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Über dieses Buch:

Hand aufs Herz: Wir kennen doch alle diese Tage, an denen sich ausgerechnet über unseren Köpfen die Gewitterwolken des Lebens zusammenballen. Nichts ist so lästig wie schlechte Laune … und so überflüssig, denn mit einer Extraportion Humor scheint sofort wieder die Sonne! Das findet auch Lefty, der sich für einen ganzen Kerl hält und bereitwillig in jedes Abenteuer stürzen würde – dabei allerdings außer Acht lässt, dass er gar kein Mensch ist, sondern ein buntes Ringelsöckchen …

Humorvoll, schlau und mit Schmunzel-Garantie: Jana Voosen erzählt von gutgelaunten Himbeertorten und liebenswerten Rabenmüttern, einem Sommer voller Überraschungen und von Elias, der in alttestamentarischen Zeiten ein super Jobangebot von einem gewissen Noah bekommt – und so eine kleine Sintflut muss ja nun wirklich kein Weltuntergang sein …

Über die Autorin:

Jana Voosen, geboren 1976, teilte ihren Eltern bereits im Alter von sechs Jahren mit, dass sie entweder Schauspielerin oder Schriftstellerin werden würde. Folgerichtig absolvierte sie später eine Schauspielausbildung in Hamburg und schrieb parallel dazu ihr erstes Buch. Seitdem veröffentlichte sie zahlreiche Romane und Kurzgeschichten, schrieb Bühnenstücke für das Theater und ist immer wieder in TV-Produktionen zu sehen, vom »Tatort« bis zu internationalen Produktionen wie »Homeland«.

Jana Voosen im Internet: www.instagram.com/janavoosen und www.facebook.com/HHJaVoo

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Sammelband-Originalausgabe Juni 2014

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Die Geschichte »Himmelsmächte« erschien erstmals 2008 in »Der Arsch auf dem Sessel: Böse Chef-Geschichten«, herausgegeben von Margit Schönberger (Diana Verlag, München); »Leben statt Lieben« erschien erstmals 2011 in »Liebe macht doof: Geschichten durch die rosa Brille«, herausgegeben von Steffi von Wolff (Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt); »Nach mir die Sintflut« erschien erstmals 2012 in »Junger Mann zum Mitreisen gesucht«, herausgegeben von Anne Hertz (Knaur Verlag, München); »Mutterschaft – fabelhaft« erschien erstmals 2011 in »Die Mütter-Mafia und Friends: Das Imperium schlägt zurück«, herausgegeben von Kerstin Gier (Bastei Lübbe, Köln); »Wann wird’s mal wieder richtig Sommer« erschien erstmals 2013 in »Darf’s ein bisschen Sommer sein«, herausgegeben von Sofie Cramer (rororo, Reinbek bei Hamburg); »Himbeertörtchen« erschien erstmals 2008 in »Ich werde nie mehr auseinandergehen: Böse Diät-Geschichten«, herausgegeben von Margit Schönberger (Diana Verlag, München).

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: dotbooks GmbH, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von Adobe Stock/deagreez

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-95520-334-4

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Jana Voosen

Zuckerwatte mit Chili

Gute-Laune-Geschichten

dotbooks.

Das tapfere Ringelsöckchen

Darf ich mich vorstellen? Ich bin ein blau-grüngestreiftes Ringelsöckchen. Freut mich, dass wir uns kennenlernen! Und bitte keine Scherze darüber, dass man mich auf den ersten Blick für ein Mädchen halten könnte. Ich bin ein ganzer Kerl. Nur eben einer mit bunten Streifen.

Ich wurde zusammen mit meinem Bruder in einem großen Unternehmen hergestellt, auf meiner Lasche steht: Größe 36–38. Aber mein Name ist eigentlich Lefty. Von der Fabrik wurde ich mit all meinen Freunden zusammen in ein Kaufhaus verfrachtet, wo man mich an einem Haken aufhängte. Das klingt vielleicht brutal, aber es ist tatsächlich sehr bequem.

Ich genieße meine neue Umgebung. Righty ist ein verschlossener Zeitgenosse, der nicht gerne redet, aber hier habe ich jede Menge Gesellschaft. Ganz entspannt hänge ich so herum, plaudere mit den anderen Socken und betrachte die vorübereilenden Kunden. Von mir aus könnte es ewig so weitergehen. Von Zeit zu Zeit erinnert mich mein Bruder daran, dass wir nicht ewig auf der faulen Wolle liegen können, aber daran will ich im Moment noch nicht denken.

Gerade bin ich mitten in einem aufregenden Flirt mit der schwarzen Netzstrumpfhose von gegenüber, als eine Hand nach mir greift und mit derbem Griff meinen Körper befühlt. Mir schwant Böses. Diese Frau hat große Hände. Sehr große Hände. Wie kann sie denken, dass ich winziges, zartes Ringelsöckchen ihr passen könnte. Ich werfe einen verstohlenen Blick zu Boden und sehe einen ausgelatschten, roten Pump, der verzweifelt ächzend zu mir hochschaut.

»He, du«, rufe ich ihm zu, »was bist du für eine Größe?«

»Ich war mal eine 38«, kommt es weinerlich zurück. »Aber mittlerweile bin ich mindestens eine 40.«

»Oh nein, wie konnte denn das nur passieren«, frage ich mitfühlend, während ich mich den aufdringlichen Fingern zu entziehen versuche.

»Meine Besitzerin möchte sich nicht damit abfinden, dass sie große Füße hat. Als würden sie dadurch schrumpfen, dass sie zu kleine Schuhe trägt«, erklingt es schicksalsergeben zu mir herauf.

Ängstlich schaue ich nach oben in das breite, von dunkelbraunen Haaren umrahmte Gesicht der Frau. Kleine Schweißperlen stehen auf ihrer Stirn, als hätte sie gerade einen Marathon hinter sich und keinen Einkaufsbummel. Sie wird doch nicht kollabieren? Aber was mich viel mehr beunruhigt, ist der zufriedene, ja wohlwollende Ausdruck in ihren Augen. Nein, bitte nicht, schicke ich ein Stoßgebet zum Himmel…

… doch zu spät.

In hohem Bogen landen Righty und ich zusammen in dem blauen Plastikeinkaufskorb.

»Das war’s dann wohl«, bemerkt mein Bruder trocken. Jemand, der so schweigsam ist, sollte eigentlich wissen, wann es Zeit ist, den Mund zu halten, oder?

»Hey, guten Tag«, zwitschert es fröhlich neben uns. Die Tagescreme von Bebe mit Lichtschutzfaktor 6 stupst mir freundschaftlich in die Seite. »Jetzt geht es los. Ist das nicht megaspannend«, plappert sie aufgeregt, doch leider kann ich ihre Begeisterung nicht teilen. Stattdessen mustere ich sie kritisch. Die Pflege für junge Haut steht auf ihrer Verpackung. Auch wenn ich vor dem Abflug nur einen flüchtigen Blick auf unsere Käuferin erhaschen konnte, so war sie doch eins bestimmt nicht: jung. Aber schließlich hat sie ja auch nicht Schuhgröße 36 bis 38. Resigniert starre ich vor mich hin und versuche, das gutgelaunte Trällern der Cremetube zu ignorieren.

»Wir gehen auf große Fahrt, große Fahrt, wir gehen auf große Fahrt, grooooooooße Faaaaaaaahrt!«

»Righty, ich habe Angst«, flüstere ich meinem Bruder zu, aber außer einem »Klappe, Lefty, stell dich nicht so an« kommt von ihm nichts zurück.

Verärgert halte ich meinen Mund und frage mich, wie zwei Socken sich so ähnlich sehen und doch so verschieden sein können. Er ist wortkarg, rational, einfach durch und durch nüchtern. Ganz anders ich: verträumt, sensibel und redselig.

»Ojeeee, ojeojeoje«, ertönt ein Wimmern von der anderen Seite des Korbes, und ich sehe neugierig hinüber. Dort, fast völlig verdeckt von einer hochnäsigen Zeitschrift mit dem Namen Gala, liegt ein rotes Seidenunterhöschen mit weißen Tupfen und Spitzenborte. Es jammert, als ob es um sein Leben ginge.

»Hey, du«, rufe ich zu ihm hinüber und versuche, das Lied, in das inzwischen auch der Deoroller von Nivea und ein Paket Sicherheitsnadeln eingefallen sind, zu übertönen.

»Hey…«, ich linse zu dem Etikett der Heulboje, »… hey, Sloggi!« Das Heulen bricht abrupt ab, und das Höschen schaut sich verwirrt um.

»Ja?«

»Hier drüben. Das Söckchen!« Ich winke schüchtern hinüber. »Welche Größe bist du?«, versuche ich mich an einer unverfänglichen Kennenlernfrage. »S?«

»Huhuhuuuuu«, kommt es langgezogen zurück, also lag ich mit meiner Vermutung richtig. Ich werfe einen Blick auf den gewaltigen Hintern unserer Käuferin und habe jetzt richtig Mitleid mit Sloggi. Das wird auf jeden Fall unangenehm.

***

Wenig später landen wir gemeinsam auf dem Fließband an der Kasse. Bevor Righty und ich in der grünen Plastiktüte verstaut werden, beobachte ich Sloggis heldenhaften Versuch, sich rechts vom Band zu stürzen und der Kassiererin vor die Füße zu rutschen. Ich halte den Atem an und drücke alle Maschen… aber im letzten Moment packt die Kundin Sloggi am Schlafittchen und stopft es zu uns anderen in die Tasche.

Während unsere Käuferin sich schnaufend ihren Weg durch die Fußgängerzone nach Hause bahnt, versuche ich, das rote Seidenunterhöschen mit ein paar aufmunternden Worten zu trösten, aber Sloggi ist nicht mehr ansprechbar. Vor dem Kleiderschrank trennen sich unsere Wege.

»Viel Glück! Sei stark«, wispere ich ihm zu, kurz bevor es in die große, hölzerne Schublade fliegt. Dann öffnet unsere Käuferin das Fach darunter und wirft Righty und mich in einen Wust aus bunten, zusammengerollten Socken.

Es könnte schlimmer sein, denke ich, um mir Mut zu machen. Ist doch ganz geräumig hier und nicht so dunkel und muffig, wie man hätte befürchten können.

Sekunden später wird es stockfinster um mich herum.

Auf einmal scheinen die anderen Socken mir näher zu sein, als mir lieb ist.

Ich wage nicht, mich zu rühren.

Niemand spricht ein Wort. Trotzdem ist es alles andere als still. Verstohlen versuche ich, Righty anzustupsen, aber es ertönt ein sanftes Schnarchen aus seiner Richtung. Wie kann der jetzt schlafen?

Furchtsam lausche ich den unheimlichen Geräuschen um mich herum. Hier ein Stöhnen, da ein Seufzen, es klingt, als seien wir in einer Geisterbahn gelandet. Schließlich nehme ich all meinen Mut zusammen und sage laut: »Guten Tag.«

Vereinzelt ertönt hier und da ein Gegengruß, aber so richtig in Plauderstimmung scheint niemand zu sein. Nur hinten in der Ecke höre ich ein paar grobmaschige Wintersocken leise miteinander flüstern, aber die scheinen sich schon ewig zu kennen. Eine Weile liege ich einfach nur stumm da und lausche dem gleichmäßigen Atem von Righty.

Trotz der Aufregung muss ich eingeschlafen sein, denn ich werde von einem hellen Lichtstrahl geweckt. Erschrocken starre ich in das fleischige Gesicht unserer neuen Besitzerin, während ihre große, weiße Hand bedrohlich nahe bei uns in den Socken herumwühlt. Ich versuche, unter ein dunkelbraunes Paar Kniestrümpfe zu kriechen und Righty hinter mir herzuschleifen…

… aber da hat sie uns schon gepackt und ans Licht gezerrt!

Zitternd harre ich der Dinge, die da kommen werden, als ich plötzlich eine wohlbekannte Stimme höre. Sie schreit zum Gotterbarmen: »Aaaah, Hilfe, so hilf mir doch jemand. Es zerreißt mich. Meine Maschen, ich kann sie nicht mehr lange zusammenhalten. Bitte, helft mir doch.«

Oh nein!

Sloggi!

Das arme Seidenhöschen!

Am liebsten möchte ich vor dem Grauen meine Augen verschließen, aber dann schaue ich doch hin. Der feine, rot gepunktete Stoff spannt sich so über dem Bauch der Frau, dass er viel heller wirkt als noch im Einkaufskorb. Von den hübschen, hellen Rüschen am Bündchen sind nur noch die Spitzen zu erkennen, die nach Luft schnappend aus einer Speckfalte herauslugen.

»O weeeeh«, ächzt das Höschen langgezogen und wirft mir einen leidenden Blick zu. »Meine Elastikfasern leiern aus! Ich werde nie wieder zu meiner alten Form zurückfinden«, jammert es gen Himmel.

»Tut mir so leid, Kumpel«, rufe ich ihm zu, da erhalte ich von der Seite einen Rippenstoß.

»Gleich kannst du dir selber leidtun«, prophezeit Righty mit düsterer Miene. »Schau mal nach unten.«

In diesem Moment werden wir getrenn,t und mein Bruder entschwindet meinem Gesichtsfeld.

»Righty, wo bist du?«, rufe ich verzweifelt, aber er antwortet nicht. Ich starre hinunter auf ein paar hässliche, große Füße mit gebogenen Zehen und langen, dicken Nägeln.

Nein! Dafür bin ich nicht geschaffen. Ich sollte zarte Füßchen mit perfekt manikürten Nägeln umschmeicheln! I’m a lover, not a fighter! Ich…

Mich schaudert, als die Hände fester packen und mich erbarmungslos über den linken Fuß ziehen.

»Aaaah«, schreie ich vor Schmerz, als ich spüre, wie meine Maschen gedehnt werden. »Ahhhhhhhhhhhhhhhhhh!«

Nach wenigen Sekunden, die mir wie Stunden vorkommen, hat das Ruckeln und Zerren endlich ein Ende. Ich sitze hauteng und habe das Gefühl, gleich platzen zu müssen. Meinen Bruder ereilt das gleiche Schicksal, aber er erträgt es tapfer und ohne Geschrei, weshalb ich mich auch um ein wenig Haltung bemühe.

Während sich unsere Besitzerin in weitere Klamotten zwängt, versuche ich, gleichmäßig zu atmen und mich an das Scheuern der dicken Hornhaut an meiner Unterseite zu gewöhnen. Der große Zehennagel hat einen Widerhaken, der sich in mir verfängt und schrecklich ziept. Womit habe ich das nur verdient?

Aber es kommt noch schlimmer. Ich werde in einen engen, blauen Turnschuh gequetscht, der bei jedem Schritt scheuert und drückt. »Muss das sein?«, frage ich ungehalten.

»Meinst du, mir macht das Spaß?«, ächzt der Schuh.

Und dann beginnt mein erster Arbeitstag.

Es ist ein Alptraum. Den ganzen Tag bin ich unterwegs, eingepfercht in dieses Schuhwerk, in dem sich schon nach kürzester Zeit die Luft staut. Prompt beginnt der Fuß, um den ich gespannt bin, unangenehm feucht zu werden. Ach was, feucht – aus allen Poren bricht ihm der Schweiß, der von meinen Fasern aufgesaugt wird. Nur der Abtransport funktioniert in diesen viel zu engen Billiglatschen natürlich nicht. Auch wenn ich eine atmungsaktive Socke bin, Wunder kann ich nicht vollbringen. So werde ich immer nasser und schwitziger, der Geruch ist beinahe unerträglich.

Am Ende des Tages bin ich total eingesaut, Righty geht es nicht besser, aber wie immer erduldet er schweigend sein Schicksal. Wir fliegen in die Wäschetonne, wo die anderen Klamotten ob unseres Gestanks verächtlich die Nase rümpfen.

»Du riechst auch nicht besser«, blaffe ich das arrogante rote T-Shirt unter mir an. Jedenfalls nicht viel besser, füge ich in Gedanken hinzu. Aber anscheinend bin ich es nicht einmal wert, dass man sich mit mir streitet: Man straft mich mit eisigem Schweigen, was ich besonders schwer ertragen kann. Als mit einem Aufschrei, gefolgt von jammervollem Gestöhne plötzlich Sloggi auf mir landet, bin ich trotz meiner miserablen Lage ein bisschen glücklich. Endlich ein alter Bekannter! Jemand, mit dem man reden kann.

»Ich sterbe, ich sterbe, ich bin halbtot«, jammert das Seidenhöschen sofort los, kaum, dass es meiner ansichtig wird. »Lefty, ich kann dir sagen, ich hatte den schlimmsten, den allerschlimmsten Tag. Das muss ich dir erzählen…« Es robbt näher zu mir heran, und ich weiche unmerklich ein Stück zurück: Sloggi riecht noch schlimmer als ich. Als es mich verletzt ansieht, komme ich widerstrebend wieder ein Stück näher. Das arme Ding, es tut mir noch mehr leid als ich mir selber.

Aufgelöst beginnt Sloggi, allerlei unschöne Geschichten aus dem Schritt unserer Besitzerin zu erzählen. Ich spüre, wie der Wäscheberg unter uns aufmerksam wird und die Stücke beginnen, sich sensationslüstern um uns herum zu drängeln.

»He, was soll denn das«, frage ich empört einen fleckigen Waschlappen, der mich zur Seite schubst. »Sloggi«, rufe ich, während ich tiefer und tiefer sinke, aber in dem Gedränge kann mir mein Freund auch nicht helfen.

Auf dem Grund des Wäschesacks angekommen, bleibe ich erschöpft liegen und warte auf bessere Zeiten. Und die kommen…

… erst mal nicht. Ich liege einfach nur da. Am Abend höre ich, wie Neuankömmlinge zu uns stoßen und ihr Leid erzählen. Etwas Besseres als der Tod findet sich allemal, heißt es doch immer. Ich bin da nicht mehr so sicher.

In dem Gestank und der Dunkelheit habe ich längst jedes Zeitgefühl verloren, von Righty habe ich schon eine Ewigkeit nichts mehr gehört oder gesehen. Dann, eines Tages, geht endlich ein Ruck durch die Mannschaft, und wir werden auf einen weißen Tisch geschüttet. Geblendet von den hellen Neonröhren an der Decke des Waschsalons versuche ich, mich zu orientieren, da geht es schon in hohem Bogen in die stählerne Trommel einer großen Waschmaschine.

»Uff!« Keine Sekunde später landet mein Bruder neben mir.

»Righty«, rufe ich erfreut, »ich hab dich vermisst, Bruderherz!«

»Ich dich auch«, brummelt er.

Wow, für seine Verhältnisse ist das eine hochemotionale Reaktion. Besorgt betrachte ich ihn von der Seite. Er stinkt zum Gotterbarmen, aber seine Fasern haben sich, genau wie meine, wieder ganz ordentlich zusammengezogen. Ein ausgiebiges Bad und wir werden so gut wie neu sein. Ich merke, wie zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Zuversicht in mir aufkeimt. Doch in diesem Moment erscheinen wieder die überdimensionalen, verhornten Füße vor meinem inneren Auge. Oft werden wir diese Tortur nicht verkraften. Wir werden löchrig und ausgeleiert sein und auf dem Müll landen. Einerseits wünsche ich mir dies, es wäre wirklich eine Erlösung… andererseits regt sich Kampfgeist in mir. Das darf nicht sein! Ich bin kein Jammerlappen, ich bin ein Ringelsöckchen!

Während sich über uns Unterhosen, Socken und Shirts türmen, arbeiten meine Gedanken fieberhaft.

»Brüderchen, hör zu«, sage ich dann hastig, »siehst du die Wände der Wäschetrommel.«

»Hm.«

Ich interpretiere das mal als Zustimmung.

»Wenn der Schleudergang vorbei ist, dann krall dich ganz fest daran, okay? Ich kann nicht noch mal über diese Füße gezogen werden, und du willst es auch nicht, das spüre ich.«

»Ach…«, beginnt er, aber ich schneide ihm das Wort ab.

»Erzähl mir nichts. Wir sind immer noch eine Familie! Wir sind ein wunderschönes Paar Ringelsocken, wir sind zu Höherem bestimmt, als uns in drei oder vier Arbeitstagen völlig zu verausgaben und dann auf der Müllhalde zu landen«, ereifere ich mich. »Also, wenn der Schleudergang aufhört, klammer dich fest, ganz fest. Okay?«

»Na gut.«

In diesem Moment strömt Wasser um uns herum und schwemmt meinen Bruder mit sich fort.

»Viel Glück, Righty«, rufe ich ihm hinterher. »Und vergiss nicht…« Meine Ermahnungen gehen im Schäumen der Fluten unter. Hoffentlich geht alles gut! Doch dann verscheuche ich zunächst meine sorgenvollen Gedanken und genieße das warme, duftende Wasser, das langsam durch mich hindurchsickert. Oh, wie gut das tut nach den erlittenen Strapazen, nach der Enge und Stickigkeit! Fröhlich lasse ich mich hierhin und dorthin treiben, tummele mich im Seifenschaum, nehme ihn in mich auf und spüre seine reinigende und entspannende Wirkung. Zum Abschluss gibt es eine lustige Schleuderfahrt – und dann wird es ernst.

Die Wäschetrommel schwankt noch einmal hin und her und hält dann an. Was für ein Glück, dass ich mich in die obere Hälfte vorgekämpft habe. Ich strecke mich so weit wie möglich und presse mich an das kühle Metall. Ein Blick zur Seite zeigt mir, dass Righty nebenan dasselbe tut.

Meine Nerven und Fasern sind zum Zerreißen gespannt, als sich nun das gläserne Guckloch öffnet und die Hand unserer Besitzerin die nassen Kleidungsstücke aus der Waschmaschine räumt. Sie greift einmal zu.

Ein zweites Mal.

Beim dritten Mal erwischt sie den Feinripp-Slip, der unserem Beispiel folgen wollte, sich aber im unteren Bereich der Trommel festgekrallt hatte. Amateur, denke ich ein kleines bisschen überheblich, obwohl Mitleid angebrachter wäre. Aber Feinripp ist nun mal nicht für Abenteuer geschaffen wie wir Ringelsöckchen.

Die Hand kommt ein letztes Mal. Ich mache mich so flach wie möglich und entwische gerade so eben den tastenden Fingern. Ich halte die Luft an.

Die Klappe schlägt zu, und ich höre einen unterdrückten Freudenschrei: »Wir haben es geschafft!«