cover.jpg

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

Journal

Leserkontaktseite

Kommentar

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

img1.jpg

 

 

Nr. 2754

 

Die zerstörte Welt

 

Sie sind Gefährten und Feinde zugleich – und führen einen Kampf auf vielen Ebenen

 

Michelle Stern

Christian Montillon

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

img2.jpg

 

Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Seit 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – bereits über zwei Jahre lang – steht die Milchstraße unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dies behauptet, im Rahmen der »Atopischen Ordo« für Frieden und Sicherheit zu sorgen und den Weltenbrand aufzuhalten, der anderenfalls der Galaxis drohe.

Wie sich herausstellt, beherrscht das Tribunal schon seit Jahrhunderten die Galaxis Larhatoon, die Heimat der Laren – dorthin hat es auch Perry Rhodan verschlagen. Während Reginald Bull der Fährte seines Freundes mit dem neuesten Raumschiff der Menschheit – der RAS TSCHUBAI – folgt, befindet sich Perry Rhodan in einer prekären Situation:

Er flieht derzeit gemeinsam mit seinem offenbar ärgsten Feind, dem Anführer der Rebellen Larhatoons, vor den Onryonen. Auf sie wartet Cestervelder, DIE ZERSTÖRTE WELT ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Unsterbliche verlässt sich auf Vertrauen.

Avestry-Pasik – Der Anführer der Proto-Hetosten hat nie gelernt zu vertrauen.

Selthantar – Der Cyborg weiß nicht mehr, wer er wirklich ist.

1.

Cestervelder:

Am Abgrund

 

Er öffnete die Augen und schaute auf das Universum, das in einem fahlen Rot flackerte.

Ich bin tot, dachte Perry Rhodan.

Aber er war es nicht.

Zuerst gab es in dieser neuen Welt nach dem Absturz seines Gleiters neben der Dämmerung nur das Geräusch seines Atems. Es war viel zu laut. Es schmerzte in den Ohren, bohrte sich in seinen Verstand und fegte dort alles hinweg.

Jeder Atemzug rasselte und schabte.

Atemzug? Ganz sicher nicht. Dieses metallische Kreischen stammte nie und nimmer von seinem Atem.

Wach auf!, befahl er sich. Nur dass er längst wach war. Das Universum bestand tatsächlich aus einem Berg aus verbogenem Metallschrott, in dem irgendwo etwas elektrostatisch blitzte. Und der sich mit einem Ruck weiter verschob.

Perry Rhodan erinnerte sich an den dunklen Abgrund, auf den der Gleiter nach dem Absturz zugerast war: ein Schlund, der ihn verschlingen würde.

Ihn?

Nein, sie reisten zu dritt – sein Feind Avestry-Pasik und der lajuurische Weichensteller Selthantar begleiteten ihn. Wie hatte er es nur vergessen können? Er musste die Lähmung abschütteln, seine Gedanken klären!

Er lag im Wrack des Gleiters, in dem nur noch die Notbeleuchtung funktionierte. Die Wände rundum waren verbogen, teils aufgerissen. Eine Öffnung klaffte so breit, dass er sich hindurchzwängen könnte.

Die Pilotenkanzel lag direkt an der Außenseite der Maschine, die ihn beim ersten Anblick an einen seltsam grellgrün angestrichenen Kampfjet erinnert hatte. Er würde durch diesen Aufriss ins Freie gelangen. Ein scharfkantiges Stück Metall ragte wie ein zerfetztes Sägeblatt ins Innere des Wracks.

Die belebenden Impulse des Zellaktivators pochten in Rhodans Körper, ließen seine Fingerspitzen kribbeln. Oder kam es vom Adrenalin, das in seinen Adern pulste?

Avestry-Pasik lag hinter ihm in dem verbogenen Trümmerberg, die Augen geschlossen, den Mund halb geöffnet. Sein leichter Schutzanzug war über der Brust zerrissen und ebenso inaktiv wie der Rhodans; die Systeme waren ausgefallen wie zuvor die Technologie des Gleiters. Das konnte kein Zufall sein.

Der Lare war von seinem Platz geschleudert worden. Direkt neben ihm, einen Arm über dessen Brustkorb ausgestreckt, hing Selthantar in den Überresten eines Sitzes. Er blutete aus einer Verletzung, die sich zwischen den technischen Applikationen und Schaltkreisen auf seinem Schädel von der Stirn über die Nasenwurzel bis hin zur Wange zog. Es war ein Wunder, dass seine Augen unverletzt geblieben waren. Fragte sich nur, ob es ihm noch etwas brachte, oder ob er längst tot war. Funken stoben von den blutverschmierten Metallstreben vom Kopf weg wie bizarre Glühwürmchen.

Beide bewegten sich nicht, zeigten aber immerhin keine offensichtlich tödliche Verletzung.

Augenscheinlich ging es ihm selbst am besten, vielleicht weil der Zellaktivator ihn stärkte. Ohne diese Hilfe wäre er wohl genauso bewusstlos wie seine beiden Begleiter. Womöglich war Ohnmacht aber die bessere Variante gegenüber dem bewussten Miterleben des eigenen Todes: Das Krachen und Knarren in den Trümmern des Gleiters signalisierte, dass ihr Gefährt tiefer in den Trichter hineinrutschte, auf den Abgrund zu, den Rhodan vor seiner Ohnmacht gesehen hatte.

Er sah durch den Riss in der Außenhülle nur einen engen Ausschnitt der Welt, und natürlich konnte er Holo und Ortung nicht aktivieren. Die Technik funktionierte nicht mehr. Aber Rhodan sah das Bild der Umgebung in seiner Erinnerung.

Im Boden gähnte eine riesige, trichterförmige Öffnung, ein steiler Abhang, den die aufgeprallte Maschine hinabrutschte und dabei die giftgelben Schwaden in der Luft verwirbelte ... und irgendwo weit vor ihnen, wo die Dunkelheit zunahm, war ein schwarzer Abgrund. Rhodan hatte den schlitternden Gleiter gegen eine Felsnadel gelenkt, um ihn zu stoppen, ehe sie in den Schlund stürzten.

Der Zellaktivatorträger stemmte sich in die Höhe. Unter seinen Füßen gab etwas nach. Ein metallisches Kreischen folgte, und er brach in den aufgewölbten, verbogenen Boden ein.

Rhodan wollte das Bein zurückreißen, doch der Fuß steckte fest. Es blieb ein wenig Freiraum, durch den er einen Blick werfen konnte – er sah Kabelstränge und Teile von Aggregatblöcken oder anderer Technologie. Offenbar war er in eine Art Maschinen- oder Antriebskammer durchgebrochen.

Mit einem schrecklich dumpfen, mahlenden Geräusch ruckte das Wrack ein Stück weiter, unter Rhodan rutschten die Trümmer und verschoben sich. Etwas schlug gegen sein Bein, drückte mörderisch und quetschte ihm den Unterschenkel ein. Er mochte sich nicht ausmalen, wie es ohne den Schutz durch das stabilisierende Material des leichten Schutzanzugs aussähe ...

Unwillkürlich warf sich der Terraner nach vorn, in Richtung der schlitternden Bewegung des Wracks, doch es half nicht. Der Schmerz nahm zu, zog bis zum Kniegelenk. Rhodan bekam das Bein nicht frei. Er hörte das Reißen von Stoff; etwas schnitt ihm ins Bein.

Das durfte nicht wahr sein! Nicht so!, dachte er. Das war nicht der Tod, den er sich vorgestellt hatte, nachdem er tausend Schlachten geschlagen und in so vielen Brennpunkten kosmischer Ereignisse sein Leben riskiert hatte. Nach einem lapidaren Gleiterabsturz in den Trümmern zerquetscht werden, weil mein Bein festklemmt?

»Selthantar!«, rief er, und: »Avestry-Pasik!«

Es gab keine Reaktion.

Sie würden alle drei sterben, hinabgerissen in den dunklen Abgrund dieses fremden Planeten.

Rhodans Atem ging heftiger. Er brauchte etwas, mit dem er sich freischneiden konnte oder ...

Er sah eine abgerissene Strebe, die an einem Passagiersitz des Gleiters als Armlehne gedient hatte. Er packte sie, rammte sie neben seinem Bein in das zerfranste Loch im Metall, suchte und fand Widerstand, stemmte die Stange vor und setzte sie als Hebel an.

Seine Armmuskeln zitterten. Er atmete tief ein und schrie seine Verzweiflung hinaus, drückte sich dabei mit dem ganzen Körpergewicht gegen den Hebel.

Es knirschte, sein improvisiertes Werkzeug zerbrach. Durch den eigenen Druck verlor Rhodan den Halt, kippte nach vorn. Etwas krachte, für einen Augenblick stand sein Bein in einem scheinbar unmöglichen Winkel zum Körper und er fühlte sich, als würden sämtliche Muskeln zerreißen.

Doch er kam frei.

Er riss das Bein aus der Falle. Das Wrack rundum ächzte an allen Enden wie ein todgeweihtes Tier, die Hülle verbog sich, platzte auf. Irgendwo riss etwas sirrend entzwei. Das fahle Notlicht flackerte und erlosch.

Trotzdem blieb unruhiges, rötlich-gelbes Licht. Rhodan schnürte es die Kehle zusammen. Es roch verschmort, aber auch nach Ruß und Rauch.

Etwas krachte, eine Flammenzunge zuckte keine Armlänge hinter Avestry-Pasiks Kopf zwischen den Trümmern hervor. Schatten tanzten über das Gesicht des bewusstlosen Laren.

Rhodan machte einen Schritt auf seinen Feind zu, der notgedrungen zu seinem Begleiter geworden war. Er achtete sorgsam darauf, wohin er den Fuß setzte. Als er das eben noch eingeklemmte Bein belastete, schrie er vor Schmerzen; ihm war, als würde die Kniescheibe zermalmt und als zöge ihm jemand die Splitter einzeln aus dem Fleisch.

Übelkeit stieg in ihm hoch, sein Magen revoltierte, aber er ging weiter. Er durfte keine Sekunde verlieren. Er packte Avestry-Pasik, zerrte ihn weg von der Flamme und überlegte beiläufig, wo das Feuer seine Nahrung fand.

Nicht einmal jetzt wachte der Lare auf. Ob ich gerade einen Toten retten will? Der makabre Gedanke verstärkte seine Übelkeit noch.

Als wolle er darauf antworten, gab Avestry-Pasik einen leisen, ächzenden Laut von sich. Er lebte, immerhin. Das Ächzen ging in einem erneuten metallischen Kreischen unter, mit dem der Gleiter ein Stück weiter den Abhang hinabrutschte, auf den tödlichen Schlund zu.

Ob die Maschine weiterhin an der Felsnadel festhing, gegen die Rhodan sie gesteuert hatte? Drehte sie sich um diese Säule und würde sich jeden Moment endgültig losreißen? Immerhin maß der Gleiter etwa vierzehn Meter in der Länge und hatte eine antiquierte Eleganz – mit seinen angedeuteten Flügeln, die sehr wohl festhängen konnten.

Was mochte das Wrack wieder in Bewegung gesetzt haben? Vielleicht trug er selbst die Schuld, weil er sich bewegt hatte. Womöglich hatte er dadurch ein fragiles Gleichgewicht zerstört.

Es ergab keinen Sinn, darüber nachzudenken. Nicht jetzt.

Niemand konnte sagen, wie viel Zeit blieb. Er musste aus dem Gleiter – aber er durfte seine Begleiter nicht zurücklassen. Avestry-Pasik lebte noch, das wusste er; doch wie sah es mit Selthantar aus? Dass von seinen Cyborg-Applikationen Funken stoben, erweckte einen üblen Eindruck, ganz zu schweigen von dem Blut, das ihm aus der Wunde über das Gesicht lief.

Rhodan beugte sich über den Reglosen. Die Hitze der Flamme schlug ihm entgegen. Rhodans tastende Finger fühlten einen Puls. Er lebte also ... aber wie viel Zeit blieb ihnen noch?

Ohne eine weitere Sekunde zu verlieren, packte er den Lajuuren und legte ihn auf die Arme. Lajuures waren ein Zweigvolk der Laren und zeichneten sich durch eine geringere Körpergröße aus – und damit auch ein geringeres Körpergewicht. So konnte Rhodan sich den Leblosen über die Schulter wuchten.

Er hoffte, dass Selthantar keine inneren Verletzungen hatte. Für eine genauere Untersuchung durfte er sich nicht die Zeit nehmen; es hätte womöglich das Todesurteil für sie alle bedeutet.

Der Terraner schob sich durch das Wrack vorsichtig voran. Er achtete im flackernden Feuerschein genau darauf, wo er hintrat.

Der Feuerschein ...

Leuchtete er intensiver als zuvor? Rhodan warf einen Blick über die Schulter, während er einen weiteren Schritt tat und die zusätzliche Last einen grellen Schmerz durch sein verletztes Bein jagte. Aus der einen Flamme war eine Feuerwand geworden. Die Hitze schlug ihm ins Gesicht. Avestry-Pasik lag nah daran. Viel zu nah.

Der Terraner zwang sich zu größerer Eile, drückte sich mit Selthantar durch den Riss in der Hülle. Außen lag der Boden nur etwa einen halben Meter tiefer: Das war wohl das Quantum Glück, das einem auch im größten Unglück blieb.

Er stemmte den Lajuuren durch den Riss und ließ ihn fallen; unsanfter, als ihm lieb war, aber er musste sich beeilen.

Rhodan hastete zurück – zu schnell. Wegen der unbedachten Bewegung knickte sein verletztes Bein weg, er verlor den Halt, schlug auf. Mit der Schulter schrammte er über ein zerfetztes Stück Metall, das vor dem Absturz offenbar zum Eingabepult gehört hatte.

Vor seinen Augen blitzte es. Sein Atem ging stoßweise. Aber er ließ nicht zu, dass die Ohnmacht ihn umhüllte. Er schob sich weiter, kroch auf Avestry-Pasik zu, schüttelte und zerrte am Bein des Laren.

Keine Reaktion.

Das Feuer flammte so nah am Kopf des Bewusstlosen, dass es dessen Haare versengte. Rhodan schrie, packte die Beine fester und zog Avestry-Pasik zu sich.

Ihm war klar, dass er jemanden zu retten versuchte, der oft genug als Feind gehandelt hatte. Und doch konnte er den Proto-Hetosten nicht seinem Schicksal überlassen, und er hätte es auch nicht getan, wenn sie keine notgedrungene Allianz eingegangen wären.

Er wuchtete den Laren über seine Schulter, schleppte ihn wie zuvor Selthantar. Ehe er den Aufriss erreichte, wurde das metallische Kreischen und Ächzen lauter. Die Maschine rutschte ein ganzes Stück weiter, schrammte über den Boden des Abhangs, schlitterte tiefer.

Entsetzt dachte der Aktivatorträger daran, dass dies das Ende sein konnte – und dass draußen, direkt vor dem Wrack, Selthantar lag. Wenn der Gleiter sich nicht in völlig gerader Linie bewegte, wurde der Lajuure möglicherweise zermalmt oder verstümmelt. Dann hatte Rhodan ihn nur gerettet, um ihm einem qualvollen, langsameren Tod auszuliefern.

Die Welt um ihn drehte sich und zerbrach, und er wusste nicht, ob es nur die Folgen seiner Schwäche waren oder ob das Wrack endgültig auseinanderfiel. Das ganze Universum schrumpfte auf den einen kleinen Riss vor ihm in der Wand. Er erreichte ihn und ließ sich mit seiner Last hindurchfallen.

Ein Aufschlag und etwas, das auf ihn zuraste – einer der angedeuteten Flügel des Gleiters. Die Luft fauchte, Funken sprühten, etwas spritzte auf ihn, Metall zischte über ihn hinweg, und: Dunkelheit.

2.

Station Cestervelder:

Vergangenheit

 

Es war der Geruch.

Selthantar hielt mit vorgestreckter Hand inne und blinzelte. Vor seinem linken Auge stand scheinbar ein Holo; tatsächlich interagierte das Implantat in seinem Schädel mit einem Mikroimplantat am Sehnerv. Das Bild, das er sah, entstand direkt in seinem Gehirn. Es fiel ihm schwer, sich darauf zu konzentrieren.

Wegen dieses Geruchs. Feucht, nach einer Düsternis, die es vielleicht draußen auf dem Planeten geben mochte, aber nicht innerhalb der Station, in dem kleinen, hellen Kontrollraum, in dem er saß. Der Geruch musste Einbildung sein. Immer, wenn er ihn wahrnahm, dachte er an dunkle Brunnen, kalt wie das All. An etwas, das in diesen Brunnen hauste, auf ihn wartete ...

Er schüttelte den Kopf und berührte die Intarsien an seinem Schädel. Sein Finger zeichnete das Zwölfeck nach, strich rastlos über goldene Linien. Die Aufgabe ging vor. Durch tektonische Bewegungen gab es immer wieder Einbrüche im Stationsbereich. Die Roboter mussten wissen, was sie in einem solchen Fall zu tun hatten. Die Stationspositronik war bestens programmiert, damit Cestervelder für die Zwecke der Rebellen dauerhaft tauglich blieb und sich in kritischen Situationen autark reparieren konnte.

Sofern es normale tektonische Bewegungen waren. Gerüchte sprachen von Tiefentorpedos, die energetische Prozesse ausgelöst hatten, die auch nach Jahrtausenden nicht endeten. Von geheimen Waffen, die man vor der Auflösung des Konzils eingesetzt hatte, um den Planeten für immer zu zerstören.

Doch die Energiemenge, die man dafür benötigt hätte, wäre derart phantastisch, dass es an Wahnsinn grenzte. Möglich war, dass es eine technische Vorrichtung gab, die den knapp zweieinhalb Milliarden Jahre alten Planeten regional auf hyperphysikalischer Ebene dazu brachte, die Spaltungsraten seines in großen Mengen vorhandenen instabilen Materials anzuheben. Dies würde durch Überhitzung zu beschleunigten Mantelprozessen führen.

Das könnte jedenfalls die erhöhte Erdbebenrate auf dem Kontinent erklären. Aber was sollten die Bewohner dieser Welt getan haben, dass die Laren einen derart enormen Aufwand hätten betreiben sollen? Wo lag eine vertretbare Begründung? Infernalischer Hass? Die Wiederbesiedlung für immer unmöglich zu machen?

Feuchter Moder. Ein Hauch von Flechten. Dunkelheit.

Selthantar sog scharf die Luft ein. Nein, da war nichts. Er war angespannt, und wenn er auch nie von olfaktorischen Halluzinationen gehört hatte, litt er zweifellos genau darunter.

Er beendete das Holo mit einem Blinzeln und widmete sich der Konsole vor ihm.

Vielleicht war es ein Fehler gewesen, Farintur mitzunehmen. Bisher war er allein unterwegs gewesen – und wie lange kannten sie einander schon? Trotz ihrer besonderen Beziehung gab es fast von Anfang an auch Schwierigkeiten.

Sie hatten einander auf Lajuka kennengelernt, in einer Bar nahe der Haupttransmitterstation. Farintur hatte ihn angesehen, gelächelt und ihn mit den Worten begrüßt: »Da ist er ja. Der Vater meiner Kinder.«

Selthantar war etwas Derartiges nie zuvor passiert. Unter seinesgleichen galt er als unscheinbar; das Blau seiner Haut war eine Spur zu fahl, um wirklich interessant zu sein.

Die Art, wie Farintur ihn angesprochen hatte, hatte Selthantar verunsichert und zugleich tief berührt. Ihre Worte waren mehr als ein Spruch gewesen. Farintur hatte gewirkt wie eine Lajuurin, die genau wusste, wovon sie sprach. Als ob sie eine Gabe hätte, die es ermöglichte, die Zukunft zu sehen.

Sie saßen jenen ganzen schicksalhaften Abend zusammen und redeten. Es schien, als teilten sie jede Vorliebe – bis auf eine. Aber auf die war Selthantar damals noch nicht zu sprechen gekommen. Man erzählte einer Lajuurin nicht beim ersten Treffen, dass man ein Rebell, einer der Proto-Hetosten, war, der beabsichtigte, Larhatoon vom Atopischen Tribunal zu befreien.

Im Glauben der meisten Laren und Lajuures musste die Galaxis durch die Onryonen und das Atopische Tribunal vor sich selbst geschützt werden. Es gab für sie keinen Grund, nach Befreiung zu rufen.

Auch die ganze Nacht nach diesem Abend verbrachten Farintur und er zusammen. Eigentlich aus einem Zufall heraus: Selthantars Zimmergenosse, ein anderer Proto-Hetoste, war unauffindbar und verfügte über den einzigen Zugangschip.

Farintur deutete an, dass in der Kommune, in der sie damals wohnte, Ruheplätze frei waren. Auf diese Weise landeten sie irgendwann bei ihr, schliefen und kochten gemeinsam. Sie liebten dieselben Gerichte, legten keinen Wert auf Serviceroboter, wenn die nötige Zeit da war. Und sie teilten die Vorliebe für Garinntus, den süßen, würzigen Flechtenwein von Laju.

Was ein kurzer Zwischenstopp auf der Heimatwelt hatte werden sollen, wurde für Selthantar zu einem ausgedehnten Urlaub. Doch Selthantar war zu sehr Proto-Hetoste, um seine Pflichten ganz zu vergessen. Außerdem waren ihm die Onryonen auf der Spur: Eines Morgens bemerkte er einen Einsatztrupp in der Stadt. Ein kleines Rudel, das unangenehme Fragen stellte. Ein Verbündeter riet ihm zur Flucht.

Selthantar fürchtete, dass Farintur ihn mit Fragen löcherte und sich an ihm festkrallte oder dass sie sich selbst schlug, weil sie auf ihn hereingefallen war. Doch stattdessen sagte sie einfach: »Oh. Das passt gut. Ich habe es dir noch nicht erzählt, aber ich bin in nächster Zeit auf einer Reise. Wir steigen auf den Haskiir.«

Auf den Haskiir steigen. Ohne die entsprechende Ausrüstung eine lebensmüde Idee. Wie bei ihrer ersten Begegnung scherzte Farintur nicht. Sie und vier Freunde stiegen auf den Haskiir. Das Klettern war Farinturs Leidenschaft, wie es seine war, sich als Proto-Hetoste zu betätigen. Sie hatte sogar drei Auszeichnungen erhalten, als erste Lajuurin, die ohne technische Hilfsmittel die höchsten Berge der gesamten Domäne erklommen hatte.

Fragen stellte sie zunächst nicht. Erst später, als es zur Gewohnheit wurde, dass sie sich zwischen seinen Aufträgen trafen.

Es hätte alles perfekt sein können. Wenn sie das Kind nicht verloren hätte. Und wenn sie, die als eine von wenigen die Verbundenheit und die Domäne regelmäßig verließ, auf einer ihrer Klettertouren nicht auf die dumme Idee gekommen wäre, das Kontrafaktische Museum zu besuchen.

»Alle Systeme voll einsatzbereit«, unterbrach die Stimme der Positronik Selthantars Gedanken.

Eine Hand schloss sich um seine Schulter.

Selthantar sah auf. Hinter ihm stand Farintur. »Warum schleichst du dich an?«

»So schreckhaft, mein Weichensteller?« Wie immer, wenn sie lächelte, wurde das Gelb ihrer Lippen auf hinreißende Weise intensiver. »Und du dachtest, der Planet würde mir zusetzen. Wie es aussieht, ängstigt er dich mehr. Ich finde ihn schön. Nicht im ästhetischen Sinn, aber interessant. Es gibt tiefe Spalten auf der Grauhälfte, die sich hervorragend für eine Klettertour eignen würden.«

Selthantar schauderte. Die Canyons erinnerten ihn an klaffende Wunden. »Dafür haben wir keine Zeit. Wir müssen zur Fluchtburg.«

Sie drehte ihn auf dem Schwenkstuhl zu sich. Ihre tintenblaue Haut zeigte, wie jung sie war. Statt roter Haare hatte sie rostbraune, die sie entgegen der Konventionen offen trug. »Es wird schnell gehen. Ein, zwei Eigentage. Mir ist nach einem Abenteuer.«

Versuchte sie ihren Schmerz über das verlorene Kind zu kompensieren? Sich in eine Ablenkung zu stürzen? Selbst wenn ja, hätte Selthantar das unter anderen Umständen begrüßt.

»Diese Station ist an die Verbundenheit angeschlossen. Die Onryonen können sie nutzen.«

»Im Canyon suchen sie dich sicher nicht.«

»Vielleicht auf dem Rückweg. Wenn ich weiß, in welchem Zustand die Fluchtburg ist.«

Er dachte an den anderen Transmitter. An die Katakomben.

Etwas wie ein Schleier zog durch seine Überlegungen. Wieder roch es faul und nass, krochen an der Wandung eines endlosen Schachtes dunkle Gestalten. Sie schlugen ihre Krallen in rissigen Stein, arbeiteten sich Stück für Stück hoch. Ihre beinlosen Leiber schleiften wie tot hinter ihnen her.

Selthantar schüttelte den Kopf. Das Implantat in seinem Schädel fühlte sich warm an. »Die Sache geht vor.«

»Die Sache? Du meinst die der Proto-Hetosten? Warum? Sie sind auf einem falschen Weg. Das Tribunal ist nicht böse.«

Diese Diskussionen hatten sie oft geführt, seit Farintur im Kontrafaktischen Museum gewesen war. Selthantar verfluchte jenen Tag.

Flüchtig kontrollierte er das Programm zur Selbstzerstörung, das er selbst installiert hatte. Da war ein Drang in ihm, es zu desaktivieren. Aber warum sollte er? Es würde die Onryonen aufhalten, falls sie seiner Spur folgten, und ihm und Farintur einen Vorsprung verschaffen. »Du kennst meine Meinung. Falls du zurückmöchtest, sag es. Noch sind wir in der Station. Nimm ein paar Transposten und geh nach Hause.«

Sie presste die Lippen aufeinander, offensichtlich verletzt. »Du bist mein Zuhause.«

»Dann komm mit mir.«

Farintur senkte den Kopf. Geschlagen. »Schön. Ich gehe mich umziehen.«

Selthantar fühlte sich schrecklich. Hätte er ihrem Wunsch nachgeben sollen?

Manchmal fragte er sich, ob er die Proto-Hetosten und alles, was mit ihnen zusammenhing, hinter sich lassen sollte. Avestry-Pasik war fort. Der Kampf ein stetes Anrennen gegen Steinmauern. Ja, es war falsch, was die Onryonen und die Ordo taten. Aber musste er sich Tag für Tag damit belasten?