Die Drei Fragezeichen
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und der letzte Song

erzählt von Ben Nevis

Kosmos

Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage

der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

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© 2015, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

Based on characters by Robert Arthur

ISBN 978-3-440-14734-4

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Einladung auf Moonlight Star

Ein Wagen fuhr auf den Hof. Die kleinen Steine, die unter die Räder des Autos gerieten, knirschten verlockend auf dem festen und staubigen Untergrund. Justus Jonas liebte dieses Geräusch. Jemand traf ein, und damit würde etwas geschehen. Im langweiligsten Fall konnte es ein Kunde sein, der auf Titus Jonas’ Schrottplatz nach einem belanglosen Gegenstand suchte wie nach einer Steckdose oder einem bemalten Blumentopf. Wenn er fündig geworden war, hatte Justus zu erklären, warum dieses Stück soundso viel Dollar kostete und nicht sehr viel weniger. Oder der Besucher entpuppte sich als ein Verkäufer, der eine alte Stehlampe loswerden wollte oder ein nicht mehr vollständiges Essgeschirr. Diesem Anbieter wiederum musste Justus verständlich machen, warum das angebotene Objekt nur soundso viel wert war und nicht sehr viel mehr. Denn von der Differenz zwischen beiden Preisen lebte der Trödelmarkt, sprich davon lebten Titus Jonas, seine Frau Mathilda und auch Justus selbst, der nach dem Tod seiner Eltern vor vielen Jahren von seinem Onkel und seiner Tante aufgenommen worden war.

Aber manchmal gab es eben auch die anderen Besucher, die geheimnisvollen, die etwas sehr Ungewöhnliches anboten oder suchten. Und mit ein wenig Glück wurde sogar ein neuer Fall für die drei ??? daraus.

Darauf hoffte Justus auch heute. Zusammen mit Onkel Titus, Peter und Bob war er gerade dabei, einen alten Bootsmotor zu zerlegen, der ihnen einige Probleme bereitete.

Jetzt legte der Erste Detektiv den Schraubenzieher zur Seite und hob erwartungsvoll den Kopf. Ein geländegängiger Pick-up parkte neben dem Tor ein. Ein großer, kräftiger Mann stieg aus. Er trug ein kariertes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln und eine verwaschene Jeans. Seine langen grauen Haare fielen fast bis zum Hintern herab. Der Besucher schlug die Fahrertür zu, öffnete die hintere Tür des Autos und nahm ein großes Päckchen vom Rücksitz. Dann ließ er auch diese Tür zufallen, drehte sich um und schritt auf die Gruppe am Bootsmotor zu.

Der Erste Detektiv hatte Witterung aufgenommen. Der Mann musste um die sechzig sein, schätzte Justus und kramte in seinem Gedächtnis: Irgendwie kam er ihm bekannt vor!

Nun richtete sich auch Onkel Titus auf. »Lenny«, rief er und wischte seine Hände an einem Putztuch ab. »Lenny! Du in meinem bescheidenen Reich?«

»Na, wenn du mich nicht besuchen kommst, Jonas – dann muss ich mich eben den Canyon runterquälen!« Der Mann lachte dröhnend. Seine tiefe Stimme schien ganz Rocky Beach zu füllen.

Onkel Titus warf das Tuch zur Seite, ging auf den Besucher zu und begrüßte ihn herzlich.

»Lenny The Rock«, sagte Bob zu seinen beiden Freunden, »ich glaub es nicht!«

»Der Lenny The Rock?« Peter war wie elektrisiert.

»Der Lenny The Rock!«, bestätigte Bob. »Seit Jahrzehnten im Geschäft, über dreißig Alben, meist zusammen mit seinen Kumpels von Moonlight Star. Hits wie Sweet Heart of San José oder Hey Ho My Joe werden seit Jahren im Radio rauf und runter gespielt. Einer der ganz Großen. Ich wusste gar nicht, dass dein Onkel ihn kennt, Justus!«

»Onkel Titus kauft hin und wieder was bei ihm ein«, erklärte der Erste Detektiv. »Alte Möbel, ausrangierte Musikinstrumente. Als ich klein war, durfte ich ab und zu mit!«

»Hast du nie erzählt!«, beschwerte sich Bob.

»Berühmtheiten sind mir ziemlich egal«, meinte Justus betont gleichgültig. »Und außerdem bin ich in Sachen Rockmusik nicht allzu bewandert. Ich wäre lieber mal bei Mozart oder Bach zu Hause gewesen.«

»Zu seiner Zeit war Mozart auch so etwas wie ein Popstar«, erwiderte Bob.

Inzwischen hatten Lenny und Onkel Titus das Begrüßungsritual abgeschlossen und kamen auf die drei ??? zu. Das Päckchen aus dem Auto hatte sich Lenny unter den Arm geklemmt.

Bevor sie aber ins Gespräch kommen konnten, knirschte wieder der steinige Sand. Ein weiterer Wagen war auf den Hof gefahren.

Ausgerechnet jetzt, dachte Justus, wo es gerade interessant wird. Ihn ließ das Gefühl nicht los, dass Lenny zur dritten Kategorie der Besucher zählte, der spannenden. Eine alte Deckenlampe suchte der bestimmt nicht.

Aus den Augenwinkeln nahm Justus wahr, dass es ein großer, heller Van war, der nun neben Lennys Auto einparkte und den Wagen des Rockstars fast verdeckte. Eine Tür ging, ein Mann stieg aus, stand zunächst etwas unschlüssig herum und schritt dann auf eine Bücherkiste zu, die am Boden vor einem grünlich vermoosten Surfbrett stand. Er bückte sich und begann, in dem Kasten zu wühlen.

Vorerst braucht der keine Beratung, beschloss Justus.

»Du bist doch … Justus!«, dröhnte Lenny, als Onkel Titus und er sich vor den drei ??? aufgebaut hatten. Sein braun gebranntes, gegerbtes Gesicht strahlte eine ungemeine Ruhe aus. Zielsicher zeigte Lennys dicker Finger auf den Ersten Detektiv. »Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, bist du über deine Füße gestolpert und hast dich fast auf meine Fender-Gitarre gelegt! Ich konnte sie gerade noch retten. Die Nummer vergesse ich dir nie!« Er lachte herzhaft und klopfte Justus kräftig auf die Schulter. »Stimmt es, dass du inzwischen Detektiv geworden bist?«

»Zusammen mit meinen Freunden Peter und Bob hier«, sagte Justus, griff in seine Hosentasche und zeigte dem Mann ihre Visitenkarte. »Wir nennen uns Die drei ???.«

»Hi!«, sagte Peter. Vor Aufregung bekam er nicht mehr heraus.

»Hi, Lenny.« Auch Bobs Stimme klang etwas trocken.

»Ich habe von euch immer wieder in der Zeitung gelesen«, sagte Lenny und warf den drei Jungs aus seinen klaren blauen Augen einen bewundernden Blick zu. »Wenn ich kein Musiker geworden wäre, dann vielleicht auch ein Detektiv? Interessanter Job! Wer weiß, vielleicht mache ich das irgendwann noch mal: einen Fall lösen und direkt in das Leben eingreifen! Als Musiker singst du einfach nur drüber.« Er zwinkerte ihnen zu und Bob sagte: »Je nachdem, wie man es sieht!«

Lennys Augen blieben an ihm hängen. »Über diese Frage kann man lange streiten, wem sagst du das! Aber dich kenne ich doch auch woandersher … Über Sax Sandler, stimmt’s?«

Sax Sandler leitete eine Musikagentur, für die Bob ab und zu arbeitete.

Bob nickte. »Sehr gut möglich.«

»War mal befreundet mit dem alten Sax«, sagte Lenny und senkte seine Stimme. »Guter Typ, leider versteht er nicht jeden Spaß. Aber lass uns zur Sache kommen, Titus.« Er klopfte auf das Päckchen.

»Gehen wir doch auf die Veranda«, schlug Onkel Titus vor. »Hast du noch Zeit auf eine Tasse Kaffee?«

»Kaffee von deiner Frau? Aber immer!«, sagte Lenny.

Wenige Augenblicke später saßen sie in der Sonne auf der Veranda, genossen den Kaffee und dazu Tante Mathildas berühmten Kirschkuchen.

»In Ihrem Hause sollte ich öfter einkehren«, sagte Lenny, zwängte sich aus seinem Stuhl und verneigte sich vor Tante Mathilda, die sich gerade zu ihnen an den Tisch gesellen wollte. »Ihr Kuchen ist wirklich vom Feinsten!« Dann ließ er sich wieder in den Campingstuhl fallen. Justus befürchtete schon, dieser würde Lennys Gewicht nicht aushalten, doch die Riemen der Sitzfläche knackten nur leicht.

Tante Mathilda hob an, etwas zu sagen. »Lenny … ich … es … ach, mir ist das peinlich!«

»Nur raus damit, Mathy!«, röhrte Lenny.

Mathy. Amüsiert sahen sich die drei ??? an.

»Meine Freundinnen«, stotterte »Mathy« Mathilda, »die … also … könnte ich ein … Foto … zusammen …«

Lenny lachte. »Nichts leichter als das! Kommen Sie doch zu mir rüber! Im Hintergrund der fantastische Trödelmarkt und davor Mathy, das blühende Leben!«

Tante Mathilda errötete leicht und setzte sich neben Lenny. Er legte den Arm um sie und sah zu den drei ???. »Hat einer von euch ein Handy dabei?«

Justus sprang auf. »Ich hole schnell meine Kamera! Deren Qualität ist viel besser.«

Einen Moment später war der Erste Detektiv zurück und schoss sicherheitshalber drei Bilder. Lennys Haare wehten stimmungsvoll im Abendwind. Auch Onkel Titus wollte plötzlich ein Bild und der Musiker ließ die Prozedur amüsiert über sich ergehen.

Anschließend wies er auf das Päckchen, das er auf einen freien Stuhl gelegt hatte. »Weswegen ich hier bin, Titus. Da sind ein paar Sachen drin, die ich aussortiert habe. Noten, Songtexte und so. Auch ein paar Originale. Überwiegend Zeug, das ich mal geschenkt bekommen habe. Kannst du es für mich prüfen und mir sagen, was es wert sein könnte? Den Erlös möchte ich nämlich der Schule im Canyon spenden.«

»Klar«, sagte Onkel Titus geehrt. »Ich kenne mich ganz gut mit Musik aus und Bob kann mir bestimmt dabei helfen!«

Lenny sah Bob an. »Ja, das wäre wichtig, wenn du einen genauen Blick draufwerfen würdest«, sagte er langsam. »Und deine beiden Freunde auch. Ihr scheint ja mit allen Wassern gewaschen zu sein, wenn das stimmt, was man von euch liest!«

Justus lächelte und sah auf den Hof, den eine weitere Kundin betreten hatte. Sie blickte sich Hilfe suchend um und schien im Begriff, näher zu kommen. Der Mann an der Bücherkiste erhob sich gerade, winkte jetzt herüber, als wollte er ›Danke, leider nichts gefunden‹ sagen, und ging zurück zu seinem Wagen. Kurz darauf parkte er aus und fuhr davon. Mit halbem Auge sah Justus dem Van nach. Hatte er sich getäuscht oder saß da auch eine Person auf dem Beifahrersitz?

Die neue Kundin steuerte derweil direkt auf die Veranda zu. »Ich suche eine Trockenhaube«, sagte sie schrill, »haben Sie so was?«

Tante Mathilda stand auf. »Ich kümmere mich um die Dame«, sagte sie leise zu Onkel Titus. Dann rief sie laut: »Aber natürlich! In Titus Jonas’ Gebrauchtwarencenter finden Sie so gut wie alles!« Energisch stapfte sie die Stufen zur Veranda hinunter. »Leider«, fügte sie mit einem Seitenblick auf ihren Mann hinzu.

Lenny grinste. »Und nun kommt auch noch meine Sammlung dazu! Zumindest vorübergehend. Aber das ist nicht alles, weswegen ich hier bin«, sagte er. »Morgen feiere ich meinen Geburtstag! Ich werde 65. Tja, so sieht’s leider inzwischen aus!«

»Ach, Lenny«, warf Onkel Titus trocken ein, »Rost schläft doch nie!«

Lenny lachte. »Gut geantwortet, Titus! Ja, ich bin noch topfit und an die Himmelspforte klopfe ich noch lange nicht! – Die Party steigt zu Hause bei mir, auf Moonlight Star. Gegen acht Uhr geht’s los! Zusammen mit meinen Jungs aus der Band werde ich ein kleines Konzert geben. Nur für Musiker, Freunde und Nachbarn, dazu ein paar Ehrengäste. So vierzig, fünfzig Leute werden da sein und wir lassen es krachen, das kann ich dir sagen! Es wäre mir eine große Freude und Ehre, wenn du kommen würdest, Titus! Mit deiner Frau natürlich!« Er warf einen Blick auf die drei ???. »Und die Jungs kannst du auch sehr gerne mitbringen! Solange Justus nicht auf meine Gitarre fällt …«, fügte er grinsend hinzu.

»Danke!«, sagte Onkel Titus. »Ich weiß nicht, ob …«

Die drei ??? räusperten sich vernehmlich.

»… ich das annehmen kann«, vollendete Onkel Titus seinen Satz.

»Kannst du, alter Junge«, sagte Lenny dröhnend. »Und besorgt euch sicherheitshalber ein paar Ohrstöpsel! Es wird laut, das verspreche ich euch! Und eine kleine Überraschung gibt es auch!«

»Eine Überraschung?«, merkte Justus auf. Er wollte nachfragen, doch Onkel Titus sagte bereits: »Ich freue mich riesig, Lenny! Einladung angenommen!«

»Na, dann bis morgen! Und eine Bitte: Verkauf noch nichts aus dem Päckchen! Bewertet es und …«, Lenny sah Onkel Titus an, dann die drei ???, »… hebt es erst einmal nur für mich auf, ja? Nur aufheben!«

»Du kannst dich auf uns verlassen«, sagte Titus Jonas.

Justus nickte und zupfte an seiner Unterlippe. Bewerten. Aufheben. Soso. Steckte möglicherweise noch ein weiteres Ansinnen hinter dieser »Leihgabe«?

Das Päckchen

Kurz darauf war Lenny in sein Auto gestiegen und davongefahren. Moonlight Star, das Haus, in dem der Musiker wohnte, gehörte zu einer versteckt gelegenen kleinen Ansammlung von Häusern hoch oben in den Red Wood Hills. Lenny hatte sie über die Jahre hinweg Stück für Stück zusammengekauft. Wie Bob wusste, lebten auch der Gitarrist Ron und der Bassist Morning-Joe mit ihren Familien dort.

Zusammen mit Keith, dem Drummer, der eine kleine Hazienda oberhalb von Malibu besaß, bildeten sie die Band Moonlight Star. Nach ihr hatte Lenny das Anwesen benannt. Er lebte dort mit seiner Frau Sue Tamara, mit der er seit zehn Jahren in zweiter Ehe verheiratet war.

»Wie alt diese Sue wohl ist?«, wollte Peter wissen, nachdem er Bobs Ausführungen eine Zeit lang zugehört hatte. »Bestimmt gerade mal sechsundzwanzig!«

Die drei ??? saßen mit dem noch ungeöffneten Paket in ihrer Zentrale, dem zum Detektivbüro umgebauten alten Campingwagen, der sich – für fremde Augen versteckt unter allerhand Schrott – ebenfalls auf dem Trödelmarkt befand.

»Sue Tamara ist etwa fünfzehn Jahre jünger als Lenny«, erklärte Bob.

»Kinder?«, wollte Justus wissen.

Bob schüttelte den Kopf und schnaufte. »Sagt mal, ich bin doch kein Melderegister! Offiziell hat er keine, soweit ich weiß. Aber bei so einem Rockerleben? Der Mann ist ganz schön rumgekommen! Vielleicht drei? Zehn? Oder sogar hundert? – Warte.« Bob setzte sich an den Computer und suchte eine Seite mit Informationen zu Lenny The Rock. »Meine Güte, das sind ja Absätze über Absätze …«, sagte er. »Haufenweise Auszeichnungen, Hits … keine Kinder. Was wollt ihr sonst wissen? Lenny The Rock ist bekannt für seine sozialkritischen Songs, für seine Liebeslieder und für ›immer wieder kaum zu deutende Songtexte gespickt mit kraftvollen sprachlichen Bildern, über die sich seit Jahren die Experten den Kopf zerbrechen‹. Da habt ihr’s. Und die Polizei scheint Lenny nicht besonders zu mögen: Gleich in ein paar Songs kritisiert er die überharten Einsätze gegen Schwarze in L. A. Soll ich noch mehr erzählen?«

»Eine Mitteilung geht gerade noch in mein Hirn«, sagte Peter grinsend.

»Okay. Warte. Ja, das ist nett: Ab und zu ist er auch für Streiche und Scherze gut. Einmal hat die Band ein Konzert komplett hinter Silikonmasken mit Lennys Konterfei angefangen. Alle Musiker sahen gleich aus, und keiner wusste mehr, wer wer ist. Das Intro war ein Instrumental und nachher kam raus, dass Lenny an den Drums saß und der Bassist Gitarre gespielt hat, und keiner hat’s gemerkt!«

Justus lachte. Gleichzeitig spürte er das ihm sehr bekannte Kribbeln im Bauch, wenn sich ein Geheimnis näherte. »Danke für die Ausführungen, Bob«, sagte er. »Lasst uns jetzt in das Paket reinschauen! Was Lenny wohl mit dieser Überraschung gemeint hat, die er auf seinem Fest präsentieren will?«

»Du machst dir schon wieder viel zu viele Gedanken«, sagte Bob. »Wahrscheinlich tritt er mit irgendeinem anderen Star auf oder mit seiner Frau. Das sind die üblichen Highlights auf solchen Partys!«

»Ich hoffe, es wird was Spannenderes!«, warf Peter ein. »Lennys Musik ist nicht so meine Sache. Das Zeug ist mir zu altmodisch!«

Damit geriet er bei Bob an den Falschen. Es gab fast keine Musik, die Bob nicht hörte, Rock, Heavy Metal, Hip-Hop, Rap, Reggae, Weltmusik, sogar Jazz. Nur bei Klassik kannte er sich nicht gut aus. »Unterschätze Lenny nicht!«, sagte Bob. »Letztens hat er sogar eine Aufnahme mit den Black Prints aus Seattle gemacht, und die sind ja wohl genau deine Preislage!«

»Die und er?«, fragte Peter erstaunt. Die Black Prints waren aktuell eine seiner Lieblingsbands.

»Ich sag ja, den packst du so schnell in keine Schublade!«

Inzwischen hatte Bob die Kordel entfernt, mit der das Paket zugeschnürt war. Vorsichtig löste er noch einen Klebestreifen und faltete das Packpapier auseinander.

Zum Vorschein kamen diverse Auszeichnungen, darunter viele in durchsichtigem Plastik versiegelte CDs, allerlei Figuren und Gegenstände, die sich als Andenken an Konzerte oder kleinere Festivals entpuppten, und zu guter Letzt ein Stapel Papiere.

Gedankenvoll strich Justus mit seinen Händen darüber.

»Du suchst doch schon wieder ein Geheimnis, Justus, stimmt’s?«, fragte Bob. »Ein Geheimnis und einen neuen Fall! Und was ist, wenn es ausnahmsweise kein Rätsel gibt?«

Justus schwieg.

Bob schüttelte den Kopf, nahm sich die Papiere und blätterte sie durch. »Songtexte, Varianten von Liedern – das Zeug könnte ganz schön was an Geld bringen! Aber wir sind wohl kaum die Richtigen, um das zu vermarkten. Dazu braucht man Versteigerungsagenturen, am besten welche, die auf Musik spezialisiert sind.«

»Vielleicht wollte Lenny erst mal ein unabhängiges Urteil hören«, sagte Peter.

»Onkel Titus hat uns gebeten, jede Position zu erfassen«, unterbrach Justus sie. »Schließlich sollen wir umfassend Auskunft geben. Ich erkläre mich freiwillig bereit, alles aufzuschreiben, wenn ihr es mir Teil für Teil ansagt.«

»Wenn du willst …« Bob reichte Peter in etwa die Hälfte des Inhalts und abwechselnd machten sie sich daran, Justus die Fundstücke zu diktieren.

»Eine Duettfassung von Kisses in Alabama«, sagte Bob. »Hat er gemeinsam mit Sandy Carson gesungen. Mit der hatte er, glaube ich, angeblich mal ein heimliches Verhältnis.«

»So etwas kann ich leider nicht bieten«, übernahm Peter, »nur einen zehn Zentimeter hohen Gitarristen aus Plastik vom Ohio Festival.« Er schüttelte ihn. »Hohl ist die Figur scheinbar nicht. Ob sie ein anderes Geheimnis birgt?«

»Jetzt fang du nicht auch noch mit Geheimnissen an!« Bob schüttelte den Kopf. »Ich habe hier eine Songvariante von Know Your Rights, eine Coverversion, die er meines Wissens nur einmal gesungen hat. In einem Gefängnis, glaube ich.«

»Goldene CD der Radiostation 100top«, diktierte Peter.

»Noten für ein Lied, das La-La-Song heißt«, sagte Bob. »Muss neu sein, nie gehört. Zwei vollgeschriebene Seiten, das Ganze. La-La-Song …«

»Klingt eher nach Mainstream-Country«, kommentierte Peter. »Ich habe da noch ein Plakat des Newport Festivals zu bieten! Mit Unterschriften drauf.«

»Autogramme von Musikern?«, fragte Bob.

»Kann’s nicht entziffern!«

»Gib mal her!«

Justus notierte alles. Zum Schluss waren es 47 Positionen. Alles in allem ein ziemliches Sammelsurium.

»Sieht aus, als hätte Lenny das schnell zusammengekramt«, sagte Justus. »Ein System sehe ich nicht dahinter. Mir kommt das seltsam vor. Ich habe den Eindruck, als sollten wir den Inhalt weniger bewerten als vor allem auf ihn aufpassen!«

»Aber warum?«, fragte Peter.

Justus zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich schlage vor, Bob, du recherchierst ein wenig und ich fertige in der Zeit von jedem Objekt ein Foto an.«

»Wozu das denn?«, fragte Peter.

»Irgendwann brauchen wir es sowieso, zum Beispiel um Angebote einzuholen. Wir werden doch kaum Originale rausschicken, oder?«

Gegen Abend des nächsten Tages machten sich Titus, Mathilda, Justus, Peter und Bob fertig für die Party auf Moonlight Star. Bei den drei Jungen dauerte das nur wenige Minuten. Justus zog sich gar nicht um, sondern schnappte sich einfach eine Jacke. Abends konnte es kühl werden in den Bergen. Peter hatte sich immerhin ein T-Shirt von den Black Prints übergestreift und Bob wartete sogar mit einer historischen Roadie-Jacke von Lennys Stuttering Moonlight-Tour auf. Onkel Titus brauchte etwas länger, bis er die passende Kombination von Jeans und Lederjacke gefunden hatte. Als auch er fertig war, mussten sie noch eine Weile auf Tante Mathilda warten, die sich nicht zwischen einem festlich-schwarzen Kleid und ihrem neuen Country-Outfit entscheiden konnte. Zum Schluss zwängte sie sich in ein paar alte Hippieklamotten.

»Wow!«, sagte Onkel Titus, als sie ins Wohnzimmer trat, und sah sie verliebt an. »Ganz wie früher!«