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Cover

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Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Band 73

 

Die Elysische Welt

 

von Oliver Plaschka/Robert Corvus

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Als der Astronaut Perry Rhodan im Juni 2036 zum Mond aufbricht, ahnt er nicht, dass sein Flug die Geschicke der Menschheit in neue Bahnen lenken wird.

Rhodan stößt auf ein Raumschiff der technisch weit überlegenen Arkoniden. Es gelingt ihm, die Freundschaft der Gestrandeten zu gewinnen – und schließlich die Menschheit in der Terranischen Union zu vereinigen.

Perry Rhodan hat das Tor zu den Sternen geöffnet. Doch die neuen Möglichkeiten bergen auch zusätzliche Gefahren: Als er erfährt, dass die Position der Erde im Epetran-Archiv auf Arkon gespeichert ist, bricht er unverzüglich auf. Er muss die Koordinaten löschen, bevor sie in die falschen Hände geraten und die Macht des Großen Imperiums die Erde zerschmettert.

Rhodans Unterfangen gelingt. Aber die verzweifelte Flucht vor seinen Feinden führt ihn auf die Elysische Welt. Dort wird er als lebende Legende empfangen. Er soll die Bewohner der Welt von ihrem Peiniger erlösen ...

1.

Perry Rhodan

 

Nach dem Ende der alten Welt führte Plofre unser Volk in eine neue Welt. Doch die Mächte der Zwietracht, die Welten teilen und Hass in alle Herzen säen, folgten ihm und nahmen unser Volk gefangen und verwehrten Plofre den neuen Morgen, den er uns versprochen hatte. Und sie legten unser Volk in Schlaf, und als es wieder erwachte, sah es, dass es abermals gefangen war: ein geteiltes Volk auf einer geteilten Welt.

– Aus den Chroniken der Alten

 

 

Die Reise zum Mittelpunkt der Welt begann an einem grauen Vormittag.

Tausende Ilts machten sich auf den Sprung bereit. Kleine, pelzige Leiber, dicht gedrängt am Rande eines wolkenverhangenen Eismeers am Äquator einer unmöglichen Welt. Eine surreale Armee von Wesen, die man zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort, vielleicht für possierlich gehalten hätte, wären da nicht die blutverkrusteten Pelze, die kruden künstlichen Gliedmaßen und die schweren Waffen gewesen, die sie linkisch über den Schultern trugen. Es war eine Szene aus einem bizarren Albtraum. Und der äußere Schein war nur der oberflächliche Ausdruck des Traumas, der Abgründe, die im Inneren jedes einzelnen Kämpfers lauerten.

Die Ilts waren die Nachfahren jener Gefangenen, die vor zehntausend Jahren auf Tramp als biologische Waffen für den Krieg gegen die Methans gezüchtet worden waren. Es fiel nicht leicht, in einem Ilt eine gefährliche Waffe zu sehen. Aber es waren nicht ihre Körper, sondern ihre Paragaben, die sie so gefährlich machten.

Alle Ilts, die Rhodan bislang kennengelernt hatte, waren das, was man auf der Erde als Mutanten bezeichnete. Sie waren in der Lage, Gedanken zu lesen, Gegenstände Kraft ihres Geistes zu bewegen, oder sich selbst an jeden beliebigen Ort zu versetzen. Die Orgh hatten diese Merkmale durch eine skrupellose Reihe von Experimenten zu verstärken versucht. Und die Nachfahren dieser Ilts lebten nun hier, auf der Elysischen Welt.

Jene, die man die »Alten« nannte, hatten Jahrtausende im Tiefschlaf verbracht und kannten noch die Geschichten ihrer Eltern und Großeltern von Tramp. Andere, die »Jungen«, hatten unter herben Entbehrungen über Generationen hinweg versucht, sich in unterirdischen Verstecken und auf entlegenen Inseln ein Leben aufzubauen, ehe Drohnenangriffe und die Ausweglosigkeit ihrer Lage auch sie zurück in die Tiefschlafanlagen zwangen. Tiefe Gräben trennten diese Gruppen, doch in ihrem Freiheitswillen waren sie verbunden, waren sie Brüder und Schwestern. Und immer wieder hatten sie gekämpft.

Die Elysische Welt galt als Ort der Verheißung, der nur den Herrschern Arkons vorbehalten war; ein Symbol der Macht und des Mysteriums des Reichs. Nie hatte einer der Imperatoren nach seiner Wallfahrt, die ihn für drei Tage auf die Elysische Welt führte, berichtet, was er dort vorgefunden hatte.

Nie war bekannt geworden, dass es sich bei ihr in Wahrheit nur um einen halben Planeten handelte.

Eine Halbwelt wie Wanderer – wie Tramp.

Und ein Ort des Schreckens für ihre Bewohner.

Separei, der Wächter dieser Welt, machte mit seinen Drohnen gnadenlos Jagd auf die Ilts. Rhodan wusste nicht, wer er war. Nur, dass er genauso hieß wie einer der zwölf Heroen aus der alten arkonidischen Sage und in der Maschinenstadt auf dem Tafelberg im Zentrum der flachen Seite der Halbwelt lebte. Er hatte Berg und Stadt zu einer Festung ausgebaut, und die umliegenden Landstriche waren eine unwirtliche, vereiste Ebene, die von den Strahlen der Sonne, die niemals ganz über den Horizont stieg, nicht gewärmt wurde. Ein geheimnisvolles, tödliches Land des Zwielichts.

Auch auf Wanderer waren die Ilts von Maschinen daran gehindert worden, die flache Seite der Welt zu betreten. Auf der gerundeten Seite aber hatte man sie in Frieden gelassen. Hier war dieser Pakt, so er jemals bestanden hatte, aufgekündigt worden. Und so zogen die Ilts in den Krieg. Ihnen blieb nichts anderes übrig, wollten sie sich nicht tatenlos massakrieren lassen. Von den ehemals einhunderttausend, die auf Neu-Tramp, wie sie ihre Heimat nannten, einst gelebt hatten, waren mittlerweile nur noch wenige Zehntausend übrig.

Der Plan sah vor, dass die Teleporter sie in mehreren Etappen bis zum Tafelberg brachten. Gleichzeitig sollten andere Armeen auf der gerundeten Seite die geheimen Anlagen angreifen, die sich in den Bergen und unter den Inseln erstreckten. Separei würde diese Anlagen verteidigen. Die Hoffnung der Ilts war, seine Kräfte aufzuteilen und in verschiedenen Gefechten zu binden. Die Zahl der verfügbaren Teleporter begrenzte die Stärke jeder dieser zehn Armeen auf einige Hundert Ilts.

Neben ihren Paragaben verfügten die Ilts über Waffen, Multideflektoren und Ausrüstung, die sie in früheren Kämpfen im Laufe der Jahrtausende erbeutet hatten. Bei einer dieser Gelegenheiten mussten sie auch Bekanntschaft mit Pathis I. gemacht haben, jenem unglücklichen Imperator, der vor knapp zweieinhalbtausend Jahren so verstört von seiner Wallfahrt zurückgekehrt war, dass er versucht hatte, das arkonidische Imperium in ein Zeitalter der Isolation zu führen. Man hatte es ihm nicht gestattet. Adel und Militär hatten ihn für wahnsinnig erklärt und entmachtet, und Pathis I. hatte den Freitod im ewigen Eis gesucht.

Die Ilts glaubten in Rhodan einen Verbündeten oder Gesandten von Pathis gefunden zu haben. Zwar wussten sie, dass seitdem sehr viel Zeit vergangen war, doch nach immer neuen Phasen des Tiefschlafs hatten sie das Gespür für die wahren Relationen verloren. Sie lebten im Hier und Jetzt – und sie zogen in den Krieg, mit Rhodan als ihrem Hoffnungssymbol.

Alles, was er selbst hatte, waren ein uralter Kampfanzug aus den Beständen eines lange toten Imperators und jenes geheimnisvolle Holobuch, das er und Reginald Bull in den Händen des Leichnams von Pathis I. gefunden hatten. Es hatte die Geschichte des Heroen Separei erzählt; und als Rhodan es aufschlug, hatte er ein eigenartiges Gefühl verspürt, für das er bis heute keine Erklärung fand.

Isira, die Rhodan zur Elysischen Welt gebracht und beschützt hatte, schien dieses Buch für sehr wichtig zu halten. Kurz vor dem Aufbruch noch hatte sie ihm gesagt, er müsse es unbedingt zur Maschinenstadt bringen – zu jenem anderen Separei, der dort wohnte. Seitdem trug er das Buch griffbereit in einem Fach seines Anzugs.

Gab es eine Verbindung zwischen dem Separei in der Maschinenstadt und dem Separei in Pathis' Buch? Der Heroe Separei hatte sein Leben lang die Heimstatt des Sonnenboten Vhrato verteidigt und geduldig, doch vergebens auf seine Rückkehr gewartet. Was versprach sich Isira davon, dem Wächter der Stadt diese Sage in Erinnerung zu rufen? Was für eine Rolle spielte sie in diesem Konflikt? Rhodan hoffte, dass er am Tafelberg eine Antwort auf all seine Fragen erhalten würde.

Dann war es so weit. General Etele gab das Zeichen, die Teleporter griffen nach den Händen ihrer Partner, und der graue Ozean mit seinen Sturmböen und Eisbergen verschwand.

 

Als der Schmerz nachließ und er wieder zu Sinnen kam, dachte Rhodan erst, es wäre etwas schiefgegangen. Er begriff nicht, was er sah – zumindest ergab es keinen Sinn.

Sie standen auf einem steilen, schneebedeckten Hang. Der Schnee war trocken und fein wie Sand, und die Anzeigen seines Anzugs teilten ihm mit, dass die Luft sehr kalt und sehr dünn war. Es war gut, dass er seinen Helm geschlossen hatte. Sie mussten in einem Gebirge herausgekommen sein. War dies das Gebirge, das den Rand der Welt markierte? Sollte es den Ozean der gerundeten Seite daran hindern, über die Kante zu fließen?

Mochte sein, dass es sich so verhielt. Doch was seine Augen ihm sagten, passte einfach nicht ins Bild: Die Sonne stand in seinem Rücken, gerade oberhalb des wie mit einem Messer gezogenen Grats, den er vielleicht für den Gipfel hätte halten können, wenn er sich nicht unmöglich weit in beide Richtungen erstreckt hätte, wo er sich im Dämmerlicht verlor. Und auch der Hang zu seinen Füßen schien sich ewig fortzusetzen, als wäre dieser Berg Hunderte von Kilometern hoch; eine fast perfekte, doch gekippte Ebene mit unendlich fernem Horizont, unterbrochen nur von gelegentlichen Eisformationen und Schneeverwehungen, die in der Ferne ununterscheidbar mit dem dunklen, gefrorenen Himmel verschmolz, an dem die Sterne funkelten.

Auch manche Ilts stießen erstaunte Rufe und Pfiffe aus. Andere fanden nichts an der verwirrenden Landschaft. Sie halfen ihren Freunden, das Gleichgewicht auf dem gefährlichen Hang zu halten, reichten Decken und spendeten einander Wärme.

Rhodan fragte sich, wie tief er fallen würde, wenn er einen falschen Schritt tat oder sein Anzug versagte. Er hatte seit seinem Pilotentraining nicht mehr in einen solchen Abgrund geblickt. Der Weltraum ist einfacher, dachte er. Besser gar kein Boden als das hier.

»Keine Sorge«, sagte der junge Ilt, der mit ihm teleportiert war, und rieb sich die Pfoten. Sein Atem gefror und bildete kleine Kristalle in seinem Pelz. »Wir bleiben nur wenige Minuten, damit die schwächeren Teleporter kurz ausruhen können. Unsere nächste Station ist fast tausend Kilometer weiter. Da sieht das schon ganz anders aus.« Er griff kurz nach Rhodans Hand und drückte sie. »Mein Name ist Curly.«

Rhodan erwiderte den Druck. »Wie meinst du das, ganz anders? Sind wir denn noch nicht über die Kante hinaus?«

»Doch, sind wir. Aber diese Randregion ist einfach ... na ja, nicht ganz richtig. Ein paar der Alten, die schon kurz nach ihrer Ankunft hier waren, behaupten, dass das früher nicht so war. Dass irgendetwas mit der Welt langsam kaputtgeht und man es hier nur als Erstes bemerkt. Irgendwann ist vielleicht der ganze Planet nicht bewohnbarer als Tramp. Wir haben aber auch immer ein solches Glück mit unseren Welten, was?« Er grinste schwach. »Ich glaube eher, dass es irgendeine Teufelei von Separei ist. Er will nicht, dass wir über die Kante kommen. Also macht er die Grenzregion so ungemütlich wie möglich.«

Rhodan suchte nach einem sicheren Stand und lehnte sich so weit es ging zurück, doch er konnte nicht den Blick von der unendlichen, abfallenden Ebene wenden. Was, wenn die künstlichen Felder, die diese Welt zusammenhalten und ihre Schwerkraft erzeugen, zu versagen beginnen ...?

Wenn auf der flachen Seite dieser Welt keine nach unten gerichtete Schwerkraft erzeugt würde, müsste sie sich einem Menschen, der von ihrem Rand zum Mittelpunkt schaute, genau so darstellen: als unendliche, geneigte Fläche, tatsächlich eine Art gigantisches Becken, das umso flacher wurde, je näher man der Mitte kam. Das natürliche Schwerkraftzentrum des zerteilten Planeten lag immer noch dort unten, wo sein Radius am größten war, irgendwo zwischen dem ehemaligen dichten Kern mit seinen Schwermetallen und dem neuen rechnerischen Mittelpunkt der Halbwelt. Deshalb empfand man den Zug der Schwerkraft am Rand der Scheibe nicht als lotrecht zur Oberfläche, sondern eher als schräg nach unten gerichtet. Tatsächlich schien ihm die Schwerkraft auch etwas schwächer zu sein als bisher.

Die Atmosphäre und die Meere dieser Welt, sofern sie einen Weg über die gefrorene Kante fanden, müssten eine Tendenz haben, sich in der Mitte der flachen Seite zu sammeln. Eigentlich hätten es die Eisberge, die er gesehen hatte, nicht bis in den Ozean jenseits des Weltenrands schaffen dürfen. Vielleicht war eine weitere Anomalie, ein weiterer Defekt dafür verantwortlich. Es wäre nicht das Einzige, was hier aus dem Ruder gelaufen war.

Es war eine unmögliche Welt, geschaffen von einem Wesen, dessen Beweggründe Rhodan nicht verstand, am Leben erhalten mit Mitteln, welche die menschliche Vorstellungskraft sprengten. Die Naturgesetze gingen hier einen anderen Gang. Er hoffte nur, dass Curly sich nicht irrte und die Verhältnisse sich im späteren Verlauf ihrer Reise als stabiler darstellten.

Ein Pfiff ertönte in der Ferne und wurde rasch weitergegeben. »Ich glaube, es geht gleich weiter«, sagte Curly. »Können wir?«

Rhodan nickte. Der Ilt griff nach seiner Hand. Dann sprangen sie und ließen die unmögliche Ebene hinter sich zurück.

 

Curly behielt recht – an ihrer nächsten Station war sich Rhodan schon nicht mehr sicher, ob das leichte Unwohlsein, das er empfand, als hätte er gerade eine Reise auf stürmischer See hinter sich, echt war oder nur seiner Einbildung entsprang. Auch der Himmel war heller, die Sterne daran nur schwach zu erkennen. Die Atmosphäre war dichter, die Schwerkraft etwas stärker. Die Temperatur lag nur knapp unter dem Gefrierpunkt. Offensichtlich funktionierten die künstlichen Kräfte, welche die Halbwelt formten und am Leben erhielten, hier besser.

Es war bemerkenswert, wie gut der Vorstoß zum Tafelberg vorbereitet worden war. Sie fanden Unterschlupf in unterirdischen Verstecken unter großen Toren im Eis, die von Stealthfeldern geschützt wurden. Darin erwarteten sie Wärme, Vorräte, Ausrüstung und einige Ilts, die, wie er nun erfuhr, schon seit Tagen hier Position bezogen hatten. Die meisten waren Teleporter, die ihre erschöpften Freunde ablösen sollten.

Wahrscheinlich hatte Etele unmittelbar, nachdem er aus der letzten Tiefschlafphase erwacht war, damit begonnen, diesen Feldzug zu planen. Vielleicht auch schon vor Jahrhunderten. Etele wollte diesen Krieg, und er war nicht der Einzige.

Die Anlagen waren jedenfalls alt, Zeugen vergangener Schlachten, vollgestopft mit dem Beutegut aus verschiedenen Raubzügen durch die Produktionsstätten und Ersatzteillager der Halbwelt. Die Elysische Welt verfügte über sämtliche Einrichtungen, von der Fertigungsstraße bis zum Lazarett, um eine Bevölkerung bis zu einer gewissen Größe mit allem Nötigen zu versorgen. Die Ilts hatten diese Depots geplündert und die fantastischen Artefakte in mühevoller Arbeit durch Versuch und Irrtum neuen Zwecken zugeführt. An diesem Tag fanden sich Spezialisten für Waffentechnik, Energiefelder und Medizin in ihren Reihen.

Sie blieben etwa eine Stunde in ihrem Versteck. In dieser Zeit flogen mehrere Drohnen darüber hinweg, doch ihre Multideflektoren und Störsender schützten die Ilts davor, angemessen zu werden, solange sie ihre Gaben und Waffen nicht einsetzten. Zwei weitere Sprünge würden sie an ihr Ziel bringen: den Tafelberg in der Mitte der planetaren Ebene. Spätestens dort, so Etele, würde es zum offenen Kampf kommen. Er nutzte die Ruhepause für eine letzte Einsatzbesprechung.

»Die Angriffe haben bereits begonnen«, sagte der Ilt mit dem feuerroten Pelz, der nun eine martialische, aus rostigen Metallteilen zusammengeschweißte Rüstung trug. »Vor einer Stunde drangen die ersten Gruppen in die Berge der gerundeten Seite vor. Unsere Kundschafter berichten, dass mehrere Schwadronen von Jägern schon auf dem Weg sind. Wahrscheinlich wird es unseren Leuten gelingen, sie die nächsten Stunden in Kämpfe zu verwickeln, und auch bei maximaler Geschwindigkeit brauchen sie fünf bis zehn Stunden, um zur Festung zurückzukehren. Die Gelegenheit ist also günstig.«

Ein ahnungsvolles Murmeln ging durch die Menge. Telepathen hielten den Kontakt zu allen außer Hörweite. Die stille Sarni fungierte als Eteles persönliche Adjutantin.

»Trotzdem wird der Tafelberg scharf bewacht werden«, fuhr Etele fort. »Wir rechnen mit mindestens ein- bis zweihundert verbliebenen Drohnen.«

Ein Stöhnen machte die Runde.

»Dazu kommen die gestaffelten Schutzschirme, die den Tafelberg und die Stadt umgeben. Wir müssen sie einen nach dem anderen ausschalten. Deshalb ist es wichtig, dass ihr Disziplin wahrt und genau so vorgeht, wie wir es im Training besprochen haben. Jeder Teleporter wird eine exakt bemessene Menge Sprengstoff erhalten, die in der richtigen Reihenfolge ins jeweilige Ziel gebracht werden muss. Die Kette von Sprengungen darf nicht unterbrochen werden! Wir müssen die äußeren Schirme zerstören, ehe Separei und seine Drohnen reagieren können. Dasselbe gilt für das spezielle Geschenk, das wir ihm machen. Sind alle an diesem Einsatz Beteiligten über ihre Rollen im Bilde?«

»Alle bereit«, bestätigte Betle. Sarni nickte nur.

»Hervorragend. Denkt einfach daran: Morgen um diese Zeit sind wir frei! Frei, wie Plofre es uns einst versprochen hat!«

Es erklangen vereinzelte Jubelrufe, aber nicht in dem Maße, wie der General sich das wahrscheinlich gewünscht hätte.

»Und er?«, fragte der vorlaute Parver, der sich gerne in Sarnis Nähe hielt, und deutete auf Rhodan. »Was wird mit ihm?«

»Ich bleibe bei ihm«, beruhigte ihn Curly.

»Du kannst nicht überall zugleich sein«, ermahnte ihn Etele. »Du bist Reserve, Curly – so wie besprochen.« Er räusperte sich laut. »Ich weiß, dass viele von euch sich fragen, welche Rolle unser ... Gast bei unserem Kampf spielen wird. Schließlich kann er weder springen, noch ist er ein Telekinet ...«

»Ich bin sehr gut in der Lage, auf mich achtzugeben«, versicherte Rhodan und klopfte auf sein Thermogewehr, das er am Bein seines Kampfanzugs trug. »Und ich werde mein Bestes geben, Sie zu unterstützen.«

»Daran habe ich niemals gezweifelt.« Der Blick des Generals bohrte sich in ihn. Wahrscheinlich würde er sich nie damit abfinden, dass ausgerechnet Rhodan der Einzige unter seinem Kommando war, dessen Gedanken ihm verschlossen blieben. »Tatsächlich spielen Sie sogar eine ganz entscheidende Rolle – Sie bescheren uns genau das Überraschungsmoment, das es braucht, um Separei zu überwältigen. Er wird mit allem rechnen, aber nicht mit Ihnen. Sie lenken den Wächter ab – wir erledigen ihn aus dem Hinterhalt.«

»Ich hoffe, Sie täuschen sich nicht«, gab Rhodan zu bedenken. Er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der General sehr viel riskierte, um als der Befreier Neu-Tramps in die Geschichtsbücher einzugehen.

»Glauben Sie mir«, sagte Etele und hob seine Stimme, dass möglichst viele ihn hörten. »Separei wird diesen Tag nicht überleben.« Er reckte seine Waffe, einen kruden Strahler, den er einst einer erlegten Drohne abgerissen und auf einen Griff für seine Klauenhand montiert hatte. »Durch diese Waffe soll der Wächter sein Ende finden! Das gelobe ich euch!«

 

An der nächsten Station in der Eiswüste blieben sie wieder nur so lange, wie die Teleporter brauchten, um wieder zu Kräften zu kommen. Nur noch einige Hundert Kilometer trennten sie von ihrem Ziel, und dank des nicht gekrümmten Horizonts und der klaren Luft war der Berg mit den Fernrohren bereits als dunkler Umriss in der Ferne zu erkennen.

Der vierte und letzte Sprung brachte sie ins Ziel.

Vor Rhodans Augen wuchs eine Szenerie wie aus einem düsteren Märchen empor: ein Tafelberg von etwa tausend Metern Höhe und zwei- bis dreitausend Metern Breite, der sich aus dem einstigen Zentrum des planetaren Kerns erhob. Das Eis in diesem Landstrich war geschmolzen, wahrscheinlich der Abwärme der zahlreichen Anlagen geschuldet. Ein riesiger Tagebau umgab den Berg in unregelmäßigen Gürteln, und überall stiegen Rauch und Flammen aus den Stahlwerken und ihren Hochöfen auf, die das Land zerfraßen wie gierige Ungeheuer. Ein Schleier aus rostigem Eisenstaub hatte sich über die Ebene gelegt, und die gesamte Umgebung wies leichte magnetische Eigenschaften auf, sodass es sich für Rhodan anfühlte, als stapfe er mit Magnetstiefeln über die Außenwand eines Schiffes.

Mit dem Stahl hatte Separei die senkrechten Hänge des Tafelbergs zu seiner Festung ausgebaut. Unzählige Türme und Erker verliehen ihm den Anschein eines gedrungenen, stählernen Baums, mit Geschützständen wie knorrigen Ästen und klaffenden Löchern, aus denen nun, noch während sie staunten, Dutzende von Drohnen wie wütende Hornissen schossen.

Und auf dem Berg, die Krone des Baums, wuchs die Maschinenstadt wie ein silbriger, irrealer Traum, funkelnd im kalten, weißen Licht der tiefen Sonne, die niemals über ihr aufging. Das Herz der Dämmerung.

Es war ein ebenso majestätischer wie furchterregender Anblick. Unwillkürlich dachte Rhodan an die Warnung Chabalhs, die Elysische Welt nicht zu betreten. Er hätte nie hier sein sollen, und doch zog er jetzt in den Krieg.

Zur Umkehr war es zu spät. Schon machten die Ilts ihre Waffen bereit. Die Drohnen kamen rasch näher.

»Und los!«, rief Etele.

Hunderte Teleporter sprangen los und materialisierten in einem weiten Ring über mehrere Kilometer verteilt in den Randbezirken des Bergwerks. Ein Großteil der Drohnen drehte ab und nahm Kurs auf sie. Die ersten Ilts eröffneten das Feuer. Durch die Sichtverstärkung seines Helms konnte Rhodan verfolgen, wie die Teleporter spezielle Sprengsätze in den Öffnungen unscheinbarer Stollen und Schächte platzierten und wieder verschwanden. Er nahm an, dass diejenigen, die er gerade nicht sah, andernorts dasselbe taten, vielleicht in unterirdischen Anlagen, falls sich diese bis unter das Bergwerk erstreckten.

Sekunden später erbebte die Ebene, als die Sprengsätze fast zeitgleich detonierten und Fontänen glühenden Eisens aus den Schächten in den Himmel schossen. Rhodan stürzte zu Boden.

»Wieso der Angriff auf das Bergwerk?«, fragte er Curly, der neben ihm in Deckung gegangen war. »Oder ist das nur eine weitere Ablenkung?«

Der Ilt grinste listig. »Oh nein. Das wird das spezielle Geschenk, das Etele gemeint hat – es wird die Aufmerksamkeit der Verteidigungssysteme auf sich lenken und uns mit etwas Glück einen Weg durch den innersten Schirm öffnen.«

Rhodan wollte gerade fragen, was er damit meinte, als ihm auffiel, dass sämtliche Telekineten auf einmal mit starren Gesichtern in Richtung des Bergwerks schauten. Erst sah er nicht, was ihre Aufmerksamkeit so in Ansprach nahm. Nur der Boden erbebte ein weiteres Mal.

Dann begriff er. Ungläubig richtete er sich wieder auf.

Langsam, grollend und von mehreren Gerölllawinen begleitet, hob sich der Boden entlang der zuvor gesprengten Linie in die Luft.

Es war ein Berg. Ein fliegender Berg.

Curly grinste.

»Zweite Welle«, rief Etele in der Ferne. »Und los!«

2.

Vergangenheit

 

Prallfelder leuchteten im Nieselregen, der lautlos aus dem Nachthimmel fiel. Auf diesen Schutz gegen die Witterung verzichteten nur wenige der Trauergäste, die sich im Norden der Hügel trafen, unter denen die Grotte der Sternengötter lag. Sie standen so eng zusammen, dass die Energiefelder über ihren Köpfen verschmolzen. Hunderte kleine, bis auf das schwache, an Sternschnuppen erinnernde Leuchten unsichtbare Kuppeln. Wo sie ineinander übergingen, bildete der Regen Rinnsale, die am Rand der Menge zu Boden plätscherten. Inzwischen war das gemeinschaftliche Summen so leise, dass die Geräusche des Wassers wieder zu hören waren. Kadona ter Marisol, die Wahrerin Ivoras, der Göttin der Unendlichen Nacht, leitete die Trauerzeremonie für Separei da Ragnaari mit Würde.

Epetran da Ragnaari, Separeis Vater, beteiligte sich nicht an dem tiefen Summen, das in Ivoras Liturgie die Gesänge anderer Kulte ersetzte. Stattdessen sah er zum Himmel auf, der sich mit schwarzen Wolken verdunkelt hatte. Zum ersten Mal seit wenigstens drei Jahren spürte er den Regen auf seinem Gesicht. Auf Iprasa hatte es nicht geregnet. Wann er sich davor, während seines Lebens auf der Kristallwelt, das letzte Mal dieser Naturerscheinung ausgesetzt hatte, wusste er nicht mehr. Erst auf der Welt aus Feuer und Eis, erst von den Taa hatte er gelernt, aus dem Wirken der Elemente Inspiration und Ruhe zu ziehen.

Die filigranen Glieder des spinnenartigen Roboters klackten metallisch, als er sich neben der Wahrerin bewegte. Ter Marisol war etwas kleiner als Epetran, obwohl immer noch größer als die meisten Arkoniden. Die schwarze Robe verwischte ihre dürre Gestalt, aber das hüftlange, sorgfältig gekämmte Haar schimmerte weiß in der Dunkelheit. Auch ihre Hände waren hell. Da sie die Arme ausgebreitet hatte, vielleicht, um ihrer Stimme zusätzliches Volumen zu geben, schienen sie seitlich im Nichts der Nacht zu schweben.

Der geschlossene Sarg stand auf einer Antigravbahre. Er glich einer beinahe runden, liegenden Säule, weil sein Querschnitt vierundzwanzig Flächen aufwies, für jeden der zwölf Sternengötter und jede der zwölf Sternengöttinnen eine. Das Licht von den Prallfeldern und von den entfernten Hainen auf den Hügeln, in denen man den lebensfroheren Gottheiten huldigte, spiegelte sich auf seiner nassen Oberfläche. Aus der Ferne klang Lachen herüber.

In Epetrans Nähe lachte niemand. Auch das Summen versickerte in der Stille. Die Menge schloss mit einem »Echodim« und wartete dann schweigend im Regen, wurde zu ungewissen Schatten in der Nacht.

Einige Übertragungsdrohnen schwebten lautlos vor dem Eingang von Ivoras Grotte. Der schwarze Schlund in der Hügelflanke war jetzt, da sich Epetrans Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, zwischen den grauen Flächen des felsigen Hangs zu erkennen. Die Restlichtverstärker in den Sensoren der Drohnen hatten sicher kein Problem damit, den Zuschauern der Gesellschaftsnachrichten scharfe Nahaufnahmen der trauernden Gesichter zu liefern. Dessen waren sich die Gäste natürlich bewusst, sie würden sich auch im Dunkeln um eine Leidensmiene bemühen, die dem Verlust gerecht wurde, den der Ka'Marentis erlitten hatte.

Einige trauerten wirklich, aber auf diese Gäste waren keine Kameras gerichtet. Dafür waren die einzelnen Tron'Taàrk zu unbekannt, obwohl die Bewegung der Robophilen aus keiner politischen Debatte mehr fortzudenken war. Aber dies hier waren nicht die Köpfe dieser Strömung. Es waren junge Leute, die von einer gerechten Zukunft unter der Herrschaft rationaler Positroniken träumten. Eine von ihnen war Xania Yelach, die junge Frau, die Epetrans Sohn hatte heiraten wollen. Ihre Silhouette war klobig wegen der Medoeinheit, die sie umgab. Sie hatte den Anschlag im Haus des Ka'Marentis selbst nur knapp überlebt.

Epetran überschlug die Zahl der Tron'Taàrk, indem er den Raum abschätzte, den sie in der Trauergemeinde einnahmen, und ihn durch den Platzbedarf eines ruhig stehenden Arkoniden teilte. Es mussten über einhundert sein. Separei war offensichtlich beliebt gewesen. Zu Epetrans Beisetzung würden wohl mehr Gäste, aber keine Freunde eintreffen. Er hatte keine.

Man ließ dem Schweigen Raum. Es war unvollkommen. In der Atmosphäre eines Planeten gab es immer Geräusche. Den Wind, den Regen, ein Räuspern. Das Klacken der Gelenke des spinnenartigen Roboters, der unentschlossen mal näher an den Sarg heran, dann wieder fortstakste.

Epetran hörte das Zischen des Gleiters, bevor er das Gefährt sah. Es schob sich als Schatten heran, wie die Hand eines Giganten, die sich über die Menge streckte. Der Koloss ging kaum zehn Meter von Epetran entfernt nieder. Das Schott entließ einen Trupp drei Meter großer Riesen mit Strahlengewehren. Naats unter Führung eines arkonidischen Offiziers. Sie bildeten einen Kreis um den Sarg, den Roboter und Epetran und sicherten nach außen.

Erst dann verließ Imperator Tutmor VI. seinen Gleiter. Die Regentropfen vergingen knisternd, ein paar Zentimeter, bevor sie die weiße Korona seiner ausladenden Haarpracht berührt hätten. Er trug also einen Individualschirm.

Das Erscheinen seiner Allsehenden Erhabenheit brach die Andacht. Man kniete nieder, und Gemurmel rollte durch die Menge. Epetran war nicht für seine Empathie bekannt, aber selbst er deutete einige der Stimmen als unwillig. Der Imperator galt als größter Widersacher der Tron'Taàrk, nur die Intervention mehrerer einflussreicher Adelshäuser verhinderte, dass er ihre Memoranden verbieten und ihre Anführer verhaften ließ. Immerhin forderten die Extremisten in den Reihen der Robophilen die Installation eines Robotregenten als Herrscher über Arkon und billigten dem Imperator allenfalls symbolische Befugnisse zu.

»In einer solchen Situation ist das Leid eines Vaters nicht zu benennen«, sagte Tutmor, nachdem er Epetran gestattet hatte, sich zu erheben. Mit seinen vierundvierzig Jahren war er genauso jung wie Separei bei dem Anschlag. »Ein Echo Ihres Schmerzes klingt jedoch auch in meinem Herzen.« Theatralisch legte er die Hand auf seine Brustplatte. »Ich wünsche, Ihren Sohn noch ein letztes Mal zu sehen, um ihm die Ehre zu erweisen.«

»Er ist ein schlimmer Anblick«, warnte Epetran.

»Dann wird er mir umso mehr Ansporn sein, nach diesem feigen Attentat für Gerechtigkeit zu sorgen.«

Der Offizier holte Kadona ter Marisol heran.

Klackend kam der Roboter an Epetrans Seite. Sensoren richteten sich auf den Sarg aus.

»Keine Kameras!«, bestimmte der Imperator halblaut.

Die Übertragungsdrohnen schwebten zu Boden, aber der spinnenartige Roboter verharrte zitternd auf seiner Position.

»Ist das Ihre Maschine?«, fragte Tutmor VI.

Epetran nickte. »Er ist mir eine große Stütze. Ich habe ihn von Iprasa mitgebracht.«

»Mir ist unklar, was ein solcher Roboter bei einer Trauerzeremonie zu suchen hat.«

Epetran überlegte, ihn wegzuschicken. Aber das wäre falsch gewesen. Niemand hatte mehr Recht als er, den Leichnam zu sehen.