A N G E L I K A   H A G E R

Schneewittchen­fieber

Warum der Feminismus auf die Schnauze gefallen ist
und uns das Retro-Weibchen beschert hat

www.kremayr-scheriau.at

ISBN 978-3-218-00947-8
Copyright © 2014 by Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG, Wien
Alle Rechte vorbehalten
Schutzumschlaggestaltung: Sophie Gudenus, Wien
unter Verwendung des Fotos »Jardin des Tuileries« aus der Serie
»Life once removed« von Suzanne Heintz, www.suzanneheintz.com
Typografische Gestaltung und Satz: Michael Karner, Gloggnitz
Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien

Inhalt

Das Schneewittchen-Desaster

Der Biss in den vergifteten Apfel

Quietschfidele Hausfrauen und »mad women«

Patient Mann: Und wer ist jetzt wieder dieser Weepie?

Breaking Bad und die Opfer-Industrie

Methusalem-Papas und Bergpuma-Damen

Hysterische Zwischenfälle und Jadestab-Sklavinnen

Tausend Rosen, Tante Hilde!

»Ja, sie nerven, die Retro-Weibchen und die sich selbst zelebrierenden Vollvollzeit-Mütter, aber Angelika Hager rückt ihnen mit Wut und Witz zu Leibe. Als quasi bekennende Bekehrte weiß sie, was sie dem Feminismus verdankt. Das lässt hoffen, dass es auch Schneewittchen im gläsernen Sarg zu eng werden wird. Bis dahin: sich mit Texten wie diesem trösten.«
ELFRIEDE HAMMERL, Kolumnistin und Schriftstellerin (zuletzt: »Zeitzeuge«)

»Sie liest alles mit, sie belauscht das ganze Gender-Gerede, von der Boulevard-Presse bis zur Politik, von akademischen Aufsätzen bis zu den Facebook-Statuszeilen ihrer Bekannten – und strickt eine bitterböse Diagnose daraus. Das strotzt nur so von (Selbst-)Ironie, Sarkasmus, Lästereien. Ja, Angelika Hager steuert eine wirklich herzerfrischende Garstigkeit zur feministischen Debatte bei.«
KATJA KULLMANN, Journalistin und Autorin (»Generation Ally«, »Echtleben«)

»If you’re going to tell people the truth,
be funny or they’ll kill you.«
BILLY WILDER, Filmregisseur

»What fresh hell is this?«
DOROTHY PARKER, Schriftstellerin

Das Schneewittchen-Desaster

Die letzten Tage waren wir alle voll damit beschäftigt, meine Tochter schlecht zu behandeln. Wir konnten sie dennoch kaum zufriedenstellen. »Ist es zu viel verlangt, dass ihr mich wirklich gut schlecht behandelt?«, fragte sie ziemlich beleidigt.

Sie durchlitt gerade ihre Aschenputtel-Phase auf Video, CD und bisweilen sogar in Buchform. Gleich ihrer Heldin wünschte sie, in harschem Tonfall zur Ausführung niedriger Dienste gedemütigt zu werden. Vom Christkind hatte sie sich zu diesem Zwecke ein Bügeleisen samt Brett gewünscht. Stundenlang stand sie jetzt mit Leidensmiene in ihrem Zimmer und plättete grobes Leinen. Manchmal legte sie sich auch einfach in die Badewanne und stellte sich tot. »Ich bin Schneewittchen und das ist mein gläserner Sarg. Geh bitte weg, sonst schreckt sich mein Prinz!«

Meine Mutter wollte sofort eine Armee von Kinderpsychologen auf den Plan rufen: »Habe ich unter dem Kopfkissen Alice Schwarzer gelesen, damit meine Enkelin jetzt wieder klassisch-weibliche Erniedrigungsrituale auf sich nimmt?«

»Von mir hat sie’s echt nicht«, flüsterte ich kleinlaut, »ich robote wie ein Depp, um Frauen aus den ehemaligen Kronländern beschäftigen zu können, damit sie diese Dinge für mich erledigen.«

»Mäuseweibi«, schleimte ich jetzt, »hör’ doch auf mit diesem Schwachsinn. Bau’ doch lieber einen Wolkenkratzer oder fahr’ mit Barbie einen geheimnisvollen Kontinent entdecken.«

Sie sah mich an, als ob ich des Wahnsinns frisch gefangene Beute wäre.

»Mama, du bist leider ahnungslos. Ich will einmal einen anständigen Prinzen an Land ziehen«, sagte sie mir, »und in den Märchen schaffen das nur die Mädchen, die wirklich Furchtbares mitmachen. Ich sage nur Aschenputtel, Schneewittchen, Dornröschen.« Dann schleuderte sie kurzfristig ihren Plüschfrosch an die Wand und ertrug es mit Fassung, dass der sich nicht in einen jener Prinzen verwandelte, die in den Disney-Filmen wie Fronttänzer der kalifornischen Strippergruppe Chippendales aussahen.

»Schließlich«, so das Kind, »möchte ich später nicht wie du dauernd vor einem Computer sitzen und böse Cheffes haben, die mich andauernd anrufen, und müde sein. Dauernd müde sein ist mir einfach zu fad.«

Dem hatte ich nichts wirklich Brauchbares entgegenzusetzen.

Polly Adler

* * *

Und heute? Nun ja …
Geistige Blondinen gehen gut.
Sogar sehr gut.

»Es ist so, wie ich immer befürchtet hab’«, sagte E, »Männer fühlen sich einfach wohler und geborgener mit geistigen Blondinen.«

»Find ich sauöd, diese Pauschalurteile«, machte ich jetzt auf Cheerleaderin der Hoffnung, »es gibt auch Prachtkerle, die erfolgreiche Frauen sexy finden.«

Sie schickte mir einen Babymuränen-Grinser, der den Untertitel »Träum’ weiter, Baby!« trug. Dann erzählte sie mir von ihrem Experiment, das als Beweisführung ihrer These angelegt war. E hatte sich bei einer Online-Partnerbörse eingeklinkt und dort unter verschiedenen Namen und Berufen ihr Profil deponiert. Das laszive Foto mit »duckface«-geschürzten Lippen und die Beschreibung »Anschmiegsame, gepflegte Enddreißigerin sucht Königstiger zum Verwöhnen« variierte sie dabei jedoch nicht. Mit dem Fazit, dass E unter ihrer tatsächlichen Profession – selbstständige Wirtschaftsanwältin – ganze fünf Anfragen lukrierte, während in der gefakten Kategorie »Stewardess« 18 Interessenten auf Schatzi-Suche gehen wollten. Als triumphaler Bringer unter den zur Auswahl stehenden Branchen erwies sich jedoch der Job »Masseuse mit Fantasie«: 48 reichlich drängende Bewerbungen mit starkem Akademiker-Anteil. Da reagierte die Psyche des Mannes wie ohnehin befürchtet quer durch alle Bildungs- und Einkommensschichten ähnlich.

Nach dieser tristen Erkenntnis schleppten wir uns zu einem Abendessen. Der Mann der Gastgeberin, einer kraftvollen und medial dauerpräsenten Frontfrau in der Politik, stand am Herd und zauberte ein Pastagericht nach einem hochkomplizierten Rezept. »Und?«, fragte ihn einer der Herren, »was machen Sie eigentlich?« Er grinste breit: »I’m just the love machine.« Und nahm ein Vollbad in dessen pikiertem Blick.

»Siehst du, Schatzi«, flüsterte ich E zu, »es gibt sie doch, die coolen Jungs, denn der Typ ist einer der besten Herzspezialisten dieses Landes. Und trotzdem braucht sein Ego keine eigene Postleitzahl und er hat sogar noch den Nerv für eine kokett-ironische Inszenierung dieser psychosozialen Schieflage.«

»Ein vom Aussterben bedrohter Einzelfall«, beharrte E auf ihrem pessimistischen Männerbild, »am besten sofort ausstopfen und ins Museum stellen.«

Ich fürchte, sie hatte ein bisschen sehr recht. Und dachte an den Satz von Elsa Schiaparelli, der legendären italienischen Modeschöpferin, die in den Zwanzigerjahren Paris aufgemischt und ihr eigenes Couture-Haus gegründet hatte. Gegen Ende ihres Lebens seufzte sie resigniert: »Männer verehren starke Frauen. Lieben können sie sie nicht.«

Der Biss in den vergifteten Apfel

»Simone Beauvoir sagt: ›Gott bewahr!‹«
NINA HAGEN, Sängerin

Die Frau, die Sie auf dem Buchcover sehen, heißt Suzanne Heintz und ist Ende dreißig. Für Frauen sind diese sogenannten besten Jahre auch im 21. Jahrhundert noch immer ein Tretminenfeld – vor allem, wenn sie unbemannt sind. Fräulein Heintz hatte die Nase voll von der ewig gleichen Frage, die ihr die Bekannten ihrer Eltern, ihre Putzfrau oder der Gemüsehändler ihres Vertrauens stellten: »Suzanne, du bist ein so nettes Mädchen, warum bist du eigentlich noch nicht verheiratet?«

Die Tatsache, dass Erfolg, Leidenschaft und Freunde in einem Frauenleben auch im 21. Jahrhundert wertlos zu sein scheinen, wenn man nicht dem traditionellen Gesellschaftskonzept entspricht und nicht »mit einem Mann, zweieinhalb Kindern und rundherum einem weißen Gartenzaun aufwarten kann«, animierte Heintz zu ihrer Aktion »Life Once Removed« und dem »Playing House Project«. Mit einem Schaufensterpuppen-Ehemann und einem Töchterchen aus dem gleichen Kunststoffmaterial inszenierte die in Denver lebende Konzeptkünstlerin Paar- und Familienidyllen »in Kodak-Momenten« in romantischen Höllen wie Paris, den Bergen von Colorado oder dem amerikanischen Vorgarten. Ursprünglich wollte Heintz mit diesen Zuckerguss-Szenarien den Absendern der in den USA üblichen Weihnachtskarten, auf denen meist Kernfamilien in bisweilen trügerischer Eintracht vor dem Kamin aufgefädelt stehen, den Mittelfinger zeigen. Doch das Projekt artete zum Performance-Aktionismus aus, der sich auch in einem Filmprojekt und einem Buch niederschlägt und weltweit von den Medien aufgegriffen wurde.

Als ihre knallbunten Retro-Satiren vor ein paar Monaten auf Facebook in Flächenbrand-Geschwindigkeit geteilt wurden, stand bei Suzanne Heintz das Telefon nicht mehr still. Sie hatte den Finger auf einen Zeit-Nerv gelegt. »Es ist doch wirklich absurd«, schrieb Heintz, »ich habe heute als Frau alle Möglichkeiten, um zur sogenannten Erfüllung zu finden. Doch am Ende des Tages ist man nur dann ›perfekt‹, wenn man diesen Traditionskonzepten auch entspricht. Eigentlich unbegreiflich. Schließlich leben wir im 21. Jahrhundert.«

Selfie, Selfie an der Pin-Wand …

Reihenweise treten Frauen die Flucht in die Idylle an. Nennen wir das Virus Schneewittchenfieber. Es beschränkt sich nicht auf die 40plus-und-noch-älter-Gruppe, sondern grassiert quer durch alle Generationen.

Der Ausgangspunkt des Märchendramas »Schneewittchen« war bekanntlich der Schönheitswettbewerb zwischen der bösen Stiefmutter und der kleinen Prinzessin. Nahezu manisch stellen sich, vom Teenager aufwärts, Frauen heute so vehement wie in den Petticoat-Jahren die Frage »Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im Land?«

Statt Haaren so schwarz wie Ebenholz und einer Haut so weiß wie Schnee wollen sie diesmal Kleidergröße 34, Schmolllippen wie Angelina Jolie und wünschen sich häufig bereits zum 18. Geburtstag eine Brustvergrößerung. Das Durchschnittsalter für Essstörungen rattert rapide nach unten: Schon 13- und 14-Jährige machen ihren Körper zum Schlachtfeld, weil sie aussehen wollen wie Kate Moss oder die »It«-Bloggerin und Stildiktatorin Alexa Chung.

Nicht nur eine der Freundinnen meiner Tochter musste im Alter von 14, 15 Jahren unterernährt in eine Klinik eingeliefert werden. »Ich lebe in einer Blase«, sagt Anna, 17, seit ihrem 13. Lebensjahr Anorexie-Patientin, nach mehreren Aufenthalten in auf Essstörungen spezialisierten Einrichtungen, »in einer Essensblase. Besonders schwierig ist es, mein Problem in den Griff zu kriegen, wenn ich mit Mädchen zusammen bin, die auch in dieser Essensblase leben. Dann treten wir sofort und unausweichlich miteinander in Konkurrenz. Da gibt es dann den totalen Zickenkrieg wegen jedem Gramm mehr oder weniger.«

Der diabolische Kreislauf um die Frage, »Wer ist die überzeugendste Größe 34 im Land?«, ist dann einfach nicht mehr zu stoppen. Initiiert wurde er in Annas Fall nicht von einer bösen Stiefmutter, sondern von der leiblichen Mutter. Die hatte ihrer Tochter schon als Kind immer wieder erklärt, dass sie eigentlich für ihr Alter zu dick sei: »Nur damit meine Mama endlich Ruhe gibt und mich nicht dauernd damit quält, habe ich angefangen, mich zunehmend besessener zu kasteien. Jedes Gramm mehr ist in mir zu einer echte Katastrophe gewachsen.«

Das millionenschwere Supermodel Kate Moss, das den »heroin chic« und die damit verbundene Ausgemergeltheit in den Neunzigerjahren salonfähig gemacht und damit weltweit grünes Licht für Bulimie und Anorexie gegeben hatte, leistete sich knapp vor ihrem 40. Geburtstag anlässlich eines Jubiläums des Männermagazins »Playboy« eine bombastische Fotostrecke als Bunny mit Häschenohren und Nimm-mich-Blicken. Natürlich kann sie, bewaffnet mit ihrer Charisma-und-Geld-Superpower, locker und spielerisch mit dem Rollenspiel des kuschelweichen Betthäschens umgehen.

Ihre finanzielle Autonomie und berufliche Selbstbestimmtheit bewahrt sie davor, durch diese Inszenierung in einen tragischen Objekt-Status zu schlittern. Ohne diese Zutaten sähe sie auf solchen Bildern jedoch ganz anders aus der Wäsche.

Vollkommen Gaga

Auch der größte weibliche Popstar der Gegenwart, Lady Gaga, funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip. Stefani Joanne Angelina Germanotta, so ihr bürgerlicher Name, machte uns glauben, dass sie nicht nur der monumentalste Star, sondern auch die größte Künstlerin auf dem Planeten ist. In Wahrheit ist sie jedoch nur die größte Kunstfigur – eine monströse Kopfgeburt an der Schnittstelle von unermüdlicher Selbstinszenierung, Nutten-Glamour, Pseudofeminismus, knallhartem Sexismus, Provokation als Pflichtprogramm und Popnummern am Rande der Gehirnwäsche. Eine Armada von Stylisten und der mächtige Apparat eines Plattenunternehmens fungierten als Geburtshelfer für ein Pop-Produkt, das wie »ein nachgemachtes laminiertes Rokoko-Möbelstück wirkt«, so die Philosophin Camille Paglia, die vor 20 Jahren Madonna und ihr explizites Video »Justify My Love« zum Triumphzug des postmodernen Feminismus erklärte.

Lady Gaga steht Madonna, der Pionierin des weiblichen Machotums und der gigantischen Selbstinszenierung, was ihre Macht im Popbusiness betrifft, um nichts nach. Sie kann sich genauso wie ihre Vorgängerin das Spiel leisten, sich als Sexualobjekt in Fetischfesseln zu inszenieren und in Nuttenfähnchen durch die Gegend zu staksen, denn jeder weiß, dass sie, wie sehr sie sich in diesen Show-Acts und Videoclips auch unterwirft und demütigen lässt, ganz allein die Kontrolle über ihre Lustspiele hat.

Nur ist inzwischen auch dieser ideologische Kunstgriff in die Jahre gekommen. Als Madonna in den Neunzigerjahren auf der Bühne und auf Fotos mit einem Kreuz masturbierte und Wasser aus einem Hundenapf trank, war das Vexierspiel mit den Versatzstücken der Pornografie und der Ästhetik des Sadomasochismus noch wirklich innovativ-explosives Territorium. Und hatte subversiven Charakter. Die Botschaft hinter den Schock-Acts lautete: »Ich bin die mächtigste Frau im Showgeschäft, und wenn ich aus einem Hundenapf fressen will, dann werde ich das auch tun. Ganz egal, wie ihr das findet …«. Inzwischen wirken solche Einlagen natürlich auch etwas altbacken und angestrengt.

Pink!, Gwen Stefani und Christina Aguilera machten sich in den Nuller-Jahren in diesem Ich-bin-ein-Flittchen-Fahrwasser breit, ohne der Königin der Provokation je den Thron streitig machen zu können. Sie imitierten die frech-frivolen Outfits, kümmerten sich aber wenig um die Ideologie dahinter.

Die Popsängerin Christina Aguilera, die in ihren Auftrittskostümierungen an eine von der Geschmacksfee verwunschene Bordell-Debütantin im tiefsten Texas erinnerte, erfreute uns schon in ganz jungen Jahren mit dem Spruch: »Meine Oma hat immer gesagt: Christina, du siehst aus wie eine Nutte. Da habe ich ihr erklärt, dass das unser Konzept ist.«

Inzwischen twittert und instagramt sie auch unablässig ihren Babybauch und fährt auf einem ganz anderen Trip.

In Kenntnis der Popgeschichte befällt einen angesichts des Gagaismus fast so etwas wie Mitleid. Und Erstaunen, dass so viele Teenies völlig unreflektiert in das Produkt reinkippen.

Wenn Lady Gaga sich heute in einem Leder-G-String am Boden räkelt und sich in einem Gefängnishof von Brutalo-Lesben anmachen lässt, wirkt das beinahe so bemüht wie die Fruchtbarkeitstänzchen des betagten Sex-Derwisches Mick Jagger bei den Rolling-Stones-Konzerten, bei denen mittlerweile schon drei Generationen vereint ergriffen die Feuerzeuge schwingen.

Gagas Attitüde riecht außerdem streng nach Fake und Imitation. Sie hat Madonna geplündert, wo sie nur konnte. Selbst die platinblonde Schlampenfrisur und die dick schwarz umrandeten Augen hat sie sich aus dem Style-Fundus der »Blonde Ambition«-Periode geklaut.

Beauty-Bootcamps

Doch davon wissen die Mädchen, die kreischend in Lady Gagas Konzerten an vorderster Front stehen, nichts. Wahrscheinlich wollen sie auch nichts davon wissen. Angeheizt von den Lifestyle-Gazetten und Promi-Magazinen, die abgemagerte Stars und Models beim Workout, Posing, Shoppen und bei den Stylistinnen ihres Vertrauens zeigen und ihr Aussehen zu einer Art kämpferischen Mission machen, ist für die Teenies Schönheit oder die Anpassung an die dort propagierten Schönheitsideale kein Wahl-, sondern ein definitives Pflichtfach.

»Seit mehr als 200 Jahren protestierten Feministinnen gegen die künstlichen Bilder weiblicher Schönheit«, schreibt die britische Journalistin Natasha Walter 2010 in ihrem Buch »Living Dolls«, das die Unterzeile »Warum junge Frauen heute lieber schön als schlau sein wollen« trägt. »Von Mary Wollstonecrafts 1792 erschienenem ›Plädoyer für die Rechte der Frauen‹ bis zu Germaine Greers ›Der weibliche Eunuch‹ und Naomi Wolfes ›Mythos Schönheit‹ forderten scharfsinnige, zornige Frauen einen Wandel dieser Ideale. Doch statt allmählich zu verschwinden, wurden sie noch einengender und mächtiger als zuvor.«

Und es ist kein Ende abzusehen.

Die Aktivistin und Star-Frauenrechtlerin Germaine Greer ist heute über den Stand der Dinge entsetzt. Man hat sich daran gewöhnt, dass Cher, eine vermeintlich emanzipierte Frau, bar jeder Ironie ihre Schönheitsoperationen zu kommentieren pflegt: »Ich weiß nicht, wie oft ich dieses Gesicht noch zum Gehorsam zwingen muss.« Aber dass die kommende Generation in ihrer Gefallsucht genauso bedürftig ist wie die davor, ist tatsächlich desillusionierend.

Als Greer 1970 den »Weiblichen Eunuchen« schrieb, »fügten sich unsere Töchter noch keine blutenden Wunden zu oder hungerten sich zu Tode, um Barbies Evangelium, sprich: harte Brüste, schmale Hüften, lange Beine, zu entsprechen.«

Konsumwahn und Feminismus, da sind sich die Pionierinnen Schwarzer, Badinter und Greer einig, können einfach nicht zusammengehen.

»Madonna hat uns vorgetanzt: Erkenne die innere Hure in dir an, dann wirst du glücklich. Nur, Madonna ist reich. Ihre Promiskuität übersteht sie unbeschadet. Die kleinen Mädchen, die sie imitieren, haben keinen Penny. Womit auch dieses Konzept nicht aufgeht«, so Greer im Interview.

Für die Möglichkeit, einmal im Leben Schneewittchen zu werden und die Schönste im Land zu sein, nehmen junge Mädchen jede Form von Demütigung und Unterwerfungsritualen in Kauf. In der über x Staffeln laufenden Show der Beauty-Zuchtmeisterin Heidi Klum, »Germany’s Next Topmodel«, lassen sie sich von dem ehemaligen Supermodel mit der Quietschstimme an die äußersten Grenzen ihrer Belastbarkeit peitschen – sie müssen mit Alligatoren schmusen, im freien Fall gute Figur machen und stundenlang im eiskalten Wasser plantschen. Wenn ihre Nerven zerbröseln und sie zu flennen beginnen, bis der Arzt kommt, bleibt die Kamera knallhart drauf und Heidi schwingt die Peitsche und hat dann auch noch, als ultimative Sanktion, für Tamara/Jessica/Aline »kein Bild«.

Ich habe mich immer wieder gefragt, warum diese Mädchen sich wie Schafe auf den Prellbock treiben lassen und nicht eine diesen Entwürdigungs-Parcours einmal mit einer Protestaktion sprengt. Die Studentin Hellen Langhorst, Aktivistin der feministischen Protestbewegung Femen, hat diesen Job dann endlich stellvertretend im Mai 2013 erledigt. Als sie mit nacktem Oberkörper, auf dem die Aufschrift »Heidi Horror Picture Show« prangte, auf den Catwalk sprang, brachte sie endlich jene Show aus der Spur, die wie ein Hybrid aus einem Gladiatoren-Spiel und einem Schönheitswettbewerb aus den Fünfzigerjahren daher kommt.

In einem »Spiegel«-Interview kommentierte Langhorst ihre Aktion: »Der Saal, in dem das Finale stattfand, war voller Mädchen von sechs bis 16 Jahren. In einer Pause fragte Klum dann: ›Wer will hier Topmodel werden?‹ Und alle schrien: ,Ich! Ich! Ich!‹ Das ist schrecklich. Für eine ganze Generation wird Schönheit über Bildung gesetzt, in dieser Hinsicht sind Klum und ihre Show eine einzige Dreckschleuder.«

Natürlich sind die Femen-Aktivistinnen, die weltweit ihre barbusigen Statements setzen, alle foto- und kameratauglich. Da rennt keine Dicke mit müden Hüften bekränzt durchs Bild. Ein kluger, aber auch kontraproduktiver Schachzug. Denn man möchte dann doch nicht auf die Formel Feminismus plus Protest = optische Härte festgelegt werden.

Schneewittchen im Koma

Die Gefall- und Feedbacksucht hat im 21. Jahrhundert einen gigantischen Verstärker bekommen: Facebook hat längst die Rolle des Spiegels aus dem Grimm-Märchen übernommen. Täglich wird der narzisstische Marktplatz mit Abermillionen »Selfies« überflutet, in denen junge, aber auch späte Girlies mit wehenden Mähnen, »duckface«-Grimassen und Outfits, die, wie Jerry Cotton zu sagen pflegte, »nicht mehr als drei Stück Würfelzucker wiegen können«, eine klare Antwort auf die Frage »Wer ist die Schönste im Netz?« kriegen wollen. Mit nahezu manischer Obsession checken die »Selfieistas« dann im Minutentakt auf ihren Smartphones die »Like«-Angaben zu ihren Postings.

Um den Mordgelüsten der Stiefmutter zu entgehen, floh Schneewittchen bekanntermaßen in den Wald und fand Unterschlupf bei den sieben Zwergen. Für das Asyl in der Männlein-WG gab es aber Auflagen. Das Prinzip dieser Handelspartnerschaft lautete wortwörtlich: »Willst du unseren Haushalt versehen, kochen, betten, waschen, nähen und stricken, und willst du alles reinlich und ordentlich halten, so kannst du bei uns bleiben und es soll dir an nichts fehlen.«

»Von Herzen gerne«, flötete Schneewittchen laut den Gebrüdern Grimm und fand, dass das eigentlich ein Angebot war, das man nicht ablehnen konnte.

Sie putzte, schrubbte, war schön, kochte und fragte die Zwerge, wenn sie vom Erzabbau rechtschaffen müde nach Hause kamen: »Lieblinge, wie war euer Tag?« Diese nahezu perfekte Idyllen-Eintracht wurde aber leider durch die böse Stiefmutter und ihren vergifteten Apfel gestört. Schneewittchen biss in den Apfel, den ihr die verkleidete Rivalin untergejubelt hatte, und fiel leblos um. Die untröstlichen Zwerge verfrachteten das vermeintlich tote Schneewittchen in einen gläsernen Sarg, der Tag und Nacht von den Kleinwüchsigen, so der politisch-korrekte Terminus, und Tieren des Waldes auf einem hohen Berg bewacht wurde. Glücklicherweise kam ein Prinz vorbei, der nichts dabei fand, dass Schneewittchen so reglos dalag, und sie trotz ihres komatösen Zustands unter allen Umständen mit nach Hause nehmen wollte. So eine Braut, die nicht zurückreden konnte und von keinerlei Autonomie-Unfug geritten war, hatte schließlich auch was. Beim Transport der Glasbox fiel das fatale Apfelstück aus Schneewittchens Rachen und die Prinzessin, kaum hatte sie sich das Koma aus den Augen gerieben, dem Prinzen in die Arme.

Und wenn sie nicht gestorben wäre, putzte, schrubbte, kochte, versprühte Raumspray mit Erdbeergeschmack und strahlte sie noch bis heute für diesen Mann, der sie aus all ihrem Elend erlöst hatte.

Sinnkrise im Lipstick-Feminismus

Die weltweite »Sex and the City«-Hysterie liegt Jahre zurück. Man hatte nach dem Verebben des Hypes einfach genug von Carrie, ihrer Entchenstimme, ihren Manolos und den klebrigen Cosmopolitans, die eigentlich besonders grauenhaft schmeckten, doch wenn man die Serienbox heute wieder aus dem hintersten Eck seiner DVD-Sammlung hervorkramt, ist man perplex von der damals so tolldreisten Modernität dieser Fernseh-Frauen.

Jetzt einmal natürlich ganz abgesehen von der Figur Charlotte, die als wertekonservativer Anachronismus im Etuikleidchen durch ihre Sehnsüchte stöckelte und eine Parodie von Schneewittchen verkörperte – als eine Art Anti-Role-Model, das man nur drollig finden oder verachten konnte. Samantha, Miranda und Carrie hatten kapiert, dass die Fröste der Freiheit extrem rau sein konnten, es aber durchaus auch Spaß machen konnte, das schlechte Benehmen der Männer zu imitieren.

Im fünften Jahr ihrer Serienexistenz wurde Carrie Bradshaw jedoch in eine zermürbende Sinnkrise gestürzt. Anlässlich ihres 35. Geburtstags stellte sie sich die Frage, ob sie in ihrer Männerzukunft die Strategie der katholischen Kirche verfolgen solle, die »einfach alles nimmt, was sie kriegen kann«.

Die andere Option wäre, »wie ein nicht abgeholtes Schneewittchen weiter im gläsernen Sarg vor sich hin rotten«, in der Hoffnung, dass Prinz Right doch noch einmal seinen Schimmel aus der Parkgarage holt und sich zu einem Erweckungskuss durchringt. Zusätzliche Alternativen, etwa auch ohne den verdammten Prinzen aufzustehen, den vergifteten Apfel der Illusionen auszuspucken, sich die mit trauten Haushaltsgeräuschen bespielte CD für entkräftete Singles »Nie mehr allein« zu kaufen und zur nächstgelegenen Samenbank zu stechen, erwog sie nicht.

Am Ende der Serie hatte Carrie ihr Schneewittchen-Happyend und tanzte mit Mr. Big ins Glück. Wir wandten uns mit Grauen ab – der Mann hatte sie sechs Staffeln lang sauschlecht behandelt, das kam einem Verrat gleich. Und für den russischen Künstler-Idioten Petrofsky mit seiner narzisstischen Superstörung davor hatte sie ihre Existenz als Kolumnistin an den Nagel gehängt. Wir mussten doch schon sehr bitten!

Inzwischen ist diese erwartungs- und retrofrohe Schneewittchen-Attitüde durchaus wieder salonfähig.

Als Sarah Jessica Parker ihrer Rolle als rebellisch-hedonistische Sexkolumnistin Carrie Bradshaw 2004 den Abschiedskuss auf die Stirn gedrückt hatte, stand sie unter dem Druck, ein neues Image aus dem Boden stampfen zu müssen und gab dementsprechend notorisch Interviews. Sogar mir. Die Frau muss sich nach dem Ende von »Sex and the City« offensichtlich wirklich Sorgen um den weiteren Fortgang ihrer Karriere gemacht haben. Während des Gesprächs brachte ich das Thema auf eine Covergeschichte des Nachrichtenmagazins »Time« aus dem Jahr 1998, das die vier »Sex and the City«-Darstellerinnen mit der rhetorischen Frage »Wer braucht schon einen Ehemann?« abgebildet hatte.

Parker zupft an ihrem schwarzen Satinhaarband: »Wissen Sie, ich war ja in diesem Fall nur das Sprachrohr und nicht der Botschafter. Wir haben natürlich dazu gedient, eine Art Lipstick-Feminismus zu propagieren, der nach dem Motto funktionierte: ›Hey, du hast das Privileg der Wahl. Ob Mann oder Karriere oder beides: Du bestimmst, was du aus deinem Leben machst.‹«

Diese Sätze könnten dem Phrasenrepertoire eines Glücklichsein-leicht-gemacht-Seminars einer Volkshochschule entsprungen sein. Schließlich, so merkt man an, habe der Lipstick-Feminismus inklusive des Slogans »Du kannst alles haben« viele Frauen mit Katerstimmung in der ideologischen Ausnüchterungszelle zurückgelassen.

»Stimmt leider«, sagt Sarah Jessica Parker, »für eine Zeit hat unsere Generation wirklich geglaubt, wir können alles – Erfolg im Job, daneben ein erfülltes Sexual- und Beziehungsleben, Mutter sein, und zwischendurch kommt auch noch schnell der Personal Trainer für ein paar Yoga-Stündchen, damit der Körper das Size-6-Gebiet nicht verlässt. Das war zu viel.«

Natürlich lebt Parker bis heute genau diese Art von Leben. Und wird in ihren Selbstinszenierungen auch immer »vermutterter«, indem sie sich ständig mit ihren Kindern auf dem Spielplatz und beim Shoppen ablichten lässt. Diese Form von Predigt sendet eine ganz klare Botschaft. Sie signalisiert: »Was ist Erfolg und Macht denn schon? Nur so ist mein Glück auch vollkommen!«

Selbstverwirklichungs-Amazonen

Früher bekam man als Frau Ohrfeigen für jegliche auch noch so zaghaften Schritte jenseits des Trampelpfads. Heutzutage scheinen sich viele freiwillig auf diesen zu begeben, obwohl sie gar nicht müssten – aus purer Bequemlichkeit.

Dass Coco Chanel, Katharine Hepburn, Marlene Dietrich und Romy Schneider für ihre Egotrips von der Industrie und auch von ihren Männern abgestraft wurden, ist bekannt, doch diese Frauen existierten in einer Zeit, in der das Klima noch viel grauer und rauer war. Eine meiner ewigen Lieblingsschauspielerinnen ist Katharine Hepburn. Sie lebte nach dem Motto: »Wenn man immer das tut, was man will, hat man es am Ende wenigstens einer Person recht gemacht: sich selbst.«

Halsstarrig widersetzte sie sich dem Konzept der konzessionsbereiten Diven, der Traumfabrik in der Rolle der Modelliermasse zu dienen. Jenseits der Filmsets brüskierte sie die Verwalter ihres Image-Kapitals, indem sie in zerfetzten Khakihosen, verwaschenen Hemden und ungeschminkt durch die Realität zog. »Ich will kein Gesicht«, sagte sie, »das aussieht, als ob es von der Druckmaschine einer Briefmarken-Produktion gerollt wäre.« Wenn wir die photogeshopten »Vogue«- und »Vanity Fair«-Cover von Kate Winslet, Sophie Marceau oder Keira Kightley ansehen, wissen wir, dass heute alle solche Briefmarken-Gesichter wollen. Hepburn wurde von der Presse und der Industrie als »flachbrüstige Vogelscheuche« geschimpft oder »Amazone« genannt, was im damaligen Wertesystem alles andere als eine Respektbezeugung war.

Sie kaufte die Rechte am Broadway-Hit »Philadelphia Story« und verkaufte das Paket, inklusive Regisseur und Cary Grant, an die feinste Studioadresse MGM, und das in einer Epoche, in der mit Schauspielerinnen in der Filmindustrie noch nach dem Geschäftsmodell des Sklavenhandels umgegangen wurde. Das machte ihr wenige Freunde. Am Ende ihres Lebens hatte sie am Tor ihres Anwesens das Schild »Please go away« baumeln. Aber sie hatte es sich selbst recht gemacht. Auf ihren Grabstein ließ sie den stolzen Satz »Exit Glamour« meißeln.

Vor ihrem Tod zog sie Bilanz: »Nur wenn sich eine Frau entscheidet, keine Kinder zu haben, kann sie wie ein Mann leben. Genau das habe ich getan.«