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Ralph Metzner

Raum des Geistes –
Strom der Zeit

Wie man seine Bewusstseinszustände verstehen und navigieren kann

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Ralph Metzner

Raum des Geistes –
Strom der Zeit

Wie man seine Bewusstseinszustände verstehen und navigieren kann

Aus der Buchreihe:
Ökologie des Bewusstseins

Aus dem Amerikanischen von Chris Heidrich

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Impressum

Verlegt durch:

 

NACHTSCHATTEN VERLAG AG

Kronengasse 11 • CH-4502 Solothurn

Tel: 00 41/32/621 89 49 • Fax: 00 41/32/621 89 47

info@nachtschatten.ch • www.nachtschattenverlag.ch

 

© 2009 Ralph Metzner

© 2012 Nachtschatten Verlag für die deutsche Ausgabe

Fotorechte: Wenn nichts anderes vermerkt, liegt das © beim Autor oder beim Verlag

 

Übersetzung: Chris Heidrich, Solothurn

Grafisches Konzept: Angela Wirtz, Hannover

Layout und Lektorat: Nina Seiler, Zürich

 

E-Book

Schwabe AG, www.schwabe.ch

ISBN eBook (ePUB) 978-3-03788-323-5

 

Titel der amerikanischen Originalausgabe: Mind Space And Time Stream,

aus der Serie Ecology of Consciousness. Publiziert von der Green Earth Foundation, El Verano, Kalifornien, USA, www.greenearthfound.org

 

Der Verlag dankt der Green Earth Foundation für die finanzielle Unterstützung.

 

Alle Rechte der Verbreitung durch Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, elektronischer digitaler Medien und auszugsweiser Nachdruck nur unter Genehmigung des Verlages erlaubt.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Veränderte Bewusstseinszustände

2 Bewusstsein, Raum und Zeit

3 Bewusstsein als Kontext und Subjektivität

4 Radikaler Empirismus

5 Zustände, Stadien und Ebenen des Bewusstseins

6 Das Modell von Set (Einstellung) und Setting (Umgebung)

7 Wachsein, Schlafen, Träumen, Meditieren

8 Die Dimensionen von Energie und Lust / Schmerz

9 Bewusstseinserweiterungen

10 Verengtes Bewusstsein

11 Dissoziation und Übergangszustände

12 Dissoziation und Assoziation in unterschiedlichen Zuständen

13 NTE, AKE und mediale Zustände

Anhang A: Das grafische Profil veränderter Bewusstseinszustände

Anhang B: Neurochemische und hormonelle Korrelate der beiden Dimensionen

Anhang C: Dissoziative Drogenzustände

Anhang D: Die biochemischen und hormonellen Grundlagen der Erfahrung von Sexualität

Referenzen und ausgewählte Bibliografie

Vorwort

In diesem Buch will ich über die Essenz meiner fünfzigjährigen Tätigkeit in Forschung, Psychotherapie, schamanischer und yogischer Praxis sowie meiner Lehrtätigkeit über die Bedeutung der sich verändernden Bewusstseinszustände für die psychische Gesundheit und das spirituelle Wachstum berichten. Mein Interesse an diesem Gebiet wurde in den frühen 1960ern geweckt, während ich als Student an der Harvard University zusammen mit Timothy Leary, Richard Alpert und anderen an Forschungsprojekten über Substanzen arbeitete, die wir „bewusstseinserweiternd“ nannten.

Zu dieser Zeit war die Psychologie an der Harvard Graduate School of Social Relations von den beiden Paradigmen des Behaviorismus und der Psychoanalyse geprägt, die sich so radikal unterschieden, dass die strikten Anhänger des Skinnerschen Behaviorismus sogar ein eigenes Gebäude hatten, wo sie ihre Experimente an Tauben und Ratten mit Verstärkungsplänen durchführten. Gemäß dem integrativen Ansatz des Fachbereichs Social Relations studierten wir die Anwendung der Freudschen Ideen in der Kultur-Anthropologie, außerhalb des Rahmens der individuellen psychoanalytischen Therapie. Ich schätzte den integrativen Ansatz: In meinem ersten Artikel, der in einer akademischen Zeitschrift veröffentlicht wurde, zog ich Erkenntnisse aus Studien zum Lernverhalten von Tieren heran, um die Lernvorgänge des Menschen bei einer Neurose und in der Psychotherapie besser verstehen zu können.

In diesem akademischen Umfeld schlugen drogeninduzierte Erfahrungen „erweiterten Bewusstseins“ wie eine intellektuelle Bombe ein. Die Harvard-Fakultät und deren Verwalter reagierten aufgebracht und missbilligend auf den von Leary vertretenen Ansatz, wonach die Forschenden zunächst Selbstversuche machen sollten, bevor sie die Erfahrungen anderen zuteil werden ließen. Er betonte, dass ein rein behavioristischer Ansatz bei diesen Zuständen absurd sei – es gab kein Verhalten, das man beobachten konnte, da das Subjekt stundenlang still daliegen konnte und dabei höchstens ab und zu ein verwundertes „Wow“ hören ließ. Andererseits war auch die Psychoanalyse nicht in der Lage, diese ungewöhnlichen Zustände zu verstehen. Der Psychoanalytiker, den ich für meine Selbstanalyse über Träume und dergleichen aufsuchte, sagte mir wertungsfrei (das sei ihm zugute gehalten), dass er nicht wüsste, was er mit den Erfahrungen anfangen sollte, die ich beschrieb.

Die Arbeiten von C. G. Jung standen zwar nicht auf dem Lehrplan des Harvard Department of Social Relations; doch erst durch die Lektüre von Jung und seinen Forschungen zu östlichen Weisheitstraditionen, wie dem tibetischen Buddhismus und Yoga, fanden wir Zugang zu den Begriffen sowie einem tieferen Verständnis der spirituellen Dimensionen psychedelischer Erfahrung. Einer Empfehlung von Aldous Huxley folgend, übernahmen wir als Handbuch für psychedelische Erfahrungen das Tibetanische Totenbuch– worin „Sterben“ mit dem Loslassen der Selbstbilder des Egos gleichgesetzt und „Wiedergeburt“ als Wiedereintritt in das Bewusstsein der gewöhnlichen Existenz betrachtet wird. Mein Interesse an östlichen Philosophien, Weltanschauungen und Praktiken hat mich mein ganzes Leben lang begleitet: Jahrelang habe ich in Seminaren den Vergleich zwischen östlichen und westlichen Lehren über das Bewusstsein und das Selbst gelehrt.

Learys wichtigster Beitrag zum theoretischen Verständnis von Bewusstseins-zuständen war die Hypothese von Set und Setting, wonach man den Inhalt einer psychedelischen Erfahrung nur dann verstehen konnte, wenn man das Set oder die eigene Intention ebenso wie das Setting oder das Umfeld mit berücksichtigte. Die Droge agierte seiner Ansicht nach als eine Art unspezifischer Katalysator, der das Individuum in einen anderen Bewusstseinszustand katapultierte. Durch diese Eigenschaft unterscheiden sich psychedelische von anderen in der Medizin bekannten Drogen: Sie wirken weder auf die Leber noch auf das Herz oder die Muskelfunktionen, sondern auf das Gehirn und dadurch direkt auf unser Wahrnehmungsvermögen und auf unsere Interpretation der Realität. Später habe ich dann begonnen, dieses Modell von Set und Setting, auf das ich in Kapitel 6 dieses Buches näher eingehen werde, auf alle Bewusstseinszustände, einschließlich des gewöhnlichen Wachzustandes, das Träumen, die Meditation, Hypnose etc. anzuwenden.

Obwohl Leary William James, seinen illustren Vorgänger als Psychologe in Harvard im letzten Jahrhundert, sicherlich kannte, erinnere ich mich nicht, dass er je explizit James’ Prinzip des radikalen Empirismus erwähnt hätte. Doch Leary vertrat, wie James, die wissenschaftliche, empirische Methode, Wissen zu sammeln, und die Ausweitung dieses Ansatzes (im Gegensatz zum Behaviorismus) auf unsere Kenntnisse der Bewusstseinszustände. Deshalb konzentrierten sich unsere Forschungsstudien auf das Sammeln von Daten aus Befragungen und Interviews mit Personen, die diese Erfahrungen gemacht hatten, sowie auf deren Analyse im Licht der Theorie von Set und Setting. William James’ Epistemologie des radikalen Empirismus beschreibe und erörtere ich in Kapitel 4.

Nach dem Abschluss meiner Doktorarbeit in klinischer Psychologie in Harvard (für die ich keine Genehmigung erhalten hatte, auf dem Gebiet der bereits tabuisierten Psychedelika zu forschen) bekam ich ein einjähriges Post-Doktoranden-Stipendium, um Pharmakologie an der Harvard Medical School zu studieren. Ich vertiefte mich in die technische Literatur über die Biochemie und Neurophysiologie psychoaktiver Drogen – ein Interesse, das mich mein ganzes Leben lang begleitet hat. Im Verlaufe meines Lebens habe ich vier Bücher herausgegeben, die Berichte über subjektive Erfahrungen mit pflanzlichen psychoaktiven Substanzen mit den Arbeiten verbinden, die auf objektiv-wissenschaftlichen Kenntnissen (sowohl biologischen als auch kulturellen) über diese Substanzen beruhen: The Ecstatic Adventure (LSD), Through the Gateway of the Heart (MDMA), Sacred Vine of Spirits – Ayahuasca und Sacred Mushroom of Visions – Teonanacatl. Im vorliegenden Buch beschreibe ich im Anhang A Entdeckungen und Theorien über die neurochemischen Grundlagen von Bewusstseinszuständen.

Bevor ich an die Harvard Graduate School of Social Relations ging, hatte ich meine Vordiplomsjahre am Queen’s College an der Oxford University verbracht, wo ich Philosophie (hauptsächlich linguistische Analyse nach Wittgenstein) und Psychologie (überwiegend in Laborexperimenten) studierte. Mein Lieblingsprofessor in Oxford war John L. Austin, ein Meister des trockenen Humors, der sich dafür einsetzte, verborgene philosophische Anleihen in der Alltagssprache zu analysieren und die etymologischen Wurzeln von Wörtern zu verfolgen, um daraus Rückschlüsse auf unsere Wahrnehmung der Welt zu ziehen. Mein ganzes Leben lang habe ich diese Methode angewendet und daraus gelernt. In Kapitel 2 und 3 dieses Buches gehe ich einigen der faszinierenden semantischen Assoziationen über die Vorstellung vom Bewusstsein nach, insbesondere in Bezug auf unsere Wahrnehmung von Zeit und Raum. Ich stimme mit der buddhistischen Lehre überein, in der es heißt, das Bewusstsein oder der Geist sei wie der Raum, in dem Gedanken und Empfindungen immer wieder von neuem auftauchen und verschwinden.

Am California Institute of Integral Studies (CIIS) hielt ich über 20 Jahre lang ein Seminar über veränderte Bewusstseinszustände, in dem wir sowohl die üblichen Zustände, mit denen wir alle vertraut sind, als auch die ungewöhnlichen mystischen oder durch Drogen, Yoga-Praktiken, Musik, Bewegung oder eine Reihe anderer Katalysatoren und Auslöser erzeugten Zustände erörterten. Ich habe mich sehr bemüht, die Veränderungen des Bewusstseins zu normalisieren, um den Ausdruck „veränderter Zustand“ von pathologischen Implikationen zu trennen. Erst in den letzten zehn Jahren ungefähr erkannte ich endlich den Ursprung des Unbehagens, das dieser Begriff mir (und anderen) bereitet: „Verändert“ bedeutet, dass einem etwas angetan wurde – dies jedoch widerspricht der Haupteinsicht über die zentrale Bedeutung des Sets oder der Absicht. Seit dieser Zeit verwende ich den Begriff „veränderter Zustand“ gar nicht mehr oder zumindest weniger. In Kapitel 1 schildere ich Details zu meiner Erfahrung mit dem Bedeutungswandel dieses Begriffes.

Den Begriff des immer durch einen Zeitabschnitt zwischen zwei Übergängen definierten Bewusstseinszustands benutze ich weiterhin. Und ich trete dafür ein, dass der Begriff der Bewusstseinsebenen, in dem sich ein völlig anderes Denk-modell zeigt, klar davon unterschieden wird: Diese Ebenen werden als permanente strukturelle Eigenschaften unserer Psyche sowie der Welt angesehen. In Kapitel 5 gehe ich auf die Unterschiede zu diesem Denkmodell näher ein; ich mache dabei auch deutlich, dass es noch ein drittes Modell gibt, dasjenige der Entwicklungsstadien des Bewusstseins. In westlichen Psychologierichtungen ist die Bewusstseinsentwicklung in der Kindheit und auf dem gesamten Lebensweg ein Hauptthema. Die östlichen Philosophierichtungen beschäftigen sich vermehrt mit Entwicklungsstadien, die mit spirituellen Praktiken zusammenhängen.

In Kapitel 7 beschreibe ich die vier allgemein bekannten Zustände, mit denen jeder vertraut ist – Wachsein, Schlafen, Träumen und Entspannung/Meditation. Wenn man die Ergebnisse der westlichen psycho-physiologischen Forschung dieser Zustände mit yogischen und buddhistischen Lehren (in denen auch vier Grundzustände bekannt sind) vergleicht, dann ergeben sich sowohl einige faszinierende Übereinstimmungen als auch auffällige Differenzen. Der größte Unterschied liegt in unserem westlichen Glauben, dass wir normalerweise ein Bewusstsein „haben“, es sei denn, wir sind unbewusst und schlafen, sind anästhesiert oder im Koma. Yogische und buddhistische Lehren beharren darauf, dass das Nichtwissen (avidya) der angeborene Zustand des Menschen ist – und dass Bewusstsein nur durch yogische und Aufmerksamkeitsübungen entwickelt und kultiviert werden kann, sowohl in jedem Bewusstseinszustand als auch generell in unserem Leben.

In Kapitel 8 stelle ich einen begrifflichen Rahmen vor, mit dem die geläufigen Zustände in zwei Dimensionen unterteilt werden – den Energie- oder Erregungsgrad und das Spektrum zwischen Freude und Schmerz. Dieses Modell beschäftigt sich nur mit dem subjektiven Energielevel und der Gefühlsfärbung der unterschiedlichen Zustände und nicht mit einzelnen Gedankeninhalten, Bildern und ähnlichem. In diesen Dimensionen lassen sich die durch psychoaktive Stimulanzien und Sedativa erzeugten Zustände darstellen – jedoch nicht die Psychedelika, da ihr Wirkungsspektrum zu unterschiedlich und komplex ist.

Erweiterte und erweiternde Zustände, die ich in Kapitel 9 beschreibe, bringen eine Ausweitung und Vertiefung des Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsbereichs mit sich, wie zum Beispiel beim Aufwachen. Sie können mit psychedelischen Drogen, aber auch mit mystischen Praktiken auftreten, oder sie können im Feuer der kreativen Inspiration, durch einen Spaziergang in einem alten Wald oder durch eine herzergreifende musikalische Darbietung spontan verstärkt werden.

Obwohl die Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit zu verengen oder zu fokussieren, eine normale und essenzielle mentale Funktion ist, kommt es bei unbewusst eingeengten Bewusstseinszuständen auch zu einer fixierten Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungseinengung. Am geläufigsten sind die eingeengten Zustände von Angst und Wut, auf die ich in Kapitel 10 eingehe. In extremer und repetitiver Form finden wir diese eingeengten Zustände bei zwanghaftem und süchtigem Verhalten.

In Kapitel 11 schildere ich die schwer fassbaren und missverstandenen Dissoziations- oder Abspaltungsprozesse, die im Gegensatz zum Vorgang der assoziativen Verbindung stehen. Zu jedem Übergang von einem Zustand in einen anderen (z. B. beim Aufwachen) gehört die Ablösung vom vorherigen Zustand, wenn wir in den Geistesraum und den Zeitstrom des neuen Zustands eintreten. Manchmal ergibt sich der Wechsel von einem Zustand in einen anderen unbewusst und kann verschiedene Ego-Zustände oder multiple personas mit einschließen. Die hypnotische Trance, die eine direkte Ablösung von der gewöhnlichen Realität bewirkt, ist oft die einzige Möglichkeit, wie man solche gespaltenen Identitäten in eine bewusste Beziehung miteinander führen kann. Der recht hohe Anteil assoziativer und dissoziativer Prozesse variiert in den unterschiedlichen Bewusstseinszuständen, worauf ich in Kapitel 12 eingehe. Sie zu erkennen, kann wesentlich zur Heilung seelischer Störungen und zur Vertiefung psychospirituellen Wachstums beitragen.

In Kapitel 13, dem letzten, erläutere ich einige relativ wenig bekannte Bewusstseinszustände, bei denen eine starke Ablösung von der gewöhnlichen Realität auftritt – Zustände, die in der Vergangenheit ziemlich unüblich waren, über die in unserer Zeit jedoch breiter berichtet wird. Nahtoderfahrungen (NTE) treten auf, wenn Personen die Schwelle überschritten haben und wieder zurückgekehrt sind, wobei sie erstaunliche Botschaften aus dem Jenseits mitbringen. In außerkörperlichen Erfahrungen (AKE) findet sich die Person in einer Art zweitem oder feinstofflichem Körper wieder, wobei sie durch die gewöhnliche Raum-Zeit Realität fliegen und auf ihre physische Form hinunterschauen kann. In medialen Zuständen, die auch als Channeling bezeichnet werden, „kommt“ ein anderes Wesen „durch“ – ein verstorbener Vorfahre, Schutzengel oder Außerirdischer – und bietet Heilung und Lehre an.

Ich hoffe, dass diese Untersuchungen verschiedener Bewusstseinszustände, sowohl der gewöhnlichen als auch der außergewöhnlichen, dazu beitragen mögen, beim Leser mehr Gespür für die Weite der Erfahrung und des evolutionären spirituellen Potenzials der Menschen zu wecken.

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Veränderte Bewusstseinszustände

Die Idee der veränderten Bewusstseinszustände (VBZ) wurde in den 1950ern und 1960ern vor allem durch drei bahnbrechende Paradigmen in der westlichen Psychologie bekannt. Das eine war die Entdeckung der Rapid Eye Movements (REM) während des Traumschlafs, wobei zum ersten Mal physiologische Veränderungen, die sich zuverlässig mit einem bestimmten subjektiven Bewusstseinszustand in Verbindung bringen ließen, aufgezeichnet werden konnten. Die zweite bahnbrechende Entdeckung war, dass sich die Aufzeichnungen elektrischer Gehirnaktivitäten (EEG) im Frequenzbereich zwischen 8–12 Schwingungen pro Sekunde (sogenannte „Alphawellen“) eindeutig mit Ruhezuständen während der Entspannung oder Meditation bei geschlossenen Augen in Verbindung bringen ließen. Der dritte Durchbruch war die Entdeckung des LSD und anderer psychedelischer, bewusstseinserweiternder Drogen – wodurch zutiefst transformierte und transformative Bewusstseinszustände, die bis dahin nur wenigen, in meditativen oder yogischen Praktiken geübten Individuen zugänglich waren, nun ziemlich zuverlässig von gewöhnlichen Leuten erzeugt werden konnten, sofern sie sich richtig vorbereiteten und schützten und das Set und Setting stimmte.

Diese Entdeckungen von Zusammenhängen zwischen Veränderungen der neuronalen Funktionen und Veränderungen im subjektiven Bewusstsein regten eine enorme, bis heute andauernde Welle der Forschung unter Verwendung von EEG, MRI, PET und anderen Technologien an. Dieser Ansatz – die Erforschung von Verknüpfungen zwischen gemessener Gehirnaktivität und Mentalzuständen – ist zum bestimmenden Paradigma in der wissenschaftlichen Bewusstseinsforschung geworden. Es basiert auf der zugrundeliegenden philosophischen Annahme der westlich-materialistischen Weltanschauung, dass das Bewusstsein irgendwie im Gehirn liegen muss. Diese Ansicht geht auf die Arbeit des französischen Mathematikers des 18. Jahrhunderts, René Descartes, zurück, der bekanntermaßen vermutete, dass die Seele ihren Sitz in der Zirbeldrüse hätte. Die östlichen Philosophien des Yoga und des Buddhismus gehen von einem völlig anderen Ansatz aus, dessen Vorstellungen vom Geist auf systematischen Beobachtungen innerer Zustände während der Meditation beruhen.

Die wichtigste Erkenntnis, die aus den Studien mit psychedelischen Drogen in Harvard in den 1960ern resultierte, war die signifikante Bedeutung von Set (eigene Einstellung) und Setting (Umgebung) für das Verständnis psychedelischer Bewusstseinszustände. Im Unterschied zu Drogen, die sich auf die Funktion des einen oder anderen körperlichen Organs auswirken, erweitern Psychedelika die Bandbreite, den Fokus und die Klarheit der Wahrnehmung selbst – die Art, wie wir die Realität und uns selbst sehen.

Timothy Leary pflegte zu sagen, psychedelische Drogen seien für die Psychologie potenziell das, was das Mikroskop für die Biologie und das Teleskop für die Astronomie seien – indem sie die bewusste Wahrnehmung von Realitäts-bereichen und -ebenen ermöglichen, zu denen wir vorher keinen Zugang hatten. Doch so, wie das, was wir durch ein Mikroskop wahrnehmen, davon abhängt, was wir auf dem Objektträger plaziert haben (wie das Blatt einer Pflanze oder ein Tropfen Blut), so hängt der Inhalt einer psychedelischen Erfahrung (die Gedanken, Bilder, Gefühle, Empfindungen) vom zuvor existierenden Set oder der eigenen Verfassung und dem gewählten Umfeld oder Setting ab. Die Droge wirkt dabei nur als eine Art Katalysator und Wahrnehmungsverstärker.

In den Seminaren über veränderte Bewusstseinszustände, die ich viele Jahre lang durchgeführt habe, war es für mich hilfreich, dieses Grundparadigma von Set, Setting und Katalysator auf alle Bewusstseinszustände anzuwenden, von den bekanntesten zu den exotischsten. Sehr bekannte Katalysatoren oder Verstärker von VBZ (veränderten Bewusstseinszuständen) sind – außer Drogen – Hypnose, meditative Praktiken, schamanisches Trommeln, Musik, Natur, Sex und andere, sowie die normalen zyklischen chemischen Veränderungen im Gehirn, die uns in den Schlaf- oder Wachzustand befördern. Es ist auch hilfreich, das Paradigma der VBZ heranzuziehen, um psychopathologische Zustände zu verstehen, die verengend, fixierend oder dissoziativ sind sowie sich negativ und toxisch auf das Individuum, auf Familien und Gemeinschaften auswirken – Drogen- oder Verhaltensabhängigkeiten, Angst (Panikattacken), Wut (Jähzornanfälle), psychotische Anfälle, Depression, Manie oder andere. Wir werden solche Zustände in einem späteren Kapitel erörtern.

Ein Punkt, der den meisten Leuten in Gesprächen oder Diskussionen über den Begriff „veränderter Zustand“ Unbehagen bereitet, ist die scheinbare Schlussfolgerung, „verändert“ an sich sei nicht normal. Wie könnten wir dann aber davon reden, dass VBZ das therapeutische, kreative oder spirituelle Wachstum anregen? In meinen Seminaren habe ich versucht, das damit verbundene kognitive Vorurteil durch meinen Hinweis auszuräumen, dass alle Menschen mit den normalen, völlig veränderten Zuständen, die wir Wachsein, Schlafen und Träumen nennen, absolut vertraut sind.. Sigmund Freud sagte, Träume seien der „Königsweg zum Unterbewusstsein“, womit gemeint ist, dass sie den größten und bekanntesten Zugang bieten. Doch man könnte genauso gut sagen, dass Träume der Weg des gewöhnlichen Menschen sind, da jeder auf diesen nächtlichen Wegen in das Reich des Jenseits reisen kann und dies auch tut. In Indien bezog sich der „Königsweg des Yoga“ (Raja Yoga) auf die gezielte Anwendung psychologischer Praktiken, um das Bewusstsein aus seinem Alltagszustand zu befreien – und dieser Weg erfordert eine gewisse Disziplin bei dessen Studium und Anwendung.

Einige Autoren haben versucht, die negativen Annahmen, die mit der Vorstellung von „veränderten Zuständen“ verbunden sind, dadurch zu umgehen, indem sie Begriffe wie „veränderliche Zustände“, „nicht alltägliche Zustände“ oder (wie in einem kürzlich veröffentlichten Handbuch der American Psychological Association) „anomale Erfahrungen“ vorgeschlagen haben. Doch diese linguistischen Strategien verschleiern den Punkt, dass manche Zustandsveränderungen völlig normal, üblich und vertraut sind. Sollte man Träumen als „nicht-alltäglichen Zustand“ betrachten? Was ist mit Trunkenheit oder depressiver Stimmung – sind das nicht eher gewöhnliche, allzu vertraute Zustände? Des weiteren halten einige Naturvölker und schamanistisch Praktizierende dagegen, dass Zustände oder Realitäten, welche die Westler als „nicht-alltägliche“ bezeichnen, für sie sehr vertraut und gewöhnlich sind. Es gibt ein ganzes Spektrum von Bewusstseinszuständen, angefangen bei den vertrauten und allgemein bekannten bis hin zu den anomalen und exotisch extremen. Ob der Zustand nun normal oder abnormal ist, ist jedenfalls ein Urteil über die Erfahrung, das durch die Kultur und die Geschichte geprägt ist und deswegen eine akademische Frage, der keine besondere Bedeutung zukommt.

Ich habe schließlich mein eigenes anhaltendes Unbehagen bei dem Begriff „veränderter Zustand“ erkannt, abgesehen von der Tatsache, dass er die Unterscheidung zwischen gewöhnlich und nicht-alltäglich erschwert: Es hat mit der passiven Auslegung von „verändert“ zu tun, durch die suggeriert wird, dass eine äußere Instanz einem etwas angetan hat. Ein drogeninduzierter Zustand scheint diese Ansicht zu unterstützen. Doch wir müssen uns daran erinnern, dass sich normalerweise das Individuum dafür entscheidet, die Droge einzunehmen – sei es Alkohol, LSD oder Marihuana – zu einem bestimmten Zweck und mit der Absicht, das eigene Bewusstsein zu verändern. Auf ähnliche Weise begibt sich eine Person vielleicht in eine Hypnosesitzung, um im Rahmen einer Psychotherapie in einen Trancezustand zu gelangen. Die vorsätzliche Veränderung des Bewusstseins einer anderen Person ohne deren Wissen oder Einverständnis, zum Beispiel durch das heimliche Verabreichen von Drogen oder Alkohol, gilt allgemein als moralisch verwerflich und illegal.

Die Zustandsveränderungen des alltäglichen Lebens können auch aktiv oder passiv aufgenommen und erfahren werden. Wir können mit der bewussten Absicht schlafen gehen, uns auszuruhen und unsere Energien wieder herzustellen; wir können unfreiwillig „in den Schlaf sinken“, weil wir müde sind; oder wir können, im übertragenen wie im wörtlichen Sinne, durch einen langweiligen Redner in einem Vortragssaal „eingeschläfert werden“. Das gilt genauso für den umgekehrten Übergang: wir können vom Wecker „geweckt werden“; einfach spontan „aufwachen“; oder uns, im übertragenen wie im wörtlichen Sinn, gegen den Abwärtssog der Schläfrigkeit stemmen, um unser volles Bewusstsein und unsere Aufmerksamkeit zu steigern.

Der Buddhismus und andere spirituelle Traditionen, wie die von Gurdjieff, bezeichnen das, was wir als unseren normalen Wachzustand verstehen, als eine Art Schlafzustand, in dem wir uns unserer essenziellen Natur nicht bewusst sind. Diesen Lehren zufolge sollen uns yogische und meditative Praktiken dabei helfen, aus den schläfrigen, traumähnlichen Zuständen der gewöhnlichen, unbewussten Existenz zu erwachen – und uns über unsere höchsten spirituellen und kreativen Potenziale klar zu werden.

Um expansive, positive Bewusstseinszustände konstruktiv für mehr Gesundheit, Kreativität und Wachstum zu nutzen, müssen wir fähig sein, den Zustand, in dem wir uns gerade befinden, jederzeit wahrzunehmen, und durch ihn hindurch zu navigieren. Schamanische und alchemistische Divinationspraktiken benutzen „Sonic Driving“-Methoden wie Trommeln oder Rasseln, um das nötige Wissen für Heilung, Problemlösung und Führung zu finden. Yogis und Meditierende praktizieren Aufmerksamkeits- und Konzentrationstechniken, um die feinstofflicheren Dimensionen des Bewusstseins zu erleben.

Bei eingeengten und ungesunden Zuständen, wie Angst und Wut, müssen wir den Zustand, in dem wir uns gerade befinden, identifizieren und erkennen, wie dieser uns (unser Denken, unsere Wahrnehmung, unser Verhalten) sowie andere, mit denen wir in Beziehung stehen, beeinflusst. Wir müssen lernen, durch die negativen Zustände hindurch in gesündere, lebensbejahende Zustände zu navigieren. Indem wir uns in jedem einzelnen Moment bewusst werden, in welchem Zustand wir uns gerade befinden, können wir unsere Aufmerksamkeit auf vielfältige Weise nutzen, unsere Entscheidungsmöglichkeiten erweitern und zunehmend die volle Verantwortung für die Auswirkungen dieser Entscheidungen auf andere und in unserer Welt übernehmen.