Zwei Herzen im Schnee

Susan Wiggs

Ein Prinz zum Fest

Aus dem Amerikanischen von Astrid Hartwig

Sherryl Woods

Zauber deiner Zärtlichkeit

Aus dem Amerikanischen von Erdmute Gabriel-Seter

Liz Fielding

Rendezvous mit dem Boss

Aus dem Amerikanischen von Melissa Granau

Jennifer Greene

So stark und so zärtlich

Aus dem Amerikanischen von Brigitte Bumke

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieses eBooks © 2014 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der englischen Originalausgaben:

Cinderfella

Copyright © 1996 by Susan Wiggs

erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto

Next Time … Forever

Copyright © 1990 by Sherryl Woods

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Dating Her Boss

Copyright © 1999 by Liz Fielding

erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London

A Groom For Red Riding Hood

Copyright © 1994 by Jennifer Greene

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Maya Gause

Titelabbildung: Corbis, Düsseldorf

ISBN 978-3-95649-379-9

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder

auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich

der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Susan Wiggs

Ein Prinz zum Fest

Roman

Aus dem Amerikanischen von

Astrid Hartwig

1. KAPITEL

Hey, Riley! Gehst du zu dem Ball?“

„Brad, du kennst doch Riley“, mischte Derek sich ein. „Er kann mit Bällen nur etwas anfangen, wenn sie den Aufdruck ‚Wilson‘ tragen.“

Jack Riley hatte die Füße auf einem Stapel Akten auf seinem Schreibtisch ausgestreckt. Er war in einen meditationsähnlichen Prozess versunken. Betrachtungen über seine abgewetzten Schnürstiefel. Nun blickte er auf. Der kleinste Weihnachtsbaum der Welt, dekoriert mit Gegenständen, die die Kinder im Heim gebastelt hatten, thronte auf seinem Monitor.

Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sich der vollgestopfte Nachrichtenraum, die klingelnden Telefone, die grellen Leuchtstoffröhren mitsamt den beiden Quasselstrippen von Kollegen in Luft auflösen können.

„Sieh dir den Jungen doch an, Brad. Der alte Riley hat nichts anzuziehen.“ Derek Crenshaw war ekelerregend stolz auf seinen Kaschmirpullover von Brooks Brothers, den seine allzu nachsichtigen Eltern ihm geschenkt hatten.

„Nicht so voreilig“, sagte Riley, während er sein graues CUNY-Sweatshirt kratzte. „In meiner Sporttasche habe ich noch einen Trainingsanzug.“

Seine Kollegen brachen in schallendes Gelächter aus. Schüler, die sich hier als Starreporter aufspielen, dachte Jack. Sie sind wirklich leicht zu amüsieren. Er faltete seine langen Beine unter dem Schreibtisch und griff nach dem Bleistift, der hinter seinem Ohr klemmte. Dann schob er seine Hornbrille mit den dicken Gläsern auf der Nase zurecht. Für einen Moment blieb sein Blick auf der edlen Einladungskarte haften, die auf dem Müllberg seines Schreibtisches obenauf lag. Irgendwo darunter vergraben lag ein nagelneuer Tintenlöscher, ein Geschenk von einem dankbaren Jungen, dem er einmal geholfen hatte und der dafür sein letztes Kleingeld mühsam zusammengekratzt hatte.

Jack schielte auf die cremefarbene Karte. Miss Madeleine Langston bittet um das Vergnügen Ihrer Gesellschaft … neun Uhr … im Dakota … Abendkleidung erbeten, schwarze Krawatte …

„Schwarze Krawatte“, murmelte er, während er seine Schirmmütze tiefer in die Stirn zog. Zweifellos betete Miss Madeleine Langston jeden Tag, dass Mr Jack Riley vom Erdboden verschwand. Warum hatte sie ihn überhaupt eingeladen? Aus Mitleid? Hatte sie einen Schuldkomplex? Oder war sie einfach neugierig auf einen Niemand aus Brooklyn?

„Hey, Riley!“, sagte Derek, während er mit einem Marker in der Hand auf ihn zutrat. „Ich hätte da so eine Idee. Soll ich dir die schwarze Krawatte auf dein Hemd aufmalen?“

„Hey, Derek“, gab Jack zurück. Mühelos kopierte er den südkalifornischen Akzent seines Kollegen. „Ich hätte da so eine Idee. Soll ich dir die Kniescheibe brechen und dich in ein dunkles Loch werfen?“

Brad und ein paar der übrigen Kollegen brachen erneut in schallendes Gelächter aus.

„Bei der Arbeit, Gentlemen?“ Diese Frage zerschnitt die ausgelassene Stimmung wie eine frisch geschärfte Messerklinge.

Die Eisvenus. Die Kristallgöttin. Der Fluch seines Lebens.

Seine Verlegerin.

„Jack gibt dem Artikel noch den letzten Schliff“, sagte Derek hastig, während er die Kappe auf den Marker steckte. Er ließ eine Mappe auf Jacks Schreibtisch fallen.

Madeleine Langston schwebte durch das Labyrinth der Schreibtische. Sie bewegte sich, als wäre die Anordnung der Tische und Stühle in dem gläsernen Nachrichtenraum in ihr Gehirn eingeprägt wie auf einem Computerchip.

Nach dem Tod ihres Vaters vor sechs Monaten hatte sie den Courier geerbt. Allgemein hatte man erwartet, dass sie sich würdevoll zurückzog und die Einnahmen hereinrollen ließ. Eine Zeit lang hatte sie das auch getan. Dann, etwa vor drei Wochen, hatte sie den unfähigen Chefredakteur entlassen und sich selbst zur Herausgeberin erklärt. Anscheinend hatte sie so schnell niemanden finden können, der ihre hohen Anforderungen erfüllte. Und deswegen traf sie, zum Leidwesen der gesamten Belegschaft, vorerst alle Entscheidungen selbst.

Bis letzte Woche hatte sie sich in den Redaktionsräumen nicht sehen lassen, sondern ihr steriles Büro eine Etage höher bevorzugt. Es war das zweite Mal, dass Jack sie aus der Nähe sah. Sie war beängstigend attraktiv und regte Jacks Fantasien in jeder Hinsicht an.

Weil er wusste, dass er sie damit reizen würde, legte er die Füße wieder auf den Schreibtisch und verschränkte die Hände hinterm Kopf, während er sie mit gesenktem Kopf unter dem Schirm seiner Mütze hindurch beobachtete.

Wie ein Marschflugkörper nahte Madeleine Langston. Sie war, wie Jack geschworen hätte, die einzige Frau in Manhattan, die den ganzen Tag lang einen elfenbeinfarbenen Wollanzug tragen konnte, ohne auch nur eine einzige Falte darin zu bekommen. Vielleicht weil ihr die Körperwärme fehlte. Sie war kalt wie Eis.

Was sie besaß, waren gutes Aussehen, Verstand und Geld. All das im Überfluss. In ihrer Gegenwart verspürte er den Impuls, die Finger zu kreuzen, um das Böse abzuwenden. Schlimmer noch. Er verspürte den Impuls, mit ihr schlafen zu müssen, bis sie um Gnade flehte … oder nach mehr verlangte.

Sie blieb vor seinem Schreibtisch stehen. Gelassen betrachtete er ihr fein geschnittenes Gesicht. Zarte Wangenknochen und eine Nase, die womöglich als Modell in der Schönheitschirurgie diente. Augen blau wie ein Pool. Hellblondes Haar, das peinlich exakt zu einer Art Makramee-Arrangement frisiert war.

Madeleine Langston legte den lackierten Zeigefinger an die Unterlippe und ließ ihn dort einen Moment lang ruhen, nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass Jack ihr nicht seine Aufmerksamkeit schenkte. Dabei betrachtete sie den schiefen Miniatur-Christbaum auf seinem Monitor. Zweifellos war er ihr etwa so fremd wie Mondgestein.

Wenn sie darauf wartete, dass er aufstand oder seine Mütze abnahm, würde sie ihre Party am Abend verpassen.

„Der Finanzskandal bei der Abwasserwirtschaft?“, fragte sie. In ihrem geschliffenen Ostküstenakzent klang das Ergebnis einer seit Generationen hervorragenden Bildung mit. Jahre und Jahrzehnte in Marymount und Vassar.

Jack schenkte ihr sein arrogantestes Lächeln, während er sein vor einer Woche zum letzten Mal rasiertes Kinn rieb. „Warum engagieren Sie nicht endlich einen Chefredakteur, der über uns eigenwilligen Burschen die Peitsche schwingt?“

„Dies ist meine Zeitung, Mr Riley, und ich schwinge die Peitsche, wie es mir gefällt.“

„Klingt kindisch, Miss Langston“, murmelte er. Er beugte sich vor und zog aus dem Stapel unter seinen Füßen eine Mappe hervor, die er ihr entgegenhielt.

Platin- und Edelsteinringe blitzten an ihren Händen auf, als sie die Mappe aufschlug. Eine leere Kartoffelchip-Tüte segelte zu Boden. Sie machte einen bewundernswerten Versuch, dies zu ignorieren, während sie den Text überflog.

Mit einem kaum merklichen Nicken klappte sie die Mappe wieder zu. „Und die Schuldebatte? Ich meine die Gesundheitsdebatte?“

Jack grinste. „Sie meinen die Diskussion darüber, ob an den Highschools Kondome verteilt werden sollen?“ Mit Genuss bemerkte er die zarte Röte, die in ihre Wangen stieg. „Ja, damit bin ich fertig.“ Ohne den Blick von seiner Chefin abzuwenden, drückte er eine Taste auf der Tastatur. Der Drucker neben seinem Schreibtisch warf eine Kopie des Artikels aus.

Ihre zarten Nasenflügel begannen zu flattern. „Mr Riley, wie hat ein Mann mit Ihrem Charme es fertiggebracht, sich bisher noch keine nennenswerten Körperverletzungen zuzuziehen?“

Er grinste, während er mit dem kurzen Ringelzopf in seinem Nacken spielte. „Ich bin wahrscheinlich schnell genug auf den Beinen.“

Auf den geringschätzigen Blick, den sie ihm zuwarf, wäre Katharine Hepburn stolz gewesen. „Verstehe.“ Sie nahm das Blatt aus dem Drucker und fügte es ihrem Stapel hinzu.

Zu Jacks Erleichterung richtete sie ihren durchbohrenden Blick nun auf Brad und Derek. „Und was ist mit Ihnen, meine Herren? Sind Sie zu Redaktionsschluss ausnahmsweise einmal fertig?“

Die beiden stierten sie schmachtend an, wie man mit Schokolade liebäugelt, wenn man auf Diät gesetzt ist. Idioten, dachte Jack. Er wusste, dass sie eine Wette laufen hatten, wer von ihnen die Chefin als Erster ins Bett bekam. Als ob einer von ihnen eine Chance hätte. Und wer würde überhaupt ein Interesse an ihr haben, außer vielleicht ein Polarforscher, aber nur mit Kälteschutzanzug.

Jack Riley, der hat ein Interesse, dachte er nicht ohne Ekel vor sich selbst. Sie verkörperte alles, was er an einer Frau verachten sollte. Perverserweise fand er sie trotzdem umwerfend sexy. Er begehrte sie, wie er schon lange keine Frau mehr begehrt hatte. Er wollte das Eis, das sie umgab, mit seiner Hitze schmelzen.

„Natürlich, Miss Langston“, sagte Brad mit einer Miene, als hätte er die Tüchtigkeit erfunden.

„Selbstverständlich“, bestätigte Derek.

„Ausgezeichnet.“ Madeleine drehte sich um und steuerte auf die Tür zu. Doch bevor Jack endgültig aufatmen konnte, blieb sie stehen. Das Klicken ihrer Dreihundert-Dollar-Schuhe verstummte, als sie sich ihnen zuwandte. „Und, Gentlemen? Sehe ich Sie heute Abend im Dakota?“

„Sicher“, erwiderten Derek und Brad wie aus einem Munde. In ihren Kaschmirpullovern personifizierten sie den neuen Look geklonter Nachrichtenreporter. Im Smoking würden sie anschwellen. Geradezu aufblähen. Und sicher würden sie den ganzen Abend ihre Chefin schmachtend anstarren.

Madeleine Langstons Blick ruhte auf Jack. Verdammt, sie war eine unglaubliche Schönheit. Welch eine Verschwendung an …

„Nun?“, unterbrach sie seine Gedanken. „Werden Sie kommen?“

Jack beschloss, ihre Wortwahl nicht mit einer sarkastischen Bemerkung zu kommentieren. „Nein“, sagte er. Seine Augen funkelten amüsiert, als er ihre Erleichterung sah. „Ich werde es leider nicht einrichten können. Heute Abend habe ich eine Verabredung mit den Urban Animals.“

Plötzlich zog sie fragend eine gezupfte Augenbraue hoch. „Urban Animals?“

„Eine Gruppe von halbstarken Schlittschuhläufern im Central Park.“

„Oh. Man wird Sie vermissen.“

Jack konnte sein Lachen nicht länger unterdrücken. Meine Güte, ihre überhebliche Höflichkeit tat fast weh. Dies war erst ihre zweite Begegnung, und die Fronten waren bereits geklärt. Er liebte es, sie zu provozieren. „Wissen Sie“, sagte er in einem Tonfall, als würde er noch mal darüber nachdenken, „ich könnte es vielleicht doch einrichten …“

Ihre schönen großen Augen verrieten, dass sie keinen Wert auf seine Gesellschaft legte. Für eine Göttin aus Eis war sie eine ziemlich armselige Lügnerin. Und ihre Angewohnheit, in Situationen der Bedrängnis zu erröten, ließ sie beinah menschlich wirken.

„Keine Sorge, Prinzessin“, sagte er beruhigend, während er die Einladung in den überfüllten Papierkorb neben seinem Schreibtisch segeln ließ. „Der charmante Prinz hat andere Pläne.“

2. KAPITEL

Im perfekten Abendkleid stand Madeleine Langston in der perfekten Suite im Dakota. In der Mitte des Raumes stand ein perfekter Designerchristbaum. Sie hörte die perfekten Klänge der Swing-Band und beobachtete die perfekte Haltung der Gäste, während sie an einem perfekten Horsd’œuvre knabberte.

„Madeleine, Darling!“ William Wornich, zuständiger Redakteur für die Klatschspalte im Courier, beugte sich zu ihr hinüber, um einen Kuss auf ihrer Wange anzudeuten. „Eine wundervolle Party. Alles ist perfekt. Ein traumhaft perfekter Ball.“

„Danke, William.“

Der beißende Rauch seiner Zigarre trieb ihr die Tränen in die Augen. Verdammt. Sie musste ihre Kontaktlinsen herausnehmen, und ohne Linsen war sie praktisch blind.

Wornich fuhr unbeirrt mit der Plauderei fort. „Und dieses Kleid!“, sagte er, während er einen Schritt zurücktrat. „Einfach zu raffiniert. Wo hast du es erstanden?“

Sie schenkte ihm ihr einstudiertes Lächeln. „Darling, du würdest es nicht glauben, wenn ich es dir sagen würde.“ Es hatte ihrer Großmutter gehört. Ganz im Stil der Vierzigerjahre, aus schwarzem Seidentaft mit Trompetenrüschen an Schultern und Saum. Das perfekte Tanzkleid. Leider war aber niemand da, mit dem sie hätte tanzen wollen.

Oh, Daddy, dachte sie unwillkürlich. Wehmütige Erinnerungen stiegen in ihr auf. Das luxuriöse Apartment im Dakota hatte ihm gehört. Nächste Woche sollte es verkauft werden. Es war ein seltsames Gefühl, hier in diesen Räumen zu stehen, umgeben von all den Menschen, die er gekannt hatte. Er selbst hatte diese Party geplant, schon vor Monaten, ohne zu wissen, dass er nicht mehr da sein würde, um die Rolle des Gastgebers zu übernehmen.

Einen Vorteil hatte es, dass die Party in den Räumen stattfand, die für Madeleine voller schmerzlicher Erinnerungen steckten. Es bedeutete, dass sie gehen konnte, wann sie wollte. Ihr blieb die Möglichkeit zur Flucht.

„Madeleine, Liebling“, sagte Wornich, während er den dicken Rauch in die Luft blies. „Ich muss dich etwas fragen. Ich weiß, dass du dieses Fest in Gedenken an deinen Vater veranstaltest. Aber was ist der wahre Grund für die Party? Die Suche nach einem Ehemann?“

An diese Frage war sie so gewöhnt, dass sie sich nicht einmal mehr beleidigt fühlte. Nach dem Tod ihres Vaters hatten alle erwartet, dass sie sich einen Mann suchen würde, der das Ruder beim Courier übernehmen konnte. Oder einen Magnaten, der ihr den Verlag abkaufte.

Madeleine hatte sich für eine völlig andere Richtung entschieden. Sie hatte beantragt, dass das Kuratorium sie als Herausgeberin einsetzte. In letzter Zeit arbeitete sie bis zur Erschöpfung, weil sie die Aufgaben des Chefredakteurs übernommen hatte. Niemand verstand, warum sie das tat.

Sie wusste, warum. Madeleine suchte nach einem Weg, sich selbst zu definieren. Sie wollte in den Spiegel schauen und einen Menschen sehen, der etwas bewegte. Wichtige Entscheidungen traf. Nützliche Dinge tat. Dinge, die sie menschlich machten.

„Sei nicht albern, William“, sagte sie, während sie mit der Hand wedelte, um den Rauch zu vertreiben. „Die Männer, die ich kennenlerne, haben es entweder auf mein Geld abgesehen oder auf meine gesellschaftliche Position. Oder sie haben solche Angst vor mir, dass sie am liebsten im Erdboden versinken würden.“

„Trifft das auf alle Männer zu?“

„Ausnahmslos.“

Als William sich unter eine Gruppe von Buchkritikern mischte, nutzte Madeleine die Gelegenheit, in der Damentoilette ihre Kontaktlinsen herauszunehmen. Vom Zigarrenrauch brannten ihre Augen. Nun würde sie zwar nicht mehr viel sehen, aber das störte sie nicht. Ihre Kurzsichtigkeit würde die langweilige Gesellschaft nur erträglicher machen.

Während sie in den Spiegel starrte, dachte sie über ihr Gespräch mit William Wornich nach.

„Trifft das auf alle Männer zu?“

„Ausnahmslos.“

Vor sich selbst musste sie allerdings zugeben, dass es eine Ausnahme gab … Jack Riley.

Der Gedanke an ihn ließ ihr vor Abscheu eine Gänsehaut über den Rücken laufen. Obwohl sie ihn kaum kannte, war sie bereits davon überzeugt, dass Jack Riley alles in sich vereinte, was sie an Männern hasste. Er war ungehobelt, ungepflegt, respektlos und arrogant.

Und er war der talentierteste und zuverlässigste Journalist in ihrer Redaktion.

Sie wusste, dass sie sich von ihm nicht provozieren lassen sollte, aber er hatte eine lästige Art, ihr auf die Nerven zu fallen. Dieser entsetzliche Fünftagebart und dieser Zopf im Nacken. Dieser beißende Spott, der sie jedes Mal wie eine Betrügerin dastehen ließ, diese überhebliche Scher-dich-zum-Teufel-Haltung. Er hatte das Gebaren eines Mannes, der das Leben in großen Stücken abbiss und keine Nachsicht mit denen übte, die vorsichtig und schüchtern waren.

So wie sie.

Ihr Auftritt in den Redaktionsräumen war eine Katastrophe gewesen. Sie hatte sich unter die Schreiber gemischt und sogar gehofft, sie könnte dazugehören. Was für ein Irrtum. Ein Witz. Wie ein Fisch auf dem Trockenen hatte sie sich gefühlt. Keiner der Redakteure schien zu bemerken, dass sie nur unsicher war. Und schon gar nicht dieser unerträgliche Mr Riley, der selbst alles andere als schüchtern war. Er kannte sie nicht einmal. War erst ein einziges Mal mit ihr zusammengetroffen. Warum also schien er es auf sie abgesehen zu haben?

Während sie diese Gedanken zu verdrängen suchte, nahm sie ihre Kontaktlinsen heraus und verwahrte sie in ihrer perlenbesetzten Abendtasche. Dann beugte sie sich vor, um einen kritischen Blick auf ihr leicht verschwommenes Spiegelbild zu werfen. Sie hätte den Lippenstift nachziehen sollen, bevor sie die Kontaktlinsen entfernt hatte.

Mit einem Seufzer beschloss sie, dass die Welt einer Madeleine Langston ohne frischen Lippenstift begegnen musste. Sie trat aus der Damentoilette direkt in den grellen Schein eines Blitzlichts. Das Lächeln erschien automatisch auf ihrem Gesicht, wenn jemand sie für den Gesellschaftsteil eines Blattes fotografierte. Die Konversation über das Verlagswesen, das Erbe ihres Vaters, beherrschte sie fließend. Niemand in dieser eleganten Gesellschaft wäre auf den Gedanken gekommen, dass sie sich in ihrer Haut nicht wohlfühlte.

Oder dass sie unbeschreiblich einsam war. Es war kurz vor Weihnachten, und sie würde die Feiertage mit ihrer Katze verbringen. Einfach zu erbärmlich.

Und wieder wanderten ihre Gedanken zu Jack Riley. Er langweilte sich bestimmt nicht. In diesem Moment zog er wahrscheinlich mit etwas skandalös Engem aus schwarzem Leder bekleidet auf Schlittschuhen seine Kreise auf dem Teich im Central Park.

Jack war gelangweilt.

Er blickte auf die Ordner, die auf seinem Schreibtisch lagen. Diesmal schuldeten Derek und Brad ihm wirklich etwas. Er hatte ihre Artikel für sie überarbeitet. Ihre langweiligen, fantasielosen Artikel. Auch er hatte seit Wochen keine pikante Story zu Papier gebracht. Was war mit den Leuten in Manhattan los? Wo blieben die Morde und Überfälle, wenn man sie brauchte?

Jack schloss seinen Schreibtisch ab, schaltete den Computer aus und verließ das Büro. Automatisch duckte er sich, um nicht gegen den getrockneten Mistelzweig zu stoßen, der über der Tür von der Decke herabhing. Auf dem langen Korridor begegnete er einer der Putzfrauen.

„Machen Sie wieder Überstunden, Jack?“, rief sie ihm zu.

Er grinste. „So bald werde ich nicht in die Chefetage aufsteigen, Cora.“

„Na gut, aber haben Sie wenigstens schon mal an ein neues Auto gedacht?“

„Ein Auto? Bei meinem Gehalt?“, fragte er zurück. Seinen Mercury Marquis hatte er längst verkauft. Der Wagen hatte seine besten Zeiten schon hinter sich gehabt, als Jack vor sechs Jahren damit von Muleshoe, Texas, nach Manhattan gefahren war, mit nichts im Gepäck als einem Journalistendiplom und einer Handvoll Träume. „Ich nehme die U-Bahn.“

„Seien Sie vorsichtig, Jack.“

Schon fünf Minuten später, als er Richtung Lexington ging, hatte er allen Grund, sich an diese Warnung zu erinnern. Er sah zwei junge, ungepflegte Kerle, die über einen kleinen Mann herfielen.

Ich lebe jetzt in New York, ermahnte er sich im Stillen, während er im Laufschritt auf die dunklen Gestalten zusteuerte. Als New Yorker müsste ich eigentlich die Straßenseite wechseln und wegsehen. Aber in seiner Brust schlug das Herz eines waschechten Texaners, eines Mannes, der Gewalt und Ungerechtigkeit zutiefst verabscheute.

Mit langen Schritten lief er über das vereiste Pflaster. Einer der beiden zwielichtigen Typen hatte den kleinen dicken Mann gegen die Hauswand gedrückt und hielt ihn fest, während der andere seine Taschen durchsuchte.

Jack startete einen Überraschungsangriff. Er versetzte dem Mann, der ihm den Rücken zugekehrt hatte, einen Fausthieb gegen die Schulter und schickte ihn damit in einen Schneehaufen. Der Mann taumelte und brach schließlich, möglicherweise durch Drogenkonsum geschwächt, ohne jede Gegenwehr in einem Haufen aus Abfall und Pappkartons zusammen.

Eine Faust traf Jack in die Magengrube. Augenblicklich spannten sich seine durchtrainierten Muskeln an, sodass er den Schmerz kaum spürte. Er setzte einen gezielten Kinnhaken an. Sein Angreifer hielt sich das Gesicht und flüchtete wimmernd. Inzwischen hatte sich der schmierige Komplize aufgerappelt.

Breitbeinig baute Jack sich auf, für einen eventuellen Angriff gewappnet. Der Straßenräuber taxierte ihn ein, zwei Sekunden. Dann folgte er stolpernd seinem Kollegen.

Im ersten Impuls wollte Jack die beiden verfolgen, doch ein Blick in das blasse, schweißüberströmte Gesicht des Opfers hielt ihn zurück.

Der übergewichtige Mann war auffällig gut gekleidet. Sein Schnurrbart und der Spitzbart am Kinn waren perfekt gepflegt. In seinen zitternden Händen hielt er einen Spazierstock mit Messinggriff.

„Sind Sie verletzt?“, fragte Jack. Er bückte sich und hob einen eleganten Hut auf, den er dem Mann reichte.

„Nein. Nur erschrocken.“ Der Mann zog ein seidenes Taschentuch aus seiner Manteltasche und wischte sich die Stirn ab. Dann setzte er seinen Hut auf. „Vielen Dank.“

Im nebligen Licht der Straßenlaterne musterte Jack das aschfahle, pausbäckige Gesicht. „Sind Sie sicher? Soll ich nicht lieber einen Arzt rufen?“

„Nein. Ich gehe in den Laden zurück und rufe mir ein Taxi. Ich habe einen Truck, aber im Moment möchte ich mich nicht hinters Steuer setzen.“ Während er Jack betrachtete, schien er sich an seine Umgangsformen zu erinnern. „Verzeihen Sie. Sie haben mir das Leben gerettet, und ich habe mich nicht einmal vorgestellt.“ Er streckte ihm die Hand entgegen, ohne den Handschuh auszuziehen. „Harry Fodgother.“

„John Patrick Riley. Nennen Sie mich Jack.“ Er konnte den kleinen Mann sofort einordnen. Noch aus seiner Anfangszeit als Redakteur war ihm der Name vertraut, der damals häufig in der Gesellschaftsspalte aufgetaucht war. Jeder, der etwas auf sich hielt, trug einen Harry-Fodgother-Smoking. „Sie sind der Schneider, habe ich recht?“

Mit gespielter Verachtung verzog Harry das Gesicht. „Herrenausstatter, bitte schön!“ Dann lachte er. „Wenn ich mich so nenne, kann ich den doppelten Preis verlangen.“

Er zog einen dicken Schlüsselbund aus seiner Tasche und öffnete eine schwere Stahltür mit der Aufschrift „Liefereingang“. Jack folgte ihm durch einen großen Raum, vollgestopft mit Stoffballen, Nähmaschinen, Schaufensterpuppen und Zuschneidetischen. An den Wänden hingen Plakate mit Who’s-who-Typen, die Fodgothers Kreationen präsentierten.

Durch eine Doppeltür gelangten sie in den Laden. Bei jedem Schritt sank Jack nun zwei Zentimeter tief in einen Teppich ein. Der Verkaufsraum war in Leder, Messing und Jägergrün gehalten. Er erinnerte an einen englischen Club. Selbst die Jagdszenen an den Wänden fehlten nicht. Und es gab keinen Hinweis darauf, dass man hier etwas kaufen konnte. Kein einziges Kleidungsstück war zu sehen. Jack vermutete, dass sie in den antiken Schränken und Kommoden verstaut waren.

„Ein netter Laden“, bemerkte er.

„Nicht wahr?“ Harry schaltete die grüne Schreibtischlampe an und nahm den Telefonhörer ab. „Unter dem Tresen dort drüben ist ein Kühlschrank. Nehmen Sie sich ein Bier.“

Jack öffnete zwei Flaschen Bier. Inzwischen rief Harry ein Taxi. Als er aufgelegt hatte, fragte Jack: „Wollen Sie den Überfall der Polizei melden?“

Fodgother schüttelte den Kopf. „Das waren nur zwei arme Schlucker. Junkies wahrscheinlich. Ich habe sie nicht einmal richtig gesehen. Und bevor sie mir irgendetwas stehlen konnten, sind Sie dazwischengegangen. Die Polizei hält mich den ganzen Abend auf, und …“ Er hielt inne, als er sah, dass Jack etwas aus seiner Tasche zog.

„Verdammt“, sagte Jack stirnrunzelnd. „Ich dachte, das hätte ich weggeworfen.“ In der Tat hatte er die Einladung weggeworfen, aber aus einem unerklärlichen Grund hatte er sie wieder an sich genommen. Vielleicht um sie seiner Mutter zu zeigen, die immer etwas über seine hochtrabenden Freunde in New York erfahren wollte. Es schien einfach nicht in ihren Kopf zu gehen, dass er nicht regelmäßig mit John F. Kennedy junior verkehrte.

Er kam hinter dem Tresen hervor und gab Harry ein Bier. „Sie arbeiten aber lange“, bemerkte er. „Prost.“

Harry hob seine Bierflasche. „Sie sind nicht von hier?“

„Aus Texas. Aber mein Akzent verschwindet allmählich.“

Harrys Blick fiel auf die Einladungskarte. Er las. Dann schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Eine Einladung von Madeleine Langston! Wie um alles auf der Welt sind Sie an diese Einladung gekommen?“

Jack nahm einen Schluck von seinem Bier. „Sie ist mein Boss. Sonst auch bekannt als göttliche Hexe.“

„Ein prachtvolles Weib. Sie ist eine Weile mit einem von meinen Sechsundvierzigern ausgegangen.“

Jack grinste, als er sich Madeleine Langston in Begleitung eines leeren Anzugs vorstellte. Doch sein Vergnügen war kurz, denn der leere Anzug verwandelte sich plötzlich in das Abbild seiner selbst. Er verlor den Verstand. Er war krank. Er wollte sie.

„Behaupten Sie nicht, es hätte Sie nicht erwischt.“ Harry zeigte mit seinem Stock auf Jack. „Ich war auch einmal jung.“

„Sie ist eine Schneekönigin“, protestierte Jack. „Bei einer Skulptur aus Eis hätte ich mehr Glück.“

„Mir scheint, der Gentleman protestiert zu viel.“

„Ich kenne sie außerdem kaum. Habe sie nur einmal oder vielleicht zweimal gesehen. Und glauben Sie mir, die Welt geriet nicht aus den Fugen.“

„Dakota“, murmelte Harry. „Das ist die alljährliche Party ihres verstorbenen Vaters.“ Er schüttelte traurig den Kopf. „Es ist für sie das erste Jahr ohne ihren Vater. Und für die Party das letzte Jahr. Überlegen Sie mal, wie sie sich fühlen muss.“

Jack würgte sein Bier herunter. So wie Harry von ihr sprach, erschien Madeleine ihm wie ein Mensch, jemand mit Gefühlen, der auch verletzlich war. Das sollte ihn eigentlich nicht berühren. Tat es aber.

„Wahrscheinlich tanzt sie Löcher in den Teppich“, sagte er.

„Wahrscheinlich trinkt sie zu viel und lächelt zu viel und wünscht sich sehnsüchtig, jemand würde kommen, der sie rettet.“

„Woher wollen Sie das wissen?“, fragte Jack.

Wieder zeigte Harry mit dem Stock auf Jacks Brust. „Ich weiß es eben. Glauben Sie mir.“

Hartnäckiger kleiner Zwerg, dachte Jack. Harry musterte ihn. Sein prüfender Blick war so durchdringend, dass Jack rote Ohren bekam. „Ich glaube, ich entspreche nicht ganz Ihrer gewohnten Klientel, habe ich recht?“

„Ich liebe die Herausforderung. Vielleicht ist unter den Lumpen ein Prinz verborgen.“ Harry ging mehrmals um Jack herum und ließ dabei seinen Stock durch die Luft kreisen. „Jack Riley“, sagte er schließlich. „Ich werde Sie ausstaffieren, dass Sie sich selbst nicht wiedererkennen. Wie durch Zauberei. So etwas haben Sie sich nicht einmal im Traum vorgestellt.“

„Also, eigentlich lege ich auf Kleidung keinen Wert, Harry.“

„Bitte, bitte. Haben Sie noch nie den Wunsch verspürt, einen Saal voller Menschen zu betreten und sie buchstäblich umzuhauen?“

„Nur, wenn es Republikaner sind.“

„Bah. Sie machen Scherze, wo Sie doch auf diesen Ball gehen und die Frau Ihrer Träume treffen könnten.“

Jack lachte laut und herzlich.

Wieder hob Harry seinen Stock und zeigte auf ihn. „Erlauben Sie mir, dies für Sie zu tun. Sie haben mir das Leben gerettet.“

„Ich bin wirklich mehr der häusliche Typ, der mit einem Bier vor dem Fernseher sitzt, Harry.“

„Wunder geschehen jeden Tag, mein Junge.“

Jack vergrub die Hände in den Taschen seiner Yankee-Jacke. „Sie ist nicht mein Typ.“

„Ich glaube, Sie sind der Typ, der gern ein wenig Spaß hat. Eine einsame Lady auf einer Party, wo jeder irgendetwas von ihr will. Diesen Gedanken kann doch niemand ertragen.“ Harry warf einen bedeutungsvollen Blick auf die Einladungskarte. Dann trat er zu Jack heran und nahm ihm als Erstes die Brille ab. Es war ihm anzusehen, dass die bevorstehende Verwandlung des abgerissenen Reporters ihm Vergnügen bereitete. „Trinken Sie Ihr Bier aus, Cowboy. Es gibt eine Menge Arbeit, wenn wir das erreichen wollen, was mir vorschwebt. Und viel Zeit haben wir nicht.“

Jack fügte sich ergeben in sein Schicksal. Im Kampf mit der Dankbarkeit entwickelte wohl selbst die Hölle nicht den Zorn dieses Schneiders … Verzeihung, Herrenausstatters.

3. KAPITEL

Madeleine ertappte sich dabei, wie sie wieder auf die Uhr schaute. Halb elf. Ganze zwei Minuten waren vergangen, seit sie das letzte Mal nachgesehen hatte. Ihr Plastiklächeln hatte sie hundertmal gelächelt, hundert hohle Begrüßungen gemurmelt und hundertmal an ihrem Dom Pérignon genippt. Der Schampus begann seine Wirkung zu zeigen.

Wie immer, wenn sie einen Schwips hatte, war sie taktvoll und vorsichtig. Alles, was sie sah, präsentierte sich in einer angenehmen Unschärfe. Ihr Blick fiel auf ein Model in einem Kleid, das aussah, als wäre es komplett aus Öffnungslaschen von Sodadosen konstruiert. Madeleine unterdrückte ein Kichern.

Das fiel ihr nicht schwer, als sie Britt Beckworth III auf sich zukommen sah. Mit seinem kantigen Kinn, dem gestriegelten Haar und seinem hohlen Kopf war er eine lebende Ken-Puppe.

Madeleine flüchtete sich hinter eine Steinskulptur im Foyer. Was habe ich nur an mir, dass ich auf langweilige, eitle Männer wie ein Magnet wirke, fragte sie sich. Und auch auf boshafte, eifersüchtige Frauen. Warum konnte sie nicht einfach einen Freund haben?

Auf der ganzen Party konnte sie keinen Kandidaten entdecken. Derek und Brad aus dem Nachrichtenraum warfen ihr unentwegt lüsterne Blicke zu, nicht ganz das Gefühl, das sie in Männern erwecken wollte.

Sehnsüchtig schaute sie zum Eingang und steuerte schließlich unwillkürlich darauf zu. Ihre Gedanken waren bei einem kleinen roten Auto eines italienischen Herstellers mit einem unaussprechlichen Namen. Es stand in der Garage, vollgetankt und auf Hochglanz poliert. Hätte sie doch nur nicht so viel Champagner getrunken und ihre Kontaktlinsen nicht entfernt. Dann könnte sie jetzt in ihr Auto steigen und einfach losfahren. Schnell und weit weg. Bis sie einen Ort erreichte, wo der Name Madeleine Langston keine Bedeutung hatte.

Sie wollte etwas Wildes und völlig Verrücktes tun. Einmal in ihrem Leben die Kontrolle verlieren. Oder, was ihr noch reizvoller erschien, die Kontrolle jemand anderem übergeben, jemandem, dem sie vertrauen konnte. Jemand, der ihr Herz im Sturm eroberte.

Ich wünsche mir, dachte sie. Ich wünsche mir … Sie schloss die Augen und versuchte, ihre Sehnsüchte zu vertreiben. Aber es gelang ihr nicht. Sie wusste, dass so etwas im wirklichen Leben nicht passierte, und trotzdem …

Sie legte die Hand auf den Türknauf. In diesem Moment wurde der Knauf von außen gedreht. Madeleine trat erstaunt einen Schritt zurück, während sie sich ihre Entschuldigung zurechtlegte. Ich freue mich, dich zu sehen, Darling, aber ich muss leider weg, übte sie im Stillen. Wir treffen uns zum Lunch …

Die Tür ging auf.

Die Entschuldigungen erstarben Madeleine auf der Zunge. Wie in Trance trat sie einen weiteren Schritt zurück und war plötzlich davon überzeugt, dass sie gestorben war und sich im Himmel wiederfand.

Er war etwa eins neunzig groß, selbst nachdem er seinen schwarzen Stetson abgesetzt hatte. Sein dichtes schwarzes Haar glänzte vor Vitalität. „Hallo, Darling“, begrüßte er sie gut gelaunt, während er ihr die Einladungskarte reichte. „Hiermit bin ich am Portier vorbeigekommen. Komme ich auch an Ihnen vorbei?“

„Nur, wenn ich es nicht verhindern kann“, murmelte Madeleine, ohne nachzudenken. Ihr bewundernder Blick wanderte zu seinem gepflegten Haar. Das Kerzenlicht verlieh den Wellen, die über den Kragen seines schneeweißen Hemds reichten, einen rötlichen Schimmer. Der elegante schwarze Smoking hob seine breiten Schultern hervor. Er trug ihn offen, sodass man das edle Hemd mit den spanischen Falten und den Florentinerknöpfen sah. Die schwarze Anzughose umspannte seine schmale Taille. Dazu trug er schwarze Cowboystiefel mit extrem schmaler Spitze.

Als sie sein markantes, frisch rasiertes Gesicht betrachtete, hatte sie das Gefühl, diesen Mann zu kennen. In gewisser Weise erschien er ihr sogar äußerst vertraut. Als er ihr aber sein charmantes Lächeln schenkte, war sie davon überzeugt, dass sie dieses Gesicht noch nie gesehen hatte. Allenfalls in ihren schönsten Träumen.

„Darling“, sagte er ungeduldig, „wenn wir hier noch länger herumstehen, wird uns jemand mit dem Kleiderständer verwechseln.“

„Natürlich“, erwiderte sie, bevor sie seine Einladung auf dem Tisch neben dem Eingang ablegte. „Kommen Sie herein, Mr …“

„Patrick. John … Patrick. Nennen Sie mich John, Miss …“

„Madeleine“, sagte sie hastig. Aber es gefiel ihr besser, wenn er sie Darling nannte.

„Tanzen Sie mit mir, Darling.“ Er legte seinen Hut auf den Tisch.

Die Swing-Band spielte einen melancholischen Song aus den Vierzigerjahren. Die Bluesklänge erschienen ihr plötzlich unwiderstehlich. Mit einem wundervollen Gefühl der Unbeschwertheit, als ob der Champagner ihr Flügel verliehen hätte, legte Madeleine ihre Hand in seine und ließ sich von ihm in den Himmel entführen.

Zu seinem größten Erstaunen fand sich Jack Riley auf dem Tanzparkett wieder und wiegte sich zu einer langsamen, schwermütigen Melodie mit Madeleine Langston in seinen Armen.

Eine unfassbare Situation. Entweder spielte sie das Spiel mit, oder sie erkannte ihn wirklich nicht. Konnten Harry Fodgothers Zauberkünste eine so perfekte Verwandlung bewirken?

Als er sich zufällig in einem antiken Spiegel erblickte, begann er daran zu glauben, dass ihn tatsächlich niemand erkannte. Seine Hornbrille war verschwunden. Der elegante Smoking, die Stiefel und die Frisur verwandelten eine graue Maus aus Brooklyn in einen Stadtcowboy. Dazu sein übertrieben gedehnter texanischer Akzent, und die Maskierung war perfekt.

Vielleicht.

Beinahe unbewusst legte er den Arm fester um ihre Taille und wurde von einem unerwartet erotischen Gefühl überrascht. In seinen Armen war die Eisprinzessin nicht aus Eis. Sie war warm. Weich. Berührbar.

„Gefällt Ihnen die Party?“, fragte er, während er zuschaute, wie sein Atem durch ihr Haar wehte. Kleine Lockenbüschel zierten ihre Schläfen und den Nacken. Den Rest hatte sie in einem Perlenband zusammengefasst.

„Mm. Mittlerweile, ja. Ich habe mich seit Wochen vor dieser Party gefürchtet.“ Sie schenkte ihm ein traurig-süßes Lächeln, das ihn im Innersten berührte. „Dies ist die Wohnung meines Vaters. Er ist verstorben. Aber ich hatte das Gefühl, ich bin es ihm schuldig, diese traditionelle Party ein letztes Mal zu veranstalten.“

„Mein Beileid zum Tod Ihres Vaters.“

„Ich werde damit fertig.“ Ihre Oberschenkel berührten sich, als sie die Richtung auf der Tanzfläche änderten. Ihr Lächeln nahm einen koketten Ausdruck an. „Es ist eine großartige Gelegenheit, Männer aufzulesen.“

Er schluckte. Seine Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet. „Gehört das zu Ihren Gewohnheiten?“

Sie lachte. „Sie sind der Erste. Und ich glaube, Sie sind es wert.“

Ihr freimütiges Eingeständnis schockierte ihn. Sie wusste Bescheid. Natürlich, sie spielte mit ihm. Dennoch stiegen Zweifel in ihm auf. Madeleine Langston war unfähig, zu lügen. Noch vor wenigen Stunden hatte sie versucht, ihm vorzumachen, sie würde sich freuen, wenn er zu ihrer Party kam. Es war ein kläglicher Versuch gewesen, der auf ganzer Linie missglückte. Jack hatte gesehen, wie sie sich verkrampft hatte, wie ihr die Röte ins Gesicht gestiegen war, bis an die Wurzeln ihrer blonden Haare. Sie war eine schlechte Lügnerin.

Er manövrierte sie über die Tanzfläche zu einer Marmorsäule, wo er stehen blieb und sie zwischen sich und der Säule einsperrte, indem er sich mit einem Arm an der Wand abstützte. Himmel, sie war wunderschön. Wie von Botticelli erschaffen, eine kühle Elfenbeinnixe, die aus ihrem Wasserreich aufstieg. Ihre Augen leuchteten vor Bewunderung.

„Madeleine.“

Sie berührte seine schmale Frackschleife. „Es gefällt mir, wie Sie meinen Namen sagen.“

Plötzlich fühlte sich sein Kragen unbequem eng an. Dies war Irrsinn. „Haben wir … haben wir uns schon einmal gesehen?“ Aufmerksam beobachtete er ihre Reaktion.

Ihr Gesicht war ganz nah. Sie hob die Hand und strich zaghaft über sein Kinn. Wie ein neugieriges Kind. Sein glatt rasiertes Kinn, das Harry Fodgother mit etwas horrend Teurem bespritzt hatte. „Ausgeschlossen“, flüsterte sie, während sie ihre Hand auf seine Brust legte. „Ich hätte es nicht vergessen, wenn wir uns schon einmal begegnet wären.“

Zu spät. Wenn sie es jetzt herausfand, würde sie ihn umbringen.

Von Panik erfüllt, ergriff er ihr Handgelenk und schob ihre Hand weg. „Madeleine, tun Sie das nicht“, sagte er. „Täuschen Sie nicht vor, Sie wüssten nicht …“

„Oh Gott.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um über seine Schulter zu spähen. Ihre Augen nahmen einen wilden, gehetzten Ausdruck an. „Sie kommen.“

Jack blickte sich um und sah William Wornich inmitten einer Schar von Reportern auf sie zukommen. Im Bruchteil einer Sekunde begriff er. Madeleine lebte wie unter dem Mikroskop und wurde regelmäßig von den gebündelten Strahlen der öffentlichen Aufmerksamkeit verbrannt. Er sah die morgigen Schlagzeilen schon vor sich: Verlegererbin tanzt den Twostepp mit mysteriösem Cowboy.

„Kommen Sie.“ Er setzte seinen nagelneuen Stetson auf, legte den Arm um ihre Schulter und flüsterte ihr ins Ohr: „Wir verschwinden von hier.“

Ein Blitzlicht blendete ihn. Er hörte das Surren einer Kamera. Dann sah er Brad und Derek im hinteren Teil des Raums. Mehr Argumente brauchte er nicht, um mit Madeleine die Party zu verlassen. Sie ignorierten die Fragen, die ihnen hinterhergerufen wurden, und flüchteten in den Fahrstuhl. Eine kleine Ewigkeit lang blieben die Türen offen, sodass sie den neugierigen Blicken der herannahenden Sensationsjäger ausgesetzt waren, unter ihnen auch Brad und Derek.

Jack zog seinen Hut tiefer in die Stirn und drückte auf den Abwärtsknopf. Die Türen des Fahrstuhls schlossen sich.

Als der Lift sich in Bewegung setzte, lehnte Madeleine sich erleichtert gegen die Wand. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Danke.“

„Gern geschehen, Ma’am.“

„Ich habe meinen Mantel vergessen.“

„Soll ich zurückgehen und ihn holen?“

„Nein. Auf keinen Fall.“

Galant, wie man es erwarten würde, zog er sofort seinen Smoking aus und legte ihn Madeleine um die Schultern. Sie versank in den schwarzen Stoffmengen. Als sie aufblickte und ihn anlächelte, verspürte er ein prickelndes Gefühl, einen magischen Zauber.

„Wohin fahren wir?“, fragte sie.

Er sah auf das Tableau mit den Etagenknöpfen. „In die Parkgarage?“

Sie lachte ein glockenhelles Lachen. „Danach, meine ich.“

„Nun, wohin möchten Sie?“

Der Fahrstuhl hielt. „Fahren Sie?“, fragte sie, als die Türen sich öffneten und sie hinaustrat.

„Ja.“ Ein dankbarer Harry Fodgother hatte ihm seinen Truck für diese Nacht geliehen. Gegen seinen Protest hatte er ihm die Wagenschlüssel und die Magnetkarte für eine Garage gegeben, in der ein einziger Parkplatz teurer war als Jacks Wohnung in Brooklyn. Der Truck war der Kindheitstraum eines Schneiders mittleren Alters. Groß, schwarz, glänzend und mit allen nur erdenklichen technischen Spielereien ausgestattet, einschließlich einer Hupe, die wie eine Kuh muhte und wie ein Truthahn kollerte. „Wollen Sie fahren?“, fragte Jack.

Zögernd biss sie sich auf die Unterlippe. „Heute nicht mehr. Ich habe etwas zu viel Champagner getrunken. Wo wohnen Sie?“

„Wohnen?“ Jack brach in Schweiß aus, als er ihr die Beifahrertür aufhielt. Dass es so weit kommen würde, hatte er nicht erwartet. „Oh, ich wohne bei Freunden in White Plains.“

Als sie sich in den erhöhten Schalensitz setzte und die Beine übereinanderschlug, betörte das Geräusch von aneinanderreibender Seide seine Sinne. Ihre Nahtstrümpfe umspannten die außergewöhnlichsten Waden, die er je gesehen hatte.

Es war eins von Jack Rileys bekannten Lastern, dass er Frauenkörper bewunderte. Er liebte sie ganz einfach. Die weichen Rundungen und den zarten Duft.

Enttäuschung spiegelte sich in ihrem Gesicht. Sie wirkte so einsam und verzweifelt, dass er sich sagen hörte: „Wir könnten in einen Club gehen, wenn Sie wollen.“

Sie blickte ihn lange an. „Nach Hause“, flüsterte sie schließlich, während sie ihre Hand sanft auf seinen Arm legte. „Ich möchte, dass Sie mich nach Hause bringen.“

4. KAPITEL

Madeleines Hand zitterte ein wenig, als sie im Fahrstuhl die Sensortaste auf der Schalttafel berührte. Schweigend fuhren sie zu ihrer Wohnung in der Park Avenue hinauf, umgeben von mattgelben Lampen und bronzegetönten Spiegeln. Sie hatte sich auf der Party vorgenommen, etwas Ungewöhnliches und Verwegenes zu tun. Diesen Anspruch erfüllte die Situation, in der sie sich jetzt befand, zu hundert Prozent.

Sie dachte an das letzte Mal, als sie einen Mann mit nach Hause genommen hatte. Ein kompletter Reinfall. Die erste Stunde war damit vergangen, dass er einen Vortrag über ihre Gemälde von Monet und die Baccarat-Objekte hielt. Danach versuchte er eine Stunde lang, sie ins Schlafzimmer zu manövrieren, und in der dritten Stunde versuchte er herauszufinden, warum sie ihn wegen plötzlicher Kopfschmerzen wegschicken wollte.

Madeleine musterte ihren Begleiter mit einem verstohlenen Blick. Seine Körperhaltung war entspannt. Er hatte einen freundlichen, warmherzigen Ausdruck in den Augen, dem sie nur zu gern vertrauen wollte.

Hoffentlich ist er anders, betete sie im Stillen. Er muss anders sein.

Geräuschlos öffneten sich die Türen des Lifts. Ihre Hände waren ruhiger, als sie die Magnetkarte einschob und ihre Wohnungstür öffnete.

Eine diskrete indirekte Beleuchtung erhellte den Eingangsbereich und das Wohnzimmer. Jack nahm seinen Hut ab und legte ihn auf den Schirmständer. Sie schlüpfte aus seinem Smoking. Achtlos warf sie ihn auf einen Stuhl. Einen Augenblick lang erregte die mit einem Spot angestrahlte Gartenszene von Monet, die über dem Tisch gegenüber der Wohnungstür hing, seine Aufmerksamkeit.

Madeleine hielt den Atem an. Würde nun der unvermeidliche Diskurs über die Bedeutung der impressionistischen Kunst beginnen?

„Hübsch“, bemerkte er nur, während er sich ihr zuwandte.

Sie seufzte erleichtert. „Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“

Er zögerte. „Ein Bier vielleicht.“

Sie lachte. „Bier ist ungefähr das Einzige, was ich nicht im Hause habe.“ Sie ging zur Bar hinüber und deutete auf das stattliche Sortiment an Kristallflaschen mit Remy Martin, Glenmorangie und Frangelico.

„Macht nichts“, sagte er. „Wie wäre es mit Champagner? Wirklich schlechter Champagner schmeckt ähnlich wie Bier.“

„Schlechten Champagner habe ich nie im Haus.“

Er stützte sich mit dem Ellbogen auf den Bartresen und zeigte auf die Kaffeemaschine. „Dann machen wir einen Kaffee.“

Das hatte ihr gerade noch gefehlt. „Ich mache den schlechtesten Kaffee der Welt.“

„Ich mache den besten Irish Coffee der Welt. Ein wahrhaft himmlischer Genuss.“ Er löste seine Frackschleife und den Kragenknopf. Das Hemd fiel v-förmig auseinander und entblößte seine rötliche Brustbehaarung. Diesen Anblick fand Madeleine so erregend, dass sie verunsichert den Blick abwandte.

„Ma’am“, sagte er. „Sie dürfen einem Meister bei der Arbeit zuschauen.“ Mit sicheren Handgriffen legte er Filterpapier ein und zählte einige Löffel von der Gourmet-Mischung ab. „Der Trick ist, man nimmt die doppelte Menge Kaffee und die dreifache Menge Whiskey.“

„Aha. Auf diese Weise ist man dann so aufgedreht, dass der Geschmack nicht mehr interessiert.“ Sie öffnete eine Flasche Evian und füllte sie in das Reservoir der Krupps. Während der Kaffee durchlief, holte Madeleine eine kleine Tüte Kaffeesahne aus der Küche. Sie kam an die Bar zurück und beobachtete Jack, wie er eine Flasche irischen Whiskey aufschraubte. Plötzlich breitete sich in ihrem Apartment, das ihr so schrecklich steril und einsam erschienen war, eine gemütliche Atmosphäre aus.

Er lächelte, als er sie erblickte, und nahm ihr die Kaffeesahne ab. „Wohnen Sie hier allein?“

„Ich teile die Wohnung mit Blake.“

Sie meinte einen Anflug von Eifersucht in seinen Zügen zu entdecken, war sich aber nicht sicher. Dazu sah sie zu schlecht ohne die Kontaktlinsen. „William Blake ist mein Kater“, klärte sie ihn lachend auf. „Manchmal kommt meine Mutter zu Besuch, aber nach dem Tod meines Vaters hält sie sich lieber in wärmeren Gegenden oder auf Kreuzfahrtschiffen auf.“

Er sah sie einen Moment nachdenklich an. Dann hob er die Hand, als würde er ihren Arm berühren wollen. Sie wünschte es sich. Aber er ließ die Hand wieder sinken und konzentrierte sich auf die Zubereitung des Irish Coffee.

Schließlich gingen sie ins Wohnzimmer hinüber. Als Madeleine eine Lampe einschalten wollte, ergriff er sanft ihr Handgelenk und hielt sie zurück. „Ich mag es lieber dämmrig“, sagte er leise. „Dann können wir die Aussicht auf die Stadt besser genießen.“

Sie blickte zum Fenster. In dieser kristallklaren Nacht glich New York einem funkelnden Lichtermeer von besonderer Magie. „Natürlich“, sagte sie lächelnd. „Ich vergesse immer wieder, dass Sie ein Tourist sind.“

Sie setzten sich auf ein weißes Ledersofa, das zur Fensterfront ausgerichtet war. Madeleine beugte sich vor, um ihre Schuhe abzustreifen. „Sie haben doch nichts dagegen?“

„Nein. Um Gottes willen, Madeleine. Machen Sie es sich bequem.“

Seine Verlegenheit war hinreißend. Madeleine lachte ihn an. Dann entledigte sie sich mit einem erleichterten Seufzer ihrer Schuhe.

„Sie haben sich wohl die Füße wund getanzt“, bemerkte er.

Noch bevor sie etwas erwidern konnte, zog er ihre Füße auf seinen Schoß und begann eine behutsame Massage. Sie zuckte erschrocken zusammen.

Jack sah sie fragend an. „Bin ich anmaßend?“

„Ja.“

„Soll ich aufhören?“

„Nein.“

Ein versonnenes Lächeln umspielte seine Lippen, als er mit sanftem Druck ihre Knöchel massierte und dabei jede Bewegung mit den Augen verfolgte. Madeleine durchströmte ein Wohlgefühl, das sie schockierte. Dieser Mann gab ihr Rätsel auf. Er war nett und von einer Freundlichkeit, die sie bei Männern selten erlebt hatte.

Wie weit würden sie heute Nacht gehen? Wie lange würde es dauern, bis er sich als echter Freund oder als Glücksjäger entpuppte? Als Liebhaber oder als Lügner?

„Oh, nein. Das sollten Sie nicht tun“, flüsterte er, während er sich zu ihr beugte, bis sie seinen Atem auf ihrer Wange spürte.

Sie begann zu zittern. „Was sollte ich nicht tun?“, fragte sie leise.

„Grübeln. Denken Sie nicht nach, Madeleine. Sonst zerstören Sie es.“

„Was zerstöre ich?“

„Dies.“ Er umfasste vorsichtig ihr feines Gesicht mit seinen großen warmen Händen und küsste sie zärtlich auf den Mund.

Sie hielt den Atem an, als sie seine weichen Lippen spürte. Noch nie zuvor hatte ein Mann sie so … Nein, nicht nachdenken. Er hatte recht. Sie verstand es nur allzu gut, sich die schönsten Dinge auszureden.