Das dankbare Heinzelmännchen

Inhaltsverzeichnis


Zu jener Zeit, als es noch Heinzelmännchen gab, da lebte in Köln am Rhein ein Goldschmied namens Anselm Schmitz, der sich bei seinen Mitbürgern großen Ansehens erfreute, denn er galt als streng rechtlicher Mann, der überdies in seinem Handwerk der geschickteste Meister weit und breit war. Er wohnte auf altererbtem Grund und Boden, und sein Haus mit den spitzen Giebeln und bleigefaßten Fenstern, hinter denen Lavendel und Rosmarin dufteten, blitzte von oben bis unten vor Sauberkeit. Das machte, weil dort Regina, des Meisters einziges Töchterlein, schaltete und waltete, die trotz ihrer Jugend – sie zählte kaum achtzehn Jahre – mit Hilfe der alten, treuen Brigitte alles so hielt, wie es die verstorbene Mutter bei Lebzeiten getan. Was Wunder, daß das Mägdlein des Vaters Augapfel war und alles Gold und Edelgestein, das Meister Anselm zu verarbeiten hatte, ihm nicht so kostbar dünkte als sein einziges Kind, zumal dieses außerdem nicht nur hübsch, sondern vor allem sittsam und bescheiden war.

Eines Tages gab es einige Aufregung in Meister Anselms Hause, denn der Stadtbüttel war gekommen, um ihm im Namen des hohen Rates der guten Stadt Köln sogleich auf das Rathaus zu entbieten.

In der Werkstatt schüttelten beide Gesellen verwundert die Köpfe. Konrad, der kürzlich erst zugewanderte älteste Geselle, lachte hämisch: „Wer weiß, vielleicht wollen sie dem Meister gar an den Kragen; wird auch kein Engel sein.“

[„Schäm’ dich, Konrad,“ fiel Wendelin, der Jüngere, ihm ins Wort, „wüßt’ nicht, aus welcher Ursach’ du von unserem ehrenwerten Meister also reden dürftest; magst vielleicht von dir auf andere schließen.“

Wendelin, der sich nach dieser Antwort eben bückte, um des Meisters Schemel aufzuheben, sah Konrads giftigen Blick nicht; er ging fleißig und geschickt wieder an seine Arbeit, ohne sich weiter um den anderen zu kümmern, der mürrisch dreinschaute und sich nicht beeilte, in seinem Tagewerke weiter zu kommen.

Regina dachte natürlich, während sie das Mittagsmahl bereitete, auch immer wieder nach, was man wohl auf dem Rathause so eilig von dem Vater begehren möchte.

Endlich hörte sie des Vaters Schritte. Sie eilte aus der Küche und stand bald, das rosige Ohr dicht an die Tür der Werkstatt gelegt, und – horchte. Da fühlte sie sich im Augenblick am Kleide gezupft, daß sie sich erschrocken umwandte. Nichts war zu sehen; sie mußte sich geirrt haben. Doch da wisperte es vom dunkeln Treppenwinkel her ganz deutlich:

„Aber, Reginchen,
Neugierig Trinchen, –
Horchst an der Tür? –
Dacht’s nicht von dir!“ –

und dann war’s, als ob ein kleines Etwas wie ein Wirbelwind auf winzigen Holzpantöffelchen, klick-klack, klick-klack, die Treppe hinab über den Flur bis in den Keller hinunter sauste.

Sie eilte hinab.

An der Kellertür rüttelte sie beherzt; die war ordnungsmäßig verschlossen. „Ich muß mir das eingebildet haben; vielleicht war’s auch das böse Gewissen,“ suchte Regina sich das Unbegreifliche zu erklären und begab sich wieder hinauf in die Wohnung, um das Essen anzurichten.

Als Vater und Tochter nach dem Mahle allein waren, erzählte Meister Anselm sogleich, daß man ihn so eilig aufs Rathaus berufen habe, um ihm mitzuteilen, daß der hohe Rat ihm eine große Ehre zugedacht habe. Ein benachbarter kunstsinniger Reichsfürst habe den hohen Rat ersucht, von dem geschicktesten Goldschmied der guten Stadt Köln ihm eine kostbare güldene Kette fertigen zu lassen. Der hohe Rat habe nun einstimmig ihn, den Meister Anselm Schmitz, als den dieser Ehre Würdigsten befunden und ihm heute in aller Form den Wunsch des Fürsten in allen Einzelheiten eröffnet. Natürlich habe er, Meister Anselm, sich hocherfreut bereit erklärt, sein bestes Können daranzusetzen, um seinen fürstlichen Auftraggeber sowohl als auch den hohen Rat zufriedenzustellen. Letzterer, so berichtete der Goldschmied weiter, wolle dem Fürsten ein Ehrengeschenk stiften, und zwar in Gestalt eines kostbaren Gürtelschlosses für seine hohe Gemahlin. Es solle ein Wettbewerb sämtlicher Gesellen stattfinden, und wer von ihnen binnen drei Wochen das schönste Gürtelschloß angefertigt habe, der dürfe eine besondere Auszeichnung erwarten.

Und in der Werkstatt Meister Anselms ward nun gezeichnet, gestrichelt, probiert, gehämmert, geschmiedet, daß es eine Freude war, bis sich endlich die einzelnen Glieder der schweren Goldkette so kunstvoll und eigenartig ineinander zu fügen begannen, wie es bis dahin selbst Meister Anselm noch nicht fertiggebracht hatte.

Wendelin, der nach bestem Können dem Meister dabei zur Hand war, entwarf dazwischen Muster um Muster zu seiner eigenen Preisarbeit, schmiedete und schmiedete; aber so, wie die Sache ihm vorschwebte, wollte sie ihm nie gelingen. Und doch! Wie viele Hoffnungen knüpfte er an einen Erfolg! Schon fünf Tage der gestellten Frist waren um, und noch immer hatte Wendelin das Modell zu einem Gürtelschloß, wie er es sich vorstellte, nicht fertiggebracht. Wie konnte sein Gesellenhammer auch so feine Gebilde der Kunst schaffen wollen.

Wendelin ward ganz traurig. Meister Anselm bemerkte es und sprach abends zu Regina: „Fleißiges Tagewerk schafft durstige Kehlen; hole uns darum heute zu gutem Gelingen vom alten Aßmannshäuserwein herauf. Eine Kanne für mich, eine für Konrad und eine für Wendelin; du weißt schon, Reginchen. Halt, du magst meinetwegen auch dem Wendelin den Schlüssel anvertrauen, er wird den lange nicht gebrauchten Hahn auch besser drehen können, als Weiberhände dies vermögen.“

Wendelin, der dem Meister schon oft beim Weinabziehen und bei allerlei Hantierung im Keller geholfen hatte, stand denn auch nach wenigen Minuten vor dem Faß, das alsbald von seinem kostbaren Inhalt der ersten Kanne spendete, ebenso der zweiten, die er schnell zu den Wartenden hinauftrug.

Nun war er wieder unten, um bescheiden seine Kanne nur zum Teil zu füllen.

Eben drehte er den Hahn zu, als er hinter sich ein eigentümliches Klappern vernahm, so etwa, als ob ein Mäuslein in Holzpantöffelchen angesprungen käme; dazu wisperte es:

„Kluck, kluck, kluck, kluck, kluck
Läuft es in den Krug, –
Hast noch nicht genug!“ –

Wendelin spähte erschrocken bei dem unsicheren Licht der Oellaterne in die Dunkelheit, doch konnte er nichts entdecken.

Doch da war wieder das Klappern – jetzt ganz nah – klick-klack, klick-klack –, und dabei hörte der Ueberraschte nun ganz deutlich ein feines Stimmchen:

„Schlipp-schlapp, schlipp-schlapp,
Schleicht sich heran
Tripp-trapp, tripp-trapp,
Der Heinzelmann,
Klipp-klapp, klipp-klapp,
Auf Klappersohlen,
Gripp-grapp, gripp-grapp,
Sich Wein zu holen.“

Wendelin, obwohl keineswegs furchtsam, erschrak nun doch ein wenig, bekreuzte sich und leuchtete dann schnell hinter sich.

Da, ein ganz, ganz kleines Männlein war’s, mit grauem Hängebart, einem ledernen Wämslein und ebensolchem Käpplein. Die Füßchen steckten in den niedlichsten Holzpantöffelchen, die Wendelin je gesehen, und die kleinen Hände hielten ihm ein silberglänzendes Kännlein entgegen, während der Kleine flehte:

„Von dem Wein
Schenk’ mir ein
Ein paar Schluck –
Kluck, kluck, kluck!“

„Es ist ja mein Eigentum, darum darf ich’s schon gewähren,“ dachte Wendelin und entgegnete freundlich: „Weiß ich auch nicht, wie du hier in den Keller gelangtest, und wer du bist, so geb’ ich dir doch gern, was du erbeten hast. Du hast wohl großen Durst?“

Das Männlein schüttelte den Kopf, hob abermals sein Kännlein hoch und tuschelte:

„Heinzelkönig ist so krank,
Davon ward mir Kunde;
Brauchte guten Wein zum Trank
Gleich in dieser Stunde.
Heinzel-Heinzel-Heinzelmännchen
Wünscht sich darum Wein im Kännchen.“

Ohne Zögern goß Wendelin nun den für ihn bestimmt gewesenen Trank in das blinkende Gefäß, und merkwürdig: so klein dieses aussah, schien es doch, als ob es nie voll würde; denn es schluckte den ganzen Inhalt aus des Gesellen Kanne, daß auch kein Tröpflein für diesen darin blieb.

Heinzelmännchen deutete mit bedauernder Gebärde auf des Spenders Kanne und ermunterte Wendelin:

„Sollst nicht leer ausgahn,
Oeffne schnell den Hahn;“

doch der Angeredete erwiderte: „Ich bin ja nicht krank wie dein König und will meines Meisters Eigentum in Ehren halten; habe auch keinen so großen Durst. Einem Heinzelmann zuliebe litte ich gern welchen, denn, wie du wohl weißt, schätzt man in unserer Stadt dein Völkchen sehr.“

Und weil der Wendelin nun unversehens ins Erzählen gekommen war, so erfuhr der kleine Mann bald alles, alles; selbst das, was niemand ahnen sollte: daß es nämlich sein größter Wunsch sei, einmal um Regina werben zu dürfen. Er habe aber, fuhr er fort, als armer Geselle wenig Aussicht, sein Ziel zu erreichen, und wolle darum mit Fleiß und Eifer vorwärtsstreben.

Das Heinzelmännchen wiegte nachdenklich das Haupt hin und her, zwinkerte dann vertraulich mit den Augen und kicherte:

„Wen, denkst du wohl, ich kürzlich – lauschend – traf?
Regina, sie, die sonst so lieb und brav!
Ich schlich herfür‚ –
Vertrau’s nur dir.“ –

Wendelin aber entgegnete: „Und wenn sie auch gehorcht hätte – Regina Schmitz bleibt doch die beste, tugendhafteste und begehrenswerteste Jungfrau von ganz Köln.“

Das Heinzelmännchen nickte beifällig:

„Auf Wiedersehn und vielen Dank
Für deinen, kluck-kluck, Labetrank. –
Ich kenn’ den Weg hier um die Fässer;
Verrat’ mich nicht, das taugt dir besser;“

und davongeschlüpft war das Heinzelmännchen, ohne daß der Zurückbleibende hätte sagen können, wo es geblieben sei. Nur ganz entfernt glaubte er noch das Klappern der Holzpantöffelchen zu vernehmen.

Konrad ließ es an Sticheleien nicht fehlen, als Wendelin in das Wohngemach trat. „Hast wohl erst alle Fässer durchgekostet und sogar schon deinen Krug auf dem Wege leergetrunken? Scheinst ein Heimlicher zu sein,“ lachte er spöttisch; doch Meister Anselm fuhr dazwischen: „Laß deine spitzen Reden, Konrad; ich wollte, ich hätte mein Lebtag nur solche Gesellen gehabt, wie der Wendelin einer ist.Mir scheint, als wären seine Gedanken nicht bei der Sache.“

„Ihr könnt recht haben, Meister,“ nickte Wendelin zerstreut, „ich glaube, ich habe im Keller schon geträumt.“

„Dann geh’ und schlaf’ aus,“ lachte der Goldschmied, „hast heut zu eifrig geschafft.“

Der folgende Tag war ein Sonntag voll Sonnenschein. Da wanderte der aus der Kirche kommende Wendelin bis hinaus zu seinem Lieblingsplätzchen jenseits der Stadtmauer, wo das Zwitschern der Vögel und das Rauschen der Bäume ihn so traulich begrüßten. Zu seinen Füßen breitete sich der grüngoldige Rheinstrom majestätisch aus. Wendelin blickte, an Regina denkend, hinab, als wolle er bis auf den Grund des Wassers sehen; dann seufzte er: „Könntet ihr Rheinwellen mir doch sagen, wo ich die in eurer Tiefe ruhenden Schätze zu finden vermöchte, von denen alte Sagen künden!“

Da hörte er leise seinen Namen rufen und gewahrte freudig erstaunt das ihm schon so vertraute freundliche Gesicht unter der Zipfelmütze, welches aus einer Mauerspalte hervorlugte.

Wendelin begrüßte das Männchen herzlich, das mit warnend erhobenem Fingerlein mahnte:

„Laß des Rheines Schätze ruhn,
Frommt dir jetzo bess’res Tun.
Gold macht glücklich nicht allein,
Hat oft trügerischen Schein.
Arbeit, Fleiß, Geschicklichkeit
Sind ein Gut, das mehr erfreut,

Das noch mehr als Gold dich ehrt
Und dein Glück gar bald vermehrt.
Obendrein auch bringt es schon
Selbstverdienten goldnen Lohn!“

„Liebes Heinzelmännchen,“ pflichtete Wendelin bei, „du hast recht; mein Wunsch war töricht. Aber ich bin so niedergedrückt, denn meine Geschicklichkeit will jetzt nimmer ausreichen, die Vorbilder auszuführen, die ich in Gedanken vor mir sehe!“

Heinzelmännchen blickte so freundlich, daß Wendelin zu fragen wagte: „Aber sage mir, wie kamst du, liebes Heinzelmännchen, am hellen Tage hierher an das Stadttor?“

Kichernd verschwand der Kleine plötzlich im Geröll, um gleich darauf an einer andern Stelle auftauchend, zu antworten:

„Heinzelmann hat allerorten
Wohl bei Tag und auch bei Nacht
Seine Fensterlein und Pforten,
Wo er heimlich lauscht und wacht:
Sieht dann, wo die Menschen bleiben,
Was sie tun und was sie treiben. –“

„Demnach ist euer Reich wohl sehr groß?“

„Heinzelreich ist nimmer klein,
Reicht tief drunten bis zum Rhein,
Wo im Grund die Nixen wohnen
Bei versunk’nen Königskronen.“

Ganz leise flüsterte er weiter:

„Heute, wenn zur Mitternacht
Alles schläft im Goldschmiedhaus,
Nur noch wachen Ratt’ und Maus:
Schleiche dann zum Keller sacht.“

„Wie sollt’ ich da hinunterkommen?“ wandte Wendelin ein. „Regina hält ihn stets verschlossen.“

Da raunte Heinzelmännchen:

„Heinzel-Heinzel-Heinzelmann
Alle Türen öffnen kann –“

und war verschwunden, ehe Wendelin noch etwas entgegnen konnte.

Pünktlich um Mitternacht schlich Wendelin vorsichtig, damit der nebenan schnarchende Konrad nicht erwache, aus seinem Kämmerlein die Bodentreppe hinab, bis er endlich voll Erwartung vor der Kellertür stand.

Plötzlich sprang die schwere Tür lautlos auf; da stand Heinzelmännchen mit einem winzigen Grubenlichtchen vor ihm und leuchtete kichernd in Wendelins Antlitz.

„Bist wohl gar erschrocken,
Weil ich komm’ auf Socken?“

Wendelin nickte lachend, während das Männlein tuschelte:

„Klipper-klapper-Heinzelschuh’
Stören leicht der Schläfer Ruh.“

Geräuschlos schloß sich die Kellertür, indessen die beiden hinabstiegen. Zu fragen wagte der Jüngling nichts; sein Herz pochte vor Erregung und Erwartung, als Heinzelmännchen an der dicken Mauer ein Hämmerlein aus seinem Wämschen zog und dreimal leise an die Wand pochend sagte:

„Felsblock in der Mauer weiche, –
Zeig’ den Weg zum Heinzelreiche!“

Und wirklich! ein Knirschen ward hörbar, dann drehte der Quaderstein sich so gehorsam, als wäre er eine gut geölte Tür, daß eine in die Tiefe führende Felsentreppe sichtbar wurde.

Einen Augenblick zögerte Wendelin, dem voraneilenden und ihm winkenden Männchen zu folgen, doch dann stieg er unentwegt mit hinab. Die Felsentür hatte sich längst hinter ihnen geschlossen. Bald nach rechts, bald nach links, bald breit, bald

eng wand sich die Treppe abwärts, bis sie hart vor einer Felswand plötzlich ein Ende hatte. Nach drei Hammerschlägen öffnete sich auch diese, und Wendelin ward von seinem kleinen Führer in einen großen Raum gezogen, vor dessen blendender Helle er einige Augenblicke die Augen schließen mußte. Als er sie wieder öffnete, sah er sich in einem hochgewölbten Felsensaal mit wunderbar schimmernden Säulen. Hunderte von Grubenlichtern und Tausende der schönsten, feingeschliffenen Edelsteine hingen an langen Goldketten von der Decke und den Säulen frei herab. Sie spiegelten sich in den mannigfachsten Farben in den wie Kristall schimmernden hohen Wänden und verbreiteten dadurch strahlenden Glanz, als ob die schönsten Sterne direkt vom Himmel in diese Tiefen hinabgesunken seien.

Als Wendelin, sprachlos vor Entzücken, weiter um sich schaute, sah er rings an den leuchtenden Wänden winzige Stühlchen aus Silber stehen, und auf erhöhtem Platz entdeckte der Ueberraschte eines von purem Golde, das von rotseidenem Baldachin überdeckt war. Er wollte eben eine Frage tun, als Heinzelmännchen flüsterte:

„Bleib’ nur stehn,
Wirst schon sehn.“

Da nahten plötzlich Hunderte solcher Männlein wie sein kleiner Gönner, jedes ein Grubenlichtchen und ein Hämmerchen am Wämschen tragend. Fröhlich sangen sie:

„In felsigen Gründen
Voll Zacken und Schründen
Wir hackten und schliffen,
Wir schürften und griffen.
Für jetzt ist beendet das saure Werk,
Drum freut sich des Ausruh’ns der Heinzelzwerg.“

Da kam von der anderen Seite ein ähnlicher Zug winziger Männlein, die ebenfalls sangen:

„Bei Menschen wir nähten –
Und halfen und spähten,
Wir spannen und stickten –
Und brauten und flickten;
Ja, halfen den Menschen an allen Enden
Mit flinken, geschicktesten Heinzelhänden.“

Kaum waren die letzten Worte verklungen, als abermals von einer anderen Seite her eine Schar des kleinen Völkchens herangesprungen kam, die kichernd sich also vernehmen ließ:

„Wir waren bei Menschen,
Die Hilfe nicht wert,
Und machten zum Schabernack alles verkehrt:
Wir stahlen und neckten,
Verwirrten, versteckten,
Zerbrachen, verstopften,
Zerstachen und klopften.
Denn das sind von alters her stets wir gewohnt:
Daß Böses bestraft wird, doch Gutes belohnt!“

Sie kicherten und tuschelten miteinander, als sie den schier gänzlich verwirrten Gesellen in ihrer Nähe erblickten; doch schienen sie ihm wohlgesinnt, denn sie klatschten vergnüglich in die Hände und setzten sich behaglich auf ihre Stühlchen.

Plötzlich sprangen sie wie auf Kommando auf, in strammer Haltung stehen bleibend, denn es nahte der König der Heinzelmänner.

Mit großer Würde schritt er daher, ein goldenes Krönlein im weißen Haar und angetan mit samtenem, ganz mit Edelsteinen besetztem Mantel, dessen Schleppe drei Heinzelmännlein trugen. Dann folgten sechs Heinzelmänner, sie halfen dem König auf seinen Thron und setzten sich auf sechs Stühlchen ihm zur Seite, während die drei Schleppenträger sich auf den Stufen zu Füßen des Königs niederließen.

Des Königs Blicke glitten prüfend über die Versammlung, um sogleich auf Wendelin und seinem Führer haften zu bleiben. Lebhaft winkte er den beiden, und wohl oder übel mußte der Jüngling nun dieser Aufforderung folgen. Die Verlegenheit Wendelins schien dem Könige nicht zu mißfallen, vielmehr schaute die kleine Majestät wohlwollend zu dem Eindringling auf, als dessen Gefährte eifrig erklärte:

„Habe hier den Menschen funden,
Dessen Wein dich ließ gesunden.
Fand ihn wert, ihn dir zu zeigen,
Ließ hinab ihn darum steigen.“

Da nickte der König beifällig, erhob seinen langen goldenen Stab, zum Zeichen, daß niemand gegen seinen Befehl Einspruch erheben dürfe, und antwortete würdevoll:

„Führe ihn zum Dank sogleich
Weiter durch das Heinzelreich
Bis zur dunklen Felsenkammer;
Schenke dort ihm einen Hammer.
Laß des Goldes Funken sprüh’n,
Unterweis’ zum Danke ihn
– Zum Beweise unsrer Gunst –
In der höchsten Goldschmiedkunst.
Zeig’ mit bestem Gold der Berge
Ihm die Kunst der Heinzelzwerge.“

Wendelin stammelte wie im Traume einige Dankesworte, und Heinzelmännchen führte seinen Schutzbefohlenen aus dem Felsensaal durch mehrere kleinere, aber ebenso prächtige Räume, in denen überall ähnliche Silberstühlchen standen.

Nun waren sie in der Felsenkammer, in der alle Geräte zu finden waren, die ein Goldschmied zu seiner Kunst gebrauchte.

Hei, wie behende das Männchen da herumhantierte, um alles zum Werke vorzubereiten: Hämmerlein, Feilen, Punzen, Stichel und dergleichen auszuwählen und das Feuer unter dem Tiegel zu schüren, damit der Goldbrei wohlgerate. Hierbei gab der Kleine manchen Rat zu geschickter Arbeit und sagte dann:

„Golderz liegt in Erdentiefen,
Wo einst Feuergeister schliefen;
Traf ihr Odem Felsenquadern,
Ward er gleich zu Goldesadern,
Die der Zwerg in Nacht und Dämmern
Sucht – poch, poch – mit flinken Hämmern.
Schürft pick, pick:
Goldesklumpen
Wie ein Humpen
Schwer und dick.“

Mit Erstaunen sah der Gesell, wie der Kleine bei den letzten Worten wirklich einen Goldklumpen aus einer Felsenspalte holte, den er vor den Jüngling hinlegte, indem er sprach:

„Wählte, Knabe,
Diese Gabe
Mit Bedacht.
Gibt zum Glück
Meisterstück –
Drum hab’ acht!“

Und nun ging’s an die Arbeit. Potztausend, war das ein Vergnügen, dem flinken Heinzelmännchen zuzuschauen und seinen Anweisungen zu folgen!

Obgleich Meister Anselm der tüchtigste Goldschmied weit und breit war, so konnten seine Leistungen mit denen des Heinzelzwerges doch nicht verglichen werden, das wurde dem Zuschauenden und begierig Lernenden sogleich klar, als der kleine Lehrmeister ihn nun unterrichtete.

Aber was für wunderfeine Hämmerlein waren das auch. Wendelins Augen blitzten, und seine Wangen glühten vor Eifer; und zufrieden nickend sah Heinzelmännlein, wie geschickt der junge Gesell alles angriff. Das begonnene Gürtelschloß, das Wendelin, bevor er in den Keller gestiegen war, zu sich gesteckt hatte, erschien ihm nun plump, wenn er es mit den kunstvollen Arbeiten der Zwerge verglich, und er war seinem neuen Lehrmeister für jeden Tadel dankbar.

Aber wie glücklich war er nun erst, als der Kleine ihm den besten Hammer, dazu Feilen und anderes Handwerkszeug schenkte. Dabei sprach er:

„Schmied, Geselle, poch, poch, poch!
Laß den Hammer klingen,
Fleiß’ge Hände doch, doch, doch
Dir den Preis erringen!“

Der Goldbrei zischte, und der Hammer pochte mit Wendelins erwartungsvollem Herzen um die Wette, als nun das neue Gürtelschloß entstand, das dem seinen glich und doch so ganz, ganz anders erschien, gerade so, wie es seinen Gedanken vorgeschwebt hatte. Aber er lernte.

Wie lange der Geselle hier unten geweilt, wußte er nicht, ihm schienen es Minuten; doch endlich erklärte Heinzelmännchen, daß es Zeit sei zum Aufbruch. Als er des Eifrigen Bedauern bemerkte, tröstete er:

„Darfst noch zweimal wiederkommen, –
Zweimal um die Mitternacht, –
Dann ist Lehrzeit wohl vollbracht.“

Ehe Wendelin noch wußte, wie ihm geschah, fühlte er sich mit fortgezogen und stand bald auf der obersten Kellerstufe, wo sein kleiner Führer, ehe er die Tür schloß, noch flüsterte:

„Mitternacht darfst nicht verpassen,
Will dich wieder ein dann lassen.“

Fort war er, indessen Wendelin im fahlen Dämmerschein des erwachenden Tages in sein Kämmerlein tappte, um bald darauf in tiefem Schlaf sich für den kommenden Arbeitstag neue Kräfte zu holen. Zur gewohnten Zeit aufstehend, hätte Wendelin glauben können, alles geträumt zu haben, wenn ihn die in seinem Wams verborgenen Arbeitsgeräte nicht eines besseren belehrt hätten.

In der folgenden Mitternacht ging es so wie in der ersten, nur mit dem Unterschied, daß der Gesell diesmal noch um ein gut Teil geschickter im Morgengrauen sein Lager aufsuchte; denn das Heinzelmännchen hatte ihm wieder neue Handgriffe gezeigt und ihn nicht nur am Gürtelschloß, sondern auch an einer kunstvollen Kette arbeiten lassen, damit der Heinzelkönig, für den diese bestimmt war, sehen möchte, daß er sein Gunst keinem Unwürdigen zugewandt habe.

Endlos schien dem Gesellen der Tag vor der dritten Mitternacht, obwohl ihm die Arbeit nur so von den Händen flog und Meister Anselm seine stille Freude an dem geschickten Gehilfen hatte, der ihm schon als Lehrling wert gewesen war.

Um so mehr verdroß ihn nur Konrads mürrisches Wesen und des jungen Gesellen wenig gute Arbeit. Selbst bei seiner Preisarbeit, zu der auch ihm Meister Anselm bereitwillig das Gold gegeben hatte, zeigte er sich lässig, denn sein Gürtelschloß, das er allerdings niemand zeigte, machte in seiner Fertigstellung wenig Fortschritte, obwohl er den Tag über in unbewachten Stunden heimlich daran arbeitete. Aucher wollte den Preis erringen, um dann um Regina werben zu können. Doch war ihm diese nicht etwa um ihrer guten Eigenschaften teuer wie dem Wendelin, nein – er sah in ihr nur das wohlhabende Meistertöchterlein und glaubte ein sorgenloses Plätzchen im Leben gewinnen zu können. Dem Wendelin, dessen Wünsche er ahnte, wollte er schon den „süßen Brei seiner Hoffnung“ gehörig versalzen, dachte er hämisch.

Am Abend dieses Tages, da Wendelin sich schon in unruhiger Erwartung der dritten Mitternacht befand, äußerte Meister Anselm wiederum den Wunsch, mit seinen Gesellen einen guten Trunk zu tun. Wendelin erklärte sich sogleich bereit, den Wein zu holen, doch Konrad, der guten Wein gern trank und einen heimlichen Extraschluck für sich erhoffte, sprach eifrig: „Laßt heute einmal mir das Vertrauen zuteil werden, Meister, daß ich Euch Wein holen darf.“

„Meinetwegen,“ brummte Meister Anselm, „füll’ uns auch drei Krüge, doch diesmal nur vom vorigen Jahrgang Geisenheimer, gleich das erste Faß vornan; du kannst nicht fehlen.“