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Inhaltsverzeichnis

1. Die Feuerbläserin
2. Die Wasserfrau
3. Der Wagen aus Gold
4. Der Mann, der Bäume stutzte
5. Der Hirte des Brunnens von Ses Basses
6. Der blinde Maure
7. Der Sklaven-Patron
8. Die Schönheit der Welt
9. Die drei Brüder und die neun Riesen
10. Die Wunderblume Romanial
11. Der Abt von La Real
12. Der Räuberlehrling
13. Das Mädchen Espirafocs
14. Das siebenfarbige Pferdchen
15. Der Platz vorn und der Platz hinten
16. Juan von der Zauberflöte
17. Das Vöglein mit den sieben Zungen
18. Peter-ohne-Furcht
19. Papst Gregor
20. Stich und Beiß
21. Das Licht der Welt
22. Das Licht der Welt (Variante einer anderen Erzählerin)
23. Das Schiff, das zu Wasser und zu Land fahren konnte
24. Goldzahn
25. Von der Heiligen Jungfrau Maria
26. Von den Eltern, die ihre Kinder dem Teufel verkauften
27. S. Magi
28. Die Gräfin ohne Arme
29. Von der Höhle Hinein-und-nicht-heraus
30. Die Frau, die auszog, sich ihren Mann zurückzuerobern
31. Von drei Brüdern, die als Sklaven ins Land der Mauren kamen
32. Der Sohn des Fischers und der Delphin
33. Von der Frau des Delphins
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1. Die Feuerbläserin

Es gab einen Mann, der Witwer war und eine sehr schöne Tochter hatte, der heiratete von neuem. Die Stiefmutter konnte das Mädchen nicht ausstehen und quälte es sehr, bis sie es eines Tages aus ihrem Hause fortjagte. Das Mädchen weinte und weinte immerfort, dachte sich als Dienstmädchen zu verdingen, und als es zu diesem Zwecke ein Haus aufsuchen wollte, erschien ihm eine sehr schöne Frau und fragte, warum es so viel weine; es erzählte ihr, daß die Stiefmutter es weggeschickt habe und daß es sich jetzt verdingen wolle. Jene Dame tröstete es und gab ihm zwei Flaschen, indem sie sagte: »Wenn du dich mit dem Wasser der einen Flasche wäschest, wirst du sehr garstig werden, aber wenn du es aus der anderen nimmst, wirst du wieder sehr schön werden.«

Jene Dame gab ihr auch drei Mandeln, damit es sie öffnen könne, wenn es einen Wunsch habe. Sie wusch sich mit dem Wasser der ersten Flasche, ging fort in ein Haus und sagte: »Guten Tag, könnt ihr nicht ein Dienstmädchen brauchen?« – »Nein, wir brauchen keines«, antwortete die Dame.

Die Köchin, welche dem Mädchen aufgemacht hatte, sagte zur Frau: »Dame, ich glaube, Sie sollten sie nehmen, sie wird wenigstens zum Feueranblasen zu gebrauchen sein.«

Sie blieb im Hause, und alle hießen sie die Feuerbläserin. Eines Tages sagte die Dame: »Feuerbläserin, decke doch den Tisch.« Und sie deckte auf und vergaß das Salznäpfchen daraufzusetzen. »Feuerbläserin, das Salznäpfchen!« schrie der Herr, der ein Sohn der Dame war. Die Feuerbläserin brachte ihm gleich das Salznäpfchen.

Am folgenden Tage deckte sie wieder auf und vergaß, eine Gabel zu legen. »Feuerbläserin, Salznäpfchen und Gabel fehlen auf dem Tische«, schrie wieder der Herr, und die Feuerbläserin brachte ihm die Gabel.

Der Herr konnte das Mädchen nicht leiden und wollte es nicht dulden. Inzwischen ereignete es sich, daß man einen Ball in jenem Dorfe gab, auf den der Herr ging. Die Feuerbläserin ging zur Dame und bat sie, daß sie ihr erlaube, ebenfalls hinzugehen, und die Dame sagte ihr: »Nein, mein Sohn soll hingehen, und wenn er dich sehen würde, möchte er sich ärgern.« – »Dämchen, laßt mich gehen, er wird mich nicht erkennen.« – »Nein«, sagte wieder die Dame, »wenn er es erfahren würde, möchte er sich ärgern.«

»Lassen Sie mich gehen, Dämchen, ich versichere Ihnen, daß er mich nicht erkennen wird.«

Sie bat so viel, bis schließlich die Dame es zugab.

Sie ging nun weg, wusch sich mit dem Wasser aus jener Flasche, das schön machte, zerschnitt eine der Mandeln, die jene Dame ihr gegeben hatte; darin war ein rosenfarbiges Kleid, das zog sie an und ging auf den Ball.

Der Herr, der schon anwesend war, kam gleich, wie er sie sah, auf sie zu, sagte ihr, daß er mit ihr tanzen wolle, und schenkte ihr ein Armband. Als der Ball zu Ende war, wollte der Herr sie um jeden Preis heimbegleiten, und sie wollte dies auf keinen Fall; endlich sagte sie ihm, daß, wenn er sie nicht begleite, so werde er sie am folgenden Tag auf einem anderen Balle sehen, und sie versicherte ihm, daß sie dahin kommen werde. So verabredeten sie es, und sie eilte schnell davon, wusch sich wieder mit dem Wasser, welches häßlich werden ließ, und legte sich zu Bette. Als der Herr nach Hause kam, schlief sie schon, und er konnte nichts bemerken.

Am folgenden Morgen ging der Sohn zur Mutter. »Jesus, meine Mutter! Was für ein schönes Mädchen habe ich auf dem Ball gesehen, ich bin in dasselbe verliebt und ich will es heiraten.« – »Aber wer ist sie?« – »Ich weiß es nicht, sie war mir unbekannt, aber sie hat mir versprochen, daß sie heute Abend wieder auf den Ball kommen wird und daß wir uns sehen werden.«

Als es Abend war, kam die Feuerbläserin wieder zur Dame. »Liebe Dame, er hat mich nicht erkannt, laßt mich auch heute hingehen.« – »Nein, wenn er dich erkennen möchte, würde er sich ärgern, daß ich dich hingehen ließ.« – »Dämchen, er wird mich nicht kennen, lasset mich hingehen.« So lange bat sie, bis es ihr erlaubt wurde, wieder hinzugehen.

Sie ging weg, wusch sich mit dem Wasser aus der Flasche, das schön machte, zerschnitt eine andere Mandel und fand darin ein ganz rotes Kleid. Sie zog es an und ging zum Balle.

Der Herr, als er sie sah, setzte sich gleich an ihre Seite, sagte ihr abermals, daß er mit ihr tanzen wolle, und schenkte ihr Ohrgehänge.

Als es Zeit war heimzugehen, wollte er sie begleiten, sie erlaubte es ihm nicht und sagte ihm, daß, wenn er sie nach Hause begleite, sie nicht mehr kommen würde, er solle sie allein gehen lassen, und sie würde am folgenden Tag, an dem der letzte Ball wäre, wiederkommen. Er stimmte zu, nur um sie auf dem kommenden Ball wiedersehen zu können.

Als sie wieder zu Hause war, wusch sie sich mit dem anderen Wasser und legte sich zu Bette, ohne daß jemand etwas bemerkte.

Am folgenden Tag ging sie zur Dame und sagte zu ihr: »Dame, er hat mich nicht erkannt, ich bitte, laßt mich heute Nacht wieder dahin.« – »Nein, denn er wird dich diesmal erkennen, und wenn er erfährt, daß ich dich hingehen ließ, wird er sich ärgern.« – »Dämchen, lasset mich noch den letzten Abend hingehen, er wird mich nicht erkennen.«

Sie bat so lange, bis sie sie gehen ließ.

Am Abend wusch sie sich wieder mit dem Wasser, welches schön machte, zerschnitt die andere Mandel, und darin war ein Kleid, ganz himmelfarbig und mit Gold gestickt, sie zog es an und ging zum Ball.

Dort kam der Herr, sowie er sie sah, zu ihr, setzte sich an ihre Seite, tanzte den ganzen Abend mit ihr und schenkte ihr ein Brustnädelchen. Weil es der letzte Ball war, wünschte er sehr, sie nach Hause zu begleiten, um zu erfahren, woher sie sei, aber sie wollte es um keinen Preis und ging fort, ohne daß er es bemerkte.

Sie ging nach Hause, wusch sich mit dem anderen Wasser, welches garstig machte, und legte sich zu Bett, ohne jemanden etwas davon zu sagen.

Der Herr, als er sah, daß sie ihm entlaufen war, ging sehr traurig nach Hause, erzählte der Mutter alles, was ihm zugestoßen war, und sagte ihr, daß er gehen wolle, um jenes Mädchen zu suchen. Am folgenden Tag reiste er ab, um sie zu suchen, und trug der Mutter auf, sie solle schauen, ob sie auch etwas von ihr erfahren möchte.

Einige Tage nach seiner Abreise mußte man ihm Brot schikken, und die Feuerbläserin sagte zur Dame: »Dämchen, wollt ihr, daß ich das Brot knete?« – »Nein, wenn mein Sohn es erfährt, möchte er nicht davon essen.« – »Er wird es nicht erfahren, Dämchen, lasset mich Brot kneten.«

Sie bat so lange, bis die Dame endlich zustimmte. Sie begann zu kneten, und in jeden Laib Brot steckte sie ein Briefchen, welches hieß:

»Erbe des Hauses,
Wohin gehst du und woher kommst du?
Das, was du suchest,
In deinem eigenen Hause hast du es.«

Als der Herr das erste Brot brach, fand er das Briefchen, er las es und sehr befriedigt sagte er zu den Dienern, die ihn begleiteten: »Gehen wir, weil meine Mutter das Mädchen schon gefunden hat.« Und voll Freude reiste er rasch ab.

Als er ankam, fragte ihn seine Mutter: »Hast du sie schon gefunden, daß du so bald zurückkehrst?« – »Was wollen Sie sagen, haben Sie sie nicht gefunden?« erwiderte er. – »Ich nicht.« – »Sie haben es mir doch sagen lassen!« Und er erzählte ihr, was er in dem Brot gefunden hatte.

Um nicht zu verraten, daß die Feuerbläserin das Brot geknetet habe, sagte sie, daß es sehr sonderbar wäre und daß sie nicht wüßte, wie es wäre.

Der Sohn ging wieder fort, um das Mädchen zu suchen, und beauftragte seine Mutter, sie solle es ihm mitteilen, wenn sie etwas erfahre.

Als man ihm wieder Brot schicken mußte, sagte die Feuerbläserin wieder: »Dämchen, lasset mich das Brot kneten.« – »Nein, daß du mir wieder einen Streich machst wie das letztemal, das will ich nicht.« – »Dämchen, lasset mich das Brot kneten, er soll es nicht erfahren, daß ich geknetet habe.«

So lange bat sie, bis sie sie kneten ließ. Sie bereitete das Brot und steckte in jeden Laib wieder ein Briefchen, welches dasselbe sagte:

»Erbe des Hauses,
Wohin gehst du und woher kommst du?
Das, was du suchest,
In deinem eigenen Hause hast du es.«

Als der Herr wieder das Briefchen las, sagte er: »Dieses Mal wird es wahr sein; meine Mutter muß sie schon gefunden haben.« Und ganz befriedigt kehrte er nach Hause zurück.

Als er ankam, ging die Mutter auf ihn zu. »Was bringst du dieses Mal? Hast du sie schon gefunden?« Und er sagte ihr, wie er wieder das Briefchen gefunden habe.

Von dem Tage an fing er an zu kränkeln und vermochte sich nicht wieder auf den Weg zu begeben, um das Mädchen zu suchen. Er siechte dahin und verlor täglich mehr die Kräfte. Eines Tages mußte er sich zu Bette legen; man sollte ihm Süppchen geben, und die Feuerbläserin sagte zur Dame: »Dämchen, soll ich es ihm bringen?« – »Nein, damit er im Stande wäre, dir die Suppenschale an den Kopf zu werfen, ich will es nicht.« – »Erlaubt, daß ich es ihm bringe, ihr werdet sehen, daß er sie essen wird.«

So lange bat sie, bis schließlich die Dame sagte: »Gehe, bringe es ihm.«

Sie ging weg, goß das Süppchen in die Suppenschale, darauf tat sie das Brustnädelchen, das ihr der Herr auf dem Balle gegeben hatte, dann stellte sie eine andere Suppe darauf, dann die Ohrgehänge, dann eine andere Suppe, dann das Armband und wieder eine andere Suppe darauf, und so brachte sie es ihm.

Als der Herr sie sah, begann er zu schreien: »Augenblicklich hinaus, ich will sie nicht hier darin haben, ich will sie nicht sehen.« – »Lieber Herr, verkosten Sie doch, Sie werden sehen, daß sie gut ist.« – »Nein, ich will es nicht.« – »Verkosten Sie, es wird ihnen schmecken.« – »Nein, geh hinaus.« – »Lieber Herr, essen Sie eine.« – »Nur damit du weggehst«, und er aß die obere Suppe, und als er das Armband fand, erstaunte er und sagte: »Du weißt von meinem Mädchen; du kannst mir sagen, wo es ist, gestehe, wer dir dies gab.«

Sie sagte nichts weiter als: »Lieber Herr, essen Sie die andere, die noch viel besser sein wird.«

Er aß sie und fand die Ohrgehänge. »Eßt auch die andere, die noch besser ist.« Und er aß sie und fand das Brustnädelein.

»Du kannst mir schon sagen, wo mein Mädchen ist, du weißt es.« – »Wollen Sie sie sehen?« – » Ja und sofort.«

Die Feuerbläserin wusch sich mit dem Wasser, zog das rosenfarbige Kleid an, zeigte sich dem Herrn und fragte: »War es diese?« – »Ja, sie war es, das ist mein Mädchen.«

Sie ging wieder weg, zog das rote Kleid an und fragte wieder: »War es diese?« – »Ja, sie war es.«

Und sie ging wieder weg, um das himmelblaue, ganz mit Gold gestickte Kleid anzuziehen, und fragte wieder: »War es diese?« – »Ja, sie war es, ja, meine Mutter, diese ist mein Mädchen.«

Nach wenigen Tagen war er gesund, sie heirateten, und beide lebten, bis sie starben.

2. Die Wasserfrau

Gabriel Perxanch war ein älterer Junggeselle, welcher ganz allein in seinem Hause wohnte und vom Ertrag seiner Güter lebte. Eu Vilá gehörte ihm auch, und er brachte dort viele Tage zu, um die Feldarbeit zu verrichten, und verkehrte im Dorfe, um zu Abend zu essen und dort zu schlafen.

Eines Tages, als er nach seinem Hause zurückgekehrt war, bemerkte er, daß alle Hausarbeiten schon fertig waren, die Teller gespült, die Krüge voll Wasser, das Bett gemacht, das Haus gekehrt, und im Hofe waren die Hühner mit Futter versorgt.

»Wie ist denn das«, dachte Gabriel, »ich nehme doch den Schlüssel mit, und wenn ich nicht im Dorfe bin, betritt niemand mein Haus.«

Und jeden Abend, wenn er zurückkam, fand er alle Arbeiten gemacht.

»Ich werde schon erfahren, wer das Haus in Ordnung macht.« Und eines Tages, als er vorgehabt hatte, nach Eu Vilá zu gehen, blieb er zu Hause, ohne jemandem etwas davon zu sagen, und versteckte sich, um aufzupassen, wer ihm die Arbeiten mache.

Es dauerte nicht lange, daß er im Verstecke war, als er einen Lärm innerhalb der Brunnenmündung hörte, und nach kurzer Zeit sah er eine Frau aus derselben herauskommen, welche anfing, das Haus in Ordnung zu machen.

»Sage mir, bist du die Magd, die jeden Tag kommt, mich zu bedienen?« fragte er sie. – »Ja«, antwortete sie. – »Und wer bist du?« – »Ich bin die Wasserfrau.« – »Die Wasserfrau! Ich sehe, daß du auch verstehst, Hausfrau zu sein.«

Sie antwortete nichts, und nach einer kleinen Pause fing er wieder zu sprechen an: »Nun denn, wenn du doch einmal die Frau dieses Hauses bist, könntest du auch meine Frau werden. Wenn du dich mit mir vermählen willst, können wir heiraten.« – »Ja«, sagte sie, »aber es soll nur unter der Bedingung geschehen, daß du mich niemals die Wasserfrau nennen wirst.« – »Also vermählen wir uns, da dies leicht zu machen ist.«

Jene Frau kehrte nun nicht mehr in den Brunnen zurück, und sie verheirateten sich und bekamen zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen.

Eines Tages, es war im Monat Februar, ging die Frau nach Eu Vilá, und anstatt aus den Saaten das Unkraut auszujäten, riß sie alle Blüten der Saubohnenpflanzungen ab. Am folgenden Morgen ging der Mann dahin und gewahrte den Schaden, den seine Frau angerichtet hatte, und nach Hause zurückgekehrt, fragte er sie, warum sie die Blüten der Saubohnenpflanzungen vernichtet habe. »Weil es ohnehin einen Frost geben wird und sie dann verderben würden«, erwiderte sie.

Aber der Mann, der mit diesem Beweggrund nicht einverstanden war, gab ihr böse Scheltworte und nannte sie Wasserfrau.

Sobald sie diese Worte vernahm, nahm sie auf jeden Arm ein Kind und kehrte in den Brunnen zurück und kam niemals mehr heraus.

Dieser Brunnen der Wasserfrau ist derselbe Brunnen, der jetzt noch in Can Garrit, in der Gasse von Montision gelegen, besteht.

3. Der Wagen aus Gold

Es war ein König, der wollte sich einen Wagen ganz von Gold machen lassen. Er ließ seinen ersten Diener rufen und sagte zu ihm: »Schau, lasse einen Aufruf machen, welcher besagt, daß ich die Tochter desjenigen heiraten werde, welcher mir mitteilt, wie ich es machen muß, um einen Wagen ganz von Gold zu erhalten.«

Der Diener sagte ihm: »Seid unbesorgt, Herr König«, und schon eilte er fort wie eine Rakete, um den Mann zu suchen, der den Ausrufer macht.

Dem Mann sagte er: »Der König schickt mich und hat mir gesagt, daß ihr einen Aufruf von dem und dem machen sollt.« Dieser nimmt die Trommel und marschiert sogleich tum-patan-tum, um den Aufruf zu bestellen.

Am folgenden Morgen erscheint vor dem Königshause frühzeitig ein Mann. »Klopf, klopf, kann ich eintreten?« fragt er den Pförtner.

»Wenn ihr Böses bringt,
überschreitet nicht die Türe.
Wenn ihr Gutes bringt,
bleibt nicht auf der Gasse.«

»Ich komme, um dem König zu sagen, wie man einen goldenen Wagen machen kann.« – »Tretet ein, tretet ein, guter Mann, und wartet ein wenig, bis der König aufsteht, und ihr werdet es ihm sagen.«

Nach einer guten Weile stand der König auf und befahl, daß man jenen Mann sogleich in sein Schlafzimmer führe. – »Saget mir, guter Mann, wie soll ich es machen, einen Wagen von Gold zu erhalten?« – »Meine Ansicht über diese Sache geht dahin, daß in drei Frösten, welche nicht kommen werden, und drei Tauniederschlägen, welche stattfinden, ein Wagen von Gold zu erhalten ist.«

Als der König das hörte, erstaunte er sehr und er sagte ihm darauf: »Nun, guter Mann, ich verstehe euch nicht, was wollt ihr sagen?« – »Daß, wenn drei Fröste nicht kommen und drei Tauniederschläge stattfinden, die Feldfrüchte vorzüglich gedeihen und die Ölmühlen voll sein werden.«

Der König erkannte, was jener Mann sagen wollte, daß der ganze Reichtum aus der Fruchtbarkeit der Erde komme. Er war sehr zufrieden mit ihm und heiratete dessen Tochter.

4. Der Mann, der Bäume stutzte

Es war ein Mann, der Bäume stutzte in Ses Sorts Llargues, und bei der Arbeit gähnte er. »Ich habe gegähnt«, sagte er, »und wenn man dreimal gähnt, stirbt man, ich muß schon sehr achtgeben.«

Er fuhr fort zu stutzen, und nach kurzer Zeit gähnte er wieder. »Ei, ei«, sagte er, »ich habe schon zweimal gegähnt, wenn ich es wieder tue, gibt es keine Hilfe mehr für mich.«

Er stutzte und stutzte weiter und sang und sang, um zu sehen, ob er sich damit zerstreuen würde, aber er gähnte zum drittenmal und er sagte: »Nun bin ich verloren, ich habe dreimal gegähnt, ich sterbe.«

Er stieg vom Mandelbaum herab, legte sich auf den Boden, schloß die Augen und bewegte sich nicht mehr.

Allmählich wurde es Abend, und seine Frau, welche ihn zum Abendessen erwartete, begann zu denken, daß er sich verspätet habe. Es wurde Nacht, und sie wartete und wartete noch immer, und der Mann kam nicht, und sie bekam Angst und ging, es ihren Nachbarn mitzuteilen.

Weil es so spät war und der Mann noch nicht heimgekommen war, entschlossen sie sich, ihn zu suchen. »Und wo war dein Mann?« fragten die Nachbarn der Frau. – »Fonna!« antwortete die Frau fast weinend, »am Morgen hat er mir gesagt, daß er zu Ses Sorts Llargues de Can Massanet gehen wolle, um die Bäume zu stutzen.« – »Also gehen wir hin und sehen, ob ihm etwas zugestoßen ist«, sagten einige der Nachbarn.

Sie zündeten Öllampen an und gingen ihn zu suchen. Als sie zu Ses Sorts Llargues kamen, suchten sie und suchten, und schließlich fanden sie ihn auf der Erde unter dem Mandelbaum liegend, und sie hielten ihn für tot. Sie legten ihn auf eine Leiter, und zwei Männer trugen ihn zum Dorfe.

Als sie mit ihm in Can Guixó angekommen waren, wo zwei Wege sich kreuzen, wollten die einen diesen Weg, die andern jenen Weg nehmen, und als sie noch im Zweifel waren, öffnete der, den sie für tot gehalten hatten, den Mund und sagte ihnen, indem er einen der zwei Wege zeigte: »Als ich lebend war, ging ich immer auf dieser Seite.«

5. Der Hirte des Brunnens von Ses Basses

Es war ein Hirte, den die Mauren verfolgten und den sie nie fangen konnten.

Eines Tages fanden ihn zehn oder zwölf Mauren und liefen ihm nach. Er entfloh über eine Klippenreihe und blieb erst bei der letzten und äußersten von allen stehen, und hier setzte er sich nun, die Flöte zu spielen und die Mauren zu verlachen, welche sich fürchteten, die Klippen zu überschreiten, und ihn nicht fangen konnten.

Die Mauren sagten ihm: »Wir werden dich schon fangen, es wird ein Tag kommen, an dem du uns nicht entfliehen wirst.«

Einmal fanden ihn fünf Mauren, als er einen Topf Milch am Feuer hatte, und sie umringten ihn. »Jetzt bin ich schon eurig«, sagte er zu ihnen, »aber da ich euch doch nicht mehr entfliehen kann, lasset mich wenigstens einen Teller Milch essen, und wenn ihr auch davon wollet, so gibt es noch genug davon.«

Sie sagten ja, und wie er ihnen die kochende Milch ausschenkte, verbrühte er sie alle, und unter Löffelhieben ließ er sie entfliehen. Ein anderes Mal fanden sie ihn innerhalb eines Brunnens, in den er hineingegangen war, um Wasser zu trinken, und von oben herab riefen sie ihm zu: »Dieses Mal entfliehst du uns nicht.« – »Ich sehe es schon«, erwiderte er aus dem Innern des Brunnens, »jetzt werde ich herauskommen, umringet die Brunnenöffnung, aber wenn ich herauskomme, könnt ihr mich nur durch die Gerte, die durch meinen Gürtel geht, fangen.«

Als er aus dem Brunnen kam, hielten die Mauren ihn sofort an der Gerte fest. Er machte einige Windungen, ließ die Gerte in ihren Händen und entfloh.

Ein anderes Mal fanden sie ihn in einer Höhle. »Von hier kannst du ja nicht entfliehen«, sagten sie. »Wir werden warten, bis er herauskommt, und wenn er nicht kommt, wird er vor Hunger sterben. Es wird nicht so gehen wie damals beim Brunnen.«

Als er sie hörte, steckt er den Kopf durch ein Loch aus der Höhle heraus und bricht in ein großes Gelächter aus. »Lache nur«, sagten die Mauren, »diesmal entkommst du uns ja nicht.«

Aber er hatte ein Brot, und was macht er, er zeigt es ihnen durch dasselbe Loch der Höhle, indem er ihnen sagt: »Ich teile das Brot.« Sodann teilte er es schnell, zeigte ihnen die Hälfte und sagte ihnen: »Ich teile das Halbe.« Er nimmt ein anderes Stück davon weg und sagt zu ihnen: »Ich teile das Stück.« Er schneidet schnell eine Schnitte, zeigt sie ihnen und sagt: »Ich teile die Schnitte.«

Als die Mauren dies sahen, sagten sie: »Er hat Brot für vierzehn Tage, gehen wir, gehen wir, es ist nichts zu machen mit diesem Hirten.«

Sie konnten ihm nichts anhaben, und diese Höhle wurde seit dieser Zeit die Höhle von Teile Brot (cova d’escata pá) genannt, und noch heute nennt man sie so.

6. Der blinde Maure

In Algier war ein mallorquinischer Gefangener im Hause eines maurischen Herrn, der blind war und der ihn als Sklaven gekauft hatte. Dieser Gefangene war bei seinem Herrn sehr beliebt, weil er ein sehr braver Junge war und alle Arbeiten sehr gut zu verrichten wußte.

Eines Tages sagte der Herr zu ihm: »Wenn du machtest, was ich dir sagen würde, und mich nicht betrögest, würde ich dir die Freiheit und so viel Geld, wie du willst, geben.« – »Sagen Sie, was soll ich tun.« – »Wenn ich dich nach Mallorca schicke, würdest du nicht mehr zurückkehren, weil es deine Heimat ist, aber ich versichere dir, wenn du zurückkehren möchtest, würdest du zufrieden mit mir sein.« – »Sagen Sie mir, was ich auf Mallorca tun soll, und vertrauen Sie auf mein Wort.« – »Von welcher Ortschaft bist du?« – »Von Valldemosa.« – »Du mußt den Puig de na Fátima kennen.« – »Ja, Herr, und sehr genau, weil ich ihn durchwandert habe, um dort Gras zu mähen.«

»Also gut. Ich werde dir sieben Paar Schuhe geben, mit diesen sieben Paar Schuhen wirst du nach Mallorca gehen. Wenn du dort bist, wirst du an einem Montag ein Paar Schuhe anziehen und mit den angezogenen Schuhen auf den Puig de na Fátima steigen und den ganzen Tag dort spazierengehen. Am Abend wirst du die Schuhe ausziehen, ein Zeichen daran machen, daß es jene des Montags sind, und sie aufbewahren, gut aufbewahren. Anderen Tages, Dienstag, wirst du ein anderes Paar Schuhe anziehen, und mit den angezogenen anderen Schuhen wirst du auf den Puig de na Fátima zurückkehren und dort den ganzen Tag spazierengehen. Am Abend wirst du ein Zeichen daran machen, damit man erkenne, daß es die Schuhe sind, die du den Dienstag getragen hast, und sie aufbewahren, gut aufbewahren. Am Mittwoch wirst du ein anderes Paar Schuhe anziehen und wirst dasselbe machen; am Donnerstag das gleiche, ebenso Freitag und Samstag, endlich am Sonntag wirst du das siebente Paar anziehen, und an allen wirst du den Tag bezeichnen, an dem du sie getragen hast. Sodann wirst du gleich hierher zurückkehren und mir die sieben Paar Schuhe gut eingewickelt bringen und sehr behutsam, damit keiner verlorengehe.« – »Haben Sie keine Angst, es wird alles so gemacht werden, wie Sie sagen«, sagte der Sklave.

»Gut«, sagte der Herr. »Wenn du wieder zurückkehrst, ich versichere dir, du wirst es nicht bereuen, weil ich dir dann die Freiheit und so viel Geld, wie du verlangst, geben werde.«

Der Gefangene kam nach Mallorca, machte alles so, wie sein Herr ihm gesagt hatte, kehrte dann wieder nach Algier zurück und brachte die gut zugerichteten Schuhe mit.

Als der Herr vernahm, daß er zurückgekehrt sei, war er sehr zufrieden, weil er sich schon gedacht hatte, daß er nicht zurückkehren würde, und sofort nahm er das Paar Schuhe vom Montag, brachte sie vor seine Augen und rieb sie... und nichts.

Alsdann nahm er das Paar des Dienstags, brachte sie vor seine Augen... und nichts.

Alsdann das Paar des Mittwochs, des Donnerstags, des Freitags, des Samstags, und alle brachte er vor seine Augen . . . und nichts.

Alsdann nimmt er das siebente Paar, welches das vom Sonntag war, und brachte es vor seine Augen, und sogleich war er von seiner Blindheit geheilt und konnte sehr gut sehen. Und das kam von der Heilkraft der Kräuter, auf welche jene Schuhe getreten waren.

Der Herr warf sich an den Hals des Gefangenen und begann ihn zu küssen, und er gab ihm die Freiheit und eine Anzahl Beutel mit Gold. Der Gefangene kehrte nach Mallorca zurück, er blieb wohlhabend sein ganzes Leben, und seine Nachkommen sind noch reich.

7. Der Sklaven-Patron

In Andraitx lebte ein Patron bei dem Vordach des Platzes. Dieser Patron hatte die Gewohnheit, jedes Jahr am Weihnachtstage, bevor er zu Mittag speiste, vor die Türe seines Hauses zu gehen, und wenn er irgendeinen Fremden unter dem Vordach sah, lud er ihn in sein Haus zum Speisen ein.

Eines Jahres am Weihnachtstage sah er einen Mauren unter dem Vordach stehen, und obschon er gegen die Mauren nicht günstig gesinnt war, weil er sie auf dem Meere sehr nahe gesehen hatte, so lud er ihn nichtsdestoweniger zum Essen ein, um die Gewohnheit nicht zu verlieren.

Nach langer Zeit nahm eines Tages eine Barke mit Mauren die Barke dieses Patrons weg, machten ihn zum Gefangenen und führten ihn fort, um ihn auf dem Markte von Algier zu verkaufen.

Hier ging ein Maure von mittlerem Alter vorüber, sah ihn, kaufte ihn und führte ihn nach seinem Hause.

Als sie zu Hause waren, gab ihm der Maure ein gutes Essen, und als sie mit dem Essen fertig waren, sagte er ihm: »Ihr seid Mallorquiner, nicht wahr?« – »Ja, Herr«, antwortete ihm der Patron. – »Ich war schon auf Mallorca. Und von welcher Ortschaft seid ihr? Seid ihr nicht aus Andraitx?« – »Ja, Herr«, sagte wieder der Patron, etwas erstaunt. – »Ich war auch in Andraitx, erinnert ihr euch meiner nicht mehr?« – »Nein, ich erinnere mich nicht, Sie je gesehen zu haben«, sagte der Patron. – »Und ihr erinnert euch nicht an einen Mauren, den ihr am Weihnachtstage zum Essen eingeladen habt und der unter dem Vordache des Platzes von Andraitx stand?« – »Ja, ja, jetzt erinnere ich mich.« – »Und nun, jener Maure bin ich, und um euch die Guttat, die ihr mir erwiesen habt, zu vergelten, habe ich euch auch zum Mittagsmahl eingeladen, und ich werde euch die Freiheit geben, damit ihr in eure Heimat zurückkehren könnt.«

Der Patron war sehr dankbar und kehrte nach Mallorca zurück; aber nach vier oder fünf Jahren nahmen ihn die Mauren wieder gefangen, sie verkauften ihn von neuem, und wieder kaufte ihn der gleiche Maure, der ihn wieder zum Essen einlud und ihm wieder die Freiheit schenkte.

Nach vier oder fünf Jahren geschah ihm nochmals das nämliche, und der Maure, als sie mit dem Mittagsmahl fertig waren, sagte zu ihm: »Dreimal habe ich euch zum Mittagsmahle eingeladen und euch die Freiheit gegeben, aber jetzt bin ich alt und kann von einem Tag auf den anderen sterben. Und wenn ich sterbe, kann ich euch nicht mehr zum Essen einladen und euch nicht mehr die Freiheit geben. Deswegen rate ich euch, schifft euch nicht mehr ein, und so werden sie euch nicht ein viertes Mal fangen. Gehet weg und fahret fort, eure gute Sitte zu befolgen, an Weihnachten denjenigen ein Mittagsmahl zu geben, die sich von ihrem eigenen Hause entfernt finden.«

8. Die Schönheit der Welt

Es waren einmal ein christlicher König und ein maurischer Herr, die waren Busenfreunde. Eines Tages gingen sie auf die Jagd. Als sie am Abend auf dem Heimweg waren, sahen sie eine alte Frau an einem Spinnrad, von deren Nase ein Licht herunterhing.

»Ob ich es ihr herunterschieße?« fragte der König.

»Schießt es nicht«, meinte der Maure.

Aber das Temperament des Königs ließ ihn nicht länger zögern; denn es war so, daß er das, was er dachte, auch sofort tun mußte. Er zielte auf die Alte und schoß einen Pfeil auf sie ab. Beinahe ihre halbe Nase verlor sie dabei, das Licht fiel herunter und beschmutzte ihren Rock über und über.

Diese Alte aber war eine Zauberin, und – wütender als Feuer – rief sie jetzt:

»Bei Zauber und Hexerei! Daß meine Mutter mich geboren hat, und mehr, und daß das, was ich jetzt sagen werde, wahr und wahrhaftig sei! Derjenige, der diesen Pfeil auf mich geschossen hat, wird nicht eher Ruhe haben, ehe er nicht die Schönheit der Welt gefunden hat!«

Der König war sogleich sehr traurig; er war zu Tode betrübt und schlechter Laune. Es gab nichts, was ihm gefallen mochte.

»Wenn wir uns aufmachten, die Schönheit der Welt zu suchen, wäre ich bereit«, sagte er anderntags zu dem maurischen Herrn.

»Jetzt sofort!« rief dieser; und sie machten sich sogleich auf den Weg.

Sie wanderten und wanderten, bis sie die Nacht am Rande eines Fichtenwaldes überraschte. Da sahen sie eine sehr große Fichte und beschlossen, sich unter ihr zur Ruhe niederzulegen.

Damit ihnen kein Leid geschähe, kamen sie überein, daß jeder von ihnen eine halbe Nacht durchwachen und der andere dann schlafen sollte. Der Maure hielt als erster die Nachtwache; und als der König bereits wie ein Baumstamm schlief, hörte er über sich in dem Baum eine Adlermutter, die lachte ein Lachen so frisch wie klares Quellwasser, und er hörte die Adlerkinder sagen:

»Meine Mutter, was habt ihr?«

»Ihr müßt es nicht wissen!« war die Antwort.

»Ach, sagt es uns doch!«

»Wer davon erzählt und davon spricht, der wird zu einem Marmorstein sicherlich.«

»Wir werden nicht davon erzählen und nicht davon sprechen.«

»Nun, ich lachte, weil hier unter uns ein christlicher König und sein Freund, ein maurischer Herr, sind, welche die Schönheit der Welt suchen.«

»Ob sie diese wohl finden?«

»Ich weiß es nicht.«

»Und wer weiß das?«

»Eine Schwester von mir, welche in einem anderen Fichtenwalde wohnt.«

Der maurische Herr merkte sich diese Worte sehr gut. Um Mitternacht weckte er den König, damit auch er sein Anteil an Schlaf bekäme, und am nächsten Morgen zogen sie dann wieder weiter. Sie wanderten und wanderten, und die Nacht überraschte sie zu Füßen eines rauhen Gebirges am Rande eines Fichtenwaldes. Da sahen sie eine hohe Fichte.

»Wollen wir uns hier zur Ruhe niederlegen?« fragte der maurische Herr.

»Hier wollen wir ausruhen!« meinte der König.

Und so geschah es. Der Maure bot sich an, bis zur Mitternacht zu wachen, darüber freute sich der König sehr, denn er war todmüde und hatte einen Schlaf, der ihn beinahe verschlang. Er legte sich nieder und schlief noch im selben Augenblick fester als ein Murmeltier.

Einige Zeit darauf hörte der maurische Herr über sich in der Fichte ein Lachen, so frisch wie klares Quellwasser. Es kam von einer Adlermutter; und die kleinen Adlerkinder hörten nicht auf, sie zu fragen:

»Meine Mutter, was ist es, worüber ihr so lacht?«

»Es ist nicht nötig, daß ihr es wißt.«

»Sagt es uns doch!«

»Wer davon erzählt und davon spricht, der wird zu einem Marmorstein sicherlich.«

»Wir werden nicht davon erzählen und nicht davon sprechen.«

»Nun ich lache, weil hier unter uns ein christlicher König und sein Freund, ein maurischer Herr, liegen, die wollen die Schönheit der Welt suchen. Um sie zu finden, müssen sie über diese Berge. Und sie führen jeder ein Pferd mit sich; aber es nützt ihnen kein Pferd, dieses Gebirge zu überwinden, sondern nur ein Paar guter Beine.«

»Und wenn sie das Gebirge überwunden haben, werden sie dann die Schönheit der Welt finden?«

»Das weiß ich nicht.«

»Aber wer weiß es?«

»Eine Schwester von mir, die in einem anderen Wald wohnt.«

Auch diese Worte merkte sich der maurische Herr wohl. Um zwölf Uhr weckte er den König und schlief dann, bis die Sonne aufging. Als er erwachte, sagte er:

»Ich vermute, daß sich die Schönheit der Welt hinter diesen Bergen befindet.«

»Dann müßten wir aber unsere Pferde zurücklassen!«

»Wir werden sie an einen Baum binden.«

Das taten sie auch und begannen dann sogleich, den Bergabhang hinanzusteigen. Ein Schritt für dich, ein Schritt für mich, über starre Felsen, an Schluchten vorbei, durch unwegsames Gebüsch und Riedgras erreichten sie den Gipfel und stiegen auf der anderen Seite hinunter.

Es dunkelte bereits, als sie unten anlangten; und da war nun ein großer Wald.

Der Maure zeigte auf eine hohe Fichte und sagte zum König:

»Werden wir darunter die Nacht verbringen?«

»So wird es gemacht.«

»Ich werde als erster wachen, nicht wahr?«

»Du sagst es!« rief der König aus und – hopplahopp! warf er sich hin.

Sofort begann er so laut zu schnarchen, daß man es eine Viertelmeile weit hören konnte. Der Maure war nicht so schläfrig. Er erwartete sich etwas von jener Fichte. Nach einiger Zeit hörte er etwas ganz hell und frisch lachen und lachen. Das kam von einer Adlermutter; die kleinen Adlerjungen zögerten nicht, sie zu fragen:

»Aber, meine Mutter, was gibt es so zu lachen?«

»Das geht euch nichts an!«

»Sagt es uns doch!«

»Wer davon erzählt und davon spricht, der wird zu einem Marmorstein sicherlich.«

»Wir werden nicht davon erzählen und nicht davon sprechen.«

»Nun, ich lachte, weil hier unten ein christlicher König und ein maurischer Herr, dessen Freund, sind. Sie suchen die Schönheit der Welt, die in jenem Schloß dort ist, das hier durchschimmert.«

»Und wer ist die Schönheit der Welt?«

»Oh, meine Kinder! Das ist ein Mädchen von sechzehn Jahren: es ist das hübscheste, entzückendste und anmutigste Ding, das je gesehen wurde. Der Herr dieses Schlosses ist ihr Vater, und weil er so sehr eifersüchtig ist, daß man sie ihm wegholen könnte, hält er sie im höchsten und stärksten Turm eingeschlossen. In diesen Turm gelangt man durch ein kleines Türchen, das aber durch ein eisernes Tor mit sieben Riegeln versperrt ist. Darüber befinden sich nur zwei Fensterchen und außerdem ein Altan, überwölbt von einer sehr hohen Brüstung.«

»Kann man nicht von dieser Brüstung aus die Schönheit der Welt erspähen?«

»Wer könnte sie schon erblicken außer dem Himmel!«

»Nun, wie sollen sie sie dann finden, dieser christliche König und jener maurische Herr?«

»Um zu ihr zu gelangen, gibt es nur einen einzigen Weg: einen Kessel aus Gold zu machen, in den sich der König setzt. Der maurische Herr muß damit am Schloß vorbeigehen und ausrufen: ›Wer kauft mir diesen goldenen Kessel ab!‹ Wenn sie ihn hört, wird sie den Kessel haben wollen und ihren Vater bitten, ihn ihr zu kaufen. Der Vater aber wird ihn ihr kaufen, weil er sie zufrieden sehen will, und wird ihn zu ihr tragen lassen. Wenn sie dann ganz allein ist, wird sie den Deckel abheben und den König entdecken. Wollen sie gemeinsam fliehen, dann können sie sich hinunterlassen, indem sie die Bettlaken zusammenknoten und ein Ende an einer Zinne des Turmes festbinden.«

»Und was wird der König machen, wenn die Schönheit der Welt mit ihm entfliehen will?«

»Sie werden fliehen und heiraten.«

»Werden sie Kinder haben?«

»Ja, eine Menge, aber das erste ... «

»Was macht das erste?«

»Es wird eine Schlange in seinem Kopf haben, und der Kopf wird anschwellen, und wenn man ihn nicht abschneidet, wird die Schlange herauskriechen und den König, die Königin und alle verschlingen, die ihr in den Weg kommen.«

Ihr könnt euch vorstellen, wie der maurische Herr die Augen aufsperrte, als er das hörte. Was ihm dann am meisten Furcht einflößte war, daß er in einen Marmorstein verwandelt werden sollte, wenn er jemandem von all diesen Dingen erzählte.

Um Mitternacht weckte er den König, dann schlief er ein. Er wurde wach, als die Sonne gerade aufging, und sagte:

»Möchtet Ihr, daß wir die Schönheit der Welt finden?«

»So schnell wie möglich.«

»Nun, so schwört mir, daß Ihr mich nicht nach dem Warum all dessen fragt, was ich euch sage, und wir werden sie finden.«

»Ich schwöre es dir.«

»Seht, wir gehen zu einem Goldschmied und bestellen einen Kessel aus Gold.«

Das taten sie. Der maurische Herr gab seine Maße an und befahl, wie der Kessel sein sollte. Und der Goldschmied machte ihn so.

Als sie ihn hatten, gingen sie direkt zu dem Schloß. Kaum standen sie davor, sagte der maurische Herr zum König:

»Die Schönheit der Welt ist in einem Turm dieser Burg. Um hineinzugelangen und um Euch hineinzubringen, müßt Ihr in diesen Kessel schlüpfen; dann laßt mich nur machen. Eure Aufgabe ist es, den Mund nicht aufzutun und Euch um nichts in der Welt zu rühren, bis Ihr Euch im Zimmer des Turmes ganz allein mit der Schönheit der Welt findet.«

Der König setzt sich in den Kessel; der maurische Herr verschließt ihn gut, lädt ihn sich auf, nähert sich dem Schloß und ist auch schon dabei, darum herumzugehen, wobei er ruft, was seine Stimme hergibt:

»Wer kauft mir diesen goldenen Kessel ab! Holla! Wer kauft ihn ab!«

Die Schönheit der Welt hört diese Stimme ein ums andere Mal rufen.

»Ein Kessel aus Gold! Oh, muß der wertvoll sein! Oh, wie er mir gefallen würde!«

Sie rief eine Dienstmagd und sagte:

»Du gehst zu meinem Vater und sagst ihm, daß er mir um der Liebe Gottes willen diesen Kessel kaufen soll, der vorbeigetragen wird.«

Die Dienstmagd geht davon. Der Vater, der seine heißgeliebte Tochter nicht erzürnen will, kauft den Kessel und läßt ihn ihr bringen.

»Oh, ist der schwer!« riefen die Diener, als sie ihn ihr brachten. »Was für eine gewichtige Kostbarkeit!«

Der Kessel war zugedeckt; niemand bemerkte etwas Verdächtiges. Sie trugen ihn in die Kammer der Schönheit der Welt und ließen ihn dort. Sie machte sich daran, ihn ganz genau zu betrachten. Und wie kostbar und schön erschien er ihr! Sie wußte nicht, wie ihr geschah. Und sie schaute ihn an und schaute ihn sich wieder an und konnte ihre Augen nicht davon lassen.

Dann bemerkte sie seinen Deckel, der ausgezeichnet schloß, und hob ihn ab. Sie schaut hinein und findet darin ... den christlichen König! Ihr könnt euch denken, welch schreckliche Angst sie befiel. Der Armen blieb das Herz stehen, und sie mußte sich hinsetzen.

Der König war mit einem Satz aus dem Kessel.

»Hab keine Angst«, sagte er zu ihr. »Fürchte dich nicht. Ich

will dir nichts Böses tun. Ich sagte dir schon, daß du dich vor nichts zu ängstigen brauchst.«

Als es ihn so freundlich, bescheiden und aufmerksam sah, beruhigte sich das Mädchen wieder, und die Angst verschwand.

Der König, wie er sie so jung und so anmutig, in solcher Schönheit und Lieblichkeit sah, wißt, daß er wie ein Taubstummer dastand und sie von Kopf bis Fuß betrachtete. Er wagte kaum mit der Wimper zu zucken! Darauf begannen beide zu sprechen, und es ergab sich, daß, wie sehr zufrieden auch immer der König war, sie in dem Turm gefunden zu haben, sie noch glücklicher war, ihn in dem Kessel entdeckt zu haben. Sie dachten darüber nach, wie sie fliehen könnten, und meinten:

»Das beste wird sein, die Bettlaken zusammenzuknüpfen, bis sie uns genügen, daß wir den Fuß des Turmes erreichen können; und nachts, wenn das ganze Schloß schläft, wollen wir uns hinablassen.«

Der König und die Schönheit der Welt hatten schon die Bettücher aneinandergeknotet; sie sahen nach, ob sie bis zum Boden reichten, aber sie mußten noch zwei dazugeben. Dann befestigten sie ein Ende an einer der stärksten Zinnen in der höchsten Höhe des Turmes – und hinunter ging es.

In der Zeit von drei Vaterunsern waren sie auch schon unten.

Der maurische Herr erwartete sie dort, und alle drei sputeten sich, so schnell sie konnten.

Am anderen Morgen, als die Sonne bereits hoch am Himmel stand, waren sie jenseits der Berge. Dort fanden sie die Pferde angebunden, stiegen in den Sattel, und von da ging es ins Land des Königs.

Der König war wieder froh; er hatte ja die Schönheit der Welt gefunden. Sie kamen an, sie heirateten und feierten eine prächtige Hochzeit und gaben ein noch nie dagewesenes Fest.

Nach Jahr und Tag gebar die Königin ein Kind. Am nächsten Sonntag sagte der maurische Herr, der sich seit der Hochzeit noch nicht vom Hof entfernt hatte, zum König und zu allen anderen:

»Geht zur Messe, ich will inzwischen über das Kind und seine Mutter wachen.«

Und alle gingen. Das Kind lag in der Wiege, und der maurische Herr bemerkte, daß sein Kopf anschwoll und bereits aufzubrechen begann. Eingedenk der Worte der Adlermutter zog er sein Schwert und schlug ihm den Kopf ab, der zur Erde rollte.

Die Königin sah das alles von ihrem Bett aus, und ihr könnt euch denken, welch ein Geschrei sie anhob, welch Schrecken sie befiel und wieviel Tränen sie weinte. Zu diesem Zeitpunkt kehrte der König von der Messe zurück und fand das Kind ohne Kopf und Kragen und die Königin, die in Ohnmacht gefallen war.

Der Maure gestand, daß er es war, der diesen Kopf abgeschlagen hatte, und der König sagte:

»Wer tötet, muß sterben!« und verurteilte den Mauren zum Tode. Sie zerrten ihn zum Galgen. Von dort oben erbat er sich eine Gnade, die Gnade, erzählen zu dürfen, warum er den Kopf des Kindes abgeschlagen hatte. Der König gewährte sie ihm, und jener begann mit der Geschichte:

»Wir gingen, die Schönheit der Welt zu suchen, der König und ich. Die erste Nacht verbrachten wir unter einer Fichte: während der König schlief und ich wachte, hörte ich eine Adlermutter oben im Baum lachen, und ich hörte sie ihren Kindern erzählen, wonach wir beide auf der Suche waren.«

Als er soweit gekommen war, verwandelten sich seine Füße und Beine in Marmorstein.

Der König bekam Angst und sagte: »Erzähl nicht weiter!«

Aber er konnte nicht mehr aufhören und fuhr fort:

»Die zweite Nacht verbrachten wir unter einer anderen Fichte. Während der König schlief und ich wachte, hörte ich eine andere Adlermutter lachen und ihren Kindern erzählen, daß wir einige Berge, die vor uns lagen, überwinden müßten, wenn wir die Schönheit der Welt finden wollten.«

Als er erzählt hatte, wurden seine Oberschenkel und sein Schoß zu Marmor.

»Erzähl nicht weiter!« rief der König, als er das sah.

»Er soll nicht weitererzählen!« riefen alle anderen.

Aber er konnte nicht einhalten und fuhr fort:

»Die dritte Nacht verbrachten wir unter einer anderen Fichte, und ich wachte. Ich hörte eine andere Adlermutter lachen und ihren Jungen erzählen, daß die Schönheit der Welt in einem Schloß eingesperrt sei. Um sie zu finden, müßten wir einen Kessel aus Gold machen lassen, in den sollte sich der König setzen. Und wenn der Herr dieses Schlosses den Kessel für die Schönheit gekauft habe, werde diese den König darin entdecken, der König könne sie entführen und sich mit ihr verheiraten. Nach Jahr und Tag würden sie ein Kind haben, und der Kopf des Kindes würde anschwellen; wenn man ihn nicht abschlüge, käme daraus eine Schlange hervor, die den König und die Königin und alle Menschen in der Stadt fräße. Durch die Erzählung der Adlermutter fanden wir die Schönheit der Welt; der König nahm sie zur Frau, und sie bekamen ein Kind. Jedermann war in der Messe, während ich es behütete, da sah ich, wie sein Köpfchen dicker wurde und nahe daran war aufzubrechen. Um euch allen das Leben zu retten, schlug ich ihm den Kopf ab, und so verurteilte man mich zum Tode.«

Als er soweit gekommen war, konnte er nichts mehr sagen; denn aus Marmor waren da schon der Bauch und die Brust, der Hals und der Kopf. Kein Leben war mehr in seiner Zunge, denn sie wurde zu Marmor, als er das letzte Wort gesprochen hatte.

Er hatte davon gesprochen und davon erzählt, was die drei Adlermütter in der Fichte ihren Jungen gesagt hatten, und so wurde er zu einem Stück Marmorstein. Der König, die Königin und alles Volk brach in Weinen aus über diesen traurigen Fall, und niemand vermochte sie zu trösten.

Plötzlich hörte man eine Stimme rufen:

»So ist’s recht! Die werden noch einmal eine gute Frau um die halbe Nase bringen! Noch mehr würden sie verdienen!«

Es war eine schnurrbärtige runzelige Alte, von deren Gurkennase die Spitze fehlte; es war jene alte Zauberin, welcher der König den bösen Streich gespielt hatte, auf ihre Nase zu schießen.

Die Leute umringten sie, um sie auszufragen, und entlockten ihr einen Schwall von Worten, die sie besser nicht gesagt hätte. Sie hinterbrachten alles dem König, der die Alte herbeibringen ließ und zu ihr sagte:

»Du da, die du so große Zufriedenheit zeigst, weil du uns weinen siehst, mach, daß dieser Unglückliche kein Marmorstein mehr sei! Willst du es nicht tun, werden wir dich an die Beine von vier Pferden binden, von denen jedes in seine Richtung läuft und das Stück deines Leibes mit sich schleift, das es dir ausgerissen hat.«

Als die Alte das hörte, verging ihr das Lachen. Sie wurde sehr nachdenklich, und am Ende sagte sie:

»Sie sollen einen Holzstoß aufschichten, bis der Marmorstein zugedeckt ist, und dann Feuer daranlegen. Ich bin gleich wieder hier!«

»Nichts da!« sagte der König, »du rührst dich nicht von der Stelle, bis mein Freund wieder zu Fleisch und Blut geworden ist. Sag, was du willst und wo du es hast, und man wird es dir bringen.«

»Nun«, antwortete die Alte, »dann sollen sie zu mir nach Hause gehen und die Kiste aufmachen. Darin liegt ein bauchiges Fläschchen, das soll man mir bringen.«

Während man es zu holen lief, war der Holzberg schon hoch geworden, und man zündete ihn an. Gleich bildete er eine Flamme, die war so hoch wie ein Kirchturm. Man brachte der Alten das Fläschchen.

Darinnen war das Stück der Nase, das sie durch den König verloren hatte, und es war so frisch erhalten, als wäre es ihr erst jetzt abhanden gekommen.

Jetzt fragte die Alte: »Brennen die Scheite gut?«

Man sah nach und sah, daß es so war.

Was macht sie da? Sie wirft das Fläschchen in jenen Scheiterhaufen. Da gab es einen Knall, daß alle auf den Rücken fielen und sämtliche Fensterscheiben in der Stadt barsten.

Von dem großen Holzberg blieb nur ein kleines Häufchen Asche zurück. Der maurische Herr stieg daraus hervor, gesund und munter, als wäre er immer so gewesen, und ging auf den König zu, um ihn zu umarmen.

Es läßt sich nicht beschreiben, wie groß die Freude aller war! Ei potztausend, welche Freudentänze wurden da aufgeführt zur Feier dieses Tages!

Der König und die Schönheit der Welt wollten den maurischen Herrn reich belohnen für das, was er für sie und ihre Vasallen getan hatte. Es gelang ihnen, ihn zu bekehren, und sie machten ihn zum zweiten Herrn über das ganze Königreich. Dann verheirateten sie ihn mit dem angenehmsten, dem hübschesten, vornehmsten und reichsten Edelfräulein, das sie finden konnten, und alle lebten zusammen glücklich und zufrieden bis zu ihrem Tod. Und im Himmel sehen wir sie vereint. Amen!