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Über dieses Buch:

Die Einschulung der Erstklässler steht an und die Kinder der Klasse Drei sollen zu Ehren der neuen Schüler ein Theaterstück aufführen. Zunächst ist die Idee Linus und seinen Freunden nicht so ganz geheuer. Keiner von ihnen hat schon einmal Theater gespielt! Und was hat sich ihre Lehrerin überhaupt dabei gedacht, sie „Die goldene Gans“ einüben zu lassen? Altmodisch und langweilig, finden die Drittklässler. Doch dann wird aus der Gans plötzlich ein Glücksdrache und alle Mädchen wollen die Königstochter spielen. Und das sind nicht die einzigen kleinen Katastrophen, die in den nächsten Tagen folgen sollen ...


Über die Autorin:

Sissi Flegel, Jahrgang 1944, hat neben ihren Romanen für erwachsene Leser sehr erfolgreich zahlreiche Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht, die in 14 Sprachen erschienen sind und mehrfach preisgekrönt wurden. Die Autorin ist verheiratet und lebt in der Nähe von Stuttgart.

Die Autorin im Internet: www.sissi-flegel.de

Bei dotbooks erschienen Sissi Flegels Romane „Weiber, Wein und Wibele“ und „Das Flüstern der Vergangenheit“, ihr Kinderbuch „Gruselnacht im Klassenzimmer“ sowie die die Trilogie um das „Internat Sternenfels“.

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Neuausgabe Juli 2014

Copyright © der Originalausgabe 1999 K. Thienemanns Verlag in Stuttgart – Wien

Copyright © der Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs

ISBN 978-3-95520-672-7

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Sissi Flegel

Bühne frei für Klasse Drei

dotbooks.

DER ERSTE TAG IN KLASSE DREI

»Siebenknie?«, fragte Linus. »Heißt sie wirklich Siebenknie?«

»Kannst du nicht lesen? Hier steht es doch.« Dimitri zeigte auf das weiße Schildchen neben der Tür. Da stand:

Klasse drei
Klassenlehrerin: Frau Siebenknie


Linus kratzte sich am Kopf. »Das kann nicht gut gehen«, sagte er. »Eine Lehrerin mit so einem Namen ist die schlimmste Strafe, die man sich vorstellen kann.«

»Was kann man sich vorstellen?«, fragte eine Stimme hinter ihnen. »Rein mit euch. Es hat geklingelt.«

Linus und Dimitri drehten sich um. Sie öffneten den Mund – aber kein Ton kam heraus.

Dafür kugelten ihnen fast die Augen aus dem Kopf.

»Wer – wer sind Sie?«, wollte Linus wissen.

»Ich bin eure neue Klassenlehrerin. Siebenknie ist mein Name. Ihr habt ihn doch gerade gelesen, stimmt's? Aber nun macht, dass ihr auf eure Plätze kommt.«

»Siebenknie ...«, flüsterte Dimitri. »Schneewittchen müsste sie heißen. Hatte die nicht auch lange schwarze Haare?«

Linus nickte: »Weiß wie Schnee, rot wie Blut und schwarz wie Ebenholz heißt es. Mann, sieht die toll aus.«

»Hallo, ihr Lieben«, sagte Frau Siebenknie. »Ich bin eure neue Lehrerin. Mein Name täuscht. Ich habe leider nicht sieben, sondern nur zwei Knie. Man muss zufrieden sein mit dem, was man hat.«

Ihre Schüler nickten.

»Gut. Wir kennen uns noch nicht, deshalb bin ich dafür, dass ihr vorerst selbst bestimmt, wo und neben wem ihr sitzen wollt.«

Wieder nickten alle.

Sie stritten nur ein wenig, dann war die Sitzverteilung geklärt. Sie teilten die Schränke und Fächer unter sich auf, klebten Namensschilder an und räumten ihre Sachen ein.

Dann setzten sie sich auf die neuen Plätze und warteten, was Frau Siebenknie zu sagen hatte.

»Hier ist eine Liste der Hefte und sonstigen Dinge, die ihr bis morgen besorgen solltet. Und hier ist der Stundenplan für die nächsten zehn Tage.« Frau Siebenknie gab jedem zwei Blätter.

»The-a-ter-pro-be«, las Antonella vor. »Jeden Tag Theaterprobe? Was heißt denn das?«

Frau Siebenknie lachte. »Da staunst du, was? Das heißt, dass wir uns in den kommenden zehn Schultagen ein Theaterstück ausdenken und proben werden. Wenn die neuen Erstklässler kommen, führen wir ihnen das vor. Zur Begrüßung und um ihnen zu zeigen, dass man in der Schule nicht nur lesen, schreiben und rechnen lernt. Einverstanden?«

»Was ist, wenn wir's nicht sind?«, fragte Dimitri vorsichtig.

»Tja ... es ist so«, antwortete Frau Siebenknie langsam. »Ich bin eine ziemlich gute Lehrerin. Ihr werdet bei mir alles lernen, was ihr in der Klasse drei lernen müsst. Aber ich meine, man muss auch Zeit für etwas Besonderes haben. Es macht Spaß, sich etwas auszudenken, es macht Spaß, sich zu verkleiden und es macht Spaß, auf einer Bühne zu stehen und zu spielen.«

»Mir macht das keinen Spaß«, sagte Linus und legte die Hände auf die Räder seines Rollstuhls.

»Hast du schon mal Theater gespielt?«, fragte Frau Siebenknie.

»Ich?«, fragte Linus zurück.

Antonella sagte schnell: »Er kann nicht gehen, Frau Siebenknie.«

»Ich weiß. Aber er kann Theater spielen.«

»Oh Gott«, flüsterte Linus und schloss die Augen.

»Wir werden Theater spielen«, meinte Frau Siebenknie unbarmherzig. »Ihr werdet sehen, das macht jede Menge Spaß. Morgen fangen wir an.«

»Wie soll das Ding heißen?«, fragte Antonella. »Hat's denn schon einen Namen?«

»Na klar«, sagte Frau Siebenknie fröhlich. »Aber den verrate ich euch erst morgen!«

DIE GOLDENE GANS

Das geschah am Montag.

Am Dienstag hatten sie zuerst eine Stunde Rechnen. In der zweiten Stunde war Heimat- und Sachunterricht dran und danach mussten sie die Stühle zu einem Sitzkreis zusammenschieben.

»In knapp zwei Wochen kommen die neuen Erstklässler«, begann Frau Siebenknie. »Wie ihr wisst –«

»Mein Bruder Virtus ist dabei!«, rief Linus.

»Wir werden ein Fest für sie vorbereiten –«

»Der hat schon die Schultasche und die Schultüte, aber –«

»– und ein Theaterstück aufführen.«

»– aber von einem Theater hält er nichts!«

»Nun halt doch endlich die Klappe!«, fuhr ihn Antonella an. »Warum darf Linus dauernd dazwischenrufen? Wir anderen tun's doch auch nicht, oder?«

»Linus wird jetzt den Mund halten«, sagte Frau Siebenknie freundlich. »Er sitzt zwar im Rollstuhl, aber –«

»Sie haben gestern mit meiner Mutter gesprochen, stimmt's?«, rief Linus schon wieder dazwischen.

»Ja? Haben Sie das? Was hat Linus' Mutter gesagt? Hat er etwas ausgefressen oder ging's ums Übliche, um seinen Rolli?«

Für die Klasse gehörten Linus' Behinderung und der Rollstuhl, in dem er sitzen musste, längst zum Alltag.

Frau Siebenknie meinte entschieden: »Niemand von euch will, dass ich etwas ausplaudere, was mir eine Mutter im Vertrauen gesagt hat.«

Alle nickten.

»Gut. Das ist also geklärt. Nun wollen wir über unser Theaterstück reden. Ich dachte –«

Dimitri streckte.

»Ja? Was ist?«, wollte Frau Siebenknie wissen.

»Meine Schwester kommt auch in die erste Klasse«, antwortete Dimitri. »Sie hat gesagt, sie findet so ein Theater echt ätzend. Vielleicht kommt sie deshalb erst am zweiten Schultag. Das überlegt sie sich noch.«

»Wie schade«, antwortete Frau Siebenknie mit Bedauern. »Dann kann sie ihren großen Bruder ja gar nicht auf der Bühne bewundern.«

Dimitri schluckte.

»Aber sie will es sich ja noch überlegen«, setzte Frau Siebenknie freundlich hinzu und öffnete ein Buch. »Ich will euch ein Märchen vorlesen. Es heißt ›Die goldene Gans‹. Kennt es jemand?«

Niemand kannte »Die goldene Gans«.

Deshalb hörten alle aufmerksam zu, als Frau Siebenknie vorzulesen begann, wie die beiden älteren Brüder dem kleinen Männlein keinen Bissen von ihrem guten Kuchen und kein Schlückchen von ihrem süßen Wein abgaben. Aber der Dummling, der jüngste Bruder, gab von seinem Aschekuchen und vom sauren Bier her und bekam als Lohn eine goldene Gans. Damit ging er zum Übernachten in ein Wirtshaus.

Der Wirt hatte drei Töchter. Die wollten natürlich eine Feder. Schließlich war so eine Feder aus Gold etwas Besonderes. Wie sie nun die Federn herauszupfen wollten, geschah etwas ganz Merkwürdiges. Die Federn ließen sich nicht herauszupfen. Sie steckten fest und ihre Oberfläche war mit dem besten Klebstoff der Welt überzogen. Wer die Gans anfasste, kam nicht wieder von ihr los. Nur der Dummling konnte sie in den Arm nehmen und sie auch wieder absetzen. Die anderen klebten fest und deshalb mussten die drei Mädchen die Nacht mehr schlecht als recht im Stall verbringen.

Am Morgen kam der Dummling, nahm seine Gans in den Arm und machte sich mit ihr und den drei Schwestern wieder auf den Weg.

Da kam der Pfarrer. Er wollte die Mädchen retten, blieb aber ebenfalls kleben.

Der Küster kam dem Pfarrer zu Hilfe; klar, dass der auch kleben blieb.

So zog der Dummling mit dem ganzen Anhang in die Stadt.

Der König, der in der Stadt herrschte, hatte eine Tochter. Die war wunderschön, aber todtraurig. Sie lachte nie.

Der König machte sich Sorgen um seine Tochter und hatte gesagt, wer das Mädchen zum Lachen bringen könne, dürfe sie heiraten.

Wie sie den Dummling mit der Gans und den Leuten, die an ihr klebten, sah, musste die Prinzessin lachen. Und als sie einmal angefangen hatte zu lachen, konnte sie so schnell nicht wieder aufhören. Eigentlich hätte der König nun dem Dummling seine Tochter zur Frau geben müssen. Doch der war mit einem solchen Schwiegersohn ganz und gar nicht einverstanden. Er wollte ihn vergraulen und stellte ihm drei schwierige Aufgaben: Einen Keller voll Wein müsse der Dummling austrinken, einen Berg Brot aufessen und ein Wasser- und Landschiff besorgen.

Da der Dummling dem Männchen aus dem Wald geholfen hatte, kam es jetzt auch dem Dummling zu Hilfe und so gelang es dem Dummling, die Aufgaben zu lösen. Als Belohnung bekam er die Königstochter zur Frau.

Frau Siebenknie klappte das Märchenbuch zu.

Erwartungsvoll sah sie die Kinder an.

»Wie findet ihr die Geschichte?«, fragte sie schließlich. »Können wir daraus ein Theaterstück machen?«

»Da passiert doch gar nichts«, meinte Dimitri unzufrieden. »Nicht mal ein Drache kommt vor. Ich meine, wenn da ein Drache wäre, der jeden Morgen statt dem Müsli eine Jungfrau fressen wollte, und wenn dann ein furchtloser Ritter käme, der den Drachen mit seinem Zauberschwert zerstückeln würde, könnte man über die Geschichte reden. Aber so ...«

Die anderen nickten.

»Total langweilig ist das alles«, meinte Antonella. »Und überhaupt – der Dummling tut ja gar nichts. Er läuft nur rum und jammert dem alten Mann den Kopf voll.«

»Ja, er sagt: Ich brauch das und das und das. Und er bekommt alles. Warum bekommt er eigentlich alles?«, wollte Sanne wissen. »Er tut wirklich nichts dafür.«

»Das stimmt nicht«, meinte Linus. »Er hat dem alten Mann von seinem Aschekuchen und seinem Bier etwas abgegeben. Aber bei dem miesen Essen hätte ich das auch gemacht.«

»Was ist eigentlich ein Aschekuchen?«, wollte Antonella wissen.

»Bestimmt nimmt man da Asche statt Mehl zum Backen«, meinte Dimitri. »Schade um die Eier, würde ich sagen. Das Ganze klingt ziemlich unappetitlich, kotz, würg, erggg.« Dimitri verzog angewidert das Gesicht.

Alle lachten.

Frau Siebenknie erklärte, dass der Aschekuchen nicht mit, sondern in der Asche gebacken wurde und dass es auf jeden Fall ein minderwertiger Kuchen war.

»Sag ich doch«, meinte Linus zufrieden. »Ich hätte den auch verschenkt. Das saure Bier ist auch so ein Hammer. Mein Vater hat mal ein Bier getrunken, das war so schlecht, dass er davon krank wurde.«

»Der Dummling«, sagte Antonella, »ist echt ein dummer Kerl. Der nimmt den komischen Kuchen und das Bier, bei dem das Haltbarkeitsdatum schon längst abgelaufen ist. Ich hätte meine Mutter gefragt: ›Sag mal, willst du mich vergiften?‹ und hätte alles in den Müll geworfen.«