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Titel

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ISBN 978-3-7751-7203-5 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-5010-1 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:
Satz & Medien Wieser, Stolberg

© Copyright der Originalausgabe 2002 by Randy Singer
Published with permission of Tyndale House Publishers, Inc.
Originally published in English under the title: Directed Verdict
All rights reserved.

© Copyright der deutschen Ausgabe 2009 by
SCM Hänssler im SCM-Verlag GmbH & Co. KG · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-haenssler.de
E-Mail: info@scm-haenssler.de

Übersetzung: Karen Gerwig
Umschlaggestaltung: OHA Werbeagentur GmbH, Grabs, Schweiz;
www.oha-werbeagentur.ch
Titelbild: shutterstock.com, istockphoto.com, Archiv OHA werbeagentur GmbH
Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg

Die Bibelverse sind folgender Ausgabe entnommen:
Neues Leben. Die Bibel, © Copyright der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 by
SCM Hänssler, D-71087 Holzgerlingen.

Inhalt

Lob für DIE WITWE

Teil I – Verfolgung

1

2

3

4

Teil II – Das Gesetz

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

Teil III – Ermittlung

18

19

20

21

22

23

24

Teil IV – Der Prozess

25

26

27

28

29

30

31

32

33

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35

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37

38

39

40

41

42

43

44

45

46

47

Epilog

Danksagungen

Anmerkungen

Lob für DIE WITWE

»Die Witwe ist ein gut gemachter Justizthriller mit starken Charakteren, überraschenden Wendungen und einem fesselnden Thema: internationale Verantwortung für religiöse Verfolgung. Randy Singers Roman ist einnehmend, einprägsam und höchst bedeutsam.«

Randy Alcorn,
Autor von Der Himmel und Beschütze dein Herz

»Die Witwe ist eine realistische und fesselnde Geschichte über die verfolgte Kirche und diejenigen, die für weltweite Religionsfreiheit kämpfen. Sie versetzt Sie direkt in die Lage derer, die einen hohen Preis dafür zahlen, die Gute Nachricht weiterzugeben, und derer, die ihr Recht darauf verteidigen. Ja, diese Geschichte wird Sie unterhalten. Aber sie wird Sie auch herausfordern, Ihr Engagement in diesem aktuellen geistlichen Kampf zu überdenken.«

Jay Sekulow,
leitender Anwalt des American Center for Law and Justice

»Nach einer Reihe spannungsgeladener Nächte und Vormittage mit übernächtigtem Blick kann ich persönlich bezeugen, dass Randy Singer sogar noch bessere Justizthriller schreibt als John Grisham. Die Witwe packt Sie auf Seite eins und lässt Sie nicht mehr los. Seine Bücher sind gleichzeitig von geistlicher Kraft und so voller überraschender Wendungen in der Handlung, dass man schreien möchte. Seien Sie auf einen Willenskampf vorbereitet, wenn Sie das Buch abends weglegen, um schlafen zu gehen. Und nur für den Fall … halten Sie einen Kaffee für den folgenden Morgen bereit.«

Shaunti Feldhahn,
Autorin von The Veritas Conflict

»Als begeisterter Leser finde ich zu wenige Bücher, die ich nicht weglegen kann. Ich suche Action, unerwartete Wendungen, eine spannende Handlung, fesselnde, realistische Charaktere, einfach Bücher, die es in sich haben. Die Witwe vereint all das. Randy Singer, ein Fachmann in Sachen Grundrechte der amerikanischen Verfassung, versetzt uns mit fesselndem Geschick mitten zwischen die gegnerischen Kräfte unserer Welt – Religionsfreiheit und religiöse Verfolgung. Sie werden das Gefühl haben, als läsen Sie die neuesten Berichte über die brisanten Zustände in unserer Welt, also bleiben Sie dran!«

Robert E. Reccord,
Präsident a. D. des North American Mission Board

»Mit Die Witwe liefert uns Randy Singer nicht nur ein temporeiches, schön geschriebenes Gerichtsdrama, sondern auch einen kleinen Einblick in die Not, die unsere Brüder und Schwestern in Übersee erdulden müssen, wenn sie ihren Glauben in Ländern leben, die der Guten Nachricht feindlich gegenüberstehen.«

Bill Bright,
Gründer von Campus Crusade for Christ,
dem amerikanischen Zweig von Campus für Christus

»Die Witwe ist grandios! Gut durchdacht und fesselnd geschrieben. Die Spannung steigt bis ganz zum Schluss. Ich fand es großartig! Ein wahrer Justizthriller.«

Jeff Brauch,
Dekan der Regent University School of Law

»Ein temporeiches Buch mit vielen realistischen Situationen, die Christen in Saudi-Arabien tatsächlich so erleben!«

Dr. Tom White,
Leiter von The Voice of the Martyrs, USA

»Randy Singers Roman über internationale Machenschaften, ein Gerichtsdrama von fesselnder Spannung, fordert die Leser heraus, Glaubens- und Ethikfragen zu revidieren. Die Witwe ist eine passende Geschichte für Zeiten wie diese.«

Jerry W. Kilgore,
Generalbundesanwalt a.D. von Virginia

»Eine packende Geschichte.«

Publishers Weekly






Für Rhonda, Roz und Josh.
Ihr seid die Besten und werdet es immer bleiben.

Teil I

Verfolgung

1

»Sarah, die Muttawa haben uns gefunden! Sie kommen! Vielleicht heute Abend!« Der Anrufer hielt inne, seine Stimme zitterte. »Verhaftungen. Verhöre. Exekutionen. Sie werden vor nichts haltmachen.« Er flüsterte hastig auf Arabisch.

Sarah versuchte zu antworten, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. Sie umklammerte den Hörer so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Sie war plötzlich atemlos, doch sie wusste, dass sie den Mann am anderen Ende der Leitung nicht ihre Angst spüren lassen durfte.

»Sarah, bist du noch da?«

»Ist dort Rashid?«, fragte sie, ebenfalls leise murmelnd. Auch sie sprach arabisch.

»Du musst die Gottesdienste für heute Abend absagen. Und, … Sarah?«

»Ja?«

»Schaff die Kinder aus der Wohnung.«

Die Kinder. Die zwölfjährige Meredith. Der zehnjährige Steven. Natürlich würde sie einen Ort für die Kinder finden. Aber was war mit ihr … und Charles? Sie konnten nicht einfach beim ersten Anzeichen einer Untersuchung weglaufen und sich verstecken. Aber wenn dies kein falscher Alarm war …

»Sarah? Denk daran, Gott hat uns nicht einen Geist der Furcht gegeben, sondern einen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.«

»Ähm, okay … wir machen das schon.« Während sie sprach, wurde ihre Stimme fester, doch sie flüsterte immer noch. »Bete für uns!«

»Das werde ich«, versprach er, und die Leitung brach ab.

Sarah hielt das Telefon weiter ans Ohr, noch nicht bereit aufzulegen und sich Charles und den Kindern zu stellen. Eine Million Fragen schrien nach Antworten. Es war Rashids Stimme gewesen, aber wie konnte er von den Muttawa wissen? Und wenn sie heute Abend kamen, was wussten sie? Wer hatte es ihnen gesagt? Und warum? Sie versuchte, ihre Gedanken zu sammeln, ihre Ängste zu beruhigen, das wirbelnde Gefühl in ihrem Kopf anzuhalten. Sie senkte den Hörer und starrte darauf.

»Ist alles in Ordnung, Schatz?«, fragte Charles. Er durchquerte die Küche und begann ihre Schultern zu massieren. Sie schloss die Augen und spürte, wie seine Finger in ihre knotigen Muskeln drangen. Sie entspannten sich nicht. »He«, fragte er sanft. »Warum bist du so verspannt?«

Sarah drehte sich um und ließ sich von Charles umarmen. Sie zitterte in seinen Armen, dann hob sie sich auf die Zehenspitzen und flüsterte ihm ins Ohr: »Die Muttawa haben uns gefunden. Sie kommen vielleicht heute Abend.«

Sie legte den Kopf in den Nacken, um ihn anzusehen, und suchte in seinem Blick nach dem Trost und der Stärke, die sie in den dreiundzwanzig Jahren ihrer Ehe in so vielen Situationen gefunden hatte.

Stattdessen sah sie nichts als blankes Entsetzen.

Ornament

Es waren nur wenige Plätze frei in dem höhlenartigen Gerichtssaal und die Gerichtsdiener waren in voller Alarmbereitschaft. Der Mittelgang teilte die Zuschauer in zwei Lager. Sie hatten nichts gemeinsam.

Die linke Seite, hinter dem Tisch des Staatsanwalts, war überfüllt von den örtlichen Unterstützern des Abtreibungsrechts. Angestellte der Norfolk Medical Clinic waren da ebenso wie führende Anwälte aus ganz Virginia, die das Recht auf Abtreibung befürworteten. Um nicht mit den Fanatikern auf der anderen Seite in Verbindung gebracht zu werden, hatten sich Angestellte des Gerichts zu ihnen gesellt. Sie hatten sich freigenommen, um zusehen zu können, wie der Angeklagte das bekam, was er verdiente.

Die andere Seite des Gerichtssaals – die rechte Seite – war von Mitgliedern der Chesapeake Community Church besetzt. Viele hielten die Köpfe in stillem Gebet gesenkt, während ihr Pastor, Reverend Jacob Bailey, zu einem entscheidenden Punkt in seiner Aussage kam. Zu den Gemeindemitgliedern hatten sich einige Veteranen vom ganz harten Kern der Anti-Abtreibungsbewegung gesellt, Männer und Frauen, die Haftstrafen abgesessen hatten, weil sie sich aneinander- oder an Abtreibungskliniken gekettet hatten. Zu ihrer Zeit hatten sie durchaus einige wütende Richter erlebt. Aber – und das verrieten sie gerne jedem Reporter, der ihnen zuhören wollte – sie hatten niemals eine so voreingenommene Richterin wie diese gesehen: die ehrenwerte Cynthia Baker-Kline. Und in diesem Fall, ohne Jury, hatte sie die alleinige Macht zu verurteilen oder freizusprechen.

Zwei Zeichner, die schnell und grimmig ihre Arbeit verrichteten, saßen bei den Reportern auf der linken Seite des Gerichtssaals. Die Frau in der Robe war unkompliziert, der Traum eines jeden Zeichners. Hinter ihrem Rücken nannten die Anwälte sie Ichabod Crane. Sie hatte hagere Gesichtszüge – eine lange, spitze Nase, eine Brille mit Drahtgestell, anklagende, knochige Finger, einen fortwährend finsteren Blick und einen ausladenden Kiefer – der Inbegriff einer Lehrerin. Sie hatte während der ganzen Verhandlung noch nicht einmal gelächelt.

Reverend Jacob Bailey erwies sich als schwieriger für die Zeichner. Sosehr sie es versuchten, keiner schaffte es, den Angeklagten wie einen Kriminellen aussehen zu lassen. Sein Gesicht war schmal und blass. Zwanzig Tage Fastenzeit mit rein flüssiger Nahrung hatten ihn abmagern lassen. Statische Elektrizität lud seine dünnen und ungepflegten blonden Haare auf und er saß in sich zusammengesunken da, während er seine Aussage machte; die knochige Gestalt versank in dem Zeugensessel. Er sprach so leise, dass Ichabod ihn fortwährend daran erinnern musste, ins Mikro zu sprechen.

Der Mann, der Bailey im Moment befragte, war der Verteidiger Brad Carson. Er schnitt bei den Zeichnern besser ab. Er war dünn, besaß die Figur eines Läufers, ein kantiges Kinn, tiefliegende und ausdrucksvolle, stahlblaue Augen und rabenschwarzes Haar. Er hatte die ungezwungene Haltung eines Mannes, der sich nicht verstellte und ein schnelles und unbefangenes Lächeln, das sowohl Zeugen als auch Zuschauer bezauberte.

Die Zeichner legten ihre Stifte nieder, als Carson zum springenden Punkt der Geschichte kam.

»Was taten Sie am 13. September vor der Abtreibungsklinik, Reverend?«, wandte sich Brad von seinem Rednerpult aus an den Zeugen. Gestern hatte sein unermüdliches Auf- und Abgehen im Gerichtssaal eine strenge Strafpredigt von Ichabod über Schicklichkeit nach sich gezogen.

»Beten«, sagte der Reverend leise und schlicht.

»Sprachen Sie mit Gott oder sprachen Sie mit Menschen?«

»Ich bete zu Gott«, antwortete der Reverend, »im Namen seines Sohnes Jesus Christus.« Diese letzte Bemerkung hatte Brad nicht ins Skript geschrieben und er warf Bailey einen tadelnden Blick zu.

»Hatten Sie die Augen geschlossen, als Sie zum Beten niederknieten?« Brad betonte, dass der Reverend kniete; es ließ sein Verhalten weniger bedrohlich erscheinen.

»Ja, natürlich.«

»Wussten Sie überhaupt, ob jemand in der Nähe war?«

»Eigentlich nicht«, sagte der Reverend. »Wenn ich bete, versuche ich, mich auf Gott zu konzentrieren und alles andere auszublenden.« Noch eine Bonus-Antwort. Brad gewann den Eindruck, der Pastor schmückte seine Aussage für die Gemeinde ein wenig aus.

»Befanden Sie sich innerhalb eines Radius von dreißig Metern um die Klinik?«, fragte Ichabod scharf und beugte sich vor, sodass sie über dem Zeugen schwebte.

Ihre Frage, wenn auch einfach, schien den Zeugen zu erschrecken. Er sah kleinlaut zu der Richterin auf. »Ja, Ma'am«, sagte er.

Brad sah zu, wie Ichabod auf ihrem Block etwas abhakte. Das Gesetz galt für jede Rede oder Aktivität innerhalb von dreißig Metern um eine medizinische Einrichtung herum.

Er schaltete sich schnell ein, um die Initiative wiederzugewinnen. »Dürfte ich mich dem Zeugen nähern, Euer Ehren?« Brad begann auf den Zeugenstand zuzugehen.

Ichabod warf Brad einen finsteren Blick zu und wartete ein paar ungemütliche Sekunden ab. Er blieb stehen. »Ja«, sagte sie, als sie seine volle Aufmerksamkeit hatte. Brad seufzte und setzte sich wieder in Bewegung. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie Ichabod sich wieder ihrem Gekritzel auf dem Block zuwandte und ihr Bestes tat gelangweilt auszusehen.

»Ich händige Ihnen eine Ausführung des fraglichen Gesetzes aus«, sagte Brad, während er dem Reverend ein einzelnes Blatt Papier reichte. Das Blatt zitterte in Baileys Hand. Brad hatte gewusst, dass das passieren würde. Es war Teil seines Plans, Mitleid zu erzeugen.

»Sehen Sie sich Paragraf zwei an«, fuhr Brad fort, während er zurück zu seinem Tisch ging und eine Lesebrille aus seiner Jacketttasche zog, »und lesen Sie mit, wenn ich kurz vorlese, was dieses Gesetz untersagt. Haben Sie versucht, jemanden aufzuhalten, den Weg zu versperren oder jemanden daran zu hindern, die Einrichtung zu betreten?«

»Nein.«

»Kamen Sie wissentlich weniger als zweieinhalb Meter in die Nähe einer Patientin, mit dem Ziel, ihr eine Broschüre oder ein Flugblatt zu geben?«

»Nein.«

»Kamen Sie wissentlich weniger als zweieinhalb Meter in die Nähe einer Patientin, mit dem Ziel, verbal zu protestieren oder die Patientin zu überzeugen, die Abtreibung nicht vornehmen zu lassen?«

»Nein«, sagte Reverend Bailey, dessen Stimme etwas Sicherheit gewann, wenn seine Hand auch weiterhin zitterte.

Brad war mit dem Zeugen zufrieden; es war alles andere als leicht gewesen, den Pastor zu überzeugen, so kurz und knapp zu antworten und auf jedes überflüssige Wort zu verzichten.

Aber Ichabod war noch nicht fertig.

»Wenn Sie beten«, fragte sie, wobei sie nachdenklich nach vorn ins Publikum sah, »schreibt Ihre Religion es dann vor, dass Sie an einem bestimmten Ort beten?«

»Nein, Euer Ehren«, gab Bailey zu und sah verdattert aus.

»Dann können Sie also überall im Land beten und Gott hört trotzdem zu?«

»Ja, natürlich. Er ist allgegenwärtig.«

»Und kann Gott Sie hören, ob Sie nun laut oder still für sich beten?«, fragte die Richterin, die immer noch in die Ferne starrte.

»Sicher«, sagte Bailey. Er hatte sich zu nah ans Mikro gebeugt und es gab ein durchdringendes Pfeifen von sich. Er sprang zurück, als habe es ihn gebissen.

»An dem fraglichen Tag – haben Sie da laut oder für sich selbst gebetet?«, wollte Ichabod wissen.

»Laut.«

»Laut genug, dass andere Sie hören konnten?«

»Ja.«

Ichabod machte noch ein paar Notizen auf ihrem Block. Dann wandte sie sich um und warf dem Zeugen einen eisigen Blick zu. Er rutschte unbehaglich auf seinem Sitz herum.

Brad hatte das Gefühl, in Zeitlupe einem Zugunglück zuzusehen, das er nicht stoppen konnte. Er nahm die Brille ab und begann auf dem Bügel herumzukauen.

»Dann erwarten Sie von diesem Gericht zu glauben, dass Sie sich zufällig diese Stelle zum Beten ausgesucht und zufällig laut gebetet haben, in Wirklichkeit aber keinerlei Absicht hatten, die Frauen zu überreden, die vielleicht zufällig vorbeigingen?« Ichabod hob ungläubig sowohl ihren Tonfall als auch die Augenbrauen.

»Euer Ehren«, sagte Brad schnell, um die Aufmerksamkeit vom Zeugenstand abzulenken. »Ich befinde mich in der ungewöhnlichen Lage, gegen die Fragen des Gerichts selbst Einspruch zu erheben.« Er ließ ein entwaffnendes Grinsen aufblitzen, das die Richterin nicht erwiderte.

»Wenngleich ich den Verdacht habe, dass mein Einspruch abgelehnt werden wird«, fuhr er fort, »scheint es mir unangebracht, dass Sie dem Zeugen bedrängende Fragen stellen. Vor allem, wenn die Frage impliziert, dass dieses Gesetz jemanden daran hindert, auf einem öffentlichen Gehweg laut zu beten. Ich lese aus diesem Gesetzestext keine solche Interpretation heraus.«

»Ist das Ihr Einspruch?« Ichabod richtete ihren eisigen Blick nun auf Brad.

»Vorerst«, fügte er schnell hinzu.

»Abgelehnt. Das Gericht hat das Recht, den kompletten Sachverhalt zu kennen. Und jetzt, Mr. Bailey, beantworten Sie die Frage.«

Reverend Bailey zögerte und atmete tief aus. »Ehrlich gesagt, Euer Ehren«, sagte er leise und bittend, »fühlte ich mich gedrängt, für diese Sache zu beten.« Er zögerte, sah auf seine gefalteten Hände hinab und seine Stimme wurde noch leiser. »Diese Sünde, die unsere Nation heimsucht … dieses Töten von ungeborenen Kindern. Und ich fühlte mich von Gott geführt, das vor der Klinik zu tun, ungeachtet der Konsequenzen.«

Guter Junge!, dachte Brad. Zeig ein bisschen Rückgrat! Brad ergriff die Chance, die Kontrolle wiederzuerlangen.

»Warum fühlten Sie sich dazu gedrängt?«, fragte er, während er sich mit gespieltem Interesse vorbeugte.

Die Frage entlockte der Staatsanwältin, einer streng aussehenden Frau in den Mittvierzigern namens Angela Bennett, die augenblicklich aufstand, um Einspruch zu erheben, eine prompte Erwiderung. Sie hätte sich die Energie sparen können, denn Ichabod, die selbsternannte Wächterin der Norfolk Clinic, machte ohnehin ein Riesentheater.

»Mr. Carson«, zischte Ichabod und starrte ihn über die Brille auf ihrer Nasenspitze hinweg an. »Diese Frage ist unzulässig und das wissen Sie. Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt: Wir werden uns nicht auf die persönlichen Ansichten des Reverend über Abtreibung einlassen …«

»Aber Richterin, die Beweggründe sind der Schlüssel! Das Gesetz setzt voraus, dass Reverend Bailey sich Abtreibungspatientinnen vorsätzlich mehr als zweieinhalb Meter näherte, mit der Absicht, sie zu überreden …« Die Richterin hob eine Hand und Brad unterbrach seinen Satz.

»Mr. Carson!«, schnappte sie. »Ich bin noch nicht fertig!«

»Entschuldigung, Euer Ehren«, sagte Brad ohne den leisesten Anflug von Reue.

»Sie werden nicht das Thema ›Beweggründe‹ in diesen Fall einbringen! Dies ist grundsätzlich ein Fall von Hausfriedensbruch. Er hat entweder das Gesetz übertreten oder nicht. Der Grund seiner Anwesenheit – der womöglich darin bestand, Frauen von einer Abtreibung abzubringen – kann aus seinen Taten ermittelt werden. Seine Beweggründe interessieren mich nicht. Ist das klar?« Sie starrte Brad mit ihrem besten Bundesrichterinnen-Blick an.

Er hatte gute Lust ihr zu sagen, dass sie juristische Haare spaltete, dass sie eine Schande für den Richterstuhl sei. Er wollte ihr die Meinung sagen, wie er es in seinen Träumen getan hatte, wie er es auf der Fahrt zur Arbeit getan hatte und wie er es an diesem Morgen in Gedanken bereits tausendmal getan hatte. Er spürte, wie die Hitze in ihm aufstieg, und er wusste, wie gut es sich anfühlen würde, sie herauszulassen. Aber er wusste auch, dass es sinnlos wäre.

Sein Plan verlangte eine ganz andere Herangehensweise. Und die Zukunft seines Mandanten hing von Brads Fähigkeit ab, einen kühlen Kopf zu bewahren und den Plan auszuführen.

Also starrte er nur mit blitzenden Augen und derselben Intensität zurück.

»Mr. Carson, ich spreche mit Ihnen«, sagte Ichabod, und ihre Stimme überschlug sich fast.

»Entschuldigung, Richterin«, antwortete er endlich, »ich wollte diesmal nur sichergehen, dass Sie fertig waren.«

Seine Impertinenz machte sie sprachlos. Ihre Augen waren zu Schlitzen verengt, die Flügel ihrer riesigen Nase blähten sich rhythmisch. Als sie schließlich sprach, kam es in kurzen, stakkatoartigen Ausbrüchen.

»Behandeln Sie dieses Gericht … nie wieder so respektlos! Das nächste Mal … belange ich Sie wegen Missachtung des Gerichts! Und, Mr. Carson?«

Er hob eine Augenbraue, entschlossen, nichts zu sagen.

»Gehen Sie zurück hinter Ihr Rednerpult und setzen Sie Ihre Befragung von dort aus fort!« Sie beobachtete ihn wachsam, als Brad sich zum Rednerpult zurückzog. »Ihre kindischen Spielchen beeindrucken mich nicht.«

Brad schob seine Notizen auf dem Rednerpult herum, dann beugte er sich nach unten, um der korpulenten Frau am Anwaltstisch, seiner langjährigen Assistentin Bella Harper, ins Ohr zu flüstern.

»Beobachten Sie die Vene an ihrem Hals«, flüsterte Brad, »ich werde sie zum Platzen bringen.« Während er sprach, pulsierte die vorstehende Vene an Ichabods rechter Halsseite sichtbar mit jedem Herzschlag.

»Spielen Sie nicht den Helden«, flüsterte Bella zurück.

Aber Brad wurde klar, dass er keine Wahl mehr hatte. Er konnte diesen Fall vor Ichabod nicht gewinnen. Sie hatte sich bereits entschieden und würde sich nicht durch Fakten durcheinanderbringen lassen. Die beste Möglichkeit, die ihm blieb, lag darin, ihre Voreingenommenheit zu demonstrieren und eine Aufhebung durch Berufung einzuleiten.

Dafür würde er die ganze Wut der Richterin provozieren und seinen eigenen Ruf aufs Spiel setzen müssen – einen Ruf, den er sich in zwölf Jahren aufgebaut hatte. Es würde den Prozess unerträglich machen, ihm aber Munition für die Berufungsverhandlung liefern. Als unangenehmes Nebenprodukt würde es ihn zum Aushängeschild der christlichen Rechten machen, zu einem Märtyrer für eine Sache, die er nicht vertrat.

Er würde es trotzdem tun.

Er würde es tun, weil er einen Eid geleistet hatte, seine Mandanten pflichtbewusst zu vertreten. Er würde es tun, weil es das Richtige war.

Brad holte Luft und sammelte sich. Ichabod hatte noch nicht alles zum Thema Beweggründe gehört.

Es war Zeit für Plan B.

Ornament

Auf der anderen Seite der Erde schlich sich ein Krieger an sein Opfer heran.

Ahmed Aberijan war ein heiliger Krieger und er befand sich im heiligen Krieg. Sein offizieller Titel war »Leiter der Muttawa«, der saudi-arabischen Militärpolizei. Seine Kollegen nannten ihn die rechte Hand Mohammeds.

Seine Dienststelle war die letzte Bastion religiöser Reinheit in einer Gesellschaft, die vom Krebsgeschwür der westlichen Kultur schwer gezeichnet war. Für Ahmed war das islamische Gesetz alles, was sein Land vom Zerfall des Westens trennte. Ohne das würde Saudi-Arabien zu Amerikas Marionette werden; sein arabischer Sklave. Amerika machte ihn krank – die hochnäsigen Frauen, der haarsträubende Materialismus, die Arroganz der verweichlichten westlichen Politiker. Er hatte sich heimlich gefreut, als die Zwillingstürme des World Trade Centers eingestürzt waren, und genüsslich beobachtet, wie radikale Muslime auf den Straßen tanzten. Wie die Ungläubigen im World Trade Center würden eines Tages alle Christen sich dem grimmigen Zorn Allahs stellen und sich für ihre Sünden verantworten müssen.

Bis dahin würden sie es mit ihm zu tun haben.

Er lebte für Nächte wie diese; er spürte das Blut durch seine Adern rauschen, alle Nerven-Enden in voller Alarmbereitschaft. Sein Ziel war die Untergrund-Hausgemeinde eines amerikanischen Missionars namens Charles Reed. Aber sein eigentliches Ziel, wie immer, war Reinheit für die Menschen des Königreichs.

Der Prophet Mohammed selbst – Friede sei mit ihm – hatte erklärt, dass es keine andere Religion als den Islam auf der arabischen Halbinsel geben solle. Es war geweihter Boden. Heilig. Er durfte nicht von westlichen Ungläubigen entweiht werden.

Aus diesem Grund war es nicht-islamischen Sekten verboten, öffentliche Versammlungen abzuhalten oder Gottesdienst zu feiern. Und auf das Konvertieren vom Islam zu einer anderen Religion stand immer noch die Todesstrafe.

Als junger Mann war Ahmed zusammengezuckt, wenn die Muttawa die religiöse Reinheit mit kaltherziger Brutalität, Folter, selbst Enthauptungen durchsetzten. Aber während er an Kraft und Eifer zunahm, begann Ahmed zu verstehen, dass das Vorankommen der Sache des Großen Propheten manchmal Blutvergießen erforderte. Er erinnerte sich immer noch an das erste Mal, als er persönlich Rache für Allah einforderte. Er wurde überwältigt von einem euphorischen Gefühl von Leidenschaft und Frieden. Er erlebte wie nie zuvor Allahs Wohlgefallen. An diesem Tag hatte er sein Leben dem Vorantreiben der Sache und der Bestrafung der Ungläubigen gewidmet.

Heute Abend erforderte diese Mission Ahmeds Anwesenheit am anderen Ende der Stadt in einem heruntergekommenen Apartmentkomplex. Obwohl er es leicht hätte tun können, dachte er nie auch nur einen Augenblick daran, diese schwere Aufgabe für Mohammed an jemand anderen zu delegieren. Und während seine Kolonne durch die dunklen Straßen von Riad brauste, saß er allein auf dem Rücksitz des ersten Zivilfahrzeugs mit angeschalteter Innenbeleuchtung, sah die Akte durch und genoss die Gedanken an seinen Plan.

Die Reed-Akte war dünn, die Informationen spärlich. Seite eins enthielt die Zusammenfassung. Dr. Reeds offizielle Beschäftigung in Saudi-Arabien, wie es auf seinem Visumsantrag aufgeführt war, war die eines Privatlehrers. Seine Frau Sarah gab sich als Schulangestellte aus. Aber Ahmed wusste, dass die Reeds in Wirklichkeit amerikanische Missionare waren, hierher geschickt, um Muslime zu täuschen und zu bekehren.

Laut seiner Quelle, einem loyalen Muslim, der vorgegeben hatte, sich bekehrt zu haben und der Gemeinde der Reeds beigetreten war, hatte sich die Kombination von Dr. Reeds leidenschaftlichen Predigten und der administrativen Fähigkeiten seiner Frau als erfolgreich genug erwiesen, mehr als nur ein paar Muslime fehlzuleiten. Heute Abend würde er ihren Verbrechen ein Ende setzen.

Seite zwei der Reed-Akte enthielt die schriftliche Erklärung der Quelle. Die Reeds und ihre Anhänger drängten sich jeden Freitagabend um sieben Uhr in dem stickigen Wohnzimmer der Reeds und bildeten eine der am schnellsten wachsenden Untergrundkirchen von Riad, besagte die Quelle. Die Reeds waren leidenschaftlich darin, die Teilnehmer zu konvertieren und zugleich ihre etwa zweistündigen Gottesdienste im Geheimen abzuhalten.

Aber es war nicht der Freitagabendgottesdienst, der Ahmed beschäftigte. Die Namen und Adressen dieser Gottesdienstbesucher konnten – und das war bereits tatsächlich geschehen – von seinem Informanten beschafft werden. Ein kleines Kirchentreffen verdiente nicht eine Minute von Ahmeds wertvoller Zeit. Aber in der eidesstattlichen Erklärung stand, dass die Reeds außerdem die Katalysatoren für ein ganzes Netzwerk von Untergrundgemeinden waren. Sie beteten an den Freitagabenden für diese anderen Kirchen. Manche wurden von den Reeds geleitet und trafen sich an anderen Orten zu Gottesdiensten. Manche wurden von anderen Pastoren geleitet, die wiederum von Reeds unterstützt und angeleitet wurden. Sie benutzten nie Namen und der Informant kannte weder die Leiter noch die Versammlungsorte dieser Gemeinden.

Aber Reed kannte sie. Und wenn ihm seine Frau und seine Kinder etwas bedeuteten, würde er sie heute Abend verraten.

Ahmed starrte auf die Passfotos des Paares. Die Jahre als Pastor waren nicht freundlich mit Charles Reed umgegangen. Ahmed grinste beim Anblick der bleichen und pockennarbigen Haut des untersetzten Amerikaners, der dicken Brille, des schütteren Haars, der tiefen Falten, die sich wie Ranken von den Augenwinkeln des Amerikaners weg ausbreiteten. Er würde eine leichte Beute sein. Weich. Beeinflussbar.

Sarah Reed war anmutiger gealtert. Ihre kurzen, welligen blonden Haare umrahmten ein Gesicht mit sanften Linien und glatter Haut. Hohe Wangenknochen ergänzten tiefblaue Augen, die selbst auf dem Foto vor Leben sprühten. Ahmed war überrascht, dass Sarah Reed sich nicht bemühte, diese Züge mit dem verabscheuenswerten Make-Up oder Schmuck des Westens zu unterstreichen. Ihr Aussehen sprach von einer natürlichen und angenehmen Wärme, von einer Frau, die für die arglosen Muslime, die sie in die Häresie führte, sofort zur Freundin und Vertrauten wurde.

Er war sich schon allein vom Ansehen der Fotos sicher, dass Charles Reed seine Frau innig liebte und alles tun würde, um sie zu schützen. Er war sich außerdem sicher, dass die Männer, die er zu dieser Razzia mitgebracht hatte, Charles Reed genug Gründe zur Sorge geben würden, zumal sie für ihre Neigung bekannt waren, westliche Frauen zu unterwerfen.

Ornament

Mehrere Stunden nach dem Anruf begann Sarah zu glauben, es sei falscher Alarm gewesen.

Von dem Anruf erschüttert, hatte sie zuerst vorgeschlagen zu gehen.

»Wo sollten wir hin?«, fragte Charles. »Bei wem sollten wir unterkommen – und ihn in Gefahr bringen?«

Sarah senkte den Blick und antwortete nicht.

»Früher oder später werden wir uns ihnen stellen müssen, wenn wir in diesem Land bleiben und diese Menschen erreichen wollen«, sagte Charles leise.

Ohne ein weiteres Wort nahm Sarah den Hörer auf und begann, Anrufe zu tätigen. Sie rief ein paar zuverlässige Freunde an und bat sie, sich um die Kinder zu kümmern. Sie rief sämtliche Familien der Gemeinde an, erklärte ihnen die Situation, sagte ihnen, der Gottesdienst müsse ausfallen und bat sie um ihre Gebete. Nur drei Gemeindemitglieder waren nicht zu Hause und obwohl es allen Regeln der noch jungen Untergrundbewegung widersprach, hinterließ sie eine angedeutete Warnung auf ihren Anrufbeantwortern.

Als Meredith und Steven sicher aus dem Haus waren, ging sie mit Charles daran, die Wohnung von allen religiösen Dingen zu reinigen. Charles fing mit dem Computer an. Er löschte Bibelsoftware, E-Mails, Dateien und Datensicherungskopien. Er speicherte Listen von Gemeindemitgliedern auf CDs.

Sarah sammelte alle CDs, Bibeln, Notenblätter, Adresslisten und Papiere von der Missionsgesellschaft zusammen und verstaute sie in zwei großen grünen Mülltüten. Sie nahm sogar die Kühlschrankmagneten mit den Bibelversen ab. Sie wickelte die Tüten zur Sicherheit in eine zweite Tüte, dann trug sie sie nach draußen.

Das Apartmenthaus der Reeds lag in einem vergessenen Teil der quirligen Stadt Riad. Es beherbergte Hunderte von Mietern, vor allem Ausländer, in gleich aussehenden Apartments, die sich nur durch die Nummer unterschieden. Das Gebäude roch nach abgestandenem Urin. Die Apartments hatten seit vielen Jahren keinen neuen Anstrich bekommen und die Müllcontainer auf dem Parkplatz quollen über. Sarah ging zielstrebig an den vollen Mülleimern vorbei und trug ihre schweren Tüten zu einem Müllcontainer in einem Komplex, der drei Häuserblocks entfernt lag.

Als sie mit ihrem »Frühjahrsputz« fertig waren, hätte die Wohnung genauso gut einem Atheistenpaar gehören können.

Es war Zeit zu beten. In den folgenden Stunden saßen Charles und Sarah nebeneinander und redeten. Miteinander und mit Gott. »Herr«, sagte Charles ruhig, während er am Küchentisch Sarahs Hand hielt, »wenn es dein Wille ist, befreie uns von den Muttawa und bewahre uns. Aber wenn es dein Wille ist, dass wir leiden, gib uns dieselbe Kraft und den Mut durch den Heiligen Geist, den du dem Apostel Paulus gegeben hast. Und schenke uns die Gnade, durch die Paulus sagen konnte, er freue sich, wenn er in deinem Namen leiden müsse. Und schütze vor allem Meredith und Steven und bewahre sie.«

Charles drückte Sarahs Hand. Sie erwiderte den Druck.

»Im Namen Jesu, amen.«

Sarah stand auf, um die Wohnung noch einmal zu inspizieren. Es wurde spät. Vielleicht würden sie nicht kommen. Es war fast acht Uhr. Vielleicht hatte der Herr ihre Gebete schon erhört.

Sie sah Charles an und zwang sich zu einem kleinen Lächeln. Er versuchte sich ruhig zu geben, aber Sarah hatte den Schweiß in seiner Handfläche während des Gebets gespürt und der Ausdruck des Schreckens war nicht aus den Tiefen seines Blicks gewichen.

Während sie dastand, steckte sie die Hände in die Taschen ihrer Jeans. Dann spürte sie es. Ihre Gebetskarte. Die tägliche Liste, die sie jedes Mal daran erinnerte zu beten, wenn ihre Finger in ihre Tasche griffen. Sie lächelte über die Art, wie der Herr sie eben daran erinnert hatte, sie loszuwerden. Sie hatte das ganze Haus sorgfältig durchkämmt und dabei die Liste in ihrer eigenen Tasche vollkommen vergessen.

Sie zog sie heraus, um die Namen ein letztes Mal zu lesen, während sie auf die Tür zuging. Die Karte würde mit dem anderen Zeug im Mülleimer verschwinden. Aber vorher würde sie versuchen sie auswendig zu lernen. »Bitte um Erlösung«, stand auf der Liste, »für Hanif und für Khartoum, der zum Gottesdienst kommt, aber nie …«

Sie hörte mitten im Satz auf zu lesen und erstarrte mitten im Schritt. Ein Geräusch – vielleicht ein Schlurfen – vom Treppenabsatz vor der Tür. Ihr Blick schoss zu Charles hinüber, der den Zeigefinger an die Lippen legte. Sie griff in ihre Bluse und stopfte die Liste in ihren BH. Wieder ein Geräusch, gedämpfte Stimmen …

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Um 20.02 Uhr waren Ahmed und seine Schläger die Stufen hinaufgestiegen und versammelten sich vor Apartment 3C. Er gab seine Befehle in leisem, rauem Arabisch.

Im nächsten Moment brachen er und seine Männer durch die Holztür der Wohnung und ließen den Zorn Mohammeds auf Sarah und Charles Reed niedergehen.

2

Für Sarah verschwammen die Ereignisse in einem Nebel ungeordneter Bilder, die so schnell aufeinanderfolgten, dass der Blick sich nicht fokussieren konnte.

Ohne anzuklopfen brachen zwei große Muttawa-Agenten durch die Holztür, zerstörten den Riegel und zerschmetterten die Tür. Zwei weitere folgten rasch mit gezogenen Pistolen, während Befehle auf Arabisch durch den Raum flogen.

Ein älterer Mann trat als Nächster schnell durch die gesplitterte Tür; er hatte eindeutig das Sagen und sein Blick loderte, als er die Wohnung taxierte. Er war nicht groß, aber er hatte die Figur eines Footballspielers, dunkle Haut und einen finsteren Blick. Tiefe Falten knitterten sein ledriges Gesicht und ein dünner, drahtiger Bart bedeckte sein Kinn. Sein eindringlicher Blick ging direkt durch Sarah hindurch, bis sie von ihm wegschaute.

Der Mann ließ einen Strom grimmiger arabischer Flüche von sich. Sarah verstand nicht alles, aber sie bekam das Wesentliche mit. Er erwartete einen Gottesdienst. Man hatte ein falsches Spiel mit ihm getrieben. Sie würden dafür bezahlen. Die Verräter würden sterben. Die anderen Männer begannen sich auf sie und Charles zuzubewegen.

Sarah wich instinktiv in Richtung Wohnzimmer zurück, das neben der Küche lag, die Hände über den Kopf erhoben. Sie sah hinüber zu Charles, der wie erstarrt immer noch am Küchentisch stand. Er hatte seine eigenen Hände hinter den Kopf gelegt, wie sie es in den Filmen taten. Seine Miene wandelte sich schnell von Bestürzung zu Ruhe und er nickte Sarah fast unmerklich zu. Aus irgendeinem Grund war der Schrecken fort. Sein ruhiger Blick beruhigte auch Sarah.

Ein magerer Agent mit kleinen, dunklen Augenschlitzen und einer Narbe auf der linken Wange begann den Reeds auf Arabisch Befehle zuzubrüllen. »Hände über den Kopf! Breiten Sie die Beine aus und stellen Sie sich an die Wand!«

Sarah drehte sich im Wohnzimmer sofort mit dem Gesicht zur Wand und reckte den Hals ganz leicht seitwärts in Richtung Küchentisch und Charles. Er bewegte sich langsamer und sie sah, wie ein anderer von Ahmeds Männern ihm den Unterarm in den Rücken rammte und ihn an die Wand knallte. Seine Nase traf hart auf und Blut begann auf den Boden zu tropfen. Charles behielt die Hände über dem Kopf, während der Agent hinter ihm stand und rhythmisch die Fäuste ballte.

Sarah warf einen schnellen Blick über die Schulter auf den offenkundigen Anführer. Seine Augen hinter der Vermummung waren rot und emotionsgeladen, wie ein schlecht entwickeltes Foto. Obwohl sie den Blick augenblicklich wieder der Wand zuwandte, wusste sie, dass sich diese Augen für immer in ihr Gedächtnis eingegraben hatten, eingraviert als Erinnerung an diese furchtbare Nacht.

Sie wünschte, sie hätte nicht hingesehen.

Sie spürte, wie der Mann sich langsam und gezielt hinter sie bewegte. Innerhalb von Sekunden konnte sie den schalen Atem über ihre Schulter riechen und fühlen, wie die schwielige Hand in ihren Nacken griff. Er drückte zu und der Schmerz schoss durch ihren Kopf. Sie wollte schreien, konnte aber nur wimmern.

»Fordere mich nicht heraus«, flüsterte er heiser. »Sieh mir nicht in die Augen!« Die anderen Männer in der Wohnung hielten in ihren Bewegungen inne. Sarah hörte nichts als den schweren Atem des Mannes in ihrem Ohr.

Er drückte noch einmal mit Finger und Daumen zu. Ihre Knie sackten ihr vor Schmerz unter dem Körper weg und sie gab einen mitleiderregenden Laut der Unterwerfung von sich. Er lockerte seinen Griff und trat einen Schritt zurück.

Sarah holte stockend Atem und ließ langsam ein Stöhnen entweichen. Sie versuchte sich darauf zu konzentrieren, dass sie stehen blieb, und lehnte sich schwer gegen die Wand. Der Raum drehte sich und das Pochen in ihrem Nacken ließ nicht nach.

Sie würde sie nicht noch einmal ansehen.

Jemand begann die Anklagen vorzutragen. Vielleicht der Mann mit der Narbe; das gebrochene Englisch klang wie seines.

»Wir haben Grund zur Annahme, dass Sie die Leiter einer kriminellen … wie sagt man bei Ihnen … Verschwörung sind«, verkündete er. »Wir wissen, dass Sie über eine Gruppe von Leuten, die sich, äh, als Kirchengemeinde ausgibt, Kokain verkaufen. Wir haben Haft- und Durchsuchungsbefehle.«

»Ich will Ihre Berechtigungsschreiben sehen.« Sarah hörte Furcht in Charles' Worten. Seine Stimme, eine Oktave höher als normalerweise, klang eher wie ein Wimmern als wie ein Befehl. Aber er stammelte tapfer weiter: »Diese Anklagen sind lächerlich.«

Ein scheußlicher, dumpfer Schlag brachte Sarah dazu, einen Blick in die Küche zu werfen. Charles' Gesicht mit der blutigen Nase war gegen die Wand geschmettert worden, seine Brille lag auf dem Boden. Charles stöhnte vor Schmerz, als ein dicker Agent die Brille mit dem Absatz zertrat und Charles' Gesicht fester gegen die Wand drückte. Der Schlag hatte eine Platzwunde über Charles' linkem Auge verursacht und noch mehr Blut rann an seinem Gesicht herab und tropfte auf den Boden.

Sarah schrie durchdringend beim Anblick des Bluts, dann hörte sie abrupt auf, als der Lauf einer Pistole ihren eigenen Nacken berührte. Sie begann zu zittern und lautlos zu schluchzen. Sie schloss die Augen, um die Bilder auszulöschen. Aber alles, was sie in der Dunkelheit sah, war Charles' blutüberströmtes Gesicht. Und die boshaften Augen des Muttawa-Anführers.

In den nächsten Minuten begannen die Männer die Wohnung zu durchwühlen. Sarah versuchte den Schmerz und die Angst niederzukämpfen, ihr schlanker Körper wurde geschüttelt, während sie lautlos schluchzte. Sie hielt die Augen geschlossen und horchte, wie die Agenten von Zimmer zu Zimmer gingen und alles auf den Kopf stellten. Sie zerlegten, zerstörten und durchsuchten alle Räume.

Sie betete um Mut.

Ein Tumult im Schlafzimmer ließ ahnen, dass sie etwas gefunden hatten. Die Männer versammelten sich kurz im Flur und begannen dann mit neuem Schwung, den Rest der Wohnung auf den Kopf zu stellen. Der Mann hinter Sarah rammte ihr die Pistole fester gegen den Schädel, eine Warnung, die ihre Wirkung auf sie nicht verfehlte, dann zog er sie weg und schloss sich den anderen bei ihrer Suche an. Sarah brachte endlich den Mut auf, vorsichtig über ihre Schulter zu blicken, als die Männer das Wohnzimmer in Angriff nahmen. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als die Agenten die Sofakissen aufschnitten und Päckchen mit einer pulverigen, weißen Substanz herauszogen.

Wir wurden hereingelegt, ging ihr auf. Was nun?

Als die Durchsuchung zu Ende war, sah die kleine Wohnung aus wie ein Kriegsgebiet. Die Agenten beschrifteten und stapelten die Plastiktüten sorgfältig auf dem Couchtisch.

»Ahmed!«, rief der Agent mit der Narbe den Anführer und deutete auf den Stapel. »Zehn Kilo«, sagte er mit einem grausamen Lächeln.

Sarah sah Charles fragend an, in der lautlosen Sprache, die in den gemeinsamen Jahren einer Ehe entsteht.

Was sollen wir tun?

In seinem festen Blick lag weiterhin Frieden, ein Sich-Abfinden mit der Tatsache, dass er für seinen Glauben verfolgt wurde. Seine Gelassenheit war ihre Stärke und für einen Augenblick glaubte sie, es würde wirklich alles gut werden.

Der Mann namens Ahmed verteilte weitere Befehle und die Agenten stürzten sich wieder auf ihre Aufgaben. Sie drehten einen Küchenstuhl in Richtung Wohnzimmer um, warfen Charles darauf, dann rissen sie seine Arme nach hinten. Ahmed beugte sich über Charles, das Gesicht nur Zentimeter von seinem entfernt.

»Wir finden zehn Kilo Koks«, prahlte Ahmed. »Sie werden bald ein berühmter Drogenbaron sein. Aber Sie sind auch ein amerikanischer Missionar – ja?«

Charles Reed sagte nichts. Er hielt den Blick auf den Boden gesenkt.

»Ignorieren Sie mich nicht!«, verlangte Ahmed. Er schnappte Charles' Haare und riss sein Gesicht nach oben. »Sehen … Sie … mich … an!«, knurrte er.

Charles verengte seine blutverklebten Augen zu Schlitzen und starrte zurück. In seinem Blick lag Trotz, wie es Sarah noch nie gesehen hatte.

»Ich will Namen und Adressen von anderen Kirchenleitern«, sagte Ahmed leise und schroff. Ohne nachzudenken, fing Sarah an, langsam den Kopf zu schütteln. Ihr Mann konnte sie nicht mehr sehen, sie wurde vom massigen Körper seines Befragers abgeschirmt. Doch Sarah bestärkte ihren Mann in Gedanken, sich diesem üblen Mann zu widersetzen. Bleib standhaft, flehte sie ihn lautlos an, gib ihm keinen einzigen Namen!

»Aha«, knurrte Ahmed, ließ seine Haare los und beobachtete Charles, der weiterhin auf den Boden starrte. »Sie machen es mir schwer.«

Er wandte sich an die Agenten im Wohnzimmer. »Macht mit der Suche weiter!«, befahl er auf Arabisch, aber diesmal gab er seine Befehle langsam und sprach die Worte deutlich aus, damit die Reeds ihn verstehen konnten. »Zieht der Frau die Kleider aus und durchsucht sie nach Drogen, jedes Versteck an ihrem Körper. Amüsiert euch.«

Sarah erstarrte.

Wie angetrieben von der Angst seiner Frau reagierte Charles mit dem verzweifelten Impuls eines Mannes, der nichts zu verlieren hat. Er sprang von dem Stuhl auf und schüttelte einen Agenten ab, gerade als Ahmed sich wieder zu ihm umwandte. Charles senkte den Kopf und setzte sich in Bewegung. Er landete einen perfekten Kopfstoß, indem er seine Stirn wie einen Rammbock gegen Ahmeds Kinn trieb.

Ahmed taumelte rückwärts, spuckte Blut, gewann den Halt aber schnell wieder. Mit der fließenden Bewegung eines Kampfsportexperten wirbelte er herum und traf mit seinem Fuß direkt die Seite von Charles' Gesicht; das Geräusch von brechenden Knochen zeugte von der Kraft des Schlags. Charles' Kopf wurde zur Seite gerissen und sein Körper wurde gegen die Küchenwand geschleudert, wo er hilflos zu Boden fiel.

Sarah verbarg ihr Gesicht in den Händen und schrie.

Ein großer Agent riss sie augenblicklich herum und klemmte ihr eine Hand über den Mund. Sie biss ihn. Fest. Und sie riss ihr Knie mit aller Kraft nach oben. Er riss seine Hand zurück, krümmte sich und fluchte.

Aber jetzt waren zwei weitere Agenten über ihr, drängten sie an die Wand und stopften ihr eine Art Stoff in den Mund. Die zierliche Frau hatte keine Chance gegen diese Männer. Sie hielten ihre Arme und Beine fest. Dann machten sie sich über ihre Kleidung her, rissen ihre Baumwollbluse auf, gafften und grinsten dumm.

Die Gebetsliste, erinnerte sie sich, sie werden die Gebetsliste sehen!

Dieser Gedanke gab ihr neue Energie und in einer von Adrenalin erzeugten, explosiven Bewegung entglitt sie einem Angreifer und warf sich auf den anderen. Er konnte ihren Schlägen gerade noch ausweichen, packte sie in einer ungestümen Umarmung und warf sie rückwärts zu Boden, wobei er direkt auf ihr landete. Ihr Kopf wurde zurückgeworfen und schlug hart auf dem dünnen Teppich auf.

Alles wurde schwarz.

Ornament

Brad checkte noch einmal seine Notizen und wappnete sich. Ichabod würde den Zeugen diese Fragen niemals beantworten lassen; trotzdem musste er fragen. Wenn man einen Fall verhandelte, bei dem man schon die Berufung im Hinterkopf hatte, musste man sich an das Protokoll halten. Die Richterin ihr Urteil sprechen lassen. Ihre Befangenheit demonstrieren.

»Glauben Sie, dass menschliches Leben mit der Empfängnis beginnt?«, fragte Brad Reverend Bailey direkt.

»Einspruch!«

»Stattgegeben«, entschied Ichabod. »Diese Frage wird aus dem Protokoll gestrichen.«

»Haben Sie eine Grundlage in der Bibel für Ihren Glauben, dass menschliches Leben mit der Empfängnis beginnt?«, ließ Brad nicht locker.

»Einspruch, Euer Ehren«, lamentierte Staatsanwältin Angela Bennett. »Diese Frage geht davon aus, dass der Zeuge die vorherige Frage beantwortet hat, was er nicht getan hat.«

»Stattgegeben«, schnappte Ichabod. »Mr. Carson, gehen Sie zu etwas Relevantem über.«

»Glauben Sie, dass Abtreibung Mord ist?«

Bennet stand auf, hatte jedoch keine Zeit Einspruch zu erheben. »Mr. Carson!« Ichabods Stimme war schneidend. »Verstehen Sie Englisch? Die persönlichen Ansichten des Reverend über Abtreibung sind nicht relevant. Nicht relevant. Kommen Sie jetzt zu einem Thema, das für den Fall relevant ist, oder setzen Sie sich, damit der Zeuge ins Kreuzverhör genommen werden kann.«

»Dürfte ich zumindest den Grund für meine Fragen erläutern?«, fragte Brad mit einer Spur Sarkasmus in der Stimme.

»Nein.«

Bennett grinste selbstgefällig und setzte sich.

Brads Blick bohrte sich in den von Ichabod, während er seine nächste Angriffswelle plante. Die nächste Frage kam langsam aus seinem Mund, doch er hielt seinen Blick auf die Richterin gerichtet und forderte sie heraus, die Frage für unzulässig zu erklären. »Laut dem Gesetz muss man vorsätzlich versuchen eine Frau zu überzeugen, die Klinik nicht zu betreten und eine Abtreibung vornehmen zu lassen«, erklärte Brad. »Was war Ihr Ziel, als Sie auf dem Gehweg vor der Klinik gebetet haben?«

Ichabod runzelte die Stirn, sagte aber nichts.

»Gott um Erbarmen zu bitten«, sagte der Reverend. Brad wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Zeugen zu. Der Mann sah blasser und zerbrechlicher aus als je zuvor.

»Und warum haben Sie beschlossen, dieses Gebetstreffen vor der Abtreibungsklinik abzuhalten?«

»Weil dort das Böse stattfand«, sagte der Reverend leise.

»Sprechen Sie lauter«, verlangte Ichabod, »und gehen Sie näher ans Mikrofon!«

»Weil dort das Böse stattfand«, wiederholte Reverend Bailey. »Dort starben die Babys.«

»Ist der Platz vor der Abtreibungsklinik der einzige Ort, wo Sie diese Art von Gebetstreffen abgehalten haben?«, fragte Brad.

Die Staatsanwältin stand bereits wieder, doch ihr Einspruch wurde durch einen raschen Blick von Ichabod verhindert.

»Bemühen Sie sich nicht«, sagte die Richterin unwirsch. »Bemühen Sie sich nicht Einspruch zu erheben, weil ich die Frage zulassen werde. Ich werde Mr. Carson das ganze Seil geben, das er braucht, um sich selbst zu erhängen.«

Bennett zuckte die Achseln und setzte sich.

»Nein, das ist es nicht«, sagte der Reverend und beugte sich dabei zum Mikro vor.

»Was ist es nicht?«, fragte Brad.

»Es ist nicht der einzige Ort, wo wir Gott darum gebeten haben, Erbarmen zu haben und dem Bösen Einhalt zu gebieten. Meine Gemeinde und ich haben in den letzten Jahren vor unserer örtlichen Apotheke gebetet, als sie anfingen, die RU-486-Pille auszugeben, und vor ein paar Bars am Military Highway. Und, Sie wissen schon, an diesen gewissen Orten …« Er verstummte und lehnte sich wieder zurück.

Brad warf ihm einen vorwurfsvollen Seitenblick zu. »Gibt es sonst noch Orte, an die Sie sich erinnern … wo Sie Gott gebeten haben, ein Übel zu beenden?«

»Wie könnte das relevant sein?«, fragte die frustrierte Angela Bennett.

»Weil es zeigt, dass Reverend Bailey nicht mit dem Ziel zu der Abtreibungsklinik ging, schwangere Frauen zu überreden, wie es durch das Gesetz verboten ist«, antwortete Brad. »Sein Ziel war es, zu dem Gott zu beten, an den er glaubt, und das ist nicht verboten. Und es zeigt, dass er mit seiner Gemeinde auch an anderen Orten gebetet hat, an denen er böse Einflüsse wahrnahm, und zwar ebenfalls, um zu Gott zu beten. Kurz gesagt: Es zeigt ein Muster auf.«

Brad sah die Richterin an und wartete auf ihr Urteil. Er wusste, sie hatte nichts für diese Argumentation übrig, doch genauso wenig mochte sie die Aufhebung ihrer Urteile in Berufungsverhandlungen, weil sie sich nur auf Beweismaterial verlassen und schlechte Urteile gefällt hatte.

»Fahren Sie fort«, sagte Ichabod, ohne ihre Ungeduld zu verbergen. »Gibt es noch andere Orte, wo Sie dieses Gebets-Ding gemacht haben?«

»Nur noch einen Ort«, sagte Reverend Bailey kleinlaut. Er zögerte. Der ganze Gerichtssaal wartete.

»Die Treppe vor dem Gerichtsgebäude.«

»Das ist lächerlich!«, sagte die Staatsanwältin scharf.

»Da stimme ich zu«, bellte Ichabod. »Die Bemerkung wird aus dem Protokoll gestrichen!«

Ihr Gesicht färbte sich rot und die Ader pulsierte.

Sie hatte den Köder geschluckt.

3

Charles Reed versuchte sich zu konzentrieren. In seinem Kopf schwirrte ein Durcheinander aus Wut, Schmerz und Hilflosigkeit. Zwei muskulöse Agenten zwangen ihn zurück auf den Küchenstuhl und hielten ihm die Arme hinter dem Rücken fest. Ahmed stand vor ihm. Sarah lag regungslos auf der Wohnzimmercouch.

Sie lebte, das wusste er. Und durch Gottes Barmherzigkeit war sie nicht belästigt worden. Nachdem sie das Bewusstsein verloren hatte, begann Ahmed erneut Befehle zu bellen: Kontrolliert ihren Puls! Legt sie aufs Sofa! Holt diese Liste aus ihrem BH! Lasst sie in Ruhe!