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Elena MacKenzie

Highland Secrets 2





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Impressum

1. Auflage September 2013

Copyright 2013 by Elena MacKenzie

Kontakt: nicole.doehlinglweb.de

Coverfoto: ©  Fotolia.com

Coverdesign: Elena MacKenzie

 

Alle Rechte vorbehalten, einschließlich das

des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks

in jeder Form.

Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten zu realen Personen sind rein zufällig.

Elena MacKenzie: https://www.facebook.com/elena.mackenzie.754

 

Latos-Verlag

Sandra Latoscynski

Schloßstraße 25a

39240 Calbe/Saale

Telefon: 039291-492425

Email: info@latos-verlag.de

1

 

Hastig warf ich einen Blick auf das Display meines Handys; viertel nach vier. Noch knapp zwei Stunden, bis ich am Bahnhof sein musste, wenn ich meinen Bus nach Dunvegan nicht verpassen wollte.

»Bist du dir wirklich sicher, dass du das alles alleine schaffst?«, fragte ich meine Freundin und Geschäftspartnerin zweifelnd.

Summer warf ihr pechschwarzes Haar mit den zwei lila Strähnen über ihre Schulter zurück und sah mich genervt an. »Du tust gerade so, als würdest du mich zum ersten Mal alleine mit dem Laden lassen, Emma.«

Ich lächelte sie entschuldigend an und widmete mich wieder der Bestellung auf dem Computermonitor vor mir. »Und wie sieht es mit der Signierstunde von Jonathan Crown in zwei Tagen aus? Schaffst du das auch? Du weißt, er ist ziemlich exzentrisch und nicht gerade für seine Freundlichkeit bekannt.«

Wir hatten vor einer Weile schon mit Crown zu tun gehabt und der Mann war alles andere als umgänglich, aber seine Leserinnen liebten seine Romane. Ich für meinen Teil verstand diesen Hype um seine Sexromane kein bisschen und das, obwohl ich selbst ganz gerne einmal mit einem Liebesroman ein Wochenende im Bett verbachte. Vielleicht mochte ich seine Bücher auch nur nicht, weil ich den Autor kannte.

»Vergiss nicht, er will seinen Kaffee ...«

»... mit zwei Stückchen Zucker, ich weiß.«

»Und könntest du bitte keine Bücher bestellen, die auch nur entfernt mit SM zu tun haben? Du bist die Einzige, die dieses Zeug überhaupt liest.«

Summer grinste und schob sich von der Schreibtischplatte, dabei rutschte ihr schwarzer Minirock noch ein Stückchen weiter ihre Oberschenkel hinauf und entblößte noch mehr von ihrer zerrissenen Seidenstrumpfhose. Der Kunde, der jetzt schon eine Weile vor dem Regal mit den Science Fiction-Romanen stand, schielte lächelnd auf Summers lange, schlanke Beine und sah schnell weg, als er bemerkte, dass ich seine Musterung mitbekommen hatte.

»Wenn irgendetwas ist, rufe ich dich an. Versprochen.« Summer lächelte mich mit ihren schwarz geschminkten Lippen an und ich konnte nicht umhin, zu bewundern, wie sexy sie trotz ihres Faibles für all diesen Gothikkram aussah. Meine Geschäftspartnerin war noch nicht allzu lange meine Partnerin, dafür aber schon seit vier Jahren meine beste und einzige Freundin hier in Edinburgh.

Die letzten drei Jahre hatte ich diesen Laden zusammen mit meiner Tante Lucy geführt, die eigentlich meine Großtante gewesen und vor einem Jahr gestorben war. Sie hatte mir den kleinen Buchladen vermacht, eigene Kinder hatte sie nicht. Für mich war dieser Buchladen alles. Nicht nur, weil er meine einzige Geldquelle war, nachdem ich mein Studium zur Anwältin abgebrochen hatte. Er war auch ein Teil von Lucy, die für mich, nach meiner Mutter, die wichtigste Person in meinem Leben gewesen war. Besonders, weil sie trotz, dass ich mein Studium aufgegeben hatte, um mich von dem Druck zu befreien, immer an mich geglaubt hatte. Ganz anders als mein Vater, der von meiner Mutter getrennt mit seiner neuen Frau in Hallifax lebte und immer davon überzeugt war, dass ich es nie zu etwas bringen würde.

»Also, du rufst an, wenn du etwas nicht weißt. Und sollte mein alter Herr anrufen, sag ihm ... Dir fällt schon etwas Passendes ein.«

Ich warf mein Handy in meine Handtasche und sah traurig zu Summer auf, die den Blick senkte und sich abwandte, um ein paar Bücher im Regal zu sortieren. Ich wusste, dass sie Abschiede hasste. Auch wenn es nur ein paar Wochen waren. »Und gieß die Pflanzen in unserer Wohnung!«, fügte ich bedrückt an. Ich hasste Abschiede genauso.

»Ach, jetzt mach schon, dass du fortkommst!«, murmelte sie mit wässrigen Augen und schlang beide Arme um mich. »Und sag deiner Mutter, alles Liebe von mir! Und sie soll sich schnell wieder erholen, damit ich nicht so lange auf dich verzichten muss.« Summer schniefte an meiner Wange und schob mich von sich. Sie blinzelte ein paar Tränen aus ihren tiefgrünen Augen und ich musste gegen einen Kloß in meiner Kehle an schlucken.

Der Kunde von vorhin kam mit einem Buch an die Kasse und ich stahl mich schnell davon, während Summer den Mann abkassierte.

 

Auf der Fahrt von Edinburgh nach Dunvegan hatte ich genug Zeit, um über die letzten Wochen nachzudenken. Bei meiner Mutter hatte man Myome in der Gebärmutter entdeckt, die eine Hysterektomie – eine Entfernung des Uterus – zur Folge hatten. Natürlich hatte meine Mutter Hilfe strikt abgelehnt. Trotzdem war ich jetzt auf dem Weg nach Dunvegan, um sie zu unterstützen.

Es fühlte sich immer wieder komisch an, zurückzukehren. Seit ich vor vier Jahren nach Edinburgh gegangen war, war ich nur drei Mal hier gewesen. Außer zu meiner Mutter hatte ich zu niemandem mehr Kontakt, was nicht verwunderlich war, denn viele verließen Dunvegan nach dem Schulabschluss. Und die meisten, die mit mir gemeinsam auf der Schule waren, waren irgendwo auf der gesamten Insel verstreut. Aber dass ich mit keinem meiner Mitschüler noch Kontakt hatte, störte mich eigentlich nicht. Ich hatte ohnehin nur eine einzige richtige Freundin in der Schule gehabt: Kathrin. Nur bei ihr bedauerte ich, dass wir uns aus den Augen verloren hatten.

Genauso, wie ich meinen Vater aus den Augen verloren hatte. Nur mit dem Unterschied, dass es mich bei Kathrin ein klein wenig melancholisch stimmte, wenn ich an sie dachte und mich fragte, was sie jetzt wohl tat und wo sie lebte? Bei meinem Vater spürte ich nur Wut und Entsetzen darüber, dass er meine Mutter einfach so über Nacht verlassen hatte und mit einer Frau, die meine Schwester hätte sein können – wohlgemerkt meine zwei Jahre jüngere, gerade einmal zweiundzwanzig Jahre alte Schwester – nach Halifax abgehauen war. Dass er meiner Mutter das angetan hatte, hatte unsere Vater-Tochter-Beziehung so stark zerrüttet, dass wir nicht einmal mehr miteinander sprachen. Genau genommen sprach ich nicht mehr mit ihm, denn er rief mich regelmäßig an. Ich fragte mich, wann er es satt haben würde, dass ich jedes Mal fluchend das Telefon auflegte, wenn ich seine Stimme am anderen Ende vernahm. Er war die eine Person, die schuld daran war, dass ich kein Vertrauen zu Männern aufbauen konnte. Ian MacLeod war die andere.

Lächelnd öffnete meine Mutter mir die Tür, doch ihrer zerfurchten Stirn und den zuckenden Wangen konnte ich entnehmen, dass ihr das Stehen erhebliche Schmerzen bereitete. »Emma! Ich freue mich so sehr, dich endlich wiederzusehen«, meinte sie und ihre Augen leuchteten.

»Ich mich auch, Mom.« Ich nahm sie kurz in die Arme, wagte aber nicht, sie zu fest zu drücken. Und das nicht nur, weil ich nicht wusste, ob ich ihr damit Schmerzen zufügen würde, sondern auch, weil sie so schrecklich dünn aussah. Meine Mutter war schon immer schlank, von ihr hatte ich meinen zarten, elfenhaften Körperbau. Wir waren beide nur 1,65 groß, sehr feingliedrig und für meinen Geschmack viel zu dünn. Aber seit Vater gegangen war, hatte sie noch mehr an Gewicht verloren. Und sie jetzt so zu sehen und zu halten, machte mir Angst. Sie sah erschöpft und kränker aus, als ich gedacht hatte. Plötzlich war ich froh, dass ich mich nicht von ihr hatte überzeugen lassen, in Edinburgh zu bleiben.

Ich schob meine Mutter schnell wieder von mir und in die Wohnung hinein, in der ich einen Großteil meiner Kindheit verbracht hatte.

»Wir können uns drinnen noch genug begrüßen«, sagte ich ernst und konnte meine Besorgnis wohl nicht verbergen, denn das Leuchten stahl sich aus Mutters Augen. »Wir sorgen erst mal dafür, dass du wieder in dein Bett kommst. Du sollst dich doch schonen«, fügte ich hastig an.

Meine Mutter nahm meine Hand und zog mich in das Wohnzimmer, in dem sich nichts geändert hatte. Es war noch immer schlicht, mit gelb weiß gestreiften Tapeten an den Wänden, einer dunkelbraunen Kommode, auf der ein kleiner Fernseher stand, und einem geblümten Sofa. Sie setzte sich langsam und zog ein Plaid über ihre Beine.

»Es ist schön, dass du da bist«, wiederholte sie und zupfte an einer Strähne meiner langen Haare. »Du trägst es wieder in deiner Naturfarbe.« Sie lächelte zufrieden.

»Ja, mir ist blond irgendwie ausgegangen.« In Wirklichkeit hatte ich das Blond einfach rauswachsen lassen. Jetzt waren meine Haare wieder kupferfarben wie die meiner Mutter. Und wie es sich für Rothaarige gehörte, war unser beider Haut blass und sommersprossig. Meine Mutter hatte noch einige Sommersprossen mehr als ich, aber ich war sicher, dass ich bald aufholen würde.

Ich nahm das Haargummi, das ich immer um mein Handgelenk gebunden hatte, und band meine langen Locken zu einem Zopf zusammen. Dann sah ich meiner Mutter tief in die stahlgrauen Augen – meine waren dunkelgrün, etwas, das ich von meinem Vater geerbt hatte. »Und erzähl, wie fühlst du dich? Ich will alles genau wissen, auch wie hübsch dein Arzt war und wann ihr euch zum Kaffee treffen wollt«, sagte ich scherzend, ließ meine Reisetasche einfach neben dem Sofa stehen und schenkte uns beiden Tee ein, den meine Mutter in einer Kanne auf einem Stövchen warmgehalten hatte.

Wir machten uns einen schönen Abend, unterhielten uns über Tante Lucy, Mutters Operation und ihre Arbeitsstelle, die sie in den nächsten Wochen nicht aufsuchen konnte. Wir unterhielten uns nicht über Vater. Das Thema war für uns beide zu schmerzlich.

Es war schön, nahe neben ihr zu sitzen und einfach zu plaudern. Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr ich das vermisst hatte.

»Du putzt jetzt also auf Glenoak Hall?«, hakte ich erstaunt nach.

»Ja, hast du von der Sache mit den Serienmördern gehört?«, wollte sie wissen.

Ich runzelte die Stirn und schluckte. »Serienmörder?« Mrs Theresa Finnley sah mich aufgeregt aus funkelnden Augen an.

»Sag bloß, du hast nichts von unserem ureigenen Ripper in Dunvegan gehört?« Meine Mutter setzte sich etwas aufrechter hin, ich stopfte ihr ein weiteres Kissen in den Rücken und legte ihre Füße auf meinen Oberschenkeln ab.

»Nein«, sagte ich ehrlich erstaunt.

Meine Mutter lachte. »Das kommt davon, wenn man seine Nase nur in Bücher steckt und keine Zeit für das reale Leben aufbringt.«

Damit hatte sie Recht. In Summers und meiner Wohnung gab es keinen Fernseher und auch den Laptop, den wir besaßen, nutzten wir eher für Abrechnungen, Bestellungen und Mailkontakte, als um Nachrichten aus aller Welt zu lesen. Keine von uns beiden hatte auch nur im Entferntesten Interesse an Nachrichten, Politik oder Tratsch über Hollywoodsternchen und die neuesten Hits der Hitparaden.

»Dann musst du mich jetzt wohl aufklären«, meinte ich und nippte an meinem Earl Grey, während ich meine Mutter erwartungsvoll ansah und mich insgeheim freute, weil sie sich freute, dass sie mir den neuesten Tratsch aus Dunvegan erzählen konnte.

»Adam MacLeod, du kennst ihn doch noch?«

»Du meinst diesen Macho, der in Glenoak Hall lebt?« Und der mit der Schulschönheit verheiratet war?, fügte ich in Gedanken an. Die beiden waren ein paar Klassenstufen über mir und damals das Stadtgespräch schlechthin gewesen, weil sie gleich nach der Schule geheiratet und sie ihn betrogen hatte. Alle hatten Mitleid mit Adam, aber der hatte sich recht schnell mit anderen Frauen getröstet. So war das auch noch gewesen, als ich von hier fortging.

»Genau. Er hat wieder geheiratet und lebt jetzt in Edinburgh.«

Erstaunt sah ich meine Mutter an. Mein Herz machte einen kleinen Sprung, bei dem Gedanken, dass der Cousin von Ian MacLeod ganz in meiner Nähe wohnte. Natürlich war Edinburgh nicht gerade klein, aber man konnte ja nie wissen.

»Jedenfalls, bevor es dazu kam, dass er mit seiner neuen Frau wegging, gab es hier einige grauenvolle Morde an jungen Touristinnen.« Meine Mutter sah mich geheimnisvoll an und nickte bedeutungsschwanger. »Alles Frauen, die mit Adam geschlafen haben. Und seine neue Frau wäre auch fast eins der Opfer geworden. Erst haben alle gedacht, Adam wäre der Mörder. Aber ich hab das nie geglaubt. Er war vielleicht ein Macho, aber ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er im Grunde nur ein verletzter Mann war.«

»Und diese Frauen sind ermordet worden?«, hakte ich nach und war wirklich überrascht. Dunvegan war eine unschuldige kleine Stadt. Hier passierte so etwas nicht.

»Nicht nur das, ausgeweidet und gefoltert. Und im Internet zur Schau gestellt.«

»Die Leichen?« Ich erschauderte.

»Nein. Im ganzen Haus hatten die Mörder Überwachungskameras und haben dann Videos ins Internet gestellt, in denen man Adam beim Sex mit den Opfern gesehen hat.« Meine Mutter nickte und sah mich mit großen Augen an. Fast bekam ich das Gefühl, dass sie begeistert war, mir die grausamen Details dessen erzählen zu können, was hier geschehen war. Ich konnte es ihr nicht mal verübeln, denn viel passierte hier wirklich nicht. Und so grauenvoll diese Morde vielleicht auch waren, für eine Stadt wie Dunvegan waren sie mit Sicherheit ein Gesprächsthema, das noch lange vorhalten würde.

Ich keuchte erschrocken auf. Das musste schrecklich für diese Frauen und auch Adam gewesen sein. So entblößt zu werden, unvorstellbar. Aber ermordet zu werden war sicher noch grauenvoller für sie, als sich nackt beim Sex im Internet wiederzufinden, berichtigte ich meine Gedankengänge schnell. Und ein wenig enttäuschend für mich, denn ich hatte leider keins dieser Videos zu Gesicht bekommen. Den Cousin von Ian nackt zu sehen, wäre fast so gewesen, wie Ian selbst nackt zu sehen. Ich schüttelte innerlich den Kopf darüber, wo meine Gedanken mich hinführten. Ich hatte angenommen, dass meine Schwärmerei für Ian vorbei wäre. Aber wieder in Dunvegan zu sein, holte wohl auch meine Schulschwärmerei in meinen Kopf zurück und das, obwohl ich ihn eigentlich hassen sollte, nach dem, was er mir angetan hatte. Und überhaupt, wie konnte ich mich darüber ärgern, Adams Hintern nicht im Internet gesehen zu haben, wenn es dabei doch darum ging, dass diese Frauen getötet wurden?!

Ian war eine Klassenstufe über mir gewesen und, nachdem sein Cousin die Schule verlassen hatte, offiziell der heißeste Typ. Natürlich hatte er nicht einmal gewusst, dass ich existierte. Anfangs. Doch dann fing er aus heiterem Himmel an, mit mir zu flirten, mir brennende Blicke zuzuwerfen oder mich mit funkelnden Augen zu mustern, wo auch immer ich ihm begegnete. Ganz plötzlich schien ich sein Interesse geweckt zu haben und das, obwohl er eine feste Freundin hatte. Einmal steckte er mir sogar ein Briefchen zu, in dem er schrieb: »Wenn ich dein feuriges Haar sehe, und deine grünen Augen auf mir ruhen, schlägt mein Herz schneller, als bei jedem anderen Mädchen.«

Von diesem Tag an brannte jedes Mal, wenn wir uns begegneten, mein Gesicht und mein Puls schlug mir bis zum Hals. Über Wochen hinweg warf er mir heimliche Blicke zu und ich genoss sein Interesse voller Inbrunst und fragte mich nie, warum er mich nicht um ein Date bat oder Michelle den Laufpass gab. Es genügte mir, zu wissen, dass er mich endlich zur Kenntnis genommen hatte. Ich fieberte jeder Schulpause entgegen in der Hoffnung, ihm auf den Gängen zu begegnen. Manchmal lief ich die Gänge sogar nur entlang, um ihm ganz zufällig über den Weg zu laufen. Ich lechzte nach jedem Lächeln, das er mir schenkte.

Und dann kam dieser Tag in der Schulcafeteria, an dem er vor mir stehen geblieben war, mich angesehen hatte mit diesem Blick, der mir das Gefühl gab, vollkommen unter Strom zu stehen. So als wäre ich die einzige Frau auf der Welt und es gäbe nur ihn und mich. Diese Sekunden, in denen er vor mir stand, ließen mein Herz hoffnungsvoll in meiner Brust hämmern. Endlich würde er mich fragen, ob ich mit ihm ausgehen wollte. Oder er würde wenigstens ein paar Worte mit mir wechseln. Das Flirten aus der Ferne, die Heimlichkeiten würden endlich vorbei sein. Innerlich zitterte ich, so nervös war ich.

Auch seine Freunde, ich nannte sie immer seine Anhängsel - Kerle die ihn, den großen Sporthelden und coolen Gitarrenspieler, vergötterten -, waren stehengeblieben und sahen mich und ihn fragend an. Dieser Moment hatte etwas Magisches, sein Blick tief versunken in meinem. Ich werde nie vergessen, wie hektisch meine Atmung ging, wie mein Gesicht heiß wurde und ich nicht wusste, was ich mit meinen Händen tun sollte oder was ich sagen sollte. Und dann flackerte sein Blick, der Moment war weg, er sah seine Freunde an und Michelle, die hinter mir aufgetaucht war. Dann verzog sich sein Mund zu einem breiten Grinsen.

»Du meinst sie? Schätzchen, hast du sie dir mal angesehen? Selbst wenn sie auf mich steht, die kommt doch nie an dich ran.«

Ich werde die abgrundtiefe Scham, den pulsierenden Schmerz in meiner Brust und die brennenden Tränen in meinen Augen nie vergessen. Und das Gelächter der anderen. Ich war einfach losgerannt. Raus aus dem Schulgebäude in den Wald gegenüber, wo ich mich unter einen Baum setzte und den Rest des Schultages heulte. An jedem anderen Tag danach hatten seine Freunde gelacht und getuschelt, wenn sie mich sahen, und er hatte immer diesen Blick; die Lippen aufeinander gepresst, die Augen leicht zusammengekniffen. So sah er mich immer an, während ich an ihm und seinen Freunden vorbeirannte, um so schnell wie möglich von ihnen weg zu kommen. Später an diesem Tag kam Michelle zu mir. Ihre schokoladenbraunen Haare glänzten im Sonnenlicht und sie sah mich spöttisch an. Ihre beiden Freundinnen standen neben ihr, und sie grinste breit.

»Hast du wirklich geglaubt, Ian würde auf dich stehen? Das war alles nur ein riesen Spaß. Du warst sein Spielzeug. Er würde mich nie verlassen. Schon gar nicht für so ein graues Mäuschen wie dich.«

Er hatte mit mir gespielt, das zu wissen war fast noch schmerzhafter als die Schmach in der Cafeteria.

Dieses Erlebnis mit Ian MacLeod war Nummer 2 auf meiner Liste für Gründe, Männern gegenüber immer misstrauisch zu sein. Lange Zeit hatte ich immer, wenn ein Mann Interesse an mir gezeigt hatte, darauf gewartet, dass er so einen Spruch wie Ian bringen würde. Es hatte einige Jahre gebraucht, um genug Selbstbewusstsein aufbauen zu können, um Männern ohne Misstrauen zu begegnen. Auch das hatte ich Tante Lucy zu verdanken, die mir immer wieder vor Augen geführt hatte, dass ich eine attraktive Frau war, die sich vor keinem Mann der Welt verstecken musste.

Heute, mit dreiundzwanzig Jahren, ging ich mit mehr Selbstsicherheit denn je durch mein Leben. Immerhin gehörte mir ein erfolgreicher kleiner Buchladen in dem unter anderem auch ein von mir verfasstes Buch im Regal stand.

Ja, ich hatte einiges geschafft. Kein Grund sich weiter abzukapseln. Ob von dieser Selbstsicherheit noch genug übrig bliebe, wenn ich eines Tages noch einmal vor Ian stehen würde, das bezweifelte ich. Aber zum Glück war die Chance, ihn je wiederzusehen, so gering wie die Chance, dass ich jemals Nessie zu Gesicht bekommen würde. Dennoch kribbelte es in meinem Magen bei der Vorstellung. Und es war kein ängstliches Kribbeln. Trotz allem, was er mir angetan hatte, hatte ich meine Gefühle für ihn nie überwunden. Es hatte sich immer so angefühlt, als wäre da etwas zwischen uns unerledigt. Ich hatte mich immer gefragt, was gewesen wäre, wenn ich doch nicht nur sein kleines Spaßprojekt gewesen wäre. Und allem Anschein nach schaffte er es auch heute noch, meinen Puls zu beschleunigen. Und das allein beim bloßen Gedanken, er könnte ganz unerwartet vor mir stehen.

»Und dein Job? Wie sieht es damit aus?«, wechselte ich das Thema.

»Ich denke, die MacLeods müssen sich wohl eine andere Haushälterin suchen. Hoffentlich keine Mörderin wie meine Vorgängerin«, meinte meine Mutter und lächelte traurig. Arbeit gab es in Dunvegan leider nicht an jeder Straßenecke. Daher wäre es wirklich schade, wenn meine Mutter ihre Stelle verlieren würde, nur weil sie ein paar Wochen ausfiel.

»Denkst du nicht, sie kommen kurz ohne dich zurecht? Und stopp! Die Haushälterin? Du meinst die alte Molly?« Ich kannte Molly. Eine nette, mütterlich wirkende ältere Dame.

Meine Mutter nickte. »Das hat uns alle überrascht. Sie war eine von uns.«

Ich war schockiert. Dieser Frau war ich so oft begegnet: am Sonntag in der Kirche, auf dem Markt, beim Hafenfest. Und auch in der Schule hatte sie oft ehrenamtliche Aufgaben übernommen. Molly konnte unmöglich eine Mörderin gewesen sein.

»Ist das ganz sicher?«

»Ja, man hat sie sozusagen in flagranti erwischt. Ihr Mann, der alte Alfred, hat sich die Sexvideos reingezogen und sie hat die Frauen danach getötet. Vielleicht war sie eifersüchtig? Ich weiß nicht. Wer weiß schon, was Mördern im Kopf herumgeht.« Meine Mutter winkte ab und wechselte das Thema. »Unmöglich können die MacLeods über mehrere Wochen auf eine Haushälterin verzichten. Du hast ja keine Ahnung. In dem Haus wohnt jetzt eine Rockband!« Meine Mutter stöhnte gespielt entrüstet.