Über das Buch

Die ineinander verschränkten Geschichten und Überlegungen beschreiben die Menschen einer Gesellschaft, die »unablässig ihre Wehwehchen besprechen muß, jedenfalls solange ihr größeres Leid erspart bleibt und sie selbst nichts Größeres vorhat«. Das Buch ist gegen die überall spürbar werdende Erschöpfung geschrieben, menschliche Sitten und Unsitten überhaupt noch wahrzunehmen, gegen »unsere tiefe Profanie«. Es ist aber auch zugleich ein Versuch, der Gleichgültigkeit zu entgehen.

Botho Strauß

Niemand anderes

Carl Hanser Verlag

Inhalt

LANGE MOMENTE

NIEMAND ANDERES

ODEON

DIE EINE UND DIE ANDERE

DIE TAGE

LANGE MOMENTE

Mädchen mit Zierkamm

Es ist Mittag, und sie sonnt sich in der kleinen Anlage vor der U-Bahn-Station. Sie bückt sich nach einem Teil, einem Haarschmuck, etwas, das verloren neben der Bank am Boden liegt.

Sie selbst trägt ein stakig kurzes Punkhaar, steife Strähnen, wie in einer Alb-Nacht gezaust und zu Berge stehengeblieben. Vanilleton mit schneeweißen Streifen. Dazu ein violetter Pulli mit schlappem Schalkragen, ein sehr knapper Lederrock, schwarze Strumpfhose, schwarze abgelaufene Stiefeletten, auch die Augen in schwarz ausgemalten Höhlen. Sehr kleines Gesicht, dünne, mondbleiche Haut, so daß an der Schläfe die Ader blau hervorschimmert. Zierliche, glatte Nase, bleigrün gestrichene Lippen, ein etwas zu breiter Mund, abfallendes Kinn.

Was also anfangen mit der kleinen Schildpattharke? Sie betrachtet sie, sie wendet sie, kratzt mit dem Daumennagel am Lack. Echt oder nicht? Sie lehnt sich zurück, nimmt das hübsche Fundstück zwischen die spuchtigen Finger, spielt damit, als riefe es irgendeine Erinnerung herauf, an eine Freundin, eine Schwester vielleicht oder auch an die eigene Frisur, wie sie vor Jahren war … Dann werden die Ellbogen hochgezogen und auf die Banklehne gestützt, die Beine überkreuz, der rechte Fuß wippt angeregt. Die lasch herabhängende Hand schaukelt das Ding, zwischen Zeige- und Ringfinger geklemmt, immer noch schielt sie hin mit leicht geneigtem Kopf, hält es anhänglich im Blick. Ein denkwürdiges, ein willkommenes Ding, eine kleine Freude offenbar.

Das Ding ist keine Spange. Wie heißt es? Haarklemme. Wie sagt man genauer? Steckkamm. Die einfachsten Dinger, die man immer vergißt, verliert.

Das Mädchen ist bisher schlecht und recht mit den Menschen ausgekommen. Ihrer Meinung nach haben sie alle zuviel von ihr verlangt. Sie hat sich immer in der Lage befunden, irgend jemand anblaffen zu müssen. Sie hat ein loses Mundwerk, sagte man früher. Aber das ist es nicht. Ihr Mund hat sich zu einer kleinen schnellfeuernden Schallwaffe entwickelt. Sie läßt sich nichts gefallen, aber ihr gefällt auch von vornherein nie etwas. Alle wollen irgendwas von ihr, das sie absolut nicht will. Weil einfach nichts von ihr gewollt werden soll. Was sie aber will, versteht sowieso keiner.

Meistens ist sie allein am Vormittag. Aber irgendwer findet sich im Lauf des Tages, in der Spielhalle, im Café oder in den Anlagen. Irgendwer, bei dem sie dann haltlos zu quasseln beginnt. Wie eine verrückte Alte. ›Ansichtssache‹, ihr Ticwort; es schiebt sich wie das Leerklicken im Magazin zwischen die Salven gepfefferter Ansichten. Sie besitzt jede Menge Munition von diesem aufsässigen Unsinn. Zuerst muß sie sich Luft verschaffen und mit dem Mund wild in der Gegend herumballern. Aber damit ist es noch nicht vorbei. Jetzt zieht sie scharf und beginnt das gezielte Anblaffen. Die Flappe, der vorgestreckte Hals, die ausgefahrenen Lippen richten sich auf einen zufällig querstehenden Mitmenschen. So überhaupt nur, im Angriff, nimmt sie ihn wahr. Irgendetwas wird er schon gesagt haben, irgendetwas Mißverständliches, das sie in Wut versetzt. Und wenn nicht, der Wechsel von Ballern zu scharfem Schnauzen vollzieht sich von selbst, braucht keinen äußeren Anlaß.

›Unheimlich aggressiv‹ nennt sich das. Tatsächlich kann man wenig dagegen tun. Man beruhigt sie mit nichts, man kann nicht auf sie einreden. Das beste ist, man sucht schnell das Weite. Dann tut sie nichts, sie springt einem nicht in den Rücken. Wenn man außer Sicht ist, beruhigt sie sich. Früher schwer, jetzt zu gar nichts mehr erziehbar. Weiß alles, weiß auch, warum. Wer kümmert sich außerdem um eine Zwanzigjährige, die ihre beste Zeit hinter sich hat, herumhängt und mit niemandem zurechtkommt?

Vor vier, fünf Jahren, da waren noch eine Menge Leute wie sie. Oder sahen wenigstens so aus. Auf der Straße war noch viel los, und die Menschen waren überhaupt viel ansprechbarer. Aber es stellte sich heraus, das war auch bloß Getue, nur Modezirkus. Von denen ist keiner übriggeblieben. Kaum einer.

Schildpattkamm, Ansichtssache.

Es gäbe die Möglichkeit, wirklich die Frisur zu wechseln. Die Haare wachsen lassen, einfach ein anderer Typ sein. Sie beugt sich vor, hebt die Hand, sieht sich das Stück von nahem an. Schildkrötenpanzer.

Braungelb geflecktes Horn. Drecksding. Schildkrötenmörder. Sie stellt sich vor: wenn die Schildkröten hierzulande heilige Tiere wären wie die Kühe in Indien … Eine Schildkröte sein in ihrem uralten Panzer und ganz langsam die Fahrbahn überqueren, bis der sinnlose Verkehr zusammenbricht.

Sie stellt sich vor: ihre Mutter hätte so ein Ding im Haar getragen. Warum eigentlich nicht? Schön war sie ja. Es fällt ihr dauernd aus der Frisur, wenn sie im Kiosk bedient, und ich muß es dann aufheben. »Tritt nicht drauf!« brüllt sie. Hej, es gibt auch welche aus Plastik, die sind bedeutend billiger, du!

Das Mädchen blinzelt durch die Kammzähne in die Sonne. Es träumt nicht. Es weiß Bescheid. Die Lage kann sich stündlich verbessern. Es hängt immer alles von irgendeinem entscheidenden Knackpunkt ab. Die Welt an sich macht alles mit. Es kommt bloß darauf an, wie du dich selber fühlst. An sich: jede Menge Erleichterungen. Man kann sich nicht beklagen.

Die Möglichkeiten sind immer ihr Schönstes gewesen. Sobald jemand da ist, gibt’s keine Möglichkeiten mehr. Gibt’s meistens Krach.

Menschenfreundlichkeit hängt stark vom Wetter ab. Ob man draußen allein auf einer Bank sitzen kann und von allen in Ruhe gelassen wird — dann sind die Leute Möglichkeiten, mit denen man umgehen kann. Der Mund hängt halbgeöffnet, schußbereit. Herumreden ist genauso schädlich wie Rauschgift, Suff und Tabletten. Aber eben: man kann’s nur schwer lassen. Schöne Haare, große Mähne. Da braucht man nicht mehr viel sagen, das wirkt von selbst. Die Leute halten Abstand. Obwohl es wahrscheinlich zu mir nicht besonders passen würde. Da muß man schon den ganzen Typ verändern.

Reden ist Suff.

Hübsche Knie. Hübsche Ohren. Was noch? Vielleicht ganz hübsches Oberteil. Jedenfalls müßten die Ohren freibleiben. Man kann sich ja auch mit dem Ding die Haare bloß an der Seite hochstecken. Aber ich habe ein viel zu kleines Gesicht für lange Haare.

Früher ja. Aber im Sommer ist es die Hölle.

Das Mädchen nimmt, was es zuerst eine Haarklemme, dann einen Steckkamm genannt hat, zwischen die Ballen der rechten und der linken Hand. Sie spreizt die Ellbogen und drückt zu. Das Horn zerbricht, sie läßt die beiden Teile zwischen ihren Beinen zu Boden fallen. Sie lehnt sich zurück, steckt den Mittelfinger in die Nase, kramt, lutscht die Kuppe ab, reibt den Finger kreuzweis auf der Strumpfhose über dem Knie, blickt sich um.

Was kommt jetzt? Dies wäre der geeignete Moment für etwas Neues.

Alles nur kurz. Und das immer wieder.

Immer dasselbe, aber nur kurz.

Es wird Frühjahr. Die ersten warmen Tage. Die Leute fangen an, sich draußen auf die Bänke zu pflanzen. Die Schmunzelkontakte breiten sich aus. Höchste Zeit, sich anderswo umzusehen. Das Mädchen zieht den Saum seines Minirocks vor — weit entfernt, damit die Knie zu bedecken. Uralter, zweckloser Anstandsreflex. Man sieht ohnehin der Strumpfhose bis in den Zwickel. Das Mädchen steht auf. Es schlurft in den knautschigen Stiefeletten über den gepflasterten Anlagenweg. Dürre, nach innen verdrehte Beine. Kein Tag ohne Erleichterungen.

Wer weiß, weshalb einer seine Stimme erhebt. Ob es noch einen anderen Grund gibt, als sich in ein allgemeines, beruhigendes Getuschel einzumischen? Es sind die vertrauten Stimmen von nebenan, die dich ruhig schlafen lassen. Sei du für einen anderen die Stimme von nebenan, undeutlich, lebendig, nimmermüd.

Frau auf der Bettkante

Aus dem Schlaf gerissen von seiner Abwesenheit, allein im gemeinsamen Hotelzimmer, vor Morgengrauen noch, die Hände zwischen die Knie gepreßt, den Kopf leicht angehoben, den Blick zur Seite gesenkt — zur Besinnung kommen heißt es nicht fassen können.

Was soll ich tun? Eine Entscheidung treffen? Keine Entscheidung treffen? Warten? Handeln? Warten worauf? Handeln was? Er ist weg. Er ist wirklich abgereist! Hierbleiben, allein, auf dem Hotelzimmer?

Sein Jähzorn, Vernichtungskoller, seine unbeherrschte Bosheit. Sie mußte sich wehren, und dann konnte sie nicht mehr zurück. Unmöglich, einzulenken. Jetzt, weit weg von zuhaus, plötzlich aus heiterem Himmel, Aufbruch im Zorn, das Ende. Er ist wirklich weg! Wie wenig kann ich ihm noch bedeuten, wenn er imstande ist, tatsächlich abzureisen. Diesmal ist es ein tiefer, kalter Schnitt. Nicht wiedergutzumachen. Hin und her reißt es sie zwischen erbittertem Stolz und reumütigem Gewinsel. So kann er nicht umgehen mit einem anderen Menschen! Das muß er für immer wissen. Aber, was soll’s, nur eine Episode, in Wirklichkeit nur ein kleiner fieser Zwischenfall in unserer langen, großen Geschichte. Eine Gewalttat, ja, abscheulich, aber sie zeigt doch aufs neue: nichts ist erschöpft zwischen uns, nichts gleichgültig geworden.

Was werde ich tun? Was fange ich an? Allein in dieser verdammten Stadt. Es ist noch so früh. Ich werde zu Mittag essen unten am Hafen. Genau dort, wo wir gestern waren. Ich werde ins Kino gehen. Einen Spaziergang machen im Park. Mit den alten Straßenbahnen fahren. Ich sitze in der Fremde fest. Verstehe die Sprache nicht. Alles um einen herum ist höhnische Maskerade.

Gestern noch war es gut zu ertragen. Einander die Arme um die Hüften gelegt. Viel gesehen, viel Freude gehabt. Soviel gleiche Schritte! Was haben wir nicht alles schon hinter uns gebracht! Wie wenig bedeuten dagegen die wilden Störungen, Ausfälle, die immer wieder dazwischenfahren wie der Blitz. Letztlich gehören sie zu unserer Geschichte. Letztlich haben sie uns immer enger und kräftiger zusammengetrieben. Aber es gibt eine Grenze. Es gibt Verletzungen, die nicht mehr zu ertragen sind. Wunden, durch die auch die größte Geschichte langsam verrinnt und ausläuft. Das war exakt der falsche Zeitpunkt, mir seine Kaltblütigkeit zu beweisen. Seine angebliche Unabhängigkeit. Ort und Zeit exakt falsch gewählt. Dein erbärmlicher kleiner Stolz interessiert mich nicht, er stößt mich ab! Es ist in meinen Augen der Stolz eines zeternden Gnoms! Das bist nicht DU, und diese Brutalität, einfach davonzulaufen, diese lächerliche Strafaktion! Wozu das Ganze? Um mir eine Lehre zu erteilen? Mein Gott! Was für eine Kraftleistung an Rücksichtslosigkeit und Selbstüberschätzung! Oder gab es etwas, das ihn wirklich quälte? Nein. Der nackte Zorn. Sonst nichts.

Es kommt darauf an, den Tag einigermaßen planvoll einzuteilen. Bloß nicht hier sitzen bleiben! … Aber weg vom Telefon? Das Telefon verlassen? Ein einziger Anruf könnte die Befreiung bringen. So ungeheuerlich er auch wäre. So unversöhnlich ich auch erwidern müßte. Nein, mein Freund, mein Herz, es geht nicht mehr … Das Telefon. Es wäre zu erniedrigend, sich auch davon noch abhängig zu machen. Ich muß raus hier. Es heißt Lissabon, wo ich bin, und ich werde einfach hineingehen und sehen, sehen. Vielleicht später eine Weile vor den Bildern sitzen im Museum. Die nehmen einem etwas von der Fremde. Ein Tag, zwei Tage. Eine halbe Woche vielleicht. Ich werde ihm ganz bestimmt nicht nachreisen. Ich schreibe einen Brief. Ich schreibe keinen Brief.

Er soll sich wundern, bloß das. Oh, es ist zu schlimm. Ich kann es nicht fassen, ich kann mich nicht rühren. Es übertrifft alles, was an Gemeinem bisher geschah. Meine Liebe braucht keinen Peitschenhieb, sie ist nicht müd! Aber, wenn ich’s mir vorstelle jetzt, plötzlich käm er herein, sich anstarren und umarmen, lichterloh, alles vergeben-vergessen. Nein. Kann ich mir nicht vorstellen. Ich bin ziemlich sicher, daß ich es weder wünsche noch könnte. Diesmal ist es ein Riß, und eine Spur ist da, die zum Ausgang führt. Er wird der Verlierer sein und er wird sich wundern, wie er leiden muß. Mein Mut wird hart, ich merke es und es erleichtert mich.

Sicher ist nicht einmal, ob er heut noch bis nach Hause kommt.

Vielleicht fährt er ein paar Tage in die Schweiz. Vielleicht zum Bruder. Sicher ist nur, daß er in der Maschine nach Frankfurt sitzt. Sitzt wie? Die Zeitung liest. Whisky trinkt, den Imbiß nimmt? … Ich bin ihn nicht los — er ist mich nicht los. Da mag er sich gediegen zurücklehnen in welchem Sessel und an welchem Ort des Himmels und der Erde auch immer.

Drüben

Hinter dem Fenster sitzt sie, es ist Sonntagnachmittag, und sie erwartet Tochter und Schwiegersohn zum Kaffee. Der Tisch ist seit langem für drei Personen gedeckt, die Obsttorte steht unter einer silbernen Glocke. Die alte Frau hat sich nach dem Mittagsschlaf umgezogen. Sie trägt jetzt ein russischgrünes Kostüm mit weißer Schluppenbluse. Sie hat ein Ohrgehänge mit Rubinen angelegt und die Fingernägel matt lackiert. Sie sitzt neben der aufgezogenen Gardine im guten Zimmer, ihrem ›Salon‹, und wartet. Seit bald vierzig Jahren lebt sie in dieser Wohnung im obersten Stockwerk eines alten, ehemaligen Badehotels. Die Zimmer sind alle niedrig und klein und liegen an einem dunklen Flur. Sie blickt durch ihr Fenster auf den Kurgarten und den lehmfarbenen Fluß, der träg durch den Ort zieht und ihn in zwei einander zugewandte Häuserzeilen teilt, in ein stilles, erwartungsloses Gegenüber von Schatten- und Sonnenseite. Auf der Straße vor dem Haus bewegt sich nur zäh der dichte Ausflugsverkehr.

Sie hält ihren Kopf aufgestützt und ein Finger liegt auf den lautlos sprechenden Lippen.

Nun wird sie doch ein wenig unruhig. Sie steht auf, rückt auf dem Tisch die Gedecke zurecht, faltet die Servietten neu, füllt die Kaffeesahne auf. Setzt sich wieder, legt die Hände lose in den Schoß. Wahrscheinlich sind sie in einen Stau geraten …

Sie kommt in Gedanken und muß sich ablenken. Aus der Truhe holt sie die Häkeldecke, setzt die Brille auf. Doch das Warten ist stärker, es fordert, daß man sich still verhält, damit nichts Schlimmes passiert ist. Sie legt die angefangene Decke beiseite und blickt wieder hinaus auf den Fluß.

Am anderen Ufer, ihr gerade gegenüber, steht eine behäbige Gründerzeitvilla, etwas unförmig geworden durch etliche Erweiterungsbauten. In früherer Zeit der Ruhesitz eines berühmten Wagner-Sängers, stand sie lange baufällig und leer, bis vor wenigen Jahren ein Altersheim darin eingerichtet wurde.

Hier hat sie sich ein Zimmer ausgesucht, schon vorsorglich einen Platz reserviert, für später einmal.

Sie meint, von dort werde sie dann — später einmal! — auf das Haus hinübersehen, in dem sie mehr als ihr halbes Leben zugebracht hat, auf die Fenster der vierten Etage zurückblicken, in der sie mit ihrer Mutter, ihrem Mann, den aufwachsenden Kindern so lange gewohnt hat. Sie würde sich auch bemühen, die Menschen, die nach ihr dort einzögen, kennenzulernen und einen Kontakt zu ihnen zu finden. Aber das hat alles noch eine Weile Zeit. Später einmal, wenn sie die Treppen nicht mehr wird steigen können. Drüben gibt es einen Aufzug.

Vor dem Balkonzimmer, das sie sich ausgesucht hat, sind meist die Rolläden heruntergelassen. Hin und wieder tritt eine schrullige Person im Bademantel heraus und schlägt mit einem Tuch in der Luft herum. Es sieht aus, als wolle sie ein Insekt ober üblen Rauch vertreiben. Jedoch, sobald sie ins Zimmer zurücktritt und die Tür hinter sich verschlossen hat, wirft sie erst recht die Arme hoch und gebärdet sich mit Entrüstung gegen das lästige Draußen. ›Geh weg, du helle, falsche Welt!‹, so schimpfen die Arme. Früher zogen auf dem Fluß viele Lastkähne vorbei.

Sie sind jetzt über eine Stunde zu spät. Die alte Frau kann sich nicht mehr in Geduld fassen. Es könnte ihnen schließlich etwas zugestoßen sein. So weit ist der Weg doch nicht, selbst bei zähem Verkehr, sie müßten längst hier sein.

Aber sie haben sich gar nicht auf den Weg gemacht zu ihr. Die Tochter und ihr Mann haben die Einladung bei der Mutter einfach vergessen. Sie sind unter Mittag ein Stück ins Land hinausgefahren, haben Freunde besucht und sitzen nun zusammen in einem Gartenrestaurant bei Kaffee und Kuchen. Die Freunde haben noch zu einem Umtrunk in die Wochenendhütte eingeladen, da fällt es nun doch der Tochter ein, siedend heiß, sagt man wohl, daß sie bei der Mutter erwartet werden. So wie die Stimmung aber ist hier draußen, endlich aufgeräumt und unbeschwert, und endlich Sonne!, da sträubt sich bei ihr alles, jetzt noch aufzubrechen, nach Haus zu fahren und sich zur Mutter in die stickige Wohnung zu setzen. Ihrem Mann ist es noch weniger recht, und so wird er zum Telefon geschickt, um eine Ausrede zu finden und abzusagen.

Die alte Frau sucht unterdessen in allen Zimmern nach ihrem Portemonnaie. Aus irgendeinem Grund fiel ihr plötzlich ein, daß sie der Tochter noch zwanzig Mark mitgeben muß für den Glaser. Da klingelt das Telefon. Der Schwiegersohn spricht von auswärts und entschuldigt sich. Sie seien gerade dabei, sich eine Eigentumswohnung anzusehen. Die Frau sagt ein wenig ungewiß: »Na, dann beeilt euch mal nicht.« Der Mann setzt nun vorsichtig nach und meint, sie möge nicht länger warten, es würde heute wohl nichts mehr mit dem Kaffee … »Ach so«, sagt die Alte still, und sie verabschieden sich.

Sie steht eine Weile auf dem dunklen Flur. Sie stützt beide Arme in die Hüfte und blickt auf den Läufer. Das Portemonnaie ist noch im Einkaufsbeutel! … Tatsächlich findet sie es dort, nimmt zwanzig Mark heraus und legt sie unter den Kristallaschenbecher auf dem Garderobentisch.

Dann geht sie langsam zurück in den ›Salon‹ und steht vor dem gedeckten Tisch. Jetzt ist es zu spät zum Kaffeetrinken. Sie räumt die Teller und Tassen, die Bestecke und Servietten zusammen und stellt sie in den Schrank. Dann setzt sie sich an den Tisch auf ihren Platz, ein wenig schräg, die Beine zur Seite gestellt. Sie stützt den Ellbogen auf und legt wieder den Finger zwischen die flüsternden Lippen.

Die Zimmer eines Menschen abgestellt auf dem Trottoir, bevor alles für den Umzug in den Möbelwagen gepackt wird, der Lampenschirm, die Gardinenstangen, das Bügelbrett, der Kühlschrank, die Sitzecke, die Nähmaschine. Die Wohnung zerstreut am Straßenrand, ein Philosophiestudent als Transportarbeiter trägt eine hohe Chinavase. Die unbehauste Wohnung, Wohnung ohne Haus, ein loser Haufen Zeug auf offener Straße, jeder räumlichen Ordnung, jeder Intimität beraubt, halb schon Sperrgut, hinterbliebener Plunder. Von einer Einrichtung zur nächsten durchschreitet das Häusliche seine Auflassung, zeigt seinen letzten Zustand voraus: entkernter Innenraum, herzloses Gerümpel zu sein. So sehen die Dinge aus, wenn sie uns verloren haben. Trauern sie nicht in ihrer Unordnung?

Drinnen

Man sah das Portal mit freier Treppe, die zu einer zweiflügligen Glastür hinaufführte, dahinter eine weitläufige Halle, ein säulengeschmücktes Vestibül. Der städtische Geschäfts- und Wohnblock aus der Zeit der Restauration trug eine frischverputzte Fassade im klassizistischen Stil. Er füllte den engen Winkel zwischen zwei Gassen, die schräg auf die Allee vorstießen. An sie rührte das Gebäude mit seiner schmalen, einteiligen Stirnseite wie ein Schiffsbug, während die beiden Seitentrakte nach hinten, entlang der Gassen sich ausdehnten. Aus der Vorhalle oder dem Wandelgang trat eilig ein Mann und trippelte die halbe Treppe hinunter. Plötzlich hielt er an, holte ein Schriftstück aus seiner Mappe, hob sein rechtes Knie, um beides, die Mappe wie das an der oberen Ecke geheftete Papier aufzulegen, krümmte sich etwas umständlich, schlug das erste Blatt um und las auf dem zweiten. Ein anderer, etwas älterer Mann stieg nun ebenfalls die Treppe hinunter, und ohne daß seine Schritte es vorsahen, blieb er neben dem Lesenden auf gleicher Stufe stehen und sah auf den breiten Verkehr der Allee hinaus. Aus dem Nebenbei wechselten die beiden wenige Worte, die dazu führten, daß der eine seine Lektüre unterbrach, das Knie senkte, schließlich seine Tasche abstellte. Binnen kurzem waren sie in einem stillen und nachdenklichen Gespräch verflochten, so daß keiner von beiden noch eine Regung zeigte, die Treppe bis zum Ende hinabzusteigen.

Auf dem obersten, halbrunden Podest des Marmoraufgangs sah man des weiteren, unmittelbar neben der Glastür, eine Frau an der Wand lehnen, von der der Blick durch die beiden in den Vordergrund tretenden Männer bis dahin abgelenkt worden war. Sie trug einen glatten kniefreien Rock mit kurzen Seitenschlitzen und eine weite, in den Schultern angehobene Leinenjacke. Sie hatte die Hände über dem Steiß zusammengelegt und drückte sich so an das Gemäuer, während die Beine, leicht übereinandergeschlagen, und die türkisfarbenen Halbschuhe mit den blockigen Absätzen ihr Gewicht abstützten. In dieser Stellung beugte sie zuweilen den Oberkörper vor, um durch die Glastür in den Vorraum neugierig einzublicken. Dann lehnte sie sich wieder zurück, legte den Hinterkopf an die Wand und sah seitwärts bald gleichgültig, bald versonnen zu den beiden Männern herab, die unangestrengt ihre ruhige Unterhaltung fortsetzten. Zusehends wurde sie unentschlossen, wohin sie ihre Neigung richten sollte, ob sie treppabwärts den wohltuenden Stimmen trauen oder weiterhin, sich vorbeugend, nach innen warten sollte auf etwas, das jeden Augenblick hervorkommen, plötzlich erscheinen konnte oder aber noch lange nicht.

Warum ging sie nicht hinein? Was gab es da vor der Tür zu stehen, wo ihr doch offenkundig niemand den Eintritt verwehrte? Erst tiefer in der Halle war eine Loge mit einem Livrierten zu erkennen. Vielleicht war es aber auch eher eine Garderobe als eine Pförtnerschranke. Von dort aus führte ein Lift und ein doppelter Treppenaufgang zu den höheren Stockwerken. Jedoch die meisten Menschen, die in der Halle versammelt waren, blieben auch dort und streiften immer wieder nah aneinander vorbei. Führten kurze oder längere Unterhaltungen oder riefen sich über die Köpfe hinweg etwas zu. Einer nahm etwa den anderen bei der Schulter und zog ihn aus einer größeren Runde beiseite in ein vertrauliches Gespräch. Andere wurden einander vorgestellt und begannen sich kennenzulernen, indem sie mit verlegen am Rücken oder imposant über der Brust gekreuzten Armen immer die gleichen Meter auf und ab schritten. Die doppelten Glastüren verspiegelten die Durchsicht, und der Menschenbetrieb fand in solcher Entfernung statt, daß man die Gesichter kaum erkennen konnte.

Die Frau hatte sich endlich entschlossen, ihre unstete Aufmerksamkeit vom Innenraum ab- und ganz den beiden Männern unter ihr zuzuwenden, als diese sich plötzlich auf ihrer Stufe herumdrehten und gemeinsam, ohne zu eilen, wieder emporschritten, um, wie eben angekommen, in die Halle zurückzukehren. Während der Jüngere dem Älteren die Tür öffnete und den Vortritt freimachte, grüßten beide mit einem Kopfnicken und einem gefälligen Lächeln die Frau neben der Wand, als ein Zeichen, das sie dem gemeinsamen Verweilen auf der Treppe zu schulden meinten, der vagen physischen Nachbarschaft, welche die Gedankenverlorenheit der einen mit dem Nachsinnen der beiden anderen verknüpft hatte. Die Frau aber blickte sie mit kühlem Erstaunen an, ohne jede Erwiderung, mit spontanem Befremden.

Drinnen tauchten die frisch Vertrauten in die Menge der vielstrebig bewegten Menschen ein und wurden schon bald wieder auseinandergedrängt. Die Frau indessen, plötzlich wieder allein auf der obersten Plattform des Aufgangs, spürte nur zu deutlich, daß sie längst ihre Stellung, ihr sicheres Säumen zwischen den beiden Männern einerseits und der ungefähren Erwartung, die ihr aus der Vorhalle zugemutet wurde, andererseits eingerichtet hatte. Dies Gleichgewicht war nun aufgehoben. Augenblicklich verlor sie die Geduld. Sie löste sich von der Wand und schritt die Stufen abwärts bis zum Bürgersteig. Dort stand sie unsicher und zögernd, schaute nach links aus und nach rechts, die eiligen Passanten umgingen sie. Sie steckte beide Hände in die Jackentasche und schritt geradeaus auf die Allee zu. Als sie den Fahrdamm noch nicht überquert hatte, wurde sie mitten auf dem Überweg von einem Unbekannten gegrüßt. Diesmal zögerte sie keinen Augenblick, gab ihren Weg auf und ging mit ihm in die Richtung, aus der sie gekommen war, davon.

NIEMAND ANDERES

Ihr Brief zur Hochzeit

Du, mein Mann, wirst heute eine andere zur Frau nehmen. Eingeladen kann ich nicht sein, aber einen Brief sollst du von mir bekommen. Eingeladen sind alle jene, die wir bis vor kurzem gemeinsam zu Freunden hatten, auch wenn sie mehr deine als meine Freunde waren. So werden sie zu dir kommen und werden mit euch feiern, obwohl, ich weiß es, mancher unter ihnen ist, der zögert ein wenig und will sich nicht so schnell daran gewöhnen, daß sich um dich herum so viel verändert hat.

Nein, ich will dich nicht beirren, mein einziger Freund. Ich kann nicht sagen, es ist gut so, wie es geschieht. Kann auch nicht sagen, es sollte besser nicht geschehen. Weil es mir weh tut. Aber was kümmert das noch? Es ist nicht der Tag, an dem du dich fragen sollst, ob du richtig handelst oder ob du die ›Richtige‹ gefunden hast — ich bin ganz sicher, daß es die Richtige ist. Du machst sie dazu. Ich kenne wohl die Macht deiner Einwirkungen, die Großzügigkeit deines väterlich starken Herzens — sie zieht jedes Wesen, das du liebst, groß. Nur fragen kannst du dich einmal — vorsichtig! —, ob du überhaupt jemanden gesucht hast und nicht vielmehr sofort jemanden gebraucht hast, um nicht zu stürzen …

Mich hast du nie gebeten, deine Frau zu werden. Das Geschenk der Förmlichkeiten, zu dem du neuerdings bereit bist, darf nun eine andere annehmen. Es hätte mir zuweilen auch gefallen, ein bißchen Huld, ein bißchen schönen Zierat von dir zu empfangen. Aber wahrscheinlich waren wir zu sehr Mann und Frau, sind wir zu sehr aus einer Wurzel, einem einzigen Gewächs hervorgegangen und konnten uns nicht trauen lassen. Damals, als wir uns begegnet sind, war das unter den Unruhigen auch gar nicht üblich. Damals hielt man sich viel zugute auf die nötigen ›Regelverletzungen‹. Wer hätte gedacht, daß sie sich, die Regeln, so schnell erholen würden von ihren Verletzungen!

Ich habe dich gekränkt und bin unbedacht gewesen. Du hast mir Kälte und Bosheit vorgeworfen. Jedoch, als ich diesen Mann traf, meinen Liebhaber, habe ich nicht an dich gedacht. Ich hatte keinen Zweifel, daß ich dich nicht betrog, ich wußte, daß ich dir nicht mehr angehörte, daß ich endgültig von dir geschieden war. Schließlich bin ich schlimm genug bestraft worden. Ich erkannte ihn gar nicht. Ich liebte ihn ebenso flehentlich, ebenso besitzgierig und mit der gleichen Selbstaufopferung, wie ich dich geliebt hatte. Er war vollkommen an deine Stelle getreten, und ich war blind dafür, daß es nicht du warst, sondern nur, wie sich bald herausstellte, ein Fremder, ein Vorübergehender. Ich glaube, er wollte nur mein nacktes Entsetzen sehen. Er wollte nur eine sehen, die es nicht fassen kann …

»Welche Jahre!« schreibt sie.

Nie habe ich besser verstanden, was es bedeutet hat, an deiner Seite zu leben, zu kämpfen, zu reifen, zu leiden, zu lernen, als gerade jetzt, da dies alles unwiderruflich vorüber ist. Vorüber sein muß. Dieser Einschnitt geht tief, so daß ein Teil meiner Seele für immer von mir abgetrennt bleibt, und ich kann ihn vor mich hinhalten und betrachten wie eines fremden Menschen Inneres. Ich kenne nun meinen Weg; und auch den, den ich fortan alleine gehen werde. Ich werde meine Leidenschaft, meine Irrtümer und meine Niederlagen zu ertragen wissen. Aber sie werden mich nicht mehr formen können, sie werden mich nicht mehr in die Angst und Ungewißheit, in die Schmerzen und die Hingabe hineintreiben, wie es doch geschah mit dir, als ich jeden Tag neu mich bewähren mußte, um gegen deine ernste Übermacht zu bestehen. Darunter habe ich viel gelitten. Darunter aber ist auch die Stärke herangewachsen, die es mir eines Tages erlaubte, gebot, unabweislich machte, meinen Weg von dem deinen zu lösen.

Wenige Tage, bevor du mit deinem großen Fest unsere stolze und traurige Geschichte besiegeln wirst, sitze ich unter der Lampe und schreibe diese eiligen Worte, die dir alles freigeben und doch eine schmerzliche Revolte anzetteln gegen die Unterdrückung unserer Zeit, gegen das eiserne Verdrängen und Vergessen, das du dir verordnet hast. Es wird ein Brief sein, der nichts fordern, verurteilen, erklären oder beklagen will, sondern nur eine einzige große Verwunderung ausdrücken vor diesem gemeinsamen Leben, das nun überblickt wird, erkannt und gewürdigt; und schließt mit dem leisen Versprechen, dem leisen Befehl: am Ende wird es nur uns gegeben haben. Niemand anderen.

Da ist nichts, weshalb ich dich hassen müßte. Aber es gibt diese tiefe Verwunderung, einem Mann so angehört zu haben und kein Kind von ihm zu besitzen. Das wirst du nicht verstehen. Aber ich, Freund, habe dir mein Leben gegeben und habe jetzt nichts, nichts in den Armen. Ich habe kein Leben von dir bekommen, keines, das über das meine hinauswachsen würde, das sich von selbst aufrichtete und mich auf eine erfüllte Weise überflüssig machte. Es brennt jetzt zuweilen dieser ungeheuerliche Verzicht im ganzen Körper. Jetzt spür ich’s als Frevel, als Verstoßensein. Es gab ja keine Zeit für ein Kind. Der Beruf, die schwierigen Anfänge, immer irgendetwas, das dagegen sprach. Die Frucht ist fleißig zwischen unseren Lippen zerredet worden. Wie konnte ich ahnen damals, in welche Ungerechtigkeit ich eingewilligt habe, da doch mein eigener, tiefster Wille dir gehörte?! … Aber ruhig, ruhig. Ein Hochzeitsbrief, kein Klaggesang. Ich werde mich schon wieder aufrichten. Warte noch ein paar Zeilen … Denn, weißt du, es ist nicht gerecht, daß ich mit dir alt geworden bin und hab nun weder dich noch ein Wesen, in dem wir vereint blieben. Es ist nicht gerecht, daß du mit deiner strengen Klugheit mich soweit von mir selber abbringen konntest. Und daß es ein schwerer Irrtum war, dir hierin folgsam gewesen zu sein, spür ich mit aller Gewalt erst jetzt, da ich nichts sonst mehr habe als diesen ›Mann meines Lebens‹, an den ich mich rettungslos festklammere, an diesen Niemand-Anderen, den ich nicht mehr sehe und der doch mein Ein-und-Alles ist. Hab keine Angst, ich verfolg dich nicht. Ich laß dich ganz in Ruhe. Hab keine Angst, dies ist nicht der Monolog einer kranken, einsamen Frau. Dir, dir schreibe ich! Wenn ich denn auch weiß, daß du mir niemals antworten wirst … Ich aber berufe dich, ich lasse dich wiederaufleben, mit mir leben, wann immer mich danach verlangt. Ich habe die Worte gefunden — du entkommst mir nicht …

Du. Damit fange ich an. Damit fange ich an zu denken, zu fühlen, zu atmen.

Vielleicht glaubst du, dieser Brief möchte nur die endlose Ausschweifung eines kurzen Rufs sein: ›Halt ein! Ich komme! Warte! Tu’s nicht!‹ … Nein. Tu’s. Ich komme nicht. Ich komme nicht mehr.

Vielleicht genügt es dir nicht, aber ich nenne dich jetzt am liebsten ›Gefährte‹, und was ich am meisten vermisse, ist deine Hand. Ich gehe allein und geh immer tiefer hinein in das neue fremde Land, das mir die Entfernung von dir auftut. Vielleicht ist es mein Stolz, der dir all dies Neue zeigen möchte, das ich nun ohne dich sehe und empfinde; vielleicht ist es auch der zerrissene Pakt unserer gemeinsamen Schritte, die klopfen und nachhallen, wenn ich mich auf den Weg mache; die Paarung unserer Fragen und Antworten, die nicht aufhören, in mir Generationen von Nachfolgern zu zeugen. Ich habe gewiß nie vor dir, wohl aber in dir gekniet. In deinem reichen Wesen und war eingenommen von ihm, umschlossen, erfüllt bis über den Rand der Lippen. Heute weiß ich aber, daß dies nicht Schwäche war, sondern die ganze Bereitschaft zum Tausch der Kräfte, denn auch ich habe gegeben und nicht nur genommen. Ich war der Rhythmus, du der fertige Satz. (Denn bei aller Klugheit und Wörterfülle, ist nicht zuletzt der Mann nur die Glosse oder der Radebrecher der Frau?) So trage ich doch wenigstens dein Wesen in mir und viele deiner Wörter, von denen ich nicht loskomme. Aber ich will auch nicht mehr loskommen von irgendetwas, das unbestreitbar uns beiden gehört. Ich habe das Ziel meines Loskommens erreicht und bin nun befreit von allen Befreiungen. Ich hüte, was hinter mir liegt, als einen wertvollen und kostbaren Schatz. Manchmal denke ich, ich wäre fortgegangen, bloß um mich so an dir zu bereichern. Was gäbe ich denn für deine leibliche Anwesenheit? Sicher nicht das Vermögen meiner Entbehrungen, zu dem du mir verholfen hast. Wenn du kämst, so würdest du mir die Erfüllung nehmen, in der ich jetzt lebe und auflebe — all das, was einmal war, das Ganze zwischen uns, dem nichts mehr hinzuzufügen ist.