Hayden & Jake
Juli A Daniels und Valerie Adam
© 2021 Written Dreams Verlag
Herzogweg 21
31275 Lehrte
kontakt@writtendreams-verlag.de
© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg
ISBN eBook: 978-3-96204-498-5
Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses Buch darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlags weitergegeben werden.
Jake
Hi Jake, sorry, aber ich packe unsere Situation nicht mehr. Bitte kümmere dich um Adam und such nicht nach mir.
Sarah
Fassungslos starre ich die zwei Zeilen an und kann nicht glauben, was ich da lese. Die Trennung ist über ein Jahr her und seit kurzem ist die Scheidung durch.
Dass Sarah unter der Situation gelitten hat, habe ich gewusst. Aber dass sie gleich so weit geht und Adam, unseren sechsjährigen Sohn, im Stich lässt, überrascht mich.
Immer wieder hat sie versucht, mich herumzubekommen, damit ich ihr noch eine Chance gebe, doch ich empfinde ihr gegenüber nur noch Abscheu. Dennoch wähle ich ihre Telefonnummer, in der Hoffnung, dass es sich um einen Scherz handelt.
Mailbox. Fuck!
Wie stellt sie sich das vor? Im Gegensatz zu ihr habe ich einen Job, der mich komplett fordert. Sarah kommt aus gutem Hause und hält es nicht für nötig zu arbeiten. Meine Wochenenden gehören Adam, das habe ich eingerichtet, doch in der Woche ist das schwierig.
»Daddy, können wir was spielen?« Adam zieht leicht an meinem Shirt, woraufhin ich aufblicke. Er hat einen Stapel Karten in der Hand und präsentiert sie mir.
»Aber sicher. Setz dich zu mir, Buddy«, antworte ich ihm mit einem Lächeln und schiebe den Stuhl zu meiner Linken ein Stück zurück, damit er neben mir Platz nehmen kann. Mit Sarahs plötzlichem Abgang und meinem weiteren Vorgehen werde ich mich später beschäftigen, wenn mein Sohn schläft. Jetzt heißt es, ihn glücklich zu machen und das funktioniert nur, wenn ich mich voll und ganz auf ihn konzentriere.
War ja klar, mein Sohn hat mich ohne mit der Wimper zu zucken abgezogen und ein Spiel nach dem anderen gewonnen. Nach dem Abendessen bringe ich Adam ins Bett, und lese ihm eine Gute-Nacht-Geschichte vor.
»Muss ich morgen wieder zu Mommy?«, fragt er und gähnt herzhaft.
Ich streichle ihm über sein braunes, weiches Haar, welches er von mir geerbt hat. »Nein, Mommy musste kurzfristig verreisen, deshalb darfst du erst mal bei mir bleiben.«
»Echt?« Adam sieht mich mit funkelnden Augen fragend an.
»Ja.« Er springt auf und fällt mir um den Hals. Die Müdigkeit von eben ist wie weggeblasen, da seine Freude überwiegt. »Aber dennoch wird jetzt geschlafen, Buddy. Ab ins Bett mit dir.«
»Okay, Daddy!« Adam gibt mir einen Kuss auf die Wange und legt sich anschließend wieder in sein Bett. Ich lese die Geschichte zu Ende, gebe ihm einen Kuss auf sein Haar und verlasse den Raum.
Im Wohnzimmer lasse ich mich auf die Couch fallen und genehmige mir einen Whisky. Die neue Situation überfordert mich und ich muss mir dringend überlegen, wie es jetzt weitergeht. Wie soll ich meinem Sohn nur erklären, dass seine Mom ihn bei mir abgegeben und sich dann für unbestimmte Zeit aus dem Staub gemacht hat?
Ich starte einen letzten Versuch und wähle Sarahs Nummer. Diesmal ertönt das Freizeichen. Als sie endlich abnimmt, bin ich für einen Augenblick überrumpelt, da ich nicht damit gerechnet habe.
»Jake«, seufzt sie. »Ich habe dich gebeten, nicht nach mir zu suchen.«
»Ich suche nicht nach dir, sondern rufe dich an«, zische ich, ohne ein Wort zur Begrüßung.
»Was willst du?« Anhand ihres Tons kann ich mir vorstellen, dass sie die Augen verdreht. Das macht sie immer, wenn sie genervt ist.
»Ich möchte wissen, was zum Teufel deine Nachricht zu bedeuten hat«, kommt es mir ungehalten über die Lippen. »Du kannst Adam doch nicht einfach hierlassen und verschwinden!«
»Du siehst ja wohl, dass ich es kann. Ich habe mich lange genug um unseren Sohn gekümmert. Jeden Tag musste ich in sein Gesicht sehen und mir vor Augen halten, was ich verloren habe. Jake, ich packe das nicht mehr. Du weißt, dass ich dich nach wie vor liebe«, schnieft sie.
»Sarah.« Mit Daumen und Zeigefinger fasse ich mir an die Nasenwurzel und kneife die Augen zusammen. Ehrlich gesagt kann ich ihre Leier über Liebe nicht mehr ertragen. Resigniert stoße ich ein Seufzen aus, ehe ich weiterspreche. »Du bist schuld an unserer Trennung. Du allein, also mach mir keine Vorwürfe!« Ich habe ihr alles gegeben, was ich hatte. Doch wie es aussieht, war es nicht genug. Es hat nicht gereicht, um sie am Fremdgehen zu hindern.
»Ich weiß und ich würde es sofort rückgängig machen, wenn ich könnte. Das weißt du!« Sie schluchzt. Möglicherweise meint sie es ernst, jedoch ist dieses Thema für mich durch und ich werde nicht mit meiner Ex-Frau darüber diskutieren.
»Wie lange hast du vor wegzubleiben?«, möchte ich wissen und gehe auf ihren geheuchelten Scheiß nicht weiter ein.
»Keine Ahnung. Ich brauche Zeit für mich, um endlich unsere Trennung zu verarbeiten. Das verstehst du sicher, oder?«
»Ein paar Wochen kann ich dir geben, aber länger nicht. Adam braucht dich!«
»Nur Adam?«, wispert sie in den Hörer und ich vernehme die Hoffnung in ihren Worten, doch die werde ich nicht befeuern.
»Ja. Bye Sarah.« Ich lege auf und fahre mir verzweifelt durch die Haare. Wie soll ich das alles nur schaffen?
Jake
Einige Wochen später
»Komm schon, Adam. Wir wollen doch Grandma nicht warten lassen!« Den Autoschlüssel um meinen Zeigefinger wirbelnd, starre ich zur Treppe und warte darauf, dass mein Sohn sich endlich dazu bequemt, hier unten zu erscheinen.
Ungeduldig werfe ich einen Blick auf die Uhr an meinem Handgelenk, sie ist ein Geschenk von Sarah zu unserem ersten Hochzeitstag gewesen. Warum ich sie nach der Trennung nicht abgelegt habe, kann ich mir selbst nicht genau erklären. Aus sentimentalen Gründen trage ich sie nicht, es ist vermutlich reine Gewohnheit.
Ich nehme mir vor, sobald wie möglich eine neue Uhr zu kaufen.
Als ich Getrampel auf der Treppe vernehme, hebe ich meinen Blick und sehe Adam auf mich zukommen.
»Wir können los.«
Gemeinsam verlassen wir das Haus und gehen zum Wagen. Ich kann nicht widerstehen, meinem Sohn mit einer Hand durch seine Wuschelhaare zu streicheln, was er mit einem Grinsen quittiert.
»Los, spring ins Auto und schnall dich an«, weise ich Adam an. Hilfe benötigt er dabei keine mehr, denn er ist schon ein großer Junge, wie er mir erst vor einigen Tagen erklärt hat. Daher setze ich mich auf den Fahrersitz und lasse den Motor an. Doch bevor ich losfahre, werfe ich einen prüfenden Blick in den Rückspiegel, um zu sehen, ob er sich in seinem Kindersitz auch richtig angeschnallt hat.
Die Fahrt zu meinem Elternhaus dauert eine knappe Stunde. Obwohl sie nicht weit von uns entfernt wohnen, ist der Verkehr in Los Angeles grauenvoll und die Straßen sind andauernd verstopft. Wieder einmal bin ich froh, ein Haus in der Nähe der Schule zu haben, so dass ich nicht direkt durch die Stadt muss, um zur Arbeit zu gelangen. Der Gedanke, früher aufzustehen, als ich es ohnehin schon tue, lässt mich schaudern.
Ich parke den Wagen in der Einfahrt meiner Eltern. Dad steht draußen und wäscht sein Auto. Solange ich denken kann, tut er dies jeden Samstag. Es beruhigt ihn, hat er mir einmal verklickert. Von mir aus soll er das weiter machen. Ich für meinen Teil bin froh, dass es Waschanlagen gibt.
»Hey, Dad«, begrüße ich ihn, als wir aus unserem Fahrzeug steigen.
»Grandpa«, ruft Adam und flitzt sogleich auf ihn zu, schnappt sich einen Schwamm und hilft entschlossen mit. Als ich die beiden erreiche, ist mein Sohn schon halb durchnässt.
»Na das sieht doch klasse aus. Wenn ihr mit dem Auto fertig seid, könnt ihr bei meinem gleich weitermachen«, ziehe ich meinen Vater auf.
»Junge, es entspannt mich zwar, den Wagen zu putzen, aber Langeweile habe ich nicht.« Er lacht und schüttelt den Kopf.
Im selben Moment ertönt die Stimme meines Bruders an der Haustür. »Dad, Jake. Mom sagt, dass das Essen in fünf Minuten fertig ist.«
»Onkel Jamie«, ruft Adam erfreut aus, als er ihn sieht. Sofort lässt er den nassen Schwamm auf den Boden fallen und rennt auf ihn zu.
»Hey, Champion.« Jamie fängt ihn auf und wirft ihn sich über die Schulter. Unter lautem Quietschen und Kreischen trägt er ihn ins Haus.
Ich helfe meinem Vater, die Putzutensilien wegzuräumen.
»Na los, sonst bekommen wir nichts mehr ab. Jamie hat zurzeit einen Appetit, sag ich dir. Der kann einem Löwen alle Ehre machen.«
»Wächst wohl wieder, was?«, frage ich.
»Ich weiß nicht, wo er noch hinwill. Er überragt mich doch schon. Falls das so weitergeht, bekomme ich demnächst eine Nackenstarre, wenn ich mit deinem Bruder reden möchte.« Lachend betreten wir das Haus. Der Geruch nach Essen schlägt uns entgegen und mein Magen fängt an zu grummeln.
Nachdem ich meine Jacke an die dafür vorgesehene Garderobe neben der Tür gehangen und die Schuhe ausgezogen habe, gehe ich weiter in die Küche. Meine Mutter steht an der Küchenzeile und füllt Kartoffeln in eine Schüssel.
»Hey Mom.« Ich mache sie auf mich aufmerksam und trete zu ihr, um sie mit einem Kuss auf die Wange zu begrüßen. »Ist Adam schon hier durchgekommen?«
»Jake, mein Schatz. Ja, Adam sitzt mit deinem Bruder auf der Terrasse am Tisch. Könntest du die Schüssel bitte mit hinausnehmen?«
»Aber sicher.«
»Danke.«
Draußen stelle ich die Kartoffeln auf den Tisch und sehe meinen Sohn anschließend streng an. »Hast du dir auch die Hände gewaschen, nachdem du Grandpa geholfen hast?«
»Ja, Daddy. Willst du mal riechen? Grandma hat eine neue Seife für mich hingestellt.« Adam streckt mir seine Hände hin und ich tue ihm den Gefallen und halte meine Nase an seine Haut.
»Das duftet aber gut«, stimme ich zu. Zärtlich streichle ich meinem Sohn noch einmal über die Haare, ehe ich mich auf einen Platz neben ihm setze.
»Das sieht wunderbar aus, Beth.« Dad kommt zu uns an den Tisch und setzt sich neben Adam.
»Hast du dir die Hände gewaschen, Grandpa?« Adam sieht seinen Großvater mit ernstem Blick an und stemmt dabei die kleinen Fäustchen in die Hüften.
»Oh, du hast Recht, mein Junge. Das habe ich doch glatt vergessen.« Pflichtschuldigst steht mein Vater auf und macht sich schnell auf den Weg, um sein Versäumnis nachzuholen. Adam schaut ihm währenddessen hinterher und schüttelt den Kopf, was mich schmunzeln lässt. Manchmal ist mein Sohn ein kleiner Klugscheißer.
Nachdem ich fertig bin, lehne ich mich auf dem Stuhl zurück und lege die Hand auf meinen Bauch. Ich muss zugeben, dass ich das Essen von Mom genieße. Sarah war nicht gerade der häusliche Typ. Entweder haben wir etwas bestellt, oder sind Essen gegangen. Erst nach Adams Geburt hat sie sich in der Küche versucht, was jedoch gründlich schiefgegangen ist. So habe ich bei Mom Kochunterricht genommen, um meinem Sohn wenigstens etwas Brauchbares zu kochen. Ein Sternekoch wird dennoch nicht aus mir.
»Es hat mir sehr gut geschmeckt, Grandma.« Adam strahlt mit seinem saucenverschmierten Mund über das ganze Gesicht. Lachend greife ich nach der Serviette, um ihn sauberzumachen. Adam wiederum schüttelt seinen Kopf und versucht, sich von mir loszumachen.
»Daddy, lass das. Ich bin doch ein großer Junge, da musst du mir nicht mehr den Mund abwischen.«
»O ja, entschuldige bitte. Das habe ich total vergessen.« Natürlich versuche ich, bei der Sache ernst zu bleiben, obwohl mir dies nur mühevoll gelingt. »Na los, wenn du schon so groß bist, dann weißt du ja auch, wo das Badezimmer ist. Mund und Hände waschen. Danach darfst du mit Onkel Jamie Baseball spielen. Ich habe gehört, er muss seinen Schlagarm etwas mehr trainieren.« Beim letzten Satz zwinkere ich meinem Bruder zu, der nur genervt mit den Augen rollt.
»Ha ha. Du findest dich witzig, was?« Wenn es um seinen Sport geht, ist er schnell auf die Palme zu bringen. Er kann es gar nicht leiden, wenn man ihn damit aufzieht. Als sein Neffe wiederkommt, springt Jamie auf. »Los Adam. Lassen wir die Erwachsenen allein, die reden nur Blödsinn!«
Ich muss lachen, als die zwei den Tisch verlassen, um im Haus Jamies Baseballausrüstung zu suchen.
Als mein Sohn nicht mehr zu sehen ist, wende ich mich wieder meinen Eltern zu, die beide ein ernstes Gesicht machen.
»Was ist los?«, frage ich und fühle eine leichte Nervosität in mir aufsteigen. So haben sie mich früher immer angesehen, wenn ich irgendwas verbrochen habe.
»Hast du mal wieder etwas von Sarah gehört?« Mom blickt sorgenvoll zu mir.
»Nein. Seit dem Brief und dem darauffolgenden Telefonat habe ich sie weder gesehen noch hat sie sich gemeldet. Ich weiß nicht mal, ob sie überhaupt in L.A., geschweige denn in Amerika ist.«
Dad stößt einen nicht jugendfreien Fluch aus. Er ist mit Sarah nie warm geworden, hat sie aber mir zuliebe akzeptiert. »Ich wusste, dass dieses Mädchen früher oder später Ärger machen würde. Hab ich es dir nicht damals schon gesagt, Beth?«
»Ja, das hast du, John.« Mom tätschelt Dad das Knie, um ihn zu beruhigen.
»Dad. Das ist doch jetzt egal, oder? Wichtig ist, dass es Adam gut geht und dafür werde ich sorgen!« Meine Stimme klingt energischer, als ich es beabsichtigt habe, da wir diese Diskussion in der letzten Zeit bereits mehrmals geführt haben. Langsam bin ich es leid!
»Du hast Recht, Liebling. Du gibst dein Bestes, um Adam die Situation zu erleichtern, ich bin unfassbar stolz auf dich.«
»Ja, Mom. Das weiß ich.« Ich verlasse meinen Platz, umrunde den Tisch und bleibe neben meiner Mutter stehen, um ihr einen Kuss auf den Scheitel zu geben. »Danke für eure Unterstützung.« Anschließend lege ich meinem Vater eine Hand auf die Schulter, was er mit einem Brummen quittiert.
»Was hältst du davon, Adam heute bei uns zu lassen? In zwei Tagen geht die Schule los und dann sehen wir ihn nicht mehr so oft.«
»Mom, ich weiß nicht. Wird euch das alles nicht zu viel? Adam ist schon ein kleiner Wirbelwind.« So sehr ich meinen Sohn auch liebe, manchmal ist er ziemlich anstrengend. Klar, meine Eltern sind fit und alles, aber dennoch will ich sie nicht mehr in Anspruch nehmen, als ohnehin bereits.
Allerdings bin ich heute Abend mit Liam verabredet, meinem besten Freund und Kollegen. Er wird es begrüßen, wenn ich ihm meine komplette Aufmerksamkeit schenke. Nicht, dass er Adam nicht mag, jedoch meint er seit längerem, dass mal wieder eine Bar-Tour fällig ist.
»Jake, es ist nicht das erste Mal, dass du Adam bei uns lässt. Wir kommen schon mit ihm klar. Mach dir keine Sorgen.«
»Na gut. Er kann bei euch bleiben.« Mom strahlt mich an und auch auf Dads Gesicht erkenne ich ein Lächeln. Sie genießen die Zeit mit ihrem Enkel sehr. »Aber sollte es euch zu anstrengend sein, dann ruft ihr mich sofort an, okay?! Ich meine es ernst.«
»Natürlich«, bestätigt Mom schnell. »Du musst dir trotzdem keine Sorgen machen. Wir werden uns schon mit Adam einig.«
Ja, das glaube ich sogar. Er wird seine Großeltern um den Finger wickeln, ehe die beiden überhaupt bemerken, wie ihnen geschieht. Ich werfe einen Blick auf die Uhr und wende mich dann noch einmal meinem Sohn zu.
»Hey Buddy, komm doch bitte zu mir«, rufe ich in Richtung Garten, wo sich Jamie und Adam mittlerweile aufhalten, um Baseball zu spielen. Wie ein kleiner Tornado kommt mein Junge angerannt und schmeißt sich in meine Arme. »Hör zu, Grandma und Grandpa möchten dich gerne heute Nacht bei sich behalten. Ist das in Ordnung?«
»O ja.« Adam grinst mich an. »Das ist toll. Können wir dann das Auto weiter putzen?« Aufgeregt wendet er sich an seinen Großvater, ich bin schon wieder abgeschrieben.
Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen und hauche ihm einen Kuss auf seinen Kopf, während er versucht, sich von mir loszueisen. Nach etwas Gezappel lasse ich ihn gehen.
Als ich mich von meinen Eltern verabschiedet habe, begebe ich mich zum Wagen und fahre heim. Liam und ich haben uns zu acht Uhr verabredet und bis dahin werde ich im Haus zu tun haben, denn ein Sechsjähriger kann so einiges durcheinanderbringen.
Hayden
Seit zwei Wochen wohne ich in L.A. und hasse es hier bereits wie die Pest.
»Hayden, wir ziehen in die Stadt der Schönen und Reichen … der Stars«, hat meine Mom mir vorgeschwärmt. Als ob mich so etwas interessieren würde. Für mich ist Los Angeles der Albtraum schlechthin.
»In L.A. wird alles anders«, haben meine Eltern mir versprochen. »Wir werden mehr Zeit miteinander verbringen«, redeten sie mir den Umzug schön.
Keine dieser Aussagen ist eingetroffen!
Stattdessen ist es schlimmer geworden, denn in Toronto hatte ich wenigstens Freunde. Hier bin ich komplett auf mich allein gestellt und muss mich zudem um meinen sechsjährigen Bruder Daniel kümmern.
Heute ist mein erster Schultag und anstatt die Pause zu nutzen, um mein Mittagessen zu essen, stehe ich in der Mädchentoilette und habe Bolognesesauce auf der weißen Bluse. Wütend versuche ich, den Schlamassel zu beseitigen, doch keine Chance. Mom wird mir den Kopf abreißen, dabei trage ich nicht mal eine Schuld.
»Ich hoffe, du bekommst die Sauce aus der Bluse«, ätzt Stella, die selbsternannte Schulqueen, welche mir ein Bein gestellt hat, sodass ich mich eingesaut habe. »Obwohl es meiner Meinung nach jetzt besser aussieht, als vorher.«
»Das findest du wohl witzig«, zische ich und reibe fester über den Fleck. Doch, anstatt ihn zu beseitigen, mache ich es nur schlimmer.
»Ehrlich gesagt schon, oder was meint ihr, Mädels?« Melody und Elaine, oder dumm und Dümmer, wie sie von mir insgeheim genannt werden, fangen an zu lachen und bestärken ihre Königin.
Ich betrachte die drei und kann nur mit dem Kopf schütteln. Sie sehen allesamt aus, als wären sie einer Modezeitschrift entsprungen. Ihre blonden Haare legen sich in großen Wellen über ihre Schultern. Das Make-up ist auffällig und ihre Röcke tragen sie kürzer als erlaubt. Laut Schulvorschrift darf dieser höchstens zwei Zentimeter oberhalb des Knies enden. Doch ich wage zu bezweifeln, dass das bei ihnen zutrifft.
»Wo ist dein Problem?«, möchte ich wissen und funkle Stella wütend an.
»Du bist mein Problem«, zischt sie und kommt mir näher. »Lass die Finger von Jamie! Er gehört mir. Verstanden?«
Jamie, ein Junge aus meinem Englischkurs, hat mich im Gegensatz zu allen anderen nicht wie eine Aussätzige behandelt, sondern mit mir geredet und mich in der neuen Schule herumgeführt. Da er Kapitän der Baseballmannschaft ist und mit seinen Mitspielern etwas besprechen musste, konnte er mir beim Mittagessen keine Gesellschaft leisten, weshalb ich mich dazu entschieden habe, allein zu essen. Zwar hat er mir vorgeschlagen, dass ich mich zu ihm setzen kann, aber ich wollte nicht stören. Das hat die blöde Kuh natürlich ausgenutzt, als ich auf dem Weg zu einem freien Tisch war, hat sie mir ein Bein gestellt. Ich habe demzufolge nicht nur keine Freunde und eine Feindin, sondern bin zudem die Lachnummer der Schule und all das, an meinem ersten Tag. Glanzleistung, Hayden!
»Ich habe keine Ahnung, was du meinst. Jamie ist lediglich nett zu mir und hilft mir, mich hier zurechtzufinden. Mehr ist da nicht«, beschwichtige ich sie.
Doch anscheinend interessiert es Stella nicht. Sie greift mir in die Haare und zieht meinen Kopf zurück. »Halt dich von ihm fern, sonst lernst du mich kennen!«
Ich halte ihrem teuflischen Blick stand, sage jedoch kein Wort. Ihre Eifersucht ist lächerlich. Schnaubend lässt sie mich los und verschwindet.
Die Bluse ist ruiniert, weshalb ich beschließe, es aufzugeben. Ich ziehe meinen grauen Blazer an und bin im Begriff, die Toiletten zu verlassen, als ich plötzlich Stimmengewirr höre und innehalte.
»Was sollte der Mist, Stella?«, schnauzt Jamie.
»Ich weiß nicht, was du meinst«, ertönt die Stimme der Schulqueen.
»Ich hab genau gesehen, wie du Hayden ein Bein gestellt hast. Lass den Blödsinn in Zukunft.«
»Dann soll sie die Finger von dir lassen«, wird Stella nun hysterisch.
»Sie ist neu hier. Ich habe ihr auf Bitten des Direktors die Schule gezeigt«, antwortet er genervt. »Zudem sind wir nicht mehr zusammen, falls dir das entfallen sein sollte.«
»Das hat sich vergangene Nacht allerdings anders angefühlt«, höre ich sie säuseln.
»Das war ein Ausrutscher, der nicht hätte passieren dürfen«, erklärt er ihr. »Es tut mir leid, ich hätte mich nicht hinreißen lassen sollen. Das mit uns beiden ist durch und letzte Nacht hatte nichts zu bedeuten, Stella.«
»Aber Jamie …«
»Es ist aus und vorbei! Wann geht das endlich in deinen Kopf?« Er klingt aufgebracht.
»Ich liebe dich doch!« Stellas Stimme gleicht einem Wimmern.
»Du weißt, dass das nicht stimmt«, sagt Jamie. »Die einzige Person, die du liebst, bist du selbst. Lass Hayden einfach in Ruhe, verstanden?«
»Du bist so ein Arschloch, Jamie!«
Das Klackern mehrerer Stöckelschuhe ist zu hören und entfernt sich, was mich erleichtert aufatmen lässt. Erst jetzt traue ich mich, den Raum zu verlassen. Noch ein Aufeinandertreffen mit dieser Stella brauche ich nicht.
»Tut mir leid, was passiert ist.« Die Stimme von Jamie lässt mich erschrocken zusammenzucken. Ich dachte, er sei ebenfalls gegangen, stattdessen lehnt er an der Wand und sieht mich entschuldigend an.
»Schon okay«, murmle ich und will an ihm vorbei gehen, doch er hält mich am Arm fest, woraufhin ich stehen bleibe und ihn ansehe. Seine dunklen, leicht gelockten, kurzen Haare verleihen diesem teuflisch gutaussehenden Kerl einen schelmischen Reiz, weshalb die Mädels, ganz besonders Stella, hin und weg von ihm sind. Vor allem seine auffälligen grünen Augen geben ihm einen Wiedererkennungswert, den er als Kapitän der Baseballmannschaft zwar ohnehin besitzt, aber Jamie ist auch ohne diese Art Titel niemand Unbekanntes. Gefühlt jeder kennt ihn und auch jeder mag ihn, so wie ich das bisher beobachten konnte. Er ist ein toller Mensch.
»Dass sie dir ein Bein gestellt hat, war meine Schuld. Stella ist …« Er reibt sich den Nacken. »… eifersüchtig.«
»Ja, das ist mir bereits aufgefallen.«
»Kann ich dich zu deinem nächsten Kurs bringen?«
»Ich fürchte, das ist keine gute Idee«, erwidere ich, da mir Stellas Warnung in Erinnerung geblieben ist.
Jamie grinst spitzbübisch. »Den Zahn habe ich ihr eben gezogen und denke, dass sie dich von nun an in Ruhe lassen wird.«
»Sicher? Ich glaube nicht, dass Mom begeistert ist, wenn ich noch ein paar Blusen ruiniere«, gebe ich zerknirscht nach.
»Mach dir keine Sorgen. Wenn sie wieder so eine Scheiße verzapft, sagst du Bescheid, verstanden?«
»Okay«, antworte ich mit einem Lächeln.
»Schnell lernen du musst, junger Padawan«, zitiert er aus Star Wars.
»Möge die Macht mit dir sein«, kontere ich, woraufhin wir beide losprusten.
»Star Wars Fan?«, möchte Jamie wissen, während wir uns auf den Weg zu meinem Kurs machen.
»Schuldig im Sinne der Anklage«, erwidere ich.
»Du wirst mir immer sympathischer, Hayden.«
»Das kann ich nur zurückgeben«, sage ich und meine es auch wirklich ernst. Jamie ist ein cooler Typ, bei dem ich mich durchaus wohlfühle, und es tut gut, jemanden zu haben, der mir durch die neue Zeit hilft. Diese Einsamkeit in L.A. ist das Schlimmste, seit wir hergezogen sind.
Um Stella mache ich mir dennoch Sorgen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie mich, mir nichts dir nichts, in Ruhe lassen wird, nur weil Jamie es von ihr verlangt.
»Hayden!«, schallt die wütende Stimme meiner Mutter durchs Haus. Sie muss die Bluse entdeckt haben. »Komm sofort hierher!«
Ich lege mein Englischbuch beiseite und gehe zu ihr nach unten. »Was gibt es denn?«, frage ich scheinheilig nach.
Sie hält mir das dreckige Oberteil hin. »Was hast du damit gemacht? Kannst du nicht mal einen Tag überstehen, ohne etwas einzusauen?«
»Das war Stella«, rechtfertige ich mich. »Sie hat …«
»Komm mir nicht mit irgendwelchen Ausreden, pass einfach auf deine Sachen auf! Ich habe keine Lust, sie ständig in eine Reinigung bringen zu müssen!«, meckert sie. »Was sollen nur die Leute denken, wenn du wie eine Schmuddelkuh durch die Gegend rennst?«
»Ich konnte nichts dafür«, widerspreche ich. »Sie hat mir …«
»Es ist mir egal«, unterbricht sie mich erneut. »Pass demnächst besser auf, sonst ziehe ich dir die Kosten von deinem Taschengeld ab!«
»Mom, es ist nur eine Bluse! Was ist denn los mit dir?«
Sie legt die Hand auf ihre Stirn und atmet tief durch, als müsste sie sich beruhigen. »Es tut mir leid, Hayden. Die Arbeit häuft sich momentan und ich habe einfach keine Zeit, deine Kleidung in die Reinigung zu bringen. Den Fleck bekomme ich nicht raus.«
»Dann bringe ich sie eben selbst dorthin«, biete ich ihr an, aber sie schüttelt den Kopf.
»Ich mache das schon«, sagt sie nun wieder in normalem Ton und lächelt sogar. »Pass das nächste Mal bitte besser auf.«
»Ja, Mom«, antworte ich und wende mich von ihr ab, um auf mein Zimmer zu gehen. Eine erneute Diskussion erspare ich mir, denn es hat doch keinen Sinn. Für sie zählt nur der gute Ruf und alles andere ist nebensächlich.
»Hayden? Warum hat Mommy mit dir geschimpft?«, möchte Daniel wissen und klettert neben mich auf mein Bett.
»Nicht so wichtig«, winke ich ab.
»Bist du traurig?« Seine großen Augen mustern mich bedauernd.
Ich schüttle den Kopf und lächle ihn an. »Nein. Mach dir keine Sorgen um mich.«
»Na gut.« Daniel sieht auf mein Buch und zeigt darauf. »Was machst du da?«
»Hausaufgaben.«
»Kann ich dir helfen?«
»Leider nein.« Daniel zieht eine Schnute. »Hast du Lust, was zu malen?«, frage ich daher, um ihn abzulenken.
»Ja.«
»Magst du hier bei mir malen, solange ich Hausaufgaben mache?«
»O ja!«, ruft er begeistert und stürmt aus dem Zimmer, um seine Sachen zu holen.
Während ich auf ihn warte, vibriert mein Handy. Ich schaue darauf und entdecke eine Nachricht von Jamie. Nachdem er mir seine Hilfe angeboten hat, haben wir am Ende des Schultages die Nummern ausgetauscht.
Morgen Mittagessen in der Cafeteria? J.
Er will mit mir zusammen essen?
Und dein Team?, tippe ich als Antwort.
Die schaffen es auch mal ohne mich.
Okay. Ich freue mich.
Dito. Dann bis Morgen.
Daniel ist in der Zwischenzeit zurückgekommen und beginnt seine Sachen auf dem Bett auszubreiten.
»Dann wollen wir mal«, feuere ich meinen kleinen Bruder an.
»Auf geht´s«, stimmt er mit ein und grinst mich dabei an.
Hayden
Am nächsten Nachmittag habe ich eine Überraschung für meinen Bruder. Ihm ist der Abschied aus Toronto genauso schwergefallen wie mir und dass unsere Eltern wenig Zeit für uns haben, trifft ihn am meisten. Daher habe ich mich kundig und ein Baseballteam ausfindig gemacht. Nach einem Telefonat habe ich herausgefunden, dass man ein Probetraining absolvieren kann. Zu diesem sind wir nun auf dem Weg. Als Daniel das Baseballfeld entdeckt, ist er sofort Feuer und Flamme.
»Hayden, guck mal! Darf ich da mitmachen?« Mein kleiner Bruder zeigt aufgeregt auf einen Baseballplatz, wo Gleichaltrige spielen. In Toronto hat er ebenfalls in einem Team gespielt und mit seinen sechs Jahren ist er gar nicht mal übel. »Bitte«, fleht er und ich seufze ergeben.
»Weißt du noch, wie ich dir erzählt habe, dass ich eine Überraschung für dich habe?« Vor Daniel hockend sehe ich in seine strahlenden Augen. Er nickt und ich fahre fort. »Ich habe eine Baseballmannschaft rausgesucht und ein Probetraining für dich vereinbart. Wenn es dir Spaß macht, dann können wir dich gerne anmelden. Mom und Dad haben mir ihre Zusage gegeben.« Noch heute früh, bevor unsere Eltern in ihr Büro aufgebrochen sind, habe ich ihnen ein Schriftstück vorgelegt, mit dessen Unterschrift sie ihre Bestätigung geben, dass ich Daniel anmelden darf. Ihnen hat es nichts ausgemacht, den Brief zu unterschreiben, solange wir beschäftigt sind und sie sich weiter um den Aufbau ihrer Firma kümmern können.
Daniel nimmt aufgeregt meine Hand und zieht mich zum Feld. Ich bin dabei, mir einen Überblick zu verschaffen, und entdecke den Trainer, der das Aufwärmen seiner Schützlinge vom Rande aus beobachtet. Er macht einen netten Eindruck und feuert seine Jungs in höflichem Tonfall an, anstatt sie niederzumachen, wie es einige zu ehrgeizige Coaches tun. Aber hier geht es um kleine Kids, die Spaß haben sollen und bei denen ein Gewinn ein Bonus und kein Muss ist.
»Entschuldigung«, spreche ich den Trainer an.
Er wendet sich mir zu und lächelt erst mich und dann Daniel an. »Was kann ich für euch tun?«
»Ich möchte mitmachen«, quakt mein Bruder dazwischen.
»Daniel«, rüge ich ihn und sehe ihn tadelnd an.
»Entschuldigung. Ich möchte bitte mitspielen, Mister«, wiederholt er höflicher, was den Coach schmunzeln lässt.
»Wir sind Hayden und Daniel Armstrong. Ich habe angerufen, um für meinen Bruder ein Probetraining zu vereinbaren, und mir wurde gesagt, wir sollen heute herkommen«, füge ich hinzu, damit der Trainer weiß, um was es geht.
»Hast du denn schon mal gespielt?«, fragt er und hockt sich vor Daniel hin, um auf seiner Höhe zu sein.
Dieser nickt aufgeregt. »Ich war sogar in einem Team«, erklärt er mit vor Stolz geschwollener Brust.
»Wir sind erst vor Kurzem hergezogen«, erkläre ich dem Fremden. »In Toronto hat er bereits ein paar Spiele gemacht.«
»Das klingt doch super. Magst du direkt mitspielen?«
»Jaaa«, jubelt mein kleiner Bruder. Der Coach erhebt sich, wuschelt ihm durch seine blonden Haare, die außer mir jeder in der Familie besitzt, und gibt ihm sofort Anweisungen. Daniel hört ihm aufmerksam zu und befolgt sie anschließend.
»Vielen Dank, Mister …«, beginne ich und suche nach einem Hinweis auf seinen Namen, kann jedoch kein Schild entdecken.
»Paul reicht aus«, antwortet er. »Es geht hier nur um Spaß.«
»Hayden«, stelle ich mich ebenfalls vor. »Dann bin ich ja beruhigt.«
»Du kannst dich dort hinsetzen und zusehen, wenn du möchtest.« Er deutet auf die kleine Tribüne, auf der vereinzelt Leute sitzen.
»Danke«, sage ich und schenke ihm ein Lächeln.
Ich suche mir einen Platz auf dem untersten Rang und lasse meinen Blick kurz über die anderen Menschen schweifen. Sie beachten mich nicht, sehen alle zu den Jungs und Mädels auf dem Spielfeld, bis auf einer. Grüne Augen nehmen mich regelrecht gefangen und lassen mich nicht wieder los. Er hat ein Basecap falsch herum auf dem Kopf, weshalb ich nur den Ansatz seiner braunen Haare erkennen kann, dazu trägt er eine Lederjacke, die ihm auf den Leib geschneidert worden sein muss. Den Rest kann ich leider nicht ausmachen, da vor ihm andere Leute sitzen.
Erneut lasse ich meinen Blick zu seinen Augen wandern, die mich unverwandt mustern. Er hebt eine Braue und grinst mich schief an, ehe er mir zuzwinkert. Verlegen drehe ich mich blitzschnell um und versuche, mich auf das Spiel zu konzentrieren.
Was, um Gottes Willen, war denn das?
Nervös streiche ich mir eine lose Strähne meines braunen Haars aus dem Gesicht, die sich mal wieder aus dem Dutt gelöst haben muss. Mein Herz klopft aufgeregt in der Brust und ich spüre Hitze, die sich auf meine Wangen geschlichen hat. Was passiert hier? Den Kerl werde ich mit Sicherheit nie wiedersehen und dennoch reagiert mein Körper auf ihn. Ich strenge mich an, mich auf Daniel zu konzentrieren und das Spiel zu verfolgen, doch stattdessen stelle ich mir vor, wie er mich berührt und mich mit seinem sinnlichen Mund küsst.
Obwohl ich wenig Erfahrung mit Männern habe, lässt dieses Exemplar mein Kopfkino auf Hochtouren laufen und mich die Hauptrolle darin spielen. Hayden, du solltest dringend aufhören, diese kitschigen Filme zu schauen, ermahne ich mich und juble, als Daniel den Ball geschlagen hat.
Eine knappe Stunde später ist das Spiel vorbei. Die Kids scharen sich um den Trainer und werden gelobt. Paul hat für jeden Einzelnen ein gutes Wort übrig und ich sehe das Strahlen der Kleinen bis hierher. Sieht so aus, als würden Daniel und ich mehr Zeit auf dem Baseballplatz verbringen.
Verstohlen schaue ich wieder über meine Schulter, um einen Blick auf den fremden Typen zu werfen, doch er ist weg. Mein Herz zieht sich vor Traurigkeit zusammen. Verdammter Mist, ich hätte ihn so gerne noch einmal angeschaut.
Als die Kinder auf die Tribüne zugelaufen kommen, erhebe ich mich von der Bank und gehe meinem Bruder entgegen.
»Hayden, hast du gesehen, wie ich den Ball getroffen habe?«, ruft er aufgeregt. Er lässt sich in meine Arme fallen und ich fange ihn auf.
»Aber klar, Großer. Das hast du klasse gemacht. Ich bin stolz auf dich.«
Daniel und Baseball. Dieser Sport hat es ihm dermaßen angetan, dass ich, seit mein kleiner Bruder damit angefangen hat, regelmäßig mit ihm im Garten stehe und wir uns gegenseitig den weißen Ball zuwerfen. Es ist nicht so, dass ich die gleiche Begeisterung dafür aufbringe wie er. Doch wenn es ihn glücklich macht, dann tue ich es gerne. Zumal unsere Eltern wenig Zeit für uns haben und ich versuche, deren Abwesenheit aufzufangen, indem ich mich um Daniel kümmere. Bis auf Jamie habe ich hier keine weiteren Freunde, sodass ich meine Freizeit genauso gut mit meinem Bruder verbringen kann.
Hand in Hand verlassen wir das Spielfeld. Daniel erzählt ohne Punkt und Komma von diesem Tag und was ihm daran gefallen hat. Ich höre seiner süßen Stimme gespannt zu und bemerke kaum den kleinen Stau, der sich am Tor ergeben hat. So ist es nicht verwunderlich, dass ich in die Person vor mir hineinlaufe und meine Nase den Duft von Leder aufnimmt, als sie sich in den Rücken meines Opfers drückt.
Schnell trete ich einen Schritt zurück. »Entschuldigung«, murmle ich und schaue hoch. Mein Herz gerät ins Stocken. Es ist der Kerl von der Tribüne! Diese grünen Augen, die mich vorhin so verschmitzt gemustert haben, würde ich überall wiedererkennen.
»Schon okay«, antwortet er. Seine tiefe Stimme verursacht eine Gänsehaut auf meinem Körper.
»Ich …« Der Versuch, ein Gespräch anzufangen, geht nach hinten los, denn in meinem Kopf herrscht absolute Leere.
»Daddy, komm schon.« Mein Blick schießt nach unten zu seiner Hand, an der ein kleiner Junge zieht. Er müsste in Daniels Alter sein und ist dem großen Exemplar wie aus dem Gesicht geschnitten. Er hat einen Sohn?, frage ich mich verwundert. Dabei kann der Kerl doch, wenn überhaupt, nur wenige Jahre älter sein, als ich. Oder irre ich mich so gewaltig, was das angeht?
»Sorry«, murmelt er. Meine Augen wandern wieder nach oben, aber er hat sich schon abgewendet. Der Stau hat sich aufgelöst und ich sehe ihm hinterher, wie er mit seinem Jungen von dannen zieht.
»Hayden, lass uns gehen. Ich habe Hunger«, erinnert mich mein Bruder daran, dass er auch noch da ist.
»Na klar. Auf was hast du denn Appetit?«, frage ich und warte auf eine Antwort.
»Können wir Pizza essen? Bitte, bitte«, bettelt er.
Bei unseren Eltern gibt es so gut wie nie dieses ungesunde Zeug. Mom achtet penibel auf ihre Figur und meinem Dad ist es egal, was er isst, solange unsere Mutter glücklich ist. Deswegen genießen Daniel und ich diese elternfreien Abende ab und zu und stopfen uns mit Pommes, Pizza und Burger voll, bis wir platzen.
»Danke für den schönen Tag, Hayden.« Daniel liegt in seinem Bettchen und schließt mich in die Arme. Ich weiß, dass er es ernst meint, und freue mich, ihn glücklich gemacht zu haben. Er leidet unter der Abwesenheit unserer Eltern und das macht mich wütend. Wozu setzen sie zwei Kinder in die Welt, wenn sie keine Zeit für sie haben?
Doch egal, wie sehr ich mich darüber aufrege, ändern kann ich es eh nicht. Stattdessen kann ich nur versuchen, das Beste für Daniel und mich daraus zu machen.
»Schlaf gut, Champion. Du musst Kraft tanken, um demnächst wieder auf dem Baseballfeld zu bestehen.«
»Heißt das, ich darf wieder dahingehen?« Seine Stimme klingt aufgeregt und die blauen Augen strahlen vor Glück.
»Na sicher doch. Wie könnte ich dir das nur verwehren?« Lachend gebe ich ihm einen Kuss auf die Stirn.
Insgeheim hoffe ich, ihn wiederzusehen. Obwohl er einen Sohn hat und wahrscheinlich zu alt für mich ist, kann ich diese kleine, stille Sehnsucht in mir nicht abstellen.
Später am Abend, Daniel schläft schon längst, sitze ich auf der Couch und zappe mich durch das Fernsehprogramm. Die Haustür wird geöffnet und ein Schlüssel in eine Schale geworfen. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es nach zehn ist. Ich stehe auf, um meine Eltern zu begrüßen.
»Hayden, du bist noch auf?« Meine Mutter klingt überrascht. Offenbar hat sie nicht damit gerechnet, mich anzutreffen.
»Hallo, Mom«, erwidere ich. »Ihr seid spät zu Hause. Daniel schläft schon.«
»Guten Abend, Tochter.« Mein Vater kommt ins Wohnzimmer und gibt mir einen leichten Kuss auf die Stirn. »Ich gehe dann mal ins Arbeitszimmer. Die Verträge können nicht warten.«
»Liebling, ich komme sofort nach«, ruft Mom ihm hinterher und ein Lächeln schleicht sich auf ihre Lippen.
Das ist ja wieder typisch. Der Gedanke an Arbeit bringt sie zum Strahlen, aber ihr Interesse daran, was Daniel und ich heute unternommen haben, ist nicht vorhanden.
»Falls es dich interessiert, ich bin mit Daniel auf einem Baseballplatz gewesen. Er hat sein Probetraining absolviert und ich habe ihn in der Mannschaft angemeldet.«
»Okay«, ist die einzige Antwort, die ich von ihr bekomme. Die Augen hat sie starr auf ihr Smartphone gerichtet, um die eingegangenen Mails zu checken.
»Mom!« Meine Stimme klingt genervt. »Kannst du nicht einmal für fünf Minuten deinen Blick vom Handy nehmen und mir zuhören?«
Sie stößt ein ungehaltenes Seufzen aus. »Hayden, es ist ungemein wichtig für mich, dass ich diese Nachrichten heute beantworte. Dein Vater und ich versuchen, hier für uns ein neues Leben aufzubauen.«
»Aber Daniel und ich sind auch wichtig. Interessiert es dich denn gar nicht, was wir heute erlebt haben?« Am liebsten würde ich heulen vor Wut.
»Hayden, ich habe jetzt wirklich keine Zeit.« Traurig sehe ich sie an. Tränen schießen mir in die Augen und ich reibe energisch mit den Handballen darüber, um sie wegzuwischen. »Hör zu, dein Vater und ich tun alles dafür, dass wir hier ein neues Zuhause haben, okay? Ich verspreche dir was«, erklärt sie weiter und nimmt mich in den Arm, »am Wochenende nehme ich mir für euch Zeit. Wie wäre es mit Samstagnachmittag? Wir beide könnten mit Daniel zu dem Baseballfeld gehen, von dem du eben erzählt hast?«
»Er hat am Samstag wieder ein Spiel«, bestätige ich nickend. Paul, der Trainer hat auf einen kleinen Kasten hingewiesen, wo die verschiedenen Trainingszeiten aushängen, daher habe ich diese Information.
»Na siehst du? Das wird fantastisch, du wirst schon sehen.« Meine Mutter strahlt mich in dem Moment so herzlich an, dass ich ihr glauben will. Ich hoffe, dass sie Daniel nicht enttäuscht.
»Okay«, flüstere ich. »Ich gehe jetzt ins Bett.«
»Nacht, mein Engel.«
Ich verschwinde in mein Zimmer und bete dafür, dass sie ihr Wort hält. Wie soll ich es nur Daniel erklären, wenn sie uns wieder versetzt? Am besten wäre es, wenn ich ihm vorerst gar nichts davon erzählen würde. Dann wäre er nicht so enttäuscht, falls es doch nicht klappt. Seufzend lasse ich mich auf mein Bett sinken und versuche, den Teufel nicht schon vorher an die Wand zu malen.