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Über dieses Buch:

So eine Unverschämtheit! Die temperamentvolle Sandy Ferris ist außer sich vor Wut. Ihre Eltern verlangen, dass sie gegen ihren Willen einen vermögenden Mann heiratet, damit der mit seinem Geld das Familienunternehmen rettet. Auf gar keinen Fall! Hals über Kopf bricht die junge Frau auf, um ihren eigenen Traum zu leben: Sie will als Sängerin berühmt werden. Auf dem Weg nach Nashville lernt Sandy den charismatischen Jim Frazer kennen – und verliebt sich Hals über Kopf. Aber muss sie dafür ihre eigenen Pläne opfern? Oder werden ihre Eltern sie finden und wieder zurück nach Hause holen?

Die Romantic-Kiss-Romane bei dotbooks: Große Liebesgeschichten und prickelnde Flirts für die schönsten Lesestunden.

Über die Autorin:

Isabelle Wallon, geboren 1957, schreibt seit 20 Jahren Romane in den unterschiedlichsten Genres. Sie lebt und arbeitet in Hessen. Bei dotbooks erscheinen ihre folgenden Romantic-Kiss-Romane: Urlaub – Liebe inbegriffen / Der Geliebte aus Texas / Zu viel Liebe – gibt es das? / Immer wenn ich von dir träume / Verführung in Caracas / Liebe, so stürmisch wie das Meer / Ein total verrücktes Wochenende / Halt mich fest in deinen Armen / Bleib heute Nacht bei mir / Mit dir in meiner Hängematte / Traumfrau ohne Trauschein / Paris-New York mit Turbulenzen

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Überarbeitete Neuausgabe Mai 2014

Eine ältere Fassung dieses Romans erschien bereits 1988 unter dem Titel Nachts, wenn die anderen schlafen bei Bastei-Lübbe.

Copyright © © 1988 by Bastei-Verlag, Gustav H. Lübbe GmbH & Co.

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: init | Kommunikationsdesign, Bad Oeynhausen, unter Verwendung eines Motiv von thinkstockphotos, München

ISBN 978-3-95520-367-2

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Isabelle Wallon

Immer wenn ich von dir träume

Ein Romantic-Kiss-Roman

dotbooks.

Kapitel 1

»Ich will nicht!«, sagte Sandy Ferris entschlossen und zog einen Flunsch. »Erst recht nicht diesen aufgeblasenen Geldsack Steve Whitcomb!«

»Kind, so darfst du doch von Steve nicht reden«, erwiderte Mrs. Ferris entsetzt und warf ihrem Mann einen hilfesuchenden Blick zu. »Er ist doch ein netter Mann, den wir alle sehr gernhaben.«

»Ihr vielleicht. Aber ich nicht«, antwortete Sandy und schüttelte sich vor Entsetzen, als sie sich vorstellte, Steve heiraten zu müssen. Dabei war er doch fast doppelt so alt wie sie.

»Sandy, jetzt sei bitte nicht so dickköpfig.« Ihr Vater versuchte es im Guten, weil er begriff, wie wenig Sandy der Gedanke gefiel, Steve Whitcomb als Ehemann zu haben. »Du und Steve – ihr beide wart doch schon ab und zu miteinander aus. Mutter und ich hatten den Eindruck, als ob ihr beiden euch ganz gut versteht …«

»Das ist aber nicht so!«, stieß Sandy aufgebracht hervor. »Steve ist nervtötend, altmodisch und überaus langweilig! Eher wandere ich aus auf eine einsame Insel, bevor ich den heirate!«

»Überleg dir das noch einmal, Sandy«, bat ihr Vater sie. »Du weißt doch, wie viel für uns alle davon abhängt. Denk doch auch einmal an Mutter und mich. Steve hat eine gutgehende Firma und würde nicht nur gut für dich sorgen, sondern auch mich finanziell ein wenig unterstützen. Du weißt doch, dass in letzter Zeit die Umsatzzahlen nicht gerade gestiegen sind. Eher das Gegenteil ist der Fall.«

»Du willst doch nicht etwa sagen, dass ich ihn nur deswegen heiraten soll, damit du deine Firma sanieren kannst?« Sandy war jetzt noch entsetzter als zuvor. »Weißt du, wie man ein solches Geschäft bezeichnet? Moderner Sklavenhandel ist das. Und ich bin die heißbegehrte Ware! Vater, schämst du dich eigentlich gar nicht, so etwas von mir zu verlangen? Weißt du nicht, dass du meine Gefühle mit Füßen trittst?«

»Manchmal muss man sich eben arrangieren«, kam Sandys Mutter ihrem Mann zu Hilfe. »Du und Steve – ihr beide habt doch alle Zeit der Welt, um euch in Ruhe kennenzulernen. Es muss ja nicht immer Liebe auf den ersten Blick sein. So etwas muss erst einmal wachsen. Du wirst sehen, dass er ein höflicher und zuvorkommender Mann sein kann …«

»Ich sagte bereits, ich will nicht«, wiederholte Sandy noch einmal. »Für mich ist dieses Thema beendet. Ihr könnt mich nicht zwingen, einen Mann zu heiraten, den ich überhaupt nicht liebe. Erst recht nicht, wenn das schon ein halber Greis ist.«

Ihre Mutter zuckte zusammen. Ihr Vater lag eine heftige Erwiderung auf der Zunge, aber äußern konnte er sie nicht mehr, weil Sandy fortfuhr: »Wenn ihr zu feige seid, um Steve zu sagen, was ich von ihm halte, dann überlasst mir das! Ich habe euch schon hundertmal gesagt, was ich für Zukunftspläne habe. Da ist für eine Ehe überhaupt keine Zeit.«

»Fängst du schon wieder an mit diesen Träumereien, Kind?«, stöhnte Mr. Ferris. »Schlag dir doch endlich diese Flausen aus dem Kopf, Sandy. Mädchen, die von einer Karriere als Sängerin träumen, gibt es wie Sand am Meer. Und du glaubst, dass ausgerechnet du es schaffen kannst?« Er lachte und schüttelte den Kopf. »Nein, Sandy. Das ist doch alles Unsinn.«

»Ein Mädchen wie du sollte heiraten und eine Familie haben«, unterstützte Mrs. Ferris ihren Mann. »Steve hat mir schon anvertraut, wie sehr er sich danach sehnt, mit dir eine Familie zu gründen …«

»Das kann ich mir gut vorstellen«, erwiderte Sandy ironisch. »So wie der mich jedes Mal angeschaut hat, würde der mich doch am liebsten auf der Stelle vernaschen, wenn er nur dürfte. Aber da hat er sich in den Finger geschnitten, und zwar ganz gehörig!«

»Jetzt reicht es aber!« Mr. Ferris schlug mit der Faust so hart auf die Platte des Mahagonitisches, dass die gläserne Karaffe mit dem Bourbon gefährlich ins Wanken geriet. »Sandy, solange du in diesem Haus wohnst, hast du dich gefälligst nach uns zu richten. Du bist noch viel zu jung, um den Ernst des Lebens zu begreifen. Deshalb muss man frühzeitig die Weichen stellen, um dir eine glückliche Zukunft aufzubauen. Hinterher wirst du es uns noch einmal danken, dass du Steve geheiratet hast!«

Sandy hatte genug von diesen Vorhaltungen, die nun schon seit gut zehn Minuten auf sie einprasselten. Sie war fest entschlossen, ihr eigenes Leben zu leben. Und zwar so, wie sie es wollte!

»Bleib hier, Kind!«, rief ihre Mutter, als sie sich zur Tür wandte. »Du kannst doch nicht einfach …«

Den Rest bekam Sandy schon gar nicht mehr mit. Ihr war hundeelend zumute, als sie das Zimmer verließ und die Tür mit einem heftigen Knall zuschlug. Jetzt liefen ihr Tränen die Wangen herunter, während sie unterdrückt aufschluchzte.

Sandy war froh, als sie ihr Zimmer erreicht hatte und die Tür hinter sich schließen konnte.

Unten hörte sie noch ganz schwach die wütende Stimme ihres Vaters, für den jetzt – wie schon so oft – wieder einmal eine Welt zusammengebrochen war. Nur weil etwas nicht nach seinen Vorstellungen ablief.

»Ich werde ihn nicht heiraten«, murmelte Sandy vor sich hin und wischte sich die Tränen ab, nachdem sie sich wieder etwas beruhigt hatte. »Nicht Steve Whitcomb …«

Ihre Blicke schweiften durch das Zimmer und blieben auf der Gitarre hängen, die neben dem Spiegel an der Wand lehnte. Darüber hing ein etwas verblichenes Poster von der Grand Ole Opry in Nashville, Tennessee.

Sandy begann, mit offenen Augen zu träumen, wie es oft der Fall war, wenn sie sich allein in ihrem Zimmer aufhielt. Automatisch griff sie nach der Gitarre und begann, ein paar Akkorde anzuschlagen. Ihr Blick war auf das Poster gerichtet.

Die Grand Ole Opry in Nashville, das Zentrum der Country-Music … Wie oft hatte sich Sandy schon vorgestellt, dort einmal aufzutreten, zu spielen und zu singen! Es musste ein geradezu unbeschreibliches Gefühl sein, vor Hunderten

von Zuhörern zu stehen …

Sandys Gedanken brachen ab, als sie sich wieder an die hässliche Szene von eben erinnerte. Sie dachte an Steve Whitcomb, der zwar alles andere als gut aussah, dafür in der Geschäftswelt umso erfolgreicher war. Eine Gänsehaut lief über Sandys Rücken, als sie sich vorstellte, dass Steve mit ihr …

»Nein!«, sagte Sandy entschlossen und stellte die Gitarre beiseite. »Nie im Leben!«

Ein plötzlicher Gedanke schoss ihr durch den Kopf, der immer konkretere Formen annahm. Natürlich, das war die Lösung, um sich alldem zu entziehen! Warum hatte sie nicht früher schon an so etwas gedacht? Hatte es denn erst so weit kommen müssen, dass sie aus lauter Verzweiflung keinen anderen Weg mehr sah?

Schritte erklangen draußen auf dem Flur, die vor ihrer Zimmertür stoppten. Sandy sah, wie jemand die Türklinke herunterdrückte. Aber die Tür war verschlossen.

»Sandy, mach auf!«, vernahm sie nun die ungeduldige Stimme ihres Vaters. »Ich muss mit dir reden. Hörst du nicht?«

»Ich möchte allein sein!«, gab Sandy heftig zurück. »Begreife das doch endlich, Dad!«

Mr. Ferris schien aber dafür kein Verständnis zu haben. Im Gegenteil. Er rüttelte noch mehr an der Tür und klopfte jetzt noch einmal.

»Sandy, ich will unbedingt mit dir sprechen! Mit deinem Trotzkopf kommst du bei mir und deiner Mutter nicht durch, das sage ich dir. Von jetzt an werden wir andere Saiten aufziehen. Nur damit du es weißt – Mutter hat gerade Steve angerufen und ihn für morgen Mittag zum Essen eingeladen. Sie hat ihm gesagt, wie sehr du dich über seinen Besuch freust, weil du etwas Wichtiges mit ihm zu bereden hast. Weißt du, was Steve daraufhin geantwortet hat? Dass er sich glücklich schätzt, dich morgen sehen zu dürfen!«

Jedes der Worte ihres Vaters traf Sandy wie ein Hammerschlag. Sie war sprachlos vor Entsetzen, was man da gegen ihren Willen einfädelte. Hatten ihre Eltern denn wirklich kein Verständnis für sie? Ganz bestimmt nicht, sonst würden sie nicht darauf bestehen, dass sie Steve heiratete. Anscheinend hatte nur Sandy bisher bemerkt, welchen Charakter dieser Mann besaß!

Sandy atmete auf, als die Schritte ihres Vaters draußen auf dem Flur verklangen. Offensichtlich hatte er eingesehen, dass heute mit ihr nichts anzufangen war.

Und morgen ist es ohnehin zu spät, dachte Sandy verbittert. Dann bin ich nämlich längst auf und davon!

***

In den unteren Räumen des Hauses war es still geworden. Die Zeiger der Uhr standen auf kurz vor Mitternacht, als Sandy mit ihren Vorbereitungen fertig war. Nachdem sie noch einmal gründlich über alles nachgedacht hatte, war sie zu dem Schluss gekommen, dass es für sie wirklich nur den einen Weg gab, um dieser Misere zu entkommen – sie musste weg von hier, und zwar so schnell wie möglich!

Mit klopfendem Herzen hatte sie abgewartet, bis ihre Eltern zu Bett gegangen waren. Ihre Aufregung legte sich nicht im mindesten, während sie leise zwei Koffer vom Speicher holte. Sandy packte alles ein, was sie benötigte, um sich auf eigene Faust durchschlagen zu können. Noch gestern hätte sie der Gedanke vielleicht erschreckt, von daheim weggehen zu müssen. Aber da war die Situation auch noch nicht so schlimm wie jetzt gewesen.

Daran sind nur meine Eltern schuld, dachte Sandy. Ich lasse mir keinen Ehemann so einfach aufzwingen. So einen wie Steve ganz bestimmt nicht!

Sie atmete auf, als sie mit dem Kofferpacken fertig war. Natürlich durften auch das Poster der Grand Ole Opry und die Gitarre nicht fehlen.

Zum Glück war Sandy erst gestern auf der Bank gewesen und hatte sich Geld geholt, weil sie morgen eigentlich einen ausgedehnten Einkaufsbummel hatte unternehmen wollen. Das fiel nun flach, aber das Geld würde einen anderen guten Zweck erfüllen. Es würde ihr helfen, wenigstens die ersten Tage über die Runden zu kommen. Was dann geschah, würde sich schon irgendwie finden! Darüber machte sich Sandy zunächst überhaupt keine Gedanken.

Sie warf noch einen Blick auf die Uhr, bevor sie nach den beiden Koffern griff und leise das Zimmer verließ. Mit der Gitarre und dem schweren Gepäck war es nicht gerade leicht, unbemerkt aus dem Haus zu kommen. Aber der Gedanke an eine Heirat mit Steve war einfach so schrecklich, dass Sandy es tatsächlich schaffte, fast geräuschlos die Treppe hinunterzuschleichen.

Ihr Herz pochte wie wild, als sie endlich das Ende der Stufen erreicht hatte. Die Haustür lag greifbar nahe. In wenigen Augenblicken würde sie es hinter sich haben. Dann brauchte sie nur noch über das Grundstück zu gehen, hinüber zu den Garagen, die ein wenig abseits hinter einer Hecke lagen. Das war jetzt bestimmt von Vorteil. Denn auf diese Weise bekamen ihre Eltern nicht mit, wie sie in ihren Wagen stieg und davonfuhr. Die beiden hatten ohnehin einen tiefen und ruhigen Schlaf …

Als Sandy einen der Koffer absetzen und ihre Hand nach dem Griff der Haustür ausstrecken wollte, übersah sie die Blumenvase auf dem Tisch neben der Tür. Die Vase mitsamt den Blumen geriet ins Wanken und polterte auf den Boden. Zwar dämpfte der Teppich das Geräusch, aber in der Stille der Nacht kam es Sandy trotzdem vor wie eine Explosion. Sie wurde kreidebleich und blickte ängstlich zu dem Flur hinüber, der zum Schlafzimmer ihrer Eltern führte. Sie erwartete, dass jeden Augenblick das Licht anging und ihr Vater in der Tür stand.

Aber nichts geschah. Es blieb alles dunkel und still. Sandy atmete auf, als sie weiterging und schließlich die Haustür öffnete. Geräuschlos schloss sie die Tür hinter sich und lief zu den Garagen hinüber.

Sandy wischte sich den Schweiß von der Stirn, als sie endlich die schweren Koffer auf den Rücksitz ihres Wagens hieven und auch die Gitarre ablegen konnte. Alles Weitere war jetzt ein Kinderspiel.

Das Tor der Garage ließ Sandy offen, nachdem sie den Motor des kleinen Ford gestartet hatte und hinausgefahren war. Sie wollte nur noch eins: so schnell wie möglich weg von hier.

Als sie vom Grundstück fuhr, blickte sie noch ein letztes Mal zum Haus ihrer Eltern zurück, das auch jetzt noch im Dunkeln lag. Schon ein seltsames Gefühl, wenn man einfach über Nacht abhaut, dachte Sandy. Aber sie sind schuld daran, dass es so weit kommen musste, und nicht ich!

Sie beschloss, die düsteren Gedanken zu vertreiben, und konzentrierte sich auf das, was vor ihr lag.

Nashville, ich komme, dachte Sandy, als der Strahl der Autoscheinwerfer das graue Asphaltband der Landstraße erfasste.

***

Boston lag schon drei Stunden hinter Sandy, als hinter den Hügeln die erste matte Helligkeit der bevorstehenden Morgendämmerung auftauchte. Sandy hatte im Autoradio einen lokalen Sender eingestellt, der Country-Music brachte. Vergnügt summte sie Bobby Bares »Five hundred miles away from home« vor sich hin und dachte dabei an das entsetzte Gesicht von Steve Whitcomb, wenn er zu Besuch kam und Sandy nicht antraf.

Die letzten Schatten der Nacht wichen allmählich den Strahlen der aufgehenden Sonne. Sandy sah das graue Band des Highways 75 umso deutlicher, je heller es wurde. Auch zu dieser frühen Stunde herrschte schon ein ziemlicher Betrieb. Riesige Trucks mit bunten Aufliegern und chromblitzenden Stoßstangen zogen an ihr vorbei, immer weiter in Richtung Südosten.

Sandy steuerte geradewegs auf die Bundesgrenze von Philadelphia zu, die sie in zwei weiteren Stunden zu erreichen hoffte. Dort würde der Verkehr vermutlich wieder etwas nachlassen, so dass es zügiger voranging. Wenn alles klappte, dann konnte sie schon am Abend in Nashville sein, dem Ziel ihrer Träume.

Komisch, welche Wege manchmal das Schicksal geht, dachte Sandy und strich sich eine Strähne ihres blonden Haares aus der Stirn. Dass ich so schnell einmal dazu komme, Nashville zu sehen, hätte ich auch nicht gedacht.

Ab und zu warf sie einen Blick auf die Straßenkarte auf dem Beifahrersitz. Schließlich musste sie sich davon überzeugen, dass sie auch die Abzweigung nicht verpasste, wo der Highway 45 in den Highway 75 einmündete.

Genau in diesem Augenblick fing der Ford an, zu rucken und zu stottern. Sandy erschrak, weil ihr mit Schrecken einfiel, was der Mann in der Werkstatt erst letzte Woche zu ihr gesagt hatte, als sie den Wagen zur Reparatur gebracht hatte.

»Kaufen Sie sich lieber einen anderen Wagen, Miss«, hatte er gemeint. »Der hier macht es nicht mehr lange. Der Motor hat schon zu viel auf dem Buckel …«

Ausgerechnet jetzt schienen sich die Worte des Automechanikers zu bewahrheiten. Wo sie Pannen und Verzögerungen ganz gewiss nicht brauchen konnte! Schließlich wollte sie doch so schnell wie nur möglich nach Nashville!

Dem Ford schien Sandys Vorhaben aber vollkommen egal zu sein. Das Rucken und Stottern verstärkte sich sogar noch, und die Tachonadel sank. Sandy seufzte, als sie den Blinker betätigte und den Ford nach rechts an den Straßenrand manövrierte. Zum Glück war ein kleiner Parkplatz gut einhundert Yards weiter vorn, und Sandy betete, dass die Kiste es bis dahin schaffte.

Kurz vor dem Parkplatz gab der Wagen dann endgültig seinen Geist auf. Der Motor erstarb mit einem blubbernden Geräusch. Zum Glück hatte Sandy noch so viel Fahrt drauf, dass sie es schaffte, den Ford von der Straße zu lenken und auf dem Parkplatz zum Stehen zu bringen.

Nun war guter Rat aber wirklich teuer. Da stand sie nun etliche Meilen weit weg von zu Hause, mit einem Motorschaden. Wie sollte es jetzt weitergehen?

Sandy stieg aus. Vorsichtig öffnete sie die Motorhaube und stellte wieder einmal fest, was für eine Unmenge an Drähten, Kabeln und sonstigen Einzelteilen sich darunter befanden.

Jemand muss mir helfen, schoss es ihr durch den Kopf. Das ist doch eine gut befahrene Straße. Irgendeiner wird schon anhalten und mir sagen können, was die verflixte Kiste hat!

Das war leichter gesagt als getan. Von der sprichwörtlichen Freundlichkeit der Partner im Straßenverkehr bemerkte Sandy in diesen Minuten reichlich wenig. Jeder schien es eilig zu haben und brauste mit einem Affenzahn weiter.

Sandy hob zwar beide Hände und winkte heftig, aber das schien jeder zu übersehen. Resignierend kehrte Sandy schließlich zu ihrem Wagen zurück und nahm sich noch einmal die Straßenkarte vor. Sie wollte nachsehen, wie weit es zum nächsten Truck Stop war. Als sie jedoch feststellen musste, dass er gut vierzig Meilen entfernt war, stöhnte sie innerlich auf. Das dauerte ja einen ganzen Tag, wenn sie die Strecke zu Fuß zurücklegen sollte!

Sandy legte die Karte beiseite und wollte gerade wieder aussteigen, als ihr im Rückspiegel ein kleiner Bus auffiel, der den Blinker betätigte und nach rechts zum Parkplatz ausscherte. Gott sei Dank, dachte Sandy erleichtert. Wenigstens einer hält an, um zu helfen!

Sie schlug die Wagentür zu und blickte dem näher kommenden Bus entgegen. Erst jetzt fielen ihr die farbigen Schriftzüge auf der Seite des Busses auf. Sandy musste blinzeln, weil sie direkt in die Sonne schaute. Sie hob die Hand, um sich vor dem grellen Licht zu schützen, und erkannte jetzt die Schriftzüge: JIM FRAZER stand da.

Diesen Namen kannte sie doch! War das nicht der bekannte Country-Sänger, der seit gut einem Jahr in den Hitparaden von Nashville stand? Und jetzt führte ihn der Zufall hierher …

Sandy spürte, dass sie ein wenig unsicher wurde, denn sie kannte die ganzen Stars schließlich nur vom Radio und den CDs her. Und von diversen Clips bei YouTube. Dass sie einmal einem davon höchstpersönlich begegnen würde, das hatte sie sich nicht erträumt.

Der Bus kam zum Stehen. Die Türen öffneten sich, und Sandy hörte jetzt Gelächter von drinnen, gemischt mit dem Klimpern von Banjo und Gitarre. Dort herrschte wohl eine recht ausgelassene Stimmung.

Egal, dachte Sandy und fasste sich ein Herz. Selbst wenn der Präsident mit seinem kompletten Stab hier vorbeigekommen wäre, so hätte sie ihn um Hilfe gebeten. Schließlich war die nächste Ansiedlung meilenweit entfernt, und Sandy hatte keine Lust, hier Wurzeln zu schlagen.

Ein bärtiger Bursche mit einem zerknautschten Stetson tauchte in der Tür des Busses auf und musterte Sandy grinsend von Kopf bis Fuß.

»Gott sei Dank«, rief Sandy ihm erleichtert zu. »Sie können sich ja gar nicht vorstellen, wie sehnlich ich darauf gewartet habe, dass endlich mal jemand anhält. Können Sie vielleicht einmal nach meinem Wagen sehen? Er springt nicht mehr an, und …«

Statt Sandy zu antworten, drehte sich der Bärtige um. »Das Mädchen hat Probleme mit dem Wagen, Jim!«, rief er. »Ich seh mal kurz nach …«

Sandy bemühte sich, einen Blick in das Innere des Busses zu werfen, konnte aber nichts sehen. Die Scheiben waren rundum getönt und ließen keinen Einblick zu. Natürlich konnten die Insassen aber Sandy sehen und amüsierten sich wahrscheinlich über ihre Hilflosigkeit.

Hauptsache, er hilft mir, dachte sie seufzend und sah zu, wie der Bärtige aus dem Bus stieg. Hauptsache, es kam jemand und schaute mal nach ihrem Wagen.

»Es ist der Ford dort drüben«, sagte Sandy überflüssigerweise zu dem hünenhaften Burschen, der sie irgendwie an einen Wiederkäuer erinnerte. Er wälzte nämlich seinen Kaugummi von einem Mundwinkel in den anderen. »Der Motor fing ganz plötzlich an, zu stottern und zu rucken«, fuhr sie fort. »Und jetzt gibt er keinen Mucks mehr von sich …«

»Wollen mal sehen«, sagte der Bärtige und öffnete die Motorhaube. Sein Grinsen erlosch, als er sich den Motorblock anschaute und anschließend den Ölstand überprüfte.

»Meine Güte!«, stöhnte er dann. »Das ist ja noch schlimmer, als ich vermutet hatte.« Er schaute Sandy vorwurfsvoll an. »Wissen Sie eigentlich, dass da kein Tropfen Öl mehr drin ist? Lady, die Kolben haben sich festgefressen! Der Wagen ist schrottreif. Am besten lassen Sie ihn abschleppen.«

»Das darf doch nicht wahr sein!«, entfuhr es Sandy, die ihren Traum von einer baldigen Ankunft in Nashville zusammenfallen sah wie ein Kartenhaus. »Und wie komme ich jetzt weiter?«

Der Bärtige schlug die Motorhaube wieder zu und zuckte mit den Schultern.

»Kommt drauf an, wo Sie hinwollen, Lady.«

»Nach Nashville, Mister. Ich muss dringend nach Nashville, und das so schnell wie möglich. Können Sie nicht, ich meine …« Sie brach ab, weil sie nicht so recht wusste, wie sie ihre Bitte in Worte kleiden sollte. Aber der Bärtige hatte schon begriffen.

»Eigentlich sind wir ja keine öffentliche Buslinie«, meinte er grinsend. »Aber ich werd mal kurz mit Jim reden und ihn fragen, ob wir noch Platz für einen Fahrgast haben. Vielleicht sagt er ja …«

»Jim Frazer?«, hakte Sandy neugierig nach. »Ist das wirklich der Jim Frazer?«

»Na klar, Lady«, gab der Bärtige zurück. »Was ist nun? Soll ich Jim fragen oder nicht?«

»Natürlich«, sagte Sandy sofort und ging mit ihm zum Bus. Der Mann deutete ihr an, draußen stehen zu bleiben. Offensichtlich war es eine Art Privileg, diesen Bus betreten zu dürfen.

Na schön, wenn das so ist, warte ich eben geduldig hier draußen, sagte sich Sandy. Obwohl sie sehr gespannt darauf war, diesen Jim Frazer persönlich kennenzulernen.

Es dauerte einige Minuten, bis der Bärtige wieder in der Tür auftauchte.

»Jim sagt, Sie können mitkommen«, erklärte er zu Sandys großer Erleichterung. »Schnappen Sie sich Ihr Gepäck, und steigen Sie ein. Beeilen Sie sich. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!«

Rüpel, dachte Sandy im Stillen, rannte dann aber doch zu ihrem Wagen. In Windeseile schnappte sie sich die beiden Koffer samt der Gitarre und ging dann zum Bus zurück. Für einen Moment blieben ihre Blicke ein wenig wehmütig auf dem Ford haften, der ihr so lange treu gedient hatte. Nun war er wirklich schrottreif.