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Jakob Arjouni

Cherryman
jagt Mister White

Roman

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Erstausgabe erschien 2011

im Diogenes Verlag

Umschlaggestaltung von

Monika Boss

Mit freundlicher Genehmigung der AMPELMANN GmbH

Ampelmännchen

Der Ampelmann ist eine eingetragene Marke der AMPELMANN GmbH

 

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2014

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 24167 9 (3. Auflage)

ISBN E-Book 978 3 257 60134 3

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.

 

 

 

 

 

 

[5] Lieber Doktor Layton,

es war schön, Sie heute Morgen kennenzulernen. Wenn man das bei dem Anlass so sagen kann. Ich hatte mir unter einem Kriminalpsychologen etwas anderes vorgestellt: einen kalten schlauen Typ, der mich für den Prozess möglichst weichklopfen soll. Ich fand Sie freundlich und höflich, und Sie wussten nicht schon alles. Die meisten, denen ich seit meiner Verhaftung begegne, wissen immer alles: was meine Probleme sind, wie ich am besten mit der Sache umgehe, wie ich mich fühle und so weiter. Es tat gut, von Ihnen wie ein Unbekannter behandelt zu werden.

Morgen fange ich an, den Bericht für Sie zu schreiben.

Sie haben gefragt, ob ich nachts schlafen kann, ob ich Panikattacken oder Selbstmordgedanken habe. Meine Antwort war ziemlich stotterig, ja, nein, manchmal. Ich war aufgeregt und wollte nichts Ungenaues sagen. Jetzt hatte ich Zeit, über die Antwort nachzudenken.

Natürlich schlafe ich nicht viel. Meistens liege ich halbwach herum, die Bilder im Kopf, und [6] manchmal packt mich die Angst, dass ich kaum atmen kann und zu hecheln anfange wie ein Hund. Dann laufe ich in der Zelle herum, so gut das geht, vier Meter vor, vier Meter zurück, oder hüpfe auf der Stelle. Irgendeine Bewegung, damit mein Körper sich entspannt, oder mein Kopf. Der Arzt hat gesagt, das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass ich ohnmächtig werde. Wegen zu viel oder zu wenig Sauerstoff, genau verstanden habe ich es nicht. Aber dann würde sich der Atem von alleine regulieren. Ich solle nur versuchen, nicht gerade in der Nähe einer scharfen Bettkante oder so was umzukippen.

Um die Bilder zu vertreiben, habe ich mir andere Bilder zurechtgelegt. Sozusagen als Gegengift, als Notapotheke. Ich setze mich tagsüber hin und denke konzentriert an schöne Momente mit dem Ninu und Marilyn. Die präge ich mir möglichst genau ein, und wenn es nachts wieder so weit ist, zwinge ich mich, mir diese anderen Bilder vor Augen zu holen. Dabei rede ich zu den beiden wie in einem Gebet. Ich wiederhole einfache Sätze wie »Ich liebe dich«, »Vergiss mich nicht«, immer wieder, und wiege mich dabei vor und zurück. Klingt komisch, aber es funktioniert. Nach einer Weile beruhige ich mich.

Eigentlich sind die Momente immer gleich, [7] nichts Besonderes: Der Ninu spielt irgendwas, zum Beispiel mit einem Matchboxauto, oder er gräbt mit seiner kleinen roten Schaufel ein Loch in die Erde am Zaun; Marilyn liest ein Buch oder lackiert sich die Fußnägel; ich sitze im Gras gegen einen Baum gelehnt und gucke in den blauen Himmel. Es ist Frühling, die Sonne scheint, die Baumblätter über mir bewegen sich im Wind. Bis auf das Kratzen der Schaufel und Vogelgezwitscher ist es still. Kennen Sie das, Doktor Layton, wenn man meint, man sei völlig eins mit dem Leben? Alles stimmt, keine Fragen mehr, man ist genau dort, wo man hingehört? Mit dem Ninu und Marilyn war das an einigen Nachmittagen so. Manchmal habe ich uns Eis geholt, und fast immer wollte der Ninu irgendwann singen. Das ist auch so eine Art Gebet von mir, wenn es schlimm wird: Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann. Das singe ich zehn, zwanzig Mal hintereinander und bilde mir ein, die beiden könnten mich hören. Übers Unterbewusstsein oder so.

Dabei bin ich nicht religiös.

Wenn ich dann wieder atmen kann und einigermaßen ruhig bin, setze ich mich an den Tisch und zeichne an meinen Comics. Und irgendwann ist zum Glück Frühstück.

Außerdem, Doktor Layton, sehen Sie: Ich halte mich nicht für so schuldig, wie die Zeitungen und [8] viele andere tun. Es sind vor allem die Bilder, die mir Angst machen. Ich stelle mir vor, das ist wie im Krieg. Man glaubt vielleicht, auf der richtigen Seite für die richtige Sache zu kämpfen, aber wie das aussieht, wenn jemand verblutet oder beim Sterben schreit, das hat mit richtiger oder falscher Sache nichts zu tun. Verstehen Sie? Im Halbschlaf die Bilder, das ist furchtbar, aber sobald ich nachdenke, geht es.

Und natürlich hoffe ich, den Ninu und Marilyn wiederzusehen. Vorher gebe ich nicht auf, da müssen Sie sich keine Sorgen machen.

Wie gesagt, morgen fange ich den Bericht an.

Mit freundlichen Grüßen,

Rick Fischer

[9] 1

Ich hatte die vier schon von weitem gesehen und gehofft, sie wären zu beschäftigt oder zu blau, um mich zu bemerken. Heiko, Mario, Robert und Vladimir. Statt wie üblich die Abkürzung über die Wiese zu nehmen, folgte ich dem Kiesweg und machte einen weiten Bogen um sie. Aber ich hatte nicht bedacht, wie laut der Kies an einem windstillen, trockenen Tag unter meinen Schritten knirschen würde.

»He, Rick!«

Ich hielt den Blick gesenkt.

»Komm her!«

»Na los!«

»Rick!«

»Ri-hik!«

»Rickilein!«

Aus den Augenwinkeln vergewisserte ich mich, dass sie keine Anstalten machten aufzustehen. Sie saßen gegen die Rückwand des Supermarkts gelehnt im Schatten der Müllcontainer, vor ihnen [10] leere Flaschen und ein Bierkasten. Ich bemühte mich, normal weiterzugehen. Dabei sah ich angestrengt vor mich hin, als beschäftigte mich eine komplizierte Matheaufgabe.

»Wenn du nicht sofort herkommst, gibt’s was!«

»Rick!«

»Eins, zwei…«

»Zweieinhalb…«

»Denk an euren Kirschbaum!«

Ich ließ mir nichts anmerken.

Im letzten Frühling hatten sie rostige Nägel in unseren Kirschbaum geschlagen und ihn damit vergiftet. Ein paar Monate später war er eingegangen. Mein Lieblingsbaum. Weil ich den Vereinsbeitrag nicht gezahlt hatte. Dabei war »Vereinsbeitrag« natürlich ein Witz. Es gab gar keinen Verein, und wenn, wäre ich in ihrem Verein niemals Mitglied geworden. Es ging nur um Abzocke. Vielleicht auch darum, Mafia zu spielen, wie im Kino.

»Oder an die Miezi?«

»Miezi, Miezi!«

»Miezi, Miezi, Miezi – platsch!«

Sie lachten betrunken.

Drei Monate zuvor hatte Robert meine Katze mit voller Wucht gegen die Wand des Bienenhauses geworfen. Einfach so.

[11] »Du hast schon wieder nicht gezahlt.«

»Ich hab kein Geld.«

»Weil du alles für die Heftchen ausgibst. Hat dir deine Tante nicht beigebracht, dass Comics dumm machen?«

Ich antwortete nicht, auch wenn ich gerne so was gesagt hätte wie: Na, dann musst du ja der super Comic-Kenner sein.

»Guck mal, was ich hier habe…«

Und er zog Tiger aus seiner Adidas-Umhängetasche, und mir wurde augenblicklich kotzübel. Robert war von allen in der Gruppe mit Abstand der Kränkste. Er schwenkte Tiger am Nackenfell in der Luft hin und her und grinste. Tiger zappelte und fauchte.

»Lass ihn los«, sagte ich und bemühte mich um einen ruhigen Ton, obwohl mir fast die Stimme wegblieb. »Bitte…!«

Gleichzeitig überkam mich ein solcher Hass, aber ich konnte nichts tun. Robert war fast doppelt so breit und mehr als doppelt so schwer wie ich, ein fettes brutales Riesenbaby.

»Ist doch ganz einfach, Rick: Du musst deine Beiträge bezahlen, dann sind wir Freunde, und du hast deine Ruhe.«

»Bitte, Robert, lass ihn los. Ich zahl ja, ich war nur in den letzten Monaten ein bisschen knapp, aber… [12] Ich weiß was! Ich verkauf meinen CD-Player, gleich nachher, ganz bestimmt – bitte…«

Tiger schrie jetzt vor Wut und Schmerzen und versuchte immer wieder, den Kopf zu Robert umzudrehen, als könne er nicht glauben, dass jemand ihn so behandelte – ihn, den stolzen Herrscher über Tante Bambuschs Garten.

»Hast du das letzte Mal auch gesagt: sofort, gleich, ganz bestimmt. Und dann… Du bist uns ausgewichen, Ricki, ich hab’s gesehen. Immer hintenrum zum Lidl. Und zum Altstadtfest bist du auch nicht gekommen.«

»Aber doch nicht wegen euch. Tante Bambusch war krank, und ich…«

»Und da hast du ihr das Bettchen gemacht, und Teechen – der butzi-butzi Ricki. Solltest sie besser richtig schwer krank werden lassen, erbst doch alles, Ricki. Und dann kannst du auch deine Beiträge immer zahlen.«

Er grinste. Tiger zappelte inzwischen nur noch mit den Beinen, fauchte hin und wieder fassungslos und warf mir verstörte Blicke zu. Ich, sein bester Freund, ließ das zu.

»Vielleicht schubs ich sie einfach mal aus Versehen, wenn sie auf dem Weg zu ihrer Kartenspielrunde ist. Weißt du? Da in der Goethestraße, wo die LKWs um die Ecke fetzen. Oder ich kick ihr den [13] Stock weg. Verstehst du, Ricki, du musst deine Beiträge zahlen…«

Er schwenkte Tiger durch die Luft, und ich schrie: »Hör auf!«

»…sonst geht’s deiner lieben Tante wie dem kleinen Krallenmann hier: nur noch Matsch.«

Und damit holte er aus und schleuderte Tiger gegen die Wand. Er muss sofort tot gewesen sein, ich hörte nur den Aufprall und dann nichts mehr. Brüllend warf ich mich auf Robert und versuchte, seinen schwabbeligen Hals zu packen. Aber er nahm mich sofort in den Schwitzkasten, schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht und sagte: »Komm, reg dich ab. Ist doch nur ’ne blöde Katze. Und wer nicht hören will, muss eben fühlen.«

Seitdem hatte ich meine »Beiträge« immer gezahlt. Und wenn ich’s irgendwie einrichten konnte, begleitete ich Tante Bambusch zu ihrem wöchentlichen Canasta-Termin im Café Rosengarten.

Jedenfalls war ich ihnen nichts schuldig. Wenn sie mich in dem Moment draußen beim Supermarkt riefen und mir drohten, war das ein Bruch unserer Abmachung. Naja, Abmachung… Aber so habe ich’s dann eben irgendwann für mich genannt. Manchmal habe ich mir sogar gesagt: Gut, jetzt hast du Schutz – wenn dir irgendjemand Ärger macht, [14] kannst du dich immer an Robert und die Jungs wenden. Natürlich idiotisch, aber Sie, Doktor Layton, können sicher leicht erklären, warum man sich so was einredet.

Heiko, der Dümmste von ihnen – also, eigentlich richtig zurückgeblieben, er hätte gut hier in die Klinik gepasst, drüben zu den Koma-Wesen –, jedenfalls Heiko brauchte wie immer ein Weilchen, dann ahmte er die anderen nach: »Miezi, Miezi, Miezi – platsch!« und lachte gaga.

Mario und Vladimir schlugen ihm auf die Schultern und lachten ebenfalls. Aber nicht mit ihm, sondern über ihn. Heiko war ihr Clown. Manchmal auch ihr Opfer oder Versuchskaninchen. Einmal haben sie ihn festgehalten und mit einem Trichter einen Liter Wodka in ihn reingeschüttet. Einfach so. Um zu gucken, ob er’s überlebt. Immerhin haben sie dann den Notarzt gerufen, und im Krankenhaus konnten sie Heiko gerade noch rechtzeitig den Magen auspumpen. Ein Liter Wodka auf ex, das packt kaum einer. Oder ein andermal haben sie ihn bis auf die Unterhose ausgezogen und dann mit einem Messer an verschiedenen Stellen geritzt, bis er völlig blutverschmiert war. Dann haben sie ihn vor die Haustür eines unserer Lehrer gestellt, die Klingel gedrückt und sich hinter Büschen versteckt. Der Lehrer galt als schwul, und sie hofften, er [15] würde Heiko helfen und dabei von der Situation profitieren, ihm an den Penis greifen oder so. Aber der Lehrer war nicht blöd. Er hat Heiko vor der Tür stehen lassen und die Polizei gerufen. Der hat Heiko – nach wie vor in Unterhose und blutverschmiert – dann erzählt, er habe nur mal guten Tag sagen wollen. Die anderen haben sich frech dazugestellt und vor Lachen kaum eingekriegt. Heiko verriet sie nicht. Er verriet sie nie. Er ließ einfach alles mit sich machen. Hauptsache, sie machten etwas mit ihm.

»Komm schon, Rick«, rief Vladimir, »war nur Spaß. Dir passiert schon nichts. Wir wollen dich nur was fragen.«

Ich lief ohne aufzusehen weiter. Normalerweise wäre ich um diese Uhrzeit niemals zum Supermarkt gegangen, denn sie saßen fast jeden Nachmittag dort. Aber ich hatte Tante Bambusch versprochen, Quark zu kaufen. Am nächsten Tag sollte ihre Schwester zu Besuch kommen, und Tante Bambusch wollte ihr einen Käsekuchen backen. Sie und ihre Schwester mögen sich nicht, aber Käsekuchen mit Aprikosenkompott ist eine gemeinsame Kindheitserinnerung, und Tante Bambusch hoffte, damit eine friedliche Stimmung zu schaffen.

Auf jeden Fall: Ich musste in den Supermarkt rein, und wenn ich Pech hatte, würden sie mir [16] folgen. Im Supermarkt gibt’s nur einen Ausgang, und so besoffen, wie sie vermutlich waren, hätten sie wahrscheinlich Lust auf eine kleine Verfolgungsjagd bekommen. Sie hätten mich nicht zum ersten Mal in der Öffentlichkeit zusammengetreten.

»Ricki!«

Wieder Vladimir. Er und Mario waren die Anführer. Mario mehr der Brutale, Vladimir mehr der Hinterhältige.

»Nur ’ne Frage! Unter Freunden! Oder willst du, dass wir denken, dass du mit uns schon wieder nichts mehr zu tun haben willst…? He, was meint ihr? Gehen wir nachher mal bei Rickis Tante vorbei und fragen, warum Ricki seine Freunde so schlecht behandelt? Als wär er was Besseres. Macht mich total traurig. Vielleicht gibt sie uns zum Trost ’n bisschen Geld, damit wir uns ’n Eis kaufen können. Oder sie lädt uns ein, bei ihr fernzugucken, und brät uns ’n paar Schnitzel. Könnt ich jetzt gut gebrauchen. Und Robert spielt mit der neuen Miezi…«

Ich weiß nicht mehr genau, was ich in dem Augenblick dachte. Wahrscheinlich irgendwelche Flüche. Und wie immer wäre ich am liebsten weggelaufen. Aber es hätte nichts genützt, sondern alles nur schlimmer gemacht. Bis sie mich das nächste Mal irgendwo erwischt hätten, wären sie richtig [17] heiß gewesen. Außerdem traute ich ihnen zu, dass sie tatsächlich zu Tante Bambusch gingen und irgendwelchen Mist erzählten. Oder Schlimmeres. Mit genügend Alkohol intus war jeder der vier fähig, eine Siebenundachtzigjährige zu beschimpfen oder sogar zu schlagen und zu quälen.

Ich blieb stehen und wandte den Kopf, als sei ich in Gedanken versunken gewesen. »Hey, Vladimir, Mario… Alles okay?«

Zögernd ging ich in ihre Richtung. Mir fiel einfach nichts Besseres ein. Hinterher denke ich über solche Situationen oft so was wie: Warum hast du nicht gerufen: Tut mir leid, muss dringend zum Arzt, ist was Ernstes. Zum Beispiel Mittelohrentzündung, da hört man dann auch schlecht. Aber im entscheidenden Moment komme ich nicht drauf.

»Nee, Rick!« Das war Mario. »Nix is okay! Wenn wir dich rufen, spurst du gefälligst! Tust ja so, als wären wir irgendwelche Penner, wo man lieber wegschaut, du Schwein!«

Mario war auffallend klein, dünn, knochig, mit blondierten Haaren und Ohrsteckern mit Hakenkreuzen. Er machte keine Umwege. Immer sofort drauf. So war er schon im Kindergarten gewesen: Gib her, oder ich hau dir in die Fresse. Dabei war er weder dumm wie Heiko, noch krank wie Robert, sondern schien für normales Verhalten einfach [18] keine Zeit zu haben. Als hätte er Wichtigeres zu tun. Tatsächlich war Mario der Einzige von ihnen, den ich manchmal nachdenklich gesehen hatte. Wenn er irgendwo rumsaß. Als versuchte er ernsthaft, sich über etwas klarzuwerden. Bei Vladimir war ich viel mehr auf der Hut. Oder besser: Bei Vladimir war ich auf der Hut. Bei Mario musste man das nicht sein, es nützte sowieso nichts, man bekam sein Fett so schnell und überraschend ab, es blieb nie Zeit, sich zu wehren.

»He, he, Mario!« Vladimir gab Mario einen Klaps. »Nu sei mal nicht so streng. Unser Ricki – wahrscheinlich war er mal wieder irgendwo als Batman unterwegs. Ne, Ricki? Oder Superman. Was ist noch mal dein Lieblingsheld?«

Ich war inzwischen kaum mehr zehn Meter von ihnen entfernt, und alle vier schauten mich an. Ich ging noch etwa fünf Meter, dann blieb ich stehen. Selbstverständlich wusste ich, dass Vladimir sich lustig über mich machte und am Ende etwas Mieses kommen sollte. Trotzdem antwortete ich, als glaubte ich, er sei ehrlich interessiert: »Iceman.«

(Doktor Layton, ich weiß nicht, ob Sie sich inzwischen meine eigenen Comics angeguckt haben. Mein wirklicher Lieblingsheld ist natürlich Cherryman. Aber den konnte ich ihnen schlecht nennen: Ein Mann, der sich in Gefahrensituationen in einen [19] Kirschbaum verwandelt. Mit seinen Ästen kann er schlagen und würgen; wenn er will, trägt er giftige Früchte, und mit den Blättern stopft er Leuten das Maul, bis sie ersticken. Zum Beispiel Robert: Die Blätter drücken ihm schließlich die Hirnmasse aus den Ohren. Das klingt komisch, aber ich hab’s sehr realistisch gezeichnet, und es sieht gut aus.)

Vladimir runzelte die Stirn. Während die anderen mich einfach für eine Niete hielten, spürte ich bei ihm oft Misstrauen. Als ob er mich verdächtigte, ihm etwas vorzumachen. Wahrscheinlich weil er selbst anderen ständig etwas vormachte. Dabei kann ich das gar nicht. Dazu bin ich zu langsam und vielleicht auch zu einfallslos. Natürlich habe ich Hintergedanken, aber ich tu nicht so, als ob. Von Cherryman abgesehen war Iceman mein Lieblingsheld, und danach hatte er mich gefragt. Dass Vladimir wahrscheinlich meinte, Superheldencomics seien was für Gehirnamputierte, und sich nicht vorstellen konnte, dass ich mich noch mit achtzehn Jahren ernsthaft dafür interessierte, war nicht mein Problem.

Plötzlich schlecht gelaunt, sagte er: »Toll. Iceman. Mään! Bei uns heißt das Mann! Eismann! Verstehst du?«

»Verstehe, Vladimir.«

Es war ein Reflex. Wenn er seine nationalen [20] Sprüche klopfte, sprach ich gerne seinen Vornamen aus. Sein Vater war Russe.

»Und was macht der Tolles?«