Die Saga von Brennu-Njáll
Isländersagas
Herausgegeben von Klaus Böldl, Andreas Vollmer und Julia Zernack
Aus dem Altisländischen von Karl-Ludwig Wetzig
FISCHER E-Books
Mit einer Einleitung von Karl-Ludwig Wetzig
Mit einem Vorwort der Herausgeber
Mit Faksimiles der mittelalterlichen Handschriften
Mit einer Karte der Handlungsorte der Saga
Mit einem Glossar
Klaus Böldl debütierte 1997 mit dem Roman »Studie in Kristallbildung«. Seither erschienen u.a. das mit dem Brüder-Grimm-Preis sowie mit dem Hermann-Hesse-Preis ausgezeichnete poetische Reisebuch »Die fernen Inseln« (2004) und der Roman »Der nächtliche Lehrer« (2010). Klaus Böldl ist Professor für skandinavische Kultur- und Literaturgeschichte des Mittelalters an der Christian-Albrechts-Universität Kiel.
Andreas Vollmer war Lektor für Isländisch an der Humboldt-Universität zu
Berlin und übersetzt isländische Literatur. In der Mediävistik beschäftigen
ihn Fragen der Überlieferung und Edition von mittelalterlichen Texten.
Julia Zernack ist Professorin für Skandinavistik an der Johann Wolfgang Goethe-
Universität in Frankfurt. Ihre Forschungsinteressen gelten unter anderem der mittelalterlichen Literatur Skandinaviens und Islands sowie ihrem Nachleben in der Neuzeit.
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Covergestaltung: hißmann, heilmann, hamburg
Isländische National- und Universitätsbibliothek Landsbókasafn Íslands, Reykjavík, Island sowie dem Handschrifteninstitut Stofnun Árna Magnússonar í íslenskum fræðum, Reykjavík, Ísland.
Karten Peter Palm, Berlin
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
Der Verlag dankt für die großzügige Förderung durch Sagenhaftes Island sowie durch die Kunststiftung NRW, Düsseldorf, in Kooperation mit dem Europäischen Übersetzer-Kollegium in Straelen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
ISBN 978-3-10-401657-3
Die Isländersagas (Íslendingasögur) sind umfangreiche Prosaerzählungen in altisländischer Sprache, entstanden im 13. und 14. Jahrhundert. Sie gelten als der wichtigste Beitrag Islands zur Weltliteratur und sind in viele Sprachen übersetzt worden, mehrfach auch ins Deutsche. Die vorliegende Ausgabe präsentiert eine breite Auswahl dieser Sagas in neuen deutschen Übertragungen, ergänzt durch eine Reihe thematisch und stilistisch verwandter Erzählungen (þættir) aus derselben Epoche. In ihrer novellenhaften Kürze und Pointiertheit legen sie zusammen mit den Isländersagas in eindrucksvoller Weise Zeugnis ab von der im Mittelalter einzigartigen Erzählkunst Islands.
Viele Übersetzer haben zum Entstehen der neuen Ausgabe beigetragen. Wenn die Übertragungen dadurch einen je individuellen Ton bekommen haben, dann ist dies durchaus beabsichtigt. Denn die Originaltexte haben bei allen Gemeinsamkeiten doch immer eine deutlich eigene Prägung, die auch in der Übersetzung noch durchscheint. Damit die Sagas als literarische Kunstwerke für sich wirken können, sollten sie von allen erläuternden Zusätzen möglichst frei bleiben. Für das Verständnis unverzichtbare Anmerkungen der Übersetzer sowie Karten zur geographischen Orientierung finden sich in einem Anhang. Den größeren kultur- und literaturgeschichtlichen Zusammenhang erschließt der Begleitband.
April 2011
Die Herausgeber
Brennu-Njáls saga
Aus dem Altisländischen
und mit einer Einleitung
von Karl-Ludwig Wetzig
Die abgebildete Seite stammt aus einer der ältesten Handschriften der Saga von Brennu-Njáll aus der Zeit um 1300 (Kálfalækjarbók). Das Pergamentfragment ist schlecht erhalten, zeigt aber an einigen Stellen Reste von farbigen Initialen. Der Text hier beschreibt jene berühmte Szene, in der Gunnar durch das Stolpern seines Pferdes veranlasst wird, nicht in die Verbannung zu gehen, sondern auf Island zu bleiben, obwohl ihn dies das Leben kosten wird (Kap. 75).
Aus dem 19. Jahrhundert brachte die Beschäftigung mit den Isländersagas die Überzeugung mit, dass sie »ursprünglich nur auf Grund mündlich umlaufender Überlieferungen aufgezeichnet worden« seien (Konrad Maurer). Ausgerechnet aber in der Saga, die von der Mehrzahl der Kenner als Krone und Vollendung der Gattung angesehen wird, musste diese These an ihre Grenzen stoßen, denn wie soll man sich das Gedächtnis eines Menschen vorstellen, der in der Lage sein müsste, eine nur mündlich überlieferte Erzählung zu behalten, die aus weit mehr als 100 000 Wörtern besteht, in einer an Ereignissen nicht gerade armen Handlung fast 600 Personen beim Namen nennt und dabei von vielen auch noch ihre verwandtschaftlichen Beziehungen bis ins fünfte oder sechste Glied darlegt? Genau dies aber ist der Stoff, aus dem die Saga von Brennu-Njáll gemacht ist, und zwar auf eine Weise, die geeignet scheint, doch eher den Anhängern einer konkurrierenden Theorie recht zu geben: Ihr zufolge sind die Isländersagas vielmehr hochstehende literarische Schöpfungen von einzelnen Autoren des 13. Jahrhunderts, deren komplexer Aufbau mit zahlreichen Vorausdeutungen und späteren Rückgriffen nur auf schriftliche Aufzeichnungen gestützt ausgearbeitet werden konnte.
Die in der Saga von Brennu-Njáll geschilderte Handlung setzt, wenn man ihr Zeitgerüst mit historischen Ereignissen abgleicht, um das Jahr 960 ein und endet etwa im Jahr 1015/16. Eine Originalhandschrift ist nicht erhalten, doch verschiedenen Indizien zufolge wurde die Saga wahrscheinlich im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts geschrieben, in den zwanzig Jahren zwischen 1275 und 1295, also einige Zeit nachdem die einst so stolzen Isländer ihre Unabhängigkeit verloren hatten und steuerzahlende Untertanen der norwegischen Krone geworden waren, und auch mindestens 260 Jahre nach den in ihr erzählten Begebenheiten. Diesen nicht unbeträchtlichen Zeitabstand können auch die Anhänger der »Buchprosatheorie« nicht leicht ohne die Annahme einer zunächst mündlichen Weitergabe von Berichten und Erzählungen überbrücken. Für den in mehr als fünfzig Handschriftenbruchstücken schriftlich festgehaltenen Text der Saga gilt jedoch, daran ließ der isländische Herausgeber der auch dieser Übersetzung zugrundeliegenden Edition keinen Zweifel, »dass die Saga in ihrer Gesamtheit das Werk eines einzigen Mannes ist« (Einar Ólafur Sveinsson).
Nur zu gern wüssten wir seinen Namen.
»Damit schließe ich die Saga von Brennu-Njáll«, heißt es nach bald 500 Seiten mit der ganzen sachlichen Schlichtheit, die gute Sagaprosa oft auszeichnet, und doch sind in diesem unaufdringlichen Schlusssatz zwei sonst selten oder nie vorkommende Aussagen enthalten. Zum einen verleiht der Autor selbst seiner Geschichte einen Titel, was bei nicht vielen Isländersagas überliefert ist; und zum anderen tritt in der ganzen Sagaliteratur nur an dieser einen Stelle ganz kurz das »Ich« eines Erzählers und des hinter ihm stehenden Autors in Erscheinung. Regeln oder Konventionen der Gattung scheinen den Verfassern nämlich abverlangt zu haben, anonym hinter ihre Werke zurückzutreten, und so weit, mit seinem Namen zu signieren, ging auch der Autor der Saga von Brennu-Njáll nicht. Im Lauf der Forschungsgeschichte haben sich daher immer wieder die intimsten Kenner der Sagas und der Epoche, in der sie geschrieben wurden, mit dem Spürsinn kriminalistischer Profiler auf die Suche nach ihm begeben, doch keiner der Namen, die sie vorschlugen, hat allgemeine Zustimmung gefunden. Es wird dabei bleiben: Wir kennen den Verfasser der Saga von Brennu-Njáll nicht namentlich, und so war es auch gedacht. Denn wenn kein einzelner Autor für den Inhalt der Saga verantwortlich zeichnet, erhält seine Geschichte durch das (echte oder fiktive) Herstammen aus einer kollektiv von vielen Generationen getragenen Überlieferungstradition umso größere Glaubwürdigkeit. Ein kalkuliert schlichter Erzählstil, der in vielem mündliches Erzählen nachbildet, trägt zusätzlich dazu bei.
Unübersehbar deutlich ist, dass der Verfasser der Saga von Brennu-Njáll ein bewusst literarisch schaffender Autor war, der – sehr belesen – souverän mit den Konventionen des Sagaerzählens umzugehen verstand. Überblickt man den Stoff seiner Erzählung, dann bestand sein größtes Interesse augenscheinlich an Fragen der Konfliktlösung, durch außergerichtliche Vergleiche oder Gerichtsprozesse oder, als letztes Mittel, auch durch Gewalt. Hätte es den Berufsstand im damaligen Island bereits gegeben, würde man den Autor sicher unter den führenden Juristen seines Landes suchen. – »Mit Gesetzen soll man unser Land aufbauen«, lautet die wohl bekannteste Maxime, die seit Njáll in Island bis heute zum geflügelten Wort wurde.
In den ersten dreißig Kapiteln geht es vor allem um Eheschließungen und Eheverträge, doch mit Gesellschaftsklatsch hat das kaum zu tun. Vielmehr ist das Knüpfen von Heiratsverbindungen, der Austausch von Frauen, wenn man so will, vielleicht der älteste und wichtigste Weg zur Anbahnung von Kontakten zwischen Menschengruppen. Verläuft es glücklich, sichern sie den Frieden, scheitern sie, beschwört das Konflikte herauf. Durch das nachdrücklich erbetene Eingreifen nach einer gescheiterten Ehe wird der Held des ersten Teils der Saga in die Geschichte hineingezogen: Gunnar von Hlíðarendi. Er trägt nicht nur den im Norden gebräuchlichen Namen von Burgundenkönig Gunther, sondern ist auch sonst als eine für die Heldensage geeignete, fast siegfriedähnliche Gestalt gezeichnet. Schon ein Blick auf den Titel der Saga lässt aber vermuten, dass nicht Gunnar als Held dieser Geschichte gedacht ist, sondern sein bester Freund, Njáll; und Njáll ist ein früh als alt dargestellter Mann mit dem unmännlichen Merkmal, keinerlei Bartwuchs zu haben, und ein Mann des friedlichen Ausgleichs, ebenfalls ein mit allen Wassern gewaschener Kenner der Gesetze (und ihrer Lücken), der seine größten Erfolge im Aushandeln von Vergleichen oder vor Gericht erringt, und nicht auf dem Kampfplatz. Isländersaga ist nicht Heldensage. Dazu ist sie viel zu sehr an gesellschaftlichen Fragen und Konflikten interessiert. Die Saga von Brennu-Njáll erzählt unter anderem von einem permanenten Widerspiel der Kräfte von Freundschaft und friedliebendem Ausgleich auf der einen und einer von der Gesellschaft geforderten Pflicht zu Bestrafung und Rache auf der anderen Seite. Gunnars und Njálls schöne Freundschaft wird durch eine Kette tödlicher Zwischenfälle auf zunehmend härtere Belastungsproben gestellt, doch sie bewährt sich, bis eine übermächtige Koalition von Feinden Gunnar zur Strecke bringt, nicht zuletzt weil er sich weigert (oder war es so vorherbestimmt?), einen von Njáll für ihn vor Gericht ausgehandelten Vergleich zu erfüllen.
Mit Gunnars Tod kann die Geschichte nicht zu Ende sein. Er hat Söhne, er hat eine willensstarke Mutter, die Vergeltung will, und er hat Freunde. »Ich bestehe darauf, dass meine Söhne ihr Leben mit dem deinen verbinden«, hat Njáll noch zu helfen versucht, bevor Gunnar – und damit wird er dann doch den Helden des Nibelungenlieds ähnlich – in einem letzten Akt trotziger Selbstbehauptung allein auf sich gestellt in seinem Haus auf die Feinde wartete.
Ohne eine solche Entschlossenheit zur Selbstbehauptung konnte man leicht zu den Verlierern gehören in einer Gesellschaft, die keine undurchlässig strikt gegliederte Ständepyramide kannte, die nicht jedem seinen unverrückbaren Platz schon mit der Geburt zuwies, und deren Gründer bewusst auf die Errichtung eines staatlichen Machtapparats zur Aufrichtung und Durchsetzung von Frieden und Ordnung verzichtet hatten. Unter solchen Bedingungen konnte sich ein Individuum am ehesten gegen Übergriffe schützen, indem es den anderen immer wieder signalisierte, gegen jede Beschädigung, und sei es die seines Rufs, seines Ansehens, entschlossen vorzugehen. Dreh- und Angelpunkt allen Geschehens in der Saga ist darum immer wieder die Frage, ob, wie und mit welchen Mitteln ein Individuum in kritischen Konfliktsituationen seine persönliche Integrität und Unverletzlichkeit, das, was man früher seine Ehre genannt hätte, bewahren kann.
Zweite Schutzmaßnahme war eine Verpflichtung zu gegenseitiger Hilfeleistung unter Familienangehörigen, angeheirateten Verwandten, Freunden, Bluts- und Ziehbrüdern, Verbündeten. Solche Verpflichtungen mussten zwingend sein, wenn sie wirksam sein sollten, und daraus folgte mit innerer Notwendigkeit eine Pflicht, jemanden, der einen Freund, Verwandten, Verbündeten verletzt oder getötet hatte, zu verfolgen und nachträglich Rache zu üben.
Skarphéðinn, der Herausragende unter Njálls Söhnen, die im zweiten Hauptteil der Saga für Gunnar Rache nehmen, hat gut lachen, auch wenn er meist nur ein zähnefletschendes Grinsen aufsetzt, denn er folgt unbeirrt und ohne Zweifel diesem Weg, den ihm die von der Gesellschaft vorgegebenen ethischen Verpflichtungen zeigen, auch dann noch, als er in seinen eigenen und den Tod seiner ganzen Familie führt. (Dass es daneben auch schlicht um Fragen von Macht und Herrschaft ging, spricht in aller Deutlichkeit z. B. die Strafpredigt aus, die im 107. Kapitel der Gode Valgarð Grái seinem Sohn Mörð hält.)
Andere Sagafiguren, wie etwa Kjartan in der Saga von den Leuten aus dem Laxárdal oder hier Njáll, geraten durch solche Normen in viel tiefere Widersprüche und Zweifel. Da klingt die immer wieder geäußerte Überzeugung von einer schicksalhaften Unausweichlichkeit des Kommenden fast wie eine Entlastung. »Jeder muss tun, was ihm bestimmt ist«, »es kommt, was kommen muss«, solche Sätze werden in der Saga von Brennu-Njáll wie Mantras wiederholt. »Es wurde schlechtes Korn gesät, und daraus kann nur Schlechtes wachsen«, sagt der im Süden und Osten des Landes führende Flosi Þórðarson mit dem Ton des Unausweichlichen, der für diese Saga vielleicht noch kennzeichnender ist als für andere, bevor er gegen Njáll und seine Söhne zum Allthing zieht, um gegen sie den Prozess wegen des Totschlags am Mann seiner Nichte anzustrengen, der zugleich Njálls eigener geliebter Ziehsohn ist. Der Ausblick zeigt, wie man durch sich überkreuzende Schutz- und Hilfszusicherungen in fürchterliche Zwangslagen geraten konnte, die einen am Ende unerbittlich nötigten, seine Wahl zu treffen, notfalls auch gegen Menschen, denen man in Liebe verbunden war. Das Beispiel zeigt daneben übrigens auch, wie wesentlich die für uns oft so ermüdend ausführlich dargelegten Verwandtschaftsverhältnisse in den Sagas sind, so dass man keinesfalls, wie es einige frühere Übersetzungen taten, die vielen ausführlichen Genealogien im Text einer flüssigeren Lesbarkeit zuliebe einfach weglassen kann. Die Menschen in den Sagas sind als Individuen dargestellt, als sehr ausgeprägte oft genug, aber sie sind in der Regel auch stets eingebunden in soziale Netzwerke von Verwandtschaft und Freundschaft. Nicht zuletzt ist die höchste Strafe, die die Gesetze des isländischen Freistaats zur Sagazeit vorsahen, der Waldgang, die vollständige Verstoßung aus der Gemeinschaft. In der Praxis kam sie wohl meist einem Todesurteil gleich. Ein solches Urteil, die große Acht, sollte schließlich auch die Männer treffen, die sich verbündeten, um gegen Njáll und seine Söhne vorzugehen, mit Feuer und Schwert. Einen solchen Überfall, bei dem man das Haus des Angegriffenen mit seinen Bewohnern darin niederbrannte, nannte man eine Brenna. Daher Njálls Beiname. Doch der nächste Rächer folgte den Mordbrennern bald wie ein Schatten.
Mörð hieß ein Mann, den man Gígja nannte, die Fiedel. Er war ein Sohn von Sighvat Rauð und lebte auf dem Hof Völl in Rangárvellir. Er war ein einflussreicher und mächtiger Mann, der stets aufmerksam alle Rechtsstreitigkeiten verfolgte, und er war ein so guter Kenner der Gesetze, dass niemand ein Urteil für rechtsgültig hielt, wenn er nicht daran mitgewirkt hatte. Mörð hatte eine Tochter mit Namen Unn, sie war eine schöne Frau, vornehm erzogen und gebildet, und sie galt als die beste Partie der ganzen Gegend.
Die Geschichte wendet sich jetzt zunächst nach Westen in die Täler am Breiðafjord. Ein Mann dort wird Höskuld genannt, er war ein Sohn des Dala-Koll. Seine Mutter hieß Þorgerð und war eine Tochter Þorsteinn Rauðis, eines Sohns von Ólaf Ingjaldsson Hvíti, Sohn des Helgi. Die Mutter Ingjalds war Þóra, eine Tochter des Sigurð Orm-í-auga, der wiederum ein Sohn von Ragnar Loðbrók war. Die Mutter von Þorsteinn Rauði war Uð Djúpúðga, Tochter Ketill Flatnefs und Enkelin von Björn Buna. Höskuld lebte auf Höskuldsstaðir im Laxárdal. Sein Bruder hieß Hrút und wohnte auf Hrútsstaðir. Höskuld und Hrút hatten die gleiche Mutter, doch Hrúts Vater war Herjólf. Hrút war ein ansehnlicher Mann, groß und stark und waffenerprobt, aber auch besonnen und äußerst klug, konsequent und rücksichtslos gegen seine Feinde, doch hilfsbereit in wichtigen Angelegenheiten.
Einmal gab Höskuld ein Fest für seine Freunde, und sein Bruder Hrút nahm ebenfalls daran teil und saß an seiner Seite. Höskuld hatte eine Tochter mit Namen Hallgerð. Sie spielte mit anderen Mädchen auf dem Fußboden. Sie war hübsch und gut gewachsen und ihr Haar so schön wie Seide und so lang und dicht, dass es ihr bis über den Gürtel reichte.
Höskuld rief sie. »Komm einmal her«, sagte er, und sie kam gleich zu ihm. Er griff ihr unters Kinn und gab ihr einen Kuss; dann ging sie wieder. Höskuld fragte seinen Bruder: »Wie gefällt dir das Mädchen? Findest du es nicht schön?«
Hrút schwieg.
Höskuld wiederholte seine Frage.
Da sprach Hrút: »Wunderschön ist die Kleine, und dafür werden noch viele bezahlen. Nur eins kann ich mir nicht erklären, wie diese Diebsaugen in unsere Familie gekommen sind.«
Darüber erzürnte Höskuld, und für eine Weile kühlte das Verhältnis der Brüder merklich ab.
Hallgerðs Brüder waren Þorleik, der Vater Bollis, und Ólaf, der Vater Kjartans, sowie Bárð.
Ein andermal ritten Höskuld und Hrút zum Allthing, das von vielen Teilnehmern besucht wurde. Dort sagte Höskuld zu Hrút: »Ich fände es gut, Bruder, wenn du die Stellung deines Hauses verbessern und dir eine Frau suchen würdest.«
»Das geht mir auch schon lange durch den Kopf«, antwortet Hrút, »ich habe mich nur bisher noch nicht entschließen können. Jetzt aber will ich deinem Wunsch folgen. Wo sollen wir suchen?«
»Auf dem Thing hier sind viele wichtige Leute anwesend, da gibt es reichlich Auswahl«, sagt Höskuld. »Trotzdem habe ich für dich schon einmal in eine bestimmte Richtung gedacht. Es gibt da eine Frau namens Unn, sie ist die Tochter von Mörð Gígja, diesem so klugen Mann. Er hält sich hier auf dem Thing auf und seine Tochter ebenso. Wenn du willst, kannst du sie also in Augenschein nehmen.«
Als die Menschen am folgenden Tag zur gesetzgebenden Versammlung Lögretta gingen, sahen sie vor der Thinghütte der Leute aus dem Rangábezirk einige gutgekleidete Frauen.
»Da ist sie, die Unn, von der ich gesprochen habe«, meinte Höskuld zu Hrút. »Wie gefällt sie dir?«
»Gut«, gab Hrút zurück, »aber ich weiß nicht, ob wir miteinander glücklich werden können.«
Darauf gingen sie weiter zur Versammlung Lögretta. Mörð Gígja erklärte wie üblich die Gesetze und legte sie aus und kehrte anschließend zu seiner Thinghütte zurück. Höskuld und Hrút erhoben sich und folgten ihm. Mörð saß in seiner Hütte. Sie traten ein und grüßten. Er stand auf und ging ihnen entgegen, begrüßte Höskuld mit Handschlag und führte ihn zu dem Platz an seiner Seite, Hrút setzte sich neben Höskuld. Dann unterhielten sie sich über vieles, und am Ende brachte Höskuld das Gespräch darauf, »dass ich gekommen bin, um dir eine Heirat anzutragen. Hrút möchte gern dein Schwiegersohn werden und deine Tochter heiraten, und ich will dazulegen, was ich kann.«
Mörð antwortete: »Ich weiß, du bist ein einflussreicher und vermögender Mann, deinen Bruder aber kenne ich nicht.«
Höskuld versicherte: »Er hat mir noch einiges voraus.«
Mörð sagte: »Du wirst ihm eine Menge beisteuern müssen, denn meine Tochter wird einmal meine einzige Erbin sein.«
»Auf meine Antwort darauf will ich dich nicht lange warten lassen«, gab Höskuld zurück, »ich statte ihn aus mit dem Land von Kambsnes und Hrútsstaðir bis hinauf zur Þrándargil. Er selbst besitzt ein Handelsschiff, das gerade auf Handelsfahrt unterwegs ist.«
Da ergriff Hrút das Wort: »Versteht das so, Bóndi, dass mein Bruder mich aus Zuneigung in günstigem Licht erscheinen lässt. Doch wenn Ihr die Sache in Betracht ziehen wollt, dann wüsste ich gern Eure Bedingungen.«
»Die habe ich mir schon überlegt«, antwortete Mörð. »Sie soll von mir sechzig Hunderte bekommen. Von deiner Seite soll die Hälfte dieser Summe aufgebracht werden. Wenn ihr einmal Erben bekommt, soll euch das Gesamtvermögen aber jeweils zu gleichen Teilen gehören.«
Hrút sagte: »Diese Vereinbarung akzeptiere ich. Lasst sie uns vor Zeugen bekräftigen.«
Dann standen sie auf, gaben sich die Hand darauf, und Mörð versprach Hrút seine Tochter Unn. Die Hochzeit sollte einen halben Monat nach Mittsommer bei Mörð stattfinden.
Beide Parteien ritten vom Thing nach Hause, und die Brüder bogen an den Hallbjarnarsteinen nach Westen ab. Da kam ihnen Þjóstólf, der Sohn von Björn Gullberi aus dem Reykjardal, entgegen und teilte ihnen mit, dass an der Hvítá ein Schiff gelandet sei, mit Hrúts Onkel Össur an Bord, der wünsche, dass Hrút so schnell wie möglich zu ihm komme. Als Hrút das hörte, bat er Höskuld, ihn zum Schiff zu begleiten. Beide ritten dorthin, und als sie beim Schiff eintrafen, begrüßte Hrút seinen Onkel freudig und von Herzen. Össur lud sie zu einem Umtrunk in eine Hütte ein, dann nahm man ihnen die Pferde ab, und sie traten zum Trinken in die Hütte.
Hrút sagte zu Össur: »Jetzt sollst du mit mir in den Westen kommen und den Winter bei mir verbringen, Onkel.«
»Daraus wird nichts«, erwiderte Össur. »Denn ich muss dir den Tod deines Bruders Eyvind melden. Er hat dich auf dem Gula-Thing zu seinem Erben bestimmt, doch wenn du das Erbe nicht antrittst, werden es deine Feinde übernehmen.«
»Was soll ich jetzt tun, Bruder?«, fragte Hrút. »Das ist doch eine verzwickte Sache, wo ich gerade erst meine Hochzeit verabredet habe.«
Höskuld meinte: »Du solltest zu Mörð reiten und ihn bitten, eure Vereinbarung dahingehend zu ändern, dass eure Verlobungszeit auf drei Jahre ausgedehnt wird. Ich reite derweil nach Hause und lasse deine Sachen zum Schiff bringen.«
»Dafür möchte ich, dass du dir Mehl, Holz und anderes, was du brauchen kannst, von der Ladung nimmst«, sagte Hrút, ließ seine Pferde holen und machte sich auf den Weg ins Südland, während Höskuld nach Westen ritt.
Hrút traf bei Mörð in Rangárvellir ein und wurde dort freundlich empfangen. Er unterrichte Mörð von der geänderten Sachlage und fragte ihn um Rat.
»Um wie viel Geld geht es?«, erkundigte sich Mörð.
Hrút meinte, wenn er alles bekomme, gehe es um einen Gegenwert von zweihundert Mark Silber.
»Das ist viel, wenn man mein Erbe danebenhält«, sagte Mörð, »und wenn du es möchtest, solltest du unbedingt fahren.«
Anschließend änderten sie den Ehevertrag, und sie sollte ihm drei Jahre lang versprochen bleiben.
Darauf ritt Hrút zum Schiff und hielt sich den Sommer über dort auf, bis es zum Auslaufen bereit war. Höskuld brachte Hrúts ganze bewegliche Habe dorthin, und Hrút vertraute ihm für die Dauer seiner Abwesenheit die Verwaltung seines Besitzes im Westland an. Dann kehrte Höskuld nach Hause zurück. Wenig später erhob sich ein günstiger Wind, und sie stachen in See. Sie brauchten drei Wochen für die Überfahrt und erreichten Norwegen bei Hernar. Von dort segelten sie nach Osten in die Vík.
Harald Graumantel regierte Norwegen. Er war ein Sohn von Eirík Blutaxt, dem Sohn von Harald Schönhaar. Seine Mutter hieß Gunnhild und war eine Tochter von Össur Toti. Sie residierten damals in Kungälv im Osten.
Dort sprach sich die Ankunft eines Schiffs in der Vík herum. Als Gunnhild davon erfuhr, erkundigte sie sich, welche Isländer an Bord seien. Ihr wurde gesagt, einer der Männer heiße Hrút, und er sei ein Neffe des Össur.
Da sagte Gunnhild: »Dann weiß ich Bescheid. Er wird sein Erbe einfordern, das ein gewisser Sóti in Verwahrung hat.« Sie rief ihren Kammerknecht Ögmund. »Begib dich in die Vík, suche Össur und Hrút auf und richte ihnen aus, ich würde sie gern beide über den Winter zu mir einladen und mich ihnen gewogen zeigen. Wenn Hrút meiner Einladung Folge leistet, werde ich ihn in seiner Erbangelegenheit unterstützen und auch in anderen Dingen, die er vorhat. Ebenso will ich beim König ein Wort für ihn einlegen.«
Ögmund machte sich auf den Weg und suchte die beiden auf. Als sie hörten, dass er ein Bote von Gunnhild war, nahmen sie ihn sehr freundlich auf. Diskret richtete er seinen Auftrag aus. Anschließend besprachen sich die beiden unter vier Augen, und Össur sagte zu Hrút: »Ich glaube, uns bleibt keine große Wahl, Neffe, denn ich kenne Gunnhilds Art: Wenn wir nicht zu ihr gehen, wird sie uns aus dem Land jagen und alles, was uns gehört, mit Gewalt an sich reißen; suchen wir sie aber auf, wird sie all das für uns tun, was sie uns in Aussicht stellt.«
Ögmund kehrte zurück und berichtete Gunnhild vom Ausgang seiner Reise und dass sie kommen würden.
Gunnhild sagte dazu: »Damit war zu rechnen, denn dieser Hrút ist ein kluger Mann. Du aber achte darauf, wann sie im Ort eintreffen, und gib mir dann Bescheid.«