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Ingrid Noll

Die Apothekerin

Roman

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Erstausgabe

erschien 1994 im Diogenes Verlag

Umschlagillustration: Georges de la Tour,

›La Diseuse de bonne aventure‹,

1633/39 (Ausschnitt)

 

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2012

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 22930 1 (33. Auflage)

ISBN E-Book 978 3 257 60030 8

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.

[5] Für Gregor

[7] 1

Außer dem Familienmotto »Über Geld spricht man nicht, man hat es« und einem unerklärlichen Dünkel hatte meine Mutter keine Güter von ihrem Clan geerbt. Meinem Vater gegenüber verhielt sie sich im allgemeinen devot; in seiner Abwesenheit konnte sie sich allerdings gelegentlich zur Größe eines Tyrannosaurus aufpumpen. Uns Kindern wurde das erst in jenen Tagen klar, als mein Vater ohne ersichtlichen Grund derart aller Fleischeslust abschwor, daß er zum Vegetarier wurde und missionarisch auf seine Familie einwirkte. Allerdings gestattete er uns aus Gründen des Wachstums und der Barmherzigkeit ein wenig Lyoner Wurst, ein Ei am Sonntag oder ein paar Krümel Hackfleisch an der Tomatensoße.

Wenn sich andere Hausfrauen um vier Uhr nachmittags eine Tasse Kaffee kochten, bereitete unsere dicke, kleine Mutter eine wahre Fleischorgie für sich, mich und meinen Bruder. Es war der einzige Fall von Kumpanei, den man ihr nachsagen konnte, und er bereitete uns abscheuliche Lust.

Wie beim Verschwindenlassen einer Leiche mußten alle fleischlichen Überreste beseitigt werden, bevor Vater heimkam. Weder Knochen, Schwarten und Fettklumpen noch Düfte oder schmierige Teller durften von unserem heimlichen Verbrechen Zeugnis ablegen. Zähne wurden geputzt, der Mülleimer entleert und die Küche mit Zitronen-Spray in den Stand der Unschuld zurückversetzt.

[8] Aber ich war im Grunde eine Vatertochter und litt unter meiner fleischlichen Untreue. Hätte seine Wandlung sich nicht ein Jahr vor dem großen Trauma meiner Kindheit zugetragen, ich hätte mir die Schuld daran gegeben.

Auch mein Vater liebte Sprüche, wenn es um Geld ging. Wir erfuhren früh, daß es nicht stinkt und auch nicht auf der Straße liegt und daß es die Welt regiert, aber nicht glücklich macht. Meistens murmelte er aber: »Geld ist kein Thema.« Er gab es nach Gutdünken aus; als mein Bruder mit elf Jahren Klavier spielen lernen wollte, wurde anstandslos ein Konzertflügel gekauft, der noch heute das Wohnzimmer meiner Eltern füllt, obgleich nur acht Monate lang auf ihm herumgehämmert wurde. Andererseits bestand Vater darauf, daß ich mir Geodreiecke, Leuchtstifte, Haarspangen und Tennisschuhe vom Taschengeld kaufte. Selbst meine Mutter wußte nicht, wieviel ihr Mann verdiente, ging jedoch von einem Spitzeneinkommen aus. Da Geld kein Thema bei uns war, mußte sie gelegentlich in verschlüsselten Andeutungen ihre Forderungen vorbringen. Zu meinem Abitur wiederum schenkte mir mein Vater ein kleines Auto, das sich eigentlich mein Bruder gewünscht hatte.

Schon früh hatte ich gelernt, daß elterliche Liebe durch Leistung erkauft werden kann. Meine Eltern waren stolz auf meine guten Zeugnisse, auf meinen Fleiß und meine ersten Erfolge als Hausfrau.

Es gibt Fotos von mir, auf denen ich mich als Gärtnerin betätige, mit Strohhut auf dem Köpfchen und Gießkanne in der Hand. Mein Vater hat mich auch als Köchin [9] aufgenommen, die mit einer großen karierten Schürze diverse Sandkastentorten zierlich mit Zahnpasta dekoriert, und last but not least als Krankenschwester. Alle Puppen und Teddys liegen hingestreckt auf meinem Kinderbett, gigantische Verbände aus Klopapier um ihre gebrochenen Glieder. Manche leiden an Masern, mit roter Kreide ins Puppengesicht gepunktet. Ich erinnere mich an ein einziges Mal, daß dieses Krankenschwesternsyndrom Anlaß zu einer elterlichen Auseinandersetzung gab: meine leidenschaftliche Mund-zu-Mund-Beatmung eines nicht frisch verstorbenen Maulwurfs.

Damals bildete ich mir noch ein, der Liebling meiner Familie zu sein: ein fleißiges, nettes Mädchen, das bereitwillig seine kleinen Kopftücher trug. Auch als ich in die Schule kam, erfüllte ich alle Erwartungen; eine interessierte Schülerin, die später vor allem in den Naturwissenschaften brillierte. Schon mit zehn Jahren sammelte ich Pflanzen, preßte sie und legte mir ein Herbarium an, das ich immer noch besitze. Alles an mir und meiner Habe mußte säuberlich und wohlgeordnet sein, mein Zimmer war mustergültig aufgeräumt, meine Spielgefährtinnen suchte ich nach meinem Ebenbild aus, meine Regenwürmerzucht im Keller war hygienisch von den gelagerten Äpfeln abgeschottet.

In der Gesamtschule stieß mein leistungsorientiertes Verhalten dann keineswegs mehr auf die Gegenliebe der Mitschüler. Meine Eigenart, wichtige Sätze in den Lehrbüchern gewissenhaft mit einem Lineal und gelbem Leuchtstift anzustreichen, wurde lächerlich gemacht: Sie sprachen von streberischer Vergilbung. Vergeblich mühte [10] ich mich um Freundinnen. Das permanente Lob der Lehrer verschlimmerte nur meine Lage.

Als ich zwölf Jahre alt war, passierte es. Während einer kurzen Pause verließ die Lehrerin den Raum, und auch ich eilte auf die Toilette, die ich aus Nervosität viel zu oft aufsuchte. Anschließend wollte ich zurück ins Klassenzimmer, doch die Tür ließ sich nicht mehr öffnen. Mindestens ein Dutzend Kinder stemmte sich von innen dagegen, man hörte unterdrücktes Flüstern und Gekicher. Eigentlich geriet ich nicht besonders schnell in Panik, aber an jenem tristen Januartag war mir schon den ganzen Morgen jämmerlich gewesen, und nun konnte ich die Tränen nicht mehr unterdrücken. Mit aller Kraft warf ich mich gegen die graugestrichene, verkratzte Holztür, die mich von allen anderen trennte. Der Unterricht fing in wenigen Minuten wieder an, ich hätte nur auf den Gong warten müssen, und alle wären beim Eintreffen der Lehrerin mit Unschuldsmienen auf ihre Plätze gehuscht. Aber ich nahm die Situation allzu ernst und einen Anlauf.

Die Tür gab nach, als hätte man sie niemals zugehalten, und ich schoß wie eine Kanonenkugel über die Schwelle. Ich spürte noch eben, daß die Messingklinke in meiner Hand hart anschlug, dann krachte ich auf den grünen Linoleumboden, und fast gleichzeitig trat die Lehrerin ein. Meine Feinde wirbelten wie Irrwische auf ihre Stühle.

Natürlich wurde ich befragt. Ich erzählte nichts, Verrat hätte man nie verziehen. Bald herrschte wieder Ruhe, aber ein Junge fehlte. »Axel ist hinausgetaumelt«, behauptete meine Nachbarin. Die Lehrerin schickte einen [11] Kundschafter los, der aber unverrichteter Dinge zurückkam. Schließlich ging sie selbst auf den Flur, rief, begab sich sogar zu den Bubenklos und kam ihrer Aufsichtspflicht gebührend nach. Schließlich meinte einer, Axel sei wohl nach Hause gelaufen, weil er befürchtete, ich würde ihn anschuldigen. Da er ständig einen Grund fand, die Schule zu schwänzen, erschien es glaubwürdig.

Vier Stunden später wurde Axel gefunden. Wie man bei der Obduktion feststellte, hatte ich ihm die Türklinke mit aller Kraft in den Schädel gerammt. Unglücklicherweise hatte er gerade durchs Schlüsselloch gespäht, als die anderen unvermittelt die Tür losließen. Axel hatte sich ins Landkarten-Depot geflüchtet, wahrscheinlich aus Angst vor Bestrafung und benommen durch einen scharfen Schmerz im Kopf. Er war an einer massiven Hirnblutung gestorben.

Es gab eine polizeiliche Untersuchung, an die ich mich kaum erinnere. Als die ersten, mehr oder weniger anonymen Zettel auf meinem Platz lagen, ließen mich meine Eltern die Schule wechseln. Mörderin stand auf ausgerissenen blaulinierten Papierfetzen.

Mein Vater betrachtete mich gelegentlich sehr lange, mit Tränen und unendlicher Müdigkeit in den Augen.

Man nahm mich von der Schule und steckte mich in ein Mädchengymnasium, das von Ursulinerinnen geleitet wurde, und ich verhielt mich angepaßt und artig. Bloß nicht auffallen, war meine Devise. Im übrigen gab es keine Feindseligkeiten gegen mich; der Mord an Axel hatte sich nicht herumgesprochen, denn meine neue Schule lag in einer anderen Gemeinde. Ich galt als etwas langweilige [12] Musterschülerin und war es zufrieden. Das änderte sich erst, als ich sechzehn wurde und eine unbestimmte Sehnsucht nach einem männlichen Gegenpol in mir wuchs.

Die Erinnerung daran plagt mich jetzt, wo ich hier liege und nicht fort kann, Tag und Nacht.

Man hat wenig Ruhe in diesem Krankenhaus, wo man selbst in der ersten Klasse wider Willen im Doppelzimmer liegt. Ich kann hier nichts Vernünftiges lesen. Die permanenten Störungen durch das Pflegepersonal, das ständige Fiebermessen, Tablettenschlucken, mangels anderer sinnlicher Freuden, das Warten auf schlechtes Essen, das mehr oder weniger unfreiwillige Belauschen fremder Besucher – das alles preßt die Tage in ein starres Korsett. Früh löschen wir das Licht. Ich erzähle wie Scheherezade immer speziellere Details aus meinem Leben; dagegen hat Frau Hirte, meine Bettnachbarin, wohl keine Intimitäten zu berichten. Bei einer alten Jungfer ist weder ein aufregendes Liebesleben noch ein richtiger Skandal zu erwarten. Sie liegt in der Heidelberger Frauenklinik, weil man ihr die Gebärmutter entfernt hat. Es sei bloß ein Myom, behauptet sie, eine harmlose Geschwulst, die aber Beschwerden mache. Ich denke, es ist Krebs.

Gut, daß mir Pawel die Fotoalben gebracht hat. Ich sehe sie mir häufig an, eine echte Alternative zum Lesen. Gelegentlich zeige ich sogar meiner Nachbarin einige Bilder. Mit ihren achtundfünfzig Jahren und dem bläulich getönten Haar ist sie ein krasser Gegensatz zu mir. Sie bekommt fast nur von einer noch älteren Frau Besuch, die hauptsächlich über ihren Hund und eigene [13] Krankenhauserfahrungen redet. Wenn Pawel bei mir am Bett sitzt, betrachtet Frau Hirte ihn nicht ohne mattes Interesse; während wir leise plaudern, stellt sie sich schlafend, aber ich bin sicher, daß sie bei meinen Besuchern ebenso lauscht, wie ich es bei den ihren tue.

Meine Nachbarin weiß inzwischen von dem Stigma als Mörderin, das man mir mit zwölf Jahren aufdrückte. Sie hörte sich das mit unverhohlener Neugier an.

Wahrscheinlich erzähle ich dieser Unbekannten aus meinem Leben, weil es für mich eine Art Therapie ist, die im Gegensatz zu der berühmten Couch nichts kostet. Jedenfalls merke ich, daß es mir hilft, einer fremden Frau, die ich wohl niemals wiedersehen werde, wie einer Beichtmutter in der trüben Dämmerung unseres Krankenzimmers meine Erlebnisse anzuvertrauen.

Gern hätte ich sie geduzt, aber als Jüngere stand mir das nicht zu. Um einen Anfang zu machen, bot ich ihr an, mich einfach Hella zu nennen. Aber sie ließ mich abblitzen. Was soll man auch von einer Frau erwarten, die selbst zu ihrer sogenannten Freundin »Frau Römer« sagt.

»Wenn Sie siebzehn wären, Frau Moormann, dann ließe sich darüber reden…«

Ärgerlich versetzte ich: »Immerhin könnten Sie ja meine Mutter sein.«

Damit hatte ich einen Nerv getroffen: Es blitzte hinter den Brillengläsern. Aber wir vertragen uns dennoch gut. Ich finde es originell, daß diese Frau den Verlust ihrer Gebärmutter betrauert, während sie Schmerzen wie ein Soldat erträgt. Schließlich ist das herausgenommene Organ in ihrem Alter so überflüssig wie ein Kropf.

[14] Manchmal, wenn sie auf dem Klo ist, betrachte ich mir ihre Habseligkeiten in der Nachttischschublade und im Schrank: Aus einem Schreiben der Krankenkasse gehen zwar ihr Geburtsdatum, ihr Zivilstand (ledig) und ihr Vorname (Rosemarie) hervor, aber persönliche Briefe gibt es nicht, auch keine Fotos. Schmuck und Geld hat sie im Safe deponiert, wie sie mir selbst sagte. Es sei leichtsinnig, größere Wertgegenstände unbeaufsichtigt im Zimmer aufzubewahren. Arm ist sie wohl nicht, sonst könnte sie sich nicht die Zusatzversicherung für die erste Klasse erlauben. Auch ihr Parfüm, die Schlafanzüge, der Morgenmantel sind teuer und überaus korrekt.

Vor kurzem habe ich erzählt, wie ich als ganz junges Ding ein Doppelleben führte. Ich konnte ihr Gesicht im Dunkeln nicht sehen, aber ich war sicher, daß sie es verzog.

Ich liebte Männer, denen es noch schlechter ging als mir. Meine unpassenden Abenteuer blieben zwar meinen Lehrerinnen und Mitschülerinnen verborgen, nicht aber meiner schockierten Familie. Wahrscheinlich habe ich in jener Zeit meinem Vater das Herz gebrochen. Sein unschuldiges blondes Kind trieb sich mit schrägen Vögeln und krummen Hunden herum, die ihm besser nie unter die Augen gekommen wären. Und zu allem Unglück verwuchs sich dies auch nicht mit der Pubertät. Wie ich früher meinen Puppen die Beine abgedreht hatte, um sie wieder zusammenzuflicken, so suchte ich später kranke Männerseelen, um sie zu heilen. Es half mir über meine eigenen Probleme hinweg, wenn ich stark genug war, fremde zu lösen.

[15] Auf den Kinderfotos habe ich ein sehr waches, ja schalkhaftes Gesicht. Meine braunen Augen registrierten alles genau. Ich versuche darin zu lesen – spricht aus ihnen damals schon dieses Verlangen, mir Liebe durch Hätscheln und Hegen zu erringen? Dieses sehr weibliche Bedürfnis, das sich normalerweise auf Kleinkinder bezieht, aber auch im Gärtnern, Kochen und Pflegen ausgelebt wird, suchte sich bei mir vor allem männliche Opfer. Meine Eltern hätten mich in jener Zeit babysitten lassen oder mir ein Pferd kaufen sollen. Statt dessen rahmten sie meine Zeugnisse ein.

Anfangs war es mir gar nicht bewußt, daß mich Außenseiter, Kranke und Neurotiker magnetisch anzogen. Schon als Schülerin hatte ich einen Freund, der heroinabhängig war und von mir gerettet werden wollte. Ich aß in jener Zeit pfundweise Schokolade, diskutierte nächtelang mit meinem weinerlichen Liebsten und stahl meinen Eltern Geld, Zigaretten und Alkohol. Wenn er nicht ins Gefängnis gekommen wäre, würde ich heute noch an seiner Entziehung arbeiten. Damals war ich nämlich treu wie Gold.

Der nächste war ein arbeitsloser Seemann. Selbstverständlich fehlt in meiner Sammlung auch nicht der Depressive, der chronisch Kranke, der gerettete Selbstmörder und der entlassene Häftling mit dem tätowierten Geier auf der Brust.

Auch mein Beruf als Apothekerin hat meine Kollektion schon bereichert: Trotz aller Vorschriften öffnete ich einem Schmerzgeplagten, der nachts Medikamente brauchte, nicht bloß die Rezeptklappe, sondern die Tür.

[16] Um meine eigene Rolle in diesen Tragödien ein für allemal zu klären, habe ich wiederholt eine Therapie begonnen, aber stets wieder abgebrochen. Die Heilung meiner Schützlinge nahm meine gesamte Zeit in Anspruch. Dabei war mir auch ohne Therapeuten klar, daß ich, die nach außen Brave, von allem angezogen wurde, was außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft stand.

Ich hatte Angst vor diesem Abgrund in mir; ich träumte zuweilen, von einem meiner Liebhaber ermordet worden, tot zu sein, ohne je ein Kind geboren zu haben. Dann wachte ich mit einem Gefühl der Wertlosigkeit auf, denn ein Leben ohne Mutterschaft erschien mir vertan. Bei aller Intelligenz und Tüchtigkeit, die ich besitze, habe ich immer gewußt, daß mein kreatürlicher Teil ebenso wichtig ist. Wenigstens einmal im Leben wollte ich wissen, wie es wäre, eins mit der Schöpfung zu sein und zu gebären. Die Sanduhr lief. Ein Kind bedeutete für mich sehr viel: ein kleines Wesen, das man nach eigenem Ermessen formen kann, mit dem man anstellen kann, was man will, das man beschenken und beschützen darf nach Herzenslust. Das Kind wollte ich an allem teilhaben lassen, was mein Leben bestimmte. Es sollte ihm an nichts mangeln, weder an Liebe noch an Zopfspangen. Ich wollte ihm einen vorbildlichen Papa vorsetzen, der einen ordentlichen Beruf und ein gesichertes Auskommen hatte, aus guter Familie stammte und über Intelligenz verfügte. Meine damaligen Gefährten waren indiskutabel für diesen Zweck.

Frau Hirte schnarchte.

[17] 2

An einem Sonntag besuchte mich Dorit, meine Jugendfreundin. Sie kann nur kommen, wenn Gero auf die Kinder aufpaßt. Mitten in unser Plauderstündchen trampelte die Visite. Dorit ging anstandshalber auf den Flur. Die üblichen Standardfragen: »Geht’s gut? Probleme mit den Krampfadern? Tut die Naht weh?«

»Wann kann ich heim?« fragte Frau Hirte.

Der Stationsarzt trifft ungern Entscheidungen, so weit sollte sie ihn kennen. Mit einem Blick auf den Urinbeutel sagte er ironisch: »Möchten Sie mit einem Dauerkatheter entlassen werden?«

Als Dorit wieder neben mir saß, erzählte ich ihr, daß wir Dr. Kaiser nicht leiden konnten – ausnahmsweise nickte Frau Hirte bestätigend –, im Gegensatz zu Dr. Johannsen, dem Oberarzt. »Aber der schaut einem um zwei Sekunden zu lang in die Augen«, sagte ich zu Dorit, »du weißt ja, daß man sich dann nur allzu leicht verliebt.«

Meine Freundin lachte, frech oder liebenswürdig bezog sie Frau Hirte in das Gespräch mit ein. »Hella hat recht, finden Sie nicht auch?«

Meine eingetrocknete Nachbarin knurrte, zog die Welt am Sonntag heraus und begann den Wirtschaftsteil zu lesen.

Man kann tage-, beziehungsweise nächtelang über die eigene Familie erzählen, aber die meisten Frauen hören [18] lieber Männergeschichten. Ich gehe davon aus, daß Frau Hirte nicht mehr lange leben wird und nichts ausplaudern kann – also will ich ihr noch ein paar aufregende, schlaflose Stunden bieten. Meistens gibt sie keinen Kommentar zu meinen Schilderungen, aber einmal entfuhr ihr ein »Sie sind ja verrückt«. Das hat mich amüsiert; ich möchte sie gern ein bißchen provozieren, die alte Schrulle. In aller Ausführlichkeit erzählte ich von Levin.

Als ich mich mit ihm anfreundete, glaubte ich anfangs, meine Retterphase sei vorbei. Ich hatte einen ganz normalen Freund, der zwar ein paar Jahre jünger war als ich und noch studierte, aber bei dem alles nach einer bürgerlichen Existenz aussah. Im geheimen dachte ich an Heirat, an Kinder, aber nie hätte ich von mir aus solche Pläne geäußert. Einem jungen Mann muß man Zeit lassen.

Levin hatte es nicht immer leicht gehabt, aber er wurde deswegen nicht gleich kriminell, fing weder zu fixen, zu saufen noch zu huren an. Er litt darunter, daß seine Mutter gleich nach dem plötzlichen Tod des Vaters mit einem neuen Mann nach Wien gezogen war. Nicht weit von Heidelberg, keine halbe Stunde von uns entfernt, wohnte ein zählebiger und übellauniger Großvater, der den einzigen Enkel hauptsächlich für Botendienste, zum Heckenschneiden und als Chauffeur einsetzte. Ich hatte Levin bezeichnenderweise kennengelernt, als ich ein gebrauchtes Auto kaufen wollte.

[19] Autos haben für mich den Stellenwert einer Waschmaschine. Außer dem Preis und der Zahl der gefahrenen Kilometer interessiert mich nur die Farbe – sie soll dezent sein.

Als ich mich auf dem Hof des Autohändlers umsah, schlich auch ein baumlanger junger Mann herum und las die Angebote, die auf Pappschildern hinter den Vorderscheiben klemmten. Ich beachtete ihn nicht weiter, sondern suchte auskunftheischend nach einem Verkäufer.

»Das wär’ doch was«, sagte der junge Mann und deutete auf ein Kabrio.

Ich schüttelte den Kopf.

»Sind Sie schon einmal in einem offenen Wagen gefahren?« fragte er. »Und haben sich den Wind um Ihre hübsche Nase wehen lassen?«

Ich sah ihn erschrocken an.

»Was hat man Ihnen für Ihren alten Wagen geboten?« fragte er.

»Zweitausend«, sagte ich und ärgerte mich.

Als wir gemeinsam den Laden betraten, ließ ich ihn machen. Leider schäme ich mich beim Handeln. Levin feilschte wie ein Pferdehändler. Vom Ergebnis war ich beeindruckt, aber eigentlich wollte ich diesen unseriösen Wagen nicht.

Ganz gegen meinen Willen saß ich schließlich bei der Probefahrt auf dem Beifahrersitz, Levin fuhr, und der Verkäufer schrie mir vom Rücksitz aus die Vorzüge des Wagens in die Ohren.

»Warum tragen Sie Ihre blonden Haare so kurz?« fragte Levin. »Es müßte doch herrlich sein, wenn sie flattern …«

[20] »Kaufen Sie doch selbst das Kabrio, wenn es Ihnen so gefällt. Und lassen Sie Ihre eigenen blonden Haare flattern…«

»Für uns Studenten bleibt das ein Traum.«

Deswegen also die schäbige Fliegerjacke aus dem Secondhandshop. Armer Junge.

Nach zwei Stunden stand das zu rote Kabrio vor meiner Wohnung, und ich hatte einen Ratenkaufvertrag unterschrieben.

In den nächsten Tagen nagte der Verdacht an mir, daß Levin heimlich für den Autohändler arbeitete – beim Pferdehandel werden ja alle Tricks angewendet. Aber ich irrte mich.

An einem Sonntagmorgen suchte mich der lange Laban heim. »Bei diesem herrlichen Wetter…«, begann er.

Ich erklärte, daß ich an meiner Doktorarbeit sitze, deswegen nur halbtags in einer Apotheke arbeite und eigentlich auch das Wochenende zum Schreiben brauche, um endlich fertig zu werden.

Levin saß am Steuer. Er hatte mir eine Sonnenbrille als Geschenk mitgebracht, ein Modell vom Flohmarkt, mit der ich wie ein Star aus den sechziger Jahren aussähe. Man kann mir zwar nachsagen, daß ich ein gutes Herz habe und ein Kumpel bin – doch Komplimente über meine äußere Erscheinung nehme ich mit Vorsicht zur Kenntnis.

Wie sich herausstellte, war Levin jedoch kein Schmeichler. Er besaß die positive Eigenschaft, sich wie ein Kind zu begeistern. »So einen schönen Garten habe ich noch nie gesehen!« erklärte er, als er nach unserer [21] Ausfahrt meine Wohnung inspizierte. Dabei war mein Balkon nicht anders als tausend andere, die man an eine Zweizimmer-Neubauwohnung geklebt hat. Allerdings bin ich eine große Blumenfreundin: In Kästen rankte gelbe, rote und orange Kapuzinerkresse, in Töpfen blühten Rosen, Geranien und sogar Lilien, die Eisenstäbe waren von rosa und weißen Wicken zierlich umschlungen.

Um ihn noch ein wenig bei mir zu haben, wollte ich ihm einen abgerissenen Knopf annähen.

Das könne er selbst machen, »Ungeschicklichkeit wäre eine schlechte Voraussetzung für einen Zahnarzt«.

Ich fragte verwundert, warum er Zahnmedizin studiere, denn es paßte nicht zu ihm.

»Aus dem gleichen Grund, aus dem Sie Apothekerin sind«, meinte Levin, »um viel Geld zu verdienen.« Ich sah ihn aufmerksam an; so dachte er also von mir?

Bei unserer nächsten Ausfahrt sagten wir »du« zueinander, aber zu Zärtlichkeiten kam es nicht. Bei seinem dritten Besuch hielt er eine junge Katze auf dem Arm und überreichte sie mir strahlend. Ich muß gestehen, daß es für mich kaum etwas Reizenderes gibt als ein Kätzchen. Schon mehrmals wurde mir eines angeboten, aber aus Verantwortungsbewußtsein hatte ich stets abgelehnt. Tagsüber war ich nicht zu Hause, oft hatte ich Nachtdienst in der Apotheke oder wollte verreisen – wer sollte dann das Tier betreuen? Levin überhörte meine Bedenken. »Es ist ein Kater, wie soll er heißen?«

»Kater Murr«, sagte ich und dachte an die Katze meines Großvaters, die ich als Kind so geliebt hatte.

[22] »Das gefällt mir nicht«, erklärte Levin, »er heißt Tamerlan.«

Ich hatte nun ein Kabriolett und einen Kater, die ich mir beide nicht ausgesucht hatte. Und über kurz oder lang hatte ich auch einen jungen Mann im Bett.

Immer wieder fragte ich mich, ob es Levin eigentlich nur ums Kabriofahren gegangen war. Das Auto spielte in unserer Beziehung eine erotisierende Rolle, jedenfalls für ihn. Für mich aber war er der erste Freund, mit dem ich lachen und mich wieder jung fühlen konnte. Natürlich fragte ich nicht, ob Levin schon viele Frauen gehabt hatte, aber es schien mir unwahrscheinlich. Wir schliefen zwar mit einer gewissen Regelmäßigkeit miteinander, aber er investierte viel mehr Zeit in Gespräche. Meistens war ich es, die die Initiative für ein zärtliches Stündchen ergriff, obgleich man besser von einem Achtelstündchen sprechen sollte.

Manchmal fuhren wir bis Frankfurt, um ins Kino zu gehen. Ich fand diesen Aufwand nicht lohnend, zumal der gleiche Film auch bei uns in Heidelberg zu sehen war. Aber es machte Spaß, mit einem euphorisch gestimmten Menschen durch die Gegend zu brausen.

Eigentlich war es eine schöne Zeit. Ich hatte mir geschworen, Levin weder zu füttern noch zu tränken, ihn weder in den Schlaf zu wiegen noch seine Hemden zu bügeln oder gar für ihn zu tippen. Aber schließlich machte er sich immer an meinem Wagen zu schaffen, montierte zwei Boxen und ein fast neues Autoradio, nahm beim Heimgehen den Müll mit nach unten oder brachte dem Kater [23] Fischreste aus seinem Stehlokal ›Nordsee‹ mit. So herzlos konnte ich nicht sein, dem mageren Jungen kein Steak mit Zwiebeln zu braten; in der Mensa gab es selten vernünftiges Fleisch. Nachsichtig putzte ich die Wanne und kaufte Socken und Unterhosen, damit er nach seinem Kräuterbad etwas Sauberes zum Anziehen fand.

An meiner Dissertation arbeitete ich kaum noch. Levin hielt mich davon ab, er fand den Doktortitel für eine Apothekerin überflüssig. Ich erklärte ihm, daß ich in der Apotheke mehr oder weniger als Verkäuferin (mit Computerkenntnissen) tätig war, mit einer belegbaren Qualifikation hingegen die Möglichkeit hätte, eine Stelle in der Industrie oder Forschung zu erhalten.

»Wo verdient man am meisten?« fragte er.

»Wahrscheinlich in der Industrie oder natürlich mit einer eigenen Apotheke. Mir würde eine wissenschaftliche Tätigkeit die meiste Freude machen, am liebsten auf dem toxikologischen Sektor.« Aus taktischen Gründen verschwieg ich, was ich in Wahrheit noch viel lieber wollte.

Alle drei Wochen hatte ich Nachtdienst; Levin besuchte mich dann gern und ließ sich ein wenig erklären, was ich zu tun hatte. »Es ist wirklich nicht aufregend«, sagte ich, »in der Apotheke meines Großvaters wurden noch viele Rezepte nach Anweisung des Arztes zusammengerührt, das darf ich leider nur für ein paar Hautärzte machen.«

Bedauerlicherweise hatte ich außer einigen Flaschen und Mörsern nichts aus dem großväterlichen Fundus geerbt, die Apotheke wurde verkauft. Levin wollte meine Erbschaft sehen; ich bin immernoch sauer, daß ich nicht [24] Großvaters Spazierstocksammlung geerbt habe. Zu seinen Zeiten liefen die Männer ohne Aktentasche oder Aktenköfferchen herum, die Hände waren frei für Stock und Schirm. Heute jagen Sammler hinter wertvollen antiken Stücken her, damals konnte sie mein Großvater seinen Kunden für wenig Geld abschwatzen. Er besaß einen Arztstock mit einer sich windenden Schlange aus Elfenbein, einen Opernstock aus Rosenholz und Email, Ebenholz- und Hornstöcke mit Knäufen aus Silber, Bronze, Schildpatt und Perlmutt. Ich erinnere mich an Drachen- und Löwenköpfe, die mich als Kind grausig anzogen, an einen Stockdegen und einen Schwertstock. Mein Vater hat alles verkauft.

Ich nahm die schönen braunen Glasflaschen mit den handgeschriebenen Etiketten aus dem Hutfach meines Kleiderschrankes.

»Schenk mir eine«, bettelte er, »ich will mein Rasierwasser hineinfüllen.«

Selbstverständlich wählte er mein liebstes Fläschchen aus, das kleinste und feinste. Auf dem verblichenen Etikett war in violetter Tinte POISON vermerkt. Levins Interesse war geweckt. Mit Kraft zog er den geschliffenen Stöpsel heraus und schüttete den Inhalt auf ein seidenes Sofakissen. Winzige Röhrchen mit dem Durchmesser eines dicken Nagels und einer Länge von zwei bis vier Zentimetern fielen heraus. Levin las laut: »Apomorphine Hydrochlor., Special Formula No. 5557, Physostigmine Salicyl. gr. 1/600, Poisons List Great Britain, Schedule 1« und so weiter. Er sah mich neugierig an. »Gift?«

[25] »Klar«, sagte ich, »für einen Apotheker nichts Besonderes.«

Levin öffnete behutsam eines dieser Puppenröhrchen, zog die Watte heraus und entnahm eine Tablette. Auch ich mußte über ihre Winzigkeit staunen, sie war kleiner als meine Pupille.

Für ihn sei es interessant, sagte Levin, daß in totalitären Staaten hohe Politiker oder Geheimnisträger eine Giftkapsel im hohlen Zahn versteckten, um sich notfalls durch Selbstmord einer Folterung zu entziehen. »Aber ich wußte nicht, wie niedlich das Gift aussieht…«

Ich nahm ihm die Röhrchen weg, spülte das Flakon mit kochender Seifenlauge aus und überreichte es ihm.

Später machte ich mir Vorwürfe, daß ich derart gefährliches Material jahrelang in meinem Kleiderschrank gelagert hatte. So mancher Selbstmordkandidat hatte schon bei mir genächtigt; gut, daß diese Zeiten vorbei waren. Ich suchte nach einem neuen Versteck für mein Gift, leerte den Lavendel aus einem Duftsäckchen in den Mülleimer, schob statt dessen die Röhrchen hinein und befestigte den kleinen Beutel mit einer Sicherheitsnadel an der Innenseite eines langen Wollrocks, den ich selten trug.

Meine Studienfreundin Dorit wird durch zwei kleine Kinder ziemlich beansprucht. Leider sehen wir uns nur selten, wenn sie wieder einmal Valium braucht. Sie nimmt dann die Gelegenheit wahr, mit mir Tacheles zu reden. Wir saßen im Café Schafheutle, als ich wieder zu hören bekam: Ich solle mich nicht in Arbeit vergraben, sonst werde ich es nie zu einem Mann und einer Familie bringen.

[26] »Hör zu, Dorit, ich komme jetzt schon kaum noch zu meiner Arbeit; ich habe einen neuen Freund…«

»Ehrlich? Hoffentlich nicht schon wieder eine Niete!«

Ich versprach, ihn ihr vorzustellen.

Levin war siebenundzwanzig, wirkte aber leider viel jünger. Er hatte noch die schlaksige Figur eines Abiturienten, den Appetit eines Vierzehnjährigen und die Begeisterungsfähigkeit eines ABC-Schützen. Er sah gut aus, fand ich, aber auch nicht so extrem, daß sich alle Frauen auf ihn stürzten, denn sein rosiges Kindergesicht, für das die Nase zu groß wirkte, war ein wenig schief. Zu seinen jugendlichen Eigenschaften paßte nicht unbedingt sein pflichtbewußtes Lernen, sein Ehrgeiz, bald das Studium abzuschließen.

Wie zu erwarten, war Dorit unzufrieden.

»Eine gewisse Verbesserung muß ich anerkennend bestätigen«, sagte sie, »aber heiraten wird er dich nicht, das mußt du bei deiner Lebenserfahrung doch selbst wissen.«

»Und warum nicht?«

»Ach Gott, das kennen wir doch: Er sucht eine Mutti, die ihm Hustenbonbons aus der Apotheke mitbringt und ihm ihr Auto borgt. Irgendwann, wenn du müde von der Arbeit nach Hause fährst, siehst du ihn mit einer Zwanzigjährigen händchenhaltend am Neckar sitzen.«

Dorit meinte es gut, sie hatte nicht ganz unrecht, und auch ich hatte gelegentlich solche Schreckensvisionen. Aber wer kann aus bloßen Verstandesgründen einen geliebten Mann vor die Tür setzen? Außerdem war unser Altersunterschied nicht übermäßig, was sind heutzutage [27] schon acht Jahre, wo viele Frauen zwanzig Jahre jüngere Männer heiraten. Auf jeden Fall sah ich jünger aus, als ich den Jahren nach war. Dorit behauptete sogar, daß ich zu jenen blonden Frauen gehöre, die mit fünfundfünfzig noch aussehen wie mit fünfundzwanzig, eine Prophezeiung, die sich allerdings erst bestätigen muß. (Wie gut, daß ich seit zwei Jahren Kontaktlinsen trug und Levin mich nie mit meiner großen Brille gesehen hatte.) Außerdem gab es natürlich auch noch anderes, was uns trennte, aber ich konnte es gar nicht so genau benennen. Seine Autoleidenschaft nahm ich nicht allzu ernst, aber eine gewisse Oberflächlichkeit stieß mir gelegentlich unangenehm auf. Auch mit seiner Begeisterungsfähigkeit war es nicht weit her, und sie richtete sich in der Regel auf äußerliche Dinge.

Aber wenn ich mit Levin an einem sonnigen Sonntag ins Elsaß zum Essen fuhr, dann fand ich das Leben herrlich.

Eines Nachmittags, als wir auf dem Sofa saßen und selbstgebackenen Kirschkuchen aßen, kam Dorit mit ihren Kindern zu Besuch – wahrscheinlich, um unsere Idylle zu begutachten. Die Kinder stritten sich sofort, wer den Kater streicheln dürfe.

»So süße Kinder habe ich noch nie gesehen«, sagte Levin, obgleich Franz seiner Schwester ein Büschel Haare ausgerissen hatte und Tamerlan sich fauchend auf den Schrank rettete.

Dorit war noch nie schüchtern gewesen. Mit rostiger Gießkannenstimme fragte sie meinen jungen Freund ungeniert: »Wie viele Kinder willst du einmal haben?«

[28] Ich wurde so rot, daß ich mich der Katze zuwandte, ich konnte Levin nicht ansehen.

Er antwortete gelassen: »Wahrscheinlich zwei.«

Ich hätte ihn umhalsen und küssen können, aber wer sagte, daß er mich als Mutter dieser beiden Kinder plante?

Als Levin die Kaffeekanne in die Küche trug, zwinkerte mir Dorit zu, und ich machte ihr ein Zeichen, daß ich sie erwürgen könnte.

Trotzdem vertraute ich ihr an – da ich es ja über kurz oder lang doch erzählen mußte daß ich in Kürze ganztags in der Apotheke arbeiten würde – vorerst als Schwangerschaftsvertretung für eine Kollegin –, und daß meine Dissertation so lange auf Eis gelegt werde. Ich sagte ihr aber kein Wort davon, daß ich begonnen hatte, Levins Doktorarbeit zu tippen. Genau das hatte nicht passieren sollen; aber als er mich bat, ihm meinen Computer zu erklären, stellte er sich – milde gesagt – ziemlich dumm an. Levin, der geschickte Bastler, hatte mit einem PC noch nie etwas anderes angestellt als Kinderspiele.