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Nr. 1515

 

Das Geheimnis der Nakken

 

Sabotage auf Heleios – die Wahrheitssucher in Gefahr

 

Peter Griese

 

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Auf Terra und im Galaktikum schreibt man den Mai des Jahres 1170 NGZ. Somit sind bereits 23 Jahre seit der Befreiung der Milchstraße vom Joch des Monos vergangen, und für die meisten galaktischen Völker ist eine neue Blütezeit angebrochen.

Für die Träger der Zellaktivatoren gilt das nicht, denn ihre Lebenserwartung beträgt nun kaum mehr als 60 Jahre, nachdem die Leben erhaltenden Geräte von ES wieder eingezogen worden sind.

Es ist klar, dass die Superintelligenz einen Irrtum begangen haben muss, denn ES gewährte den ZA-Trägern ursprünglich 20 Jahrtausende und nicht nur deren zwei zur Erfüllung ihrer kosmischen Aufgaben. Die Superintelligenz wieder aufzufinden, mit den wahren Fakten zu konfrontieren und dadurch wieder die eigene Lebensspanne zu verlängern ist natürlich allen Betroffenen ein dringendes Anliegen.

Aber alsbald zeigte es sich, dass nicht nur die ehemals Unsterblichen ein vitales Interesse an der Wiederauffindung von ES haben. Die von Saedelaere und seinen Gefährten gemachten Funde beweisen es – denn sie enthalten DAS GEHEIMNIS DER NAKKEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Ernst Ellert, Testare und Alaska Saedelaere – Drei Männer auf Geheimnissuche.

Sato Ambush – Der Pararealist experimentiert.

Nobby Sipebo – Verwalter von Heleios.

Paunaro, Varonzem und Shaarim – Drei Nakken.

1.

 

Ganze acht Tage hatten die Feiern der Pultafer gedauert, und während dieser Zeit war es den drei Männern unmöglich gemacht worden, den Planeten der kleinwüchsigen Menschen zu verlassen. Zaffim und die mit ihm aus dem Paura-Black-Hole geretteten Artgenossen hatten auf dem Fest bestanden und die QUEBRADA regelrecht mit Buden, Bühnen und Tanzflächen so abgeriegelt, dass der Zutritt zum Raumhafen ohne Gewalt nicht durchführbar gewesen war. Es war Alaska Saedelaere, Testare und Ernst Ellert gar nichts anderes übrig geblieben, als gute Miene zu diesem Spiel zu machen und abzuwarten.

Etwas makaber war ihnen die Sache mit den Feiern schon vorgekommen, hatten die Pultafer doch bei dem von Malaudi arrangierten Angriff 160 Frauen und Männer verloren – und nur ganze 40 hatten überlebt. Diese feierten dafür um so ausgelassener. Im Mittelpunkt des bunten und lauten Treibens stand dabei der Pultafer Zaffim, den sie zu ihrem Helden erkoren hatten.

Es entsprach wohl der Mentalität dieser zwergenhaften Nachkommen terranischer Kolonisten des 26. Jahrhunderts der früheren Zeitrechnung, dass sie die Trauer um die verlorenen Schwestern und Brüder verdrängten und der Freude völlig unterordneten.

Endlich, man schrieb den 20. April des Jahres 1170, wurde den drei Männern der Start »erlaubt«. Der Abschied von Pultaf war herzlich und kurz. Zaffim versuchte zum Abschluss noch ein paar Worte des Dankes zu finden, aber seine Zunge war so schwer von den alkoholhaltigen Getränken, die er genossen hatte, dass es bei einem doch ziemlich zusammenhanglosen Gestammel blieb.

Unter dem Jubel der Geretteten hob die QUEBRADA ab und verschwand schon bald im Glanz der orangeroten Sonne Prat am wolkenlosen Himmel von Pultaf.

Für Alaska Saedelaere, Testare und Ernst Ellert war damit ein Kapitel ihrer Suche abgeschlossen. Das Resultat dieser Etappe lag sicher in einem Safe der über 700 Jahre alten QUEBRADA, einem 100-Meter-Kugelraumer, der etwas antiquiert wirkte, aber über einen modernen Autopiloten auf syntronischer Basis verfügte. Dieses Resultat bestand aus dreizehn Splittern eines schweren, milchigweißen Kristalls. Das kleinste Fragment hatte die Abmessungen einer Fingerkuppe, die größte etwa die eines menschlichen Mittelfingers.

Der ehemalige Maskenträger hatte die Steuerung der QUEBRADA übernommen und dem syntronischen Piloten ein Ziel zugewiesen. Der Kurs wies von der Großen Magellanschen Wolke weg, zu der der Stern Prat gehörte, und der Flug ging in Richtung auf das Zentrum der Milchstraße hin. Die Zielkoordinaten wiesen aber einen Ort aus, der noch im Halo und damit fernab der nächsten Sterne und außerhalb der Milchstraße lag.

Sie suchten keinen weiteren Kontakt. Noch nicht. Erst einmal galt es, sich ausgiebig dem Fund zu widmen.

Die Abenteuer im Paura-Black-Hole hatten sie mit Glück und Geschick überstanden. Der Kontakt zu dem eigenbrötlerischen Nakken Udivar war beendet worden. Das kauzige Schneckenwesen war mit seiner terranischen Hauskatze nach Phaddon zurückgekehrt, um seine seltsamen Studien fortzusetzen.

Die drei Männer wurden von verschiedenen Sorgen geplagt. Für Alaska zählte erst einmal, dass er im Oktober des vergangenen Jahres seinen Zellschwingungsaktivator verloren hatte. Richtiger gesagt, er hatte ihn, dem Gebot von ES folgend, auf der Kunstwelt Wanderer abgeliefert. Die Zelldusche, die er dort erhalten hatte, bewirkte zwar, dass sein Alterungsprozess für 62 Jahre angehalten worden war, aber das war kein Trost. Und die Tatsache, dass es Perry Rhodan, Atlan und den anderen Aktivatorträgern ebenso ergangen war, erst recht nicht. Das Rätsel, warum ES die Leben erhaltenden Geräte wirklich zurückgefordert hatte, blieb bestehen.

Eigentlich konnte es sich nur um einen gewaltigen Irrtum handeln, der ES zu dieser Handlungsweise veranlasst hatte. Und diesen Irrtum galt es aufzuklären. Da begann aber schon das Problem, denn ES ließ sich nun einmal nicht so mir nichts, dir nichts erreichen oder ansprechen. Es war erforderlich, die Superintelligenz erst einmal zu finden.

Ernst Ellert und Testare waren zwar keine Aktivatorträger gewesen, aber ihnen drohte ein ähnliches Schicksal. Ihre Bewusstseinsinhalte steckten in zwei fremden Körpern, die aus dem Reservoir der Barkoniden stammten. Und diese Körper alterten.

Das Versprechen Barkons auf der Welt Kembayan hatte sich bis zu diesem Tag noch nicht erfüllt. Die beiden warteten noch immer auf die Zurückerlangung ihrer früheren Fähigkeiten der Körperlosigkeit beziehungsweise der Pedotransferierung. Andererseits konnte dies nur bedeuten, dass sie die Voraussetzung dafür noch nicht erfüllt und die wahren Zeittafeln von Amringhar noch nicht gefunden hatten.

Für alle drei Männer stand es inzwischen fest, dass die Zeittafeln Informationen auch über ES enthalten mussten. Ihre selbst gestellte Aufgabe hatte somit einen weiteren Aspekt erhalten. Es galt nicht nur die Tafeln um ihrer selbst willen zu finden.

Die erfolgreiche Suche konnte auch mit großer Wahrscheinlichkeit zur Lösung der persönlichen Probleme der Lebenserhaltung führen. Das wiederum bezog sich aber auch auf die anderen ehemaligen Aktivatorträger.

Die dreizehn Fragmente, die sie gefunden hatten, hatte der Nakk Udivar mit den Analysegeräten des Dreizack-Schiffs NACHADAM untersucht. Dann hatte er gesagt, dass sie Informationen enthielten. Über seine Analysegeräte und -methoden hatte er sich aber ausgeschwiegen.

Die drei Männer hatten während der letzten Wochen ihre Erfahrungen und Ansichten ausgetauscht. Einem Ereignis kam in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu, und das war der Besuch Ernst Ellerts mit dem Nakken Paunaro im Jahr 1163 im Paura-Black-Hole. Der Nakk hatte dabei den Beweis geliefert, dass dort nicht die wahren Zeittafeln von Amringhar liegen konnten. Gleichzeitig hatte der ehemalige Mutant aber den Eindruck gewonnen, dass Paunaro eine wichtige Entdeckung gemacht hatte. Über diese hatte er jedoch nichts in Erfahrung bringen können. Der Nakk hatte sich, was diesen Punkt betraf, in ablehnendes Schweigen gehüllt.

Letztlich war dies der Grund dafür gewesen, einen erneuten Vorstoß in das Black Hole zu wagen.

Aber die Auswertung der früheren Ereignisse besagte auch noch etwas anderes, und auch darin stimmten die drei Sucher überein. Die jetzt gefundenen Fragmente der Zeittafeln konnten nicht von den echten Zeittafeln stammen, denn diese hatten sich wohl nie im Paura-Black-Hole befunden. So hatte es Paunaro behauptet. Es musste sich um Bruchstücke von Kopien oder so genannten Back-ups handeln. Und Amringhar war nicht identisch mit dem Asteroiden des Schwarzen Loches.

Immerhin – von diesen nun gefundenen Splittern konnten sie sich Hinweise auf die wahren Zeittafeln erhoffen. Und allein das war die weitere Suche und das Analysieren der dreizehn Splitter wert.

Bis zum Erreichen des willkürlich gewählten Haltepunkts im Halo der Milchstraße übernahm der Autopilot die Führung des Schiffes.

Die drei Männer nahmen ein Mahl nach ihrem Geschmack zu sich, denn die Speisen und Getränke der Pultafer, die sie in den vergangenen Tagen hatten »genießen« müssen, hatten ihnen nicht immer zugesagt.

Dann holte Testare die dreizehn Bruchstücke aus dem Safe und breitete sie auf einem Tisch in der Zentrale aus. Kein Splitter glich einem anderen in Größe und Form.

»Fangen wir noch einmal von vorn an«, meinte der Cappin.

Nacheinander nahm er jedes Fragment in die Hand und betrachtete es, während Alaska Saedelaere einen ganz primitiven Hyperfunkempfänger auf Breitbandbasis holte und einschaltete.

Ein heftiges Geknatter erklang aus dem Lautsprecher. Die Frequenzanzeige, die nur grobe Werte von Bändern signalisierte, auf denen etwas empfangen wurde, hüpfte wild umher. Daraus ließ sich nur eins erkennen: Alle Fragmente der Zeittafeln waren starke Strahler sehr hoher Hyperfrequenz.

Testare fügte mehrere Splitter behelfsmäßig aneinander. Bei diesem Versuch zeigte sich, dass einige Splitter ganz offensichtlich gleiche oder passende Bruchflächen aufwiesen. Es handelte sich also wohl nicht um völlig unabhängige Fragmente. Vielmehr entstand der vage Eindruck eines dreidimensionalen Puzzles, von dem allerdings die größte Zahl der Teile fehlte.

Ernst Ellert begann mit dem Aufbau aller zur Verfügung stehenden Laborgeräte in einem Nebenraum der Zentrale. Saedelaere kommunizierte indessen mit der Schiffssyntronik, um auch deren Unterstützung für die vorgesehenen Versuche gewiss zu sein. Aus den früheren Versuchen des genialen Wissenschaftlers Sato Ambush wusste man, wie man den Informationsinhalten der Splitter würde beikommen können.

Die QUEBRADA erreichte schließlich den vorgesehenen Haltepunkt im Halo der Milchstraße. Zu diesem Zeitpunkt waren auch alle Vorbereitungen für die Versuche abgeschlossen. Ein genauer Plan war ausgearbeitet worden, aus dem sich die einzelnen Schritte ablesen ließen.

Mit andächtiger Miene trug Testare die dreizehn Tafelsplitter in den Laborraum. Dann begann die mühselige Kleinarbeit. Es galt, einige zigtausend Versuchsreihen durchzuführen.

Und jede davon bestand aus den Phasen: hyperenergetische Bestrahlung, Anmessen der Veränderungen, Analysieren der Veränderungen, Aufzeichnung der Antwort-Impulsfolgen, Auswerten dieser Impulsfolgen und schließlich deren Dekodierung in verständliche Begriffe ...

 

*

 

Es war genau vier Wochen später, als sich die drei zusammensetzten, um sich gemeinsam zu beraten. Den Männern war längst klar, dass ihre Versuche, den Tafelsplittern Informationen zu entlocken, auf der ganzen Linie gescheitert waren. An ein Aufgeben dachte dennoch niemand.

Testare fasste die dürftigen Ergebnisse der Laboranalysen zusammen.

Sie hatten es mit den Methoden versucht, die Sato Ambush vor Jahren entwickelt hatte. Diese bestanden darin, die Splitter mit verschiedenen hyperenergetischen Impulsfolgen zu bestrahlen. Die erwartete Reaktion darauf war, dass die Fragmente der Zeittafeln mit anderen Impulsfolgen »antworteten«.

Das war in der Tat auch geschehen. Sie hatten unzählige Impulsfolgen gefunden, auf die Reaktionen erfolgt waren. Diese hatten zunächst in Frequenz- und Phasensprüngen bestanden, schließlich aber auch zu klaren Impulsfolgen geführt, die aufgezeichnet werden konnten. Die Variationsmöglichkeiten bei diesen Tests waren enorm groß, aber alles hatte letztlich nichts genützt. Die Frequenz- und Phasensprünge hatten sich in ihrer Bedeutung nicht erklären lassen. Und schlimmer noch: Alle aufgezeichneten Impulsfolgen hatten sich als nicht dekodierbar erwiesen.

Diese Tatsache konnte zweierlei bedeuten. Entweder enthielten die Splitter keine sinnvollen und damit dekodierbaren Informationen. Oder aber der Zugang zu den hier verwendeten Codes war nicht gegeben – aus welchen Gründen auch immer.

Alaska Saedelaere, der vorwiegend mit dem Schiffssyntron die Auswertung der Impulsfolgen betrieben hatte, konnte dazu nur anmerken, dass die aufgezeichneten Informationen denen aus Sato Ambushs Versuchen grundsätzlich ähnelten. Eine weitere Deutung oder gar Analyse war aber nicht möglich. Was dem Wissenschaftler und Pararealisten mit Ellerts Amimotuo gelungen war, versagte bei den Fragmenten aus dem Paura-Black-Hole.

Daran, dass die Splitter Datenträger waren, zweifelten die drei Sucher jedoch nicht. Was ihnen fehlte, war der Schlüssel zum Inhalt.

Ernst Ellert holte etwas weiter aus, als er versuchte, ein vorläufiges Resümee zu ziehen:

»Gehen wir zurück auf das, was Testare und ich über die Zeittafeln von Amringhar wissen. Unser Wissen stammt bekanntlich von Kytoma und bezieht sich auf den Stand der Dinge im Jahr 448.«

»Das ist lange her«, fügte der Cappin hinzu, »aber es ist noch heute von grundlegender Bedeutung.«

»Zu diesem Zeitpunkt existierten die Zeittafeln noch in ihrer ursprünglichen Form. Bei ihnen handelte es sich um unzählige, etwa 20 Meter hohe Kristallsäulen mit einer fünfeckigen Grundfläche. An der Basis hatten diese Kristalle einen Durchmesser von eineinhalb Metern. Nach oben hin verjüngten sie sich zu nadelfeinen Spitzen. Auf diesen Spitzen trug jede Zeittafel einen Abstraktspeicher von der Größe und Form einer Amimotuo. Eigentlich war eine solche Amimotuo ursprünglich nichts weiter als ein Index, ein Inhaltsverzeichnis, der jeweiligen Zeittafel.«

»Gleichwohl konntest du auf ihr private Dateien anlegen«, erinnerte ihn Alaska Saedelaere. »Und wenn ich mich an Satos Worte recht erinnere, sogar die beträchtliche Zahl von 2 hoch 32 Stück.«

»Im Prinzip ist das richtig«, bestätigte Ellert. »Das gilt auch für unseren heutigen Erkenntnisstand, der besagt, dass die Amimotuo, die ich – oder auch Testare – von Kytoma erhalten habe, nur von den unvollständigen Back-ups der wahren Zeittafeln stammt.«

»Kopien müssen keine Fälschungen sein«, ergänzte Testare.

»Wichtig erscheint mir heute eine andere Tatsache«, fuhr Ernst Ellert fort. »Testares Amimotuo wurde ja im Jahr 491 durch die von mir veranlasste Vernichtungsschaltung zerstört. Meine Amimotuo existiert aber noch. Sato Ambush hat damit zuletzt erfolgreich im Jahr 1146 auf Lokvorth experimentiert, als er den entscheidenden Hinweis auf Simed Myrrh fand. Danach hat er zwar weitere Versuche angestellt, diese Experimente aber irgendwann eingestellt, denn der Amimotuo ließen sich keine Informationen mehr entlocken. Das ist der aktuelle Stand, der ›meine‹ Amimotuo betrifft.«

»Womit noch nicht alles gesagt ist«, ergänzte der Cappin, »was heute zählt. Kytoma ließ uns damals wissen, dass die Zeittafeln von Amringhar vom Chronisten von ES erstellt wurden. Und dass sie die Geschichte der Superintelligenz und ihrer Mächtigkeitsballung enthalten. Auch die Vorgeschichte zur Entstehung von ES soll in den Zeittafeln gespeichert sein, ebenso wie die Entstehungsgeschichte der Völker dieser Mächtigkeitsballung oder Daten über wichtige Persönlichkeiten. Die Verbindung zwischen den Zeittafeln und ES selbst ist damit schon ganz hervorstechend. Noch deutlicher wird diese, wenn ich daran erinnere, dass nach Kytomas Aussage auch viele Zeittafeln existieren, auf denen die zukünftigen Aspekte, Spekulationen und Wahrscheinlichkeiten abgespeichert sind. Wer aber dieser Chronist von ES sein soll, darüber gibt es keine Hinweise. Auch die Querionin hat dazu nichts gesagt.«

»Ich vermute«, meinte Ernst Ellert zögernd, »dass es sich um eine Inkarnation von ES handelt oder gehandelt hat.«

»Ich verstehe, was ihr unterstreichen wollt.« Auch Alaska war nachdenklich geworden. »Die Splitter könnten uns zu den wahren Zeittafeln führen. Und die Zeittafeln zu ES.«