Die Wissenschaft der Gedankenführung
Band II
Die Intelligenz
von Felix Brocker
„Die Nautilus wächst mit einer konstanten Rate und so bildet ihre Schale eine logarithmische Spirale, um dieses Wachstum aufzunehmen, ohne dabei die Form zu verändern. Eine Lebensader verbindet ihre Kammern, sodass die vorherigen Kammern zurückgelassen, aber nie vergessen werden. Sie schafft ständig neue breitere Kammern in perfekter Proportionalität. Trotz der tiefgreifenden Veränderungen um sie herum gedeiht sie weiterhin. Sie erinnert uns daran, dass das Wachstum Teil der Schöpfung des Universums ist. Die Nautilus ist ein Symbol für eine strenge wissenschaftliche Forschung und die Interdisziplinarität der Wissenschaften.“
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Für meine Eltern
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Bibliografische Informationen
Die Wissenschaft der Gedankenführung
Band II – Die Intelligenz
von Felix Brocker
©29.08.2013
Copyright
Verlag Felix Brocker
Nelsenstraße 17e
41748 Viersen
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Die Wissenschaft der Gedankenführung
Die Geniale Sonderausgabe
von Felix Brocker
1 Die Intelligenz(en)
2 Die Emotionale Intelligenz
3 Die Vermessung des Gehirns
4 Gene und Umwelt
5 Bewusstes und unbewusstes Lernen
6 Erinnern und Vergessen
7 Gehirnnahrung
8 Sportliche Betätigung
9 Die Ordnung des Schlafes
10 Die Intuition
11 Achtsamkeit und Meditation
12 Kreative Intelligenz
13 Kollektive Intelligenz
14 Eine Zusammenfassung der Intelligenz
Kapitel 1
Nachdem Ihnen die wesentlichen Grundlagen der Wissenschaft der Gedankenführung nach der Lektüre des ersten Bandes bereits bekannt sind, gehen wir nun mit dem vorliegenden und den weiteren Bänden näher ins Detail. Wir beginnen mit der Intelligenz.
Die Intelligenz ist ein zentrales Merkmal, das unsere Persönlichkeit so wesentlich prägt wie kaum ein anderes Persönlichkeitsmerkmal. Sie spielt daher eine tragende Rolle in der modernen Psychologie und in der modernen Hirnforschung. Auch in der öffentlichen Diskussion finden sich immer wieder hitzige Debatten rund um das Thema Intelligenz. Hier hat Thilo Sarrazin mit seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“, das übrigens das meistverkaufte deutschsprachige Sachbuch direkt nach dem Duden ist, einen äußerst unrühmlichen Beitrag geleistet. Die dort aufgeworfenen Thesen sind nicht nur völlig haarsträubend und menschenverachtend, sondern darüber hinaus auch noch grundlegend falsch. Sarrazins Buch spielt auf eine übertrieben populistische Weise mit den Ängsten der Menschen, einem Garanten für hohe Verkaufszahlen. In diesem Buch hingegen fußen sämtliche Erläuterungen nicht auf perfidem Populismus, sondern auf rein wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen. Die Quellen dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse werden, wie auch im ersten Band, im Fließtext und nicht in Fußnoten erscheinen, da es sich bei diesem Buch nicht um eine akademische Doktorarbeit handelt, sondern um eine populärwissenschaftliche Abhandlung. Es ist somit eine unkomplizierte und leicht verständliche Herangehensweise an ein hoch wissenschaftliches Thema, die Ihnen ein sehr viel flüssigeres Lesen dieses Buches ermöglicht. Schritt für Schritt arbeiten wir uns vor zur Beantwortung der folgenden Ausgangsfrage: Wie steht es um die kognitive Leistungsfähigkeit des Menschen, und wie lässt sie sich gezielt trainieren? Zu Beginn dieses Buches gilt es jedoch zu allererst eine weitaus simplere Frage zu beantworten: Was ist Intelligenz?
Die Intelligenz ist ein Sammelbegriff für die kognitive Leistungsfähigkeit, die Klugheit oder den Scharfsinn des Menschen. Der Begriff leitet sich von dem lateinischen Wort intellegere ab, das soviel wie „verstehen“ bedeutet. Mit dem Wort „intelligentia“ war der römische Gelehrte Marcus Tullius Cicero im Jahre 53 vor Christus wahrscheinlich der erste Mensch, der der kognitiven Leistungsfähigkeit des Menschen einen Namen gab. Somit könnte man vom Wortursprung ausgehend zu der folgenden Definition gelangen: Intelligenz ist die Fähigkeit, Aufgaben und Probleme von allgemeiner Natur möglichst schnell zu verstehen und gleichwohl auch lösen zu können. Oder noch kürzer formuliert: Intelligenz ist schlussfolgerndes Denken.
Auf die simple Eingangsfrage „Was ist Intelligenz?“ gibt es heute jedoch die unterschiedlichsten und mannigfaltigsten Antworten, und es scheint gradezu als hätte fast jeder Wissenschaftler seine eigene Antwort auf diese doch so simple Frage parat. Denn selbst im Kreise derer, die sich bereits von Berufswegen mit der Intelligenz beschäftigen, herrscht Uneinigkeit darüber, was die Intelligenz überhaupt ist. Der Begriff ist also alles andere als klar definiert. So finden wir schon an dieser Stelle ausreichend Informationen, mit denen sich Doktorarbeiten über Doktorarbeiten füllen ließen. Es gibt schlichtweg keine einheitliche und allgemeingültige Definition. Der Grund dafür, dass es (noch) keine einheitliche Definition der Intelligenz gibt, ist der, dass es sich bei ihr um ein rein theoretisches Konstrukt handelt. Die Intelligenz ist nunmal als solche nicht fassbar. Sie ist nichts Materielles. Deshalb existieren heute unterschiedliche Intelligenzmodelle nebeneinander, und jedes einzelne dieser Modelle hat seine Daseinsberechtigung. Die bekanntesten Theorien werden nachfolgend kurz und prägnant erläutert, ohne dass Sie an dieser Stelle vertieft in ein Studium der Psychologie einsteigen müssten.
Am Beginn steht das Intelligenzmodell des Briten Charles Edward Spearman aus dem Jahre 1904. Dieses Intelligenzmodell ist unter den Wissenschaftler das wohl am meisten anerkannteste. Es ist das Modell des sogenannten Generalfaktors der Intelligenz. Spearman beobachtete, dass Personen, die mit sehr unterschiedlichen Intelligenzmessverfahren getestet wurden, in jedem einzelnen dieser Testverfahren annähernd gleich gut abschnitten. Wer also in dem einen Intelligenztest gut abschnitt, der erzielte auch ein gutes Ergebnis in einem völlig anderen Intelligenztest. Derjenige, der zum Beispiel über gute sprachliche Fähigkeiten verfügte, der verfügte zudem auch über gute mathematische Fähigkeiten. Somit mussten nach Spearmans Beobachtungen sehr generelle Denkprozesse wie etwa das logische Denken, jedes Testergebnis, wenn auch in einem leicht unterschiedlichen Ausmaß, beeinflussen. Daher stammt auch die Bezeichnung seines Intelligenzmodells als Generalfaktor-Theorie.
Das Intelligenzmodell mehrerer gemeinsamer Faktoren von Louis Leon Thurstone ist eine Weiterentwicklung der Generalfaktor-Theorie Spearmans. Thurstone ging davon aus, dass es im Geist eine gewisse Struktur geben müsse. Eine intelligente Leistung lasse sich daher nur durch mehrere generelle Faktoren erklären. Dabei ging Thurstone genau wie Spearman zwar von einer allgemeinen Intelligenz aus, jedoch setze sich diese allgemeine Intelligenz mindestens aus sieben generellen Faktoren zusammen: verbales Verständnis, Wortflüssigkeit, Rechenfähigkeit, räumliches Vorstellungsvermögen, Merkfähigkeit, Wahrnehmungsgeschwindigkeit und siebtens das Erkennen einer allgemeinen Regel. Diese sieben Fähigkeiten stehen jedoch nicht getrennt nebeneinander, sondern sie bilden als die sogenannten Primärfaktoren eine Einheit, die allgemeine Intelligenz.
Aus dem Modell mehrerer gemeinsamer Faktoren entstand wiederum ein weiteres Intelligenzmodell und zwar das Modell der fluiden und der kristallinen Intelligenz. Das Modell der fluiden und kristallinen Intelligenz wurde im Jahre 1963 von Raymond Bernhard Cattell, einem ehemaligen Assistenten Spearmans, entwickelt. Es besteht aus zwei übergeordneten Faktoren, der fluiden und der kristallinen Intelligenz, denen dann die sieben allgemeinen Primärfaktoren der Intelligenz von Thurstone untergeordnet wurden. Die fluide Intelligenz ist die Fähigkeit, sich schnell und effektiv neue Informationen aneignen zu können. Sie entscheidet mithin darüber, wie gut und wie schnell jemand lernen kann. Sie ist die angeborene Fähigkeit, sich neues Wissen erschließen zu können, ohne dass notwendigerweise frühere Lernerfahrungen benötigt werden. Die fluide Intelligenz bildet somit die Grundlage für die kristalline Intelligenz, die mitunter auch bereichsspezifische Intelligenz genannt wird. Die kristalline Intelligenz umfasst das gesamte Wissen und alle Fähigkeiten, die sich ein Mensch seit seiner Geburt angeeignet hat. Es sind Fähigkeiten und Informationen, die sich aus früheren Lernerfolgen im Gehirn verfestigt haben. Sie sind dort gewissermaßen „kristallisiert“.
Schließlich entwickelte Howard Gardner, Erziehungswissenschaftler an der renommierten Harvard Universität, in den 1980er Jahren sein weltweit viel diskutiertes Modell der Multiplen Intelligenzen. Nach Gardners Überzeugung sei der traditionelle Intelligenzbegriff viel zu eng ausgelegt, da die Intelligenz ein ganzes Bündel der unterschiedlichsten Fertigkeiten sei, die zur Problemlösung und zur Überwindung von Schwierigkeiten erforderlich sind. Anfangs erfasste er die gesamte Bandbreite der menschlichen Potenziale in sieben eigenständigen Intelligenzen. Es handelt sich um Intelligenzen, die völlig unabhängig voneinander bestehen. Demnach kann ein Mensch, wie exemplarisch ein autistischer Mensch, in einem ganz speziellen Gebiet ein wahres Genie und in einem anderen wiederum eine absolute Niete sein. Kürzlich fügte Gardner den ursprünglich sieben, die übrigens auch die Grundlage für die sogenannte Emotionale Intelligenz bildeten, noch zwei weitere Intelligenzen hinzu:
1. Die sprachlich-linguistische Intelligenz
2. Die logisch-mathematische Intelligenz
3. Die musikalisch-rhythmische Intelligenz
4. Die bildlich-räumliche Intelligenz
5. Die körperlich-kinästhetische Intelligenz
6. Die interpersonale-soziale Intelligenz
7. Die intrapersonale-selbstbezogene Intelligenz
8. Die naturalistische Intelligenz
9. Die existenzielle Intelligenz
Während die ursprünglichen sieben Intelligenzen bereits durch ihre Bezeichnung mehr oder weniger deutlich erkennen lassen, welche speziellen Geistesfähigkeiten gemeint sind, sind Gardners neuere Intelligenzen, die naturalistische und die existenzielle, erläuterungsbedürftig.
Gardner selbst definiert die naturalistische Intelligenz folgendermaßen: „Der Kern der natürlichen Intelligenz ist die Fähigkeit des Menschen, Pflanzen, Tiere und andere Teile der natürlichen Umwelt, wie Wolken oder Felsen zu erkennen. Jeder von uns ist dazu in der Lage. Einige Kinder, wie etwa Experten für Dinosaurier, und viele Erwachsene, wie etwa Jäger, Botaniker und Anatomen, sind darin brillant. Während diese Fähigkeit zweifellos entwickelt wurde, um mit den natürlichen Arten von Elementen richtig umzugehen, glaube ich, dass sie gewissermaßen entführt worden ist, um auf die Welt der künstlich geschaffenen Objekte angewendet zu werden. Wir sind beispielsweise sehr gut in der Unterscheidung zwischen Autos, Turnschuhen und Schmuck, weil unsere Vorfahren in der Lage sein mussten, fleischfressende Tiere, Giftschlangen und genießbare Pilze voneinander unterscheiden zu können.“ Gardner meint mit der naturalistischen Intelligenz also nichts geringeres als einen stark ausgeprägten Bezug zur Natur. Dass der Bezug zur Natur für unsere Kinder unglaublich wichtig ist, darf keinesfalls unterschätzt werden in einer Zeit, in der die Anzahl der Zappelphilippe und Traumsusen, die unter Psychopharmaka stehen, stetig und scheinbar unaufhaltsam zunimmt. In unserer hochentwickelten und völlig durchtechnisierten Gesellschaft haben viele Menschen den Bezug zur Natur verloren. Viele Kinder haben den Bezug zur Natur nicht verloren, sondern sie haben ihn gar nicht erst herstellen können. Was diesen Kindern in einer Welt, in der sie mit Reizen nur so überflutet werden, erwiesenermaßen fehlt, ist der einfache Bezug zur Natur. Die entsprechende Losung sollte daher lauten: Weniger Reizüberflutung durch Fernehen, Spielkonsole und Smartphone und dafür umso mehr Ausflüge und erholsame Zeit in der unberührten Natur.
Fördern Sie die naturalistische Intelligenz Ihrer Kinder. Es lohnt sich. Die Umweltpädagogin Leslie Owen Wilson kennt eine Reihe von charakteristischen Wesenszügen, die naturalistisch intelligente Kinder beschreiben. Dass diese Kinder besonders gerne im Freien sind und Tätigkeiten wie etwa Gartenarbeit und Waldspaziergänge lieben, liegt auf der Hand. Der entscheidende Punkt ist jedoch der folgende: Bei ihren Aufenthalten in der freien Natur werden alle sensorischen Fähigkeiten der Kinder zur Sinneswahrnehmung besonders stark ausgeprägt. Ihre stark ausgeprägten Sinnesorgane setzten diese Kinder wiederum dazu ein, Naturphänomene zu erkennen und richtig einzuordnen. Ihre Stärken in der Sinneswahrnehmung ermöglichen den Kindern ebenfalls recht schnell Ähnlichkeiten, Unterschiede und Anomalien in ihrer Umwelt zu erkennen. Sie haben den besonderen Blick für jene Details, die anderen oft entgehen. Dank ihres Interesses an der Natur und auch dank ihrer Liebe zu der Natur kümmern sie sich zudem hingebungsvoll um Tiere und Pflanzen. Mühelos und mit Begeisterung lernen sie Namen, Kategorien und Informationen von Fauna und Flora. Für sie ist ein Baum nicht gleich Baum, sondern sie kennen den Unterschied zwischen Buche und Eiche, zwischen Hase und Kaninchen. Das, was die Natur alles leistet, kann kein Computerspiel und noch nicht einmal der geleitete Sport im Verein ersetzten. Denn gut geschulte und stark ausgeprägte Sinne sind, wie wir im Kapitel „Ernährung und sportliche Betätigung“ noch sehen werden, die beste Voraussetzung für das lebenslange Lernen.
Gardners neueste Errungenschaft ist die existentielle Intelligenz. Die existentielle oder mitunter auch spirituelle Intelligenz behandelt das Durchdenken und Verstehen grundlegender Fragen der menschlichen Existenz. Gardner ist davon überzeugt, dass genau diese spezielle Fähigkeit, über das Leben, das Sterben und das eigene Denken zu sinnieren, diejenige ist, die letzten Endes den Menschen vom Tier unterscheidet. Vertreter dieser noch nicht bestätigten neunten Intelligenz sind religiöse Oberhäupter wie der Papst oder der Dalai Lama und Philosophen wie Jean-Paul Sartre. Da es sich bei ihr um eine noch nicht bestätigte Intelligenz handelt, wird sie oftmals als halbe Intelligenz, als Intelligenz Nummer Achteinhalb bezeichnet.
Kapitel 2
Nehmen wir an dieser Stelle einfach mal an, dass wir intelligent sind, intelligent nach jeder der zuvor genannten Definitionen und zudem auch noch über entsprechend gute Zeugnisse verfügen. Reicht das aus, um im Leben bestehen zu können? Reicht es aus, einfach nur im klassischen Sinne intelligent zu sein? Nein, denn selbst die intelligentesten Menschen können die dümmsten Dinge tun. Intelligenz ist nunmal nicht gleichbedeutend mit der Rationalität. Die klassische Intelligenz ist kein Garant für ein vernünftiges Handeln.