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Alle Rechte vorbehalten
© 2013 edition a, Wien
www.edition-a.at

Lektorat: Anatol Vitouch

Cover und Gestaltung: Hidsch
Druck: Theiss (www.theiss.at)

eBook-ISBN 978-3-990010-71-6

eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Erster Teil

1

Auf dem dunklen Holztisch vor mir dampfte bereits der dritte Kaffee in Folge. Alle Geräusche in dem Prager Studentenkaffeehaus kamen mir viel zu laut vor. Als hätten die Ausflugsschiffe die Moldau verlassen, um mit ihren riesigen Dieselmotoren in meinen Ohren zu rattern.

»Wir wollten doch zu dir gehen«, sagte ein Mädchen am Nebentisch zu einem jungen Mann.

Sie flüsterte, aber für mich klang es wie liebevolles Gebrüll.

»Ich habe dich doch angerufen, aber dein Telefon war ausgeschaltet«, hörte ich den jungen Mann antworten.

»Ein Bier, bitte«, sagte jemand, und es hörte sich für mich wie »Ich liebe dich« an.

Ich konnte nicht aufhören, einmal das linke über das rechte, dann wieder das rechte über das linke Bein zu schlagen. Meine Kniekehlen brannten, als wäre ich in Hotpants durch ein Brennnesselfeld gelaufen. Immer wieder wurde mir schwarz vor Augen. Die Menschen um mich kamen mir wie unruhige Schatten vor, laut und verschwommen. Ich hatte Durst, mein Mund war trocken, meine Kehle brannte, aber ich trank dennoch nur Kaffee, um mich mit seinem Koffein zu beleben, weil ich Angst vor einer Ohnmacht hatte.

An der Wand über mir hing ein Bild, das eine brünette Frau in grüner Bluse zeigte. Zwischen ihren grellroten Lippen leuchteten die weißen Zähne wie poliertes Porzellan. Ihre schlanken Finger hatten schon gut ein Drittel der Blusenknöpfe geöffnet.

Mir wurde heiß. Ein Schweißausbruch klebte mir das Hemd an die Haut. Ich zog mir den Rollkragenpullover aus und fuhr mir mit den kalten Handflächen über die Schlüsselbeine. In der Öffentlichkeit traute ich mich nicht, mit den Fingern bis zu den Brüsten zu wandern. Meine Brustwarzen waren hart und drückten gegen den Stoff meines Hemds, der mir jetzt viel rauer vorkam als zuvor. Der Kellner musste meinen Zustand erkannt haben und brachte mir unaufgefordert ein Glas Wasser. Seine Hände sahen ungemein weich aus, wie die eines Prinzen. Seine Arme waren muskulös und hoben sich mit ihren kantig geschnittenen Muskeln schön vom dunklen Hintergrund ab. Sein Nacken leuchtete hell unter dem schwarzen Haar, das denselben Glanz hatte wie das gepflegte Haar von Miloš. Auf Miloš wartete ich hier seit Stunden, weil ich vor Ungeduld viel zu früh zum vereinbarten Treffpunkt gekommen war. Ich war einfach zu verliebt.

Miloš war Assistent am Prager Institut für Tschechische Literatur, an dem ich mein Auslandsstudienjahr verbrachte. Während der vormittäglichen Vorlesung über die Romantik hatte er der Professorin kopierte Skripten vorbeigebracht. Ich hätte am liebsten sofort mit ihm gesprochen. Er hatte mir zugelächelt. Nach der Vorlesung hatte er gerade nur so viel Zeit, um mit mir unser Treffen zu vereinbaren, dann musste er zu seiner eigenen Lehrveranstaltung.

Ich war mit meiner Sehnsucht für drei Stunden alleingelassen. Also wollte ich zuerst an der Moldau spazieren gehen und die schneeweißen Möwen beobachten, die schreiend von Eisscholle zu Eisscholle flogen, aber mir war zu kalt. Ich fühlte mich zu einsam und musste mich unter Menschen aufwärmen. In einem überfüllten Café würde auch niemandem die Unruhe auffallen, in der mein Herz das Geheimnis meiner Liebe in die Welt hinausschrie, dachte ich. Das kleine Studentencafé hatte ich schon in den ersten Tagen meines Aufenthalts in Prag kennengelernt. Es befand sich gleich um die Ecke von meiner Fakultät, es war meist überfüllt, das Bier war leicht und schmeckte kräftig, und die Kellner sparten nicht mit Leitungswasser. Mir war sofort klar gewesen, dass dieses Kaffeehaus mein Basislager werden würde.

2

Milošs Augen waren schwarz wie ein Waldsee, in dessen Mitte eine Nymphe auf einer Insel unter einem blühenden Obstbaum ihr langes, feurig rotes Haar kämmt. Seine Brauen waren dunkel und dicht. Sein Gesichtsausdruck war hart und zärtlich zugleich. Wenn er lachte, bildeten sich unter seinem Bart kaum erkennbare Grübchen auf den Wangen. Sein Nacken war stark und breit, seine Schultern wie die Krone einer alten, rauschenden Linde, deren Grün aus der Ferne über weite, wogende Felder flackert. Immer trug er alte, dunkle Anzüge, denen erst sein Auftreten und seine Figur eine besondere Eleganz verliehen.

Die Tür des Cafés öffnete sich. Miloš trat mit Zigarette im Mundwinkel ein. Er lachte, als er mich sah, und bestellte zwei Bier. Dann ergriff er meine verschwitzte Hand und gab mir einen Kuss auf die heiße Wange. »Ahoj, liebe Marie«, grüßte er, »du trinkst Kaffee, obwohl es schon Nachmittag ist? Der Kaffee ist zwar dunkel wie der Abend. Aber man muss sich die Abende mit dem Gold des hellen Biers zu sonnenerleuchteten Tagen machen.«

Sein Lachen beruhigte mich und steckte mich gleichzeitig an. Ich erstrahlte, sobald ich ihn sah, und konnte nicht anders, als seinen Gedanken über Tag und Nacht weiterzuspinnen. »Die Nacht lässt mich träumen. Am liebsten träume ich ewig und bei vollem Bewusstsein«, sagte ich. »Deshalb der Kaffee.«

»Mit Bier träumt man schöner. Und entspannter.«

Wir stießen an. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie heftig mein Durst geworden war. Ich setzte den Krug an, ein Schluck folgte dem anderen, und mein Bier war in einem langen Zug zur Hälfte geleert.

»Hast du dich schon von unserem Eishockeyspiel erholt?«, fragte Miloš.

Ich nickte, obwohl sich bei seiner Frage in meinem rechten Knie ein Stechen ausbreitete. Ondra, Feri und Milošs übrige Freunde, deren Namen ich mir nicht gemerkt hatte, waren raue Gesellen und hatten gar nicht daran gedacht, zurückzustecken, nur weil ein Mädchen mit ihnen spielte. Aber ich hatte jetzt ein wichtigeres Anliegen und wollte nicht darauf zu sprechen kommen, dass ich mir zum Studieren ausgerechnet ein Land ausgesucht hatte, in dem selbst die intellektuellen Männer jeden Winter auf zugefrorenen Teichen ohne Schutz Eishockey spielen, und dann noch unschuldige österreichische Studentinnen wie mich zum Mitmachen zwingen.

»Wie war die Vorlesung bei der Königin?«, fragte Miloš weiter und grinste. »War es so interessant, dass es dir die Sprache verschlägt?«

Ich hatte tatsächlich etwas wie einen verknoteten Frosch im Hals und beobachtete lieber wortlos Milošs Hände, die langsam die Zigarette im schmutzigen Aschenbecher ausdämpften. Erst nach einer Weile stotterte es aus mir heraus. »Ich … konnte mich nicht … gut konzentrieren«, sagte ich.

»Wie sollen sich junge Frauen auch konzentrieren, wenn sie Ewigkeiten lang stillsitzen müssen, anstatt draußen ihren Instinkten und Trieben nachzugehen?«

»Ich wollte ja nachher einen Spaziergang machen«, sagte ich, »aber du hattest keine Zeit, und überhaupt war es nicht möglich. Die Instinkte und Triebe waren zu stark.«

Er nickte. »Wassermann?«, fragte er dann.

»Ja, sie hat mit uns die Ballade über den Wassermann durchgenommen.«

»Was hast du dir gemerkt?«, fragte er wie ein echter Professor, obwohl er nur Assistent war.

»Karel Jaromír Erben hat das geschrieben.«

»Das ist schon ein guter Anfang«, sagte er und zündete sich eine weitere Zigarette an.

Ich war froh, dass ich statt über meine Gefühle über Literatur sprechen konnte, und mein Stottern ließ nach. »Der Wassermann ist so etwas wie eine dunkle Macht und ein böser Ehemann gleichzeitig«, sagte ich. »Die junge Frau wird von ihm gefangen, bekommt ein Kind von ihm. Aber sie hat Sehnsucht nach ihrer alten Mutter. Der Wassermann erlaubt ihr, sie zu besuchen, nur lässt die Mutter sie nicht wieder gehen. Der Wassermann tötet das Kind.«

»Was bedeutet das?«

»Das Kind … ist tot?«

Er schüttelte den Kopf. »Die Mutter hat ihre Tochter ins Unglück gestürzt, weil sie sie nur für sich haben wollte«, erklärte er. »Hätte sie die Tochter wieder zurück in den See zu ihrem Ehemann gehen lassen, wäre dem Kind nichts zugestoßen. So ist jetzt auch die Bindung zwischen Mutter und Tochter zerstört.«

»Ich kann mich zumindest noch erinnern, dass am Ende das Kind in zwei Hälften geschnitten ist.«

»Wenigstens etwas. Das ist auch ein Bild für die Zerrissenheit der Tochter, zwischen der Liebe zu ihrem Kind und der zu ihrer Mutter. Natürlich sieht man daran auch, wie gefährlich der Mutter die Trennung von ihrer Tochter erscheint. Die Tochter ist weg bei irgendeinem Ehemann, noch dazu bei einem Wassermann unten am Grund des Sees, und niemand kann ahnen, wie es ihr dort geht.«

»Ich habe schon gesagt, dass ich mich nicht gut konzentrieren konnte.«

»Schade«, sagte er, »über diese Ballade spricht die Königin am liebsten.«

Die Professorin hieß in Wirklichkeit Libuše Herzová. Aufgrund des Respekts, den sie allen einflößte, und aufgrund ihrer Vornamensgleichheit mit einer mythischen, matriarchalischen Herrscherin nannten sie am Institut einige Leute »Fürstin«, andere »Königin«. Ich hatte sie wegen ihrer weißen Haut und ihrer kühlen Schönheit auf »Schneekönigin« umgetauft.

Miloš wollte offenbar mehr über Jaromír Erbens Balladen erzählen, aber ich konnte mich nicht mehr halten. Ich musste endlich aussprechen, was in mir seit Semesteranfang wütete und was mir alles andere nebensächlich erscheinen ließ. Zu diesem Zweck hatte ich ja das Treffen mit Miloš vereinbart. »Ich bin verliebt«, sagte ich.

Miloš schluckte. »Sehr gut«, antwortete er unbestimmt.

»Ich konnte es nicht erwarten, es dir zu sagen. Wem könnte ich es auch sonst sagen, wenn nicht dir? Ich bin schon ganz wahnsinnig vor Sehnsucht. Mein Körper macht, was er will, ich kann mich selbst nicht mehr beherrschen, so stark ist es. Meine Liebe ist so stark! Das kannte ich noch nicht, bisher.«

Miloš war erstarrt und sah ein bisschen aus wie der David von Michelangelo. Er kratzte sich elegant aber kompliziert an der Schulter. Es stand ihm gut. So verdutzt hatte ich ihn noch nie erlebt.

»Ich liebe die Schneekönigin«, sagte ich.

3

Nachdem Miloš mein Liebesgeständnis vernommen hatte, sagte er zunächst nichts und starrte mich an. Dann lachte er laut auf, nahm einen großen Schluck Bier und schüttete dabei sein Sakko an. »Ich dachte schon, deine Liebe gilt mir. Ich brauche einen Schnaps«, sagte er und wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab.

»Was soll ich tun?«, fragte ich, weil ich mir von ihm ernsthaften Rat erhoffte.

»Langsam, langsam«, bremste mich Miloš, »zuerst musst du mir etwas erklären. Du bist also lesbisch?«

»Ich denke schon. Ein wenig. Offensichtlich.«

»Ein wenig oder wirklich?«

»Ein wenig wirklich. Scheint so. Würde ich sagen.«

Miloš brummte etwas vor sich hin, hielt die Augen gesenkt und spielte mit den Gläsern auf dem Tisch. Er sah enttäuscht aus. Immer noch mit gesenktem Blick fragte er nach: »Du meinst, du bist so wirklich, wirklich stark in die Königin verliebt?«

»Unbeschreiblich wirklich!«, rief ich. »Schon seit Semesterbeginn.«

Endlich hob er seinen Blick, das Weiß seiner Augen glänzte, das Schwarz war durchdringend dunkel. »Naja«, seufzte er, »dann weiß ich zumindest, was Sache ist.«

Ich war sprachlos. Wollte denn er das Objekt meiner Begierde sein? Ich wusste nicht, ob ich ihn jetzt trösten sollte. Es war mir peinlich, deswegen schwieg ich lieber und wartete ab.

Nachdem Miloš, der Assistent meiner Angebeteten, sich für kurze Zeit entschuldigt hatte und bald mit zwei weiteren Bier und zwei Zwetschgenschnäpsen zurückgekommen war, fasste er sich. »Trinken wir! Du, Marie, erkläre mir genau, wie es zu deiner Liebe gekommen ist.«

Wir blieben bis nach Mitternacht im Kaffeehaus sitzen, und ich berichtete ihm im Detail, wie ich die Schneekönigin zum ersten Mal bei meiner ersten Vorlesung im großen Hörsaal zu Gesicht bekommen hatte, wie ich mich vor ihr zuerst gefürchtet hatte, als sie in ihrem grauen Kostüm hinter ihrem Pult stehengeblieben war, den Bücherstapel auf die Platte gelegt und alle Studenten mit ihren eisblauen Augen gemustert hatte.

Es war damals vollkommen still im Hörsaal gewesen. Ich bildete mir höchstens ein, das ängstliche Schlucken mancher meiner Kollegen zu vernehmen. Von der Schneekönigin ging etwas wie eine tödliche Strahlung aus, die allen Anwesenden Freude und Wärme zu entziehen drohte. Mich fröstelte, und ich musste meine Hände aneinander reiben, um sie aufzuwärmen. Zum Glück saß ich ganz oben im Hörsaal, in der letzten Reihe, wo noch etwas warme Luft war. Denn unten, um das Lesepult, war das Raumklima von einem arktischen Seewind geprägt. Eine glasklare, eisige Aura umgab die Professorin, als wäre sie das Zentrum eines Bergkristalls. So zumindest kam es mir vor.

Als die Schneekönigin die Skripten zur Hand nahm, um sie einer Studentin in der ersten Reihe zum Verteilen zu reichen, fiel mir auf, wie elegant sie in jeder ihrer Bewegungen war. Ihre Schritte waren leicht, sie hielt den Kopf aufrecht, als entstammte sie dem höchsten Adelsgeschlecht, die Schultern trug sie wie eine Tänzerin oder Eiskunstläuferin. Ihre Handgelenke bewegte sie geschmeidig und locker, und ich musste unwillkürlich an den Flügelschlag von Raben denken. Das schwarze Gefieder der Raben glänzt bläulich, dachte ich, bläulich wie ein glatter, gefrorener See. Wie schimmerndes Eis, so hell, so geheimnisvoll schienen mir ihre zarten, weißen Handgelenke zu sein.

Unerwartet stieg in mir eine quälende Eifersucht gegen die Studentin in der ersten Reihe auf, die den Papierstoß entgegengenommen hatte. Während der Vorlesung war ich wie versteinert und hörte einzig der Sprachmelodie der Professorin zu. Ich war wie ein Grabstein, auf den sich eine Nachtigall gesetzt hat und der gerne in ihren Gesang einstimmen würde, der aber keine Lunge hat, um dafür Luft zu holen.

In der nächsten Woche kam ich fast eine Stunde vor Vorlesungsbeginn, um mir einen Platz ganz vorne, dem Lesepult genau gegenüber zu sichern. Es passierte etwas Wunderbares. Im Vortrag über poetische Vergleiche brach die Stimme der Professorin mitten im Wort ab. Ihr Blick hatte den meinen gefunden. Einen ewigen Moment lang hatten wir Augenkontakt. Völlige Stille. Die ganze Welt hielt inne, es herrschte absoluter Stillstand. Ihre blauen Augen leuchteten mich an, wie zum Stehen gekommene Gletscher. Da löste sich etwas in ihr, als würden die tieferen Schichten schmelzen und als würden sich die Eismassen mit einem gewaltigen Dröhnen ein kleines Stück talwärts bewegen. Die Schneekönigin lächelte.

4

Nach Sperrstunde spazierten Miloš und ich noch eine Weile flussaufwärts an der Moldau entlang. Es schneite. Die großen Flocken glänzten golden in der gelben Prager Straßenbeleuchtung. Wir setzten unsere Füße in die tiefe Neuschneedecke und fühlten uns wie die ersten Menschen. Für mich galt das besonders, weil ich nach Wochen endlich von meinem Geheimnis befreit war, das schwer auf mir gelastet hatte. Eine Nachtstraßenbahn fuhr lautlos an uns vorbei, als wären die Schienen aus Watte.

Bei der Galerie Mánes, deren Wasserkraftwerk leise rauschte, verließen wir die Straße und gingen hinunter zum Fluß auf die Náplavka, die ehemalige Holzschwemme. Unter der Jiráskův-most-Brücke blieben wir stehen und hörten längere Zeit den Eisschollen zu, die an den Brückenpfeilern brachen. Zwei Schwäne glitten silbern über den schwarzen Strom der Moldau. Wir schauten hinaus auf den Fluss und schwiegen.

Etwas später bestellte Miloš mir ein Taxi. Er selbst wohnte im schönen Viertel Vinohrady, das sich auf einem Bergkamm befindet, an dessen Hängen früher die königlichen Weinberge lagen. Mein Studentenwohnheim hingegen lag in Jižní město, der Südstadt, wo sich weithin sichtbare Plattenbauten mit gut versteckten Villenansammlungen abwechselten. Ich hatte mich zu spät um eine Unterkunft gekümmert und nur noch einen Platz im riesigen Plattenbau der Studenten der Hochschule für Chemie und Technologie ergattert. Ich wohnte nun also wirklich nicht gerade am hübschesten Ende von Prag. Miloš drückte mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn, bevor er die Tür des Taxis hinter mir schloss. »Bis dann, Marie.«

Das Taxi schlich über die vom frischen Schnee bedeckte Autobahn, die auf einer langen, ewig hohen Brücke über das Stadtviertel Nusle führte. Zu meiner Rechten erahnte ich die zweite, ältere Burg von Prag, den Vyšehrad, der in der Barockzeit zu einer gewaltigen Festungsanlage umgebaut worden war. Vyšehrad war der Sitz der mythischen Fürstin Libuše gewesen, zu Deutsch: Libussa. Sie war eine große Seherin gewesen, die unter anderem von den Zinnen ihrer Burg aus die Gründung von Prag prophezeit haben soll. Libuše hieß auch meine Professorin. Ich wurde trübsinnig. Der Taxifahrer bot mir eine Zigarette an. Ich machte es mir im Sitz bequem, kurbelte das Fenster herunter und ließ mir den kalten Wind über die Stirn streichen.

Ich dachte darüber nach, wie es wohl wäre, mit einer Frau zu schlafen. Ich kannte diese Erfahrung noch nicht, obwohl ich Miloš gegenüber behauptet hatte, lesbisch zu sein. Zwar konnte ich mir schon vorstellen, dass sich Lesben gegenseitig lecken und streicheln, aber was man als Frau mit einer Frau sonst noch tun kann, wusste ich nicht so genau. Irgendwie wollte ich es mir gar nicht ausmalen.

In Wien hatte ich ein eher braves Leben geführt. Meine Eltern hatten mir die Wohnung gezahlt, ich hatte sie ab und zu zum Mittagessen getroffen. Der einzige Akt der Revolte meinerseits bestand darin, dass ich Tschechisch zu studieren begann anstatt Rechtswissenschaften oder Medizin, wie es sich mein Vater gewünscht hätte. Er hielt Tschechisch für sinnlos, ebenso wie ich es am Anfang meines Erwachsenwerdens für unwichtig hielt, viel auszugehen und die Geheimnisse der Liebe zu erforschen. Natürlich war ich hin und wieder mit Freundinnen abends unterwegs gewesen und hatte bei diesen und anderen Gelegenheiten Männer kennengelernt und Sex gehabt. Einen festen Freund hatte ich aber nie gehabt. Mir hatte bei Männern immer etwas gefehlt. Ich hatte mir darüber nie ernsthafte Gedanken gemacht, sondern war davon ausgegangen, dass der Richtige schon früher oder später kommen würde.

Während der Taxifahrt stellte ich mir immerfort vor, mit der Schneekönigin Libuše Herzová zu verschmelzen. Ihre größeren Brüste an meinen kleinen. Ihr glattes blondes Haar, das sich mit meinen braunen Locken vermischte. Meine Hand in der ihren. Die Beine verflochten wie Scheren in den festen Zöpfen duftender Mädchen.

Um zwei Uhr morgens stieg ich aus dem Taxi. Die Bäume vor dem Wohnheim Sázava starrten unter der funkelnden Schneelast. Der scheppernde Aufzug brachte mich ins siebente Stockwerk. Auf Zehenspitzen schlich ich ins Zimmer, um meine Mitbewohnerin Daphne nicht aufzuwecken.

Nach einer schlaflosen Weile bemerkte ich, dass auch Daphne noch wach war. Ich konnte in der nächtlichen Stille keinen schweren Atem ausmachen, wie er für Schlafende typisch war. Nur der Radiator gab Geräusche von sich, als würde trockenes Reisig brechen.

Hielt Daphne so wie ich ihren Atem an und gab sie so wie ich den Schlaf nur vor?

Ich war ungeduldig und wollte mir ihres Schlafs unbedingt sicher sein. Langsam und möglichst geräuschlos fuhr ich mir unters Hemd. Ich konnte es nicht erwarten, an mir herumzuspielen. Die Wärme meiner bebenden Handfläche auf meinem rasenden Herzen machte meine Unrast nicht besser. Ich presste meine Augenlider zusammen, ich zwickte meine linke Brustwarze zwischen Ring- und Mittelfinger ein und atmete vorsichtig durch die Nase, um ja keine unkontrollierten Laute auszustoßen. Die andere Hand lag wie ein Brett an meiner Seite. Ich hatte ihr streng verboten, sich meiner Scham zu nähern, solange ich mir nicht sicher war, dass Daphne schlief.

Vielleicht dachte meine Mitbewohnerin dasselbe wie ich? Wartete auch sie auf meinen Schlaf, um es sich in Ruhe selbst zu machen? Hatte ich sie mit meiner Ankunft vielleicht sogar dabei unterbrochen?

5

Die Nacht verging, und die Bilder von den Brüsten der Schneekönigin mischten sich in meinem Kopf mit meiner Erinnerung an die Minuten, die ich mit Daphne einmal gemeinsam in der Dusche verbracht hatte. Erbauliche Minuten zu zweit in einem engen, dampferfüllten Quadrat, das wir uns mit den Mädchen aus dem Nachbarzimmer teilten. Der durchdringend eisblaue Blick der Schneekönigin blitzte wie ein Diabild auf meinen geschlossenen Lidern, die nassen roten Haare Daphnes folgten, die Gesichter der zwei Frauen vermischten sich in meinen Vorstellungen. Die hohen Wangenknochen der Professorin wechselten sich mit den Sommersprossen meiner kleinen Mitbewohnerin ab. Die gewölbte Figur und die scharf geschnittene Taille, die ich im Hörsaal immer wieder unter verschiedenen grauen und gräulich blauen Kostümen beobachtet hatte, wandelten sich zur knabenhaften Gestalt Daphnes, der ich zugesehen hatte, wie sie sich zuerst in der heißen Dusche entspannte, um dann unter der Einwirkung des trocknenden Handtuchs wieder straff zu werden.

Offenbar brauchte ich eine Frau. Zwischen meinen Beinen wurde es warm und wärmer. Die Hand, die wie ein Brett daliegen sollte, hatte sich selbsttätig erhoben und fand ihren Weg von alleine. Schon war sie ihrem Ziel näher, schon war sie nah, schon berührte sie fast die empfindlichste Stelle. Aber da entwich mir ein ungeschicktes Geräusch.

»Marie?«, hörte ich Daphne aus der Dunkelheit.

Ich drückte meinen Kopf ins Kissen. Dann schluckte ich und antwortete. »Was ist denn?«

»Kannst du auch nicht schlafen?«

Ich rollte mich auf den Rücken, fühlte mich meiner Träume beraubt. »Mach dir doch einen Tee«, sagte ich zornig.

Daphne war einundzwanzig, zwei Jahre jünger als ich, und stammte aus New York. Sie studierte Biochemie, betrachtete sich aber gleichzeitig als Künstlerin und fotografierte am liebsten Asphalt, Mülltonnen und Baumrinden sowie hässliche kleine Hunde und nachdenkliche Kinder. Ihre Eltern hatten sie nach Europa geschickt, weil sie angesichts einiger Exzesse befürchteten, dass sie daheim auf die schiefe Bahn geraten und der Drogensucht anheim fallen würde. Daphne hielt diese Sorge für lächerlich, hatte aber nichts gegen ein Auslandsstudium einzuwenden gehabt.

»Ich möchte keinen Tee«, sagte sie. Weil sie offenbar davon ausging, dass mich alles an ihr interessierte, fügte sie noch hinzu: »Ich habe gerade so schlecht geträumt. Von malmenden, rollenden Steinen. Jetzt tun mir die Zähne weh.«

Ich verstand nicht gleich, dass sie offensichtlich Nähe suchte und seufzte nur enttäuscht, weil ich meine Selbstbefriedigung auf später verschieben musste. Ich musste an ihre Zähne denken. Sie waren irgendwie typisch für eine Tochter reicher amerikanischer Eltern. Kräftig durch gute Pflege und von einer teuren Zahnspange schön geordnet, füllten sie ihren kleinen, hübschen Mund. Er war rot und hatte eine feste, plumpe Unterlippe.

Es war immer noch stockfinster im Raum. In meiner Vorstellung entwickelte sich aus ihren roten Lippen ihr ganzer jugendlicher Körper. Sehnig, gebräunt, mit runden kleinen Schultern, sportlichen Schenkeln und einem fülligen Hintern. Die Brüste waren fein, dezent und gekrönt von prominenten, dunkelrosa Brustwarzen. Ich konnte mich erinnern, wie sie gleich nach der Dusche locker und geschwollen waren von der Hitze des Wassers, um sich nach dem Abtrocknen an der kühlen Luft zu feinen, zuckenden Sonnen zusammenzuziehen.

Meine Fantasien hatten zunächst vor allem der Schneekönigin gegolten. Nun bestärkte ich mich darin, dass mein Verlangen auch mit einem anderen weiblichen Körper befriedigt werden konnte, dass es sogar unbedingt mit welchem weiblichen Körper auch immer befriedigt werden musste.

»Was ist mit deinen Zähnen?«, fragte ich, als ob es mich kümmerte.

»Ich weiß nicht«, murmelte Daphne traurig, »sie fühlen sich ganz blutig an.«

»Jetzt aber …«, sagte ich unbestimmt, aber entschlossen, schlüpfte unter meiner Decke hervor und machte den einen Schritt auf die andere Seite des winzigen Zimmers, wo sich Daphnes Bett befand. Sie lag mir zugewandt auf der Seite, ihre langen, roten Locken auf dem Kissen ausgebreitet. Ich strich ihr über die Stirn, nahm sie mit beiden Händen sanft an den Wangen und hob leicht ihren Kopf. »Zeig her. Mach deinen Mund auf.«

Folgsam öffnete Daphne ihren Mund. »Aah«, machte sie.

Ich sah überhaupt nichts, weil es stockdunkel war. Nur ihre weißen Zähne glänzten ein wenig in der Ahnung von Licht, das durch die Jalousien drang. Ihr Atem roch nach Schlaf und Zahnpasta. Ihre Wangen waren zart und flaumig.

»Ist doch alles in Ordnung«, sagte ich, und ohne ihre Wangen loszulassen, küsste ich sie am Haaransatz. Daphne berührte meinen Arm und räkelte sich ein wenig. Sie trug ihr weißes Rüschenunterhemd und bestimmt auch eine ihrer winzigen Unterhosen, die eigentlich genau gar nichts verdeckten. Ich war unter meinem Hemdchen nackt und fühlte diese Nacktheit umso mehr, je mehr meine Muschi die Steuerung des Körpers übernahm. »Ich bleibe noch ein bisschen bei dir«, flüsterte ich und kletterte unter ihre Decke.

Daphne holte scharf Luft. Ihre Hand umschlang fest meinen Unterarm. Mit der Fingerkuppe des Mittelfingers strich ich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, löste die verkrampfte Umklammerung ihrer Hand, führte sie zu meinem Mund und küsste ihr leise die Handfläche. Dabei stellte ich mir vor, die schneeweiße Hand der Königin zu liebkosen. »Möchtest du, dass ich noch ein wenig bleibe?«, fragte ich mit schwerer Zunge, weil ich jetzt doch ein wenig schüchtern geworden war und nicht einfach schweigen konnte. Daphne atmete schnell und antwortete nicht, also küsste ich sie auf den Mund.

6

Es dauerte keine Sekunde, da beantwortete Daphne meinen Kuss mit ihrer Zunge. Ich war überrascht, als sie ihre Hände in mein Haar grub und mein Gesicht an das ihre zog. Ihre warme Stirn berührte die meine, unsere Nasen suchten zögerlich einen Weg aneinander vorbei, um den Mündern freie Bahn zu schaffen. Daphne machte ein leises, winselndes Geräusch, das mir außerordentlich gefiel. Überhaupt war ich von ihrem Verhalten so gerührt, dass es mir das Herz zusammengezogen hätte, wäre mein Herz nicht längst eingefroren und von den kühlen Handflächen der Schneekönigin gefangen gewesen.

Mit meinen Fingerspitzen glitt ich an Daphnes Hals entlang am zitternden Schlüsselbein vorbei und tastete mich vorsichtig zu ihren Brüsten vor. Ihre Brustwarzen bebten bereits. Schnell schob ich die Träger ihres Rüschenhemds beiseite und zog es ungeduldig mit einem Ruck herunter, nur um Daphnes Brüste besser sehen zu können. Sie waren kleiner, als ich sie in Erinnerung hatte, und mit Sicherheit waren sie um einiges kleiner als die der Schneekönigin. Immerhin hatte die Schneekönigin, das hatte mir Miloš verraten, bereits drei Töchter geboren.

Libušes Busen musste also voller und erwachsener sein, dachte ich mir, während ich mit meinen Händen über Daphnes kleine Brüste strich. Libušes Bauch würde wohl gewölbter sein, würde mehr zum Anfassen bieten, dachte ich, als ich Daphnes vollkommen flachen, schlanken und muskulösen Bauch befühlte, dessen Mitte von einem gut fühlbaren, leicht hervorstehenden Nabel geziert war. Der Nabel als Zentrum ihrer schlanken Figur zwang mich, mir ihre Klitoris vorzustellen. Also setzte ich mich auf und zog Daphne das winzige Höschen aus. Sie protestierte leicht, aber wahrscheinlich nur, weil ihr das angebracht schien. Das Höschen hatte ohnehin kaum ihre Schamlippen bedeckt. Ich bemerkte genau, wie warm und klebrig das kleine weiße Stück Baumwolle schon war. Ich warf es fort und schob meine Hand zwischen Daphnes Beine. Ihre Muschi war bedeckt von dichten, roten Locken, die sicher mehr hermachten als meine gekürzte schwarze Schambehaarung. Ich kraulte den warmen Busch, spürte meine Gier wachsen, und presste meine Finger leicht in Daphne hinein. Sie bäumte sich auf und machte wieder so ein entzückendes Geräusch wie vorhin, was mich dazu veranlasste, mich auf sie fallen zu lassen und sie wild zu küssen.

Das ist es also, das ist mein erster Sex mit einer Frau, und es fühlt sich gut an, dachte ich, während ich eine von Daphnes Brüsten in der Hand hielt und gleichzeitig zwei Finger der anderen Hand in ihr bewegte. Aus ihrer Muschi rann ein Saft, der sich wie eine pflegende Hautcreme anfühlte. Daphnes Scheideneingang war sehr eng. Sogar meine zwei kleinen Finger schienen ihr fast zu viel zu sein. Derjenige der Schneekönigin wäre bestimmt weicher, ihr könnte ich vielleicht sogar die ganze Hand hineingleiten lassen, dachte ich.

»Warte«, sagte Daphne atemlos, »ich möchte doch auch …«

Sie suchte mit ihren Handflächen unter meinem Hemd nach meinen Brüsten, die sie umschloss. Daphnes Hände, die eben nicht die alabasterfarbenen der Schneekönig waren, kamen mir aber plötzlich zu rau und zu fremd vor. Ihre Berührungen waren mir zuwider. Ich befreite mich und warf Daphne auf den Rücken. Über sie wollte ich die Kontrolle behalten. »Wirst du wohl stillhalten«, sagte ich und wunderte mich über die Selbstverständlichkeit, mit der ich mir nehmen konnte, was ich wollte. Ich kletterte zwischen Daphnes Beine und fuhr mit den Händen entlang der Innenseiten ihrer Schenkel nach oben. Sie wollte sich aufsetzen, ich drückte sie zurück und küsste zärtlich ihre kleinen Schamlocken. Dann fuhr ich mit der Zunge schnell über ihre erregte, zitternde Klitoris. Ihr Geschmack und Geruch schossen mir sofort ins Hirn und erzeugten eine Geilheit in mir, die ich noch nicht kannte. Daphne stieß dumpfe, klagende Laute aus, was den Effekt noch verstärkte. Immer und immer wieder leckte ich über ihren Kitzler. Manchmal zarter, manchmal mit mehr Druck, manchmal in kleinen Kreisen und manchmal in Linien, weil ich mir nicht ganz sicher war, welche Behandlung am besten wirkte. Ich tastete mit den Fingern nach dem Saft, der mehr und mehr aus ihr hervorquoll, ich leckte ihn ab und schluckte so viel davon, wie ich nur konnte. Schließlich verkrampfte sich Daphnes Körper, ihr Becken zuckte und erledigte die Bewegungen für mich. Dann bäumte sie sich ein letztes Mal auf, lachte laut und schluchzte zugleich. Danach seufzte sie zufrieden.

Ich setzte mich auf, wischte mir mit dem Handrücken den Mund ab und grinste leicht benommen. Für den Anfang war das wirklich nicht schlecht, dachte ich. Jedenfalls schon einmal besser als alles, was ich mit den paar haarigen, knochigen und herb riechenden Männern erlebt hatte, die ich in Wien nicht von meinem Bett hatte fernhalten können.

Vor mir lag die kleine, süße Daphne schwer atmend auf dem Rücken. Sie hielt sich die Hände vor ihr Gesicht als müsste sie weinen. Ihre Arme lagen da und schimmerten locker hochgestreckt mit der wunderbaren Eleganz von fein polierten Mädchenstatuen. Ich hätte aus Stein sein müssen, um mich nicht unendlich in sie zu verlieben.

Nun war ich tatsächlich von der Schneekönigin versteinert worden. Ich fand dieses schöne, befriedigte Geschöpf enttäuschend sentimental. Obwohl es Spaß gemacht hatte, Daphne zu befriedigen, ärgerte mich, wie unerfahren wir beide waren. Blüten konnte man doch nicht essen. Ich hatte Lust auf reife Früchte. Ich spielte tatsächlich mit dem Gedanken, Daphne mit ihren strahlenden Augen in der Finsternis alleinzulassen und mich wieder anzuziehen, um einen Spaziergang durch die verschneite Nacht zu machen. Dann wollte ich doch kein Monster sein und setzte mich noch für ein Weilchen zu ihr. Ein bisschen ärgern musste ich die reinliche Amerikanerin aber doch, und so holte ich vom Schreibtisch noch meine Zigaretten und den Aschenbecher, bevor ich mich wieder zu ihr ins Bett verfügte. Das erloschene Streichholz warf ich, weil mir gerade so danach war, einfach in hohem Bogen durch den Raum.

Ich saß Daphne gegenüber, rauchte und streichelte mehr oder weniger liebevoll ihren kleinen, flachen Bauch. Sie flüsterte meinen Namen. Ich wusste, wie sehr sie Zigarettenrauch hasste, aber sie gab keinen Widerspruch von sich. »Ach, Marie«, sagte Daphne leise, »wie hast du es wissen können? So lange habe ich mich nach dir gesehnt.«

Vielleicht weinte sie sogar dabei. Ich war gerührt genug, kurz nichts sagen zu können. Dann streichelte ich wieder ihren Mädchenbauch, der sich wie ein feiner Trieb eines jungen Baumes von ihrem zierlichen Becken absetzte.

»Eine hübsche Taille hast du«, sagte ich.

In Gedanken war ich schon wieder bei der Schneekönigin.

7

In der nächsten Woche entfielen die beiden Vorlesungen der Schneekönigin, weil sie an einem Kongress teilnahm. Ich vermisste sie, wollte ihr nahe sein und trieb mich auf dem Institut herum, um zumindest ihren Assistenten Miloš wiederzusehen.

Ich stand im Gang zwischen den Seminarräumen und wartete auf sein Erscheinen oder zumindest auf seinen Rückruf. Aus Langeweile entzifferte ich die Aushänge und Plakate auf der Pinnwand, die Ankündigung einer Exkursion, eine Einladung zu einer Ausstellung von surrealistischen Fotografien, ein Stellenangebot für Doktoranden.

Ich merkte, dass meine Schuhbänder sich gelöst hatten, also kniete ich mich hin, um sie wieder zu schnüren. Hinter mir hörte ich Schritte. Ich hob den Kopf und sah Libuše Herzová, wie sie auf ihren grauen Stöckelschuhen auf mich zusegelte. Ihr Erscheinen erschütterte mich. Mit halbgeschnürten Schuhbändern stand ich wankend auf und suchte eilig nach den richtigen Begrüßungsworten. Das Adrenalin war mir bis unter den Haaransatz gestiegen, als ich endlich ein flüchtiges »Ahoj« stammelte. Meine Stimme hatte sich wie der schwache Krächzlaut eines unterernährten Vögelchens erhoben und stürzte in der Luft irgendwo über mir zu etwas kaum Hörbarem wieder ab. Die Schneekönigin verlangsamte ihre Schritte nicht. Vielleicht hatte sie meinen unhöflichen Gruß gar nicht wahrgenommen, hoffte ich. Aus Scham hielt ich meinen Blick gesenkt.

»Dobrý den, paní kolegyně«, was ›Guten Tag, Frau Kollegin‹ bedeutete, hörte ich ihre klare Stimme und sah, wie ihre Stöckelschuhe mich Schritt für Schritt passierten. Wahrscheinlich hatte mir die Schneekönigin Libuše ins Gesicht geblickt, aber ich wußte es nicht, weil ich weiterhin meine Augen nicht zu heben wagte. Ein eisiger Lufthauch strich über meine heiße, gesenkte Stirn.

In einer anderen Wirklichkeit wäre ich nicht auf dem Boden gesessen wie eine Zehnjährige. Ich wäre in Eile gewesen, ein Buch mit dem Namen Karel Čapek oder Vítězslav Nezval auf dem Schutzumschlag hätte dezent aus meiner Manteltasche geragt. »Dobrý den, paní profesorko«, hätte ich gesagt, und »Nashledanou!«

Im selben Augenblick hätte mich Miloš angerufen und ich hätte in einwandfreiem Tschechisch ein Treffen mit ihm vereinbart. Vielleicht wäre die Herzová dann beeindruckt gewesen, hätte das Ende meines Telefonats abgewartet, um zu sagen: »Warten Sie, Marie! Hätten Sie Zeit, meine Prüfungsbögen Miloš zur Korrektur zu überbringen? Sie liegen auf meinem Schreibtisch, mein Büro ist gleich hier. Folgen Sie mir. Wie geht es Ihnen? Ihr Tschechisch ist schon ganz fließend!«

Stattdessen stürzte ich durch das Stiegenhaus und das Eingangstor ins Freie und lief wütend die gesamte eisige und verschneite Strecke bis zur U-Bahn-Station Staroměstská, um so schnell wie möglich mein Wohnheim im Plattenbau Sázava zu erreichen. Zu Hause warf ich mich aufs Bett und vergrub mein Gesicht im Kopfkissen. Mein Handy klingelte, aber ich regte mich nicht. Es klingelte wieder und wieder, und ich wäre wohl noch eine Ewigkeit so dagelegen, wenn nicht Daphne meinen Kummer mit ihrem Gekreische unterbrochen hätte. Sie hatte meine Tasche durchwühlt, mein Handy gefunden und es mir auf den bebenden Rücken geworfen. »Schalt es doch wenigstens auf lautlos!«, rief sie.

Ich setzte mich zerknittert auf und rieb mir die Augen. Mir war nicht aufgefallen, dass Daphne schon die längste Zeit im Zimmer gewesen war. Sie kniete in der ihr eigenen, leicht egomanischen Verrücktheit auf dem Bett und betrachtete misstrauisch eine kleine Nagelschere. »Was meinst du«, fragte Daphne, »ist es sehr gefährlich, wenn …?« Sie ließ die Schere fallen und wandte sich wieder mir zu. »Ach, ist doch egal. Was ist mit dir los, Marie? Hast du Liebesärger mit deinem Freund?«

Ich lächelte bitter. »Mit Miloš? Mit dem doch nicht.«

»Ach so«, sagte Daphne bedeutungsschwanger.

Sie kletterte vom Bett und holte aus ihrer Schreibtischschublade ein Toiletteetui mit all ihren sorgfältig geordneten, umweltfreundlichen amerikanischen Bio-Toiletteartikeln. »Es ist schon in Ordnung, wenn du einen Freund hast, Marie«, sagte sie, und ihre kleine Unterlippe bebte ein bisschen.

»Du kannst schon eine ganz schöne Dumpfbacke sein, Daph ne«, sagte ich seufzend.

»Vielleicht bin ich eine Dumpfbacke«, erwiderte Daphne lauter, »aber ob du einen Freund hast oder nicht, ist ohnehin nicht mein Bienenwachs, wie wir zu Hause in Vermont immer sagen. Außerdem gibt es hier in diesem Europa überhaupt nirgends dasselbe Bienenwachs, wie ich es in Amerika immer für meine Beine verwende.«

Sie öffnete mit einem angeekelten aber konzentrierten Gesichtsausdruck eine Packung Einwegrasierer. Ich sah, wie unter ihrem Bademantel auf ihren Beinchen ein rötlicher Flaum hervorglänzte.

»Wärst du sehr traurig, wenn ich und Miloš zum Beispiel heiraten würden?«, stichelte ich. »Würdest du dann vielleicht aus Rache deine Beine rasieren?«

»Nein«, sagte Daphne und rümpfte ihre Nase. »Wenn du’s wissen willst, ich will mir die Schamhaare rasieren. Ich habe auf einem Blog gelesen, dass die meisten Lesben eine rasierte Vulva bevorzugen.«

Sie sagte tatsächlich »Vulva«. Ich fragte mich, ob sie vielleicht einen Kurs in gender studies belegt und das Wort dort aufgeschnappt hatte.

»Ich dachte zuerst, dass es mit Wachs besser gehen würde, aber ich fand nirgends das Bio-Wachs … und dann die Nagelschere … ich habe eben überlegt.«

»Aha«, sagte ich, »du bist jetzt lesbisch geworden, Daphne?«

Daphne schaute mich wütend an. Ich warf einen gespielt trotzigen Blick zurück und brachte sie wieder zum Lächeln.

»Eigentlich weiß ich schon lange, dass ich auf Frauen stehe«, sagte sie. »Daheim habe ich mich wegen meiner Eltern nie getraut, etwas mit einer Frau anzufangen. Ich kannte auch keine Lesben. Aber jetzt, wo ich mit einer das Zimmer teile …«

Sie senkte ihren Kopf, um mich wie ein Hündchen von unten anzusehen. Das machte mich ein wenig scharf. »Wer sagt, dass ich lesbisch bin?«, antwortete ich, um ihr ein wenig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

»Ich dachte, dass ich auf eine Mädchenparty gehen könnte. Heute Abend ist eine, vielleicht magst du ja mitkommen«, sagte Daphne.

Ich schnaufte verächtlich und ließ mich zurück auf mein Bett fallen. Von solchen Partys hatte ich schon gehört, war aber noch nie auf eine gegangen. Ich hatte mich ja auch nie für lesbisch gehalten. Aber seitdem ich in die Schneekönigin Libuše verliebt war, konnte ich mir erst recht nicht vorstellen, an einer Versammlung von Mädchen teilzuhaben, die sich aufgrund ihres Selbstfindungstrips gegenseitig die Geheimnisse unter ihren Schlüpfern offenbarten. Libuše würde nie bei so etwas mitmachen, nichts läge ihr ferner, da war ich mir sicher.

Daphne sammelte ihre Rasierutensilien ein und verließ leise raschelnd das Zimmer.

»Hast du auch nicht den Schaum vergessen?«, rief ich ihr nach.

»Nein, und ich habe sogar an eine Creme gedacht«, murmelte sie im Weggehen.

Ich blieb noch ein Weilchen liegen und starrte die niedrige Zimmerdecke an. Schließlich konnte ich doch nicht anders und kroch auf den Gang zu unserem gemeinsamen Badezimmer. Die Dusche lief. Ich öffnete die Tür. Daphne stand in der Duschecke hinter der Wand aus Glasziegeln und erstarrte, als sie mich bemerkte. Sie drehte sich aber nicht nach mir um. »Was willst du jetzt?«, fragte sie in verärgertem Ton.

»Ich wollte dir nur zusehen«, sagte ich. »Das darf ich doch bei dir, oder?«

Ich zog Schuhe, Socken und alles andere bis auf die Unterwäsche aus. Meine Knie waren trocken und krustig, weil ich beim Eishockeyspielen mit Miloš so oft gestürzt war. Daphnes Knie waren kantiger und schmaler als meine und von keinen blauen Flecken verunstaltet. Der Winter hatte uns aber beiden ordentlich zugesetzt. Fern von zu Hause lebten wir etwas wilder, unsere Sehnsüchte waren stärker in der Fremde, wir tranken mehr Kaffee, mehr Bier und weniger Wasser, ernährten uns nicht mehr so gut und hatten abgenommen.

Ich lehnte mich an die dampfbeschlagene Glasziegelwand, die die Duschecke begrenzte. Daphne drehte mir den Rücken zu. »Du musst deine Unterhose ausziehen«, sagte sie.

»Na gut«, antwortete ich, »dafür darf ich dir die Schamhaare rasieren.«

8

Ich streifte mein Höschen ab. Daphne drehte sich um und schaute mir zwischen die Beine. Ich stieg zu ihr in die Duschecke. Das heiße Wasser rann uns durch die Haare, machte sie dunkel und schwer. Ich nahm Daphne die Nagelschere aus der Hand, mit der sie an ihren Muschilocken herumgeschnipselt hatte, und gab ihr einen Kuss, um sie zu beruhigen, weil ich sah, dass ihre Unterlippe wieder bebte.

»So dicht sind deine Schamhaare auch wieder nicht, dass wir sie vorher kürzen müssten«, sagte ich.

Ich ließ Daphne sich an die Kachelwand lehnen und im Stehen die Beine spreizen. Sie keuchte. Als sie so stand, wie ich es wollte, hockte ich mich vor sie auf den Duschwannenrand. Ich strich über ihren Venushügel. Gleich drei Einwegrasierer und eine kleine Dose Rasierschaum lagen zu meiner Rechten.

Ein bisschen wehmütig war ich schon, weil mir Daphnes Muschi behaart sehr gut gefiel. Sie war wie ein Plüschtier, das man beim Einschlafen vermisst, wenn es nicht mit im Bett ist. Andererseits war ich an dem Unterfangen der Rasur sehr interessiert. Bei mir selbst hatte ich es auch immer nur an den Rändern gemacht, und so aus der Nähe hatte ich bei Licht noch nie eine Muschi sehen dürfen, weder rasiert noch unrasiert. Das ist eben der Nachteil, den wir Frauen gegenüber den Männern haben, dass wir unsere eigenen Geschlechtsteile nur umständlich mit einem Spiegel betrachten können. Deshalb braucht jede Frau ganz einfach eine andere Frau, um sich selbst in ihr erkennen zu können, dachte ich.

Ich rieb Daphnes Venushügel mit Schaum ein und machte mich von oben beginnend ans Werk. Während vorher aus Daphnes Busch nur die hellrosa Klitoris hervorgeleuchtet hatte, wenn ich die Haut darüber nach oben zog, strahlten mich nun immer größere Flächen weißer Haut an.

Ich rasierte zuerst mit dem Strich, dann vorsichtig dagegen, bis die Haut vollkommen glatt war. Dabei musste ich den Schaum mehrmals neu auftragen, sodass ich in meiner Naivität Angst bekam, die ganze kleine Reisedose aufzubrauchen. Da mir ohnehin drei Einwegrasierer zur Verfügung standen und da sie eher stumpf als scharf waren, hatte ich zwei bereits verbraucht, noch bevor ich zu den Schamlippen gelangt war. »Nächstes Mal solltest du richtiges Rasiergerät nehmen. Sind die Rasierer für Männer nicht vielleicht besser?«, fragte ich.

»Das habe ich in dem Lesbenforum auch gelesen«, sagte Daphne, »aber mein Bruder verwendet schon immer Frauenrasierer und schwört, dass die besser sind. Ich konnte mich im Geschäft nicht entscheiden. Deshalb Einwegrasierer.«

»Du hast dir ja wirklich Gedanken gemacht.«

Ich gab ihr einen Kuss genau auf die Grenze zwischen rasierter und unrasierter Zone. Ein flüchtiges Zittern huschte über Daphnes dampfenden Körper. Ich ließ sie zuerst das eine Bein heben, um die benachbarte Schamlippe zu rasieren, danach das andere. Sie kam mir vor wie die schaumgeborene Venus beim Bergsteigen. Ich musste lachen. Als ich fertig war, überwältigte mich, wie fein und ganz leicht gewellt die Haut auf ihren äußeren Schamlippen war. Ich strich mit den Fingerkuppen darüber, und spätestens da war ich ziemlich feucht. Ich wollte sie lecken, aber obwohl Daphne mindestens so erregt sein musste wie ich, unterbrach sie mein Vorhaben. »Noch hinten, bitte, wenn du schon dabei bist.«

»Hinten?«, fragte ich.

»Naja, natürlich, am Hintern, du weißt schon, ums Arschloch habe ich auch ein paar Härchen … oder Haare, aber wenn du willst, versuche ich es selber, ich weiß nur nicht wie,« sagte sie ein bisschen hilflos.

Ich nickte. »Natürlich, ums Arschloch, wie schön du das sagst. Dann umdrehen, bitte.«

Ich musste sie auch noch ersuchen, ihre Hinterbacken auseinanderzuhalten. Ich war etwas zittrig. Erstens hatte ich nicht damit gerechnet, diesen Teil meiner Mitbewohnerin auch so genau kennenzulernen. Zweitens hatte ich an dieser Stelle mehr Angst, sie zu schneiden.

Aber ich riss mich zusammen. Ich sagte mir, dass ich doch als Kind immer Chirurgin hatte werden wollen, und das Beben meiner Hand beruhigte sich sofort. Ich führte die Klinge ganz behutsam in alle Richtungen von der Mitte weg, und eigentlich war es ganz leicht. Gerade als ich fertig war, bemerkte ich, dass Daphne schluchzte. »Entschuldige! Hab ich dich geschnitten?«, fragte ich perplex.

»Nein, das ist es nicht …«, murmelte Daphne.

Ich hatte den Rasierer zurückgezogen, und Daphne ließ ihre Hinterbacken los. Trotzig klatschten sie gegeneinander.

»Du verstehst auch gar nichts, oder?«, sagte Daphne.

Sie drehte sich schnell um, duschte sich überall ab, drehte das Wasser ab und stieg über mich hinweg aus der Duschwanne, um sich abzutrocknen und einzucremen. Dafür verwendete sie eine Heilcreme für Babyhaut, die ziemlich rezeptpflichtig aussah.

»Wird sicher ganz samtig«, sagte ich, »aber kraulen kann dich jetzt niemand mehr.«