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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.
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1. Ausgabe Juni 2015

© 2015
art&words – verlag für kunst und literatur

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Gesamtgestaltung: art&words
Umschlaggestaltung: Peter Hellinger

Druck:
Schaltungsdienst Lange oHG
Zehrensdorfer Straße 11
D-12277 Berlin (Marienfelde)

ISBN 978-3-943140-52-1
Auch als E-Print erhältlich.

Für meine Töchter

Danksagung

Mein Dank gilt den Menschen die mich inspirierten, die mir Zuspruch gaben und die mich baten, meine Geschichten zu veröffentlichen. Er gilt natürlich auch denjenigen, die mir zuhörten, privat und öffentlich. Die erste literarische Heimat habe ich beim AVF, AutorenVerband Franken gefunden. Der größte Dank gilt dem unvergleichlichen Peter Hellinger, ohne den dieses Buch in dieser Form nicht möglich geworden wäre.

Christa L. A. Bellanova, Juni 2015

Hermann, das Ei

Rückblickend kann man sagen, dass alles mit dem neuen Schlossgärtner begonnen hatte. Einem fremdländischen Mann, der versprach, allerlei unbekannte und exotische Pflanzen einzuführen. Der König, dessen Leidenschaft die Gartenkultur war, wischte die Bedenken seiner Gattin, der Königin, beiseite und so trat der Unbekannte seinen Dienst an. Schon bald waren im Blumengarten die allerschönsten, noch nie zuvor gesehenen Gewächse in den erstaunlichsten Farben zu bestaunen. Auch für den Gemüsegarten deutete er Neuerungen an, die für die Hofküche unbekannte Gemüse und exquisite kulinarische Köstlichkeiten bereit halten würden. Und tatsächlich war es auch so. Es gab Okraschoten, Zucchini, gefüllte Zucchiniblüten, Tomaten, Paprika und Auberginen. Die Königin liebte Auberginen. In allen erdenklichen Variationen wurden diese lilafarbenen ovalen Früchte zubereitet und verzehrt. Fast jeden Tag wurden Auberginen gebraten, mittags und abends; manchmal musste der König sogar nachts aufstehen und in der Schlossküche noch die Reste eines Auberginenauflaufs für sie holen. Nach einigen Monaten rundete sich der Leib der Königin. Zuerst wollte sie es nicht glauben, hatte sie doch schon erwachsene verheiratete Töchter. Aber es war tatsächlich wahr: Neues Leben regte sich in ihr. Nach der für diese Dinge üblichen Zeit wurde die Hebamme gerufen und alles nahm seinen natürlichen Lauf. Der König ging aufgeregt vor dem Schlafzimmer seines Eheweibes auf und ab, wünschte er sich doch schon lange einen Sohn. Aber was die ängstlich drein blickende Hebamme ihm nach bangen Stunden des Wartens in den Arm legte, machte ihn sprachlos. Ein längliches, rundes, helles Etwas mit leicht lilafarbener Marmorierung, ohne Kopf und Arme, nur aus dem unteren Oval ragten zwei winzige Beinchen hervor. Natürlich war an den entscheidenden Stellen nicht zu erkennen, ob man dem Wesen nun einen männlichen oder weiblichen Vornamen geben sollte. Der König entschied kurzerhand, dass das Ei, denn um ein solches handelte es sich, Hermann heißen solle. Die erstaunliche Neuigkeit machte natürlich die Runde im Schloss und schließlich im Reich und weit darüber hinaus. Eine Sensation ohnegleichen. Nur der Gärtner wunderte sich kein bisschen. Wusste er doch, dass Auberginen auch Eierfrüchte genannt werden.

Hermann wurde größer, die Beinchen kräftiger und schon bald hatte er herausgefunden, wie er – balancierend das Gleichgewicht haltend – damit laufen konnte. Äußerst neugierig erkundete er seine Umgebung und war sehr wissbegierig. Später bescheinigten ihm die Hauslehrer überragende Intelligenz. Auch im Sport war er ein Ass, nur mit dem Schreiben und Zeichnen hatte er gewisse Schwierigkeiten. Und so wuchs Hermann im Laufe der Zeit zu einem stattlichen Ei mit stämmigen Beinen heran, das von jedem ob seines ruhigen, sympathischen Wesens sehr gemocht wurde.

Der König und die Königin aber wurden älter und machten sich große Sorgen, was wohl mit Hermann passieren würde, wenn sie einmal nicht mehr seien. „Nie wird er ein Eheweib finden“, klagten sie, „fehlen ihm doch die entscheidenden Dinge für die Ehe.“

Da begab es sich, dass ausländische Delegationen, die von Hermann gehört hatten, den Hof besuchten. Unter ihnen auch Künstler, Gelehrte und Wissenschaftler. Hermann wurde bestaunt, untersucht und vermessen. Er lies alles mit Würde und Gleichmut über sich ergehen. „Ihr Sohn gehört einem sehr elitären Kreis an“, sagten sie. Werden doch Personen mit dieser außergewöhnlichen Form und Intelligenz andernorts auch egg-heads, genannt, auf deren Ratschlag wichtige Entscheidungsträger überall in der Welt hören.

Hermann blieb weiterhin unbeeindruckt. Was ihn neugierig machte war der dunkelhaarige kleine Goldschmied der ebenfalls zu den ausländischen Besuchern gehörte. In dessen Truhen und Taschen waren die allerlieblichsten Edelsteine in allen erdenklichen Größen zu finden, nebst Gold- und Silberstückchen die Hermann bestaunen durfte. „Erlauben Sie?“, fragte der Goldschmied und klebte einen kleinen roten Rubin an Hermanns Mitte, der sich das sehr gern gefallen ließ. „Vielleicht noch eines?“ Ein weiterer Edelstein wurde angebracht und schließlich noch einer und ein weiterer. „Da fehlt noch etwas Gold“, sagte der Künstler und „An dieser Stelle benötigen wir noch ein paar Perlen.“

Bald war Hermann über und über mit Kostbarkeiten bestückt. Er fühlte sich unglaublich schön, aber auch etwas schwer. Vor dem Spiegel stolzierte er auf und ab, lies sich bestaunen und bewundern. „Diesen Anblick darf man der Welt nicht vorenthalten“, sagten alle. „Wenn wir weiterreisen, darf Hermann uns nicht begleiten?“

Hermann wollte und nahm schließlich Abschied von König und Königin. Er drehte sich kein einziges Mal um, als die Kutsche, in der er weich gepolstert neben dem Goldschmied, seinem „Schöpfer“, saß, den Schlossgarten verließ. Nur der Gärtner blickte versonnen, auf seinen Rechen gestützt, der Kutsche nach, die in einer Staubwolke verschwand.

Die Reise ging gen Osten und dauerte sehr lange. Aber Hermann, das Ei, der noch nicht sehr viel von der Welt gesehen hatte, war von allem sehr beeindruckt. Nach vielen Wochen und allerlei Strapazen hatten sie schließlich eine große Stadt erreicht. Goldgefasste und farbige Zwiebeltürme die einen imposanten Bau zierten, überragten die übrigen Häuser.

Der Goldschmied flüsterte zu Hermann: „Mein lieber Freund, hier am Zarenhof angekommen, wird man dir die gebührende Ehrerbietung und Bewunderung entgegenbringen die du verdient hast.“

Und so war es auch. Er wurde wie noch nie in seinem Leben hofiert. Die Zarin war hingerissen von Hermann, zeigte ihm alles und führte ihn schließlich in ihre private Schatzkammer, direkt neben ihrem Schlafzimmer. Was er dort erblickte lies ihn erschauern.

Der Raum war angefüllt mit Eiern in allen Größen. Ebenso geschmückt wie Hermann mit Edelsteinen, Gold, Silber und Perlen. Die kleineren Eier ruhten in reich verzierten Kästchen, andere thronten in genau für sie gearbeiteten Stellagen.

Hermann aber war der Größte unter ihnen und der einzige mit Beinen. Sogleich stolzierte er umher, stellte sich vor und erzählte ungefragt seine Lebensgeschichte. Das er von den leblosen Schönheiten nicht verstanden wurde, störte ihn nicht im geringsten. Er fühlte sich sogleich zuhause und weigerte sich, die Schatzkammer überhaupt jemals wieder zu verlassen, hatte er doch endlich seine wahre Bestimmung gefunden. Und wenn er nicht gestorben ist, kann man ihn sicherlich heute noch dort finden, als Herr über seinesgleichen.

Jona beklagt sich

Ich bin der letzte hier. Alle anderen sind schon weg. Du weißt ja nicht wie es ist, übrig geblieben zu sein. Warum verschmähst du ausgerechnet mich? Dabei hast du doch neulich noch vor anderen angegeben: „Es gibt sie selbstverständlich immer in meiner Küche. Täglich ess’ ich einen, der Gesundheit zuliebe. Am liebsten geschält und in mundgerechten Stückchen.“

Und nun? Vielleicht war das alles sowieso nur Gerede und du wolltest dein Gewissen beruhigen. Pah! Werde immer säuerlicher. Noch säuerlicher, als ich es von Natur aus schon bin. Fühle mich auch saft- und kraftlos und in meiner Haut überhaupt nicht mehr wohl. Jeden Tag werde ich etwas verschrumpelter. Es ist schrecklich!

Hast du vergessen, dass ich dir auch beim Abnehmen und schlank bleiben helfen kann? Nimm mich doch endlich und mach was mit mir! Mittlerweile wäre ich sogar bereit als Küchlein zu enden, im Schlupfkuchen oder schlimmstenfalls als Mus zu Pfannkuchen. Die magst du doch so gern. Oder nicht? Ich bin bodenständig und gut. Zu irgendetwas werde ich wohl noch taugen. Bitte! Im übrigen, darf ich dich an dieses Buch erinnern, das du kürzlich von deiner Mutter geschenkt bekommen hast: „100 Variationsmöglichkeiten mit dem deutschen Urobst.“, Also, auf geht’s. Jetzt hast du keine Ausreden mehr.

Mühlengeschichten
oder
Der Müller mit den drei Töchtern

Es war einmal ein armer Müller, der kein Eheweib mehr hatte, aber drei schöne Töchter. Sie wuchsen heran und halfen ihrem Vater so gut es ging.

Die erste Tochter liebte Musik und Gesang. Eines Tages kam ein Dudelsackpfeifer des Weges, der dudelte so schön, dass die Älteste ihm ihr Herz schenkte. Kurze Zeit später ging sie mit ihm in ein fernes Land und ward nicht mehr gesehen. Dem Müller wurde es schwer ums Herz und er seufzte seitdem jeden Tag mindestens einmal sehr tief. Seine zwei anderen Töchter aber sagten: Sei nicht traurig Vater, du hast doch noch uns und zwei Hände die anpacken können und die Mühle am wilden Bach. Und so verging die Zeit.

Die zweite Tochter indes wünschte sich nichts sehnlicher als ein paar neue Schuhe. Der Müller konnte solche aber nicht kaufen und so gingen alle den Sommer über barfuß. Als es Herbst wurde und schließlich Winter teilten sich die drei das einzige paar alte Stiefel, wenn sie das Mühlenhaus verlassen mussten. Da kam eines Abends ein junger Bursche und bat um ein Quartier, da er des Nachts nicht den großen dunklen Wald durchqueren wollte. Dies wurde ihm gewährt. Er hatte den Wunsch sich erkenntlich zu zeigen und erbot sich, die Stiefel zu flicken. Als er herausfand, dass sie alle gemeinsam nur ein einziges Paar Stiefel besaßen wurde er sehr nachdenklich. Am nächsten Morgen hatte er aus seinen bunten Lederresten ein schönes Paar weicher Schuhe gefertigt, die er der zweiten Tochter schenkte. Sie aber schenkte ihm im Gegenzug sich selbst und so verließ auch diese junge Frau zusammen mit dem Flickschuster ihr Zuhause. Der alte Müller seufzte nun ununterbrochen und schüttelte außerdem ständig den Kopf, als ob er das alles nicht begreifen könne. Hatte er jetzt doch nur noch sein jüngstes Töchterlein.

Diese wurde mit jedem Tag liebreizender. Sie liebte die Mühle, das Mehl und das Brot, das daraus entstand. Den ganzen Tag knetete sie den Teig, buk das Brot und verkaufte es im Dorf. Sehr bald kamen Freier, darunter der Medicus, der Apotheker und sogar der Erbprinz des Landes. Aber sie wollte keinen, brachte sie es doch nicht übers Herz ihren alten Vater, der mit jedem Tag etwas gebrechlicher und wunderlicher wurde, allein zu lassen.

So lebten beide zusammen bis der Müller sehr krank wurde und schließlich starb. Da war das Mägdelein ganz allein in der Mühle. Die Bauern brachten kein Getreide mehr zum mahlen, weil sie dachten, dass die Junge die schwere Arbeit nicht allein verrichten könne. Die Spottdrossel sang: „Kein Mehl, kein Brot, bald bist du tot.“ Das ärgerte die Müllerstochter enorm und sie warf Steine nach der Spottdrossel, die natürlich recht hatte. Bald waren fast alle Vorräte aufgebraucht und das Mädchen hatte nichts mehr zu beißen. Auch kam keiner mehr um sie zu freien. Es war, als ob alle sie vergessen hatten und sie war zu stolz um Hilfe zu bitten. Ihre Gedanken wurden dunkler und schließlich nachtschwarz und irgendwann beschloss sie ihrem Leben ein Ende zu setzen.

Die Augen der Nachtvögel in den Bäumen öffneten sich erschrocken, während die Wildkatzen miauten und fauchten, als ob die Tiere sie von ihrem Vorhaben abbringen wollten. Nur die Spottdrossel blieb still. Das Mädchen ging zum Bach und legte sich hinein. Hier in vertrauter Umgebung sollte es sein. Sie dachte noch einmal an ihren Vater und an ihre Schwestern und dass sie nun alle bald wiedersehen würde. Sogar ihre Mutter an die sie keine richtige Erinnerung mehr hatte kam ihr in den Sinn.

Die Natur geht oft seltsame Wege, auch die menschliche Natur und deshalb war der Körper der jungen Frau stärker, als ihr Wunsch sich von dieser Welt davonzustehlen. Der wehrte sich mit aller Kraft gegen das Sterben und so öffnete sich ihr Mund in letzter Sekunde um Luft zu schnappen. Gerade in diesem Moment schwamm eine junge Forelle in diesen und wurde unwillkürlich von ihren Zähnen festgehalten. Strampelnd und wild um sich schlagend kroch sie aus dem Wasser und fiel ins Gras, zwischen ihren Zähnen noch immer den Fisch. Nach einiger Zeit taumelte sie zurück zur Mühle und schaffte es noch bis in die Stube. Die Forelle glitt unbemerkt aus ihrem Mund auf den noch warmen Ofen. Dann sank das Mädchen benommen zu Boden und fiel in einen tiefen Schlaf.

Forelle Müllerin-Art.

Und das ist das Ende der Geschichte.