Jacob und Wilhelm Grimm

 

Die beliebtesten Märchen der

Gebrüder Grimm

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Cover: Gemälde "Hänsel und Gretel" von Carl Offterdinger (1829–1889)

Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2015

 

ISBN/EAN: 9783958703889

 

Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst.

 

www.nexx-verlag.de

 

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Der Froschkönig

 

In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat, lebte ein König, dessen Töchter alle schön waren, aber die jüngste war so schön, dass die Sonne selber, die doch so vieles gesehen hat, sich verwunderte, so oft sie ihr ins Gesicht schien. Nahe bei dem Schloss des Königs lag ein großer dunkler Wald, und in dem Wald unter einer alten Linde war ein Brunnen; wenn nun der Tag sehr heiß war, so ging das Königskind hinaus in den Wald und setzte sich an den Rand des kühlen Brunnens, und wenn sie Langeweile hatte, so nahm sie eine goldene Kugel, warf sie in die Höhe und fing sie wieder; und das war ihr liebstes Spielwerk.

 

Nun trug es sich einmal zu, dass die goldene Kugel der Königstochter nicht in ihr Händchen fiel, das sie in die Höhe gehalten hatte, sondern vorbei auf die Erde schlug und geradezu ins Wasser hineinrollte. Die Königstochter folgte ihr mit den Augen nach, aber die Kugel verschwand, und der Brunnen war tief, so tief, dass man keinen Grund sah.

 

Da fing sie an zu weinen und weinte immer lauter und konnte sich gar nicht beruhigen. Und wie sie so klagte, rief ihr jemand zu: "Was hast du vor, Königstochter, du schreist ja, dass sich ein Stein erbarmen möchte." Sie sah sich um, woher die Stimme käme, da erblickte sie einen Frosch, der seinen dicken hässlichen Kopf aus dem Wasser streckte. "Ach, du bist's, alter Wasserpatscher," sagte sie, "ich weine über meine goldene Kugel, die mir in den Brunnen gefallen ist." "Sei still und weine nicht," antwortete der Frosch, "ich kann wohl Rat schaffen, aber was gibst du mir, wenn ich dein Spielwerk wieder heraushole?" "Was du haben willst, lieber Frosch," sagte sie, "meine Kleider, meine Perlen und Edelsteine, auch noch die goldene Krone, die ich trage." Der Frosch antwortete: "Deine Kleider, deine Perlen und Edelsteine, und deine goldene Krone, die mag ich nicht; aber wenn du mich lieb haben willst und ich soll dein Geselle und Spielkamerad sein, an deinem Tischlein neben dir sitzen, von deinem goldenen Tellerlein essen, aus deinem Becherlein trinken, in deinem Bettlein schlafen: wenn du mir das versprichst, so will ich hinuntersteigen und dir die goldene Kugel wieder herausholen." "Ach ja," sagte sie, "ich verspreche dir alles, was du willst, wenn du mir nur die Kugel wieder bringst." Sie dachte aber: "Was der einfältige Frosch schwätzt, der sitzt im Wasser bei seinesgleichen und quakt, und kann keines Menschen Geselle sein."

 

Der Frosch, als er die Zusage erhalten hatte, tauchte seinen Kopf unter, sank hinab und über ein Weilchen kam er wieder heraufgerudert; hatte die Kugel im Maul und warf sie ins Gras. Die Königstochter war voll Freude, als sie ihr schönes Spielwerk wieder erblickte, hob es auf und sprang damit fort. "Warte, warte," rief der Frosch, "nimm mich mit, ich kann nicht so laufen wie du." Aber was half ihm, dass er ihr sein quak quak so laut nachschrie als er konnte; sie hörte nicht darauf, eilte nach Haus und hatte bald den armen Frosch vergessen, der wieder in seinen Brunnen hinabsteigen musste.

 

Am anderen Tag, als sie mit dem König und allen Hofleuten sich zur Tafel gesetzt hatte und von ihrem goldenen Tellerlein aß, da kam, plitsch platsch, plitsch platsch, etwas die Marmortreppe heraufgekrochen, und als es oben angelangt war, klopfte es an der Tür und rief: "Königstochter, jüngste, mach mir auf." Sie lief und wollte sehen wer draußen wäre, als sie aber aufmachte, so saß der Frosch davor. Da warf sie die Tür hastig zu, setzte sich wieder an den Tisch, und war ihr ganz Angst. Der König sah wohl, dass ihr das Herz gewaltig klopfte und sprach: "Mein Kind, was fürchtest du dich, steht etwa ein Riese vor der Tür und will dich holen?" "Ach nein," antwortete sie, "es ist kein Riese, sondern ein garstiger Frosch." "Was will der Frosch von dir?" "Ach lieber Vater, als ich gestern im Wald bei dem Brunnen saß und spielte, da fiel meine goldene Kugel ins Wasser. Und weil ich so weinte, hat sie der Frosch wieder heraufgeholt, und weil er es durchaus verlangte, so versprach ich ihm, er sollte mein Geselle werden, ich dachte aber nimmermehr, dass er aus seinem Wasser heraus könnte. Nun ist er draußen und will zu mir herein." Indem klopfte es zum zweiten Mal und rief:

 

"Königstochter, jüngste,

mach mir auf,

weißt du nicht, was gestern

du zu mir gesagt

bei dem kühlen Brunnenwasser?

Königstochter, jüngste,

mach mir auf."

 

Da sagte der König: "Was du versprochen hast, das musst du auch halten; geh nur und mach ihm auf." Sie ging und öffnete die Tür, da hüpfte der Frosch herein, ihr immer auf dem Fuße nach, bis zu ihrem Stuhl. Da saß er und rief: "Heb mich herauf zu dir." Sie zauderte, bis es endlich der König befahl. Als der Frosch erst auf dem Stuhl war, wollte er auf den Tisch, und als er da saß, sprach er: "Nun schieb mir dein goldenes Tellerlein näher, damit wir zusammen essen." Das tat sie zwar, aber man sah wohl, dass sie's nicht gerne tat. Der Frosch ließ sich's gut schmecken, aber ihr blieb fast jeder Bissen im Hals stecken. Endlich sprach er: "Ich habe mich satt gegessen, und bin müde, nun trag mich in dein Kämmerlein und mach dein seiden Bettlein zu Recht, da wollen wir uns schlafen legen." Die Königstochter fing an zu weinen und fürchtete sich vor dem kalten Frosch, den sie sich nicht anzurühren getraute, und der nun in ihrem schönen reinen Bettlein schlafen sollte. Der König aber ward zornig und sprach: "Wer dir geholfen hat, als du in der Not warst, den sollst du hernach nicht verachten." Da packte sie ihn mit zwei Fingern, trug ihn hinauf und setzte ihn in eine Ecke. Als sie aber im Bett lag, kam er gekrochen und sprach: "Ich bin müde, ich will schlafen so gut wie du; heb mich herauf, oder ich sag's deinem Vater." Da ward sie erst bitterböse, holte ihn herauf und warf ihn aus allen Kräften wider die Wand: "Nun wirst du Ruhe haben, du garstiger Frosch."

 

Als er aber herab fiel, war er kein Frosch, sondern ein Königssohn mit schönen freundlichen Augen. Der war nun nach ihres Vaters Willen ihr lieber Geselle und Gemahl. Da erzählte er ihr, er wäre von einer bösen Hexe verwünscht worden, und niemand hätte ihn aus dem Brunnen erlösen können als sie allein, und morgen wollten sie zusammen in sein Reich gehen. Dann schliefen sie ein, und am anderen Morgen, als die Sonne sie aufweckte, kam ein Wagen herangefahren mit acht weißen Pferden bespannt, die hatten weiße Straußfedern auf dem Kopf, und gingen in goldenen Ketten, und hinten stand der Diener des jungen Königs, das war der treue Heinrich. Der treue Heinrich hatte sich so betrübt, als sein Herr war in einen Frosch verwandelt worden, dass er drei eiserne Bande hatte um sein Herz legen lassen, damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zerspränge. Der Wagen aber sollte den jungen König in sein Reich abholen; der treue Heinrich hob beide hinein, stellte sich wieder hinten auf und war voller Freude über die Erlösung. Und als sie ein Stück Weges gefahren waren, hörte der Königssohn, dass es hinter ihm krachte, als wäre etwas zerbrochen. Da drehte er sich um und rief:

 

"Heinrich, der Wagen bricht."

"Nein, Herr, der Wagen nicht,

es ist ein Band von meinem Herzen,

das da lag in großen Schmerzen,

als ihr in dem Brunnen saßt,

als ihr eine Fretsche (Frosch) wast (wart)."

 

Doch einmal und noch einmal krachte es auf dem Weg, und der Königssohn meinte immer, der Wagen bräche, und es waren doch nur die Bande, die vom Herzen des treuen Heinrich absprangen, weil sein Herr erlöst und glücklich war.

 

Märchen vom einem, der auszog das Fürchten zu lernen

 

Ein Vater hatte zwei Söhne, davon war der älteste klug und gescheit, und wusste sich in alles wohl zu schicken, der jüngste aber war dumm, konnte nichts begreifen und lernen: und wenn ihn die Leute sahen, sprachen sie: "Mit dem wird der Vater noch seine Last haben!" Wenn nun etwas zu tun war, so musste es der älteste allezeit ausrichten; hieß ihn aber der Vater noch spät oder gar in der Nacht etwas holen, und der Weg ging dabei über den Kirchhof oder sonst einen schaurigen Ort, so antwortete er wohl: "Ach nein, Vater, ich gehe nicht dahin, es gruselt mir!" denn er fürchtete sich. Oder, wenn abends beim Feuer Geschichten erzählt wurden, wobei einem die Haut schaudert, so sprachen die Zuhörer manchmal: "Ach, es gruselt mir!" Der jüngste saß in einer Ecke und hörte das mit an, und konnte nicht begreifen was es heißen sollte. "Immer sagen sie es gruselt mir! Es gruselt mir! Mir gruselt's nicht; das wird wohl eine Kunst sein, von der ich auch nichts verstehe."

 

Nun geschah es, dass der Vater einmal zu ihm sprach: "Hör du, in der Ecke dort, du wirst groß und stark, du musst auch etwas lernen, womit du dein Brot verdienst. Siehst du, wie dein Bruder sich Mühe gibt, aber an dir ist Hopfen und Malz verloren." "Ei, Vater," antwortete er, "ich will gerne was lernen; ja, wenn's anginge, so möchte ich lernen, dass mir's gruselte: davon verstehe ich noch gar nichts." Der älteste lachte, als er das hörte, und dachte bei sich: "Du lieber Gott, was ist mein Bruder ein Dummbart, aus dem wird sein Lebtag nichts; was ein Häkchen werden will, muss sich bei Zeiten krümmen." Der Vater seufzte und antwortete ihm: "Das Gruseln, das sollst du schon lernen, aber dein Brot wirst du damit nicht verdienen."

 

Bald danach kam der Küster zum Besuch ins Haus, da klagte ihm der Vater seine Not und erzählte, wie sein jüngster Sohn in allen Dingen so schlecht beschlagen wäre, er wüsste nichts und lernte nichts. "Denkt Euch, als ich ihn fragte, womit er sein Brot verdienen wollte, hat er gar verlangt, das Gruseln zu lernen." "Wenn's weiter nichts ist," antwortete der Küster, "das kann er bei mir lernen; tut ihn nur zu mir, ich werde ihn schon abhobeln." Der Vater war es zufrieden, weil er dachte: "der Junge wird doch ein wenig zugestutzt." Der Küster nahm ihn also ins Haus, und er musste die Glocke läuten. Nach ein paar Tagen weckte er ihn um Mitternacht, hieß ihn aufstehen, in den Kirchturm steigen und läuten. "Du sollst schon lernen, was Gruseln ist," dachte er, ging heimlich voraus, und als der Junge oben war und sich umdrehte und das Glockenseil fassen wollte, so sah er auf der Treppe, dem Schallloch gegenüber, eine weiße Gestalt stehen.

 

"Wer da?" rief er, aber die Gestalt gab keine Antwort, regte und bewegte sich nicht. "Gib Antwort," rief der Junge, "oder mache, dass du fort kommst, du hast hier in der Nacht nichts zu schaffen." Der Küster aber blieb unbeweglich stehen, damit der Junge glauben sollte es wäre ein Gespenst. Der Junge rief zum zweiten Mal: "Was willst du hier? Sprich, wenn du ein ehrlicher Kerl bist oder ich werfe dich die Treppe hinab." Der Küster dachte: "Das wird so schlimm nicht gemeint sein," gab keinen Laut von sich und stand, als wenn er von Stein wäre. Da rief ihn der Junge zum drittenmale an, und als das auch vergeblich war, nahm er einen Anlauf und stieß das Gespenst die Treppe hinab, dass es zehn Stufen hinabfiel und in einer Ecke liegen blieb. Darauf läutete er die Glocke, ging heim, legte sich, ohne ein Wort zu sagen, ins Bett und schlief fort. Die Küsterfrau wartete lange Zeit auf ihren Mann, aber er wollte nicht wiederkommen. Da ward ihr endlich Angst, sie weckte den Jungen, und fragte: "Weißt du nicht, wo mein Mann geblieben ist? Er ist vor dir auf den Turm gestiegen." "Nein," antwortete der Junge, "aber da hat einer dem Schallloch gegenüber auf der Treppe gestanden, und weil er keine Antwort geben und auch nicht weggehen wollte, so habe ich ihn für einen Spitzbuben gehalten und hinuntergestoßen. Geht nur hin, so werdet Ihr sehen, ob er's gewesen ist, es sollte mir leidtun." Die Frau sprang fort und fand ihren Mann, der in einer Ecke lag und jammerte, und ein Bein gebrochen hatte.

 

Sie trug ihn herab und eilte dann mit lautem Geschrei zu dem Vater des Jungen. "Euer Junge," rief sie, "hat ein großes Unglück angerichtet, meinen Mann hat er die Treppe hinabgeworfen, dass er ein Bein gebrochen hat: schafft den Taugenichts aus unserem Haus." Der Vater erschrak, kam herbeigelaufen und schalt den Jungen aus. "Was sind das für gottlose Streiche, die muss dir der Böse eingegeben haben." "Vater," antwortete er, "hört nur an, ich bin ganz unschuldig: er stand da in der Nacht, wie einer, der Böses im Sinne hat. Ich wusste nicht wer's war, und habe ihn dreimal ermahnt zu reden oder wegzugehen." "Ach," sprach der Vater, "mit dir erleb' ich nur Unglück, geh' mir aus den Augen, ich will dich nicht mehr ansehen." "Ja. Vater, recht gerne, wartet nur bis es Tag ist, da will ich ausgehen und das Gruseln lernen, so versteh ich doch eine Kunst, die mich ernähren kann." "Lerne was du willst," sprach der Vater, "mir ist alles einerlei. Da hast du fünfzig Taler, damit geh' in die weite Welt und sage keinem Menschen, wo du her bist und wer dein Vater ist, denn ich muss mich deiner schämen." "Ja, Vater, wie Ihr's haben wollt, wenn Ihr nicht mehr verlangt, das kann ich leicht in acht behalten."

 

Als nun der Tag anbrach, steckte der Junge seine fünfzig Taler in die Tasche, ging hinaus auf die große Landstraße und sprach immer vor sich hin: "Wenn mir's nur gruselte! wenn mir's nur gruselte!" Da kam ein Mann heran, der hörte das Gespräch, das der Junge mit sich selber führte, und als sie ein Stück weiter waren, dass man den Galgen sehen konnte, sagte der Mann zu ihm: "Siehst du, dort ist der Baum, wo sieben mit des Seilers Tochter Hochzeit gehalten haben und jetzt das Fliegen lernen; setz dich darunter und warte, bis die Nacht kommt, so wirst du schon das Gruseln lernen." "Wenn weiter nichts dazu gehört," antwortete der Junge, "das ist leicht getan; lerne ich aber so geschwind das Gruseln, so sollst du meine fünfzig Taler haben; komm nur morgen früh wieder zu mir."

 

Da ging der Junge zu dem Galgen, setzte sich darunter und wartete, bis der Abend kam. Und weil ihn fror, machte er sich ein Feuer an; aber um Mitternacht ging der Wind so kalt, dass er trotz des Feuers nicht warm werden wollte. Und als der Wind die Gehenkten gegeneinander stieß, dass sie sich hin und her bewegten, so dachte er, "du frierst unten bei dem Feuer, was mögen die da oben erst frieren und zappeln." Und weil er mitleidig war, legte er die Leiter an, stieg hinauf, knüpfte einen nach dem anderen los, und holte sie alle sieben herab. Darauf schürte er das Feuer, blies es an und setzte sie ringsherum, dass sie sich wärmen sollten. Aber sie saßen da und regten sich nicht, und das Feuer ergriff ihre Kleider. Da sprach er: "Nehmt euch in acht, sonst häng' ich euch wieder hinauf." Die Toten aber hörten nicht, schwiegen und ließen ihre Lumpen fortbrennen. Da ward er bös und sprach: "Wenn ihr nicht Acht geben wollt, so kann ich euch nicht helfen, ich will nicht mit euch verbrennen," und hing sie nach der Reihe wieder hinauf. Nun setzte er sich zu seinem Feuer und schlief ein, und am anderen Morgen, da kam der Mann zu ihm, wollte die fünfzig Taler haben und sprach: "Nun, weißt du was gruseln ist?" "Nein," antwortete er, "woher sollte ich's wissen? Die da droben haben das Maul nicht aufgetan und waren so dumm, dass sie die paar alten Lappen, die sie am Leibe haben, brennen ließen." Da sah der Mann, dass er die fünfzig Taler heute nicht davontragen würde, ging fort und sprach: "So einer ist mir noch nicht vorgekommen."

 

Der Junge ging auch seines Weges und fing wieder an vor sich hin zu reden: "Ach, wenn mir's nur gruselte; ach, wenn mir's nur gruselte!" Das hörte ein Fuhrmann, der hinter ihm her schritt, und fragte: "Wer bist du?" "Ich weiß nicht," antwortete der Junge. Der Fuhrmann fragte weiter: "Wo bist du her?" "Ich weiß nicht." "Wer ist dein Vater?" "Das darf ich nicht sagen." "Was brummst du beständig in den Bart hinein?" "Ei." antwortete der Junge, "ich wollte, dass mir's gruselte, aber niemand kann mir's lehren." "Lass dein dummes Geschwätz," sprach der Fuhrmann, "komm, geh' mit mir, ich will sehen, dass ich dich unterbringe." Der Junge ging mit dem Fuhrmann, und abends gelangten sie zu einem Wirtshaus, wo sie übernachten wollten. Da sprach er beim Eintritt in die Stube wieder ganz laut: "Wenn mir's nur gruselte: wenn mir's nur gruselte!" Der Wirt, der das hörte, lachte und sprach: "Wenn dich danach gelüstet, dazu sollte hier wohl Gelegenheit sein." "Ach schweig stille," sprach die Wirtsfrau, "so mancher Vorwitzige hat schon sein Leben eingebüßt, es wäre Jammer und Schade um die schönen Augen, wenn die das Tageslicht nicht wieder sehen sollten." Der Junge aber sagte: "Wenn's noch so schwer wäre, ich will's einmal lernen, deshalb bin ich ja ausgezogen."

 

Er ließ dem Wirt auch keine Ruhe, bis dieser erzählte, nicht weit davon stände ein verwünschtes Schloss, wo einer wohl lernen könnte was gruseln wäre, wenn er nur drei Nächte darin wachen wollte. Der König hätte dem, der's wagen wollte, seine Tochter zur Frau versprochen, und die wäre die schönste Jungfrau, welche die Sonne beschien; in dem Schloss steckten auch große Schätze, von bösen Geistern bewacht, die würden dann frei und könnten einen Armen reich genug machen. Schon viele wären wohl hinein, aber noch keiner wieder herausgekommen. Da ging der Junge am anderen Morgen vor den König und sprach: "Wenn's erlaubt wäre, so wollte ich wohl drei Nächte in dem verwünschten Schloss wachen." Der König sah ihn an, und weil er ihm gefiel, sprach er: "Du darfst dir noch dreierlei ausbitten, aber es müssen leblose Dinge sein, und das darfst du mit ins Schloss nehmen." Da antwortete er: "So bitt' ich um ein Feuer, eine Drehbank und eine Schnitzbank mit dem Messer."

 

Der König ließ ihm das alles bei Tage in das Schloss, tragen. Als es Nacht werden wollte, ging der Junge hinauf, machte sich in einer Kammer ein Helles Feuer an, stellte die Schnitzbank mit dem Messer daneben und setzte sich auf die Drehbank. "Ach, wenn mir's nur gruselte!" sprach er, "aber hier werde ich's auch nicht lernen." Gegen Mitternacht wollte er sich sein Feuer einmal aufschüren: wie er so hineinblies, da schrie es plötzlich aus einer Ecke: "Au, miau! was uns friert!" "Ihr Narren," rief er, "was schreit ihr? Wenn euch friert, kommt, setzt euch ans Feuer und wärmt euch." Und wie er das gesagt hatte, kamen zwei große schwarze Katzen in einem gewaltigen Sprunge herbei, letzten sich ihm zu beiden Seiten, und sahen ihn mit ihren feurigen Augen ganz wild an. Über ein Weilchen, als sie sich gewärmt hatten, sprachen sie: "Kamerad, wollen wir eins in der Karte spielen?" "Warum nicht?" antwortete er, "aber zeigt einmal eure Pfoten her."

 

Da streckten sie die Krallen aus. "Ei," sagte er, "was habt ihr lange Nägel: wartet, die muss ich euch erst abschneiden!" Damit packte er sie beim Kragen, hob sie auf die Schnitzbank und schraubte ihnen die Pfoten fest. "Euch habe ich auf die Finger, gesehen," sprach er, "da vergeht mir die Lust zum Kartenspiel," schlug sie tot und warf sie hinaus ins Wasser. Als er aber die zwei zur Ruhe gebracht hatte und sich wieder zu seinem Feuer setzen wollte, da kamen aus allen Ecken und Enden, schwarze Katzen und schwarze Hunde an glühenden Ketten, immer mehr und mehr, dass er sich nicht mehr bergen konnte; die schrien gräulich, traten ihm auf sein Feuer, zerrten es auseinander und wollten es ausmachen. Das sah er ein Weilchen ruhig mit an, als es ihm aber zu arg ward, fasste er sein Schnitzmesser und rief: "Fort mit dir, du Gesindel," und haute auf sie los. Ein Teil sprang weg, die anderen schlug er tot und warf sie hinaus in den Teich. Als er wieder, gekommen war, blies er aus den Funken sein Feuer frisch an und wärmte sich. Und als er so saß, wollten ihm die Augen nicht länger offen bleiben und er bekam Lust zu schlafen.

 

Da blickte er um sich und sah in der Ecke ein großes Bett: "Das ist mir eben recht," sprach er und legte sich hinein. Als er aber die Augen zutun wollte, fing das Bett von selbst an zu fahren und fuhr im ganzen Schloss herum. "Recht so," sprach er, "nur besser zu." Da rollte das Bett fort, als wären sechs Pferde vorgespannt, über Schwellen und Treppen auf und ab; auf einmal hopp hopp! warf es um, das unterste zu oberst, dass es wie ein Berg auf ihm lag. Aber er schleuderte Decken und Kissen in die Höhe, stieg heraus und sagte: "Nun mag fahren wer Lust hat," legte sich an sein Feuer und schlief, bis es Tag war. Am Morgen kam der König, und als er ihn da auf der Erde liegen sah, meinte er, die Gespenster hätten ihn umgebracht, und er wäre tot. Da sprach er: "Es ist doch schade um den schönen Menschen." Das hörte der Junge, richtete sich auf und sprach: "So weit ist's noch nicht!" Da verwunderte sich der König, freute sich aber, und fragte wie es ihm gegangen wäre. "Recht gut," antwortete er, "eine Nacht wäre herum, die zwei anderen werden auch herumgehen." Als er zum Wirt kam, da machte der große Augen. "Ich dachte nicht," sprach er, "dass ich dich wieder lebendig sehen würde; hast du nun gelernt, was Gruseln ist?" "Nein," sagte er, "es ist alles vergeblich; wenn mir's nur einer sagen könnte!"

 

Die zweite Nacht ging er abermals hinaus ins alte Schloss, setzte sich zum Feuer und fing sein altes Lied wieder an: "Wenn mir's nur gruselte!" Wie Mitternacht herankam, ließ sich ein Lärm und Gepolter hören, erst sachte, dann immer stärker, dann war's ein bisschen still, endlich kam mit lautem Geschrei ein halber Mensch den Schornstein herab und fiel vor ihm hin. "Heda!" rief er, "noch ein halber gehört dazu, das ist zu wenig." Da ging der Lärm von frischem an, es tobte und heulte, und fiel die andere Hälfte auch herab. "Wart'," sprach er, "ich will dir erst das Feuer ein wenig anblasen." Wie er das getan hatte und sich wieder umsah, da waren die beiden Stücke zusammengefahren und saß da ein gräulicher Mann auf seinem Platz. "So haben wir nicht gewettet," sprach der Junge, "die Bank ist mein." Der Mann wollte ihn wegdrängen, aber der Junge ließ sich's nicht gefallen, schob ihn mit Gewalt weg und setzte sich wieder auf seinen Platz.

 

Da fielen noch mehr Männer herab, einer nach dem andern, die holten neun Totenbeine und zwei Totenköpfe, setzten auf und spielten Kegel. Der Junge bekam auch Lust und fragte: "Hört ihr, kann ich mit sein?" "Ja, wenn du Geld hast." "Geld genug," antwortete er, "aber eure Kugeln sind nicht recht rund." Da nahm er die Totenköpfe, setzte sie in die Drehbank und drehte sie rund. "So, jetzt werden sie besser schüppeln," sprach er, "heida! nun geht's lustig!" Er spielte mit und verlor etwas von seinem Geld, als es aber zwölf schlug, war alles vor seinen Augen verschwunden. Er legte sich nieder und schlief ruhig ein. Am anderen Morgen kam der König und wollte sich erkundigen. "Wie ist dir's diesmal gegangen?" fragte er. "Ich habe gekegelt," antwortete er, "und ein paar Heller verloren." "Hat dir denn nicht gegruselt?" "Ei was." sprach er, "lustig hab ich mich gemacht. Wenn ich nur wüsste was Gruseln wäre?"

 

In der dritten Nacht setzte er sich wieder auf seine Bank und sprach ganz verdrießlich: "Wenn es mir nur gruselte!" Als es spät ward, kamen sechs große Männer und brachten eine Totenlade hereingetragen. Da sprach er: "Ha ha, das ist gewiss mein Vetterchen, das erst vor ein paar Tagen gestorben ist," winkte mit dem Finger und rief: "Komm, Vetterchen, komm!" Sie stellten den Sarg auf die Erde, er aber ging hinzu und nahm den Deckel ab: da lag ein toter Mann darin. Er fühlte ihm an's Gesicht, aber es war kalt wie Eis. "Wart'," sprach er, "ich will dich ein bisschen wärmen," ging ans Feuer, wärmte seine Hand und legte sie ihm auf's Gesicht, aber der Tote blieb kalt. Nun nahm er ihn heraus, setzte sich ans Feuer und legte ihn auf seinen Schoß, und rieb ihm die Arme, damit das Blut wieder in Bewegung kommen sollte. Als auch das nichts helfen wollte, fiel ihm ein, "wenn zwei zusammen im Bett liegen, so wärmen sie sich," brachte ihn ins Bett, deckte ihn zu und legte sich neben ihn. Über ein Weilchen ward auch der Tote warm und fing an sich zu regen. Da sprach der Junge: "Siehst du, Vetterchen, hätt' ich dich nicht gewärmt!" Der Tote aber hob an und rief: "Jetzt will ich dich erwürgen." "Was," sagte er, "ist das mein Dank? Gleich sollst du wieder in deinen Sarg," hub ihn auf, warf ihn hinein und machte den Deckel zu; da kamen die sechs Männer und trugen ihn wieder fort. "Es will mir nicht gruseln," sagte er, "hier lerne ich's mein Lebtag nicht."

 

Da trat ein Mann herein, der war größer als alle andere und sah fürchterlich aus; er war aber alt und hatte einen langen weißen Bart. "Oh du Wicht," rief er. "nun sollst du bald lernen was Gruseln ist, denn du sollst sterben." "Nicht so schnell," antwortete der Junge, "soll ich sterben, so muss ich auch dabei sein." "Dich will ich schon packen," sprach der Unhold. "Sachte, sachte, mach' dich nicht so breit; so stark wie du bin ich auch, und wohl noch stärker." "Das wollen wir sehen," sprach der Alte, "bist du stärker als ich, so will ich dich gehen lassen; komm, wir wollen's versuchen." Da führte er ihn durch dunkle Gänge zu einem Schmiedefeuer, nahm eine Axt und schlug den einen Amboss mit einem Schlag in die Erde. "Das kann ich noch besser," sprach der Junge, und ging zu dem anderen Amboss; der Alte stellte sich neben hin und wollte zusehen, und sein weißer Bart hing herab. Da fasste der Junge die Axt, spaltete den Amboss auf einen Hieb und klemmte den Bart den Alten mit hinein. "Nun hab' ich dich," sprach der Junge, "jetzt ist das Sterben an dir." Dann fasste er eine Eisenstange und schlug auf den Alten los, bis er wimmerte und bat, er möchte aufhören, er wollte ihm große Reichtümer geben. Der Junge zog die Axt raus und ließ ihn los. Der Alte führte ihn wieder ins Schloss zurück und zeigte ihm in einem Keller drei Kasten voll Gold. "Davon," sprach er, "ist ein Teil den Armen, der andere dem König, der dritte dein." Indem schlug es zwölf und der Geist verschwand, also dass der Junge im Finstern stand. "Ich werde mir doch heraushelfen können," sprach er, tappte herum, fand den Weg in die Kammer und schlief dort bei seinem Feuer ein. Am anderen Morgen kam der König und sagte: "Nun wirst du gelernt haben was Gruseln ist?" "Nein," antwortete er, "was ist's nur? Mein toter Vetter war da, und ein bärtiger Mann ist gekommen, der hat mir da unten viel Geld gezeigt, aber was Gruseln ist, hat mir keiner gesagt." Da sprach der König: "Du hast das Schloss erlöst und sollst meine Tochter heiraten." "Das ist alles recht gut," antwortete er, "aber ich weiß noch immer nicht was Gruseln ist."

 

Da ward das Gold herausgebracht und die Hochzeit gefeiert, aber der junge König, so lieb er seine Gemahlin hatte und so vergnügt er war, sagte doch immer: "Wenn mir nur gruselte; wenn mir nur gruselte." Das verdross sie endlich. Ihr Kammermädchen sprach: "Ich will Hilfe schaffen, das Gruseln soll er schon lernen." Sie ging hinaus zum Bach, der durch den Garten floss und ließ sich einen ganzen Eimer voll Gründlinge holen. Nachts, als der junge König schlief, musste seine Gemahlin ihm die Decke wegziehen und den Eimer voll kaltes Wasser mit den Gründlingen über ihn schütten, dass die kleinen Fische um ihn herumzappelten. Da wachte er auf und rief: "Ach, was gruselt mir, was gruselt mir, liebe Frau! Ja, nun weiß ich was Gruseln ist."

 

Der Wolf und die sieben jungen Geißlein

 

Es war einmal eine alte Geiß, die hatte sieben junge Geißlein und hatte sie lieb, wie eine Mutter ihre Kinder lieb hat. Eines Tages wollte sie in den Wald gehen und Futter holen, da rief sie alle sieben herbei und sprach: "Liebe Kinder, ich will hinaus in den Wald, seid auf eurer Hut vor dem Wolf; wenn er hereinkommt, so frisst er euch alle mit Haut und Haar. Der Bösewicht verstellt sich oft, aber an seiner rauen Stimme und an seinen schwarzen Füßen werdet ihr ihn gleich erkennen." Die Geißlein sagten: "Liebe Mutter, wir wollen uns schon in acht nehmen, ihr könnt ohne Sorge fortgehen." Da meckerte die Alte und machte sich getrost auf den Weg.