Cover

Über dieses Buch:

Klasse Vier hat eine neue Schülerin: Mara Stein. Angeblich hat Mara Lernschwierigkeiten. Wenn ihre Noten nicht bald besser werden, soll sie in eine Sonderschule gehen. Zunächst sind Andi und seine Freunde misstrauisch und wollen Mara nicht in der Klasse haben. Doch dann lernen sie ihre Freundlichkeit und ihren Einfallsreichtum zu schätzen. Als Mara dann auch noch der Polizei zu Hilfe kommt, steht für die Schüler fest: Mara soll bleiben. Werden sich der Rektor und ihre Lehrerin Frau Rosentreter davon überzeugen lassen?


Über die Autorin:

Sissi Flegel, Jahrgang 1944, hat neben ihren Romanen für erwachsene Leser sehr erfolgreich zahlreiche Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht, die in 14 Sprachen erschienen sind und mehrfach preisgekrönt wurden. Die Autorin ist verheiratet und lebt in der Nähe von Stuttgart.

Die Autorin im Internet: www.sissi-flegel.de

Bei dotbooks erschienen Sissi Flegels Romane „Weiber, Wein und Wibele“ und „Das Flüstern der Vergangenheit“, ihr Kinderbuch „Gruselnacht im Klassenzimmer“ sowie die die Trilogie um das „Internat Sternenfels“ und „Bühne frei für Klasse Drei“.

***

Neuausgabe Juli 2014

Copyright © der Originalausgabe 1994 K. Thienemanns Verlag in Stuttgart – Wien

Copyright © der Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs

ISBN 978-3-95520-673-4

***

Wenn Ihnen dieses Buch gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weiteren Lesestoff aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort Klasse Vier an: lesetipp@dotbooks.de

Gerne informieren wir Sie über unsere aktuellen Neuerscheinungen und attraktive Preisaktionen – melden Sie sich einfach für unseren Newsletter an: http://www.dotbooks.de/newsletter.html

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.twitter.com/dotbooks_verlag

http://gplus.to/dotbooks

Sissi Flegel

Wir sind die Klasse Vier

dotbooks.

Mariola

Frau Rosentreter, die Klassenlehrerin der vierten Klasse, zog die Tür hinter sich zu und stellte sich an ihren Tisch. Sie wartete, bis alle saßen und ruhig waren, dann sagte sie: »Wir werden eine neue Schülerin bekommen. Sie heißt Mariola Stein und ...« Frau Rosentreter zögerte.

»Und was?« fragte Muhamed.

»Mal sehen«, sagte Frau Rosentreter. »Wir müssen ihr helfen, daß sie sich so schnell wie möglich in die Klassengemeinschaft einfügt. Ich hoffe nicht, daß es da Probleme gibt.«

»Wir helfen ihr, ist doch klar«, sagte Andi.

»Ja, das ist nett von euch. Nur – ich glaube, da gibt es noch ein Problem. Mariola scheint Schwierigkeiten mit dem Lernen zu haben. Vielleicht fällt es ihr so schwer, daß sie gar nicht lange bei uns in der Klasse bleiben kann.«

»Und dann? Was geschieht dann mit ihr?« fragte Caro.

»Dann muß sie in eine andere Schule«, antwortete Frau Rosentreter.

»In welche?« wollte Muhamed wissen.

»In die für lernschwache Schüler und Schülerinnen. Mariola ist das, was wir einen Grenzfall nennen.«

»Sie ist also nicht dumm, aber sie ist auch nicht so richtig gescheit?« fragte Muhamed.

»So könnte man es nennen. Vielleicht paßt sie in unsere Klasse, vielleicht auch nicht. Vielleicht muß sie in die Sonderschule, vielleicht auch nicht. Man muß Geduld haben und abwarten«, erklärte Frau Rosentreter.

»Hm«, sagte Caro. »Und wann kommt sie?«

»Morgen zur ersten Stunde. Denkt daran, Mariola braucht eure Hilfe«, sagte Frau Rosentreter abschließend.

Am nächsten Morgen wartete Andi im Pausenhof auf Nele. Die war am Tag zuvor krank gewesen.

»Wir bekommen einen Grenzfall«, erzählte Andi. »Frau Rosentreter hat gesagt, wir sollen nett zu ihm sein.«

»Zu wem?« fragte Nele.

»Zum Grenzfall natürlich«, erklärte Andi. »Ich hab Hunger.«

»Ich auch«, sagte Nele und biß in ihr Leberwurstbrot.

»Gibst du mir nichts ab?« fragte Andi.

»Heute nicht. Meine Mutter hat verschlafen. Ich habe noch nichts gegessen.«

Andi nickte. Neles Mutter verschlief oft.

»Aber ich gebe dir den Schokoriegel«, sagte Nele. »Was ist ein Grenzfall?«

Andi wickelte den Riegel aus. »Ein Mädchen.«

»Du spinnst wohl!« rief Nele. »Bin ich vielleicht ein Grenzfall?«

»Quatsch«, sagte Andi. »Du bist kein Grenzfall.«

»Also ...? Woher kommt das Mädchen?«

»Wieso?« fragte Andi.

»Du sagst doch, sie ist ein Grenzfall. Aus welchem Land kommt sie?«

»Sie ist von hier, aber sie steht auf der Grenze. Man weiß nicht, wo man sie hintun soll«, erklärte Andi.

»Megablöd bist du«, sagte Nele. »Ich würd mich schämen, wenn ich so blöd wäre wie du.«

»Du bist blöd. Das Mädchen ist ein Grenzfall, weil sie nicht dumm ist und nicht gescheit. Vielleicht gehört sie in unsere Klasse, vielleicht auch nicht. Vielleicht muß sie in die Sonderschule, vielleicht kann sie bleiben. Da muß man abwarten, hat Frau Rosentreter gesagt.«

Andi schielte auf den Rest des Leberwurstbrotes. »Gibst du mir den letzten Bissen?«

Nele schob ihn in den Mund. »Zu spät.

Warum geht sie nicht gleich in die Sonderschule?«

»Ich hab's dir doch schon gesagt – weil sie ein Grenzfall ist ... Da drüben steht sie übrigens. An der Klotür.«

Nele reckte den Hals. »Die sieht aber ganz normal aus. Wie heißt sie?«

»Mariola«, sagte Andi und verdrehte die Augen. »Mariola Stein.«

Nele kicherte.

»Der Name ist auch ein Grenzfall«, stellte sie fest.

Ein wenig später hängte Andi den Ranzen vor den Bauch und drängelte sich zwischen Markus und Muhamed hindurch. Die sangen: »O Tannenbaum, o Tannenbaum, der Lehrer hängt am Gartenzaun. Er baumelt hin, er baumelt her ...«

»Ist doch erst September«, meinte Andi, rutschte auf seinen Platz und zog schnell den Stuhl weg, als Markus sich setzen wollte.

Der war das gewöhnt, angelte sich den Stuhl mit dem Fuß heran und fragte: »Habt ihr die Aufgaben gemacht? Kann ich die mal schnell haben?«

»Das schaffst du nie«, meinte Andi und schlug sein Heft auf. »Zwei Seiten Textaufgaben. Da, schau.«

»Ich krieg die Krätze«, stöhnte Markus. »Was sag ich nur?«

»Sag doch einfach, du hast auf deine Geschwister aufpassen müssen und ...«

»Geschwister? Ich bin ein Einzelkind.«

»Dann halt auf die von deiner Tante.«

»Warum soll ich auf die von meiner Tante aufpassen? Mann, die sind alle älter als ich, mindestens zwölf und darüber.«

»Das weiß doch niemand«, meinte Andi.

»Also, ich weiß nicht«, sagte Markus unschlüssig. »Fällt dir gar nichts Besseres ein?«

»So auf die Schnelle? Nun schreib schon, laß die mittleren Aufgaben weg, vielleicht merkt die Rosentreter nichts. Achtung, da kommt sie! Mit dem Grenzfall!«

»Wo soll der sitzen?« fragte Markus. »Bei den Mädchen ist kein Platz mehr frei.«

»Hallo«, sagte Frau Rosentreter. »Wir haben eine neue Schülerin. Sie heißt Mariola Stein und ...«

»Sie ist ein Grenzfall!« rief Caro dazwischen.

»Unterbrich mich nicht«, sagte Frau Rosentreter. »Mariola, wo setzen wir dich nur hin? Der einzige freie Platz ist bei Andi, Markus und Muhamed.«

»O nein!« Muhamed sprang auf. »Ich brauche den Stuhl für meinen Ranzen. Sie kann da nicht sitzen, ehrlich!«

»Benimm dich«, sagte Frau Rosentreter.

Muhamed rutschte so weit wie möglich beiseite.

»Und nun«, sagte Frau Rosentreter, »nun machen wir alle einen Sitzkreis und hören zu, was Mariola von sich erzählen will. Ihr stellt euch der Reihe nach vor, einverstanden?«

»Ich kriege schon wieder die Krätze«, meinte Markus. »Immer müssen wir den Sitzkreis machen ...« murrte Muhamed.

»Beeilt euch, wir haben nicht die ganze Stunde Zeit zum Reden, ja?« rief Frau Rosentreter.

Als endlich alle saßen, klatschte Frau Rosentreter in die Hände. »Und jetzt, Mariola«, sagte sie, »erzählst du uns etwas von dir: wie alt du bist, auf welche Schule du gegangen bist, ob du Geschwister hast, welche Fächer du am liebsten magst und was du in deiner Freizeit alles machst. Wir sind schon sehr gespannt. Möchtest du dazu sitzenbleiben oder lieber aufstehen?«

Mariola schüttelte den Kopf.

»Nein? Nein – was?« fragte Frau Rosentreter.

Mariola schniefte und reckte das Kinn vor. »Ich bbbleib sitzen«, sagte Mariola bestimmt. »Und ich will nichts erzählen. Ich stststottere nämlich.«

Caro stieß Nele den Ellbogen in die Seite und kicherte. »Markus, kriegst du wieder die Krätze?« fragte Muhamed leise.

»Nee, die habe ich schon«, flüsterte Markus.

»Pst«, machte Frau Rosentreter. »Wirklich, Mariola? Willst du es dir nicht noch einmal überlegen?« Mariola schüttelte den Kopf und schwieg.

Frau Rosentreter seufzte. »Gut, dann stellen sich die anderen eben vor. Markus, du beginnst. Hast du schon wieder einen Kaugummi im Mund? Spuck ihn in den Papierkorb.« Widerwillig stand Markus auf. Er schlich zum Papierkorb, trat dagegen, schob den Kaugummi unter die Zunge und spuckte wie ein Lama.

»Also, das ist Markus«, sagte dann Frau Rosentreter.

»Der nächste ist Bernd, dann kommt ...«

»Andi ...«

»Timo . .«

»Caro ...«

»Nadine ...«

»Nadine ...«

»Nadine ...«

»Wir haben drei Nadines in der Klasse«, erklärte Frau Rosentreter.

Als letzter nannte Muhamed seinen Namen.

»Nun, Mariola?« rief Frau Rosentreter aufmunternd. »Hast du Mut gefaßt? Willst du jetzt nicht doch etwas sagen?«

Alle warteten gespannt. Da sagte Mariola : »Mmmara. Ich werde Mmmara genannt.«

»Gut, Mara«, sagte Frau Rosentreter. »Dann wollen wir dich auch so nennen. Setzt euch wieder an die Tische und zeigt mir die Aufgaben.«

»Ich krieg die Krätze doppelt«, sagte Markus. »Zuerst der Sitzkreis, dann auch noch die Hausaufgaben. Wann läutet es eigentlich?«

»Später«, sagte Muhamed.

Markus nahm die Schultasche auf den Schoß und packte aus: das Lesebuch, den Farbkasten, das Mathebuch, das Mäppchen, ein Heft, ein zweites, drittes und ein viertes auch noch. Dann legte er das Sprachbuch dazu und stöhnte: »Frau Rosentreter, ich kann mein Matheheft nicht finden! Meine Mutter hat die Aufgaben durchgesehen. Sie hat vergessen, das Heft wieder in die Tasche zu stecken. Ich kann es nicht finden!«

»Wer geht denn hier in die Schule, deine Mutter oder du?« fragte Frau Rosentreter. »Morgen zeigst du mir dein Heft.«