einer vollen Welt.

Wie lebt es sich in eurem Mehrgenerationenhaus?

Wir üben uns in Freundschaft und Vernunft. Zu drei Vierteln schaffen wir es auch. Wir haben ein Auto für fünf Führerscheine, wir ernähren uns vorwiegend von ökologisch angebauten Lebensmitteln, zu einem Teil aus unserem eigenen Garten – das ist ganz das Verdienst meiner Frau Christine. Wir fahren viel Bahn und Fahrrad. Dennoch gibt es auch Sünden, Flüge nach Kalifornien etwa oder nach China. Und solch ein Haus, in dem wir umweltfreundlich leben können, hat natürlich auch Geld und Natur gekostet. Ohne die Teilnahme am Wirtschaftsleben, ohne das Kapital dafür hätten wir ein solches Haus nicht. Mit einer reinen Anti-Besitz-Haltung geht das nicht. So oder so spielen wir mit im System.

Dein großes Lebensthema ist die Bewahrung unserer Erde für kommende Generationen. Haben wir dafür das richtige ethische Rüstzeug?

Nein, unsere Kinder und Enkel leben in einer ganz anderen Zeit als die Menschen während aller vorherigen Epochen der menschlichen Geschichte. Herman Daly, lange Jahre ein führender Ökonom der Weltbank, sagt: Alle Religionen sind entstanden in einer leeren Welt. Die Menschen lebten verstreut, die Ozeane und die Urwälder blieben stets intakt. Der Anspruch „Macht euch die Erde untertan“ war gar nicht anstößig, denn die Natur war unermesslich groß und die Menschheit sehr klein. Eine solch leere Welt existierte bis etwa 1950. Ab dann gingen die menschengemachten Veränderungen durch Nahrung, Konsum und Mobilität raketenartig nach oben, die Kurve des CO2-Ausstoßes wächst stetig. Damals lebten erst etwas über zwei Milliarden Menschen auf der Erde. Heute sind es fast acht Milliarden. Wir bewohnen nun eine volle Erde. Der Mensch hat sie sich untertan gemacht und ist zum wichtigsten Einflussfaktor für die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse geworden. In einer solchen Welt aber muss man anders leben und denken als in einer leeren Welt.

Du forderst nun eine neue Aufklärung. Warum?

Kann man vielleicht in so einem Buch wie diesem lesen. Beim Klimawandel führen unsere Rechthaberei und Jetzt-Besoffenheit in die Katastrophe.

Jetzt-Besoffenheit. Ein sehr treffender Begriff!

Er drückt aus, was uns heute fehlt: eine Balance zwischen Langfrist und Kurzfrist. Zwischen Staat und Markt. Ein Staat, der alles bestimmt, zerstört die Freiheit. Ein Markt, der dem Staat befiehlt, was er zu tun hat, ist furchtbar – und zerstört die Demokratie und die Bereitschaft, sich gesellschaftlich zu engagieren.

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© Foto: Wilma Leskowitsch

Manche sagen, die Chance, dass wir das Jahr 2100 noch als Menschheit auf einer Erde, die uns tragen und ertragen kann, erleben werden, sei kleiner als 50 Prozent. Bist du optimistischer?

Ja. Ich bin optimistischer, aber das wird kein Selbstläufer. Es kommt jetzt auf die Gewinnung von Mitstreitern an und auf Gedanken, die langfristige Wirkung entfalten.

Was gibt dir Hoffnung?

Hoffnung macht mir eine neue junge Generation, die merkt, dass sie angeschwindelt worden ist. Und eine neue Art von Investoren, die wirklich lernt, in die Zukunft statt in die Vergangenheit zu investieren, und die nicht bloße Digitalisierung mit Zukunft verwechselt.

Du machst auf mich für einen über 80-Jährigen einen sehr engagierten Eindruck, der Jugend sehr zugewandt.

Als ich im Bundestag saß, war ich auch schon immer auf der Seite der Jungen, die Alten waren nicht so überzeugend. Aber ich war einmal zu jung. Vielleicht auch zu streitsüchtig. Später habe ich vor allem gut zuhören gelernt.

Welchen Rat gibst du deinen Enkeln – oder auch mir?

Für uns alle gilt: Wir sind dran!

Das vorliegende Buch „So reicht das nicht!“ ist ein wichtiger Aufruf, mit dem globalen Denken und Handeln Ernst zu machen. Als Physiker ist Ernst Ulrich von Weizsäcker bewusst: Naturgesetze sind nicht verhandelbar! Einem C02-Molekül in der Atmosphäre ist es egal, aus welchem Land es kam. Es tut, was es tut: die Atmosphäre aufheizen. Solange wir mit dem Finger auf andere zeigen, um von der eigenen Untätigkeit abzulenken, haben wir nicht verstanden, dass wir nur diese eine Erde, diese eine Atmosphäre, diese eine Chance haben. Und nur durch das Unterschreiben von Absichtserklärungen ist auch noch kein einziges Molekül reumütig wieder zurückgekehrt.

Was Ernst Ulrich von Weizsäcker deshalb fordert, ist ein wirklich großer Aufschlag: eine echte Klimaaußenpolitik. Demokratisch und wissenschaftlich fundiert, wirksam. Mit dem Blick aufs Ganze. Denn wir haben alles zu verlieren. Und viel zu gewinnen.

Viele fragen sich: „Was kann ich als Einzelner denn schon tun?“ Das Beste, was sie tun können: kein Einzelner zu bleiben! Wir brauchen für die rasche Umsetzung der ehrgeizigen und visionären Ziele Mehrheiten, Netzwerke, Organisationen und alle gesellschaftlichen Gruppen, Generationen und Gremien.

Als Arzt muss ich Sie warnen: Dieses Buch hat Risiken und Nebenwirkungen. Es wird Ihr Bewusstsein verändern. Und es wird Sie anstecken, Teil der Lösung werden zu wollen. Kein Mensch kann sich seine eigene Außentemperatur „kaufen“ – noch nicht mal Privatversicherte. Also: Kühlen Kopf bewahren, lassen Sie sich inspirieren – das Buch wartet auf Sie. Die Welt auch. ;-)

Ihr Eckart von Hirschhausen

EINFÜHRUNG

Putins Angriffskrieg: verbrecherisch

24. Februar 2022 – der schwärzeste Tag seit Jahrzehnten. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte wochenlang gelogen, er wolle keinen Krieg. Doch am 24. Februar schlugen seine Armeen los. Macht ist ihm wichtiger als Frieden. Sein Traum ist die Weltmacht Russland. Die Ukraine war mal Teil von Russland, sagt er dem russischen Volk als Erklärung. Wie würde die Welt über Deutschland denken, wenn wir sagen, Schlesien und das Elsass waren mal ein Teil von Deutschland und entsprechend losschlagen?

Wir brauchen dringend den Frieden. Um den lebenswerten Planeten zu pflegen. Bescheidenheit statt Machtprotzen. Allein schon die drei Themen Klima, Ozeane und Biologische Vielfalt brauchen die friedliche Kooperation der Völker. Diese drei Themen sind zentraler Teil der Nachhaltigkeitsagenda der Vereinten Nationen.

Die Charta der Vereinten Nationen beginnt mit den Worten: „Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, …“.

So reicht das nicht. Die Klimakrise ist echt gefährlich.

Wenige Tage nach dem verbrecherischen Kriegsbeginn hat der Internationale Klimarat (IPCC) den zweiten Teil seines Sechsten Sachstandberichts veröffentlicht.1 Er betont, dass wir mit aller Kraft verhindern müssen, dass die globale Erwärmung sich um mehr als 1,5°C oberhalb des vorindustriellen Klimas fortsetzt. Bei jeder weiteren Verzögerung bei den Maßnahmen für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel werde sich „das Fenster der Gelegenheit schließen, eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu sichern“, sagt Professor Hans-Otto Pörtner, einer der Hauptautoren des zweiten Berichtsteils.

Schon im Jahr 2015 waren die Völker der Welt in Paris zur 21. Klima-Vertragsstaatenkonferenz (COP21) zusammengekommen, um die globale Erwärmung auf maximal 2°C zu begrenzen, wobei das 1,5°C-Ziel auch schon als Wunsch formuliert wurde. Die Teilnehmerstaaten sollten freiwillige Selbstverpflichtungen abgeben und sollten diese alle fünf Jahre aktualisieren. Wenn’s zu wenig war, wollte man nachbessern.

Aber am Ende der ersten fünf Jahre, nämlich Ende 2020, hatten nur 70 von 195 Vertragsstaaten dieses Versprechen halbwegs eingehalten. Das waren im Wesentlichen die Europäer, wie das nachstehende Bild von November 2019 andeutet.

Aber wir Europäer haben’s auch am nötigsten. Denn in Europa fing das Auspusten von industriellen Treibhausgasen ja an. Und die europäischen Kolonialmächte haben den Raubbau an den Ressourcen der Welt jahrhundertelang vorgeführt.

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Abbildung 1: Nur Europa hat einigermaßen genügende Selbstverpflichtungen zum Pariser Klimaabkommen von 2015 abgegeben

Etwas mehr als ein Jahr nach der Pariser Konferenz, im Januar 2017, kam Donald Trump in den USA an die Macht und erklärte den Ausstieg aus dem Pariser Abkommen. Trumps Nachfolger Joseph Biden handelte jedoch rasch. Am Tag seiner Amtsübernahme am 20.1.2021 erklärte er den Wiedereintritt.

Bei der Klimakonferenz (COP26) in Glasgow im November 2021 erreichte Biden eine gemeinsam mit China verabredete Erklärung zur Einleitung des globalen Ausstiegs aus der Kohleverbrennung. Indien, der drittgrößte Klimaverschmutzer, erklärte das weit entfernte Jahr 2070 als Termin für die eigene Klimaneutralität und sabotierte in der letzten Stunde der Glasgower Konferenz alle international verbindlichen Beschlüsse. Informell wurde immerhin das Pariser Wunschziel von maximal 1,5°C als vorrangig erklärt.

Von einem positiven Durchbruch des Klimaschutzes durch COP21 in Paris und COP26 in Glasgow kann nicht die Rede sein. Nach dem 2021 erschienenen Sechsten Bericht des Weltklimarates (IPCC) scheint kaum ein Land die Pariser Selbstverpflichtungen einzuhalten. Und die eher verschwommenen Glasgower Verpflichtungen können die junge Generation noch in keiner Weise beruhigen.

Für den Klimaschutz besonders bizarr ist die Tatsache, dass die meisten Länder das Verbrennen von fossilen Brennstoffen auch noch subventionieren! Im jährlich erscheinenden World Energy Outlook kann man nachlesen, dass es sich dabei in der jährlichen Summe um mehrere hundert Milliarden US-Dollar handelt.

Auf Welt-Ebene muss man die Erfahrungen der letzten zehn Jahre in dem Satz zusammenfassen: „So reicht es einfach nicht!“ Die Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre nehmen gnadenlos weiter zu, und mit ihnen gehen die Temperaturen nach oben. Im ersten Kapitel komme ich auf die Klima-Herausforderung zurück und mache Vorschläge.

Ein großes Problem beim Klimaschutz liegt darin, dass die Herausforderung global ist, aber die etwa 200 souveränen Länder denken national. Die Beschlüsse der Vertragsstaatenkonferenzen müssen jedoch ausdrücklich „im Konsens“ getroffen werden. Da prallen die Interessen ständig aufeinander, zumal nationale Wirtschaftspolitik oft Vorrang vor der Klimapolitik hat.

Die in Deutschland übliche Rede lautet, dass „wir Deutschen das 1,5°C-Ziel einhalten“ müssen und können.2 Das klingt leider so, als ob es Deutschland in der Hand hätte, das vom Weltklimarat als sehr dringlich verkündete Ziel einer lediglich um 1,5°C wärmeren Atmosphäre einzuhalten. Die Zielsetzung ist doch ein Durchschnittswert für die ganze Erde und verlangt drastische Maßnahmen weltweit, keineswegs nur in Deutschland. Wir brauchen also ganz dringend eine Klima-Außenpolitik, ja eine Klima-Weltpolitik! Kapitel 5 widmet sich dieser Herausforderung.

Die heutige „Volle Welt“ ist eine Folge der Aufklärung

Zuvor wenden wir uns aber einer tiefer liegenden Kalamität zu: der „Vollen Welt“ anstelle der früheren „Leeren Welt“ (Abbildung 2) sowie der Denkmentalität eines permanenten Wachstums der Bevölkerung und der Wirtschaft.

Herman Daly, der frühere Weltbank-Chefökonom sowie Träger des Alternativen Nobelpreises, schlug vor, zwischen der „Leeren Welt“ (früher) und der „Vollen Welt“ (heute) zu unterscheiden.3 In der Leeren Welt war die Welt noch nachhaltig, die heutige Volle Welt ist es nicht!

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Abbildung 2: