Die Traenen des Porzellans

von Jade Y. Chen

übersetzt von Ilka Schneider


"Die verborgenen Talente der Blumen"


Texte und Tuschemalerei von Ilka Schneider



Blumen sind in China ein beliebtes Symbol für Frauen, weil Frauen genauso schön, anmutig, duftend und still sein sollten. Doch es gab in der chinesischen Geschichte immer wieder Blumen, die lauter waren, die eine Stimme erhoben, die ihnen eigentlich nicht zugestanden wurde. Die sich nicht in ein geschütztes Heim drängen ließen, sondern mitmischten in der großen chinesischen Welt. Bei uns sind diese Frauen nahezu unbekannt.

Das Leben acht solcher Frauen aus über drei Jahrtausenden und sieben Dynastien zeigt dieses Buch, in rund 40 faszinierenden Tuschemalereien und gut recherchierten, unterhaltsam geschriebenen Texten. Darunter völlig vergessene wie die Generalin Fu Hao oder die Piratin Zheng Yi Sao, verehrte wie die Gelehrte Ban Zhao und die Dichterin Li Qingzhao, sowie verfemte wie die Kaiserin Wu und die Kurtisane Yu Xuanji.

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Impressum

1. Auflage 2014

© Dryas Verlag

Herausgeber: Dryas Verlag, Frankfurt am Main, gegr. in Mannheim.

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Herstellung: Dryas Verlag, Frankfurt am Main

Korrektorat: Birgit Rentz, Itzehoe

Umschlagabbildung: © Guter Punkt, München (www.guter-punkt.de), Kim Hoang, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock und Thinkstock

Graphik: Zikade aus Jade © Dryas Verlag, Frankfurt am Main

Satz: Dryas Verlag, Frankfurt am Main

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

ISBN Buch 978-3-940855-56-5, ISBN E-Book 978-3-941408-78-4

www.dryas.de


Inhaltsverzeichnis

Titel

Inhaltsverzeichnis

Die Tränen des Porzellans

Nachwort der Übersetzerin

Glossar

Impressum

Zum Weiterlesen


Beijing, 7. November 1767

Wieder ritt ich ziellos durch die Stadt, ohne den geringsten Gedanken darauf zu verschwenden, wohin mich mein Weg führen würde. Ich ließ Hündchen laufen, wie er wollte, doch seine Stimmung war heute genauso düster wie meine. Einmal wurde er wild und versuchte mich abzuwerfen. Nur mit sehr viel Kraft konnte ich ihn wieder beruhigen.

Jemand rief: „Bonjour!“ Dieser Jemand stellte sich als Prinz Pu heraus.

Hocherfreut trieb ich mein Pferd zu ihm und lupfte die Kappe zum Gruß. „Gerade habe ich an Euch gedacht.“ Ich war so beglückt, als würde ich mutterseelenallein und unter ungekannten Strapazen eine Wüste durchqueren und wäre plötzlich auf einen Menschen gestoßen.

„Aiya, habt Ihr?“ Meine Worte machten ihn trotz seines Status ziemlich verlegen. „Ich wollte Euch unbedingt meinen Freund hier vorstellen. Das ist der junge Herr der Ma-Familie, der jüngere Bruder von Ma Lian.“

Zu guter Letzt lernte ich also auch Ma Lians kleineren Bruder kennen, der noch schüchterner zu sein schien, als der Prinz es war. Ein kultivierter, hübscher junger Mann mit großer Ähnlichkeit zu seiner Schwester. Er sagte, sein französischer Name sei Jérôme, auf Chinesisch heiße er Ma Xin. Ich schlug vor, die beiden sofort in ein Teehaus einzuladen, aber sie wollten nicht recht.

„Wir wollten außerhalb der Stadt den Brüdern der Ma-Familie Opfer bringen; es würde nichts schaden, wenn Ihr mitkommt“, schlug Pu vor und ich war sofort einverstanden. Wir ritten und plauderten, während wir uns einem baumbewachsenen Hügel näherten. Wir rasteten im Tempel der weißen Wolke und bewunderten die fünfhundert Luohan, die Jünger Buddhas, darin, bevor wir unseren Weg fortsetzten. Wir stiegen erst wieder ab, als wir einen weit entfernten Friedhof erreicht hatten.

„Wie erging es Ihrer Schwester in letzter Zeit?“, fragte ich Ma Xin, als ich nicht länger damit warten konnte.

„Wegen der drohenden Hinrichtung unseres Vaters geht es ihr natürlich nicht sonderlich gut.“ Er klang klar, vernünftig und direkt.

Die Neugier zwang mich zu fragen: „Was macht sie den ganzen Tag zu Hause?“

„Weil unser Vater und der ältere Bruder nicht mehr da sind und unsere Mutter krank darniederliegt, hat sie nicht viel Muße. Abgesehen davon ist sie streng gläubig. Ihre freie Zeit widmet sie Gott.“

„Sagen Sie mir: Was ist Ihre Schwester für ein Mensch?“, wagte ich mich weiter vor. Meine Gedanken kreisten pausenlos um sie. Als ich Ma Xin in die Augen sah, zog er peinlich berührt die Augenbrauen zusammen.

„Sie ist freundlich, versteht sich aufs Zitherspiel, aufs Dichten und auf Stickarbeiten.“ Ma Xin deutete auf einen neu errichteten Grabstein und sagte in nun deutlich gedrückterer Stimmung: „Sehen Sie, da liegt unser großer Bruder. Er wurde erst kürzlich hier bestattet. Daneben liegt unser Onkel.“

„Oh, bitte verzeihen Sie.“ Ich zog meine Gedanken zurück zu dem Ort, an dem ich stand, einem frischen Grab. Ich legte meine rechte Hand auf mein Herz und trauerte: „Möge Gott Euch, den ich nie kennengelernt habe, und Eure Seele im Himmel behüten, möge Gott Eure Schwester behüten, möge Gott uns ...“

„Das ist alles nur wegen seines Glaubens?“ Ich schüttelte seufzend den Kopf und wusste doch längst, dass dieses Reich die christliche Doktrin ablehnt und mit voller Absicht die Gläubigen massakriert.

„Der Kaiser konnte meinen Großvater noch nie ausstehen, und so hetzt er allmählich seine Nachkommen zu Tode“, erklärte der schmale junge Herr mit weicher Stimme. Er holte Räucherstäbchen und Streichhölzer aus einer Satteltasche, entzündete sie für die Toten und legte die Hände zum Gebet aneinander. Ich kniete am Grab ihres großen Bruders nieder. Da ich ihn nie gekannt habe, betete ich eher für sie als für ihn. Sind sie vielleicht Opfer eines grausamen Machtkampfes geworden? Ich betete um ein Wunder. Ich würde alles für ein Wunder geben. Ich würde alles tun, wenn ich nur ihr Leid lindern könnte.

„Seid Ihr auch Katholik?“, fragte mich Pu.

„Nein, trotzdem glaube ich an Jesu heilige Taten.“ Lächelnd fuhr ich fort: „Jedenfalls bin ich kein Missionar und gehe auch selten in die Kirche. Und Ihr?“

„Um ehrlich zu sein, interessiere ich mich sehr für den christlichen Glauben, aber ein Christ bin ich nicht“, sagte Pu gedankenversunken. „Wer würde noch Christ werden wollen, der das Leiden der Ma-Familie sieht?“

„Und Sie?“, fragte ich Ma Xin.

„Ich bin Christ. Ich habe die Bibel mehrmals gelesen und kann viele Verse auswendig. Immer wenn ich betrübt bin, rezitiere ich laut Verse aus der Bibel. Ich mag ihren Klang und lese sie immer und immer wieder. Manchmal kopiere ich auch Absätze daraus. Das besänftigt mein Gemüt.“ Ma Xin sprach sanft und gelassen.

„Was würden Sie tun, wenn jemand Sie zwingen würde, von Ihrem Glauben abzuschwören, wie Ihr Vater?“ Ich fing an, für diesen jungen Mann Mitleid zu empfinden, ohne zu wissen, ob er das Schicksal von Ma Juese teilen würde.

„Bis zum heutigen Tag hat mich noch niemand gezwungen.“ Ma Xin setzte sich auf eine Steinbalustrade vor einem Grabstein. Er wirkte etwas verloren. „Aber wenn mich jemand wirklich zwingen wollte, würde ich darauf beharren, dass Gott mein Herr ist.“

In dem Moment nahm Pu einen Stein auf und warf ihn weit in einen Hain. Ein Schwarm Vögel flatterte auf.

„Ich hoffe, dass dieser Tag nie kommen möge. Sie sollten für Ihren Glauben nicht leiden müssen“, versuchte ich ihn zu trösten. „Und natürlich werde ich niemals jemandem davon erzählen.“

„Danke, Monsieur.“ Ma Xin zeigte ein strahlendes Lächeln.

Pu sagte nichts, sondern holte nur Proviant aus einer Satteltasche und bat mich zuzugreifen.

„Ich habe Ihre Schwester nur zwei oder drei Mal gesehen, aber ich glaube, ich habe mich in sie verliebt“, bekannte ich Ma Xin, doch der schien das Wort „Liebe“ nicht zu verstehen, denn er verzog das Gesicht und fragte Pu: „Was meint er damit?“

Pu brach nach kurzem Schweigen in Gelächter aus und sagte zu Ma Xin: „Dir ist wirklich nicht zu helfen.“

„Beatrice, Ma Lian ...“, wandte ich mich an Pu und fuhr fort zu fragen: „Was haltet Ihr von ihr?“

„Was ich von ihr halte? Hm, sie ist sehr schön und verfügt über ein starkes Gerechtigkeitsempfinden. Sie hat alles versucht, um Vater und Bruder zu retten“, sagte Pu voller Wärme. Ich verschlang jedes seiner Worte und barg sie im Herzen. Ich fragte Ma Xin: „Ihre Familie scheint recht groß zu sein. Gibt es noch mehr?“

„Nein. Jetzt sind es nur noch meine große Schwester und ich, außerdem eine Tante und ihre kleinen Kinder. Meine Mutter lebt auch noch, aber sie ist sehr krank. Von der Familie sind nur noch die Frauen, die alten, schwachen und jungen übrig. Die Männer sind alle weg. Früher wurden sie zum Frondienst verbannt. Viele Jahre waren die fähigen Männer nicht in der Hauptstadt. Dann starb einer nach dem anderen oder wurde eingesperrt.“ Mir wurde ganz elend bei seiner Erzählung.

„Ach, was für eine erbarmungswürdige Familie!“ Ich seufzte, hob meinen Kopf, betrachtete den blauen Himmel und die weißen Wolken und sagte lange nichts.

Mit einem Zischen flog ein Pfeil durch unsere kleine Gruppe und schlug in einen Baumstamm. Die Luft wurde eng. Hastig duckten wir uns hinter den Grabstein. Ein schwarz gekleideter Mann galoppierte davon. Ich rannte zu meinem Pferd, saß auf und folgte ihm. Die beiden Adelssprösslinge sprangen ebenfalls geschwind auf ihre Pferde und folgten mir auf dem Fuße. Wir trieben unsere Pferde dem Schwarzgekleideten nach in das Wäldchen, verloren ihn aber schnell aus den Augen.

„Wer kann das gewesen sein?“, fragte Ma Xin verständnislos.

Wir ritten zu dem Grabstein zurück. Pu zog den Pfeil aus dem Baumstamm und die beiden inspizierten ihn genau. Ich trat näher, um auch einen Blick darauf zu werfen.

„Vorsicht, er ist vergiftet“, sagte Ma Xin.

Die Wälder um uns herum waren voll namenloser Bedrohungen und der Wind ließ die Gräser erzittern.

„Gehen wir! Wir sollten umkehren.“ Pu warf den Pfeil weg und klopfte mir auf die Schulter. „Ihr solltet vorsichtiger sein. Wir wissen zwar nicht, hinter wem der her war, aber Vorsicht ist nie verkehrt.“

„Schon gut. Bitte macht Euch meinetwegen keine Sorgen!“, sagte ich. Ich sagte nicht, dass ich mich schon mehr oder weniger an derartige Bedrohungen gewöhnt hatte, dass sie zu meinem normalen Leben zu gehören schienen. Ich konnte einfach nur weiterleben. Ich war nicht mehr so ängstlich wie früher. Auch die zwei warnende Verse „Was man weiß, als Wissen gelten lassen. Was man nicht weiß, als Nichtwissen gelten lassen“ waren doch schon immer mein Motto gewesen, dachte ich. Was sollte ich also tun? Warum mich beunruhigen? Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre der Tod. Ich muss allerdings zugeben, dass der Tod wieder an Schrecken gewonnen hat, seit ich mich in Ma Lian verliebt habe. Ich will wirklich nicht sterben. Ganz im Gegenteil. Ich will leben, gut leben für Ma Lian.

Als die beiden sich daran machten, die Pferde zu besteigen, um zurückzureiten, machte sich Niedergeschlagenheit in mir breit. „Können wir uns wiedersehen? Wo kann ich Sie finden?“, fragte ich dringlich. Mir wurde plötzlich deutlich bewusst, dass Ma Xin der Schlüssel war. Ohne diesen Schlüssel würde ich das Rätsel meines Herzens nicht lösen können. Ich fürchtete sehr, er würde sich ohne Warnung verabschieden und mich dadurch jeder Möglichkeit berauben, mich Ma Lian zu nähern.

Ma Xin schwieg. Er sah Pu an, als sollte der eine Entscheidung fällen.

Pu dachte kurz nach. „Gut. Ihr solltet zu keinem von uns kommen. Ihr wisst, dass das Haus der Mas überwacht wird, und auch ein Besuch bei mir ist heikel. Das Beste wird also sein, dass wir Euch aufsuchen. Macht Euch bitte keine Sorgen, wir werden kommen.“ Er klang entschieden.

„Ein Mann, ein Wort.“ Ich sah sie an und gab ihnen zum Abschied fest die Hand. Sie waren diesen Brauch nicht gewohnt und lösten ihre Hände schnell.

Gemeinsam verließen wir den Hain. Ich ritt hinterher. Schon lange hatte ich mich nicht mehr so sorglos und glücklich gefühlt wie an diesem Tag. Ich war dankbar, Ma Xin getroffen zu haben, und fand, dass ich Ma Lian einen großen Schritt nähergekommen war. Ich glaube, dass ich sie bald in meinen Armen werde halten können.

Beijing, 14. November 1767

Auf dem Heimweg war ich derart müde, dass ich auf dem Pferd unmerklich einnickte. Hündchen wanderte ziellos umher. Ich schreckte hoch, als ein dünner Streifen Baumwolle durch mein Gesicht fuhr. Ein unbeschreiblich kleiner Mann hatte den Stoffstreifen an eine Bambusstange geknotet und mir damit über das Gesicht gewedelt. Sein Lächeln enthüllte eine Reihe makellos weißer Zähne. Einer dieser lästigen Sandstürme hatte wieder aufgefrischt.

„Sie sind ...“, hob ich an, als er plötzlich einen Salto schlug. Völlig verwirrt stieg ich ab.

Der Zwerg kam näher und flüsterte, dass ein gewisser Zhou Yiran in einem nahe gelegenen Gasthaus auf mich warte. „Ihr müsstet mir nur folgen.“ Dann löste er eine Zimbel von seiner Hüfte und schlug sie leise.

„Zhou Yiran?“ Ich blickte skeptisch und fragte mich, ob der Zwerg sich einen Spaß mit mir erlaubte.

„Pater Zhou von den Vinzentinern. Er möchte, dass ich Euch zu ihm führe.“ Die Augen des von Kopf bis Fuß in Schwarz gewandeten kleinen Mannes quollen hervor und verliehen ihm einen starrenden Blick. Er erinnerte mich an einen Luohan im Tempel der weißen Wolke, der auch genau solche Augen hatte. Ich folgte ihm mit eigenartig schweren Gliedern. Nicht weit entfernt stand der Pater inmitten einer Gruppe Bettler, die seine Leibgarde zu sein schienen, denn als er ein paar Schritte vorwärts machte, traten sie gleichermaßen vor. Da waren eine Bettlerin mit zerzaustem Haar, die ein Kind im Arm hielt, ein bizarr gekleideter alter Mann, einige Personen, die Trommeln und Zimbeln schlugen, und einer auf Stelzen. Pater Zhou gab ihnen ein paar Kupfermünzen, woraufhin sich die Gruppe nach einem gebührenden Durcheinander zerstreute. Wie sich herausstellte, war mir Pater Zhou, oder Pater Almerás Zapatero, kein Unbekannter. Er war es, der mich auf der Beerdigung von Le Febrve über den Tod des Eunuchen informiert hatte. Der hochgewachsene spanische Vinzentiner hatte ein offenes Gesicht. Er hatte zwei Jahre in Indochina missioniert, bevor er vor über drei Jahren nach China gekommen war.

Er sagte, er sei noch mal auf mich zugegangen, um „eine wichtige Warnung auszusprechen“. Er argwöhnte, dass ich von den Jesuiten ausgenutzt werden könnte, weil ich bei ihnen in der Kirche wohnte. Pater Zhou ging davon aus, dass ich als Sonderbotschafter des sächsischen Kurfürsten nach China gekommen wäre, was ich umgehend dementierte.

„Ich bin aus rein persönlichen Gründen hier in China.“

„Gut. Aber es gibt Dinge, über die Ihr Bescheid wissen müsst. Habt Ihr schon zu Abend gegessen?“, fragte der Pater und führte mich zu einem kleinen Imbiss. Wir nahmen Platz. Der glupschäugige Zwerg folgte uns, stellte sich vor den Tisch und ließ seinen Blick auf diesem ruhen. Der Pater gab ihm noch ein paar Kupfermünzen. Daraufhin machte er einen Handstand und ging zufrieden davon.

„In Europa ist der Plan der Jesuiten, den schwachen König Joseph I von Portugal zu meucheln, gescheitert. Alle Welt weiß, dass ihnen jedes Mittel recht ist und dass sie furchtbare Intriganten sind“, hetzte Pater Zhou mit leiser Stimme, während ich wie die Chinesen mit Essstäbchen Speisen auftat. „Aber die Zeit wird ihre schamlosen Lehren ans Licht bringen. Die Gerechtigkeit hat bereits über ihre schrecklichen Machenschaften triumphiert, ihre Kollegien dem Erdboden gleichgemacht und ihren ergaunerten Ruhm vernichtet.“ Pater Zhou redete und redete. Er sprach mit großer Bestimmtheit und geriet schließlich in Rage. „Gerade wegen der Verderbtheit und Gier der Jesuiten ist die christliche Missionsarbeit in der chinesischen Gemeinde rückläufig. Auch der Kaiser hat ihretwegen das Vertrauen in die Missionare verloren.“ Pater Zhou Yiran sprach Latein, wobei er gelegentlich einzelne französische und spanische Wörter einwarf.

„Intrigen, Schamlosigkeit, Verderbtheit und Gier? Mein guter Pater, nichts davon stimmt mit dem überein, was ich weiß.“ Ich fischte mit den Stäbchen ein paar Nudeln aus der Rinderbrühe, starrte darauf und war sehr darauf bedacht, dass sie mir nicht entglitten. „Im Namen des Herrn werde ich Ihnen ein Beispiel geben. Wussten Sie, dass der Jesuit und Palastmaler Castiglione in der Stadt ein Laienleben führt? Er hat zwei Kinder adoptiert, Haus und Grund erworben, und in seinem Haushalt arbeiten diverse Dienerinnen!“

Zhou Yiran aß nichts, sondern sah mich nur unverwandt an. Seine Unterstellungen hatten mich erschreckt. „Castiglione? Unmöglich!“

„Doch. Alle Welt weiß davon, sogar der Kaiser verzeiht ihm das. Nur Sie haben keine Ahnung.“ Zhou Yiran zog aus einer mitgeführten Tasche eine Schriftrolle. „Da Ihre Fähigkeiten im Chinesischen so gut sind, können Sie das genauso gut selbst lesen.“ Es handelte sich um eine Abschrift der Anklage gegen Castiglione. Darin wurde darauf hingewiesen, dass Castiglione am Ufer des Yongdingflusses nicht weit von Nanyuan entfernt einem Dorfbewohner namens Cai Yongfu Ackerland und Ufergelände mit Reetgras abgekauft hatte. Das Grundstück von Cai war jedoch Bannerland und durfte daher nicht verkauft werden. Castiglione hatte damit genau genommen illegal kaiserliches Mandschuland besetzt. In den Augen von Pater Zhou glomm Wut.

„Haben Sie mal seine luxuriöse, grüne Sänfte gesehen? Wo er hingeht, wird er von einer Horde Diener begleitet. Ist das die Art Leben, die ein Missionar führen sollte?“

„Castiglione würde viel lieber reiten, aber die Sänfte ist eine Gunst des Kaisers, die er nicht auszuschlagen wagt.“ Das wusste ich, weil sich Castiglione mir gegenüber gerechtfertigt hatte. „In seiner Eigenschaft als oberster Hofmaler und als Mann fortgeschrittenen Alters ist die Sänfte nicht wirklich übertrieben. Außerdem ist es eine chinesische Art der Fortbewegung.“

„Dann sagen Sie mir: Ist er ein Missionar oder ein Hofbeamter? Sie wissen, wie viele Missionare in den Provinzen in Kerkern schmoren oder sogar hingerichtet wurden. Aber um ihm ein Stück Schweinekamm in Sojapaste zu besorgen, auf das er zufällig Appetit hat, werden Leute durch die halbe Stadt geschickt! Und wenn einmal die Sohlen seiner Stoffschuhe nicht dick genug sind, muss jemand neue nähen. Er ist jetzt schon so lange am Kaiserhof, aber hat sich die Misere der Mission seither gebessert?“

„Soweit ich weiß, hat Castiglione schon drei Mal sein Leben riskiert, als er den Kaiser bat, das Leben der Missionare zu schonen.“ Ich fühlte Zhou Yirans Zorn und versuchte ihn mit einer milden Stimme zu besänftigen. Doch dies zeigte genauso wenig Effekt wie die katholische Mission in China.

Zhou Yiran erwiderte sofort: „Hat der Kaiser ihm seinen Titel entzogen? Hat sich etwas an der Situation der Missionare in den Provinzen geändert? Wissen Sie, wie viele Märtyrer es in China schon gegeben hat?“ Sein Speichel flog in alle Richtungen, als er sich nicht mehr zurückhalten konnte. Glücklicherweise konnte uns niemand um uns herum verstehen. Ich sah mich um. Die Chinesen neben uns waren wohl schon bei der dritten Runde Schnaps und auch nicht eben leise.

Vernunft und Meinung gingen nun getrennte Wege. Ich glaubte nicht an die Anschuldigungen, die Zhou gegen Castiglione erhob, und ich teilte auch nicht seine Meinung, dass die Jesuiten ein Haufen heuchlerischer und durchtriebener Intriganten waren. Aber ich wollte gern wissen, warum Zhou Yiran so wütend war. Seine Anklagen und Schmähungen nahmen an Schärfe immer mehr zu. Er beschränkte sich nun nicht mehr auf die heutigen Jesuiten, sondern fiel auch über längst Verstorbene her. So soll nach Zhous Worten der Jesuitenmissionar Johann Adam Schall von Bell nicht nur eine Familie gehabt, sondern für den Kaiser von China auch Waffen hergestellt haben. Ein solches Benehmen sei nicht zu tolerieren. Ich zog die Augenbrauen hoch, legte die Stäbchen ab und sagte bestimmt: „Ich kenne Castiglione nicht als gierigen, korrupten Menschen, und selbst wenn es so wäre, bedeutet das nicht, dass alle Jesuiten so sind.“

Pater Zhou hatte wie die meisten Missionare einen langen Bart, doch bei ihm war jedes Härchen an seinem Platz. Er ignorierte meine Worte und fuhr mit seiner Tirade fort. Schließlich erwähnte er den Jesuiten, der den Posten des Direktors des Kalenderamtes innehatte.

„Die letzten zwei Jahrhunderte wurde dieses Amt von den Jesuiten kontrolliert. Anstatt die chinesischen Kaiser in Astronomie zu unterrichten, haben sie ihnen nur ein paar veraltete Instrumente gebastelt. Ihre Hauptaufgabe ist es, den kaiserlichen Kalender zu erstellen, nach dem die abergläubischen Chinesen ausrechnen, ob sich ein Tag für die Eheschließung eignet. Oder für eine Beerdigung. Durch ihre astronomische Arbeit wissen sie außerdem, wann eine Sonnen- oder Mondfinsternis auftreten wird. Auf diese Weise kann der Kaiser dies der Welt verkünden. Auf die Spitze getrieben sind sie nur des Kaisers Astrologen!“

Zhou ließ seine Augen umherschweifen, bis er sicher war, dass außer mir niemand ihn verstand: „Der Jesuit, der derzeit als Direktors des Kalenderamtes waltet, versteht nicht das Geringste von Astronomie. Er kann weder Sonnen- und Mondfinsternisse vorhersagen noch Sonnenaufgang und Sonnenuntergang berechnen.“ Ich war verblüfft, dass Pater Zhou mit Astronomie so vertraut zu sein schien. Worum ging es hier?

„Und der ganze chinesische Hof weiß nichts davon?“, fragte ich skeptisch.

„Die Chinesen können das nicht wissen. Niemand weiß davon. Alle Zahlen wurden von Pariser Almanachen abgekupfert. Er muss nur die Pariser Zeit in chinesische Zeit umrechnen.“ Entrüstet verschränkte Pater Zhou seine Arme. „Doch als es vor einer Weile in der Südkirche gebrannt hatte, wurden die Almanache ein Opfer der Flammen. Der Direktor der Sternwarte ist deswegen in Panik geraten. Er wartet dringend auf weitere Almanache aus Europa. In der Zwischenzeit grübeln alle Jesuiten in der Stadt über einen Ausweg nach. Der Betrug ist kurz davor aufzufliegen.“

„Ah!“ Ich war sprachlos. Nach einer Weile des Schweigens sagte ich: „Wieso erzählen Sie mir das alles?“

„Weil ich befürchte, dass die Jesuiten Sie ausnutzen“, wiederholte Pater Zhou nunmehr ganz ruhig. „Letztlich sind Sie ein unschuldiger Außenseiter, der nicht ihren Plänen zum Opfer fallen sollte.“ Er behauptete: „Die Jesuiten gelten heutzutage in Europa nur noch als Wanderratten, von allen beschimpft und getreten. Nur hier in China können sie ihre Ränke noch treiben, weil die Chinesen ihre Schliche noch nicht durchschaut haben.“

„Nein. Ich tue nur, was ich tun muss. Ich bin gewiss kein Mitglied des Jesuitenordens. Doch sie haben noch nie etwas Ungebührliches von mir verlangt.“ Ich sprach gelassen, doch in mir brodelte es. „Vielen Dank für Ihre Besorgnis, aber was soll ich Ihrer Meinung nach jetzt tun?“, fragte ich schließlich.

Bedächtig antwortete Pater Zhou: „Sie sollten sich schnellstmöglich von den Jesuiten distanzieren. Ansonsten kommt das Unglück vielleicht schneller über Sie, als Sie sich umdrehen können.“

Ich beobachtete die Chinesen neben uns bei ihren unter lautem Getöse stattfindenden Trinkspielen. Dabei war die Anzahl aller auf Kommando in die Mitte gehaltenen Finger zu erraten. Der Verlierer musste ein ganzes Glas auf ex trinken.

„Die Chinesen verabscheuen Ausländer. Wenn Sie mit ihnen Umgang haben, müssen Sie sie so behandeln, wie sie es gewohnt sind. Durch ihre Kompromisspolitik erniedrigen sich die Jesuiten selbst.“ Pater Zhou sprach nun über die Missionsarbeit, bei der er naturgemäß ganz eigene Prinzipien verfolgte. „Natürlich ist das Missionieren, wie jeder weiß, im fernen Osten sehr mühsam, weil die Kulturunterschiede so groß sind. Manchmal beneide ich die Märtyrer, denn sie wurden schon vom Herrn voller Glorie zu ihm gerufen.“

Ich wusste immer noch nicht, wie ich auf die Attacken des Missionars gegen die Jesuiten reagieren sollte. Immerhin kannten wir uns kaum. Mir war auch immer noch nicht klar, warum es mein Gegenüber auf sich nahm, mich wiederholt zu warnen.

„Ich hoffe, Sie stehen auf unserer Seite und unterstützen uns, um die Leitung des Kalenderamtes zu übernehmen. Vielleicht können Sie beim Kaiser ein gutes Wort für uns einlegen.“ Endlich gab Pater Zhou seine Absichten preis.

Die Männer neben uns in dem Gasthaus veranstalteten ein unglaubliches Getöse. Der Schmerz spaltete meinen Kopf. Diese Stadt ist zwar stets voller Lärm, aber erst in diesem Moment stellte ich fest, wie schwer all diese Geräusche zu ertragen waren.

Beijing, 15. November 1767

„Es ist wahr.“ Frater Perrot war noch ganz verschlafen, nachdem ich ihn durch heftiges Klopfen geweckt hatte. Er hatte die Tür geöffnet und blieb für das Gespräch im Türrahmen stehen. „Unser portugiesischer Direktor der Sternwarte ist ein Gimpel. Chinesisch kann er auch kaum. Als der vom Kaiser favorisierte Minister Heshen krank war, hat er ihn erfolgreich behandelt. Deshalb ist er befördert worden.“

„Woher weißt du, dass er so dumm ist?“, fragte ich, um der Sache auf den Grund zu gehen.

„Er ist genau wie die Chinesen. Er kennt nicht einmal die Koordinaten der Sonnenbahn. Außerdem versteht er nicht, dass das größte Problem der chinesischen Astronomie darin besteht, dass sie die Positionen der Himmelskörper nicht akkurat berechnen können. Er macht immer die gleichen Fehler.“

„Dann ist alles, was der Vinzentiner Zhou erzählt hat, wahr?“, murmelte ich.

Pater Perrot wurde langsam wacher, ließ mich eintreten und schenkte mir ein Glas Wasser ein.

„Du weißt doch so viel. Warum wirst du nicht der Direktor der Sternwarte?“, war mein plötzlicher Einfall. „Schämt er sich nicht, wenn er mit dir spricht, obwohl er so wenig weiß?“

Perrot starrte mich wortlos an. Er schien meine Frage nicht verstanden zu haben. Nach einer Weile sagte er: „Er spricht nie mit mir, und wenn wir uns begegnen, würdigt er mich keines Blickes. In seinen Augen bin ich ein Niemand.“ Perrot begann heftig zu husten.

Da bemerkte ich erst, wie krank Perrot aussah. Er war unglaublich bleich und ausgezehrt. Ich fragte: „Wie geht es dir?“

„Ich verrate dir ein Geheimnis. Tatsächlich kamen die vom Kalenderamt vor Kurzem zu mir und wollten, dass ich ihnen heimlich helfe, um zu verhindern, dass ihr Schwindel auffliegt“, sagte Perrot seufzend.

„Warst du einverstanden?“

„Nein. Der Orden in Frankreich wollte zwar, dass ich ihnen helfe, aber das stand in einem Brief von vor über einem Jahr. Unser Orden befindet sich mittlerweile überall in Europa in einer besorgniserregenden Lage und die Kommunikation ist abgebrochen. Ich bin mir unsicher, ob ich den Orden in Schwierigkeiten bringe, wenn ich mich weiterhin weigere zu helfen. Ich möchte mich nicht schuldig machen, Öl ins Feuer zu gießen.“

„Du bist nicht bereit zu helfen?“

„Ich befinde mich in einem Zwiespalt. Die Jesuiten stehen großen Schwierigkeiten gegenüber und ich sollte meinen Mitbrüdern helfen, wie es sich gehört. Aber gerade diese Leute haben sich mir gegenüber in der Vergangenheit so ekelhaft benommen. Sie haben mir praktisch nicht den geringsten Respekt gezollt.“

„Hast du einen französischen Almanach?“

Perrot wurde wieder von einem heftigen Hustenanfall übermannt, der sehr lange andauerte. Auf einmal zog er ein Taschentuch heraus und spuckte Blut. Notgedrungen mussten wir unsere Unterhaltung hier abbrechen. Ich eilte los, um einen Arzt aufzutreiben.

Beijing, 18. November 1767

Ich begleitete einige Missionare auf den Tartarenmarkt, um Lebensmittel einzukaufen. Sie erstanden große Mengen Reis, sonstiges Getreide, Mehl und Öl zum Kochen. Auf dem Rückweg zur Kirche blieb der Ochsenkarren im hohen Schneematsch stecken. Als wir versuchten, den Wagen zu befreien, schob sich aus den engen Gassen plötzlich ein gutes Dutzend ausgemergelter Bettler. Es waren dieselben Bettler von neulich, diesmal allerdings mit Verstärkung. Einige schlugen wild mit ihren Knüppeln auf den Schnee und Matsch, andere sprangen mit ihren löchrigen Schuhen auf dem Schnee auf und ab. Schnell war der dicke Schnee beseitigt und sie bettelten mich und die Missionare an. Prompt gab ich ihnen einige Kupfermünzen. Die Bettler schoben mit vereinten Kräften den Ochsenkarren an und die Räder lagen schließlich wieder frei. In dem Durcheinander griffen einige nach den Waren auf dem Wagen, bis ein Missionar sie anschrie, sie sollten die Finger davon lassen. Erst dann zerstreute sich die Gruppe verärgert.

Am Nachmittag ging ich spazieren. Ich war erst ein paar Schritte gegangen, als ich ein Gejohle hörte. Es klang wie eine Mischung aus Jammern und wildem Gelächter. Außerdem rührte jemand die Trommel und ein anderer schlug den Gong. Ich sah mich verstohlen um. Mehrere Hundert Bettler folgten mir. Der Zwerg, den ich vor Kurzem getroffen hatte, war mitten unter ihnen. Sie sangen und tanzten. Einige rasselten mit Bambusklappern, andere klingelten mit Glöckchen, die an Rinderknochen befestigt waren, wieder andere schlugen auf mit Ziegenhaut bespannte Bambustrommeln. Einige geschminkte und schreiend bunt gekleidete Bettlerinnen mit blumengeschmückten Mützen trugen Bambusstangen, von denen farbige Schnüre mit Kupfermünzen baumelten. Auch sie tanzten und sangen und drehten sich und wirbelten im reinsten Dämonentanz herum. Verdattert stand ich da und starrte sie an.

Ich traute mich nicht, ihnen mehr Geld zu geben. Ich schlich mich die Gasse hinaus, doch Hunderte Bettler folgten mir. Die Passanten blieben stehen und schauten. Viele Kinder schlossen sich dem Klamauk an, und sogar einige Straßenhändler marschierten mit, um ihre Waren zu verhökern.

„Fahrt zur Hölle!“ Mit wütend gerunzelten Brauen ging ich weiter und weiter, doch die Bettlerschar folgte unbeeindruckt dem großen Ausländer mit den roten Haaren und der langen Nase. So ging es weiter, bis ich mich schließlich umdrehte. „Nehmt das Geld und verschwindet. Ich will euch nicht wiedersehen!“ Ich warf alle Kupfermünzen, die ich bei mir hatte, auf den Boden und stürmte davon. Es entstand ein Tumult, als sich alle darum balgten. Ich war sie los.

Schnell entfernte ich mich. Ich weiß nicht, wie lange ich lief, bis ich endlich stehen blieb und wie betäubt in den endlosen Himmel starrte. Ein furchteinflößender Schrei durchbrach die ursprüngliche Stille. Die ganze Bettlerhorde war wieder da. In Panik rannte ich los, doch nun tauchten sie an jeder Ecke, in jeder Gasse wieder auf. Ein pferdgroßer Kerl setzte sich von der finsteren Dämonenschar ab. Er hielt ein Schwert in der Hand und führte es gegen den eigenen Leib, ein anderer zertrümmerte auf seinem Schädel einen Ziegel nach dem anderen und stieß bei jedem Stoß sonderbare Schreie aus. Ein Lahmer ganz in Weiß und mit einem hohen Hut auf dem Kopf summte eine gespenstische Melodie, als er einen langen Nagel hervorholte, den er sich in die Stirn trieb. Blut lief über sein Gesicht. Es war unerträglich.

Schließlich preschte der Zwerg mit einer scharfen Axt hervor und hieb damit wild durch die Luft. Ich wandte mich ab und wollte hurtig in eine andere Richtung rennen, aber Schaulustige füllten die Gassen, so dass nicht einmal mehr ein Wassertropfen hindurchgepasst hätte. Der Lärm der Münzen, der Trommeln, der sonderbaren Schreie, des Heulens, des Singens brandete auf und ab, und allmählich hatte mich die wie verrückt tanzende und um sich schlagende Horde umzingelt. Ich schloss die Augen. In meinem Kopf herrschte völlige Leere. Ich stand dort wie angewurzelt. Ich war von den dämonischen Schreien und dem schrecklichen Anblick der Gestalten völlig verängstigt und schloss die Augen. Plötzlich verstummten die entsetzlichen Schreie und es wurde beunruhigend still. Beim Geräusch von Pferdehufen öffnete ich die Augen wieder. Das Getrappel wurde langsamer und die Schar öffnete eine schmale Gasse. Es war mein Freund Pu, der auf mich zuritt.

„Benehmt euch! Seht gut hin, welche Heiligkeit mir folgt!“, schrie er den Bettlern zu. Auf einem auf Bambusstangen gebundenen Stuhl saß ein in grellbunte Lumpen gehüllter Mann mit einer sehr hohen Kappe auf dem Kopf. Ganz entspannt wedelte er sich mit einem Fächer Luft zu, obwohl beinahe Winter war! Die Horde Bettler warf sich wie ein Mann vor ihm zu Boden. Der Mann stieg vom Stuhl und sagte zu mir: „Ich bitte für diese Belästigung um Verzeihung!“ Dann schrie er die Menge an: „Rückzug!“ Ohne jedes Vertun zerstreute sich die Menge in alle Richtungen.

Ich stand immer noch an der gleichen Stelle und sah zu, wie dieser stämmige Mann mit aufreizender Langsamkeit seinen Stuhl wieder erklomm. Die vier Träger hoben ihn hoch, und die wenigen, die noch da waren, verbeugten sich zum Abschied mit zum Gruß erhobenen Händen. Ich tat es ihnen umgehend nach. Ich wandte mich an meinen Freund, um ihm zu danken, und fragte: „Wer war das?“

„Das war der Fürst dieser Bettlergilde“, sagte Prinz Pu lachend und sah recht geheimnisvoll drein.

„Die Bettler haben ihren eigenen König und eigene Gesetze?“ Ich war bass erstaunt.

„Wenn Ihr es so ausdrücken wollt.“

„Woher wusstet Ihr, dass mich diese Bettlerhorde plagte?“, fragte ich weiter. „Steht Ihr in Kontakt mit Geistern?“

Er saß wieder auf. „Ja, selbstverständlich. Aber ich habe noch anderes zu erledigen und sollte mich sputen. Bis zum nächsten Mal!“ Pu lächelte verschmitzt, drehte sich um und ritt los.

„Bitte wartet!“ Doch es war schon zu spät, die Hufe trappelten davon.

Sehr verehrter Doktor Schrader,

die Missionare hier diskutieren, ob sie dem Kaiser eine bevorstehende Sonnenfinsternis ankündigen sollen, weil die Chinesen eine Sonnen- oder Mondfinsternis als unheilvolles Omen für das Land ansehen. Die chinesischen Kaiserhäuser haben schon immer sehr viel Wert auf die Astronomie gelegt und viele Jahrhunderte lang wurde diese Wissenschaft hier auch sehr fortschrittlich betrieben. Doch dann stagnierte die Entwicklung der Kalenderberechnungen, so dass sie darin zunehmend von den ausländischen Missionaren abhängig wurden.

Der erste Missionar, der Korrekturen am chinesischen Mondkalender vornahm, war der damalige Direktor der Sternwarte, Johann Adam Schall von Bell aus Köln. Er war dem italienischen Jesuiten Matteo Ricci nach China gefolgt. Ricci verfolgte die Strategie, sich und den Glauben an die hiesigen Bräuche und Gepflogenheiten anzupassen. Sein ausdauerndes Studium des Chinesischen erlaubte ihm, mit den größten chinesischen Denkern Umgang zu haben. Er übersetzte Konfuzius ins Lateinische und Euklids Elemente ins Chinesische. Adam Schall stand ihm in nichts nach und leistete einen großen Beitrag für die chinesische Astronomie. Beide Männer nutzten ihre wissenschaftlichen Kenntnisse, um zum Kaiser von China vorzudringen und um der christlichen Mission den Weg zu ebnen.

Im Sommer des Jahres 1644 machte Adam Schall beim Qing-Kaiser Shunzhi eine Eingabe und bat, eine astronomische Vorhersage öffentlich darlegen zu dürfen. Nach dem chinesischen Mondkalender befand man sich im achten Monat des Jiashenjahres (21. Jahr des 60er-Zyklus) und die Sonnenfinsternis fand genau zum von Schall berechneten Zeitpunkt statt. Der chinesische Mondkalender und der muslimische Kalender wichen davon ab. Danach machte der Qing-Kaiser Schall zum Direktor der Sternwarte und des kaiserlichen Kalenderamtes. Der Shunzhi-Kaiser besuchte Adam Schall gern, um dessen Instrumente zu bewundern und sie sich erklären zu lassen. Als sie einmal unter Bäumen Rast machten und zu ihrer Erfrischung Früchte pflückten, nannte der Kaiser Adam Schall „Mafa“, was auf Mandschurisch „Großvater“ bedeutet. Schall schenkte ihm erstklassigen Rotwein, den Missionare von den Kanarischen Inseln mitgebracht hatten. Daraufhin wies der Kaiser Schall an, selbst Wein zu keltern. „Ich werde im Herbst wiederkommen, um eine Flasche zu trinken.“ Der Kaiser sagte auch: „Niemand liebt mich, denn es geht den anderen nur um ihren persönlichen Nutzen oder um Ämter, nur Mafa ist ehrlich zu mir.“ So tief waren sein Respekt und seine Bewunderung für den Jesuiten.

Aber die Bewunderung war nicht von Dauer. Der Kaiser wurde ein hingebungsvoller Buddhist und entfernte sich darob immer mehr von Adam Schall. So konnten die konservativen Kräfte am Hof erstarken. Adam Schall wurde verleumdet, in den Kerker geworfen und zum Tode verurteilt. Am Tag der Hinrichtung wurde die ganze Stadt von einem Erdbeben erschüttert. Die Leute hielten das für ein Zeichen des Unmuts des Himmels, und so beeilten sich die Beamten, Schall wieder freizulassen. Aber kaum aus der Haft entlassen, starb Adam Schall an einer schweren Krankheit. Nach seinem Tod übernahm sein vorheriger Assistent, der Jesuit Ferdinand Verbiest, dessen Aufgaben. Auch er pflegte ein enges Verhältnis zum Kaiser und war ebenfalls ein hervorragender Astronom.

Damals war Verbiest in einen langwierigen Disput mit dem chinesischen Astronomen Yang Guangxian verstrickt. Der Kaiser ließ sie 1668 schließlich gegeneinander antreten. Sie sollten die Schattenlänge eines Stabs zu einer bestimmten Stunde berechnen. Die Vorhersage von Yang Guangxian war falsch und Verbiest gewann.

Die katholische Kirche in Beijing ist heute in zwei Fraktionen gespalten. Die einen möchten, dass der Jesuit Perrot Leiter des Kalenderamtes wird. Ein Amt, das – wie ich eben dargelegt habe – schon lange von Jesuiten geleitet wird. Die anderen, also alle anderen Orden, unterstützen einen vinzentinischen Kandidaten. Beide Seiten kämpfen im Verborgenen gegeneinander und suchen zur Unterstützung Männer mit Einfluss am Hof.

Da ich weiß, dass Sie ein tiefes Interesse an Astronomie haben, hoffe ich von ganzem Herzen, dass dieser Brief Ihr Gefallen findet. Bitte beten Sie für die Mission, dass die Leitung des Kalenderamtes letztlich an den fähigsten Mann geht.

Ich werde Ihnen weiterhin schreiben. Da diese Briefe weit über das Meer reisen müssen, wäre ich nicht verwundert, wenn Sie nicht alle erreichten. Wenn Sie mir schreiben wollen, dann adressieren Sie den Brief direkt an mich in der Jesuitenmission Beijing, das müsste genügen.

Bitte richten Sie Ihrer Mutter die besten Wünsche für ihre Gesundheit aus. Möge dieser Brief Sie und Ihre Familie in Glück und Frieden finden.

Gott sei mit Ihnen.

Wilhelm Bühl

Beijing, 19. November 1767

„Fremder Teufel, hält dich der Himmel hier?“ Der Zwerg saß auf meinem Bett, rauchte Wasserpfeife und spuckte diesen Satz förmlich aus. Ich schreckte aus meinem Traum hoch und saß senkrecht im Bett. Kein Zwerg weit und breit. Allmählich gewöhnte ich mich an die Dunkelheit, die durch das Mondlicht, das durch das Papierfenster schien, erhellt wurde. Außer mir war niemand da. Ich schlief wieder ein.

Bei Tagesanbruch ging ich wie jeden Tag zum Quartier zum Glückszepter und inspizierte die schimmernd weiße Jadeaxt. Sie verriet mir nichts. Ich ging zu den Jadeschnitzern, die auch in der Halle arbeiteten. Die meisten Jadeschleifer stammten aus dem Süden, insbesondere aus Yangzhou oder Suzhou, und waren wegen ihrer Fähigkeit, den besten Jadeschleifer der Mingzeit, Lu Zigang, zu imitieren, rekrutiert worden. Einer erzählte mir, dass die Missionare zwar meinten, Gott habe die Menschen aus einer Rippe geschaffen, aber „wir Chinesen wurden aus Jade gemacht“. Sie gaben mir die Stücke, die sie gerade schnitzten, zum Bestaunen. Einer der Meister hatte das Guanju, das erste Lied aus dem Klassiker „Buch der Lieder“, für einen kaiserlichen Schwiegersohn vollständig in einen Ring graviert. Auch gab es Kleideragraffen aus Jade in der Form von Phönixen, die unvergleichlich erlesen gearbeitet waren. Freimütig erzählten sie mir, dass diese als Geburtstagsgeschenk für den dreizehnten Sohn des Kaisers gedacht waren. Aber ich konnte ihnen kein Wort über die Kostbarkeiten in den Schatzkammern entlocken. Das war tabu. Wenn ich unvorsichtig darauf zu sprechen käme, würden sie sofort in Schweigen verfallen.

„Wie fangt ihr an, wenn ihr bestimmen müsst, ob eine Jade echt ist oder nicht?“, wechselte ich das Thema.

Ein Handwerker, der bisher nie bereit gewesen war, sich zu äußern, löste auf einmal seine Zunge: „Ich würde auf den Stil der Muster und Gravuren auf der antiken Jade achten, weil jede Zeit ihre eigenen Stile und Techniken hat, die einem Hinweise geben können.“

Wenn ich bei den Mustern und dem Stil antiker Jade anfangen muss, wird mein ganzes Leben nicht ausreichen, das Geheimnis zu ergründen. Ich wusste einfach zu wenig. Es war nicht mein Spezialgebiet. Selbst als Mineraloge hatte ich zu wenig Kenntnis über Jade.

Sollte ich China verlassen? Dieser Gedanke kam mir plötzlich auf dem Rückweg nach Hause. Ich war nicht in der Lage, die Wahrheit über diese Jade herauszufinden, und genau das könnte mein Schicksal besiegeln. Noch war der Kaiser im Sommerpalast in Jehol. Doch ich sehnte mich danach, Ma Lian wiederzusehen.

China ist wirklich nicht das China, das sich die Europäer vorstellen. Ich habe lange genug in China gelebt. Europäische Schiffe werden in Kürze in Kanton landen. Wenn ich mich bald auf den Weg Richtung Süden machte, sollte ich sie erreichen können, bevor sie die Rückreise antreten. Könnte ich Ma Lian überreden, mit mir zu gehen? Ich hatte keinerlei Sicherheit, nicht die geringste. Sollte ich China überhaupt verlassen?

Ich kenne die Wahrheit nicht, vielleicht werde ich sie mein ganzes Leben lang nicht kennen. China ist so hermetisch wie der Kaiserpalast. Die Chinesen brauchen uns nicht, und selbst wenn, dann nur wegen Kleinigkeiten wie Glas oder Pigmenten. Hat sich nicht auch der Kaiser einmal darüber lustig gemacht: „Die westlichen Ausländer sind solche Schaumbläser. Das ganze plumpe Zeug, das sie erfinden, taugt doch nur als Spielzeug für die Kinder.“ Er befürchtete sogar, dass die Lagerung der Geschenke aus Europa zu viel Platz in Anspruch nehmen könnte. Ich habe in den Lagerhäusern alle nur erdenklichen europäischen Apparate und Instrumente gesehen. Die meisten waren ausrangiert oder unsachgemäß gelagert, so dass sie vor der Zeit ruiniert waren. Selbst eine höchst extravagante Kutsche war achtlos zur Seite gestellt worden. Die Sitze waren hochwertig gepolstert und müssten wesentlich bequemer sein als die chinesischen Holzbänke. Aber ein Eunuch sagte: „In einer solchen Kutsche würde der Fahrer vor und über dem Kaiser sitzen. Wie sollte das gehen?“

Die Chinesen brauchen unsere Wissenschaft nicht. Sie sagen, der Kompass und die Drucktechnik wurden in China erfunden, ebenso wie das Schwarzpulver. Nur dass sie es nicht dazu benutzen, Feinde anzugreifen. Sie sind ausgesprochen selbstzufrieden und ignorieren sämtliche Erfindungen aus dem Westen. Sie glauben, dass praktisch alle Länder dieser Erde, inklusive Europa, barbarische Vasallen sind. Wenn Gesandte aus Europa kommen, gilt das als Ehrerbietungerweis dem Kaiser gegenüber, und die mitgebrachten Geschenke werden als Tributleistungen betrachtet. China hat keine Feinde. Sein einzig wirklicher Feind ist es selbst.

Heute Nacht fühle ich, wie grotesk meine Arbeit für den Kaiser ist. Die Zeit für meine Heimreise ist gekommen. Doch wenn ich noch ein Ziel im Leben habe, dann ist es, Ma Lian zu lieben und für sie zu sorgen. Ihretwegen muss ich noch bleiben. Diese Nacht ist eine heilige, mysteriöse und unbeschreibliche Nacht. In dieser abgeschiedenen Welt falle ich in einen trostlosen, einsamen Abgrund. Eine zärtliche Traurigkeit streichelt mein Herz.

Beijing, 20. November 1767

Ma Xin hatte mich freundschaftlich gefragt, was ich wirklich in China mache. Wer ich eigentlich sei. Ich antwortete, dass ich im Moment mit zwei Dingen beschäftigt sei. Das eine ist, die Aufgabe des Kaisers zu lösen, also die Echtheit der weißen Jadeaxt zu bestimmen. Das andere ist die Aufgabe, die mir Meißen gestellt hat, also die Suche nach dem Geheimnis des Ru-Porzellans. Das interessiert mich auch persönlich. Ich würde gern wissen, ob es noch jemanden gibt, der Ru-Porzellan herstellen kann.

Aber wer bin ich eigentlich? Das war eine sehr gute Frage, ich wusste es selbst nicht.

Prinz Pu hatte zu mir gesagt, dass es doch ein sonderbarer Zufall sei, dass Ma Xin Spezialist für Porzellan und Jade sei. Ma Xin hatte aber gleich abgewunken und nur gesagt, dass er mich mit einigen Leuten bekannt machen könne. So würde jeder von dem Wissen des anderen profitieren.

Der Spezialist für Porzellan, den Ma Xin mir nun vorstellte, hatte mit der Herstellung von Porzellan ein Vermögen gemacht. Seine Familie schwimmt in Geld und sie wohnen in einem herrschaftlichen Haus. Wir wurden zunächst in den hinteren Garten des Hofhauses geführt. Durch eine Tür kamen wir in einen feuchtkalten Raum mit Regalen an allen vier Wänden. Auf den Regalen standen Lage für Lage die erlesensten Porzellane. Es stellte sich heraus, dass uns der Mann zuerst seine Meisterstücke zeigen wollte: Grillenkäfige. Ihr Porzellan war ganz exquisit. Manches glich Song-Porzellan wie aufs Haar. Dieser Porzellanexperte hatte im Ruhestand begonnen, sich mit ganzem Herzen dem Herstellen von Grillenkäfigen zu widmen. In einige war Siegelschrift graviert, andere trugen Vögel und Blumenmuster als Ritzdekor. Wieder andere waren als Relief gestaltet. Abgesehen von Inschriften, die die Grillen priesen, gab es glückverheißende Symbole. Ich war entzückt und konnte es kaum fassen, dass dieses erstklassige Porzellan nur dazu da war, Grillen aufzuziehen. Der alte Mann ließ sich lang und breit über Grillen aus. Als echter Grillenliebhaber ging er regelmäßig weite Strecken, um diese Tiere zu fangen. Jeden Tag gab er seinen Grillen Wasser zu trinken und fütterte sie mit Mücken, nur um sie dann in einen Grillenkampf zu schicken. Porzellan und Grillen waren für ihn gleichermaßen wichtig. Ich hatte vorher noch nie von Insektenkämpfen gehört, und meine Neugier stachelte ihn an, auf der Stelle eine Kampfarena aufzubauen. Er nahm einen weißen Porzellantopf, der wie Ding-Ware aussah, und verteilte Lösserde darin, ganz wie eine Miniatur einer westlichen Arena. Dann suchte er ein Paar Insekten mit ungewöhnlich kräftigen Hinterbeinen und langen Fühlern heraus. Mit einem kleinen Pinsel strich er über die Hinterleiber der Insekten, die sich daraufhin aufrichteten und in dem Behälter übereinander herfielen. Wie verzaubert sahen wir dem Grillenkampf zu.

Der Porzellanexperte erklärte, imitiertes Ding-Porzellan habe ihn reich gemacht. Er sagte, egal ob Ding- oder Jun-Porzellan, sogar die Porzellantränen könne man nachmachen. Um Song-Porzellan zu bestimmen, können die Porzellantränen also nicht das einzige Kriterium sein. Stattdessen können sie einen auf die falsche Fährte locken.

„Könnt Ihr auch Ru-Porzellan nachmachen?“

„Nein, nur Ding- und Jun-Ware.“

„Wo wurde das Ru-Porzellan ursprünglich hergestellt? Und gibt es noch jemanden, der das kann?“

„Da das Ding-Porzellan aus dem Landkreis Quyang in Hebei stammt und das Jun-Porzellan aus Henan, muss der Ru-Ofen auch dort in der Nähe gestanden haben. Es wurde zu der Zeit hergestellt, als der Song-Hof in den Süden flüchten musste. In der Tat wurden schon damals nur wenige Stücke hergestellt, und diese wenigen waren ausschließlich für den kaiserlichen Gebrauch bestimmt. Kaum etwas davon kam in Umlauf. Jedes einzelne Stück ist eine Rarität. Ich weiß, dass schon viele versucht haben, Ru-Porzellan nachzumachen, aber ich habe nie etwas gesehen, das dem Original wirklich nahe gekommen wäre. Es ist nicht so leicht nachzumachen wie Ge-Ware. Die Straßen sind voll mit nachgemachtem Ge-Porzellan.“ Mit einem geheimnisvollen Gesichtsausdruck holte der alte Mann einige Behälter hervor. „Was sich heutzutage am besten verkauft, ist Duftporzellan.“ Die Stücke verströmten starke Gerüche nach Sandelholz oder sogar Pomade, die in die Nase stachen. Das war nicht das, wonach ich suchte. „Die Leute heute mögen dieses Zeug. Nur wirkliche Kenner interessieren sich noch für so alte Sachen wie Ru-Porzellan.“

„Aber ich, ich bin dem Ru-Porzellan ergeben!“

Der alte Mann schien mir irgendwie zugetan zu sein und gab mir vor dem Abschied noch eine Adresse. „Vielleicht kann dieser Mann Euch helfen. Viel Glück!“

Beijing, 21. November 1767