Cover

Miriam Covi

Eine Lüge,
die Liebe,
meine Familie
und ich

Serial Teil 2

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Miriam Covi

Miriam Covi wurde 1979 in Gütersloh geboren und entdeckte schon als Kind ihre Leidenschaft fürs Schreiben. Ihre Arbeit als Fremdsprachenassistentin führte sie nach New York City, wo sie ihre Erlebnisse im Weblog »Mitten in Manhattan« auf der Internetseite der Zeitschrift »Brigitte« festhielt. Gemeinsam mit ihrem Mann lebte Miriam ein paar Jahre in Berlin, bevor das Paar aus beruflichen Gründen nach Rom zog. Seit Miriam ihr erstes Kind bekommen hat, versucht sie, zwischen Wickeltisch und Waschmaschine hin und wieder in die Welt des Schreibens zu flüchten.

Über dieses Buch

Lügen haben runde Bäuche!

Weil ihre Cousine heiratet, reist Nina Behringer nach Rocky Harbour an der kanadischen Atlantikküste. Früher hat sie hier oft ihre Sommerferien verbracht – bis Matt ihr das Herz brach. Vierzehn Jahre ist das nun her. Vierzehn Jahre und zehn Kilogramm. Wieso muss ihr da als Allererstes nach ihrer Ankunft Matt über den Weg laufen, der zu allem Überfluss noch attraktiver ist als damals – und kein bisschen zugenommen hat? Und warum muss ihre reizende Cousine auf Ninas Bauch starren und entzückt fragen, ob sie schwanger sei? Kurzerhand bejaht Nina die indiskrete Frage. Diese kleine Bauchlüge erweist sich aber als äußerst unpraktisch, als ihr klarwird, dass ihre Gefühle für ihre erste große Liebe alles andere als erkaltet sind. Dumm nur, dass ihr Ex nichts mehr hasst als Lügner. Als auch noch der Rest von Ninas exzentrischer Familie auftaucht, nimmt das Chaos in den kanadischen Wäldern seinen Lauf …

Impressum

© 2013 Knaur eBook.

Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Covermotiv: © FinePic®, München

Redaktion: Franz Leipold

ISBN 978-3-426-43173-3

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Kapitel 10

Und ich staune tatsächlich, als ich den schicken Apartmentkomplex aus weißem Holz sehe, der am Ufer der Smugglers’ Cove entstanden ist. Ich habe die Meeresbucht außerhalb von Rocky Harbour – der Legende nach früher ein Versteck der Rum-Schmuggler – noch als uriges Fleckchen Erde in Erinnerung, umgeben von dunklem Wald, der bis ans Meer heranreichte, die Uferlinie gesäumt von schroffen Felsen. Als Kinder sind wir bei Ebbe über die Steine geklettert und haben nach Miesmuscheln gesucht, die zwischen dem Seetang an den Felsen saßen.

Als ich jetzt aus meinem Mietwagen steige, stelle ich fest, dass nicht mehr viel an die einsame Bucht meiner Kindheit erinnert. In der Mitte der runden Einfahrt, an deren Rand ich gerade geparkt habe, steht ein hoher Fahnenmast. Eine Kanada-Flagge weht in der Meeresbrise. Ein Kiesweg windet sich eine grasbewachsene Anhöhe hinauf, bis zu einem großen weißen Holzgebäude, das sich majestätisch vor dem blauen Himmel abhebt. Welche gutbetuchten Menschen machen hier wohl Urlaub? Vielleicht das Gucci-Sonnenbrillen-Paar? Ich kann mir die beiden nur zu gut auf einer der Jachten vorstellen, die ich gerade an einem Pier am Meeresufer entdeckt habe. Ich lasse meinen Blick über die Uferlinie wandern und sehe einen weiteren Bootssteg, rund 50 Meter links von dem Pier. Dort liegt noch eine Jacht. »Isabel’s Dream« steht in verschnörkeltem Blau auf dem Bug. Mein Blick folgt der Treppe, die sich vom Steg aus einige Felsen hinaufwindet und zwischen hohen Kiefern verschwindet. Jetzt erst entdecke ich ein weißes Haus, das zwischen diesen Kiefern hindurchschimmert. Aha. Das muss der Bungalow sein, in dem meine Verwandten die Sommertage in Rocky Harbour verbringen.

»Wow«, sage ich und betrachte die Bucht und das offene Meer dahinter. »Wunderschön habt ihr es hier.«

»Warte mal ab, bis du alles von innen siehst!«, ruft Onkel Hermann, der seinen BMW in einem Carport neben der Einfahrt geparkt hat und nun mit großen Schritten auf mich zukommt. »Zuerst zeige ich dir ein paar der Ferienwohnungen, die noch frei sind – die meisten Hochzeitsgäste kommen erst in den nächsten Tagen an. Wir haben die Wohnungen natürlich extra für Isas Fest blockiert – momentan wohnen hier keine Fremden. Danach gehen wir in unseren Bungalow.« Er legt mir seine Pranke auf die Schulter und schiebt mich in die Richtung des Apartmenthauses. »Komm, du wirst staunen. Deine Tante hat alles eingerichtet. Sowohl die Ferienwohnungen als auch unser Häuschen – es ist alles umwerfend geworden!«

 

Umwerfend ist der richtige Ausdruck. Mit offenem Mund besichtige ich Wohnung um Wohnung. Der Ausblick ist wunderschön, besonders bei den Apartments, die im ersten und zweiten Stock des Hauses liegen. Weniger schön ist Tante Helgas Werk als Innenarchitektin. Endlich konnte sie sich richtig austoben, denke ich, als ich mich an die bitteren Tränen erinnere, die im ersten Sommer in der Blueberry Lodge vergossen wurden. Und zwar nicht nur von Tante Helga, sondern auch von Mama – und das will was heißen. Meine Mutter weint fast nie. Doch als ihre Schwägerin einen Kronleuchter aus Elchgeweih und einen ausgestopften Bärenkopf zu Dekorationszwecken in die Lodge schleppte, war es um Mamas Fassung geschehen.

Für die Einrichtung dieser Ferienwohnungen mussten zwar keine Tiere dran glauben, dafür aber umso mehr Engel. Geflügelte Porzellan-, Stein- und Glasfigürchen, Engel in Puppenform, auf Kissen oder Tassen, wohin man schaut. Schon im Haus meines Onkels und meiner Tante in Hannover fand ich diese Engel-Invasion äußerst merkwürdig. Aber erst jetzt begreife ich, dass Tante Helga ernsthaft süchtig zu sein scheint. Nach Engeln – und nach Gold und Kristall. Überhaupt nicht mein Geschmack, denke ich, als ich einen glitzernden Kronleuchter über einem Esstisch mit schwerer Marmorplatte betrachte, der wunderbar in ein Hotel nach Marbella passen würde. Aber doch nicht nach Rocky Harbour, wo es im einzigen Restaurant des Ortes Plastiktischdecken mit Hummermuster gibt!

Onkel Hermann merkt nicht, dass mir die Komplimente immer schwerer fallen, je mehr ich von den Wohnungen sehe. Stolz zeigt er mir die modernen Küchengeräte (»Nicht so antikes Zeug wie in der Blueberry Lodge!«) und die Flachbildschirme (»Ich verstehe gar nicht mehr, warum wir in der Blueberry Lodge nie Fernseher hatten!«), redet wie ein Wasserfall von WLAN und Whirlpools und führt mich schließlich zu den zwei Tennisplätzen hinter dem Gebäude. War ja klar, denke ich und muss mir auf die Unterlippe beißen, um nicht zu kichern. Ich höre noch deutlich Tante Helgas Gejammer, dass sie immer »am Arsch der Welt, zwischen Mücken und Fledermäusen und ohne Tennisplatz!« Urlaub machen musste. Nun, diese furchtbaren Zeiten sind ja zum Glück vorbei.

Daher bin ich nicht im Geringsten überrascht, als ich zwei Frauen auf dem roten Sand des vorderen Tennisplatzes herumlaufen sehe. Im ersten Moment glaube ich, die jüngere der beiden wäre Isa, merke beim Näherkommen jedoch, dass ich die Blondine im Tennisdress nicht kenne. Die ältere Spielerin mit der hellblonden Dauerwelle und der dunkelbraunen Haut, die mich spontan an Matts zerschlissene Ledercouch erinnert, kenne ich hingegen sehr gut: meine Tante Helga.

»Helga!«, ruft Onkel Hermann dröhnend. »Schau mal, wen ich im Ort aufgegabelt habe!«

Von ihrem Mann abgelenkt, verpasst Tante Helga prompt den gelben Ball. Mit einem frustrierten Gesichtsausdruck, den ich nur zu gut kenne, dreht sie sich zu uns um und schirmt ihre Augen gegen die Sonne ab.

»Ah, Nina.« Sie klingt nicht so begeistert, wie man das von einer Tante eigentlich erwarten dürfte. Nun gut, wir sind nicht blutsverwandt. Gott sei Dank. Als sie auf uns zukommt, sehe ich, dass sie aus der Nähe noch mehr Ähnlichkeit mit Matts Sofa hat als von Weitem. Wobei – in Kombination mit dem leicht verkniffenen Gesichtsausdruck, den sie meistens mit sich herumträgt, erinnert sie mich spontan an einen Bratapfel, der zu lange im Backofen war. Tante Helga hat in ihrem Leben eindeutig zu enge Bekanntschaft mit Sonnenbänken gemacht.

Sie bleibt vor mir stehen, mustert mich eingehend (besonders meinen Bauch, war ja klar) und haucht mir dann links und rechts ein Küsschen auf die Wange. Von ihrem schweren Parfüm, das sich mit einem leichten Schweißgeruch mischt, wird mir schlecht. Vielleicht bin ich wirklich schwanger? Nein, Quatsch.

»Wie geht es dir, Kind? Ich habe gehört, dass du schwanger bist?«

Langsam, aber sicher beginnt diese Frage mir gehörig auf die Nerven zu gehen. Ich unterdrücke einen Seufzer. »Mhhm. Ja.«

Zum Glück kommt mir Isa zu Hilfe, bevor Tante Helga auch nur ein »Herzlichen Glückwunsch!« über ihre schmalen, rotgeschminkten Lippen bringen kann.

»Niiiina!« Meine Cousine rennt den Weg entlang, der anscheinend den Bungalow unter den Kiefern direkt mit den Tennisplätzen verbindet. Ich habe mich schon gewundert, dass sie nicht ebenfalls mit einem Schläger bewaffnet auf oder zumindest am Rande des Platzes zu sehen war. Als sie näher kommt, erkenne ich, dass sie ein kurzes Sommerkleid und einen Strohhut trägt, keinen Tennisdress. Komisch, sie lässt doch sonst keine Gelegenheit aus, so viele Kalorien wie möglich zu verbrennen. Vermutlich will sie vor ihrer Hochzeit nicht das Risiko eingehen, sich den Knöchel zu verstauchen.

»Wieso sagt mir denn niemand, dass Nina hier ist?« Mit vorwurfsvollem Gesichtsausdruck stürmt Isa auf mich zu und umarmt mich.

»Wir sind doch gerade erst angekommen. Ich habe Nina im Ort getroffen und ihr die Ferienwohnungen gezeigt«, verteidigt sich Onkel Hermann und lässt sich auf eine Bank im Schatten eines Ahornbaumes fallen. »Uff, ist das heute wieder heiß. Wirklich, die Leute, die immer vom kalten Kanada faseln, haben keine Ahnung, wie die Sommer hier in Nova Scotia sind. Erst gestern hat Isas Patenonkel angerufen und mich allen Ernstes gefragt, ob er zur Hochzeit einen Anzug aus Wollstoff mitnehmen solle, weil wir ja draußen feiern wollen. Wollstoff, bei dieser Hitze!«

»Du hast Nina die Wohnungen ohne mich gezeigt?«, fragt Isa. Oh, oh. Ich kenne diese steile Falte, die sich zwischen ihren schmal gezupften Augenbrauen bildet, nur zu gut. Als sie jünger war, folgte dieser Falte stets ein Wutausbruch. Mein Onkel weiß das natürlich, denn er beeilt sich zu sagen: »Es war wirklich nur ein flüchtiger Rundgang, nicht wahr, Nina? Und du kannst ihr ja unseren Bungalow zeigen, Isalein.«

Isalein nickt und schiebt ihre Unterlippe vor. Wie damals als Fünfjährige, wenn sie tobte, weil sie nicht die Barbie bekam, die sie haben wollte. Sie wendet sich mir zu und fragt: »Hast du Courtney schon kennengelernt?«

Als ich verneine, winkt sie über das Tennisnetz hinweg der Blondine zu, die sich gerade mit einem Frotteehandtuch das Gesicht abtupft. »Komm doch mal rüber!«, ruft sie auf Englisch, dann dreht sie sich zu mir um und erklärt: »Courtney ist eine liebe Freundin von mir aus Manhattan. Wir sind zusammen mit meinem Auto von New York nach Nova Scotia gefahren. Sie ist genial, du wirst sie mögen. Wir haben uns auf einer After-Work-Party kennengelernt. Weißt du was, sie ist auch Anwältin!«

»Aha«, murmele ich, während ich Courtney beobachte, die ihren Schläger am Rande des Tennisplatzes abgelegt hat und nun auf uns zukommt. Ihre langen, knackigen Beine, deren Bräune durch das Weiß des kurzen Tennisröckchens noch betont wird, sind mir unsympathisch. Und dass sie Anwältin ist, macht das Ganze nicht besser. Ich mag keine Anwälte. Vermutlich deshalb, weil mein Bruder einer ist. Sascha leider auch. Ich habe ihn sogar über Hendrik kennengelernt, die beiden haben gemeinsam in Münster Jura studiert. Aber nur weil mein Freund zufällig Rechtsanwalt ist, heißt das nicht, dass ich dieser Berufsgruppe positiver gegenüberstehe als vorher.

»Courtney«, sagt Isa, »das hier ist Nina, meine Lieblingscousine, von der ich dir schon so viel erzählt habe!«

Wow, Lieblingscousine. Ich bin beeindruckt. Nun gut, außer mir hat sie ja nur Leonie als Cousine. Und die beiden verbindet wegen der sechs Jahre Altersunterschied längst nicht so viel wie Isa und mich.