Sündenfälle

Aus einem Hoffenster meines Hauses lehnen zwei junge Leute, ein junger Mann und ein junges Fräulein.

Sie erzählen sich Witze und lachen und stoßen sich in die Seiten. Dann beschäftigen sie sich eine Weile damit, daß sie gleichzeitig in den Hof hinunterspucken und nachsehen, wessen Spucke zuerst unten ankommt.

Aus alledem erkennt man, daß die zwei jungen Leute sich lieben. Denn die Liebe des Menschengeschlechts ist töricht. Das hat sich schon bei der ersten Liebesszene der Welt gezeigt, bei Adam und Eva, die sich mit ihrem Apfel so albern wie nur möglich aufgeführt haben.

Unten im Hofe sitzen zwei Katzen sich einander gegenüber. Das eine ist der Kater des Portiers, das andere die Katze des Bäckermeisters von nebenan, und das ganze Haus weiß, daß die beiden ein Verhältnis miteinander haben.

Aber wie anständig benehmen diese Tiere sich dabei. Ihre Liebe besteht darin, daß sie seit zwei Stunden sich gegenüber sitzen und sich unverwandt in die Augen sehen.

 

Nun erscheint auf dem Hofe ein Leiermann. Er stellt seinen Kasten auf, beginnt zu drehen und spielt die Arie aus dem Troubadour: »Schon naht die Todesstunde«.

Kaum haben die beiden jungen Leute da oben die ersten Klänge dieser Arie gehört, so erheben sie sich, schließen das Fenster und ziehen die Vorhänge zu.

Auch die weibliche Katze scheint durch die Musik irgendwie sinnlich erregt worden zu sein. Sie steht auf, streckt sich und geht langsam zu dem Kater hin; aber der haut ihr mit der Pfote eine herunter, worauf die Katze ruhig auf ihren Platz zurückkehrt.

Schade, daß Adam kein Kater gewesen ist. Schade, daß Adam der Eva nicht auch eine heruntergehauen hat. Wir säßen heute noch im Paradiese, und alles wäre anders geworden.

Im Trajansforum

Das Trajansforum in Rom wird von den Umwohnern dazu benutzt, überflüssige Katzen hineinzuwerfen. Es kommt doch leider nur allzu häufig vor, daß arme Leute nicht mehr wissen, was sie mit ihrer Katze anfangen sollen, das Geld reicht ja manchmal kaum für die Menschen. Umbringen möchte man das arme Tierchen auch nicht (übrigens versuchen Sie einmal, eine Katze umzubringen!), und sie wegzutragen hat keinen Zweck, sie kommt ja doch immer wieder.

Da nimmt der Familienvater also die Hauskatze, trägt sie zum Trajansforum und wirft sie in das Trajansforum hinunter. Das Trajansforum liegt ungefähr zwei oder drei Meer tief unter dem Straßenpflaster und ist von allen Seiten von einer senkrechten Mauer umgeben.

Nun muß ich gestehen, ich glaube, wenn die Katzen ernsthaft wollten, könnten sie aus dem Trajansforum wieder heraus. Was sind denn zwei oder drei Meter Steinmauer für eine richtige Katze? Aber sie wollen vielleicht gar nicht mehr aus dem Trajansforum heraus und halten diese Lösung für ganz ausgezeichnet.

Das Forum ist reizend mit hohen Gräsern bedeckt, Ratten und Mäuse muß es zu Tausenden geben, überall wachsen Büsche, in denen die Katzen mit den betreffenden Katern alles machen können, wonach ihnen der Sinn steht; und immerfort sieht man, wie die gutmütigen Nachbarn kommen und ihre Speisereste herunterwerfen. Und so ist denn das Trajansforum von Hunderten von Katzen bewohnt, die sich da wollüstig ergehen und von Speck glänzen.

Seitdem sind diese Trajanskatzen eine der größten Sehenswürdigkeiten der an Sehenswürdigkeiten so reichen Stadt Rom geworden. Ja, es hat sich so gedreht, daß der Kaiser Trajan, der dieses Forum mit ungeheuren Kosten hat bauen lassen, vor seinen Katzen ganz in den Hintergrund zu treten beginnt und daß sich kein Mensch mehr um ihn kümmert.

Das Krokodil und ich

Am Vormittag ging ich ins Aquarium, um mir die Tiere anzusehen.

Das ist eines der schwersten Übel dieser Zeit, daß wir so wenig Tiere zu sehen bekommen. Die Pferde, Hunde und Katzen werden immer seltener in den Städten, die Natur zieht sich von uns zurück und überläßt uns unseren respektiven Veranstaltungen.

Deshalb also ging ich in das Aquarium, wo es, wie immer, außerordentlich voll war. Um den Schwanzmolch drängten sich Hunderte von Zuschauern, und vor den Schlangen hatten sich Schlangen gebildet. Den Haupterfolg aber konnte das große Krokodil verzeichnen, das mit dem Bauch im Wasser lag.

Das große Krokodil lag mit dem Bauch im Wasser und beschäftigte sich damit, auf sein Mittagessen zu warten. In dieser Tätigkeit ließ es sich weder durch die Neckereien noch durch die Zurufe der Beschauer stören; es hatte die Augen halb geschlossen, und um seinen für gewöhnlich so ironischen Mund spielte ein Zug von Melancholie. Lebenskünstler haben oft dicht vor dem Essen einen solchen melancholischen Zug um die Lippen.

 

Am Nachmittag ging ich in das Fischgeschäft, um einen Karpfen für das Fest zu kaufen.

Das Geschäft, in dem ich meine Fische kaufe, unterscheidet sich von anderen Geschäften dieser Art dadurch, daß in ihm ein Haussegen aufgehängt ist. Dieser Haussegen enthält die Worte: Wo Glaube, da Liebe; wo Liebe, da Hoffnung; wo Hoffnung, da Gott; wo Gott, da keine Not, und ist über der Bank angebracht, auf der die Fische zubereitet werden.

»Soll ich ihn gleich totmachen?« fragte mich das Fräulein und lächelte verführerisch.

Ich wäre am liebsten wieder fortgelaufen. »Wenn ich bitten darf«, sagte ich mit heiserer Stimme.

Das Fräulein trug den Karpfen auf die Bank unter dem Haussegen, wickelte ihn in ein Tuch und hieb ihm den Kopf ein. Dann drehte sie sich um und lachte uns alle an und war stolz, daß sie das so fein gemacht hatte.

 

Das Krokodil wird heute auch Fische zu seinem Mittagessen bekommen haben. Aber selbstverständlich besitzt dieses Krokodil keinen Haussegen mit Glaube, Liebe, Hoffnung, weil es ja zur Rasse der Reptilien gehört und deshalb keine Seele hat.

Unterhaltungen

Schon seit langem haben aufgeklärte Denker vermutet, daß die Tiere eine Sprache haben. Das heißt daß die Laute, die das Tier äußert, nicht nur gedankenlose Rufe des Hungers oder der Liebe sind, sondern daß sie etwas Bestimmtes bedeuten, genau wie die Worte der menschlichen Sprache.

Es wäre ja auch kaum zu begreifen, wenn nur die manchmal recht sonderbaren Töne der menschlichen Stimme – man denke an Töne wie Dompropst, Spritschmuggel, Zwetschgenknödel, Klubsessel, Brauhausbräu –, wenn nur solche lächerlichen Geräusche aus der Sphäre der göttlichen Idee herstammen, die teils zarten, teils energischen Verlautbarungen der Tiere aber nicht. Nur, was es nun ist, was die Tiere reden, das hatte man noch nicht herausgefunden.

Jetzt hat ein Gelehrter sich daran gemacht, die Sprache der Tiere zu erforschen, und zwar hat er mit den Affen angefangen, die ja von allen Tieren den Menschen am ähnlichsten sind. Oder sind die Menschen den Affen am ähnlichsten? Aber das kommt ja auf dasselbe heraus, und es kann keiner etwas dafür. Der Gelehrte setzte sich also vor den Affenkäfig, und nach langen Versuchen, mit Mikrophonen und Grammophonen, ist es ihm gelungen, die Gespräche der Affen in ihrem Käfig zu verstehen.

Nun, meine Herrschaften, worüber, glauben Sie, unterhalten sich die Affen in ihrem Käfig? Aber lassen Sie nur, Sie finden es ja doch nicht. Die Affen in ihrem Käfig sprechen fast ausschließlich vom Wetter.

Die Mama Äffin: »Schrecklich, wie es heute wieder kalt geworden ist.«

Der Papa Affe: »Der Umschlag war zu erwarten; es ist der Einbruch des Atlantischen Kältetiefs.«

Das ältere, ledige Fräulein Äffin (etwas unmodern eingestellt): »Und stürmt der Winter noch so sehr auf Erden, halt aus, mein Herz, es muß doch Frühling werden.«