Das Abendmahl

Berichte vom Abendmahl

Neben den einschlägigen Berichten vom Abendmahl (Mt 26,20-29, Mk 14,1-25, Lk 22,14-33, Joh 13,1-30, 1 Kor 11,17-34) ist der für unser Thema wichtigste Text derjenige über die Emmausjünger (Lk 24,13-35).

Dort heißt es in V. 30 »Und als Christus mit ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot und sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen. Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn.«

Dazu Phil 3,10 f.: »Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinen Leiden; sein Tod soll mich prägen. So hoffe ich, auch zur Auferstehung von den Toten zu gelangen.«

»Christus will ich erkennen«! Das ist unser Ziel. Wir haben die große Zusage bei Lukas. Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten ihn am Brotbrechen. Jedem von uns gilt dieses Wort. Für Paulus war »Christus erkennen« sein Lebensinhalt!

Wie sollen die wiederverheirateten Geschiedenen Christus erkennen, wenn sie vom Abendmahl ausgeschlossen sind? Gerade unter diesem Gesichtspunkt ist der Ausschluss von der Kommunion, vom Brotbrechen, der größte Gegensatz zum Auftrag Jesu, zur Erfahrung der Emmausjünger, zum Lebensinhalt des Paulus!

Jetzt gilt nur noch eines: Totales Umdenken und nach Christus und der Schrift handeln. – Schluss mit dem Ausschluss!

Die Feier des Abendmahls ist die Mitte der Gemeinde. Jesus hat »volle Sehnsucht« nach dieser Feier des Abendmahls/Ostermahls/der Feier von Tod und Auferstehung. Er will mit den Jüngern sein Heilswerk begehen und gibt ihnen den Auftrag: Tut dies zu meinem Gedächtnis.

Jesus feiert mit dem Zwölferkreis (als Kern) das Paschamahl des Volkes Israel der zwölf Stämme, das Gedächtnismahl der Befreiung aus Sklaverei, Angst und Tod. Dann begeht er mit den Jüngern das Befreiungsmahl des Neuen Bundes. Im Abendmahl vergegenwärtigt Jesus seinen Tod und seine Auferstehung als Höhepunkt und Vollendung der Schöpfung, der Welt- und Menschheitsgeschichte, und er gibt den Auftrag, dies zum Heil der Welt für alle Zeiten zu tun. Im Abendmahl vergegenwärtigt er seinen Tod. Alles Todbringende wird besiegt. Sein Tod ist verursacht durch die Angst der führenden Religionsschicht um ihre Macht. Mit verursacht ist sein Tod durch das Missbehagen und den Hass des Volkes. Das Volk kann es nicht ertragen, dass sich Jesus in ununterbrochener Zuwendung der Armen, Kranken, Außenseiter, der Ausgegrenzten und der Sünder annimmt. Sein Tod besiegt das Todbringende, alle Angst, die Leben tötet. Es macht die Menschen frei für Liebe, Freiheit und Freude. Im Abendmahl vergegenwärtigt Jesus seine Auferstehung. Es ist der Sieg über alle Angst, auch in der Kirche unserer Tage. Angst macht eng, engherzig und engstirnig. Erlöster müsste das Bild der Christen sein. Für die Katholiken heute ist der Ausschluss von der Kommunion eng, engherzig und engstirnig. Engherzigkeit spricht auch aus der Äußerung in der Arbeitshilfe 237 (hg. von der Deutschen Bischofskonferenz) vom 24. November 2014; niemals könne es eine generelle Zulassung der Betroffenen zu den Sakramenten geben. Der »Spürsinn« des Volkes Gottes fordert genau das Gegenteil: Es darf nur eine generelle Zulassung zu den Sakramenten geben.

Niemals kann es eine generelle Zulassung der Betroffenen zu den Sakramenten geben, das heißt doch: Die Betroffenen sind keine vollwertigen Christen, sie sind Christen zweiter Klasse. Bei der heutigen geografischen und personellen Situation der Kirche in aller Welt werden es ja in der Realität nur wenige Prozent Betroffener sein, die auf dem Weg der Einzelfälle die Zulassung erhalten. Diese Einzelfalllösung kann keine Lösung sein. Die ewige Diskussion und Streiterei, aber auch die Enttäuschung gingen weiter »von nun an bis in unbekannte Zeiten«. Daher: Geht entschieden auf die Suche nach der generellen Lösung, nach der Einfügung der Betroffenen in die »allgemeingültige Ordnung« für den Kommunionempfang. Dazu gehören auch neue biblische Verhaltensformen nach dem Leitbild von Christus und vor allem die moraltheologischen Möglichkeiten.

Der Grund für den Ausschluss von der Kommunion?

Ist Epheser 5,32 über die Beziehung Christus/Kirche der Grund für den Ausschluss von der Kommunion? Die Stelle lautet: »Dies ist ein tiefes Geheimnis: Ich beziehe es auf Christus und die Kirche.« Die Stelle wird seit Jahrzehnten als Beleg gedeutet, dass aufgrund der engen Beziehung Christus/Kirche eine Teilnahme der wiederverheirateten Geschiedenen an der Christus-Gemeinschaft im Abendmahl der Kirche nicht möglich sei. Doch: der Verfasser von Epheser 5,32 will nicht primär eine Aussage über die Sakramentalität der Ehe machen. Gleichwohl hebt er mit seiner Aussage die Ehe aus einem rein »profanen« Horizont heraus. Aber infolgedessen die Ehe als Sakrament bezeichnen zu wollen, das geht zu weit.17 Bernd Jochen Hilberath meint dazu, »dass der Wortlaut von Eph 5,32 keinen Beweis für das Sakrament der Ehe darstellt, ist ›common sense‹«.18

Epheser 5,32 wird also zu Unrecht als Beleg für den Sakramentenausschluss gedeutet.

»Nehmet und esset alle«

Dieses Kernwort Jesu ist unsere Verpflichtung, dass alle, wirklich alle zum eucharistischen Mahl eingeladen sind. Die Einladung ergeht auch an »Sünder«. Jesus will auch sie durch das Mahl heimführen in die Gemeinschaft Gottes. Ein Ausschluss ist gegen Christus. Heute haben wir so viele Menschen in aller Welt, die dringend der heilenden Nähe Christi bedürfen und durch die Feier des Mahles zur Gemeinschaft der Jünger Christi finden können.

»… zur Vergebung der Sünden«: Jesus sprach nicht von der Beichte. Er ruft auf zu Umkehr, Veränderung, zu neuem Denken und Handeln. Auf welche Weise und in welcher Form dies geschieht, das wird der Geist den Gemeinden eingeben. Die Beichte wurde in Deutschland vor allem in den Jahren 1920 bis 1962 praktiziert. In den Jahren 1959 bis 1962 saß ich in der Woche vor Ostern und Weihnachten jeweils zwischen siebzig und hundert Stunden im Beichtstuhl, mit Unterbrechungen für andere Aufgaben von morgens um 6.00 Uhr bis nachts gegen 23.00 Uhr. Immer schnell, schnell, mit Klopfen am Beichtstuhl: »Machen Sie schneller …« Papst Franziskus spricht von der Beichte als einem Folterinstrument. Ohne die Bußgottesdienste ginge es nicht mehr. Wichtig ist nicht die Form, wichtig ist die Bekehrung der Herzen. Nach meiner Beobachtung haben die meisten der wiederverheirateten Geschiedenen ihren Schritt zu einem neuen Leben mit bestem Wissen und Gewissen getan. Diese Geschiedenen sind folglich gar keine Sünder.

Das Wort Christi im Abendmahl eröffnet uns zeitgemäße und auch für die Vielzahl der Betroffenen real mögliche Wege. Die Feier des Abendmahls ist die Vergebung der Sünden, ihre höchste Form. In der Eucharistiefeier ist der beste Ort, wo auch die wiederverheirateten Geschiedenen gegebenenfalls Vergebung ihrer Sünden erfahren. Gott schaut ins Herz. Keinem Offizial (Vorsteher eines katholischen Kirchengerichts) ist das möglich. Es ist doch Christus, der uns die Vergebung Gottes zusagt.

Wie diese Art der Vergebung geschieht, ist nicht unser Thema. Der Theologe Gerd Häfner geht diesem Vorgang nach und sagt, dass in allen Fällen im Alten Testament der Kult eine von Gott eingerichtete Möglichkeit ist, von der Sünde und ihren unheilvollen Folgen loszukommen. Die Vergebung wird nicht durch das Ritual selbst bewirkt. Nach dem Vollzug des Rituals heißt es: »Und es wird ihm vergeben werden« (Lev 4,26). Gott selber, so Häfner, vergibt die Sünden. Das ist ein kurzer, hilfreicher Hinweis (in »Christ in der Gegenwart« 14 vom 5. April 2015 und Fortsetzungen). Wir setzen auf jeden Fall auf das Wort und Tun von Christus.

Judas war beim Abendmahl Jesu dabei

In der Schrift steht: Nach dem Mahl stand Judas auf und verließ den Raum. Judas beim Abendmahl Jesu! In späteren Zeiten wäre er wohl verbrannt oder in die Kerkerschächte der Engelsburg geworfen worden. Jesus ist ganz anders. Ein mittelalterliches Kapitell in Vézelay (Frankreich) zeigt Jesus, wie er den toten Judas auf seinen Schultern trägt. Ein schönes Bild für die Kirche heute. Da Judas beim Abendmahl Jesu dabei war, kann die Kirche auch keinen, nicht einen Einzigen vom Abendmahl ausschließen. Schaffen wir eine klare Reform, aber endlich für alle, generell. Verzichten wir auf eine Sonderbehandlung, denn die Bibel untersagt dies (Mt 5,22,28,32).

Wir haben alle Gründe, als Kirche nun eine großherzige Regelung im Geiste Christi zu suchen. Die rechtliche Macht muss außen vor bleiben. Eine uneinsichtige Praxis, wie auf der Bischofssynode 2014 so stark betont, würde alles noch schlimmer machen. Jetzt muss die Kirche auf diesem Gebiet ihre Daseinsberechtigung zeigen. Sie kann nicht weiter in einem engherzigen Stil den Menschen Regelungen präsentieren.

Suchen wir Lösungen, die der Lehre und der Praxis von Christus entsprechen. Überlegen wir, wie wir auch in diesem Buch dargestellte Vorgänge ins Heute und die vorhandene Realität übertragen können, für alle, nicht nur für einige Auserwählte. Und alles in einer neuen Sprache, wie sie etwa in der bereits erwähnten Arbeitshilfe 273 (S. 189 ff.) unter dem Titel »Trauen Sie sich! Zehn gute Gründe für die Ehe« gesprochen wird.

Jesus hielt nicht nur Mahl mit Sündern, er ging ihnen entgegen. Kommen wir den Menschen entgegen. Versuchen wir die Einstellung Jesu zu leben: aufsuchen, hingehen, Mahl feiern ohne Vorbedingungen und Kasualien. Ferner: Keinerlei Bestrafung mehr mit dem Entzug des Abendmahls!

Und unsere traditionelle Bußordnung?

Unsere traditionelle Bußordnung schwächelt. Die Menschen sind gebildet wie noch nie und handeln eigenverantwortlich. Lernen wir von Jesus. Das Abendmahl ist die Vergebung.

Die Unsitte, die wiederverheirateten Geschiedenen zur Teilnahme an der Eucharistie zu verpflichten, sie aber nicht an der Kommunion teilnehmen zu lassen, gehört hoffentlich bald überall der Vergangenheit an.

Jesus hielt nicht nur Mahl mit den Sündern, er ging ihnen entgegen. So will es auch Franziskus von seiner Kirche, dass sie an die Ränder geht und nicht Menschen an die Ränder verbannt. Franziskus will, dass wir zu jenen gehen, die nicht mehr von sich aus kommen. Daran musste ich denken, als der Papst in den Favelas von Rio Mahl mit den Menschen dort hielt. In der Zeit von 1969 bis 2012 war ich mehrmals in den Favelas und im Aids-Zentrum bei den Favelados. Franziskus ist eine große Herausforderung an uns, uns aus dem bürgerlichen Milieu hinauszubegeben.

Zur Kirche gehören alle – Zentrale These

Eine verwirrende Aussage zur Kirchenzugehörigkeit steht im bereits mehrfach zitierten Katholischen Erwachsenenkatechismus. Da sie auch die wiederverheirateten Geschiedenen betrifft, muss an dieser Stelle auf den Text eingegangen werden.

Die Kirchenleitung schließt bisher wiederverheiratete Geschiedene von den Sakramenten aus. Der Erwachsenenkatechismus schreibt dazu: »Abbruch der Eucharistiegemeinschaft ist Abbruch der Kirchengemeinschaft; umgekehrt gehören Eucharistie- und Kirchengemeinschaft unlöslich zusammen.«19 In diesen zwei Sätzen ist manches »verkehrt«. Es kann daher so nicht ohne Differenzierung stehen bleiben. Denn die Kirchenleitung besteht seit über 450 Jahren auf einem Abbruch der Eucharistiegemeinschaft, will aber keinen Abbruch der Kirchengemeinschaft. Keine einzige Stelle in der Heiligen Schrift schließt nach gründlicher Untersuchung generell die wiederverheirateten Geschiedenen vom Abendmahl aus. Keine Stelle macht sie zu einer Sondergruppe.

Diese zwei zitierten Sätze sollen die Begründung abgeben? Es ist sehr ärgerlich, dass auf der Basis von solch unlogischen Sätzen der Ausschluss vom Abendmahl erfolgen soll. Ist man sich denn nicht der ungeheuerlichen Tragweite bewusst?! Und der verheerenden Wirkung auf die Betroffenen und die Gläubigen generell?! Es ist unverständlich, dass solche Worte über eine so wichtige Angelegenheit in einem offiziellen Buch stehen. Viele Betroffene gehen – Gott sei Dank – längst zur Eucharistie, aus eigener verantworteter Gewissensentscheidung. Sie können und wollen nicht noch länger auf eine hilfreiche Lösung warten. Sie wollen zur Kirche Jesu gehören und lassen sich von der Lehre der Kirche nicht mehr abhalten. Kirche, wer bist du denn? Wir leiden an der Kirche! Bist du noch die Mutter Kirche? Die Kirche Jesu? Ecclesia semper reformanda! Hodie!

Kernproblem Unauflöslichkeit

Die Unauflöslichkeit der Ehe – ein heiliges Zielgebot

Die Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe gilt – wer weiß, warum – als das größte Problem, das dem Kommunionempfang von wiederverheirateten Geschiedenen im Wege steht. Bei all den vielen positiven Äußerungen in den verschiedenen Texten der Arbeitshilfen – etwa der Deutschen Bischofskonferenz vom 24. November 2014 – stocken alle möglichen denkbaren Lösungen, wenn die »Unauflöslichkeit« der Ehe erwähnt wird! Zu Recht?

Zu diesem Thema gibt es ganz aktuelle und grundehrliche Äußerungen von namhaften Autoren. Warum nur werden diese Äußerungen nirgends erwähnt? Sie werden sicher gelesen. Hier einige Autoren mit ihren Forschungsergebnissen.

Kompendium Denzinger/Hünermann, 44. Auflage 2014

Ich suchte zunächst im Kompendium Denzinger/Hünermann (44. Auflage 2014)20 nach Äußerungen zur Unauflöslichkeit der Ehe. Dort fand ich unter der Nummer 1807 eine Notiz zu c. 7. Dieser Canon besagt:

»Wer sagt, die Kirche irre, wenn sie lehrte und lehrt, gemäß der Lehre des Evangeliums und des Apostels (vgl. Mt 5,32; 19,9; Mk 10,11 f.; Lk 16,18; 1 Kor 7,11) könne das Band der Ehe wegen Ehebruchs eines der beiden Gatten nicht aufgelöst werden, und keiner von beiden, nicht einmal der Unschuldige, der keinen Anlass zum Ehebruch gegeben hat, könne, solange der andere Gatte lebt, eine andere Ehe schließen, und derjenige, der eine Ehebrecherin entlässt und eine andere heiratet, und diejenige, die einen Ehebrecher entlässt und einen anderen heiratet, begingen Ehebruch: der sei mit dem Anathema belegt.«

Dazu der erwähnte Kommentar von Denzinger/Hünermann: »Diese mildere Form der Verurteilung wurde mit Blick auf die Griechen gewählt, die einer entgegengesetzten Praxis folgten, die Lehre der lateinischen Kirche aber nicht verwarfen« (Trienter Konzil Lehre über die Ehe). Das weckt Interesse. Was heißt das?

Sabine Demel

Sabine Demel, seit 1997 Lehrstuhlinhaberin für Kirchenrecht an der Universität Regensburg, schreibt 2014:21

»›Von Papst und Bischöfen wird fast stereotyp nur immer wieder auf die Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe hingewiesen, die auf keinen Fall in Frage gestellt werden darf – sie muss weiter gelten – ohne Wenn und Aber!‹

Als Theologin mit dem Spezialgebiet des Kirchenrechts reibt man sich da verwundert die Augen und traut den eigenen Ohren nicht. Was für eine kühne Behauptung: Die Unauflöslichkeit der Ehe sei unantastbar! Haben die Repräsentanten des Lehramts etwa vergessen, dass die Unauflöslichkeit der Ehe im strengen Sinn des Wortes schon lange nicht mehr gilt, vielleicht sogar noch nie im absoluten Sinn gegolten hat?

Für die Unauflöslichkeit werden vom Lehramt keine Gründe genannt, nur die Autorität des Papstes steht für die Behauptung. Und das ist zu wenig!«

Hermann Häring

Dr. Hermann Häring, 1980 bis 1999 Professor für katholische Systematische Theologie an der Universität Nijmegen; danach wegen Konflikten mit dem Vatikan Professor für Wissenschaftstheorie und Theologie bis zur Emeritierung 2005, nimmt zur Rede von Kardinal Walter Kasper vor dem Kardinals-Konsistorium am Tag nach der Papstwahl 2013 wie folgt Stellung:

Trotz des hohen Interesses an der Schrift relativiert oder verdrängt die Kardinalsrede neutestamentliche Ausnahmeklauseln, die zur formellen Auflösung einer Ehe führen könnten und damit der Theorie widersprechen, das (christliche ) Eheband sei bedingungslos unauflöslich. Welches Interesse steuert diese Hermeneutik?

Die Rede will die Unauflöslichkeitstheorie in keiner Weise problematisieren, obwohl an ihr aus exegetischer und historischer Perspektive starke Zweifel bestehen müssten. Diese Strategie wiegt umso schwerer, als Kaspers Rede an die aktuelle Top-Elite der Kirchenleitung gerichtet war. Offensichtlich soll die Unauflöslichkeitsfrage nicht in die Diskussion geraten oder ihre Diskussion gilt als aussichtslos.

Dieses Politikum lässt sich kaum überschätzen. Deshalb kann den verborgenen Steuerungen, den unausgesprochenen Unterstellungen, dem Verschweigen oder der indirekten Relativierung bestimmter Erkenntnisse nicht klar genug widersprochen werden. Insbesondere sollten die exegetischen Tatbestände profiliert, auch in ihrer Fremdheit und mit den Positionen auf den Tisch, die in Sachen Ehe und Familie das katholische Lehr- und Pastoralsystem beunruhigen.

Es ist verständlich, dass sich der Autor der Rede gegen den Vorwurf wehrt, er gehe zu sorglos mit der Schrift um. Ihm muss aber bewusst werden, wie intensiv er in seiner Rede einer sorglos und unkritisch harmonisierenden Interpretation folgt, die fragwürdige Aussagen des offiziellen Lehramts unterstützt. Angesichts der Diskrepanz zu den Überzeugungen des Gottesvolkes kann dies nur irritieren und Misstrauen wecken.22

Hermann Häring schreibt zu Recht mit Blick auf den Spürsinn des Gottesvolkes und auf Matthäus 18,18: Ein Lehramt, das sich als weltweites Monopol versteht und seine Entscheidungen nicht mit dem Gottesvolk diskutiert, ist zum Scheitern verurteilt.

Jesus sagt im Matthäusevangelium zur Gemeinde: Amen, ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, wird auch im Himmel gebunden sein. Und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein.

Das ist völlig richtig. Die Amtskirche kann nur noch eines: endlich biblisch handeln. Wir bitten darum. Denn jetzt ist die Zeit des Heiles, der Gnade. Jetzt muss die Kirche die vielfach von anderen geforderte Buße selber tun. In Form von Umdenken und Umorientierung. Die bisherige Lehre hat ausgedient. Aber dies ist kein dogmatisches Problem. Darauf gehen wir an anderer Stelle ein. Die Ängste weichen!

Eine klare Aussage zur rechten Zeit! Wir fordern, dass endlich die Missachtung richtiger Äußerungen, das Verschweigen, die Relativierung von neuen Erkenntnissen aufhört!

Denkt um, denkt neu, denkt wahrhaftig!

Bernhard Häring

In einem Brief vom 6. Oktober 1996 aus Gars schrieb mir Bernhard Häring, Professor für Moraltheologie und Konzilstheologe:

Lieber Landsmann,

vielen Dank für den liebenswürdigen Brief und Ihre Schrift, die ganz und gar Heilssorge ist.